heute.glauben.leben 11 - Ökumene

heute.glauben.leben
T H E M E N H E F T D E R H A U P TA B T E I L U N G
SEELSORG E . BISTU M WÜRZBURG
Was ist Wahrheit?
Zwei Gedenken –
eine Aufgabe
Seite 12
Ökumene
auf dem Weg
des Wandels
Seite 16
Gemeinsam
weitergehen
Erfahrungen
aus Taizé
zur Ökumene
Seite 48
J A N 2 0 1 7 / H E FT 1 1
impres s um
Das Themenheft der Hauptabteilung II – Seelsorge
EDIToriAL
des Bischöf­lichen Ordinariates Würzburg – erscheint
beruflichen Seelsorgerinnen und Seelsorger, die
Vorsitzenden der Pfarrgemeinderäte und Gemein­
samen Ausschüsse der Pfarreiengemeinschaften, die
Kirchenpfleger und Kirchenpflegerinnen der Kirchen­
verwaltungen, die D
­ ekanatsratsvorsitzenden, die
Ordens­oberen und die Verbandsvorsitzenden, die
Referenten und R
­ eferentinnen in den verschiedenen
Hauptabteilungen und in der kirchlichen Jugend­ar­
beit sowie den Diözesan-Caritasverband e.V. und
die Geschäftsführer der Orts-/Kreiscaritasverbände
sowie der Diözesan­büros, die Bildungshäuser der
Diözese, die Einrichtungen der Citypastoral und
alle Ab­tei­lungen im ­Bischöflichen Ordinariat.
GEMEINSAM
BARMHERZIGKEIT
GOTTES
VERKÜNDEN
„N
Herausgeber:
Bischöfliches Ordinariat Würzburg . Hauptabteilung II – Seelsorge
Weihbischof Ulrich Boom . Leiter der Hauptabteilung
Adresse: Bischöfliches Ordinariat . Hauptabteilung II – Seelsorge
St. Kilianshaus . Kürschnerhof 2 . 97070 Würzburg
Telefon (0931) 386-65101 . Telefax (0931) 386-65109
[email protected] . www.bistum-wuerzburg.de
Redaktion: Andrea Kober-Weikmann, Pastoralreferentin
eben der Wahrheit des Evangeliums und neben der
durch sie ermöglichten Freiheit war das wichtigste
Wort wohl ‚Gnade‘. Luthers alles andere überragende Erfahrung war, dass er allein durch die Gnade Gottes zu
einem gerechten und guten Menschen werde. Das war das Befreiungserlebnis seines Lebens, die Erlösung seiner suchenden
und oft verängstigten Seele.
Gnade: damals ein zentrales – heute vielleicht fremdes Wort. Und
dabei, so scheint es mir, hätten wir gerade heute nichts so nötig
wie Gnade. Gnade zuerst mit uns selbst, damit wir nicht vor immer neuer Selbsterfindung und Selbstoptimierung schließlich in
verzweifelter Erschöpfung landen. Gnade auch mit unseren Mitmenschen, die eben fehlbare und unvollkommene Wesen sind,
wie wir selber, und von denen wir doch häufig Perfektion und
reibungsloses Funktionieren erwarten.
Es macht sich zudem in unserer Gesellschaft, von Internetforen
bis hin zu politischen Debatten, ein Ungeist der Gnadenlosigkeit
breit, des Niedermachens, der Selbstgerechtigkeit, der Verachtung,
der für uns alle brandgefährlich ist.
Und dass wir weniger von Ängsten geplagt und von Furcht ergriffen sind als die Zeitgenossen der Reformation, das kann man
nun sicher nicht behaupten ... Wir brauchen auch heute „Agenten
der Entängstigung.“
Layout: factum | adp . Büro für visuelle Kommunikation . Sand a. Main
Druck: Aktiv-Druck, Ebelsbach
Auflage: 4.000 Stück
Titelbild: factum | adp
Weitere Bilder: privat, Bistum Würzburg POW, factum | adp, Wikipedia
Commons, Internationale Bonhoeffer-Gesellschaft (ibg) – Deutsch­
sprachige Sektion e.V., Gary Yim, Lena Gujara, Gerard Terborch, Tatjana
Splichal, Johannes Fenn, Günter Streit, Weltgebetstag der Frauen –
­Deutsches Komitee e.V., L'Osseravtore Romano
So der Bundespräsident Joachim Gauck beim Festakt „500 Jahre
Reformation“ am 31. Oktober 2016 in Berlin. Ein Agent der Entängstigung ist ein Mensch, der um Gnade und Zuwendung weiß
und diese erfahren lässt. Der Christenmensch soll ein solcher
Agent sein. Ob wir es immer sind, bleibt die Frage. Auf jeden Fall
stehen in diesem Punkt stets Erneuerung und Neubesinnung an.
Angstlos und gnadenvoll sein, ist Christenart. Oft plagt uns aber
die Unart, angstvoll und gnadenlos zu sein. Aber so verdoppeln
Weihbischof Ulrich boom
mindestens zweimal im Jahr und erreicht alle haupt­
wir eher die Hoffnungslosigkeit in der Welt, als dass wir Zeugen
der Hoffnung sind. Als Zeuginnen und Zeugen der Hoffnung
sind wir in die Welt gestellt und solche können wir sein in aller
Vielfalt und Verschiedenheit. Es gibt kein Christsein ohne Ökumene, ohne, dass es nicht das Gesamte in den Blick nimmt und
den ganzen Erdkreis betrifft. Ökumenisch sein heißt immer,
Vielfalt in Einheit leben.
ÖKUMENE ist das Thema des vorliegenden Heftes von „heute.
glauben.leben“. Was Ökumene bedeutet aus katholischer Sicht,
beleuchtet Bischof em. Dr. Paul-Werner Scheele mit dem Christuszeugen Dietrich Bonhoeffer. Die evangelische Sicht kommt von
Kirchenrätin Dr. Maria Stettner. In einem Gespräch tauschen
sich Bischof Dr. Friedhelm Hofmann und die Regionalbischöfin
Gisela Bornowski über ihre Sichtweisen und Erfahrungen zum
ökumenischen Miteinander der Kirchen aus.
Zum Thema „Ökumene der Gaben – Schätze wechselseitig zeigen
und teilen“ ermutigt Domvikar Dr. Petro Müller, Ökumenereferent im Bistum Würzburg. Die Frucht jahrzehntelanger ökumenischer Bemühungen ist die Schrift „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“, die vom Kirchenrat Andreas Werner vorgestellt wird.
Prof. Dr. Wolfgang Weiß geht in seinem Artikel der Frage nach
„Was ist Wahrheit?“, wenn er die zwei Gedenken „500 Jahre Reformation – 400. Todestag Julius Echter“ im Jahr 2017 als Auf­
gabe herausstellt.
Frère Alois, der Prior der Communauté von Taizé, macht in seinem Beitrag Mut zum „Gemeinsam weitergehen“, wenn er über
die ökumenischen Erfahrungen aus Taizé berichtet. Der Heilige
Papst Johannes XXIII. nannte einmal die Brüdergemeinschaft
von Taizé den „kleinen Frühling“ in der Kirche.
Gedruckt auf FSC zertifiziertem Papier.
2
3
Die Berichte und Erfahrungen aus der Praxis sind nur ein Ausschnitt ökumenischen Handelns in den Kirchen. Sie laden ein,
die Ökumene als Gabe wahrzunehmen und stets als Aufgabe zu
sehen und dies nicht nur auf zwei Kirchen hin, sondern auf die
vielen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften.
„ Unser Geist wendet sich zuerst den Christen
und einzigen Mittler zwischen Gott und den
Menschen offen bekennen zur Ehre des einen
Gottes, des Vaters und des Sohnes und des
Heiligen Geistes. Wir wissen zwar, dass nicht
Zur Feier des Reformationstages 2016 in Lund/Schweden traf
sich Papst Franziskus mit dem Lutherischen Weltbund. In der
Predigt in der Kathedrale von Lund sagte er: „Wir müssen liebevoll und ehrlich unsere Vergangenheit betrachten, Fehler eingestehen und um Vergebung bitten. Allein Gott ist der Richter. Mit
der gleichen Ehrlichkeit und Liebe muss man zugeben, dass unsere Spaltung von dem ursprünglichen Empfinden des Gottesvolkes, das sich von Natur aus nach Einheit sehnt, weggeführt hat
und in der Geschichte mehr durch Vertreter weltlicher Macht aufrecht erhalten wurde, als durch den Willen des gläubigen Volkes.“
Er rief zu einem gemeinsamen Handeln für die Welt auf: „Gemeinsam können wir auf konkrete Weise und voll Freude die
Barmherzigkeit Gottes verkünden und offenbaren, indem wir
die Würde eines jeden Menschen verteidigen und ihr dienen.
Ohne diesen Dienst an der Welt und in der Welt ist der christliche
Glaube unvollständig.“
geringe Unterschiede gegenüber der Lehre der
katholischen Kirche bestehen, insbesondere
über Christus als das fleischgewordene
Wort Gottes und über das Werk der Erlösung,
sodann über das Geheimnis und den Dienst
Editorial
Gemeinsam Barmherzigkeit
Gottes verkünden
Weihbischof Ulrich Boom
Seite 3
Grundsatz
Heilswerk. Dennoch freuen wir uns, wenn wir
Was Dietrich Bonhoeffer
der Gemeinde zu sagen hat
sehen, wie die getrennten Brüder zu Christus
Bischof em.
der Kirche und über die Aufgabe Mariens im
als Quelle und Mittelpunkt der kirchlichen
Gemeinschaft streben. Aus dem Wunsch zur
Vereinigung mit Christus werden sie notwendig
dazu geführt, die Einheit mehr und mehr zu
suchen und für ihren Glauben überall vor
allen Völkern Zeugnis zu geben.”
Dr. Paul-Werner Scheele
Seite 6
Lutherisch = ökumenisch
Welchen Stellenwert räumen wir
der Ökumene in unserer Kirche ein?
Kirchenrätin Dr. Maria Stettner
Seite 10
Dekret über den Ökumenismus
Ich wünsche uns, dass das neue Heft „heute.glauben.leben“ hilft,
in versöhnter Verschiedenheit, Christus, den Herrn der Kirche,
zu bezeugen und die Vielfalt der Zeugnisse in Einheit zu leben.
inhaltsverzeichnis
zu, die Jesus Christus als Gott und Herrn
„Unitatis redintegratio” 20
Im Gespräch
Ökumene
auf dem Weg des Wandels
Bischof Friedhelm Hofmann
und Regionalbischöfin
Ihr
Gisela Bornowski
Seite 16
Impuls(e)
+ Ulrich Boom
Weihbischof . Leiter der Hauptabteilung II – Seelsorge
Für die Einheit der Kirchen
Seite 9
Für eine lebendige Einheit der
Christen
Seite 29
Sonne der Gerechtigkeit
Seite 39
zum thema
Was ist Wahrheit?
Zwei Gedenken – eine Aufgabe
Prof. Dr. Wolfgang WeiSS
Seite 12
Ökumene der Gaben
Schätze wechselseitig zeigen
und teilen
Domvikar Dr. Petro Müller
Seite 20
Impuls (e)
4
Vom Konflikt zur Gemeinschaft
Reformationsgedenken
Kirchenrat Andreas Werner
„Erste Hilfe für die Seele“
Notfallseelsorge – von einer ökumenischen Initiative zur Institution
Seite 22
Ulrich Wagenhäuser
„Ihr alle seid einer in
Christus Jesus.“
Galaterbrief – Handreichung
für die Ökumene
Dr. Petro Müller
Seite 23
Geflüchtete Christen und
Ökumene
Robert Hübner
Seite 46
Aus der Praxis
Einheit wächst
auf dem gemein­samen Weg
Das Ökumenische Zentrum
Würzburg-Lengfeld
Pfarrer Christoph Lezuo und
Pfarrer Harald Fritsch
Seite 24
Ökumenisches
Kirchenliedersingen
„Gott geb uns allen seiner
Gnade Segen“
Pfarrer Stephan Eschenbacher
Seite 26
Einheit der Christen
Erfahrungen mit der Gebetswoche
Pfarrer Peter Neubert
Seite 28
Seite 36
Christliches Zeugnis
in einer multi­religiösen Welt
Pfarrerin Dr. Claudia Jahnel
Seite 38
Quo vadis?
Konfessioneller Religionsunterricht
Sophie Zaufal
Seite 40
Kirche2 und fresh-X
auf der Suche nach einer Kirche
von und für morgen
Maria Herrmann
Seite 41
Eine Familie, zwei Kirchen
Ökumene im Praxistest
Lucia Lang-Rachor
Seite 42
Gemeinsam Gutes tun
Ökumenisches Handeln im Dienst
an den Menschen
Klaus Korbmann
Seite 44
Gemeinsam weitergehen
Erfahrungen aus Taizé
zur Ökumene
Frère Alois
Seite 48
130 Jahre Weltgebetstag der Frauen
Aktuelles
Dr. Irene Tokarski
Seite 52
Seite 30
Ökumene plus
Ökumenische Klinik-Seelsorge
am Uniklinikum Würzburg
Ausblick
Seite 55
Christian Hohm
Seite 32
Chancen für eine multilaterale
Ökumene
Lokale Arbeitsgemeinschaften
christlicher Kirchen
Pfarrer Stefan Meyer
Seite 34
5
Was Dietrich
Bonhoeffer
der Gemeinde
zu sagen hat
Bischof em.
Dr. Paul-Werner Scheele
g rundsatz
Was uns Christen miteinander verbindet kam zur Sprache,
als Bischof Paul-Werner Scheele auf Einladung der
lutherischen St. Matthäusgemeinde Höchberg am 29. Juli
2015 ausführte, was der Patron des sich im Bau befindlichen
Bonhoefferzentrums der Gemeinde zu sagen hat.
Es gilt gleicherweise für jede katholische Gemeinde.
Drei Appelle des Blutzeugen gehen uns
alle an. Als erstes sagt er:
Folgt Jesus Christus!
Er ist das A und O der Kirche. Am 20. April 1944, als man den Geburtstag Hitlers
mit Getöse feiert, schreibt Bonhoeffer in
der Zelle, in der er dem Tod entgegengeht:
„Was mich unablässig bewegt, ist die Frage,
… wer Christus heute für uns eigentlich
ist.“ 1
Das zeigt sich bereits in der Doktorarbeit,
die der Einundzwanzigjährige 1927 vor­
legen kann. Ihr Titel heißt: „Sanctorum
Communio“. Bonhoeffer nimmt damit die
lateinischen Worte des Apostolischen Glaubensbekenntnisses auf: „Gemeinschaft
der Heiligen“. In dieser Dissertation bekennt er: „In Christus liebt Gott die Menschen, schenkt er sein Herz, und weil er
sich dem sündigen Menschen schenkt,
macht er ihn zugleich neu und macht so
die neue Gemeinschaft möglich und wirklich.“ 2
6
„Er ist der Eckstein und das Fundament
des Baues, und der Kirche ganze Fülle ist
doch sein Leib. Er ist der Erstling unter
vielen Brüdern, und doch sind wir alle
Einer in ihm.“ 3
Als Privatdozent macht Bonhoeffer sich
1933 an der Berliner Universität, wie er
sagte, „an das schwierigste Thema, an die
‚Christologie‘.“ 4
In dieser Zeit formen sich „die Frömmigkeit und die Theologie einer ganzen Hingabe an Jesus. Dieser wird zu dem mächtigen Befehlshaber, dem nachzufolgen
alle Erfüllung bedeutet und Zugänge zu
anderen Menschen garantiert“. 5
Seine Theologie wird immer christozentrischer. In der Berliner Vorlesung widmet
er sich speziell der Frage: „Wer ist Jesus
Christus für uns heute?“ Er doziert: „Die
Frage darf nicht lauten: Wie ist der Mensch­
gewordene denkbar?, sondern: Wer ist er?“
Bonhoeffer antwortet: „Er ist der Gott,
der Mensch geworden ist, wie wir Mensch
geworden sind. Ihm fehlt nichts vom Men-
schen … Der Mensch, der ich bin, ist Jesus
auch gewesen. Von ihm allein gilt wirklich,
dass ihm nichts Menschliches fremd geblieben ist.“ 6
Als nach der Machtergreifung Hitlers die
sogenannten „Deutschen Christen“ in der
Evangelischen Kirche dominierten, richtete die Bekennende Kirche in Finsterwalde
ein Predigerseminar ein. Die Leitung wurde Bonhoeffer anvertraut. Nach etlichen
Schikanen und Attacken wurde das Semi­
nar 1937 geschlossen. In dieser Zeit entsteht
die Schrift „Nachfolge“. Im Bemühen, gegen das verbreitete Missverständnis der
„billigen Gnade“ vorzugehen, weist Bonhoeffer auf den Gekreuzigten hin. Er lehrt:
„Wie Christus nur Christus ist als der Leidende und Verworfene, so ist der Jünger
nur Jünger als der Leidende und Verworfene, als der Mitgekreuzigte. Die Nachfolge
als die Bindung an die Person Jesu Christi
stellt den Nachfolgenden unter das Gesetz
Christi, d. h. unter das Kreuz.“ 7
Ulmer Münster
Im Jahr 1938 verfasst Bonhoeffer die Schrift
„Gemeinsames Leben“. In ihr sagt er von
Christus: „Christ ist der Mensch, der sein
Heil, seine Rettung, seine Gerechtigkeit
nicht mehr bei sich selbst sucht, sondern
bei Jesus Christus allein.“ 8
Von der Kirche gilt: „Christliche Gemeinschaft heißt Gemeinschaft durch Jesus
Christus und in Jesus Christus.“ 9
Ein „Jesus ja, Kirche nein“ gibt es für Bonhoeffer nicht. Mit den Worten „Folgt Jesus
Christus nach!“ verbindet sich für ihn der
Aufruf: „Lebt und liebt die Kirche!“
Lebt und liebt die Kirche!
Um die Einheit von Christus und seiner
Kirche zu verkünden, gebraucht Bonhoeffer
Worte, die manche schockieren. Bereits in
seiner Dissertation spricht er von „Christus als Gemeinde existierend“. 10
Provozierend formuliert er: „Die Kirche ist
Gegenwart Christi, wie Christus Gegenwart Gottes ist“. 11
Wörtlich schreibt er: Die Kirche „ist der
gegenwärtige Christus selbst, und darum
ist ‚in Christus sein‘ und ‚in der Gemeinde sein‘ dasselbe“. 12
Das Miteinander von Christus und Kirche
sieht Bonhoeffer insbesondere im Prinzip
der Stellvertretung begründet. Dieses ist
wiederum für das alltägliche Leben der
Gemeindemitglieder von größter Bedeutung. Stellvertretung ist „grundlegend für
die Gemeinde Gottes in und durch Christus“. 13
Sie wird in einzigartiger Weise durch
Christus verwirklicht. „Als Unschuldiger
nimmt Jesus Schuld und Strafe der Anderen auf sich, und indem er selbst als Verbrecher stirbt, ist er verflucht, denn er trägt
die Sünden der Welt und ist für sie gestraft;
am Verbrecherkreuz aber triumphiert die
stellvertretende Liebe, der Gehorsam gegen
Gott über die Schuld, und damit ist Schuld
tatsächlich gestraft und überwunden.“ 14
Durch Christus, mit ihm und in ihm ist
seiner Kirche die Stellvertretung für alle
Mitmenschen aufgetragen. Das gilt für
sie als Ganze wie für jedes ihrer Glieder.
„Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für
andere da ist,“ schreibt Bonhoeffer im
„Entwurf einer Arbeit“, den er in der Haft
konzipiert. 15
Das stellt an das einzelne Gemeindemitglied hohe Anforderungen. Es muss sich
dessen bewusst sein, was es der Kirche verdankt: „Der Christ wird und ist nur in der
Gemeinde Christi. Er ist auf diese und d. h.
auf den anderen Menschen angewiesen.
Einer trägt den andern in tätiger Liebe,
Fürbitte und Sündenvergebung in der
völligen Stellvertretung, die nur in der Gemeinde Christi möglich ist, die als Ganze
auf dem Prinzip der Stellvertretung, d. h.
auf der Liebe Gottes ruht; alle aber werden
sie von der Gemeinde getragen, die in eben
diesem Füreinander der Glieder besteht.
In dem strukturellen Miteinander von
Gemeinde und Gemeindemitglied und
dem tätigen Füreinander in Stellvertretung und in Kraft der Gemeinde besteht
7
Denkt und handelt
ökumenisch!
Bereits als Fünfundzwanzigjähriger nimmt
Bonhoeffer an einer ökumenischen Konferenz in Cambridge teil. Er übernimmt
sogleich die Aufgabe des Sekretärs für die
ökumenische Jugendarbeit im mittleren
und nördlichen Europa. Das bringt ihn in
Kontakt mit der Bewegung für praktisches
Christentum (Life and work). Als er 1933
Pfarrer in London wird, hat er die Absicht,
die ökumenische Arbeit weiterzuführen. 18
Nach der Aufhebung des Predigerseminars
sucht er erneut Kontakte mit namhaften
Repräsentanten der Ökumene in der
Schweiz, in Schweden, in England und in
den Vereinigten Staaten. Kurz vor seinem
Tod erklärt er: Ich glaube „an unsere universale christliche Bruderschaft, die sich
über alle nationalen Interessen erhebt, und
glaube daran, dass uns der Sieg gehört“. 19
Zu einer besonderen Art ökumenischen
Einsatzes kommt es in der Haft. Bonhoeffer versucht einen Brückenschlag zu den
Mitgefangenen, indem er ihnen durch den
Gefängnisgeistlichen Gebetstexte zukommen lässt, die er zusammenstellt. So kommt
es im Zuchthaus Berlin-Tegel, wie der Mitgefangene Jesuit Alfred Delp formuliert, zu
einer „betenden Una Sancta in vinculis“ 20,
zur im Gebet vereinten in Ketten liegenden einen, heiligen Kirche.
Bereits in seiner Dissertation hat Bonhoeffer die ökumenische Verpflichtung jeder
christlichen Gemeinde herausgestellt. Er
schreibt: Der Einigungswille muss sich
„zunächst innerhalb der kleineren und
kleinsten Gemeinden verwirklichen“. 21
Jede Gemeinde ist aufgerufen, zu tun was
eint. Denkt und handelt ökumenisch! Das
gilt, auch wenn keine menschliche Initiative zur vollen Einheit führen kann. Daran
lässt Bonhoeffer keinen Zweifel. Er hält
fest: „Trotz der Erkenntnis, absolute Einigkeit, die der Geisteinheit entspräche, nie
erreichen zu können, wird der Wille zu
ihrer größtmöglichen Verwirklichung in
der Gemeinde lebendig sein, und er wird
seinen Trost haben im Gebete Jesu‚ dass
sie alle eins seien, gleich wie Du ,Vater in
mir und ich in Dir‘ (Joh 17,21). Und es wird
der Ruhm der Gemeinde sein, durch ihre
Einigkeit die Herrlichkeit Jesu vor der Welt
zu preisen (V. 23).“ 22
Impuls (e)
sie am letzten Silvestertag seines Lebens.
Die deutschsprachige katholische Kirche
hat sie in ihr neues Gebets- und Gesangbuch „Gotteslob“ aufgenommen. So können wir miteinander singen:
„Von guten Mächten
wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost,
was kommen mag.
Gott ist bei uns am
Abend und am Morgen
und ganz gewiss an
jedem neuen Tag.“
Gotteslob 430.7
D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung.
Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hg.
v. E. Bethge, München und Hamburg 1964,
132; zit.: W.
2
D. Bonhoeffer, Sanctorum Communio, hg. v.
J. von Soosten, Berlin 1987, 112; zit.: SC.
3
SC 88.
4
E. Bethge (Hg.), Dietrich Bonhoeffer, Reinbek
bei Hamburg 1985, 36; zit.: B.
5
B 44.
6
D. Bonhoeffer, Wer ist und wer war Jesus
Christus? Seine Geschichte und sein Geheimnis, Hamburg 21963,108.
7
Bonhoeffer-Auswahl, Bd. 3, hg. v. D. Dudzus,
München und Hamburg 1970, 82; zit.: A 3.
8
A 3 147. // 9 A 3 146f. // 10 SC 128 u. 133. // 11 SC 87.
12
SC 127. // 13 SC 92. // 14 SC 99. // 15 W 193.
16
SC 128. // 17 SC 122. // 18 B 50. // 19 B 100.
20
A. Delp, Kassiber. Aus der Haftanstalt BerlinTegel, hg. v. R. Bleistein, Frankfurt 1987, 48.
21
SC 138. // 22 SC 136.
1
Für die Einheit
der Kirchen
der soziologisch spezifische Charakter der
Liebesgemeinschaft.“ 16
Bereits in seiner Doktorarbeit hat Bonhoeffer handfeste Konsequenzen für den „normalen“ Christen gezogen. Er hebt hervor:
„Stellvertretendes Eintreten für den anderen in Alltäglichkeiten ist gefordert …
Mit der ganzen Kraft, die er der Gemeinde
verdankt, soll der Mensch in dieser wirksam sein.“ 17
Dieser Einsatz ist nicht auf die Grenzen
der Gemeinde beschränkt. Jede Gemeinde
ist mit allen Gemeinden verbunden; jede
empfängt, jede ist berufen, mitzuteilen. Für
jede Gemeinde gilt der Imperativ: „Denkt
und handelt ökumenisch!“
Herr Jesus Christus, du hast gebetet:
Lass alle eins sein, wie du, Vater, in mir
bist, und ich in dir.
Wir bitten dich um die Einheit deiner
Kirche.
Zerbrich die Mauern, die uns trennen.
Stärke, was uns eint, und überwinde,
was uns trennt.
Gib uns, dass wir die Wege zueinander
suchen.
Führe den Tag herauf, an dem wir dich
preisen können in der Gemeinschaft
aller Gläubigen.
Gedenke deiner Kirche.
Erlöse sie von allem Übel.
Mach sie vollkommen in deiner Liebe,
und führe sie zusammen aus allen
Enden der Welt in dein Reich, das du ihr
bereitet hast.
Seid hoffnungsfroh!
Machen wir uns nichts vor. Es ist nicht
leicht, dem dreifachen Imperativ Bonhoeffers zu entsprechen: „Folgt Jesus Christus,
lebt und liebt die Kirche, denkt und handelt
ökumenisch!“ Es ist nicht leicht, aber notwendig. Trotz aller Schwierigkeiten dürfen
wir zuversichtlich, ja hoffnungsfroh sein.
Dazu können uns die Verse Bonhoeffers
ermutigen, die vielen Menschen inzwischen vertraut geworden sind. Er schrieb
8
Dein ist die Macht und die Ehre in
Ewigkeit.
(Zwölfapostellehre – 2. Jahrhundert)
Kontakt: Bischof em.
Gotteslob 21, 1 und 2
Dr. Paul-Werner Scheele
Domerschulstrasse 19
97070 Würzburg
[email protected]
9
g rundsatz
Welt bekennt und der der Grund der Einheit ist; und in die Bewegung in die Welt hinein, zu der Christus die Kirche sendet.“ 4
„Welchen Stellenwert räumen wir
der Ökumene in unserer Kirche ein?
Welches Verständnis von Ökumene
haben wir? Welche Akzente wollen
wir in der Ökumene setzen? Welche
Konsequenzen und Ziele verbinden
wir mit unserer Vorstellung von
Ökumene?“1
D
as Jahr 2010 eignete sich hervorragend, um auf diese
Fragen eine Antwort zu geben. Mit dem Ökumenischen
Kirchentag in München hatte die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern (ELKB) einen hochaktuellen Anlass, der
Frage nach dem Miteinander der Konfessionen vertieft Aufmerksamkeit zu widmen – und auch ein ökumenisches Signal zu geben.
Sie stellte ihre „Ökumenekonzeption“ der Öffentlichkeit vor. Die
Ökumenekonzeption ist der zweite Teil einer dreiteiligen Serie
von Konzeptionen, in denen die Beziehungen und Haltungen der
ELKB zu den meist lutherischen Partnerkirchen weltweit, zu den
Partnern in der konfessionellen Ökumene und zu Menschen mit
anderen Religionen beschrieben werden.
Die Ausgangslage: Wir leben in einer Welt, in der das
Christentum historisch und kulturell bedingt in mehreren Konfessionen und Denominationen real existiert. Es ist nicht nur unvermeidbar, sondern auch unverzichtbar, dass wir diese Wirklichkeit ernst nehmen und sie auf die Bitte Jesu beziehen „dass sie
alle eins seien“. Kirche Jesu Christi können wir nur in der ökumenischen Zusammenarbeit sein, und: Die Frage nach der Einheit gehört zum lutherischen Profil.
10
Kirchenrätin
Dr. Maria Stettner
Lutherisch =
ökumenisch
Dieser Gedanke wird in vier Aspekten entfaltet. EvangelischLutherische Kirche ist ökumenisch, …
… weil das lutherische Bekenntnis im Anschluss an die altkirchlichen Bekenntnisse auf die Einheit der Kirche angelegt ist.
… weil sie sich als Gemeinschaft der Heiligen versteht.
… weil sie in Zeit und Raum in Kontinuität zu ihrem Ursprung
steht.
… weil sie den apostolischen Auftrag verwirklicht.
„Für unsere Kirche ist die Gemeinschaft der Konfessionen unverzichtbar. Darum betonen wir die Gemeinsamkeiten der Konfessionen, ohne die Unterschiede zu überspielen oder gar zu verwischen. Kernpunkte unseres Bemühens sind, das Verbindende
des evangelisch-lutherischen Bekenntnisses herauszustellen und
unsere lutherische Identität in die Weite der Ökumene einzuordnen. Es geht also um die ökumenische Ausprägung unserer lutherischen Identität.“ 2
Die Ökumenekonzeption der ELKB wurde in einem Verfahren mit
größtmöglicher Beteiligung entwickelt. Am Anfang standen mehrere Beratungsphasen des Ökumenefachausschusses der ELKB.
Ein wesentlicher Grundsatz war es, positiv und nicht in Abgrenzung zu denken und zu formulieren. Das Wort „nicht“ oder Formu­
lierungen wie „anders als“ oder „im Gegensatz zu“ waren quasi
tabu. Zudem wurden die einzelnen Teile mit ökumenischen Partnern beraten. Wie klingen sie etwa in römisch-katholischen oder
methodistischen Ohren; welche möglicherweise ungewollten Assoziationen werden wach? Im Landeskirchenrat und in den synodalen Ausschüssen wurden die Textvorschläge ebenfalls beraten,
Rückmeldungen und Anregungen anschließend eingearbeitet.
Parallel führte das Institut für Praxisforschung und Evaluation
an der Evangelischen Hochschule Nürnberg eine Erhebung der
„Ökumenischen Landschaft“ in den Dekanatsbezirken durch, um
die aktuelle ökumenische Situation in der Praxis vor Ort sichtbar
zu machen. Diese Momentaufnahme wurde der Konzeption als Anhang beigefügt und bestätigt die Annahme, dass die ökumenische
Praxis quer durch die Fläche der Landeskirche eine Realität ist,
die sich in den örtlichen Zusammenhängen jeweils eigenständig
entfaltet.
Während der Synodaltagung in Weiden im Frühjahr 2010 wurde
die Konzeption als Ganze präsentiert und von den Synodalen zustimmend zur Kenntnis genommen.
Die Ökumenekonzeption der ELKB ist eine Standortbeschreibung,
die sich zunächst in die eigene Kirche hinein richtet. Sie dient der
Selbstklärung, der Selbstvergewisserung und der Orientierung
für die kirchenleitenden Organe und für haupt- und ehrenamtlich
Mitarbeitende. Sie enthält darum grundlegende Überlegungen
(Biblische Orientierung und systematisch-theologische Erwägungen zur ökumenischen Identität der evangelisch-lutherischen
Kirche) wie auch Konkretionen (Qualitätskriterien für Ökumenisches Reden und Handeln sowie konkrete Schritte für die ökumenische Arbeit).
Mit einem biblischen Impuls zu beginnen, ist typisch für Lutheraner, wenngleich der biblische Begründungsgang gewiss die meisten ökumenischen Motivationen unterfüttert. Das hohepriesterliche Gebet Jesu bildet die Seilwinde, die den ökumenischen Segler in Bewegung setzt, ihm den nötigen Auftrieb verleiht. „Die
Einheit der Kirche ist ihrem Wesen nach vorgegeben (Joh 17,21).
Sie ist eine Angelegenheit des Glaubens und umfängt die Christenheit als göttliche Wirklichkeit von Anfang an, auch wenn sie nicht
immer mit Händen zu greifen ist.“ 3 Dass sich bereits im biblischen Zeugnis das gemeinsame Bekenntnis zu Jesus Christus in
unterschiedlicher Weise entfaltet, hat zur Folge, dass Einheit von
Beginn an in Verschiedenheit erfahren wird. Diese Ambivalenz
ist nicht auflösbar. Wenn dennoch die Einheit in Verschiedenheit
als Gabe empfangen werden soll, so bedarf es dabei der Versöhnung des Verschiedenen. Die Einheit der Kirche ist also Gabe und
Aufgabe zugleich.
Als evangelisch-lutherische Kirche sind wir Teil der einen, heiligen,
katholischen und apostolischen Kirche. Mit dieser Selbstbestimmung knüpft die ELKB an die altkirchliche und gesamtchristliche
Tradition an. „Die Evangelisch-Lutherische Kirche ist von ihrem
Wesen her ökumenisch, weil sie in eine doppelte Bewegung eingebunden ist: in die Bewegung auf Christus zu, den sie als Heil der
Wenn die „in Christus verheißene und vorgegebene Einheit (…)
das Ziel“ 5 ist, dann muss es im Handeln der Kirche auch darum
gehen, sie zu suchen und sie soweit irgend möglich in Haltung und
Handeln zu verwirklichen. Dazu werden in der Ökumenekonzeption zehn Maßstäbe beschrieben, die „Qualitätskriterien für
Ökumenisches Reden und Handeln“. Neben der naheliegenden
Aufforderung, etwa im diakonischen Bereich als Zeugnis das zusammen zu tun, was möglich ist, und gemeinsame Überzeugungen in der Gesellschaft auch gemeinsam zu vertreten, steht der
Auftrag, das ökumenisch bereits Erreichte und Errungene wirklich umzusetzen. Dazu sind Kenntnis und Aufmerksamkeit nötig.
Besonders wichtig für das ökumenische Klima ist das Qualitätskriterium Nr. 2 zur ökumenischen Kommunikationskultur. Es
ist überschrieben „Vertrauen stärken“ und mahnt dazu, sich bei
jeder Äußerung in der Öffentlichkeit über eine andere Kirche,
deren Positionen oder deren Vertreter die Testfrage zu stellen:
„Könnte ich dasselbe auch vertreten, wenn ein(e) Vertreter(in)
der anderen Konfession mit am Tisch säße?“ 6
Die Ökumenekonzeption der ELKB steht nicht im luftleeren Raum.
Die ELKB weiß sich als Teil der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland (VELKD) und als Mitgliedskirche
des Lutherischen Weltbundes (LWB) auf Basis des biblischen Zeugnisses und des evangelisch-lutherischen Bekenntnisses ganz als
Kirche, aber nicht als die ganze Kirche. Jede Gottesdienstgemeinde, die sich um Wort und Sakrament sammelt, ist Kirche im eigentlichen Sinn. Dies ist auch in der ökumenischen Dimension
dieser Aussage aus lutherischer Perspektive Wahrheit und Wirklichkeit.
Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern (Hg.): Ökumenekonzeption,
S. 4. Zum Download http://handlungsfelder.bayern-evangelisch.de/
downloads/Oekumenekonzeption_2014.pdf
2
Ebd., Vorwort, S. 3 // 3 Ebd. S. 6 // 4 Ebd. S. 10 // 5 Ebd. S. 14 // 6 Ebd. S. 15
1
Kontakt: Dr. Maria Stettner
Referentin für Ökumene und Interreligiösen Dialog
Landeskirchenamt der Evang.-Luth. Kirche in Bayern
Abteilung C Ökumene und kirchliches Leben
Katharina-von-Bora-Str. 7-13, 80333 München
[email protected]
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Was ist
Wahrheit?
Zwei Gedenken – eine Aufgabe
500 Jahre Reformation –
400. Todestag Julius Echter
D
as Jahr 2017 vereint für das Bistum Würzburg zwei besondere Gedenktage. Mit den evangelischen Mitchristen
schauen wir zurück auf den Beginn der Reformation vor
500 Jahren, die mit den „Hammerschlägen“ von Wittenberg – ungeachtet der Frage, ob Martin Luther (1583–1546) seine Ablassthesen am 31. Oktober 1517 nun tatsächlich an der dortigen Schlosskirche angeheftet hat oder sie „nur“ für eine akademische Disputation veröffentlichte – ihren geschichtlichen Ausgang nahm.
Prof. Dr. Wolfgang WeiSS
Zum Thema
Gleichzeitig blicken wir zurück auf den 400. Todestag des Würzburger Fürstbischofs Julius Echter von Mespelbrunn (1545–1617,
regierend ab 1573), der dem Hochstift Würzburg das katholische
Bekenntnis sicherte und neben seinen gegenreformatorischen Aktivitäten sich vor allem als staatlicher und kirchlicher Reformer
erwies. Diese beiden Persönlichkeiten lassen sich kaum vergleichen,
zu unterschiedlich sind ihr persönliches Profil und die Aufgaben,
in denen sie wirkten und gefordert waren. Eines verbindet sie aber
in einer uns geradezu fremdartigen Weise: die ernste Sorge um
das wahre Bekenntnis, den rechten Glauben, der ihnen und den
Mitmenschen den Weg zum ewigen Heil eröffnet.
Diese hundert Jahre vom Thesenanschlag bis zum Tod Julius Echters sind geprägt von der Auseinandersetzung um die Wahrheit der
Frohen Botschaft Jesu Christi und gleichzeitig darum, welche Glaubensformeln und -formen entsprechend seien. Es entwickelten
sich in der abendländischen Kirche drei große unterschiedliche
Bekenntnisse (Konfessionen). Mit der alten Kirche, der römischkatholischen Kirche, die als Reaktion auf die neuen Lehre(n) ihre
Grundlagen auf dem Konzil von Trient (1545–1563) überdachte und
zum Teil neu definierte, konkurrierten nun die evangelisch-luthe­
rische(n) Kirche(n) mit dem Augsburger Bekenntnis (Confessio
Augustana) von 1530 und die reformierte(n) Kirche(n) mit dem
Schweizer Bekenntnis (Confessio Helvetica 1536/66). Auch wenn es
in einzelnen Religionsgesprächen durchaus versöhnliche Ansätze
gab, bestimmten doch vor allem die konfessionellen Abgrenzungen
das Klima. Die Epoche wird als konfessionelles Zeitalter bezeichnet,
in dem im Kampf gegen die andere Konfession geradezu jedes
Mittel erlaubt schien. Es gab Religionskriege ungeahnter Brutalität
wie den 30-jährigen Krieg. Heute fragen wir uns, wie es eine Zeit
geben konnte, in der im Namen des Glaubens und Jesu Christi – um
der Wahrheit willen – solch menschliche Entgleisungen möglich
waren.
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„Was ist Wahrheit?“ (Joh 18,38). Diese Frage des Pilatus aus der Johannespassion ist uns allen vertraut. Der an sich so mächtige römische
Statthalter legt hier eine eigenartige Ratlosigkeit an den Tag, die
den Menschen aller Zeit nicht fremd ist. Sie lenkt unseren Blick und
unser Ohr, wie es der literarisch und psychologisch höchst geschickte Autor des Johannesevangeliums auch beabsichtigt, nochmals und vertieft auf die vorhergehende Aussage Jesu im Gespräch
mit Pilatus. Denn zuvor hatte Jesus dem Pilatus auf dessen Frage,
ob er ein König sei, geantwortet: „Mein Königtum ist nicht von dieser
Welt. Wenn es von dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen […].
Aber mein Königtum ist nicht von hier.“ Pilatus erzwingt aber mit seiner darauffolgenden Bemerkung „Also bist du doch ein König“ eine
noch deutlichere Antwort Jesu: „Du sagst es, ich bin ein König. Ich
bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit
Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.“
Was ist aber das für eine Stimme? Eines machen die Evangelien
deutlich. Jesus geht es nicht um theoretische Entwürfe, er verkündigt vielmehr die Ankunft des Reiches Gottes. Die Wahrheit Gottes
bekundet sich im Handeln und der Zuwendung Gottes als der
Wahrheit, die nach unserem Glauben im Leben und Sterben Jesu
Christi Gestalt nimmt, die uns ganzheitlich erfasst, ja heilt und
erlöst und uns selbst verwandeln kann. Hier begegnet uns jene
die gesamte Existenz durchdringende Erfahrung der Apostel von
Petrus bis Paulus, eines Augustinus, eines Franziskus, eines Ignatius von Loyola und eines Martin Luther.
Die Wahrheit ist also im Verständnis des Evangeliums letztlich
kein in theologischen Foren ausdiskutierbares Produkt menschlicher Intelligenz, das dann in einem Kommuniqué festgehalten
wird, sondern besteht vielmehr in der lebenspendenden Wirklichkeit Gottes und im Wort, das in Christus Fleisch geworden
ist. Tatsächlich ist dies nur eine Seite der Medaille der Wahrheit;
denn dem menschlichen Wesen sind ja nicht einfach die Schau des
Göttlichen und die Vereinigung mit dem Göttlichen möglich, auch
wenn gerade die mystische und spirituelle Theologie des Spätmittelalters dies als entscheidendes Ziel betrachtete. Der Mensch
verlangt nach weiteren Brücken, um Gott zu begreifen, zum einen
die verstandesmäßige Erschließung des Geheimnisses Gottes
durch die intellektuelle Verbalisierung und zum anderen, wie sich
in Zeichen, Riten und Worten Gottes Zusage, sein erlösendes und
heilendes Handeln an den Menschen bekunden, ja gleichsam
dingfest machen lässt, und in Verbindung damit, ob und welche
Kirche Jesus Christus dafür eingesetzt hat.
Damit nähern wir uns dem Kern der historischen Problemlage.
Die Frage nach den richtigen Brücken, den wahren Wegen zum
Heil quälte die Menschen in früheren Jahrhunderten vielleicht
mehr als heute. Es war nicht Luther allein, den solche Fragen umtrieben. Um 1500 finden wir eine Zeit vielfältiger kirchlicher und
religiöser Aktivitäten besonders auch in den städtischen Gemeinden und unter den Laien. Durch Frömmigkeitsübungen und religiöse Leistungen versuchten die Gläubigen Heilssicherheit zu gewinnen; so wollten sie für sich selbst, aber auch für die bereits verstorbenen Angehörigen den Weg zur ewigen Seligkeit öffnen.
Neben dieser mehr vom äußeren Tun bestimmten Frömmigkeit
entwickelte sich eine von der inneren und personalen Gotteserfahrung getragene Spiritualität. Die unmittelbare Gottesbegegnung des Individuums, vor allem in der Hinwendung zum leidenden und gekreuzigten Jesus Christus rückte in den Vordergrund.
Die Gemeinschaft der Kirche und Gemeinde, ihre Binde- und Lösegewalt konnte dabei in den Hintergrund treten. Die Frömmigkeit
zeigte zunehmend einen individuelleren und subjektiveren Zug.
Die spätmittelalterliche Welt durchzog in Glaubensdingen eine
gewaltige Spannung zwischen Gnade und Gericht, Heilserwartung und Heilsangst, Erlösung und Verwerfung, eine Erfahrung,
die in besonderer Weise auch Martin Luther umtrieb. Indem er
den Blick allein auf Christus, sein Evangelium und sein Gnadenwirken lenkte, half er sich und vielen seiner Zeitgenossen, eine auf
das ganze religiöse Leben bestimmende Leistungsmentalität abzulegen. Damit stand aber auch das spätmittelalterliche Frömmigkeitsleben zur Disposition. Schließlich wurde darüber hinaus die
Mittlerschaft der Kirche in ihrer hierarchischen Ordnung radikal
in Frage gestellt. Die bisherige Frömmigkeitspraxis, angefangen
von der katholischen Messe über den Heiligenkult bis hin zu den
Benediktionen und Sakramentalien, verlor für viele Gläubige ihren
Sinn. Die Gnadenbilder der Wallfahrtsorte – gerade noch massenhaft aufgesucht – galten nun vielen als Götzenbilder. Das gemeinsame Glaubens- und Frömmigkeitsleben, das große und sogar
bunte Tuch der spätmittelalterlichen Kirche, bekam Risse und ist
schließlich gerissen.
Die Ideen Martin Luthers konkretisierten sich schnell in neuen
kirchlichen Formen und Ordnungen. In Franken kam es so in der
Reichsstadt Nürnberg bereits ab 1523 zu Änderungen bei der Feier
der Gottesdienste. Zu nennen sind: Kommunionempfang unter
beiderlei Gestalten, Messe ohne Opferung und Kanon, deutscher
Taufritus, keine stillen Messen und Privatmessen. Es etablierte
sich ein neues Kirchenwesen unter dem Regiment des Rates ohne
Rücksicht auf die Rechte des Bischofs von Bamberg. Der Rat wollte
aber gleichzeitig eine unterschiedliche Religionsausübung nicht
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dulden. In Nürnberg durfte auf reichsstädtischem Gebiet ab 1525
keine Messe im altkirchlichen Ritus mehr gehalten werden; auf
Wünsche von Anhängern des alten Glaubens – z. B. der Klarissin
Caritas Pirkheimer – wurde keine Rücksicht genommen. Ein reli­
giös einheitlicher Untertanenverband galt Alt- wie Neugläubigen
unverzichtbar für ein funktionierendes Gemeinwesen.
Das kann aber schon als Reaktion auf das Vorgehen der alten
Kirche gegen Luther und seine Anhänger gewertet werden. Die
Verteidiger der alten Lehre, allen voran der Theologe Johannes
Eck (1486-1543), hatten Martin Luther zu einem theologischen
Streitgespräch, einer Disputation, herausgefordert. Sie fand 1519
in Leipzig statt. Eck und Luther wollten sich ursprünglich über
den freien Willen in seiner Beziehung zur göttlichen Gnade und
den guten Werken auseinandersetzen. Im Disput geriet aber die
Frage nach dem päpstlichen Primat in den Vordergrund. Ecks Anliegen war es, Luther als Häretiker zu entlarven. Dies ist ihm im
gewissen Sinn auch gelungen, aber er erreichte damit keine Lösung
des Konflikts, ganz im Gegenteil. Er spitzte ihn nur zu, erzwang
Luthers Bekenntnis, dass weder Papst noch Konzil höchste Autorität in Glaubensdingen besitzen. Das nun folgende römische Verfahren war von dem Interesse bestimmt, ihn definitiv als Häretiker
und Feind der Kirche bloßzustellen. Schließlich folgte der römische
Bann Luthers im Januar 1521. Luther war nun exkommuniziert.
Er durfte als (katholischer) Priester nicht mehr die Messe zelebrieren oder die Kommunion empfangen. Die Folge waren schließlich zwei Abendmahlgemeinschaften, die des alten und des neuen
Glaubens.
Aber auch die Reformatoren kämpften bald um die wahre Neuerung, wie der Konflikt zwischen Martin Luther und Huldreich
Zwingli zeigt. 1529 trafen sich in Marburg Luther und Zwingli, um
sich bezüglich ihrer unterschiedlichen Abendmahlvorstellungen
zu verständigen. Über die Auffassung vom Abendmahl gab es
zwischen beiden Differenzen, die Luther als kirchentrennend
betrachtete. Im Hauptstreitpunkt blieben die Standpunkte unversöhnlich. Für Luther war Christus im Abendmahl real gegenwärtig. Er betonte die schöpferische Kraft des Wortes Gottes und
verwies auf die neutestamentliche Überlieferung – „Hoc est“.
Dies ist mein Fleisch, dies ist mein Blut – und sah im Abendmahl
ein Gnadenmittel. Dies lehnte Zwingli ab; er sah im Abendmahl
nur ein Bekenntnis- und Erinnerungshandeln der Gemeinde. Das
Abendmahl sei nur ein Zeichen für das Gnadenhandeln Gottes,
indem es auf sein einmaliges, geschichtlich verbürgtes Erlösungshandeln verweist. In neugläubig orientierten fränkischen Herrschaften, wie Nürnberg und Brandenburg-Ansbach, stießen die
Sakramentierer, wie man die Anhänger Zwinglis und seiner Vorstellungen bezeichnete, auf offene Ablehnung. Dies bezeugten dann
auch die von den Anhängern Luthers formulierten Schwabacher
Artikel, die dann in das Augsburger Bekenntniss von 1530 einflossen. So entspann sich auch innerprotestantisch ein Streit um
die Wahrheit und um das angemessene Bekenntnis und lutherische Stände gingen mit äußerster Konsequenz gegen die Sakramentierer, aber auch andere reformatorische Abweichler vor.
Es liegt die tiefste Tragik der Entwicklung wohl darin, dass, was
als Erneuerung im Geiste des Evangeliums begann, in einen heftigen Streit um das Bekenntnis einmündete und der Glaubenskampf zum Signum der Epoche wurde. Das Trennende mit den nun
formulierten Unterscheidungslehren sowie die damit verbundenen
Verwerfungen prägten die Epoche. Sie dominierten oft genug auch
Katechese und Predigt, und zwar in einer oft noch vereinfachten
und zugespitzten Form. Vorurteile waren erwünscht und schlummern auch heute manchmal in uns.
Als die Auseinandersetzung zwischen alt- und neugläubigen Kräften des Deutschen Reiches in der Mitte des 16. Jahrhunderts zu
keiner politischen und militärischen Entscheidung führte, sicherte der Augsburger Religionsfriede von 1555 den evangelischen Landesherren des Augsburger Bekenntnisses freie Religionsausübung
zu. Gleichzeitig betonte er das Reformationsrecht des Fürsten
und damit das Recht, die Konfession des Untertanen zu bestimmen. Zusammengefasst wurde diese Regelung später in der Losung „cuius regio, eius religio“ (wessen Land, dessen Religion). Die
religiöse Freiheit der Untertanen oder religiöse Toleranz für den
Einzelnen sah der Religionsfrieden nicht vor und waren dem Zeitalter weitgehend fremd. Im Horizont der Zeit war das im Religionsfrieden festgelegte „ius emigrandi“, also dass der Untertan auswandern konnte, wenn er nicht die Konfession des Landesherrn
annehmen wollte, sogar ein Zugeständnis, das auch nur für die
beiden reichsrechtlich anerkannten Konfessionen (katholisch und
evangelisch-lutherisch) galt.
Um die Mitte des 16. Jahrhunderts hatte die neue Lehre in Gebieten katholischer, auch geistlicher Landesherrn – wie im Hochstift
Würzburg – großen Zuspruch erlangt. Als sich nach dem Konzil
von Trient die altkirchlichen Kräfte stabilisierten, gewannen diese
aber zunehmend die Initiative zurück. Im Zusammenwirken von
katholischer Reform, also der inneren Erneuerung, und Gegenreformation, der äußeren Rekatholisierung auch mit obrigkeitlichen Mitteln, gelang es ihnen ebenfalls, konfessionell homogene
Territorien zu schaffen. Geradezu modellhaft vollzog sich dies im
Hochstift Würzburg unter Friedrich von Wirsberg und vor allem
Julius Echter von Mespelbrunn.
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dem Vorbehalt, auch den Katholiken die Mitbenutzung zu gewähren. Johann Philipp von Schönborn dachte sogar an eine
Wiedervereinigung der getrennten Konfessionen. Gleichwohl war
er treuer Anhänger der katholischen Kirche. Sein Ziel war es, die
Evangelischen nicht durch Zwang, sondern Überzeugung für den
katholischen Glauben zu gewinnen. Aus diesem Grund sorgte er
für die Ansiedlung der Kapuziner und Ursulinen in Kitzingen.
Ein durchschlagender Erfolg blieb ihm aber versagt.
Westfälischer Friede in Münster
Noch ausgenommen war von der reichsrechtlichen Regelung des
Augsburger Religionsfriedens die Confessio Helvetica. Dieses Bekenntnis fand erst mit dem Westfälischen Frieden, der 1648 den
30-jährigen Krieg beendete, seine Anerkennung im Deutschen
Reich. Der Westfälische Friede beinhaltete noch eine weitere
wichtige Festlegung in Konfessionsangelegenheiten. Es kam zur
sogenannten Normaljahrregelung, mit deren Hilfe die kirchlichen
(und damit auch konfessionellen) Vermögens- und Rechtsverhältnisse nach dem Stand vom 1. Januar 1624 entscheidend waren.
Die Untertanen durften nun ihre Konfession nach den Verhältnissen dieses Stichtages behalten, auch wenn der Landesherr eine
andere Konfession annahm oder bei Territorialveränderungen
schon besaß. So war es zum Beispiel Gemeinden im Hochstift
Würzburg, die unter Fürstbischof Philipp Adolf von Ehrenberg
(1583-1631, regierend seit 1623) rekatholisiert worden waren, nunmehr erlaubt, zum evangelischen Bekenntnis zurückzukehren.
Damit war aber nicht das Recht verbunden, dass die Untertanen
jeweils die Konfession frei wählen durften – sie konnten nur die
bisherige behalten. Diese Regelung führte schließlich dazu, dass
die konfessionelle Verteilung in Deutschland von nun an weitgehend stabil blieb. In Verbindung damit verfestigten sich die Konfessionskulturen und -mentalitäten als jeweiliges Signum einer
Region, ja oft nur einer einzelnen Ortschaft.
Gleichwohl ist festzuhalten, dass sich das Zeitalter eines mit militärischen Mitteln operierenden Konfessionalismus in Deutschland
infolge der schrecklichen Erfahrungen des 30-jährigen Krieges
seinem Ende entgegen neigte. Dies spiegelt auch die Politik des
Würzburger Fürstbischofs Johann Philipp von Schönborn (16051673, regierend seit 1642) wider, der es den Kitzinger Bürgern ermöglichte, bei der Augsburger Konfession zu bleiben, obwohl der
Ort an sich nicht unter die Normaljahrregelung fiel. Bereits vor
dem Westfälischen Frieden erlaubte er am 5. Mai 1647 den Kitzinger Protestanten die evangelische Religionsausübung, weil „wir
unsere der Augsburger Confession verwandten Bürger zu Kitzingen
nicht gesinnt sind, zu unserer katholischen Religion zu zwingen,
sondern ihnen ihre Gewissensfreiheit zu lassen“. Am 17. Dezember 1650 kam es zur endgültigen Regelung im Gnadenbrief des
Fürstbischofs. Diesem gemäß wurde den Protestanten die Kirche
in der Kitzinger Vorstadt Etwashausen überlassen – allerdings mit
Solche Ansätze von Toleranz mehrten sich in der Folge, vor allem
mit dem Fortschreiten der Aufklärung. Religiöse Toleranz wurde
zunehmend als unverzichtbare Konsequenz der Menschenwürde
und der Menschenrechte gesehen. Schließlich erhob sich die weitergehende Forderung nach allgemeiner Religions- und Gewissensfreiheit. Dazu war aber noch ein weiter Weg zu gehen. Erst nach
der Säkularisation des Hochstifts Würzburg kam es durch die neue
bayerische Regierung mit dem Religionsedikt für Entschädigungslande vom 10. Januar 1803 zu einer Gleichstellung der katholischen
und evangelischen Konfession. Bis 1871 dauerte es, bis dann die
Juden die rechtliche Gleichstellung erhielten. Das Grundrecht auf
Religions- und Gewissensfreiheit garantierte in Deutschland erst
die Weimarer Verfassung von 1919.
Mit dieser Entwicklung tat sich besonders die katholische Kirche
mit ihrem Wahrheitsanspruch schwer. Lange war hier die These
bestimmend: „Nur die Wahrheit hat Recht, der Irrtum hat keinerlei Recht.“ Erst „Die Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae“ des Zweiten Vatikanischen Konzils beinhaltete
eine grundsätzliche Neuausrichtung. Die Erklärung sieht die Religionsfreiheit nicht allein als Frucht menschlicher Einsicht, sondern als die der Offenbarung. In Abschnitt neun verkündet das
Konzil: Es „hat diese Lehre von der Freiheit ihre Wurzeln in der
göttlichen Offenbarung, weshalb sie von Christen um so gewissenhafter beobachtet werden muss“.
Die Religionsfreiheit ist daher Teil unserer Glaubenswahrheiten
und kann nicht zu Gunsten anderer Wahrheiten relativiert werden. Es fiel Christen nicht immer leicht, diesen Zusammenhang
zu erkennen. Ja, man muss sogar sagen, in den meisten Zeiten der
Kirchengeschichte war er verschüttet, vor allem das aus der Reformation resultierende konfessionelle Zeitalter erkannte ihn nicht.
Es ist geradezu bizarr, dass sich erst im Irrweg der Religionskriege
eine Neubesinnung anbahnte. Es ist aber nicht weniger befremdlich, dass in späterer Zeit im Namen der Freiheit und der Befreiung Verfolgung und unerträgliches Leid in die Welt kamen. Nicht
weniger beschäftigt uns auch heute die Pilatusfrage „Was ist Wahrheit?“ und noch mehr das vorausgehende Wort Jesu „Mein Reich ist
nicht von dieser Welt“.
Kontakt: Prof. Dr. Wolfgang Weiss
Professur für Fränkische Kirchen­g eschichte und
­Kirchengeschichte in der Katholisch-TheologischeN
­Fakultät der Universität Würzburg
[email protected]
www.theologie.uni-wuerzburg.de
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ÖKUMENE
AUF dem weg
des Wandels
Domvikar
Dr. Petro Müller
Im G espr äch
Ökumenereferent Dr. Petro Müller
stellte im Interview sechs Fragen an
Bischof Friedhelm Hofmann und
Regionalbischöfin Gisela Bornowski
1
Dr. Petro Müller: Sehr geehrte Frau Regionalbischöfin, sehr
geehrter Herr Bischof, am 31. Oktober 2016 trafen sich
Papst Franziskus und der Präsident des Lutherischen Weltbundes, Bischof Munib Younan, zu einem ökumenischen
Gottesdienst anlässlich der Eröffnung des Gedenkjahres
500 Jahre Reformation in Lund (Schweden). Ein ausgesprochen feierlicher Gottesdienst mit ökumenischen Partnern auf Augenhöhe, bei der auch eine gemeinsame Erklärung mit der Verpflichtung zu mehr Gemeinsamkeiten
zwischen unseren Kirchen unterschrieben wurde.
Welche Gedanken oder auch Gefühle sind Ihnen beiden bei
diesem weltweiten Auftakt durch den Kopf oder durchs
Herz gegangen?
Gisela Bornowski: Besonders bewegt hat mich der Umgang des
Papstes mit den Frauen in kirchenleitender Position, allen voran
der Erzbischöfin von Uppsala.
In Lund ging es um die lutherische Weltkirche, die augenfällig
durch den bunten und global aufgestellten Chor hinter den Liturgen sichtbar wurde. Vielleicht besitzen die lutherischen Kirchen
außerhalb Deutschlands einen unverstellteren Blick auf die Ökumene und die röm.-kath. Kirche als das deutsche Luthertum, da
sie viele leidige Erfahrungen aus der Geschichte nicht mit im Gepäck
haben.
Augsburg 1999 und Lund 2017 sind ökumenische Meilensteine.
Ich hoffe, es bleibt nicht bei der Verpflichtung zu mehr Gemeinsamkeiten auf dem Papier, sondern nimmt Gestalt an in der konkreten
Gemeindearbeit vor Ort. Ich bin froh über dieses große Ereignis
und zugleich auch verhalten optimistisch, was die Konkretionen
angeht. Diese Verpflichtung muss nun durchbuchstabiert werden
ins Leben hinein. Allerdings hängt das gegenseitige ökumenische
Verständnis nun nicht mehr allein an Personen, sondern ist unverzichtbarer Bestandteil der christlichen Verkündigung.
Dr. Friedhelm Hofmann: Unerwartete Bilder waren das für viele.
Aber es waren richtungsweisende Eindrücke, die vielleicht mehr
sagen als manche Worte. Und es war Papst Franziskus in all seiner
Konsequenz, der auf vielen Ebenen Wege aufeinander zu geht,
ein Miteinander und Versöhnung sucht.
Wir können 2017 nicht die Spaltung unserer Kirche feiern, das
ist klar. Aber wir können gemeinsam dieses Jahr als Gedenken
nutzen. Es ist eine Chance, mit dem großen Abstand der Jahrhunderte die Dinge differenziert zu betrachten.
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Papst Franziskus (r.) und Munib Younan in der Kathedrale Lund
Papst Franziskus sagte am 31. Oktober 2016 in Lund über Martin
Luther: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Das ist die Frage,
die Luther ständig umtrieb. Tatsächlich ist die Frage nach der
rechten Gottesbeziehung die entscheidende Frage des Lebens...“
Dieser Zugang erlaube es auch, Martin Luthers geistliches Ringen
um den rechten Weg ernst zu nehmen.
Es ist heute an der Zeit, um auf das Verbindende zu sehen und
weniger auf das, was uns trennt. Auch darüber war man sich in
Lund am 31. Oktober 2016 einig. Das bedeutet nicht Gleichmacherei, sondern das Bewusstsein, die Stärken des jeweils anderen
wahrzunehmen. Und was braucht unsere Zeit mehr, als dass wir
Christen nicht gegeneinander sprechen, sondern miteinander
unsere Gesellschaft mitgestalten?
2
Dr. Petro Müller: Das Jahr 2017 birgt noch ein zweites Jubiläum: Auf Weltebene sind die Katholische Kirche und der
Lutherische Weltbund 50 Jahre miteinander in einem fruchtbaren Dialog. Wie erleben Sie diese starken und inzwischen
geschwisterlichen Kontakte in Ihrer pastoralen Arbeit?
Dr. Friedhelm Hofmann: Gemeinsame liturgische Feiern sind uns
mittlerweile selbstverständlich geworden, sei es bei der Ökumenischen Kreuzbergwallfahrt, dem Gottesdienst mit Flüchtlingen
in der Adventszeit, oder auch dem gemeinsamen Gottesdienst
2017 in Kitzingen zum „Healing of Memories“. Viele Pfarreien
vor Ort pflegen die Ökumene gerade auch mit den lutherischen
Brüdern und Schwestern im Engagement für Flüchtlinge, in öku-
menischen Gottesdiensten oder Besuchskreisen. Auf zahlreichen
Gebieten der Seelsorge, aber auch in der Schulpastoral ist ökumenische Zusammenarbeit selbstverständlich. Selbst bei Wallfahrten
und Prozessionen gibt es gemeinsame Gehversuche.
Ich habe den Eindruck, wir lernen wieder mehr voneinander, was
unsere Schätze sind; das mag liturgisch gelten für die Bedeutung
des Wortes Gottes, aber auch für die Stille oder den reichen Schatz
der Musik. Natürlich gilt das auch im Blick auf die Spiritualität.
Zum Glück können wir heute gemeinsam vieles überwinden, was
noch vor Jahrzehnten in Dörfern und Gemeinden Menschen behindert und verletzt hat.
Gisela Bornowski: Wir gehen unbefangen und freundschaftlich
miteinander um. Wo wir zusammen auftreten oder wirken, ist das
von gegenseitigem Respekt und Wertschätzung geprägt. Es gibt
in unterschiedlichen Bereichen der pastoralen Arbeit eine gute
Zusammenarbeit: z. B. in der Flüchtlingshilfe, in der Krankenhausseelsorge, bei der Notfallseelsorge oder Telefonseelsorge, in der
Hospizarbeit oder bei der palliativen Sterbebegleitung. Das meiste
ginge gar nicht mehr ohne ökumenische Zusammenarbeit. Wir
feiern gemeinsam Gottesdienste. Wir erkennen die Taufe gegenseitig an. Es gibt ein gemeinsames Formular für ökumenische
Trauung. Auch in den Schulen wird oft ein gutes ökumenisches
Miteinander gepflegt, wenn es z. B. um Schulgottesdienste und
Andachten geht, bis hin zum Gaststatus im Religionsunterricht.
Wir haben schon viele Trennungen überwinden können. Ökumenisches Miteinander ist an der Basis oft sehr lebendig. Gott sei
Dank.
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3
Gisela Bornowski: Ich glaube, dass in der Versöhnung eine große
Kraft liegt. Beide Kirchen haben ihren Teil dazu beigetragen, dass
Jesu Auftrag zur Einheit nicht genügend umgesetzt wurde. Nicht
immer gelingt uns „die versöhnte Verschiedenheit“. Wir anerkennen unsere unterschiedlichen Sichtweisen oft nicht, und streben
noch zu wenig und zu wenig leidenschaftlich nach einem wirklichen Miteinander im Leib Christi. Versöhnung hat eine heilende
Kraft. Darauf hoffe ich. Es geht nicht um eine „Rückkehr-Ökumene“. Aber der Gottesdienst hat nur dann Sinn, wenn die Bitte
um Vergebung kein Lippenbekenntnis bleibt.
Dr. Petro Müller: Wenn Sie jeweils in Ihrer eigenen Biografie
zurückdenken – wann ist Ihnen das erste Mal aufgegangen,
wie wichtig die Ökumene für Ihre eigene Kirche ist?
Dr. Friedhelm Hofmann: Erlauben Sie mir dieses Wort: meine Familie war gelebte Ökumene. Mein Vater war viele Jahre evangelisch,
und er wurde später aus eigenem Antrieb katholisch. Wir hatten
also beides im täglichen Miteinander, beide Konfessionen ... damit
bin ich groß geworden, und das hat mich von Kindesbeinen an
geprägt.
6
Gisela Bornowski: Ich komme aus dem evangelischen Kernland
in Westmittelfranken. Bis ich selber Pfarrerin wurde, hatte ich
ehrlich gesagt kaum Kontakt zu katholischen Mitchristen. Als
junge Pfarrerin erlebte ich dann konfessionsverschiedene Ehen,
im Nachbarort gab es eine katholische Kirche. Es gab festliche
Anlässe, wo wir beide – katholischer Pfarrer und evangelische
Pfarrerin – gemeinsam auftraten. Mir wurde bald klar: Wollen
wir in unserer säkularisierten Welt noch als Kirche, als Christen,
wahrgenommen werden, dann sollten wir uns zusammentun.
Denn nur gemeinsam sind wir stark und werden wirklich gehört.
Inzwischen gehören katholische Schwestern und Brüder zu unserem Freundeskreis und zu unserer Familie.
4
Dr. Petro Müller: Sowohl die Bayerische Landeskirche in
ihrer Ökumene-Konzeption als auch die Katholische Kirche
seit dem II. Vatikanum sehen die Ökumene als wesentliche
Aufgabe an, also nicht als Kür, sondern als Pflicht.
Wo sehen sie noch weitere Spielräume oder konkreten pas­
toralen Bedarf für eine größere Nähe zwischen Katho­li­ken
und Lutheranern, gerade zwischen Kirchenkreis und Diö­
zese?
Gisela Bornowski: Ich kann mir vorstellen, dass wir in den nächsten Jahren aufgrund der demografischen Veränderungen und des
weiteren Rückgangs unserer personellen und finanziellen Ressourcen noch sehr viel stärker kooperieren können: bei der Nutzung
unserer Gebäude oder auch bei gemeinsamen Gottesdiensten und
Gruppenangeboten.
Auch bei den Vorgaben zum Patenamt wäre eine Veränderung nötig.
Auch die weiterhin in der katholischen Trauanmeldung lesbare
Klausel zur Taufe etwaiger Kinder stößt oft auf Unverständnis in
unseren Gemeinden.
Auch im Umgang mit den konfessionsverbindenden Ehen, wo die
Menschen ihren Glauben gemeinsam leben und auch gemeinsam
zum Abendmahl gehen wollen, wären Verbesserungen wichtig –
um der Menschen willen. Und bei Festgottesdiensten am Sonntagvormittag, wo wir gemeinsam angefragt werden, sollten wir
einen gangbaren Weg finden. Die Menschen verstehen oft nicht,
warum das nicht möglich ist. Dabei ist das gemeinsame Zeugnis
gegenüber der Welt so wichtig!
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Dr. Friedhelm Hofmann: Ich bin sicher, dass Kirchenkreis und
Diözese den gemeinsamen Weg konsequent weitergehen werden.
Hinter das Miteinander, das durch die Jahrzehnte, etwa durch
die starken ökumenischen Akzente meines Vorgängers, Bischof
Paul-Werner Scheele, erreicht wurde, wird es in Zukunft ganz
selbstverständlich kein Zurück mehr geben. Dazu werden auch
die intensiven Kontakte und die Wertschätzung, wie ich sie mit den
Regionalbischöfen Schmidt und Bornowski teilen darf, beitragen.
Wir müssen auf dieser Basis bereit sein, noch mehr Miteinander
vor Ort anzubahnen, und dazu vor allem auch allen Haupt- und
Ehrenamtlichen Mut zu machen, die das ermöglichen und fördern können. Es gilt hier auch die Kreativität anzustoßen, neue
Wege gemeinsam zu suchen. Es ist hier viel mehr möglich, als
man denken kann. Was gemeinsam getan werden kann, vielfach
auch im karitativen und sozialen Bereich, sollte auch gemeinsam
getan werden. Das stärkt das Hineinwirken in unsere Gesellschaft
heute.
5
Dr. Petro Müller: Der Rat der EKD sowie die Deutsche Bischofskonferenz haben für den Vorabend des 2. Fastensonntags, den 11. März 2017, einen ökumenischen Gottesdienst in der Hildesheimer Michaelskirche angekündigt, der
einer „Heilung der Erinnerung“ zwischen unseren Kirchen
dienen soll. Man will zurückschauen, gemeinsam die Vergangenheit betrachten, Gott um Versöhnung bitten, seine
gnädige Vergebung erbitten und ihm zugleich danken für
das wachsende Zueinander der letzten 50 Jahre. Sie beide
feiern einen ähnlichen Gottesdienst am Tag darauf in der
evangelischen Stadtkirche in Kitzingen. Welche Akzente
wollen Sie besonders betonen?
Dr. Friedhelm Hofmann: Es tut heute mehr denn je Not, dass wir
uns der gemeinsamen Mitte versichern: Nur aus Gott heraus können wir versöhnt und verbunden in eine Zukunft gehen, die uns
als Christen sicherlich manches abverlangen wird. Die Menschen
suchen nach Orientierung, nach Antworten auf Fragen nach dem
Sinn des Lebens, nach dem Miteinander der Kulturen, nach einem
friedlichen Zusammenleben. Wenn wir uns also der Kraft vergewissern, die wir aus dem Wort Gottes schöpfen dürfen, dann gelingt an diesem gemeinsamen Gedenktag nicht nur der Blick in
die Vergangenheit, sondern ein wacher und ehrlicher Blick auf das
Hier und Jetzt, und von hier aus in eine herausfordernde Zukunft.
Dr. Petro Müller: Wenn Sie in die Zukunft schauen könnten
– wo meinen Sie, stehen unsere beiden Kirchen in 20 Jahren?
Welche Hoffnungen haben Sie?
Dr. Friedhelm Hofmann: Wir werden noch selbstverständlicher
als heute unsere Brüder und Schwestern gegenseitig einladen,
mit ihnen Leben und Glauben teilen, vielleicht noch mehr in Bereichen wie der Jugendarbeit oder den sozialen Kreisen mit einer
Stimme sprechen und in Gemeinschaft aktiv werden. Mir ist da
um die Zukunft unserer beiden Kirchen überhaupt nicht bange,
wenn wir nicht zu sehr um uns selbst kreisen, sondern unseren
Herrgott in die Mitte stellen. Und letztlich müssen wir immer
darauf hinarbeiten und die Sehnsucht nie begraben, als der eine
Leib Christi in die Zukunft zu gehen. Wie auch immer diese Einheit genau aussehen wird, da vertraue ich ganz auf Gottes Geist.
Gisela Bornowski: Ich habe die Hoffnung, dass wir uns in unserem
Amtsverständnis und damit auch in unserem Abendmahlsverständnis annähern und einmal gemeinsam zum Tisch des Herrn
gehen können. Christus will zu uns kommen und uns versöhnen.
Wir sollten seine Einladung nicht ausschlagen und seinem Heiligen Geist alles zutrauen.
Die Sehnsucht vieler Menschen nach Halt und Orientierung, nach
der Frohen Botschaft und Heilwerden wird nur ökumenisch stimmig erkennbar. Dazu wird es auch eucharistische Einheit brauchen.
Wir verkünden doch, dass Christus uns den Frieden schenkt und
in uns wirkt. Dieser Prozess der nach und nach wieder erreichten
Einheit nach einer leidvollen Geschichte der Trennung wird richtungsweisend für diese Welt sein, die sich gerade momentan mitunter leichtfertig an vielen Stellen trennt.
Das Grab ist weiterhin leer. Christus ist unterwegs, immer und
überall. Das sollte uns nicht verunsichern, sondern – ganz im Gegenteil – wir sollten darüber ganz gelassen werden und freudig
erkennen und suchen, wo er gerade am Werk ist.
Kontakt: Domvikar Dr. Petro Müller, Privatdozent an
der katholisch-theologischen Fakultät der Universität
Würzburg, Ökumenereferent im Bistum Würzburg
[email protected]
www.oekumene.bistum-wuerzburg.de
19
Ökumene
der Gaben
Schätze wechselseitig zeigen und teilen
B
ereits das II. Vatikanische Konzil hatte die ökumenische
Erkenntnis, dass es nicht nur innerhalb, sondern auch
außerhalb der katholischen Kirche „vielfältige Elemente der
Heiligung und der Wahrheit“ gibt, die insgesamt „als der Kirche
Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen“
(LG 8). Ökumene – so führte Papst Johannes Paul II. 30 Jahre
später in der bisher einzigen Ökumene-Enzyklika „Ut unum sint“
diesen Gedanken fort – dürfe daher nicht nur ein gedanklicher
Dialog sein, sondern müsse immer zu einem „Austausch von Gaben und Geschenken“ führen (UUS 28). Ausführlich spricht seine
Enzyklika – wie das Konzil – vom Vorrang der geistlichen Ökumene, gerade im Gebet (UUS 21-27), und vom Austausch der
„Elemente der Heiligung und der Wahrheit“ (UUS 11-13), die das
Fundament der wechselseitigen Gemeinschaft sind. „Christus ruft
alle seine Jünger zur Einheit“ (UUS 1). So ist der ökumenische
Weg der Kirche ein „Imperativ“ an das christliche Gewissen, die
Einheit zu suchen, und zwar auf den Grundlagen der „Bekehrung
des Herzens“ und der „Evangelisierung“ (UUS 15).
Auch das Ökumenische Direktorium (ÖD) von 1993 nennt „gewisse Elemente und Güter“, die den anderen Kirchen bzw. kirchlichen
Gemeinschaften als Wesensmerkmale der Kirche Christi gegeben
sind: „die Heilige Schrift, die Sakramente und andere heilige Handlungen; Glaube, Hoffnung und Liebe und andere Gaben des Geistes“
(ÖD 63). Die Früchte und geistlichen Schätze anderer Kirchen zu
kennen und in der gottesdienstlichen und geistlichen Praxis zu
wertschätzen, führt die Christen entsprechend näher zusammen
(vgl. ebd.)
In diesen drei Texten liegt der „rote Faden“ einer später so genannten „Elementen-Ekklesiologie“. Diese meint, dass die in allen
Kirchen vorhandenen Gaben und Güter, insofern sie entdeckt,
20
Domvikar
Dr. Petro Müller
Zum THEMA
gepflegt und miteinander geteilt werden, als geistliche Schätze
der Ökumene wahrgenommen werden sollten. Wenn man um sie
weiß und sie miteinander teilt, werden sie ein wirksamer Ausdruck der wachsenden Gemeinschaft der Christen sein bis hin
zur „communio plena“, der vollkommenen Gemeinschaft der
Christen (vgl. LG 13-15; UR 4;15). Eine gegenseitige Ergänzung
der spirituellen und theologischen Traditionen, das einander
Vertrautmachen und eine wechselseitige Teilhabe (Teilnehmen
bzw. Teilgeben) schafft für alle ökumenischen Beziehungen ein
tragfähiges Fundament, da hier letztlich die geistlichen Gaben
Gottes geteilt werden, die geteilt dazu da sind, dass „das Zeichen
Christi auf dem Antlitz der Kirche klarer erstrahle“ (LG 15).
Glaubens Grenzen oder gar Mauern zog, um das je Eigene zu profilieren, zu sichern oder zu behüten, weicht einer Kultur des Zeigens und Teilens. Niemand muss seine Kostbarkeiten verstecken
oder sie für sich allein bewahren. Da es eben Gottesgaben sind,
die den verschiedenen Konfessionen geschenkt sind, wird das Entdecken und Teilen zum gemeinsamen Schatz und im wechselseitigen Entdecken wird auch der Geber der Schätze sichtbar. Mit
dem Anderen teilen, kann zur reicheren Erfahrung der Einheit
und sogar der Gottesbegegnung werden. Der Andere und seine
Schätze werden nicht nur geachtet, sondern als wertvoll geschätzt.
Wir erkennen das Andere außerhalb des Eigenen und darin das
Wesentliche der Gabe des Geistes.
Bereits zur Veröffentlichung des jüngsten bilateralen Dokuments
zwischen Lutherischem Weltbund und Päpstlichem Rat für die
Einheit der Christen „Vom Konflikt zur Gemeinschaft. Gemeinsames lutherisch-katholisches Reformationsgedenken im Jahr 2017“
hatte der damalige EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider im
Juni 2013 genau dieses Gabenteilen angesprochen, als er zum
Dokument Folgendes formulierte: „Neben der Last der Erinnerung sollte die gemeinsame Freude über die geistlichen Gaben
der Reformation an die Christenheit nicht aus dem Blick geraten.
Der Rat der EKD freut sich darauf, mit vielen Kirchen und Konfessionen ins Gespräch über eine ,Ökumene der Gaben‘ zu kommen. Denn eine Ökumene der Gaben kann die Brücke werden,
über die ein gemeinsamer Weg zum Reformationsjubiläum 2017
zu finden ist.“
Die gemeinsame Freude an Gott, an seinem Evangelium, an litur­
gischen Traditionen, an Gebetsformen und dem praktisch und
diakonisch Gelebten ist schon heute ökumenisch möglich. Vielerorts gehören solche geteilten Gaben bereits zur Gemeindepraxis.
Jeder geteilte Schatz wird zum Geschenk der Ökumene und ermuntert zum noch genaueren Hinschauen: Welchen weiteren
Schatz können wir mit unseren christlichen Nachbarn teilen und
gemeinsam dafür danken?
Das Ziel ist klar: „Mit aller Weisheit und Einsicht reich beschenkt“,
ist es Gottes Beschluss, „die Fülle der Zeiten heraufzuführen, in
Christus alles zu vereinen, alles, was im Himmel und auf Erden
ist“ (Eph 1,9f).
Kontakt: Domvikar Dr. Petro Müller, Privatdozent an
Damit liegt ein ökumenischer Ansatz vor, der aus neuerer Per­
spektive jenseits aller Kontroversen der Vergangenheit ein deutliches partizipatives Miteinander befürwortet. Ein bisheriges Lagerdenken, das um die jeweilige Interpretation des christlichen
der katholisch-theologischen Fakultät der Universität
Würzburg, Ökumenereferent im Bistum Würzburg
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www.oekumene.bistum-wuerzburg.de
21
Zum THEMA
„Ihr alle seid einer in Christus Jesus.“
Kirchenrat
Andreas Werner
Unter diesem Zitat aus dem Galaterbrief (3,28) steht die 2009 herausgegebene „Handreichung für die Ökumene in den Gemeinden“ des Bistums Würzburg. Allen Hauptamtlichen in der Seelsorge und allen Pfarrgemeinderatsvorsitzenden wurde sie unmittelbar
nach dem Erscheinen zugesandt. Das Heft aus der Ökumenekommission hat zum Ziel,
einen ökumenischen Gleichklang in den Gemeinden des Bistums zu fördern. Gerade die
Pfarreiengemeinschaften und ihre Seelsorger/-innen, die immer wieder neue Wege ökumenischer Zusammenarbeit ergründen müssen, finden darin einen textlichen und inhaltlichen Rückhalt. Ökumenisches Bewusstsein ist nicht in allen pastoralen Bereichen
gleich ausgeprägt. Insofern bietet die Handreichung tatsächlich Hilfen an unter der Zielvorgabe „knapp und verständlich über Möglichkeiten der Ökumene in den Gemeinden (zu) informieren und so zu ökumenischem Handeln (zu) ermutigen“; so kann „zuverlässige, nachhaltige
Ökumene vor Ort ... gefördert werden, damit das gemeinsame Zeugnis der Christen in der Welt
glaubwürdig ist“ (Einführung S. 9).
Vom Konflikt
zur Gemeinschaft
Entsprechend ist die Handreichung in acht Kapitel gegliedert:
Nach der Einführung (Kap. 1.) werden kurz und bündig wichtige Grundlagen der Ökumene genannt, begründet im Neuen Testament und kirchlich umgesetzt seit dem Reformprozess des II. Vatikanum (Kap. 2.). Danach werden einige Dimensionen der Ökumene
thematisiert: Geistliche Ökumene, Begegnung und gegenseitiges Wahrnehmen, der Dia­
log der theologischen Ökumene und schließlich die praktische Zusammenarbeit und
das Zeugnis des Lebens (Kap. 3).
Reformationsgedenken im Jahr 2017
E
in richtungsweisendes Motto für ein
gemeinsames lutherisch – römischkatholisches Reformationsgedenken
im vor uns liegenden Jahr 2017. 500 Jahre
nach der Veröffentlichung der 95 Thesen
Luthers, die als Initialzündung der Refor­
mation gelten, ein Motto, das in eine gesegnete Zukunft im Miteinander unserer
Kirchen zu führen vermag. Denn sicherlich – wenn auch lange von Martin Luther
und anderen, Philipp Melanchthon an
vorderster Stelle, ungewollt – war ja das
reformatorische Geschehen zunächst die
Umkehrung dieses Wortes, nämlich von
der Gemeinschaft zum Konflikt. Die Aufkündigung der Gemeinschaft, die gegenseitige Polemik über Jahrhunderte hinweg,
eine Krise auch christlicher Verkündigung.
Klar und deutlich sind die Schäden bis in
unsere Zeit sichtbar und spürbar, die der
Bruch der Gemeinschaft verursachte. Mit
Trauer müssen wir erkennen, wie sehr wir
die Einheit in Christus geringachteten. Bis
hin zu Krieg, Mord und Totschlag. Aber
nun, im Zeitalter der Ökumene, spiegelt
der Titel eine Zäsur. Diese ist eine Frucht
jahrzehntelanger ökumenischer Bemühungen und erfolgreicher Annäherung.
22
Herausragend war hier sicherlich die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigung
von 1999 und die damit verbundene Feststellung, dass die gegenseitigen Lehrverurteilungen des 16. Jahrhunderts unzutreffend sind.
Mit großer Spannung und auch Hoffnung
blicken wir nach Lund. Dort wurde 1947
der Lutherische Weltbund gegründet. Der
Besuch des Papstes am 31. Oktober ist somit auch Symbol dafür, dass es eine Begegnung auf weltkirchlichem Niveau sein wird,
was nicht unwichtig für eine globalisierte
Welt ist. Schön, dass Franziskus dieses
Zeichen im schwedischen Lund setzt und
somit auch ziemlich viel Last von den Schultern des deutschen Luthertums nimmt.
Denn es ist mitunter auch Bürde lutherischer Christ im „Land der Reformation“
zu sein. Lutherische Christen außerhalb
Deutschlands haben oftmals einen unverstellteren Blick auf die römisch-katholische
Kirche. Und umgekehrt darf das auch für
Papst Franziskus gelten, wenn er einem
Weltluthertum begegnet. Völlig klar dabei
ist, dass es ein weiterer Schritt sein wird,
der uns gemeinsam vom Konflikt zur Gemeinschaft führen wird.
Wichtig erscheint mir dabei zu sein, dass
wir die gemeinsame Geschichte nicht anders, sondern neu erzählen. Das bedeutet
nichts zu beschönigen, sondern im Licht
eines Zeitalters der Ökumene neu zu reflektieren. Selbstkritisch und eine Versöhnung
im Blick habend. Ganz in diesem Sinne
hat die Lutherisch/Römisch-Katholische
Kommission für die Einheit ihren Bericht
zum gemeinsamen lutherisch-katholischen
Reformationsgedenken 2017 übertitelt.
Vom Konflikt zur Gemeinschaft.
freue ich mich auch angesichts gewaltiger Herausforderungen, die auf unsere
Kirchen warten, in die Zukunft zu gehen. Dann wären wir ein Beispiel für
eine erlösungsbedürftige Welt, die an so
vielen Stellen den Weg von der Gemeinschaft zum Konflikt wählt. Dann werden wir der Welt das Heil vollständig
verkünden: Jesus Christus.
Danach (Kap. 5) geht es v. a. um Fragen der praktischen Ökumene, konkret deren Brennpunkte: Beteiligung bei Taufe und Firmung (Stichwort: Patenamt), ökumenischer Stand
bei Eucharistie und Abendmahl, Ökumene in Ehe und Familie, die Frage der ökumenischen Gottesdienste und ihre Ausnahmeregelungen an Sonn- und Feiertagen.
Die pastoralen Felder bzw. kirchlichen Grundvollzüge, angefüllt mit ökumenischen Ideen
und Möglichkeiten, stehen unter der Überschrift „Ökumene – was geht? Was ist praktisch
möglich?“ (Kap. 6).
Inzwischen liegt auch eine ökumenische
Gottesdienstordnung vor, die von den Ökumenereferaten unserer Kirchen an alle
unsere Gemeinden gesandt wurde. Was
wäre es segensreich, wenn diese Gottesdienstordnung in vielen ökumenischen
Feiern Verwendung fände. Denn selbstverständlich braucht Ökumene immer und
ständig das gemeinsame Gebet und die
Rückbindung an die Heilige Schrift.
Wenn wir in diesem Sinne evangelisch sind,
zugleich aber auch katholisch, wenn wir
verstehen und lernen gemeinsam erlittene
Geschichte und Verletzungen Gott vorzulegen, damit er endlich heilsam wirkt, dann
Ein herausragender Abschnitt sind die ökumenischen Grundhaltungen (Kap. 4.), wie
ein tatsächliches Kennenlernen-Wollen, Respekt voreinander, Bereitschaft zur eigenen
Glaubensvertiefung, die Wechselspiele von gesamtkirchlich und gemeindlich, von Geduld und „heiliger Ungeduld“, das Aufgreifen und Verstehen der Anliegen der ökumenischen Partner und die Zielgerade einer aufrichtigen Suche nach Wahrheit und Fülle.
Ein Ausblick (Kap. 7) erinnert an die Perspektive bzw. das ökumenische Leitbild des
Konzils, nämlich das Anstreben der „sichtbaren Einheit“. Wir fangen in der Ökumene
nie „bei Null“ an, andere sind schon gemeinsame Wege gegangen, darauf lässt sich zielgerichtet aufbauen.
Das letzte Kapitel (Kap. 8) ist schließlich ein praxisorientierter Anhang: Hier findet man
Adressen, Links, eine Auswahl an Literaturhinweisen, ein Abkürzungsverzeichnis und
schließlich als offizielle kirchliche Stimme die „Leitlinien“ der Freisinger Bischofskonferenz „für ökumenisches Handeln in pastoraler Verantwortung“.
Kontakt:
Kirchenrat Andreas Werner
Evang.-Luth. Kirchengemeinde
Die Handreichung kann nach wie vor im Ökumenereferat der Diözese kostenfrei bestellt
werden, man kann sie aber auch im Netz herunterladen unter
www.oekumene.bistum-wuerzburg.de/texte/handreichung-fuer-die-oekumene-in-den-gemeinden
­Mellrichstadt
[email protected]
Dr. Petro Müller
23
Das Ökumenische Zentrum Würzburg-Lengfeld
D
as Ökumenische Zentrum Würzburg-Lengfeld ist ein einheitlicher Gebäudekomplex mit einer katholischen (Heilig-Kreuz-Chor) und einer evangelischen Kirche (HeiligGeist-Chor). Es wurde 1975 eingeweiht und verdankt sich zweier
ökumenischer Basisinitiativen Anfang der 70er Jahre des vorigen
Jahrhunderts. Das eine war eine lokale Basisinitiative in WürzburgLengfeld. Der zweite Entstehungsfaktor war der allgemeine ökumenische Aufbruch in den 70er Jahren nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Die Hoffnungen waren groß, es würde, wenn nicht
eine baldige Kirchengemeinschaft, so doch eine baldige Abendmahls- und Eucharistiegemeinschaft geben. Diese Sehnsucht nach
der Gemeinschaft am Tisch des Herrn prägt bis heute unser Zent­
rum.
In unseren Kirchengemeinden sind ökumenisch viele gute Beziehungen gewachsen, die die menschliche Grundlage unseres Miteinanders in unserem Ökumenischen Zentrum sind. Zugleich
haben unsere ökumenischen Beziehungen ein tiefes geistliches
Fundament. Es besteht im gemeinsamen christlichen Glauben,
in der Wertschätzung der Eucharistie bzw. des Abendmahls und
in der Sehnsucht nach einer gemeinsamen Feier. In jüngerer Zeit
rückt ebenso das Sakrament der Taufe als gemeinsames Fundament in den Mittelpunkt. Nach Paulus hat der Geist Gottes uns in
PFARRER Harald Fritsch
Einheit wächst
auf dem gemein­
samen Weg
PFARRER Christoph Lezuo
au s der Pr a xis
der Taufe in einen einzigen Leib, in den Leib Christi aufgenommen
(1 Kor 12,12f.27).
An wichtigen Stationen des Kirchenjahres feiern wir ökumenische
Gottesdienste, wobei immer wieder auch der eigenen Taufe gemeinsam gedacht wird: Im Advent – dies ist zugleich unser Weihe­
gottesdienst – am Jahresschluss, in der Fastenzeit (österlichen Bußzeit) und am Pfingstmontag. Im Sommer feiern wir einen gemeinsamen Gottesdienst als Beginn unseres Sommerfestes, das unser
gemeinsames Gemeindefest ist. Daneben haben wir ökumenische
Gottesdienste für bestimmte Zielgruppen: für Senioren anlässlich ihres runden Geburtstages, für Kleinkinder und viermal im
Jahr für die Schüler der Grundschule, wo wir beide auch Religionsunterricht geben. Wir wollen uns in unseren Gottesdiensten aus
allen spirituellen Traditionen des Christentums bereichern lassen.
Seit 2007 veranstalten wir zusammen mit der Akademie Domschule jährlich einen Vortragsabend mit einer Persönlichkeit aus
dem Bereich der Ökumene. Im diakonischen Bereich gibt es eine
ehrenamtliche Nachbarschaftshilfe und eine jährliche Weihnachtspaketaktion für Häftlinge der Justizvollzugsanstalt.
Wir haben einen gemeinsamen Pfarrbrief, der monatlich erscheint,
und eine gemeinsame Website (www.kirche-lengfeld.de).
Wir verstehen unser ökumenisches Miteinander als Teil eines
Ganzen. Wir Christen im Ökumenischen Zentrum sind in unserer
jeweiligen Kirche beheimatet und praktizieren von da aus Ökumene. Wir sind keine Gemeinschaft, in der die konfessionellen Unterschiede abgeschliffen sind. Wir sind Teil des ökumenischen
Lebens unserer Kirchen und machen die Erfahrung, dass die Einheit, die uns grundlegend in Christus geschenkt ist, auf dem gemeinsamen Weg wächst und uns bereichert.
Kontakt: Harald Fritsch
katholischer Pfarrer
[email protected]
24
25
Ökumenisches
Kirchenliedersingen
PFARRER
Stephan Eschenbacher
au s der Pr a xis
„Gott geb uns allen seiner
Gnade Segen“
Ö
kumenisches Kirchenliedersingen im Jahr des Reformationsgedenkens und anderes aus der Pfarreiengemeinschaft St. Kilian Haßfurt:
Als Leiter der Pfarreiengemeinschaft St. Kilian Haßfurt habe ich
im Wesentlichen mit drei evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden zu tun: Haßfurt, Oberhohenried und Königsberg i. Bay..
Während wir uns auf dem Gebiet der Stadt Königsberg i. Bay. als
katholische Pfarrei in der Diasporasituation befinden, leben in
den restlichen Pfarreigebieten mehrheitlich katholische Christen.
Mit allen evangelischen Kirchengemeinden und ihren Vertreterinnen und Vertretern gibt es ein gutes geschwisterliches und
konstruktives Miteinander. Für das Gedenkjahr der Reformation
2017 haben wir uns gemeinsam zunächst einmal darauf verständigt, das bewusst weiterzuführen, was in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen ist; manche ökumenischen Veranstaltungen
werden dann sicher unter dem Eindruck des Reformationsjubiläums einen eigenen inhaltlichen Akzent bekommen. Besonders
hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die ökumenische
Kinderkirche in Unterhohenried, die parallel zu beiden Sonntagsgottesdiensten im evangelischen Gemeindehaus angeboten wird.
Oder in Königsberg i. Bay. auf ein Vespergebet in der evangelischen
Marienkirche, zu dem sich evangelische wie katholische Christen
gleichermaßen einfinden.
In Haßfurt treffen und beraten wir uns schon seit langem am
ökumenischen runden Tisch, der aus Vertreterinnen und Vertretern
der katholischen Pfarrei, der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde und der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde besteht.
In diesem Rahmen haben wir für 2017 folgende besondere Veran­
staltungen geplant: Es wird einen Vortragsabend geben zum Stand
des ökumenischen Prozesses: was haben wir erreicht und wie wird
26
es weitergehen. Im Mai wollen wir ein „ökumenisches Liedersingen“ auf die Beine stellen. Hintergrund dieser Veranstaltung ist
die Tatsache, dass sich die Reformation vor allem durch entsprechendes Liedgut in der Bevölkerung verbreitet und Luther selbst
ja auch Kirchenlieder gedichtet hat, die mittlerweile auch im katholischen Gotteslob zu finden sind zusammen mit vielen weiteren
ökumenischen Liedern. Liedtexte spiegeln also eine gemeinsame
Spiritualität unter den verschiedenen Konfessionen wider, was an
diesem Abend besonders zum Tragen kommen soll. Es werden die
Kirchenchöre und Kinderchöre der christlichen Gemeinden sowie
der Posaunenchor der evangelischen Gemeinde genauso Stücke
vortragen, wie es die Gelegenheit geben wird, gemeinsam Kirchenlieder zu singen.
Des Weiteren ist geplant, dass das Kindermusical, das jedes Jahr
im Juni stattfindet und vom evangelischen und katholischen Kinderchor gemeinsam aufgeführt wird, im nächsten Jahr das Leben
Luthers thematisiert. Und auch der jedes Jahr stattfindende ökumenische Kinderbibeltag wird ein Thema aufgreifen, das für Luthers biblische Theologie wichtig war.
Eine Idee, die noch nicht ganz ausgereift ist in dem Sinn, als dass
sich noch keine konkrete Veranstaltung damit verbindet, möchte
ich abschließend noch erwähnen. Das Reformationsgedenken kann
auch ein guter Anlass sein, die konfessionsverschiedenen (oder
-verbindenden) Ehen in irgendeiner Form zu würdigen, die sicher
oft mit viel Geduld, Ausdauer und Selbstbewusstsein den ökumenischen Prozess – bewusst oder unbewusst – maßgeblich geprägt
und vorangebracht haben.
Kontakt: Pfarrer Stephan Eschenbacher
Pfarrgasse 8 , 97437 Hassfurt
[email protected]
27
au s der Pr a xis
Impuls (e)
PFARRER Peter Neubert
Einheit
der Christen
FÜR EINE LEBENDIGE EINHEIT DER CHRISTEN
Erfahrungen mit der Gebetswoche
für die Einheit der Christen
in Miltenberg am Main (Unterfranken)
I
n der Kleinstadt Miltenberg am Main wurde 2003 nach vielen guten Jahren des ökumenischen Zusammenwirkens die
ACK Miltenberg (Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen)
gegründet: Neben der römisch-katholischen und der evangelischlutherischen Kirchengemeinde waren damals auch die beiden
evangelischen Freikirchen mit dabei.
Seitdem gestaltet und veranstaltet die ACK Miltenberg ein lebendiges und spannendes ökumenisches Programm mit rund zehn
Veranstaltungen jährlich. Eine davon war von Anfang an ein Gottesdienst im Rahmen der Gebetswoche für die Einheit der Christen
an einem Werktag-Abend zwischen dem 18. und 25. Januar. Der
Ort wechselt jedes Jahr, weitere Veranstaltungen (z. B. die Medita­
tionen und Gebete zu den acht Tagen der Gebetswoche) werden
nicht durchgeführt.
In der Regel passt ein kleines Vorbereitungsteam bei einem einmaligen Treffen den Vorschlag der ACK Deutschland zur Gestaltung
des Gottesdienstes an unsere Miltenberger Situation an: Die meist
(zu) ausführlichen Texte werden dabei gekürzt, die (oft) unbekannten Lieder durch gängige, singbare ersetzt. Gerne aber folgen wir
dem Thema, den (kreativen) Anstößen und dem liturgischen Ablauf. Musikalisch gestaltet meist unsere ökumenische Schola den
Gottesdienst mit, die Predigt wird jährlich wechselnd von einem
der Geistlichen gehalten.
So selbstverständlich und ansprechend die ACK den Gottesdienst
jährlich feiert, so enttäuschend ist allerdings auch immer wieder
der Besuch der Gemeindeglieder. Wäre da nicht die Schola, deren
Sängerinnen und Sänger oft auch ihre Familien mitbringen, kommen nur 20 bis 30 Miltenberger zum Gottesdienst. Das mag verschiedene Gründe haben:
→Ein einmaliger Termin in einem jährlichen Rhythmus fällt allzu leicht unter den Tisch.
→Ein Gottesdienst, in dem „vor allem“ gebetet wird, ist nicht attraktiv genug bzw. zieht nur Christen mit einer gewissen Frömmigkeit an.
→Der wechselnde Ort führt dazu, dass tendenziell Mitglieder der
eigenen Gemeinde teilnehmen. Der Weg in eine „fremde“ Kirche
scheint recht weit.
→Das Anliegen selbst, die Einheit der Christen, genießt, so ist zu
befürchten, nicht erste Priorität in unseren Gemeinden!?
Demgegenüber wird das jährliche ökumenische Pfarrfeste, ein Gottesdienst im Rahmen des Stadtfestes oder auch der ökumenische
Kinderbibeltag besser wahr- und in Anspruch genommen. Nichtsdestotrotz steht der Gottesdienst im Rahmen der Gebetswoche für
die Einheit der Christen als wichtiger und fester Termin der ACK
Miltenberg im Kalender. Ja, der Termin ist eigentlich das Zentrum
unseres ökumenischen Arbeitens. Nicht zufällig wurde die ACK 2003
im Rahmen der Gebetswoche zur Einheit der Christen gegründet.
Einmal im Jahr (mindestens) beten wir also um Einheit, um die Überbrückung der ökumenischen Trennung, um Versöhnung dort, wo
konfessionelle Grenzen immer noch manche Köpfe und Herzen
sperrig und traurig machen. Wir feiern die Einheit der unsichtbaren
Kirche, die uns als Verheißung und Aufgabe immer wieder neu begegnet. Die Gebetswoche für die Einheit der Christen ist für uns
in Miltenberg unverzichtbar, „damit sie eins werden in deiner Hand“!
(Hesekiel 37,17).
Kontakt: Peter Neubert, Pfarrer der
Evang.-Luth. Kirchengemeinde Miltenberg
„Wir sind die Kirche des Landes der Reformation. Die Kirchengeschichte unseres Landes
ist geprägt von der Geschichte der großen Glaubensspaltung in der abendländischen
Christenheit. Darum wissen wir uns jener gesamtkirchlichen, wahrhaft „katholischen“
Aufgabe, nämlich dem Ringen um eine neue lebendige Einheit des Christentums in der
Wahrheit und in der Liebe, in vorzüglicher Weise verpflichtet. Die Impulse des jüngsten
Konzils in diese Richtung verstehen wir deshalb auch als besondere Wege und Weisungen
für unsere Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Wir wollen das offensichtlich neu
erwachte Verlangen nach Einheit nicht austrocknen lassen. Wir wollen den Skandal der
zerrissenen Christenheit, der sich angesichts einer immer rascher zusammenwachsenden
Welt tagtäglich verschärft, nicht bagatellisieren oder vertuschen. Und wir wollen die
konkreten Möglichkeiten und Ansatzpunkte für eine verantwortliche Verwirklichung
der Einheit nicht übersehen oder unterschätzen. Diese Einheit entspringt der einheitsstiftenden Tat Gottes, aber doch durch unser Tun in seinem Geist, durch die lebendige
Erneuerung unseres kirchlichen Lebens in der Nachfolge des Herrn. Die Redlichkeit
und Lebendigkeit unseres Willens zur Einheit soll sich nicht zuletzt verwirklichen und
bezeugen in der besonderen geistlichen Verbundenheit und praktischen Solidarität mit
allen Christen in der Welt, die um des Namens Jesu willen Verfolgung leiden.“
(Würzburger Synode, Beschluss „Unsere Hoffnung“ IV, 1).
„Die Einheit des Glaubens wurzelt in jener Wahrheit, die der Vater in Jesus Christus offenbar gemacht hat und die kraft seines Heiligen Geistes durch die Gemeinschaft der Kirche
Gestalt gewinnt in jedem Leben, das von Glaube, Hoffnung und Liebe bestimmt ist. Wo
Kirchen und kirchliche Gemeinschaften gemäß der Schrift Jesus Christus, wahren Gott
und wahren Menschen, als einzigen Mittler des Heils zur Ehre Gottes, des Vaters und des
Sohnes und des Heiligen Geistes, bekennen, ist eine grundlegende Einheit im Glauben
gegeben.“
(Würzburger Synode, Beschluss „Pastorale Zusammenarbeit der Kirchen im Dienst an der christlichen Einheit“ 3.2.1)
„Der Glaube erschöpft sich nicht in der Annahme von Glaubenssätzen. In der Welt von
heute erfährt der Christ stärker als früher, daß es beim christlichen Glauben um eine
von der Gnade Gottes getragene Grundentscheidung geht, in der sich der Mensch „als
ganzer in Freiheit Gott überantwortet“ (DV 5). Dabei erfährt er eindringlich die Spannung zwischen freier Entscheidung und dem ‚Gehorsam des Glaubens‘ (Röm 16, 20).
Darum muß eine Einigung im Glauben begleitet sein vom Willen zur gemeinsamen
Nachfolge Jesu im Dienst an den Menschen und in der Verherrlichung Gottes. Die im
Glauben vollzogene Grundentscheidung, die sich im Bekenntnis und in der gesamten
Lebensorientierung äußert, verlangt auch gemeinsames Tun.“
(Würzburger Synode, Beschluss „Pastorale Zusammenarbeit der Kirchen im Dienst an der christlichen Einheit“ 3.2.5)
„Einheit der Kirche meint nicht zuerst Organisation und Lehre, sondern vor allem Leben
in der Gnade Gottes. Das heißt: Einheit ist letztlich Gottes freies Geschenk; heißt aber
auch: Einheit der Kirche ist notwendig mit der Umkehr der Christen zu Gott verbunden.
Das Rufen nach Einheit bleibt Lippenbekenntnis, wenn die Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften ihr Leben nicht im Geist Christi erneuern.“
(Würzburger Synode, Beschluss „Pastorale Zusammenarbeit der Kirchen im Dienst an der christlichen Einheit“ 4.2)
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29
130 Jahre
Weltgebetstag
der Frauen
Dr. Irene Tokarski
au s der Pr a xis
S
eit 500 Jahren streiten mehrheitlich männliche Theologen
um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den
verschiedenen christlichen Konfessionen. Und wahrscheinlich werden sie das nochmals 500 Jahre tun. Währenddessen haben
Frauen aus allen christlichen Kirchen seit 130 Jahren konkret die
Ökumene praktiziert: Der Weltgebetstag der Frauen wurde 1887
von methodistischen und presbyterianischen Frauen in den USA
gegründet, denen Mann es nicht zutraute, als Missionarinnen in
die Welt zu ziehen. Also taten sie das, was ihnen keiner verwehren
konnte: Sie fingen an zu beten.
Aus diesem Gebet ist die älteste und größte ökumenische Bewegung weltweit entstanden. Der Weltgebetstag der Frauen (WGT)
wird jedes Jahr von christlichen Frauen aus einem anderen Land
vorbereitet und dann am ersten Freitag im März nacheinander
durch die verschiedenen Zeitzonen hindurch in mehr als 100 Ländern rund um den Globus insgesamt 24 Stunden lang gefeiert.
Eine ökumenische Basisbewegung, die sich seit 130 Jahren der männlichen Dominanz in den Kirchen entgegenstellt und Frauen weltweit auf vielfältige Weise ermutigt, ihren Platz einzunehmen in
Kirche und Gesellschaft.
Da übernehmen Frauen aus dem Viertel die Leitung der Gottesdienste, trauen sich vor großem Publikum aufzutreten, was sie in
ihrem „normalen“ Leben kaum tun würden. Wer von den hauptamtlichen Kirchenprofis am ersten Freitag im März vor Ort ist,
mag manches dilettantisch finden, mit wenig theologischem Wissen oder liturgischem Gespür. Diese Frauen tun es trotzdem, nicht,
weil sie plötzlich dem Größenwahn verfallen wären, sondern weil
sie sich von einer weltweiten Gemeinschaft getragen fühlen, der
die Heilige Geistkraft etwas ganz Besonderes anvertraut hat: das
alle Grenzen überschreitende gemeinsame und lauthalse Gebet.
Erste Grenzüberschreitung: Da sind zunächst eine Million Frauen,
Kinder und Männer, die in Deutschland über ihren Kirchturm
hinausschauen und sich jedes Jahr mit der Situation von Frauen
30
in einem anderen Land, mehrheitlich des globalen Südens, auseinandersetzen. Keine andere Initiative der entwicklungspolitischen
Bildungsarbeit in Deutschland erreicht eine nur annähernd vergleichbar große Zielgruppe. Da geht es zwar auch um Kochrezepte
aus dem jeweiligen Land, aber bei weitem nicht nur. Am Beispiel
des philippinischen Gottesdienstes für diesen 3. März 2017 erklären Frauen am Thema Reis, wie der Welthandel funktioniert
– oder besser: nicht funktioniert, welchen Anteil wir im Norden
daran mit unserem Konsumverhalten haben und wie die Korruption vor allem die Länder des Südens im Würgegriff hat. Bei tausenden von Vorbereitungstreffen in ganz Deutschland wird aber
auch aufgezeigt, wie Reis die Theologie der Philippinen geprägt hat.
Im Gottesdienst werden kleine Reistütchen verteilt werden, damit
wir ihn zu Hause unter den eigenen mischen können, uns also buchstäblich einmischen. Und sicher wird es in vielen Gemeinden Reis
mit Kokosnuss (ein Hauptexportgut der Philippinen) als kleine
Nachspeise nach dem Gottesdienst geben. So näh(e)rt sich frau
ganzheitlich an die entwicklungspolitische Fragestellung auf den
Philippinen und weltweit an.
Das gemeinsame Gebet überschreitet zweitens dabei bewusst die
über Jahrhunderte blutig verteidigten Grenzen der christlichen
Konfessionen: Gerade im Reformationsjahr bekennen Frauen beim
deutschen Weltgebetstag laut und sichtbar: 500 Jahre Trennung
sind genug, wir beten zusammen, wir beten die Welt zusammen.
Während mehrheitlich männliche Theologen und Kirchenobere
weiter über Ökumene streiten, wird diese von den Frauen – in der
Regel ohne Ämter und Würden – einfach gelebt und herbeigebetet.
Bei den bundesweiten Schulungen der Multiplikatorinnen im
letzten Jahr konnte frau erleben, wie nach Tagen der intensiven
gemeinsamen Arbeit plötzlich die Frage nach den anwesenden
Konfessionen auftauchte. Es war eine Frage des Interesses an den
anderen, des sich noch besser Kennenlernens, nicht der Abgrenzung. Für den Weltgebetstag 1982 haben Frauen aus dem überwiegend katholischen Irland und dem stark protestantisch geprägten Nordirland gemeinsam den Gottesdienst vorbereitet –
lange vor dem Friedensabkommen im Jahr 1998.
Dritte Grenzüberschreitung: Der Weltgebetstag ist eine Basisbewegung von Frauen, die keine Hierarchie braucht. In vielen Ländern
gibt es kaum Strukturen. Es ist also im besten Sinne des Wortes
eine charismatische Bewegung. Frauen treffen sich Anfang des
Jahres, studieren die Gebets- und Bibeltexte, informieren sich über
das jeweilige Land, trommeln andere zusammen, bereiten den
Gottesdienst vor. In zahlreichen Ländern und Konfessionen auch
gegen den Willen ihrer Kirchenoberen, und ohne finanzielle Mittel
– ausser dem, was jede einzelne beisteuert. Aber sie lassen sich
nicht beirren oder entmutigen. Es ist jener zähe, positive Graswurzel-Widerstand, der schon die biblischen Frauengestalten wie
Rahab oder Ruth im Ersten oder die syro-phönizische Frau im
Zweiten Testament ausgezeichnet hat. In Deutschland gibt es ei-
nen gemeinnützigen Verein, der mit schlanker Organisation die
Beteiligung der Frauen aus zwölf Mitgliedsorganisationen und neun
verschiedenen Konfessionen an den Entscheidungen sichert. Zum
Leben kommt der WGT vor Ort aber durch tausende ehrenamtliche
Frauen.
Die vierte Grenzüberschreitung ist eine urchristliche und spirituelle, die seit dem Beginn des Christentums selbstverständlich
war und es trotzdem nicht immer ist. Wer für andere betet, darf
es nicht bei frommen Sprüchen belassen. Im Motto des internationalen Weltgebetstages kommt dies klar zum Ausdruck: Informiert beten – betend handeln. In jedem Gottesdienst ist deshalb
die konkrete Hilfe für Menschen in Not Teil des Weltgebetes. Dabei kommt es nicht auf die Höhe der Gabe an, es geht um gelebte
Solidarität. Der unscheinbare Obulus einer armen Witwe aus Syrien wiegt genauso schwer wie 2,7 Millionen Euro Kollekte beim
Weltgebetstag in Deutschland. Mit der deutschen Kollekte werden
Frauenprojekte weltweit unterstützt. Auch die WGT-Förderpolitik
ist mehr ausgerichtet auf begleitende und mutmachende Unterstützung als auf große Geldsummen. In den Philippinen unterstützt
der WGT unter anderem mehrere Organisationen, die Rechtsberatung für Arbeitsmigrantinnen im Ausland anbieten: Für philippinnische Haushaltshilfen in den arabischen Staaten, die oft Muslimas sind, Krankenschwestern in Deutschland oder Kindermädchen in den USA – und dies zum Teil seit mehr als 20 Jahren. Es
geht um Ermächtigung, damit Frauen ihre Rechte einfordern und
durchsetzen können.
Diese gelebte Solidarität kennt keine Grenzen und findet ihren
Ausdruck natürlich auch in tausenden von unentgeltlichen Arbeitsstunden, die Frauen jedes Jahr in ihren Gemeinden leisten: In der
Sorge für Flüchtlinge oder verarmte und alte Menschen oder im
Kindergottesdienst. Das meiste davon wird im Verborgenen einfach getan, ohne Aufhebens. Doch einmal im Jahr kommen diese
Frauen zusammen und sagen es laut und weltweit: Jeder Mensch
dieser Erde hat das Recht auf Leben und die gleiche Würde und
ist von Gott geliebt.
Für die Frauen des Weltgebetstages rückt die Welt enger zusammen.
Um mit John Wesley zu sprechen – denn schließlich waren an der
Gründung wesentlich methodistische Frauen beteiligt: Die ganze
Welt ist ihre Pfarrei. Sie fangen an, Menschen aus anderen Kontinenten auf Augenhöhe zu begegnen. Sie öffnen ihre Türen – sowohl
ihrer Wohnungen als auch ihres Herzens. Das ist der einzige Weg,
wie Ökumene geht. Sie streiten auch über theologische Unterschiede, aber vor allem handeln sie – informiert und betend.
Kontakt: Dr. Irene Tokarski
Geschäftsführerin und theologische Referentin
Weltgebetstag der Frauen - Deutsches Komitee e.V.
www.weltgebetstag.de
www.facebook.com/weltgebetstag
31
au s der Pr a xis
Ökumenische Tradition
Schon seit vielen Jahren verstehen sich die Seelsorgerinnen und
Seelsorger am Uniklinikum Würzburg (UKW) als ökumenisches
Team (ÖT). Unterschiedliche Berufsgruppen und Ehrenamtliche
leisten den seelsorgerlichen Dienst an den Kranken, den Angehörigen und dem Personal der Klinik. 14 Angestellte der evangelischen
und katholischen Kirche gehören zum ÖT. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Klinikseelsorge von der Krankenseelsorge
weiterentwickelt hin zur Seelsorge für die Menschen in einer Institution. Insofern ist die Klinik mit ihren Menschen für uns wie
eine Gemeinde.
Kontakt: Christian Hohm
Pastoralreferent, Klinikseelsorger
[email protected]
www.seelsorge-im-krankenhaus.
bistum-würzburg.de
Stationsprinzip
Am UKW ist für jede Station jeweils ein Seelsorger zuständig.
Dort besucht er alle Patienten unabhängig von deren Konfession
und Religion. Auch wenn der Wunsch nach seelsorgerlicher Begleitung bei konfessionslosen oder religiös „unmusikalischen“
Menschen besteht, hält sich ein Ansprechpartner bereit. Falls ein
Patient einen Vertreter der eigenen Konfession wünscht, wird
das gerne vermittelt.
Ökumene plus
Ökumenische KlinikSeelsorge am Uniklinikum
Würzburg
32
Christian Hohm
Ökumenisch und trotzdem konfessionell
Die Aufgaben im Team werden zum großen Teil unabhängig von
der Konfession übernommen. In der Leitung und den verschiedenen Arbeitsgruppen der Seelsorge gilt: ökumenisch vor konfessionell. Trotzdem gibt es für alle Patienten auch weiterhin die Möglichkeit zu ausgesprochen konfessioneller Zuwendung: Feier des
Abendmahls am Krankenbett oder auch die Spendung der Sakramente der Krankensalbung und der Versöhnung. Auch die Kommunion kann den Patientinnen und Patienten zu unterschiedlichen
Zeiten gereicht werden und nicht nur konzentriert am Sonntag.
Diese wichtige pastorale Aufgabe übernehmen sehr gerne unsere
Ehrenamtlichen im Team des Kommuniondienstes.
Verschwimmende Konfessionsgrenzen
bedeuten Chancen
Die konfessionelle Zugehörigkeit der Patienten wie der Seelsorger
spielt kaum noch eine Rolle. Als Seelsorger brauchen wir nicht viel
mehr als ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Menschen.
Das eröffnet viel Freiheit und Offenheit. So erzählte mir die evangelische Pfarrerin, dass sie am Sterbebett einer katholischen Patientin „Segne du, Maria“ gesungen hat. Und die katholischen Kollegen haben gar keine Mühe, am Krankenbett die Lutherübersetzung zu verwenden, wenn z. B. ein Psalm gewünscht wird.
habende Seelsorger an den Kollegen. Oft geht es dabei z. B. um die
Spendung der Krankensalbung durch einen Priester.
In Sterbesituationen ist nicht mehr selbstverständlich wie früher
die Krankensalbung gefragt, z. B. weil sie im Verlauf der Krankheit
bereits gespendet wurde oder weil es oft eher um die Begleitung
eines Sterbenden geht als um die Begleitung in Krankheit. So ist
die Krankensalbung auch im theologischen Sinn nicht zuerst
(oder sogar gar nicht) Sterbesakrament, sondern Sakrament der
Stärkung bei Krankheit.
Seit dem Jahr 2014 gibt es vom Bischof in Kraft gesetzt die Möglichkeit, Sterbende mit der Feier des Sterbesegens zu begleiten.
Diese Form kann von allen Seelsorgern mit sterbenden Menschen
gefeiert werden. Was es dafür braucht, ist ökumenische Offenheit.
Überlegungen für die Zukunft
Unsere Gottesdienste sind aktuell konfessionell ausgerichtet. Alle
Menschen können daran teilnehmen. Volle Einheit gibt es aber
leider auch nicht am UKW.
Was macht einen Gottesdienst zu einem ökumenischen Gottesdienst? Ein Antwortversuch ist: Ein Gottesdienst wird nicht zu
einem ökumenischen Gottesdienst, wenn die offiziellen Amtsträger, also katholischer und evangelischer Pfarrer oder Hauptamtlicher der Feier vorstehen. Da wird oft noch sehr amtstheologisch gedacht und zwar in beiden Konfessionen.
Gerade im Krankenhaus gibt es mehr Handlungsspielräume. Denn
zur gleichen Uhrzeit müssen sonntags nicht mehrere unterschiedliche Gottesdienste gefeiert werden (klassische Messfeier, evangelisches Abendmahl und „katholische“ Wort-Gottes-Feier, jeweils
mit geringen Besucherzahlen), nur weil man gerade noch personell gut ausgestattet ist.
Wirklich ökumenisch könnte so sein: Sonntags gibt es einen Gottesdienst, alle – auch die ehrenamtlichen – Seelsorgerinnen und
Seelsorger – leiten abwechselnd diese Feier und sie bekommt ihr
Gepräge jeweils durch die Mitfeiernden.
Experimenteller Mut in Leitungsfragen
Im Team suchen wir nach synodalen und demokratischen Leitungsformen und experimentieren auch damit. Neben den formalen Dienststellenleitern können auch vom Team gewählte Vertreterinnen im Leitungsgremium sein. Dieses ist auf Zeit gewählt,
wie wir es aus der Tradition der Orden kennen. Außerdem müssen
nicht automatisch die Pfarrer im Leitungsgremium mitarbeiten,
wenn sie bei sich andere Charismen bemerken. So wird deutlich,
dass Seelsorge nicht an Titeln und Ämtern hängen muss, sondern
vom Engagement derjenigen getragen ist, die die Seelsorge in
solch einer Institution verantworten.
Ökumenische Neuausrichtungen –
Rufbereitschaft – Sterbesegen
Unsere Rufbereitschaft ist ökumenisch. Ein Seelsorger ist rund
Zusammen sind wir mehr – Ökumene plus
um die Uhr erreichbar, an jedem Tag der Woche, auch an allen
Gesamtkirchlich, aber auch konkret in unserer „Gemeinde Uniklinik
Feiertagen. Das ist uns ganz wichtig und unterscheidet uns von
Würzburg“ erlebe ich noch genug Angst, von den anderen, also z. B.
mancher Situation in den „normalen“ Gemeinden. Über die Tele- der Mehrheitskonfession, überrollt und vereinnahmt zu werden.
fonzentrale der Klinik erreicht man die diensthabende Seelsorge- Umgekehrt darf das Vertrauen noch wachsen, dass die Minderrin, die dann vor Ort ihren Dienst tut: seelsorgerliches Gespräch, heitskonfession aus ihrer Tradition wertvolle Beiträge zur pastoGebet und/oder ein Segensgebet. Falls darüber hinaus Bedarf
ralen Entwicklung leisten kann. Wir dürfen selbstbewusst sagen:
besteht für konfessionelle Seelsorge, dann vermittelt der dienst- „Zusammen sind wir mehr als evangelisch und katholisch allein“.
33
Chancen für eine
multilaterale
Ökumene
PFARRER Stefan Meyer
au s der Pr a xis
Lokale Arbeitsgemeinschaften
christlicher Kirchen
E
s ist ja fast schon normal, wenn sich katholische und evangelische Christen zu Gottesdiensten und Bildungsveranstaltungen zusammen finden. Das verstehen wir dann landläufig auch unter Ökumene: Ein funktionierendes „Tandem“ der
beiden großen Volkskirchen, und dabei ist es ziemlich unwichtig,
wer gerade vorne oder hinten sitzt. Und das ist auch gut so! Aber
dieses ökumenische Tandem ist doch sehr eingeschränkt, denn
weitere Mitfahrer kommen da häufig nur sehr unangemessen vor.
Und da ist es gut, auch einmal auf ein anderes Fahrzeug umzusteigen, eines mit mehreren Rädern und weitaus mehr Mitfahrern.
Denn immer mehr wird uns bewusst, dass wir, Katholiken und
Evangelische, nicht die Einzigen sind. Man braucht nur die Augen
zu öffnen, um zu erkennen, dass noch viel mehr christliche Kirchen
unterwegs sind: Evangelische Freikirchen wie z. B. die Methodisten und Baptisten genauso wie orthodoxe und orientalische Kirchen.
Die Möglichkeit, sich in dieser Vielfalt zu begegnen, bietet die Gründung einer lokalen Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (kurz:
ACK). 22 gibt es davon bereits in Bayern, und die jüngste von ihnen
ist die ACK Main-Mömling-Elsava. Sie umschließt die Orte Obernburg, Elsenfeld, Erlenbach am Main und Mömlingen und sie hat
neben drei katholischen Pfarreiengemeinschaften, zwei evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden und zwei orthodoxen Gemeinden auch die Katholische Krankenhausseelsorge als Mitglied.
34
Vor allem aber: Gemeinsam sind wir mehr … nicht nur an Personen,
sondern auch an Ideen, an Traditionen, an Erfahrungen, und wir
können uns gegenseitig befruchten und auch gemeinsam feiern:
Segnungsgottesdienste für konfessionsverbindende Ehen, ökumenische Pfingstvespern und gegenseitige Einladung z. B. zu Altarweihe, Wassersegnung und Ordination werden selbstverständlich!
Denn christliches Leben ist von seinem Wesen her immer vielseitig,
und doch stets gegründet auf Gottes Wort … und auf der Bereitschaft, auch auf kritische Fragen der Partner offen und ehrlich einzugehen.
Kontakt: Pfarrer Stefan Meyer
Vorsitzender ACK Main-Mömling-Elsava
Dekanats-Ökumenebeauftragter
[email protected]
Das regelmäßige Treffen von Haupt- und Ehrenamtlichen, die gemeinsamen Aktivitäten und die persönlichen Kontakte verbessern merkbar das Verständnis der Christen untereinander.
Gerade die in Bayern kleinen Kirchen, wie z. B. die Orthodoxen,
können davon profitieren: Die öffentliche Wahrnehmung, z. B. bei
Segenshandlungen und Empfängern, verändert sich; geschwisterliche Beziehungen und Freundschaften zwischen Menschen der
verschiedenen Konfessionen und Gemeinden wachsen.
35
„Erste Hilfe
für die Seele“
Ulrich Wagenhäuser
au s der Pr a xis
Notfallseelsorge –
von einer ökumenischen
Initiative zur Institution
N
otfallseelsorge gibt es, seit es Seelsorge gibt. Die Sorge
um den Menschen in Not galt schon immer als eine Kernaufgabe, derer sich kein Christ entziehen soll. Dies zeigen die Botschaft und das Handeln Jesu, der sich von der Not der
Menschen ansprechen ließ. Die „Werke der Barmherzigkeit“ geben
hiervon Zeugnis.
„Die Kirche der Zukunft ist eine Kirche an den Lebenswegen der
Menschen. Dies gilt selbstverständlich auch in Notfällen und
Krisensituationen. Hier hilft die Notfallseelsorge als ,Erste Hilfe
für die Seele‘ mit verlässlicher Präsenz und Begleitung, sie hilft
auf der Suche nach Wegen, Gefühlen Ausdruck zu geben, sie hilft
durch Zuhören, durch Beten und Bezeugen, sie hilft auch durch
das Angebot von Riten des Abschieds und der Trauer, oftmals allein durch stille Anwesenheit.“
(Quelle: Grußwort des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in
Deutschland, Präses Dr. h.c. Nikolaus Schneider, und des Vorsitzenden
der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, Akademie der Versicherer im Raum der Kirchen, Kassel, 2012)
In der Diözese Würzburg existiert die Notfallseelsorge seit 1995;
angefangen im Kleinen (Schweinfurt, Würzburg), z. B. wenn ein
Seelsorger gleichzeitig in der Feuerwehr oder im Rettungsdienst
verwurzelt war, waren die ersten Schritte der Notfallseelsorge stets
ökumenisch ausgelegt und geprägt, getragen von Seelsorgern und
Seelsorgerinnen beider Konfessionen, die persönlich in geschwisterlicher Verbundenheit ihren Glauben lebten und daraus handelten. Und das gilt bis heute.
Heute können wir im Bereich der Diözese Würzburg, sprich in
Unterfranken, eine flächendeckende Versorgung durch die öku-
36
menische Notfallseelsorge verzeichnen, vereinzelt regional in enger
Kooperation mit Kriseninterventionsteams (KIT) der Hilfsorganisationen, wie z. B. die Malteser und das Bayerische Rote Kreuz.
Im Mittelpunkt der Notfallseelsorge steht der hilfsbedürftige
Mensch in akuter Notsituation; somit ist Kirche erreichbar: unmittelbar, überkonfessionell, professionell. Notfallseelsorge geschieht in ökumenischer Weite und Offenheit, mit interreligiöser
Kompetenz und in besonderer Sensibilität für die kulturspezifischen Prägungen aller Betroffenen.
Des weiteren sind die Seelsorgerinnen und Seelsorger in der Notfallseelsorge im Kontext der extremen Situation des nahen und
plötzlichen Todes, „Botschafter des Lebens an der Grenze des
Todes“, d. h., sie werden getragen vom österlichen Mysterium, von
Jesu Leiden, Jesu Tod, Jesu Auferstehung und der Zusage seiner
bleibenden Nähe. Jeder, der in der Notfallseelsorge Dienst leistet,
bezieht u. a. aus dieser Zusage Kraft und Mut: Nicht Ohnmacht,
Schmerz und Leere des Todes haben das letzte Wort, sondern Gott
will das Leben! Und dies will die Notfallseelsorge in der konkreten Situation präsent machen.
Ein Bestandteil des Selbstverständnisses der Notfallseelsorge ist
ihre Verlässlichkeit. Weil eben die beiden Kirchen in ökumenischer
Gemeinsamkeit Menschen angesichts des plötzlichen Todes Begleitung anbieten, ist die Notfallseelsorge, wie auch hier in der
Diözese Würzburg, rund um die Uhr zuverlässig erreichbar. Die Anforderung dieses kirchlichen Dienstes erfolgt durch die Polizei,
Feuerwehr und Rettungsdienste über die drei integrierten Leitstellen in Aschaffenburg, Schweinfurt und Würzburg. In der Diözese Würzburg wird die Notfallseelsorge vor Ort in ökumenischer
Verantwortung wahrgenommen. Katholische und evangelische
Seelsorgerinnen und Seelsorger sowie vereinzelt ehrenamtliche
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Notfallseelsorge arbeiten
zum Wohl der Betreuten intensiv und vertrauensvoll zusammen.
Dazu trägt auch eine gute, persönliche Beziehung und Wertschätzung der Kolleginnen und Kollegen beider Kirchen untereinander
bei (die „Gesichter“ sind konfessionsverbindend untereinander
bekannt).
Sichergestellt wird dies u. a. durch die fundierte Aus- und Fortbildung gemäß den „Gemeinsamen Qualitätsstandards und Leitlinien zu Maßnahmen der Psychosozialen Notfallversorgung“,
die die katholische und evangelische Kirche zusammen mit den
großen Rettungsorganisationen in Deutschland vereinbart haben
(2013). Die Aus- und Fortbildung geschieht in den Systemen der
Diözese, sprich in Unterfranken, im Raum der beiden Kirchen
mit Einbeziehung des jeweilig anderen, ökumenischen Pedant.
Der hohe Qualitätsstandard der Notfallseelsorge wäre ohne solch
eine qualifizierte Grundausbildung und konsequente Fortbildung
nicht möglich.
Des weiteren spiegelt sich die ökumenische Zusammenarbeit in
der engen und vertrauensvollen Kooperation der jeweiligen Dekanats- oder Systembeauftragten, die den Dienst der Notfallseelsorge in ihrem Bereich koordinieren, wider. Diese Struktur findet
man auch auf überregionaler Ebene in Person der Diözesanbeauftragten und der Beauftragten der Landeskirchen. Auch hier
ist die Kooperation gute ökumenische Tradition. Als Fazit ist festzustellen: Die Arbeit der ökumenischen Notfallseelsorge hat inzwischen einen hohen Stellenwert im Bereich der Einsatzkräfte von
Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten inne (dies gilt im häuslichen Bereich, wie z. B. Betreuung nach frustraner Reanimation,
Überbringung einer Todesnachricht mit der Polizei, als auch bei
größeren Schadenslagen, wie z. B. Verkehrsunfälle, Brände oder
wie zuletzt in Würzburg/Heidingsfeld, nach einer Amoklage).
So gesehen entwickelt sich die Notfallseelsorge in der Diözese
Würzburg ständig weiter. Dabei geht es nicht nur um Optimierung von Strukturen, sondern auch um Aktualisierung von Inhalten: Als „Dienst am Menschen“ muss sich die Notfallseelsorge
den sich wandelnden Herausforderungen von Zeit und Gesellschaft stellen. Mit dieser ökumenischen Geschwisterlichkeit entwickelte sich die Notfallseelsorge von einer Initiative zu einer In­
stitution, die heute aus der Gesellschaft nicht mehr wegzudenken
ist.
Kontakt: Ulrich Wagenhäuser, Diakon
Diözesanbeauftragter für Notfallseelsorge/
Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst
[email protected]
www. notfallseelsorge.bistum-wuerzburg.de
37
Impuls (e)
Pfarrerin
Dr. Claudia Jahnel
au s der Pr a xis
Christliches
Zeugnis
in einer multi­
religiösen Welt
So aktuell, kurz und konkret sind ökumenische Erklärungen selten!
In 1.500 Worten skizziert das in Deutschland unter dem Titel
„Mission Respekt“ rezipierte „Christliche Zeugnis“ eine Ethik der
Mission. Der erste Absatz fasst das Programm zusammen: Es ist
für ChristInnen unverzichtbar, Gottes Wort zu verkünden. Ebenso
unverzichtbar ist es auch, dass dies „im Einklang mit den Prinzipien des Evangeliums geschieht, in uneingeschränktem Respekt
vor und Liebe zu allen Menschen“.
Das mag auf den ersten Blick als nichts Neues erscheinen. Wer genauer hinschaut, wird aber mehrfach überrascht. Zuerst von den
Herausgebern: Das 2011 veröffentlichte Dokument wurde von drei
Institutionen erarbeitet, die hinsichtlich der Themen Mission und
christliches Zeugnis in der Vergangenheit mehr zu trennen als zu
verbinden schien: dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK), der
Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA) und dem Päpstlichen
Rat für den Interreligiösen Dialog (PCID). Anlass für diese erstmalige Kooperation ist die Wahrnehmung, dass interreligiöse
Spannungen weltweit zunehmen bzw. dass Religionen für politische
Auseinandersetzungen missbraucht werden. Auch ChristInnen
werden freiwillig oder unfreiwillig, aktiv oder passiv oftmals in
diese Konflikte einbezogen.
Überraschend ist ferner, dass aus einem Diskussionsprozess, der
zunächst primär die Religionsfreiheit im Blick hatte, ein Dokument
wurde, das selbstkritisch Übergriffe innerhalb der christlichen
Missionspraxis ahndet. Abgelehnt wird jegliche missionarische
Aktivität, die Gewalt anwendet: sei es physische, psychische oder
soziale Gewalt an Einzelnen; seien es Diskriminierung und Unterdrückung durch religiöse oder säkulare Autoritäten oder von
heiligen Gebäuden, Texten oder Orten; oder sei es Gewalt, die die
Würde des Menschen verletzt, indem sie die Verwundbarkeit und
das Bedürfnis nach Heilung von Menschen ausnutzt.
Dringlicher denn je sind heute auch jene „Prinzipien“, die interreligiösen Dialog und christliches Zeugnis als Einheit verstehen
und die Selbstverpflichtung zum respektvollen Zusammenarbeiten der Religionen für Frieden, Gerechtigkeit und Gemeinwohl
als Ausdruck des christlichen Glaubens und der Mission der Kirche
bewerten. „Christliches Zeugnis“ ist ein wichtiges Zeugnis des
Geistes der Ökumene, der auch Menschen anderen Glaubens in
Respekt und Liebe einbezieht.
Sonne der Gerechtigkeit
Gotteslob 481
Pfarrerin Dr. Claudia Jahnel leitet das theologische Bildungs- und
Grundsatzreferat bei Mission EineWelt (Centrum für Partnerschaft, Entwicklung und Mission der Evangelisch-Lutherischen
Kirche in Bayern) und ist Privatdozentin am Lehrstuhl für Religions- und Missionswissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Kontakt: Pfarrerin Dr. claudia jahnel
Mission EineWelt, Neuendettelsau
[email protected]
38
39
Konfessioneller
Religionsunterricht
Konfessionelle
Zusammenarbeit
im Religions­
unterricht
als locus
theologicus
D
er Religionsunterricht eröffnet
den Schülerinnen und Schülern
eine besondere Perspektive auf die
Welt. Beispiele aus dem Alltag werden aus
der Sicht des Glaubens gedeutet und reflektiert. Religiöse Überlieferung wird mit den
Augen des Alltags neu gelesen und mit unserer Gegenwart in Beziehung gebracht.
Das ist sowohl individuelles als auch gemeinschaftliches Geschehen. Der Synodenbeschluss von 1974 hat die religiöse
Bildung und Erziehung auf die beiden Pfeiler der Konfessionalität und den ökumenischen Geist gestellt. Religiöse Weltdeutung
ist Vollzug in einem in sich stimmigen
konfessionellen Deutungsraum, der dem
Einzelnen verbindliche Orientierung ermöglicht. Der Religionsunterricht kann
das nur dann leisten, wenn er konfessionell
ist und sich zugleich ökumenisch ausgerichtet weiß.
Die Einlösung der Konfessionalität als
Grundbedingung religiösen Lernens sucht
in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher
Heterogenität neue Mittel und Wege. Insbesondere in Diasporagebieten sind inno­
vative und standortsensible Konzepte gefragt. Dazu gehört eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den christlichen Konfessionen. Schon jetzt bestehen dafür vielfältige Möglichkeiten im und außerhalb
des Religionsunterrichts. Gemeinsame
Themen in den Lehrplänen fördern die
Zusammenarbeit innerhalb des Unterrichts.
Außerhalb des Religionsunterrichts kooperieren Religionslehrkräfte beider Konfessionen in Schulprojekten für die Dritte
Welt, bei religiösen Schulfeiern zu Schuljahresbeginn oder –ende sowie bei konkreten Anlässen wie dem Tod eines Mitglieds
der Schulfamilie.
Kirche
fresh-X
Sophie Zaufal
Quo vadis?
2
Die konfessionellen „Tandems“ der evangelischen und katholischen Religionslehrer weisen mit ihren Projekten vor Ort
nicht nur Wege zum positiven Umgang
mit organisatorischen Herausforderungen.
Sie schmieden – gleichsam nebenbei – ein
„heißes Eisen“ christlicher Lebenspraxis
im besten Sinne. Religionsunterricht wird
in konfessioneller Zusammenarbeit zum
performativen Schauplatz christlichen
Bekenntnisses: Die Konfessionalität als
Grundbedingung religiöser Kompetenz
wird gerade dann deutlich, wenn im Religionsunterricht auch die konfessionelle
Kooperation gepflegt wird. Die Begegnung
fordert die Schülerinnen und Schüler heraus und fördert den Dialog über religiöse
Fragestellungen. Die Erfahrung von Identität und Differenz, die zur Reflexion einlädt, kann durch die konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht in besonderer
Weise entstehen. Im Erkennen der vielen
Gemeinsamkeiten und gleichzeitigen Unterschieden beider Bekenntnisse, die auf
den Glauben an den dreieinen Gott und
seine Offenbarung in Jesus Christus gründen, wird die eigene Tradition greifbar und
das Evangelium tiefer erschlossen.
Maria Herrmann
au s der Pr a xis
auf der Suche nach einer
Kirche von und für morgen.
Das in Kürze zu erwartende Wort der
Deutschen Bischöfe zur konfessionellen
Zusammenarbeit im Religionsunterricht
ermutigt zu einer weiteren Kooperation.
Es stellt die schon bisher erfolgreichen
Aktivitäten auf eine sichere Grundlage
und eröffnet Handlungsräume für die
­zukünftige Zusammenarbeit nach den
Bedingungen des konkreten Standorts.
Damit eröffnen die demografischen Veränderungen auch einen neuen, künftig zu
entdeckenden locus theologicus. Die Begegnung mit der Vielfalt der christlichen
Bekenntnisse weist auf die – stets offene –
Frage nach Gott und nach der gelingenden
Gestaltung des eigenen Lebens hin.
Die Frage trägt den Religionsunterricht
als konfessionellen Unterricht und fordert
zu immer neuer Entscheidung („confession“) auf. Das verwirklicht sich nicht zuletzt durch die Religionslehrerinnen und
-lehrer, deren Engagement Zeugnis für
ihr jeweiliges Christsein ablegt. So wird
der Religionsunterricht in konfessioneller
Zusammenarbeit in spezifischer Weise zu
einem „heißen“ theologischen Ort, der die
„großen Themen der Rede von Gott an den
kleinen Orten seines Volkes“ verhandelt:
„neugierig, bodennah und erfahrungssatt“
(Christian Bauer).
Kontakt: Sophie Zaufal
Wissenschaftliche Referentin
(Real- und Wirtschaftsschulen)
Seit etwa 10 Jahren sind Referentinnen und Referenten der evangelisch-lutherischen
Landeskirche Hannovers und des Bistums Hildesheim gemeinsam auf der Suche nach
einer Kirche von und für morgen. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in der Ökumene,
im Bereich (lokaler) Kirchenentwicklung und bei den missionarischen Diensten.
Dass diese Themen unbedingt miteinander zu tun haben, wurde zum ersten Mal explizit, als man sie im Frühjahr 2013 bei einem ökumenischen Kongress in Hannover
zusammen bedacht hat, der seither der Bewegung einen Namen gibt: Kirche2.
Immer deutlicher wurde, dass eine partizipativ angelegte Suchbewegung für eine Zukunft der Kirche stets in Prozessen mündet, die weit über engmaschige »Projektzeiträume« hinweg Begleitung bedürfen, um eine regenerative Kraft in unserer Kirchenlandschaft zu entfalten. Daher schaffte man mit der Beauftragung zweier Theologinnen in Landeskirche und Bistum einen gemeinsamen Raum, in dem seither Zukunftsfragen dezidiert ökumenisch reflektiert werden. Hier widmet man sich auch
weiterhin weltkirchlichen Erfahrungen, unter anderem jenen aus der Anglikanischen
Kirche, die Gemeindegründungen in neuen Kontexten unter dem Fachterminus der
Fresh Expressions of Church (freshX) beschreiben.
So stehen freshX und Ökumene für Kirche2 in einem energetischen Kraftfeld zueinander: Fresh Expressions, also frische Ausdrucksformen von Kirche, und die grundlegende Ekklesiologie von einer Kirche, die sich von ihrer Sendung her formt (missionshaped church), können in der großen Frage nach den Zeichen der Zeit und nach der
missio dei inspirierende Diskurse eröffnen und neue Kirchenbilder zeichnen, wenn
wir wahr- und ernstnehmen, dass wir in einer Ökumene der Sendung stehen.
Doch auch umgekehrt lässt es sich denken: Durch die Besinnung auf die Sendung der
Kirche, die Frage nach dem Woraufhin, dem Wozu und dem Warum des Kircheseins,
stellen sich noch einmal ganz andere und auf vielen Ebenen befreiende Anfragen an das,
wie wir unter Ökumene verstehen, wie wir sie leben und wie wir sie weitergeben. Damit
entsteht eine neue und frische Dimension der Ökumene – für eine Kirche der Zukunft.
Maria Herrmann (Dipl.-Theologin), Studium in Würzburg und Salamanca, Referentin Kirche2
in der Hauptabteilung Pastoral im Bistum Hildesheim. Sie arbeitet derzeit an einem Dissertationsprojekt im Bereich der Pastoraltheologie zu den Fresh Expressions of Church und der
Mission-Shaped Church.
St. Bonifaz-Jugendhaus
[email protected]
Kontakt: Maria Herrmann, Ökumenische Bewegung Kirche²
www.rpz-bayern.de
im Bistum Hildesheim, Hauptabteilung Pastoral
[email protected], [email protected]
40
41
au s der Pr a xis
„O
b das gut gehen kann?“ – Diese besorgte Frage meiner Mutter und anderer Erwachsener habe ich noch
im Ohr, wenn im Bekanntenkreis eines der erwachsenen Kinder einen nicht-katholischen Partner heiraten wollte. Das
hatte es einfach früher nicht gegeben, die Probleme im Familienalltag schienen vorgezeichnet. Dahinter standen eine große Fremdheit und Unsicherheit, ja Misstrauen: Irgendwie glaubten „die“
doch etwas Falsches, oder?
Längst sind die Gräben zwischen den beiden großen christlichen
Konfessionen nicht mehr so tief. Dass man sich heute gegenseitig
anerkennt und vieles gemeinsam möglich ist, könnte nicht zuletzt
ein Verdienst derer sein, die es „damals“ trotz aller Befürchtungen
und Vorbehalte gewagt haben zu heiraten, obwohl der Partner /
die Partnerin einer anderen Kirche angehörte.
Sie haben vielfach gezeigt, dass es durchaus gut gehen kann. Konfessionsverbindende Ehen und Familien gibt es praktisch in allen
Gemeinden. Wie andere Paare oder Familien sind sie mehr oder
weniger integriert, engagieren sie sich mehr oder weniger in den
Gremien der Pfarreien und in verschiedenen kirchlichen Gruppen,
und das oft nicht nur in ihrer „eigenen“ Kirche.
Der Weg dorthin ist nicht immer einfach. Das wird im Gespräch
mit diesen Paaren und Familien allerdings ebenfalls klar – je älter
die Betroffenen sind umso mehr. Oft leiden gerade die älteren Paare
noch heute darunter, dass ihr Partner oder sie selbst wegen der
42
„falschen“ Konfession von ihrer jeweiligen Schwieger-Familie abgelehnt wurden. Nicht jede Familie konnte sich im Lauf der Zeit
mit dieser „Mischehe“ aussöhnen, viele Verletzungen sind aus der
Ablehnung entstanden und oft leider geblieben.
Eine solche Ablehnung aufgrund der konfessionellen Zugehörigkeit dürfte (und sollte) heute nicht mehr geschehen. Dennoch hat
ein evangelisch-katholisch gemischtes Paar von Anfang an einige
Entscheidungen zu treffen: In welcher Kirche, bei welchem Pfarrer
lassen wir uns trauen? Wohin gehen wir, wenn wir gemeinsam an
einem Gottesdienst teilnehmen wollen? Zu welcher Kirche sollen
unsere Kinder gehören – und wie sieht „christliche Erziehung“
konfessionsverbindend aus?
Auf diese Fragen gibt es nicht „die eine“ Lösung. Die Forderung
der katholischen Kirche an den katholischen Partner, die Kinder
katholisch zu erziehen, ist dabei nicht hilfreich, sondern eher belastend, kommt diese Erwartung doch einer Abwertung der anderen Konfession gleich.
Doch die Familien suchen – und brauchen – sinnvolle Lösungen.
Manchmal ergibt sich die Anbindung an eine bestimmte Gemeinde ganz pragmatisch, beispielsweise, wenn ein Partner noch an
dem Ort wohnt, in dem er oder sie in der Jugendarbeit der Pfarrei
aktiv war und auch der Ehepartner dort willkommen ist. Nur selten
erlebe ich, dass beide Partner gleichermaßen in ihren jeweiligen
„Heimatkirchen“ verwurzelt bleiben. Gerade wenn ein Paar neu
in einen Ort zieht, werden die Partner eher eine gemeinsame Glaubensheimat suchen, und da können dann die Gemeinden vor Ort
und die persönlichen Erfahrungen darin, das Kirchengebäude oder
auch der Gemeindeleiter den Ausschlag geben. Glaubensunterschiede werden so ganz praktisch „gelöst“.
Aufgelöst werden sie damit natürlich nicht. Vor allem dann, wenn
beiden Partnern eine Zugehörigkeit zu einer Gemeinde wichtig ist,
die Entscheidung aber nicht eindeutig ausfallen kann, wird es
spannend: Spätestens dann ist nötig, über den Glauben und die
eigene Glaubensgeschichte ins Gespräch zu kommen. Es ist die
Chance, die gerade konfessionsgemischte Familien haben: sich
selbst darüber klar zu werden, was ich glaube, was mir an meiner
Religion, an meiner Kirche wichtig ist, was ich an meine Kinder
(nicht) weitergeben möchte. Dieses Gespräch über „Glaubensdinge“ wünsche ich übrigens allen Paaren, und das nicht nur am Anfang ihrer Beziehung!
Konfessionsverbindende Paare und Familien sind der praxiserprobte Beleg dafür, dass Ökumene funktionieren kann. Der Dialog zwischen den Konfessionen findet hier nicht auf einer hohen
theologischen Ebene statt, sondern betrifft das alltägliche Leben.
Die gemeinsame christliche Basis erweist sich im konkreten und
praktischen Miteinander durchaus als tragfähig.
Lucia Lang-Rachor
Eine Familie,
zwei Kirchen
Ökumene im
Praxistest
Die erbitterte Auseinandersetzung
ist längst dem Gespräch und dem
Handeln miteinander gewichen.
Doch die nächsten religiösen Herausforderungen sind in unseren Familien schon längst angekommen
– und lassen die Unterschiede
zwischen „katholisch“ und „evangelisch“ noch unbedeutender erscheinen: Wie sieht es aus mit dem
Dialog zwischen Katholiken und den Christen aus Süd und Ost?
Der Toleranz gegenüber Nichtgetauften? Dem Zusammenleben
und -lieben mit Muslimen?
Die Herausforderungen innerhalb einer solchen gemischten Partnerschaft sind groß – und doch gibt es auch hier viele Paare und
Familien, die zeigen: es geht. Vermutlich nicht ohne Spannungen
und sicher nicht ohne viel Vertrauen und Toleranz. Aber hoffentlich mit viel Austausch und Dialog!
Kontakt: Lucia Lang-Rachor
Pastoralreferentin, Diözesanehe- und familienseelsorgerin im Bistum Würzburg
[email protected]
43
Gemeinsam
Gutes tun
Ökumenisches Handeln
im Dienst an den Menschen
A
ls im Jahr 2001 die katholische Pfarrgemeinde St. Josef
in Würzburg-Grombühl und die Caritas-Sozialstation
St. Franziskus eine ehrenamtliche Nachbarschaftshilfe
gründen wollten, war für die Verantwortlichen sofort klar, dass
dieses Unterfangen gemeinsam mit der evangelischen Thomaskirche angegangen werden sollte. Eine Anfrage beim evangelischen
Pfarrer brachte Klarheit: Sowohl Pfarrer als auch der gesamte
Kirchenvorstand votierten dafür, dieses Vorhaben gemeinsam mit
der katholischen Gemeinde anzugehen. Und auch auf der katholischen Seite war der Wunsch nach einem ökumenischen Miteinander nicht nur Sache des Pfarrers, sondern auch Anliegen der Gremien Pfarrgemeinderat und Kirchenverwaltung.
Die Tatsache, dass zu dieser Zeit sowohl der Caritasverband als
auch das Diakonische Werk ihre Zusammenarbeit mit ihren jeweiligen Kirchengemeinden ausbauten, kam dem Ansinnen entgegen. Und so konnte der Aufbau der Nachbarschaftshilfe nicht
nur mit den beiden Kirchengemeinden, sondern auch mit den Fachdiensten des jeweiligen Wohlfahrtsverbandes vorangetrieben werden. Nach etwa einem Jahr konnte dann das Projekt Nachbarschaftshilfe mit dem Namen „Eine Stunde Zeit füreinander“ an
den Start gehen. Bis heute unterstützt es Hunderte von Menschen
und erleichtert ihnen das Leben, sei es durch Besuche bei älteren
Menschen zu Hause und in Altenheimen, sei es durch gelegentliche
Besorgungen oder Hausaufgabenbetreuung und Fahrdienste.
Mittlerweile sind in Würzburg und Umgebung und auch unterfrankenweit insgesamt mehr als 50 ehrenamtliche ökumenische
Nachbarschaftshilfen nach diesem Muster entstanden, mehr als
1.000 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind tätig.
Und auch in anderen Tätigkeitsfeldern wie z. B. bei der Sorge um
Flüchtlinge und Asylbewerber zeigt sich dieses ökumenische Mit-
44
Klaus Korbmann
au s der Pr a xis
einander zunehmend. Christen aus beiden Konfessionen merken,
dass das Da-Sein für Andere zum Wesenskern ihres christlichen
Glaubens gehört und dass es für sie bereichernd ist, gemeinsam
mit Menschen der anderen Konfession diesen Dienst zu leisten.
Sie spüren, dass es ihnen gut tut, Menschen der jeweils anderen
Konfession kennen zu lernen und über den eigenen Kirchturm
hinaus zu schauen. Und sie merken, dass dies die beiden Konfessionen mehr eint als trennt.
Dass es auf dem Weg zu einem ökumenischen Miteinander nicht
immer ohne Irritationen abging, soll nicht verschwiegen werden.
Wenn z. B. der bisherige Versicherungsschutz der katholischen
Pfarrgemeinden nicht mehr greift, da eine evangelische Kirchengemeinde „mit im Boot sitzt“, kann manchem katholischen Christen auf den ersten Blick sehr merkwürdig erscheinen. Doch auch
für dieses Problem konnte ein gangbarer Weg gefunden werden,
weil Verantwortliche das ökumenische Miteinander als wichtig
erachtet haben. Und so bleibt zu hoffen, dass dieser Weg hin zu
einem geschwisterlichen Miteinander der Konfessionen sowohl
von Verantwortlichen als auch von katholischen und evangelischen Christen weiter begangen wird und sowohl im diakonischen Tun als auch in anderen Feldern die Menschen froh macht.
Kontakt: Klaus Korbmann
Dipl.-Theol.; Dipl.-Soz.-päd.
Fachbereichsleiter Gemeindecaritas
Caritasverband für die Diözese Würzburg e.V.
[email protected]
45
Geflüchtete
Christen und
Ökumene
„I
nfolge der gegenwärtigen Fluchtbewegungen steigt auch
die Zahl der Katholiken mit Migrationshintergrund.
Viele Flüchtlinge aus dem Mittleren Osten gehören einer
der mit Rom unierten katholischen Ostkirchen an. Die klassischen
muttersprachlichen Missionen, die vor Jahrzehnten für die katholischen Arbeitsmigranten errichtet wurden, können dem seelsorglichen Unterstützungsbedarf für christliche Flüchtlinge aus dem
Mittleren Osten jedoch allein nicht entsprechen. Unabhängig von
den strukturellen Fragen, die es zu lösen gilt, muss vor allem dafür Sorge getragen werden, dass die christlichen Flüchtlinge sich
inmitten unserer Kirche willkommen fühlen. Auch ist auf die seelsorglichen Anliegen der orthodoxen Christen unter den Geflüchteten zu achten.“ (aus: Leitsätze des kirchlichen Engagements für
Flüchtlinge, DBK, Arbeitshilfen Nr. 282, S. 11)
Robert Hübner
Zum THEMA
ist es gelungen, Geflüchtete bei Pfarrfesten einzubeziehen oder
gemeinsam mit ihnen in (inter-)religiösen Andachten der Angehörigen in den Kriegsgebieten und auf der Flucht Verstorbenen zu
gedenken und um Frieden zu beten. Unzählige Gottesdienste in
den Gemeinden greifen die Thematik von Krieg, Flucht und der
gebotenen Hilfestellung auf.
Viele der zu uns gekommenen geflüchteten Menschen werden versuchen, sich in Deutschland eine Existenz aufzubauen. Ob sie je
wieder zurück in ihre Heimat gehen können, ist fraglich. So wird
sich zunehmend die Frage nach dem weiteren Einleben stellen.
Dazu gehört auch, wie und wo sie ihre Religion ausüben können.
Wie können wir dabei helfen?
Bei der Umsetzung dieser Anliegen stoßen wir oft noch an Grenzen. Das beginnt mit der Schwierigkeit, aktuelle Zahlen von staat­
lichen Stellen zu erfahren, wer unter den Geflüchteten welcher
Konfession angehört. Zudem geben sich christliche Geflohene
häufig nicht sofort als solche zu erkennen. Das mag auch damit
zusammenhängen, dass sie unter einer Mehrheit muslimischer
Geflüchteten leben (von den 15.551 im März 2016 in Unterfranken
untergebrachten Asylbewerber/innen befanden sich 6,2 Prozent
Christen); zum anderen aber, dass ganz andere Fragestellungen
wichtiger sind, als der Zugang zu einem Gottesdienst, nämlich
wann werde ich endlich als asylberechtigt anerkannt, wann und
wo kann ich die deutsche Sprache lernen, zur Schule gehen, eine
Ausbildung beginnen, arbeiten und wohnen? Häufig ist auch die
Frage nach den Angehörigen, Familiennachzug oder die Zusammenführung von Verwandten vordringlich.
Über persönliche Kontakte wird der Zugang zu unseren christlichen Gemeinden eröffnet und mehrsprachige Erklärungen zu
liturgischen Feiern helfen über sprachliche Barrieren hinweg.
Kontakte zu bereits bestehenden ostkirchlichen/orthodoxen Gemeinden können über die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK), das Ökumenereferat und die Asylseelsorge hergestellt
werden. Die Arbeitshilfe der DBK „Christen aus dem Orient“ liefert
einen Überblick über die verschiedenen ostkirchlichen Konfessionen und gibt Auskunft über Regelungen zur Glaubens-, Gebetsund Sakramentengemeinschaft.
Viele ehrenamtliche Helfer/innen, auch aus dem kirchlichen Bereich, unterstützen geflüchtete Menschen, ungeachtet deren Religionszugehörigkeit und sprachlicher Barrieren und werden so zu
Botschafter/innen christlicher Nächstenliebe. In einigen Fällen
Kontakt: Robert Hübner
46
Diözesanbeauftragter für Asylseelsorge
[email protected]
www.asylseelsorge.bistum-wuerzburg.de
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Einheit und Pluralismus
Frère Alois
au s der Pr a xis
Gemeinsam
weitergehen
Erfahrungen aus Taizé
zur Ökumene
Noch nie gab es eine solche Vielfalt unterschiedlicher Kirchen
und christlicher Gemeinschaften wie heute. Dies entspricht sicherlich einem Bedürfnis vieler Menschen, die Christus aufrichtig lieben,
aber wir dürfen dabei nicht vergessen, dass Christus uns durch
sein Kreuz und seine Auferstehung in einen einzigen Leib, in einen
neuen Bund mit Gott zusammengeführt hat. Ja, er hat sein Leben
hingegeben, um – wie Johannes schreibt – „die verstreuten Kinder
Gottes zusammenzubringen“.
Damit sind alle, die Christus lieben, in seiner Nachfolge in eine
große Gemeinschaft eingeladen. Diese Gemeinschaft kann dazu
beitragen, die Wunden der Menschheit zu heilen und eine weltweite
Solidarität voranzutreiben, die niemanden mehr ausschließt, kein
Volk, keinen einzigen Menschen.
Suchen wir einen neuen
Ausgangspunkt!
Diese Situation stellt uns vor eine doppelte Herausforderung:
Eine Gemeinschaft aller Christen kann zum einen nur entstehen,
wenn wir die bestehende Vielfalt annehmen, zum anderen muss
sie sichtbare Gemeinschaft sein, um Orientierung bieten zu können.
Die sichtbare Einheit muss also einen großen Pluralismus anerkennen. Papst Franziskus veranschaulicht dies mit dem Bild eines
Polyeders. Für ihn ist die Kirche „Verschiedenheit, die in Gemeinschaft vereint ist, nicht in Gleichheit, sondern in Harmonie“.
Von „Einheit“ und „Verschiedenheit“ zu sprechen, ist zunächst mit
zwei Gefahren verbunden: Die eine besteht darin, mit unserer
Verschiedenheit die bestehenden Trennungen zu rechtfertigen. Die
andere wäre, Einheit als Einförmigkeit misszuverstehen. Wie also
kann man diese beiden Gefahren umgehen, um Einheit und Verschiedenheit miteinander in Einklang bringen?
Wir müssen dazu – anstatt von dem uns Trennenden – vom auferstandenen Christus ausgehen. Er führt Menschen aller Stände
und Schichten, aller Sprachen und Kulturen, und selbst verfeindeter
Völker in eine einzige Gemeinschaft zusammen.
schreibt diesbezüglich: „Es handelt sich nicht nur darum, Informationen über die anderen zu erhalten, um sie besser kennenzulernen,
sondern darum, das, was der Geist bei den anderen gesät hat, als
ein Geschenk anzunehmen, das auch für uns bestimmt ist.“
Schon in frühen Jahren hat unsere Communauté versucht, auch
ihre Gemeinschaft mit der orthodoxen Kirche zum Ausdruck zu
bringen. 1965 sandte der ökumenische Patriarch Athenagoras von
Konstantinopel Mönche nach Taizé, um für mehrere Jahre das
monastische Leben mit uns zu teilen. Frère Roger hat eine vertrauensvolle Beziehung mit der russisch-orthodoxen Kirche aufgebaut, die bis heute besteht.
Dieses ökumenische Zusammenleben stellt in unserem Alltag etwas
Selbstverständliches dar. Es bringt natürlich auch Einschränkungen
mit sich und verlangt Verzicht. Aber es gibt keine Versöhnung ohne
Verzicht.
Man kann die Geschichte von Taizé als Versuch ansehen, gemeinsam unter einem Dach zu leben. Heute nehmen Jugendliche aus
aller Welt an unserem gemeinsamen Gebet in Taizé teil. Sie teilen
miteinander ihre Suche nach Gott, genauso wie das tägliche Leben,
die Mahlzeiten und die anfallenden Arbeiten. Auf diese Weise sind
auch sie Teil des „Gleichnisses der Gemeinschaft“, das die Communauté verwirklichen will. Sie versuchen nicht, ihren Glauben auf
einen „kleinsten gemeinsamen Nenner“ zu bringen oder ihre
Wertvorstellungen einzuebnen.
Ziehen wir unter
ein gemeinsames Dach!
Ich möchte deshalb folgenden Vorschlag machen: Müssten die
christlichen Kirchen nicht den Mut haben, „unter ein Dach“ zu
ziehen, auch wenn noch nicht alle theologischen Fragen geklärt
sind? Ein solcher Schritt verlangt viel Fantasie. Aber der Heilige
Geist kann sie uns schenken.
Es wird immer Unterschiede geben. Sie werden stets eine Aufforderung zum offenen Dialog sein, der uns gegenseitig bereichert. Ist
es nicht an der Zeit, das uns Gemeinsame an die erste Stelle zu
setzen, nämlich unsere christliche Identität als Getaufte? In allen
Kirchen wird bis heute die konfessionelle Identität betont: Man ist
in erster Linie katholisch, evangelisch oder orthodox. In Wirklichkeit müsste jedoch die Tatsache an erster Stelle stehen, dass wir
Getaufte sind!
An dieser Stelle möchte ich etwas zu unserem Leben in Taizé sagen:
Unsere Communauté besteht aus evangelischen und katholischen
Brüdern, die die zukünftige Einheit vorwegnehmen möchten, indem
sie einen konkreten „Austausch der Gaben“ leben. Papst Franziskus
48
Dennoch machen sie im gemeinsamen Leben, im Miteinanderteilen und im respektvollen Umgang miteinander die erstaunliche
Erfahrung einer tiefen Einheit. Sie machen im Grunde genommen
eine Erfahrung von Kirche. Warten wir also nicht länger, begeben
wir uns unter ein gemeinsames Dach! Wenn alle Christen eine
Familie bilden, ist es auch die normalste Sache der Welt, unter
einem Dach zu leben und nicht zu warten, bis alle in allem einer
Meinung sind!
Christus gibt die Einheit wann und wie er will; sie ist ein Geschenk. Aber wir müssen dieses Geschenk auch annehmen! Wie
kann Christus uns die Einheit schenken, wenn wir uns nicht unter
ein gemeinsames Dach begeben? Die Apostel, Maria und einige
andere Frauen und Männer haben den Heiligen Geist empfangen,
als sie unter dem Dach des Obergemaches in Jerusalem zusammen
waren. Genauso vereint uns der Heilige Geist mit all unserer Verschiedenheit!
49
Wie können wir diesen Schritt
konkret vollziehen?
· Wir können uns innerhalb unserer Ortsgemeinde, zwischen
Nachbarn und Familien, wie eine Art „Basisgemeinde“ zusammentun, um gemeinsam zu beten, um uns gegenseitig zu helfen und uns näher kennenzulernen.
· Beispiele einer gemeinsamen Bibelarbeit zwischen Gemeinden
verschiedener Konfessionen, eines gemeinsamen Sozial- und
Seelsorgedienstes sowie eines gemeinsamen Religionsunterrichts gibt es bereits. Diese Zusammenarbeit ist ausbaufähig:
Jede Gemeinde könnte mit den Christen der anderen Konfessionen alles gemeinsam tun, was gemeinsam getan werden kann.
Man könnte sich vornehmen, nichts mehr zu unternehmen,
ohne die anderen mit einzubeziehen.
· Könnten nicht der Dom oder die Hauptkirche an vielen Orten
zu einem Haus des Gebets für alle Christen der Stadt werden?
· Der theologische Dialog muss weitergehen! Doch könnte er
nicht noch mehr als bisher im Rahmen eines gemeinsamen
Gebets geführt werden, aus dem Bewusstsein heraus, dass wir
bereits beisammen sind? Wo man zusammenlebt und gemeinsam
betet, werden auch die theologischen Fragen anders angegangen.
· Alle Glaubenden haben die Berufung, füreinander Sorge zu
tragen. Die Kirche braucht aber auch auf den verschiedenen
Ebenen ein Dienstamt der Einheit. Auf Weltebene ist dies traditionellerweise mit dem Bischof von Rom verbunden. Könnte man
ihn nicht als Diener anerkennen, der für die Eintracht seiner
Brüder und Schwestern in ihrer großen Verschiedenheit Sorge
trägt? Könnten die einzelnen Kirchen nicht mit diesem Dienstamt verbunden sein, wenn auch auf unterschiedliche Weise?
· Müssten die Kirchen, die sosehr darauf bestehen, dass für den
gemeinsamen Kommunionempfang die Einheit im Glauben und
das Einverständnis über das Amt Voraussetzung sind, nicht
mit ebenso großem Nachdruck auf der Einmütigkeit in der geschwisterlichen Liebe bestehen? Ich denke dabei an die katholische und orthodoxe Kirche. Könnten sie nicht denen, die ihre
Sehnsucht nach Einheit bekunden und an die Realpräsenz
Christi glauben, eine weitreichendere eucharistische Gastfreundschaft gewähren? Die Eucharistie ist nicht nur der Höhepunkt
der Einheit, sondern auch der Weg zu ihr.
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In diesen Vorschlägen geht es ganz wesentlich um die gegenseitige
Gastfreundschaft. Eine Ökumene der Gastfreundschaft! Wenn wir
diese noch mehr ins Zentrum stellen würden, läge der Schwerpunkt nicht mehr so sehr auf der Arbeit von Dialogkommissionen, sondern auf dem Leben und dem Alltag der Gläubigen. Die
interkonfessionelle wie die interreligiöse Gastfreundschaft verlangen zunächst einmal, dass wir uns die Mühe machen, uns in
den Anderen hineinzuversetzen und ihm unsere Glaubens- und
Frömmigkeitsformen zu erklären. Diese sind für den anderen
wie eine fremde Sprache, die wir ihm übersetzen müssen.
Weil wir dem anderen aber nie alles übersetzen können, sind Begegnung und Gastfreundschaft nicht ohne Vergebung möglich,
wo Intoleranz und Ablehnung des anderen das geschwisterliche
Zusammenleben verletzt haben. Man kann Vergebung jedoch nicht
einfordern.
Gastfreundschaft bedeutet auch, den anderen als anderen anzuerkennen. Könnten wir nicht dort, wo sich uns die Wahrheit des
Glaubens eines anderen verschließt, zumindest die Aufrichtigkeit
seines Glaubens und seiner Suche sehen? Dann können wir auch
das, was wir an anderen nicht verstehen, als Geheimnis achten
und staunend für den anderen dankbar sein. Dies brächte mehr
Freude in unser ökumenisches Leben!
Gemeinsam der Wahrheit
entgegengehen!
„Die Wahrheit ist niemals im Besitz eines Menschen. Sie ist immer
Geschenk!“, sagt Papst Benedikt. Müsste die Theologie in den
verschiedenen Kirchen nicht noch mehr der Tatsache gerecht werden, dass sich Gott nicht in Gedankengebäude einsperren lässt?
Hier kann uns die apophatische Theologie helfen, die in erster
Linie hervorhebt, was Gott nicht ist, anstatt zu versuchen, Gott
zu definieren. Dies käme auch dem Anliegen der Reformatoren
entgegen, die immer wieder die Unverfügbarkeit Gottes betont
haben.
Dennoch bedeuten Freiheit und radikale Transzendenz Gottes
nicht, dass die Wahrheit unerreichbar wäre. Nach den Worten
des Evangelisten Johannes wird der unsichtbare und alles übersteigende Gott zugänglich in der Person Jesu und in der geschwisterlichen Liebe. Für Johannes gibt es nur einen Weg, um in der Wahrheit Christi zu bleiben: zusammenkommen und uns gemeinsam
auf den Weg machen. Das ist, was Papst Benedikt mit den Worten
ausdrückt: „Nur wenn wir einander in Liebe begegnen, enthüllt
sich die Wahrheit.“
So stellt sich nun die Frage: Bringen wir den Mut auf, uns unter
ein gemeinsames Dach und an einen gemeinsamen Tisch zu begeben, um zusammen der Wahrheit entgegenzugehen, die sich
nicht anders offenbaren kann?
Die Schönheit der Berufung
der Kirche
Wenn die Christen an einem Ort, in einer Stadt, in einem Land
und selbst weltweit versuchen, sich in Liebe zu begegnen, wie
Mitglieder ein und derselben Familie, wie Bewohner eines gemeinsamen Hauses, dann legen sie Zeugnis ab für den Frieden
Christi und können selbst in schwierigsten Situationen Frieden
stiften.
Viele Christen und die meisten Kirchen und christlichen Gemeinschaften möchten gemeinsam solche Zeugen des Friedens sein.
Die ökumenischen Gespräche haben Wege dazu gebahnt. Zögern
wir also nicht länger, die Konsequenzen daraus zu ziehen und gemeinsam weiterzugehen! Gehen wir von Christus aus: begeben
wir uns unter ein gemeinsames Dach und gehen wir gemeinsam
der Wahrheit entgegen!
Damit betreten wir Neuland und müssen uns auf das Wort des
Propheten Jesaja stützen, der sagt: „Die Blinden will ich auf dem
Wege leiten, den sie nicht wissen; ich will sie führen auf den Steigen,
die sie nicht kennen. Ich will die Finsternis vor ihnen her zum
Licht machen.“
Wir vertrauen uns dem Heiligen Geist an, der uns auf Wege führt,
auf denen wir noch nie gegangen sind. Er zeigt uns, wie wir zu
wahrhaftigen Zeugen der Gemeinschaft werden.
Gekürzte Fassung des Vortrags bei der Tagung „1517–2017“. „Gemeinsam erinnern, voneinander lernen, miteinander weitergehen“ im Kloster Himmelspforten Würzburg, 26.02.2016
in KNA Dokumentation, Ökumenische Information 15, 12.04.2016
Kontakt: Frére Alois
Communauté de Taizé
71250 Taizé, Frankreich
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AKTUELLES
EDITIOR AL
Gedenken an Julius Echter anlässlich
des 400. Todestags des Fürstbischofs
Im Jahr 2017 jährt sich der Todestag des Würzburger Fürstbischofs
Julius Echter von Mespelbrunn (1545–1617) zum 400. Mal. Julius
Echter hat in seiner Regierungszeit Mainfranken nachhaltig und
bis heute sichtbar geprägt. An Echter erinnern Kirchen sowie Herrschafts- und Schulbauten ebenso wie die Universität Würzburg und
Sozialstiftungen.
Die Diözese Würzburg plant für das Jahr 2017 eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Echter-Zeit in Tagungen und Publikationen.
Eine Ausstellung soll Person und Wirken Echters in ihren unterschiedlichen Facetten beleuchten. Angebote der Domschule, des
Katechetischen Instituts und des Medienhauses wollen eine Brücke
vom Konfessionellen Zeitalter ins Heute schlagen. Das 2017 stattfindende 500. Gedenkjahr der Reformation bildet hierbei den größeren Rahmen. Damit eröffnet sich zugleich die ökumenische Perspektive in diesem vielfältigen Gedenkjahr 2017.
Tagung
Bischöfe und Bischofsamt
im Heiligen Römischen Reich 1570 bis 1620
Ideal und Praxis
22. bis 24. Juni 2017
Veranstalter: Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus
Catholicorum e.V. und Würzburger Diözesangeschichtsverein
Veranstaltungsorte: Neubaukirche
Archiv und Bibliothek des Bistums Würzburg
Ausstellungen
Beiträge zur Religionspädagogik
Kleines Stadttheater Gerolzhofen
Arbeitsmaterialien
Wandeltheater an vier Spielstätten
Reformation erinnern – Christus feiern
Diese Unterrichtsmaterialien thematisieren auf knapp 100 Seiten
die Reformation als theologisches Ereignis der Rückbesinnung
auf Jesus Christus als dem Fundament von Glaube und Kirche.
Aufgeteilt in Grundlagen und einen unterrichtspraktischen Teil,
ergänzt um Gedanken zur Kunst, will das in 2016 erstellte und
erstmals veröffentlichte Material eine Hilfestellung für einen
differenzierten und spannenden Religionsunterricht sein. Entstanden in Kooperation mehrerer Diözesen und der Deutschen
Bischofskonferenz.
Alle Materialien stehen zum kostenlosen Download und zur Verwendung im Unterricht zur Verfügung.
500 Jahre Reformation, 400. Todesjahr des Fürstbischofs und Gegenreformators Julius Echter, fünf historische Spielorte in Gerolzhofen: ein Theaterstück.
www.rpp-katholisch.de
An Originalschauplätzen werden die Menschen des späten 16. Jahrhunderts mit ihren Gedanken, Freuden, Sorgen und Nöten lebendig.
Woran müssen, woran wollen sie glauben? An die althergebrachte
Lehre oder an die neue des Dr. Luther aus Wittenberg? Oder ist
womöglich manchmal die Sicherung der eigenen Existenz dringlicher als derartige Glaubensfragen?
Geschichte wird erlebbar und es zeigt sich die Bedeutung dieser
Zeit radikaler Umbrüche für unsere Gegenwart.
Wahrheit und Wahrnehmung.
Julius Echter – kompetenzorientierte Zugänge
Das Katechetische Institut hat ein neues Würzburger Heft erstellt, das auf der Grundlage des neuen LehrplanPlus für Gymna­
sien, Realschulen und Mittelschulen konzipiert ist.
Der Inhalt des Heftes ist dreigeteilt: Das erste Kapitel enthält die
religionspädagogischen und historischen „Grundlagen“ des Heftes mit Beiträgen von Prof. Dr. Stefan Heil und Prof. Dr. Johannes
Merz. Das zweite Kapitel besteht aus kompetenzorientierten „Arbeitshilfen“ für die Sekundarstufe I zum Thema Wahrnehmung
heute, zum zeitlichen Kontext sowie zur Person Julius Echters.
Autorinnen und Autoren sind Dr. Christian Back, Dr. Hans Bauer, Linda Furth, Barbara Mack, Thomas Riebel sowie Oliver Ripperger. Der dritte Teil schließlich umfasst einen Bilderpool zu
Julius Echter.
Das Heft ist im Katechetischen Institut der Diözese Würzburg
erhältlich.
www.ki-wuerzburg.de
Uraufführung
24. Mai 2017
Weitere Vorstellungen
25.–28. Mai 2017
01.–05. Juni 2017
Julius Echter (1573-1617)
Der umstrittene Fürstbischof
23. Juni bis 17. September 2017
Museum am Dom, Diözese Würzburg
Julius Echter, Patron der Künste
Konturen eines Fürsten und Bischofs der Renaissance
25. Juni bis 24. September 2017
Martin-von-Wagner-Museum der Universität Würzburg
Kontakt:
TOURIST-INFORMATION GEROLZHOFEN
Altes Rathaus, Marktplatz 20, 97447 Gerolzhofen
Telefon (09382) 903512, Telefax (09382) 903513
Weitere und stets aktuelle Informationen:
[email protected]
echter2017.de
www.du-musst-dran-glauben.de
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AKTUELLES
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500 Jahre Reformation 2017
Das 500-jährige Reformationsgedenken im Jahr 2017 ist weltweit
in vollem Gang. Am 31.10.2016 gedachte im schwedischen Lund
sogar ein Papst – zum ersten Mal überhaupt – mit Vertretern des
Protestantismus der Reformation. Die Domschule Würzburg und
das Rudolf-Alexander-Schröder-Haus setzen in diesem Jahr das
gemeinsame Bildungsangebot fort, das an das Ereignis der Reformation und ihr zentrales Schlagwort „Rechtfertigung“ erinnert und deren Bedeutung vergegenwärtigt.
Mit dem Online-Kurs „MOOC Die Reformation“ werden wir dabei auch ein Angebot auf der technischen Höhe des digitalen Zeitalters anbieten können. Prof. Dr. Rainer Leng vom Institut für Geschichte der Universität Würzburg ist damit beauftragt. Der Kurs
startet im Mai.
Sie sind herzlich eingeladen!
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und Hausaufgaben. Zeitgenössische Quellen, Thesen, Theorien
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· Martin Luther. Vom Reformer zum Reformator
· Die Reformation und die Stufen der Bekenntnisbildung
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Papst Franziskus
und das Reformationsgedenken in Lund
Vortrag
Freitag 30.06.2017, 19.30-21.00 Uhr
Domvikar Dr. Petro Müller
Privatdozent an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Würzburg,
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Sterngasse 16, 97070 Würzburg, Telefon (0931) 386-100 99
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