Angekommen! Angenommen?

Ausgabe 19| März 2017
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Sponsoring-Post, SP 02Z031122 N
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Angekommen!
Angenommen?
Schaffen wir das?
p Paul Collier: Die Obergrenze ist keine Zahl
p Hartmut Dießenbacher: Was auf uns zukommt
p Jasmina Rupp: Der Ruf des Dschihad
p Florian Klenk vs. Christian Ortner: Lügt die Presse?
p Johannes Kopf: Wie schnell lernen wir Arabisch?
p Michael Chalupka, Walter Feichtinger, Gerry Foitik,
Michael Kühnel, Bernhard Schneider, Bernd Wachter,
eine österreichisch-syrische WG und Majida
Gesundheit für Alle!
Das Magazin Gesundes Österreich dient dem
Informationsaustausch über Gesundheitsförderung
und Prävention. Es erscheint dreimal im Jahr und
gibt einen umfassenden Überblick über aktuelle
Aktivitäten und Themen.
Das aktuelle Magazin beschäftigt sich mit dem
Thema: „Flüchtlinge – Zusammenleben
gesundheitsfördernd gestalten“ und kann
kostenlos beim FGÖ bestellt werden.
Der FGÖ gibt in Broschüren
und Foldern zu diesen und
weiteren Themen Informationen
mit wertvollen Tipps und
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Gesundheit und das Gesundheitswesen.
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Editorial
Anmerkungen
zum homo migrans
I
st zum Thema Flüchtlinge schon alles gesagt, nur noch nicht von allen?
Ganz im Gegenteil. Was wir 2015 erlebt haben, war erst der Anfang. Der
Homo migrans flieht weiter vor Krieg und Repression und sucht ein besseres Leben. Globale Ungleichheiten verschärfen die Entwicklung.
Warum waren wir darauf nicht vorbereitet? Das weiß Brigadier Walter
Feichtinger (S. 23). Was ist von einer Obergrenze zu halten? Nun, zumindest ist sie keine Zahl, erklärt der OxfordÖkonom Paul Collier (S. 14). Warum sechs
Dekaden Entwicklungshilfe Fluchtgründe
Ist zum Thema Flüchtlinge
nicht beseitigen konnten und was wir deshalb
noch zu erwarten haben, weiß Konfliktforschon alles gesagt,
scher Hartmut Dießenbacher (S. 10). Was
nur noch nicht von allen?
Schulen für Flüchtlingskinder leisten, erfährt
Ganz im Gegenteil:
Majida gerade in Wien (S. 30). Wann ihre
Es
ist
Zeit für eine ehrliche
Eltern Arbeit finden werden, schätzt AMSDebatte!
Chef Johannes Kopf (S. 54).
Ab Seite 56 lassen die Helfer selbst die Ereignisse Revue passieren – und blicken in die
Zukunft. Nicht zuletzt: Hat uns die „Lügenpresse“ im „Märchensommer 2015“ verschaukelt? „Falter“-Chefredakteur
Florian Klenk (im Streitgespräch mit Christian Ortner ab Seite 44) hat im
September 2015 geschrieben: „Vieles von dem, was wir uns über Einwanderer erzählen, sind Märchen. Es ist Zeit für eine ehrliche Debatte.“
Zu einer solchen ehrlichen Debatte soll diese Ausgabe von henri beitragen.
Aus Vernunft, aus Voraussicht – und aus Liebe zum Menschen.
Univ.-Prof. DDr. Gerald Schöpfer
Präsident
6 „Ich könnte sterben für ein neues Leben“
8 An Bord der „Responder“
„Boat ahead. There will be a rescue!“
Ein Rettungsschiff der Menschlichkeit im Mittelmeer.
10 Die Überzähligen
Alle wollen Fluchtursachen bekämpfen. Doch der Zusammenhang zwischen
Migration und Überbevölkerung ist nach wie vor ein Tabu.
14 Die Suche nach der „Obergrenze“
Der Ökonom Paul Collier misst die Beziehung zwischen der Vielfalt
in einer Gesellschaft und ihrem Wohlstand.
18 Der Ruf des Dschihad
Der IS kann militärisch besiegt werden, seine Ideologie lebt weiter,
sagt Islamismus-Forscherin Jasmina Rupp.
21 Gelten die Genfer Konventionen?
Ist Flüchtlingsschutz noch zeitgemäß? Für den Rotkreuz-Rechtsexperten
Bernhard Schneider liegt das Problem anderswo.
23 Die Grenzen in den Köpfen
Wenn Europa nicht handelt, wird es in seiner heutigen Form
keinen Bestand haben, sagt Konfliktexperte Walter Feichtinger.
26 Angekommen!
28 Familie plus
Hier fürchtet sich niemand: Eine österreichisch-syrische WG zeigt,
wie einfach das Zusammenleben sein kann.
30 Majida hat fertig
Wie Flüchtlingskinder lernen – und wie sie das Rote Kreuz
dabei unterstützt. Ein Schulbesuch.
32 Angekommen: Österreich in Schrift und Ton
Ein Österreich-Führer des Roten Kreuzes wurde zum Handbuch
für Geflüchtete und ihre Betreuer.
34 Logbuch Fliehkraft
Kinder interviewen Geflüchtete und spüren ihren Erfahrungen nach:
mit einer Ausstellung und auf einem Floß.
38 Eine von Millionen
Nivins zweites Leben in Wien. Wie viele globale Flüchtlinge gibt es eigentlich?
Migrationsforscher Guy Abel gibt Antworten.
40 Wo sind sie? Woher kommen sie?
Impressum
Eine globale Übersicht.
4
Herausgeber, Medieninhaber, Verleger: Österrei­chi­sches Rotes Kreuz, Wiedner Hauptstraße 32, A-1041 Wien. Verlagsort: Wien. ZVR-Zahl: 432857691
henri informiert Entscheidungsträger, Mei­nungs­f üh­rer und andere Interessierte über Aktivitäten, Neuerungen, Ereignisse und Hintergründe im humanitä­ren
Geschehen. Gesamtleitung: Mag. Andrea Winter. Chefredaktion: Mag. Robert Demp­fer, Tel.: +43-1-589 00-355, Fax: -159, E-Mail: robert.dempfer@rotes
kreuz.at. Redak­tion: Thomas Aistleitner. Koordination Bundesländer: Mag. Diana Karabinova. Website: www.roteskreuz.at. Produktion: Wortbild
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RK Schwechat/Manfred Hanakampf (S. 58); ÖRK/LV Bgld. (S. 58); ÖRK/LV Bgld./Tobias Mindler (S. 59); ÖRK/LV NÖ (S. 60/4, 61/3); ÖRK/LV OÖ (S. 62/2, 63/5);
ÖRK/LV Sbg. (S. 64/3, 65/2); ÖRK/LV Stmk. (S. 66/2, 67); Rotes Kreuz Tirol/Ennemoser (S. 68, 69/4); Jakob Pfaundler (S. 68); Rotes Kreuz Tirol/Abou Hatab
(S. 68); ÖRK/LV Wien/Hechenberger (S. 70/3); WRK/Protect (S. 71); Roland Ferrigato (S. 71); Rotes Kreuz/Christian Wetternig
(S. 72/4); ÖRK/LV Vbg. (S. 73/2). Lektorat: Mag. Sabine Wawerda. Druck: agensketterl Druckerei. Hinweis: Personenbezoge­ne
Bezeichnungen gelten im Zweifel glei­cher­maßen für weibliche und männliche Personen.
19|2017
Bild
Inhalt
42 Gesellschaft auf der Flucht?
44 Lügenpresse?
Die Rolle der Medien, unterschiedlich gesehen von den
Journalisten Florian Klenk und Christian Ortner.
47 So haben wir geholfen
Die Herausforderungen für die NGOs, gesehen von Michael Chalupka
(Diakonie), Gerry Foitik (ÖRK) und Bernd Wachter (Caritas).
52 Was können sie?
Sichern Flüchtlinge den Wohlstand? Eine neue Studie gibt Antworten.
54 „Würden Sie in einem halben Jahr Arabisch lernen?“
Johannes Kopf über Qualifikation und über „Wir schaffen das!“.
56 Wir sind da, um zu helfen
58 Burgenland
„Es macht mich glücklich: Mein Einsatz in Nickelsdorf.“
60 Niederösterreich
Deutschtrainerin Renate
Hani, Rotkreuz-Freiwilliger aus Syrien
Besuch im Flüchtlingsquartier Schwechat
62 Oberösterreich
Mit offenen Augen: Ein Brillenhersteller engagiert sich.
Asylwerber als Schülerlotsen
Afghanische Menüs im LKH Steyr
64 Salzburg
Der Großeinsatz am Salzburger Hauptbahnhof
„Was passiert hier Schönes?“
Wie eine syrische Familie wieder zusammenfand.
Traumatherapie stabilisiert.
66 Steiermark
Mit 14 auf der Flucht
Neues Format für Deutschkurse
68 Tirol
MA Bayan: Erstes freiwilliges Integrationsjahr im Roten Kreuz
Projekt protect: Auf eigenen Beinen stehen
projektXchange im Jugendrotkreuz Tirol
70 Wien
Integrationswohnraum für Geflüchtete
Workshops für Hilfe im Notfall
Kochen mit Hamed und Fatima
72 Kärnten
„Herzlich willkommen!“: Begegnungscafé in Klagenfurt
73 Vorarlberg
Flüchtlingscamp Hard
Wie Asylanwärter ihr neues Leben meistern.
74 henri – back Issues
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5
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ü
„
f
An Bord der „Responder“
Die Überzähligen
Die Suche nach der „Obergrenze“
Der Ruf des Dschihad
Gelten die Genfer
Konventionen noch?
Die Grenzen in unseren Köpfen
6
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An Bord
der „Responder“
Michael Kühnel, Wiener
Rotkreuz-Delegierter
Ein Rettungsschiff der Menschlichkeit im Mittelmeer.
4444444444444 Von Andrea Janousek
A
Gesundheitscheck unmittelbar nach der Rettung
ttention to all stations – boat ahead proceeds to your
station. There will be a rescue!“ (Achtung an alle Stationen – Boot voraus. Es gibt einen Rettungseinsatz.)
An einem frühen Morgen im November starren zwei
Frauen und drei Männer auf die tiefschwarzen Wellen
des Mittelmeers. Sie tragen weiße Overalls, Rettungswesten und Sicherheitshelme und stehen an Deck des
Rotkreuz-Rettungsschiffs „Responder“. Die Krankenschwestern Eleanor und Johanna, die beiden Rettungskräfte Thorir, Abdel und den Mediziner Michael verbindet dieselbe Aufgabe: das Leben von Menschen zu retten, die das Mittelmeer in Schlauchbooten durchqueren, um nach Europa zu gelangen.
Vergessene Tragödie
Seit Juni beteiligt sich das Rote Kreuz gemeinsam mit
der privaten Hilfsorganisation MOAS (Migrant Offshore Aid Station) an der Bergung von Bootsflüchtlingen. Koordiniert vom Italienischen Roten Kreuz wechseln sich Rotkreuz-Mannschaften aus ganz Europa bei
der medizinischen Betreuung an Bord ab. Die „Flotte
der Menschlichkeit“ besteht aus der „Responder“ und
ihrem Schwesterschiff „Phoenix“. Beide Schiffe verstehen sich als „schwimmende Ambulanz“ und sind da-
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Fieber messen: Johanna vom Isländischen Roten Kreuz
rauf ausgelegt, pro Monat bis zu 3.000 in Seenot geratene Flüchtlinge entlang der gefährlichen Mittelmeerroute zwischen Nordafrika und Italien zu retten. Die
geretteten Flüchtlinge werden in Häfen des italienischen Hoheitsgebietes ausgeschifft. Das Italienische
Rote Kreuz sorgt für die Übergabe der Geretteten an
die zuständigen Behörden.
Alleine im Jahr 2016 sind nach Angaben der inter­
natio­nalen Migrationsbehörde IOM mehr als 4.650
Männer, Frauen und Kinder während der gefährlichen
Überfahrt im Mittelmeer gestorben. 2015 waren es
3.660 Todesfälle.
„Wir wollen, dass sie leben“
Einer, der das Sterben auf der Flucht verhindern möchte, ist der 41-jährige Wiener Arzt und erfahrene Rotkreuz-Delegierte Michael Kühnel. Seit Anfang November verstärkt er das internationale Rotkreuz-Team an
Bord der Responder, das 14 Meilen vor der libyschen
Küste kreuzt. Kühnel ist medizinischer Leiter an Bord.
Er bezeichnet die geretteten Flüchtlinge respektvoll
als „Gäste“. „Es sind in erster Linie Menschen. Wir
machen keine Unterschiede, weder nach Herkunft, Geschlecht, Religion noch nach Hautfarbe oder sexueller
Rettung mit dem Schlauchboot der Responder
Orientierung. Das zählt zu unseren Grundsätzen. Wir
wollen, dass sie leben.“
Das fünfköpfige Team aus Island, Italien, Österreich
und Schweden hat schon 1.100 in Seenot geratenen
Menschen das Leben gerettet. Kühnels Part beginnt
mit der medizinischen Versorgung, bei der die Temperatur gemessen wird, geschaut wird, ob die Menschen
dehydriert sind, Verletzungen oder Verätzungen an
Armen, Beinen und Gesäß haben. Danach erfolgt die
Untersuchung auf Skabies. Das sind kleine Tierchen,
die sich unter der Haut einnisten und fürchterlichen
Juckreiz verursachen. Erst dann bekommen die Gäste
an Bord trockene Kleidung, weil ihre eigene nass und
voll Treibstoff ist. Goldene Aludecken wärmen die unterkühlten Flüchtlinge. Sie bekommen Wasser und
Butterkekse, weil diese am besten zu lagern sind.
Tagelang im Schlauchboot
Die Überfahrt vom Norden Afrikas nach Italien beträgt
rund 550 Kilometer. „Unsere Gäste sind oft tagelang
unterwegs. Sie wagen die Überfahrt in völlig über­­füll­ten Schlauchbooten oder Holzschiffen, die nicht
hochseetauglich sind“, erklärt Kühnel. Der Tod dieser
Menschen wird in Kauf genommen.
Um die Oktanzahl und damit die Verbrennungsleis­
tung zu erhöhen, wird der Sprit mit Chemikalien versetzt. Dadurch erleiden viele Flüchtlinge Vergiftungen
und sterben. „Menschen, die in der Mitte des Bootes
sitzen, haben oft nur den Kopf im Freien, inhalieren die
Benzindämpfe oder schlucken das mit Wasser gemischte Benzin, das auf den Boden schwappt, während sie schlafen.“
Nicht allen in Seenot geratenen Flüchtlingen
kann die Responder helfen. Mit der Bergung von
Toten oder der schweren Entscheidung, mit der
Reanimation nicht mehr weiterzumachen, hat
auch das Rotkreuz-Team Erfahrung. „Ich weine
nicht, wenn wir Tote bergen oder wenn jemand
an Bord stirbt, aber jeder Mensch berührt mich
auf eine Weise“, sagt Michael Kühnel.
„Durch unsere Mission werden die Bilder, die
wir aus den Nachrichten kennen, von den tausenden Toten, die beim Versuch der Überfahrt von
Nordafrika nach Europa gestorben sind, erst begreifbar. Hier bekommen alle Zahlen ein Gesicht. Wir kennen
die Namen nicht, sie bleiben anonym. Keiner erfährt,
warum jemand auf der Flucht war, ob er Familie, Ziele
oder Träume hatte. Es liegt an uns, das zu ändern.
Nicht jeder muss auf ein Rettungsschiff gehen, um
Menschenleben zu retten. Aber es sollte der Respekt
vor dem Leben im Allgemeinen und dem der anderen
vorhanden sein. Zurzeit erleben wir die Globalisierung
der Gleichgültigkeit. Niemand fühlt sich wirklich verantwortlich für die Tragödien im Mittelmeer, die Menschen sind zum politischen Spielball geworden.“
Während sich Europa daran gewöhnt hat, dass im
Mittelmeer Woche für Woche Menschen sterben, die
auf den Kontinent wollen, wird das Rotkreuz-Team auf
der Responder weitermachen und möglichst
viele dieser Menschen retten.
Eleanor vom Schwedischen Roten Kreuz verteilt Decken
Der jüngste Gast
Erst vor wenigen Tagen konnte das Rotkreuz-Team
seinen bisher jüngsten Gast retten. Er heißt Desmond,
ist einen Monat alt und kommt aus Nigeria. Dank der
raschen Hilfe des Roten Kreuzes sind der kleine Bub
und seine Mutter wohlauf. „Wir fragen uns nicht:
Warum tut man dem Kind das an? Sondern: Wie verzweifelt muss man sein, wie wenig Perspektiven und
wieviel Angst muss man haben, um diese Überfahrt
mit einem so kleinen Baby zu wagen?“
Gerettet vom Responder-Team: Treasure, 1, und ihre Mutter
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Die Überzähligen
44444444 Interview: Robert Dempfer
E
Alle wollen Fluchtursachen bekämpfen.
Doch der Zusammenhang zwischen Migration
und Überbevölkerung ist nach wie vor ein Tabu.
risiko. Hartmut Dießenbacher ist deutscher KonfliktU-Spitzenpolitiker reisen nach Niger und Mali, um
forscher mit Schwerpunkt auf demografischer Bürger„Migrationspartnerschaften“ abzuschließen. Außen­mi­
kriegsforschung an der Universität Bremen. In seinem
nis­ter Kurz besucht Äthiopien, um dort effektivere
Buch „Kriege der Zukunft“ hat er nachgewiesen, dass
Grenzkontrollen auszuhandeln. „Tausende junge Mänder ruandische Völkermord und die Bürgerkriege in
ner verlassen das Land, in dem kein Krieg herrscht,
Angola, im Sudan und im Kosovo durch Überbevölkeund riskieren auf dem Weg nach Europa ihr Leben“,
rung angetrieben waren.
titelt der „Spiegel“ über den Senegal.
Ein Aspekt, der in der Migrationsdebatte mit keinem
henri: Herr Professor Dießenbacher, 86 Prozent aller
Wort vorkommt: Die genannten Länder weisen die
Flüchtlinge stammen aus Ländern mit hohen Geburtenraten.
höchsten Geburtenraten der Welt auf, Niger – mit 45
Ist Überbevölkerung ein Fluchtgrund?
Geburten auf 1000 Einwohner pro Jahr – überhaupt die
höchste: Drei Viertel der
H. DIESSENBACHER: Ein we„jüngsten Bräute der
sentliches Merkmal von ÜberWelt“ heiraten dort zwibevölkerung besteht darin,
schen 14 und 18 Jahren.
dass die Mehrheit der bis zu
In den 1990er-Jahren
29-Jährigen keine Beschäftigriff der amerikanische
gung findet. Sie ist vom Gefühl
Geograf Gary Fuller Saeiner gewissen Nutz- und Sinnmuel Huntingtons Belosigkeit ihres Lebens bedroht.
griff des „youth bulge“
Bevölkerungswachstum und
(Jugend­überhang) für
Wirtschaftswachstum klaffen
seine Bürgerkriegs­for­
weit auseinander. Das führt zu
schung auf: Sind 20 Propermanenten lebensbedrohzent einer Bevölkerung
lichen Situationen. Seit Walter
junge Männer im Alter
Cannon
kennen wir als Reak­
„Zwischen 1950 und 2050 wird von 15 bis 29 Jahren,
tion
darauf
den „fight-or-flight
sich die Bevölkerung Afrikas
dann steigt das Tötungs­
response“.
um 1000 Prozent vermehrt haben“
10
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Kampf oder Flucht, um der Armut, der Arbeitslosigkeit und
der Ausweglosigkeit zu entkommen?
Die lebensbedrohlichen Situationen in einem über­
völkerten Land, vor allem in seinen rasant wachsenden
und aggressiv aufgeladenen Mega­citys, müssen so
erheblich sein, dass viele der überzähligen Jüngeren
von der Suche nach einem neuen Leben getrieben sind.
Einige sind in Schockstarre paralysiert. Sie resignieren
und sacken ab in hoffnungslose Armut.
Aber andere kämpfen?
Die Vitalen und Kompetenteren lehnen sich auf. Ich
glaube, dass in jedem vitalen „Überzähligen“ ein
potenzieller Krieger und ein potenzieller Flüchtling
stecken. Der „Überzählige“ lebt ständig im Vorfeld der
Flucht und im Vorfeld der Schlacht. Beide Reaktionen
sind im Hypothalamus neurologisch eng benachbart.
Vielleicht wissen die meisten anfangs selbst nicht, ob
sie fliehen oder angreifen werden. Da steht auch die
Fluchtforschung am Anfang.
Die jungen Männer, die seit 2015 nach Europa gekommen
sind, waren ja gerade nicht gegeneinander zu Felde gezogen.
Das hat mich anfangs verwirrt. Ich bin davon ausgegangen, dass sich überzählige junge Männer dem
„Islamischen Staat“ oder anderen Milizen anschließen.
Aber auch überzählige Senegalesen fliehen nach Europa, Kriege führen sie keine. Wir sprechen nicht mehr
bloß vom Übervölkerungskrieger, sondern auch vom
Übervölkerungsflüchtling.
Afrikas Bevölkerung wächst. Was ist zu erwarten?
Die Weltbevölkerung wird bis 2050 um 2,6 Milliarden
Menschen wachsen. Das ist fünfmal Europa oder die
Bevölkerung Chinas und Indiens zusammengenommen, in nur 33 Jahren. 90 Prozent dieses Zuwachses
sind in den niedrig entwickelten Ländern zu erwarten.
Am hervorstechendsten ist Afrika.
1950 lag die Bevölkerung noch unter der Europas …
... aber schon 1995 hatte sie die weit überholt. 2009
betrug sie 1,1 Milliarden und sie wird sich bis 2050 auf
2,2 Milliarden verdoppeln. Dann hat Afrika seine Bevölkerung in 100 Jahren um 1000 Prozent vermehrt.
Und die Länder des Nahen und Mittleren Ostens?
Die legen bis 2050 auch auf 620 Millionen zu. Dann
haben wir in schwarzafrikanischen und arabischen
Ländern etwa 1,8 Milliarden Menschen unter 30 Jahren.
Ist jeder Vierte migrationsbereit, stünden in 33 Jahren
gut 400 Millionen junge Afrikaner und Araber vor den
Türen Europas.
Es geht auch anders: Im Iran wurde die Fertilitätsrate in
„Alterssicherung ist kein
Akt der Caritas, sondern sie zündet
den ökonomischen Motor und
setzt Wachstum in Gang“
25 Jahren von über 7 auf ungefähr 2 Kinder pro gebärfähiger
Frau gesenkt.
Ja, bemerkenswert. Pille, Kondome und die glückliche
Kleinfamilie wurden beworben. An Schulen und Universitäten gab es Verhütungsberatung und Familienplanung. Dazu soziale Absicherung. Inzwischen hat die
Regierung eine Kehrtwende vollzogen. Mit dem Verlust der „Atombombe“ greifen sie jetzt zur „Bevölkerungsbombe“: Bis 2050 soll sich die Bevölkerung auf
150 Millionen verdoppeln, um die Vorherrschaft auf der
Arabischen Halbinsel zu sichern.
Aber bis dahin hielt man Bildung und Aufklärung für die
Erfolgsrezepte?
Pointiert verkürzt: Wem es gelingt, gebärfähige junge
Frauen zwischen 18 und 28 Jahren durch kostenlose
Bildung, kostenlose Geburtenkontrollmaßnahmen und
eine gesetzlich garantierte Rente im Alter vom vielen
Kinderkriegen abzuhalten, der ist auf dem richtigen
Weg.
Bildung hilft aber armen afrikanischen Frauen wenig.
Natürlich werden selbst gebildete Frauen so lange
nicht auf mehrere Kinder verzichten, als sie nicht
wissen, wie sie sich im Alter und bei Gebrechlichkeit
ernähren sollen.
Geburtenkontrolle also nur in Verbindung mit Pensionsversicherung – aber wer zahlt die?
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ermöglichen. Aber in diesen 20 Jahren hat sich die
Bevölkerung verdoppelt! Er konnte gar nicht so viele
Bäume pflanzen, wie Menschen geboren wurden!
Was also sollten Hilfsorganisationen machen?
Anders als Regierungen sollten sie klein beginnen. Ich
habe in Fluchtländern nach Krankenhäusern, Hilfs­
organisationen, Betrieben und Fabriken gesucht, um
dort eine „Beratungsstelle für Geburtenkontrolle und
Betriebsrente“ einzurichten. Aber ich habe niemanden
gefunden.
Iran: Familienplanung senkte die
Kinderzahl von 7 auf 2 pro Frau
Alterssicherung ist kein Akt der Caritas, sie zündet den
ökonomischen Motor. Wer ökonomisches Wachstum
in Gang setzen will, muss Alterssicherung einführen.
Wie muss man sich das vorstellen?
Nehmen wir ein Paar mit sechs Kindern, das über ein
monatliches Einkommen von 1000 ökonomischen Einheiten verfügt. 600 gehen an die Kinder, 100 sind für
den Unterhalt alter Eltern zu zahlen. Bleiben 300 Einheiten. Erhalten die alten Eltern monatlich eine Rente,
hätte das Paar schon 400 Einheiten für sich. Ferner entfiele das Motiv, möglichst viele Kinder als Altersversorger in die Welt zu setzen. Bei zwei Kindern hätten sie
statt 400 nun 800 Einheiten für sich. Einen Teil könnten
sie in ihre eigene Altersversicherung einzahlen.
Und den Rest?
Sie könnten produktive Güter kaufen: ein Fahrrad zum
eigenen Transport und für logistische Dienstleis­tun­
gen. Ackerland mit einer Wasserpumpe, einen Generator, einen Computer. Oder sie investieren in die Bildung
ihrer zwei Kinder oder in kleine Unternehmensgründungen in Handwerk und Dienstleistungen. Jedenfalls
könnten sie sich als aktivere Teilnehmer auf den Waren-,
Arbeits- und Kapitalmärkten bewegen.
Klingt wie eine gute Idee für Hilfsorganisationen, so etwas
zu fördern.
Das humanitäre Engagement ist unverzichtbar. Aber
frei von Schuld macht es nicht. Nach meiner Analyse
geht es nicht darum, die Überzähligen humanitär zu
versorgen – sondern darum, sie zu verhüten. Sonst
gerät man in die Rolle des Arztes, der Kranke braucht,
um seine Existenz zu rechtfertigen.
Was würden Sie als Politiker tun?
Ich würde sagen: Nur Nothilfe alleine ist zu wenig.
Erinnern Sie sich an Karlheinz Böhms Aktion „Menschen für Menschen“ in Äthiopien. Böhm hat gemeint:
Wir pflanzen viele Bäume an, und in 20 Jahren werden
diese blühen, Schatten spenden und Landwirtschaft
12
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Gibt es dafür Best-Practice-Beispiele, wo diese Strategie
schon aufgegangen ist?
Deutschland war das erste Land, das eine gesetzliche
Rentenversicherung eingeführt hat. Ganz ohne Geburtenkontroll-Kampagnen ging die Zahl der Kinder pro
Frau in 100 Jahren im Durchschnitt von 6,6 auf 1,7 runter.
„Wem es gelingt, Frauen
zwischen 18 und 28 Jahren durch
Bildung und eine garantierte Rente im
Alter vom vielen Kinderkriegen abzuhalten,
der ist auf dem richtigen Weg“
Hartmut Dießenbacher
Aber klappt das auch in Entwicklungsländern?
Ich habe diesen Eindruck, ja. Man müsste aber jetzt
konkrete Vorschläge vorlegen.
Auch in Drittwelt- und Schwellenländern bekommen
Soldaten, Polizisten und Beamte eine Staatsrente und
Industriearbeiter eine Betriebspension. Und: Sie haben
weniger Kinder als die anderen!
Hundert Jahre Zeit haben wir dafür aber nicht mehr!
Deshalb sollte man in ausgewählten Ländern damit beginnen, etwa in Ägypten. Denn wir wissen: Selbst bei
rückläufiger Kinderzahl wächst eine Bevölkerung
noch 30 bis 40 Jahre lang weiter.
Stoßen Ihre Überlegungen angesichts der Flüchtlinge
inzwischen auf größeres Echo?
VIELE KINDER – VIEL ARMUT
Die 15 geburtenstärksten Länder der Welt und ihr Platz
im Human Development Index (HDI) von insgesamt
188 Ländern. Die Geburtenrate gibt die Anzahl der
Lebendgeburten pro Jahr bezogen auf 1000 Einwohner an.
1
LAND
Niger
2
Mali
44,99
179
3
Uganda
43,79
163
4
Sambia
42,13
139
5
Burkina Faso
42,03
183
6
Burundi
42,01
184
7
Malawi
41,56
173
8
Somalia
40,45
k. A.
9
Angola
38,78
149
10
Mosambik
38,58
180
11
Afghanistan
38,57
171
12
Nigeria
37,64
152
13
Äthiopien
37,27
174
14
Sierra Leone
37,03
181
15
Südsudan
36,91
169
9,41
23
8,47
6
204 Österreich
217 Deutschland
GEBURTENRATE
45,45
HDI-RANG
188
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13
Die
Suche
nach
der „Obergrenze“
D
44444444444 Von Robert Guest
ie „Obergrenze“ ist keine Zahl. Sie liegt in jeder Gesellschaft woanders – und doch am selben Punkt: dort, wo
Zuwanderung das Vertrauen und den sozialen Zusammenhalt untergräbt. Der Ökonom Paul Collier von der
Universität Oxford misst die Beziehung zwischen der
Vielfalt in einer Gesellschaft und ihrem Wohlstand.
Wohlstandsgesellschaften funktionieren, weil ihre
Mitglieder einander vertrauen und deshalb miteinander
kooperieren. So entstehen „Myriaden von kooperati­
ven Spielen“, wie es Paul Collier nennt.
Weil in solchen Gesellschaften gegenseitige Rücksichtnahme herrscht, erwidern ihre Mitglieder die
ko­operativen Handlungen anderer – bis hin zur Solidarität mit jenen, denen es weniger gut geht, etwa durch
finanzielle Transfers oder tätige Hilfe.
Umgekehrt ist das Fehlen von „kooperativen Spielen“
ein Grund dafür, dass Gesellschaften dysfunktional
sind – und damit arm, argumentiert Collier. Auch die
Wirtschaft kann nicht produktiv sein in Ländern, in
denen Arbeitnehmer nach Lust und Laune zur Arbeit
erscheinen, der Strom ständig ausfällt, Zulieferer unzuverlässig sind und Unternehmer sich mit korrupten
Bürokraten herumschlagen müssen.
Verlassen Migranten Länder mit einem nicht funktionierenden Sozialmodell und wandern in solche mit
funktionalen Modellen ein, dann können sie „ihre Pro-
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duktivität vervielfachen“. Das schafft enorme Migrationsanreize. Da Migration mit vielfältigen Kosten verbunden ist, wandern aber nicht die Ärmsten, sondern
die Wohlhabenderen aus ärmeren Ländern aus. Mit
langsam steigendem Wohlstand in ärmeren Ländern
nimmt der Migrationsdruck also nicht ab, sondern im
Gegenteil zu.
Die Moral emigriert mit
Der Ökonom meint außerdem, dass die vorherrschenden Moralvorstellungen ihrer Gesellschaften zusammen mit den Menschen emigrieren. Diese Grundannahme seines jüngsten Buches „Exodus“ hat kontroverse Reaktionen ausgelöst. Denn, so schlussfolgert
Collier: Sind diese Vorstellungen von den im Gastland
üblichen weit entfernt und ist die Zahl der Migranten
hoch, dann bedrohen sie dort die gegenseitige Rücksichtnahme und damit die Grundlage von Vertrauen,
Zusammenhalt und Wohlstand.
Deshalb hält er den ökonomischen und sozialen
Nutzen von Zuwanderung für beschränkt. Er endet dort,
wo aufgrund von abnehmender Rücksichtnahme und
bröckelndem sozialem Zusammenhalt hohe sozia­le
Kos­ten entstehen. „Warum wir Einwanderung neu
regeln müssen“, lautet der Untertitel seines aktuellen
Buches. Der Entwicklungsökonom erzählt von einer
Publikumsreaktion auf einen seiner Vorträge: „Professor Collier ist kein charismatischer Typ. Aber seinen
Argumenten sollte man Gehör schenken.“
Diese Argumente trägt er mit großem Bedacht vor,
weil er weiß: Auf dem Boden von Debatten über die
Begrenzung von Zuwanderung kann schnell Fremdenfeindlichkeit gedeihen.
henri: Herr Professor Collier, die meisten Menschen fragen
sich: Ist Migration gut oder schlecht? Sie sagen: Das ist die
falsche Frage. Warum?
PAUL COLLIER: In meinem Buch „Exodus“ versuche
ich, den Leuten analytische Bausteine zur Verfügung
zu stellen, damit sie sich darüber selbst eine Meinung
bilden können. Denn die richtige Frage lautet tatsächlich nicht: Ist Migration eine gute oder eine schlechte
Sache? Nehmen wir an, sie wäre eine gute Sache, was
die vernünftige Schlussfolgerung sein dürfte. Aber weil
sie ganz allgemein eine gute Sache ist – muss das auch
schmelzen. Aber wenn sich Migration beschleunigt,
dann erreicht man trotzdem irgendwann den Punkt,
an dem auch die Vielfalt größer wird.
Sie sprechen von kultureller Vielfalt?
Ja. Die ethnische Herkunft spielt keine Rolle. Egal welcher Herkunft, jeder kann sich an eine andere Kultur
anpassen, und viele tun das auch. Wir müssen also
zwischen ethnischer Herkunft und kultureller Vielfalt
unterscheiden.
Warum ist die kulturelle Vielfalt beachtenswerter?
Sie ist ein zweischneidiges Schwert. Wir wissen, dass
etwas Vielfalt besser ist als keine. Sie erlaubt mehr
Auswahl und sie beschleunigt das Tempo von Innovationen. Aber es gibt auch einen abnehmenden Ertrag, es
gibt steigende Kosten: je höher die Vielfalt, desto
geringer das Vertrauen in einer Gesellschaft. Mit zunehmender Vielfalt nimmt daher der Zusammenhalt
„Jeder kann sich an eine andere
Kultur anpassen, und viele
tun das auch“
in jedem einzelnen Fall zutreffen? Die richtige Frage
lautet daher: Wie viel Migration?
Also: Wie viel Migration wir künftig zulassen sollen?
Ja. Ein Grund, dabei in die Zukunft zu schauen, lautet:
Wenn man die Migration sich selbst überlässt, dann
beschleunigt sie sich.
Warum sollte das künftig passieren?
Was Migranten am meisten hilft, ist eine etablierte
Dia­spora im Gastland. Denn sie verringert die Kosten
der Migration aus dem Herkunftsland erheblich. Migration von armen in reiche Länder ist ja ein jüngeres
Phänomen, erst etwa 60 Jahre alt. Und obwohl die Einkommensunterschiede groß waren, war Migration lange ein spärliches Rinnsal. Denn die meisten Menschen,
die emigrieren wollten, konnten sich das schlicht nicht
leisten. Migration war nicht für die wirklich Armen
interessant, sondern ist ein Mittelklasse-Phänomen.
Und diese Mittelklasse wird größer und wohlhabender.
Und diese beschleunigte Migration erzeugt eine zu hohe
Vielfalt im Gastland?
Migration erhöht nicht notwendigerweise die Vielfalt.
Das Ausmaß der Vielfalt hängt nämlich davon ab, wie
rasch Zuwanderer mit der Aufnahmegesellschaft ver-
Muslimische Polizistin in Großbritannien
ab. Es ist gut belegt, dass dann Kooperationen zwischen den einzelnen Mitgliedern einer Gesellschaft
schwieriger werden. Auch jene Kooperationen, die
notwendig sind, um öffentliche Güter bereitzustellen.
Und nicht zuletzt nimmt die Großzügigkeit ab.
Ein Schlüsselbegriff in Ihrem Buch ist die „gegenseitige
Rücksichtnahme“.
Genau. Nicht gegenseitiger Respekt, Respekt kann ja
sehr kühl sein. Sondern gegenseitige Rücksichtnahme.
Adam Smith verwendet dafür den Begriff „gegenseitige Sympathie“. Jede Gesellschaft verträgt ein bestimmtes Vielfaltsniveau: Man möchte die Vorzüge der
Vielfalt, aber nicht so viel davon, dass ihre gesellschaft19|2017
15
Metropole London: Jeder
2. Einwohner ist nicht in
Großbritannien geboren
lichen Nachteile einsetzen. Das bedeutet, dass die
Frage „Wie viel Migration?“ mit einer anderen Frage
verknüpft ist, nämlich: „Wie hoch soll das Ausmaß der
Vielfalt in unserer Gesellschaft sein? Wie viel davon
ertragen wir?“ Das hängt gleich mit der nächsten Frage zusammen: Wie rasch verschmelzen Einwanderer
mit der Aufnahmegesellschaft? Wenn wir mehr Wert
auf Multikulturalismus legen als auf Integration, dann
wird die Vielfalt weniger hoch sein müssen.
Aber stimmt das tatsächlich? Auch innerhalb Europas ist
die Vielfalt besonders in den Städten hoch. Ein Paradebeispiel
ist Ihre Heimatstadt London, eine der vielfältigsten Städte
Europas und gleichzeitig ein reicher, lebenswerter Ort.
London ist so reich, weil es eine Zentrale des internatio­
nalen Finanzsektors ist. Aber ist die Stadt wirklich so
ein Erfolgsmodell für die eingesessene Bevölkerung?
Die Bevölkerung Londons ist heute nicht größer als vor
60 Jahren. Nur dass inzwischen mehr als jeder zweite
Einwohner Londons nicht in Großbritannien geboren
wurde. Da ist doch etwas Einschneidendes passiert mit
dieser eingesessenen Bevölkerung: Sie hat sich mehr
als halbiert, und das binnen eines halben Jahrhunderts.
Mir fällt keine andere große Stadt oder Hauptstadt ein,
in der das passiert wäre.
Sie sprechen von den möglichen nachteiligen Auswirkun­
gen künftiger Vielfalt. Bisher sieht es doch so aus, als ob Migranten sehr von ihrer Emigration profitieren, Aufnahmege-
16
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sellschaften etwas, und die Herkunftsländer darunter leiden,
dass die Besten gehen. Ist Ihr Ansatz nicht sehr theoretisch?
Nein. Es gibt auch zum Thema Migration den wild entschlossenen Zugang: Liberalisieren, deregulieren, die
Türen aufstoßen ... das ist, mit Verlaub, zu simpel.
Moderne Gesellschaften beruhen auf einer Vielzahl
von kooperativen Spielen, die lokal stabil sind. Aber
wir wissen, dass sie nicht global stabil sind, weil
sie anderswo schlicht nicht existieren. Das bedeutet:
Bei den Myriaden von Kooperationen, auf denen eine
moderne Gesellschaft basiert, handelt es sich um
etwas ziemlich Zerbrechliches.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Eine der Konventionen in Großbritannien ist die Nichtbewaffnung der Polizei. Eine stillschweigende Übereinkunft schafft ein lokal stabiles Gleichgewicht: Die Polizei benützt keine Schusswaffen, die Kriminellen tun
das auch nicht. Aber diese Konvention ist zerbrechlich.
Sie funktioniert auch nur in ganz wenigen Gesellschaften. Man kann sich vorstellen, dass dieses Gleich­
gewicht durch Migration zerbricht, ja, zerstört wird.
Das könnte man, ja.
Vor vier Jahren wurden hier zwei unbewaffnete Polizistinnen erschossen. Eine lokal gültige Konventionen
war plötzlich nicht mehr stabil, und prompt hat nach
diesen Morden die Debatte begonnen: Soll unsere
Polizei bewaffnet werden? *
Ist es aber inzwischen nicht ohnehin so, dass Europa die
Türen für Migranten schließt?
Ja. Aber gleichzeitig erreichen die bestehenden Kontrollen ihre legitimen Ziele nicht, und sie richten darüber hinaus jede Menge Schaden an. Doch mein Punkt
ist: Wir haben es gemeinsam auf eine beträchtliche
Anzahl an kooperativen Spielen gebracht. Trotzdem
sollten wir ihre Existenz nicht als selbstverständlich ansehen. In den Gesellschaften, mit denen ich mich beschäftige, gibt es sie nicht. Deshalb wollen die
Menschen ja von dort weg!
Haben wir schon zu viel Migration zuge­
lassen?
Das behaupte ich nicht. Was ich sage,
ist: Wir brauchen eine vernünftige Debatte darüber, welches Maß an Vielfalt
wir schlussendlich wollen. In meinem
Buch finden die Leser die Bausteine, mit
deren Hilfe sie sich darüber ihre eigene
Meinung bilden können. Sie werden nach der Lektüre
zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen.
Das ist legitim. Aber wir werden nicht länger bloß auf
der Grundlage von Vorurteilen und Unkenntnis in
heftigen Streit geraten. Denn das ist es, was wir
zurzeit tun.
PAUL COLLIER (* 1949) ist Ökonom und
Direktor des Zentrums für afrikanische
Ökonomien an der Universität Oxford. Er
forscht seit vielen Jahren über die ärmsten
Länder der Welt und den Zusammenhang
zwischen Armut, Krieg und Migration. Bis
2003 leitete er die Entwicklungsforschungsgruppe der Weltbank. Große Aufmerksamkeit erreichte 2011 sein Buch „Die unterste
Milliarde. Warum die ärmsten Länder
scheitern und was man dagegen tun kann“.
Sein jüngstes Buch „Exodus. Warum wir
Einwanderung neu regeln müssen“ ist
im Siedler-Verlag erschienen.
* Die meisten der 30.000 Londoner Polizisten sind mit einem Taser – einem Elektroschocker – ausgerüstet, der Angreifer kampfunfähig
machen soll. Seit Jänner 2016 ist die Zahl der mit Schusswaffen ausgerüsteten Londoner Bobbies allerdings von 2200 auf 2800 gestiegen.
Darüber hinaus wurde die Zahl der Fahrzeuge mit bewaffneten Beamten verdoppelt. 92 Prozent der Londoner Polizisten sind allerdings
weiterhin unbewaffnet.
© The Economist Newspaper Limited, London, www.economist.com
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Der Ruf des Dschihad
44444444 Interview: Thomas Aistleitner
Der IS kann militärisch besiegt werden, seine
Ideologie lebt weiter, sagt Islamismus-Expertin
Jasmina Rupp. Deradikalisierung ist jedoch möglich.
henri: Ich habe das von Ihnen herausgegebene Buch „Der
(Alb)traum vom Kalifat“ gelesen. Man bekommt darin den Eindruck, dass der Aufstieg des IS nicht nur interne Ursachen hat.
JASMINA RUPP: Die US-Intervention im Irak und die
einhergehende Marginalisierung der Sunniten unter
der schiitisch dominierten Regierung haben in einem
großen Ausmaß dazu beigetragen, dass sich insbesondere die Sunniten im Irak radikalisiert haben. Der zweite Grund ist der frühzeitige Abzug der US-Streitkräfte.
Man sieht eine Korrelation zwischen dem Abzug und
dem Anstieg der Gewalt durch die Vorgängerorganisation des IS, Al-Qaida im Irak. Die irakischen Sicherheitskräfte waren nicht in der Lage, die komplexe
Sicherheitssituation zu managen. Zusätzlich war die
politische Führung durch Grabenkämpfe gelähmt.
Inzwischen hat der IS ja nicht nur Territorium erobert, sondern auch wieder verloren.
Der IS hat sein erträumtes Kalifat wahrgemacht. Auch
wenn es inzwischen wieder zerstört wurde, hat er sich
damit einen Namen gemacht und kann die Ideologie
durch seinen Propagandaapparat weiterleben lassen,
um somit langfristig Sympathisanten und Finanzmittel
zu erwerben. Die Rückschläge für den IS können auch
nur temporär sein. Der IS ist kein klassischer Staat, er
18
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ist eine Terrororganisation, die sich an die Verhältnisse
an der Kampffront anpassen kann, die reagieren kann,
die sich auch zurückziehen kann.
Wohin kann sich der IS zurückziehen?
Der IS ist wüstenerprobt, er kann sich in unkontrollier­
te Räume in der Wüste zurückziehen – und irgendwann mit neuer Stärke zurückschlagen.
Wer wartet auf seine Rückkehr?
Der Grund, warum der IS überhaupt entstanden ist
und dermaßen erfolgreich wurde, ist die systemati­sche
Ausgrenzung der Sunniten im Irak seit dem Sturz
Saddams. Dieses Problem ist bis heute nicht gelöst.
Sehen Sie Lösungen für die Region?
Keine kurzfristigen. Die Missstände im Nahen und
Mittleren Osten werden seit vielen Jahren bewusst geschürt, um geopolitische Interessen durchzusetzen.
Aber man sollte Schritte setzen, um gerade den jungen
Menschen in der Region Zukunftsaussichten geben.
Sie leben unter schlechten sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen. Das ist eine verlorene Generation
ohne Aussichten auf Bildung und Jobs. Und die Dschihadisten sind nach wie vor sehr gute Geldgeber.
Was kann Europa tun?
Diese Region braucht einen Marshallplan, auch die
wenigen stabilen Länder wackeln gewaltig. Wenn wir
sie jetzt nicht unterstützen, werden wir das bereuen.
Welche Länder sind das?
Der Libanon, Jordanien und auch die autonome Region
Kurdistan im Irak leiden unter den hohen Flüchtlingszahlen bei einer ohnehin angeschlagenen Wirtschaft.
Wegen der Gebietsverluste des IS stellen mittlerweile
Flüchtlinge auch ein großes Sicherheitsrisiko dar. Die
Sicherheitskräfte befürchten das Eindringen von als
Flüchtlinge getarnten IS-Kämpfern.
Welche Rolle spielt die Türkei? Der Türkei wird oft nach­
gesagt, dass sie den IS unterstützt.
Die Türkei hat lange Zeit versucht, über den IS ihre
Interessen zu verfolgen, und ihn auch unterstützt.
Inzwischen ist die Türkei selbst zur Zielscheibe des IS
junge Menschen in Europa, die sich rächen wollen für
ihre eigene Unzufriedenheit. Das sieht man in den
Bekennervideos, wo gesagt wird: „Jetzt zeigen wir es
euch. Jetzt seht ihr, wer die Macht hat.“ Diese Menschen können nun „gestalten“ und zeigen, dass sie
eine Rolle im Leben haben. Deshalb ist die Identitätsfrage in der Radikalisierung entscheidend.
Was kann man dagegen tun?
Grob gesagt, radikalisieren sich Menschen, wenn sie
keinen Halt in der Gesellschaft finden. Stattdessen bieten radikale Gruppen einen Platz in ihrer exklusiven
Gemeinschaft „wahrer“ Muslime. Jugendliche sollen
sich mit ihren individuellen Hintergründen in der
Mehrheitsgesellschaft anerkannt fühlen. Es darf nicht
sein, dass Jugendliche nur bei radikalen Salafisten das
Gefühl bekommen, ernst genommen zu werden. Wir
brauchen starke Netzwerke von Eltern, Vertretern aus
Schule, Sozial- und Jugendarbeit, die einen Zugang zu
jungen Menschen und deren Communitys haben.
„Die Region braucht einen Marshallplan.
Wenn wir sie jetzt nicht unterstützen,
werden wir das bereuen“
geworden. Der IS ruft in seiner Propaganda immer wieder dazu auf, Terroranschläge in der Türkei zu verüben.
Warum reisen europäische Bürger ins Kalifat?
Die Dschihadisten aus Europa, die ins Kalifat ziehen,
sind europäische Staatsbürger und gut integriert. Es
sind oft Jugendliche zweiter oder dritter Generation,
die die Sprache ihres Landes beherrschen und die Kultur verinnerlicht haben. Und jeder vierte IS-Kämpfer ist
ein Konvertit ohne Migrationshintergrund. Der IS hat
sich als globale Widerstandsbewegung etabliert.
Wie war das möglich?
Junge Radikalisierte protestieren gegen die Eltern und
die Mehrheitsgesellschaft. Sie weisen die neoliberale
Kapitalgesellschaft zurück und treten beim IS in ein
strukturiertes Umfeld. Die Dschihadisten bieten ihnen
ein einfaches Weltbild, das aus Schwarz und Weiß, Gut
und Böse besteht. Man kämpft für Gerechtigkeit, weil
die Muslime weltweit unterdrückt werden. Wir haben
Lehrer zum Beispiel sollten erkennen, wenn ein Schüler
oder eine Schülerin sich beginnt zu entfremden. Dann
schaut man in die Familie, ins Jugendzentrum ...
Welche Rolle spielt der Glaube? Ist der Islam ein Problem?
Ich halte es für falsch, den Islam auf eine gewaltbereite
Religion zu reduzieren. Wir sollten den traditionellen
Islam, der vom Großteil der Muslime weltweit friedlich
gelebt wird, von der politischen Ideologie – dem Islamismus, der die Schaffung einer neuen Ordnung
anstrebt – unterscheiden. Die religiöse Dimension reduziert sich auf eine nihilistische Ideologie: Folgt dem
Gesetz Gottes und errichtet ein Kalifat, begeht Selbstmordattentate gegen die Ungläubigen, und ihr landet
im Paradies – ohne Religion als Legitimation wäre das
nicht möglich. Jugendliche brauchen positive muslimi­
s­che Vorbilder, die ihre Religion liberal leben und mit
den Radikalen nichts gemeinsam haben. Sie brauchen
das kritische Hinterfragen. Denn die dschihadistische
Ideologie lebt davon, den Radikalisierten eine Version
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des Islam aufzutischen, der sie blind gehorchen. Auch
hier ist Europa gefragt.
Warum gerade Europa?
In der arabischen Welt wird von autoritären Macht­
habern vorgegeben, wie theologische Auslegungen,
Koranausbildung und Freitagspredigten erfolgen sollen.
Moderne und aufgeklärte Interpretationen der Quelltexte im Islam werden in konservativen Ländern wie
Saudi-Arabien strikt untersagt. In Europa herrscht die
Freiheit der Lehre. Hier sollte es Institutionen geben,
die sich mit Religionsfragen auseinandersetzen und
einen moderaten Islam propagieren.
„Der IS hat sich auf seine Weise
als globale Widerstandsbewegung
etabliert“
Gibt es in Europa eine muslimische Community, die gegen
islamische Radikalisierung auftritt?
Die muslimische Community in Europa wurde selbst
überrumpelt von der Problematik. Zuerst meinte man,
man müsste sich für die Taten anderer nicht rechtfertigen. Nach und nach distanzieren sich muslimische
NGOs, Vereine, Imame und bieten auch Programme
zur Prävention und Deradikalisierung an. In den Medien wird das viel zu wenig thematisiert.
Steht der Islam der Gewalt nicht bejahend gegenüber?
Vom Fundament und der moralischen Gesinnung ist
der Islam nicht gewaltbejahender als Christentum und
Judentum. Textstellen, die von Gewalt oder Krieg
reden, sind im Koran genauso selten zu finden wie in
der Bibel. Der islamistische Terrorismus wurde in den
1980er-Jahren erfunden – in Form des palästinensi­
schen Terrorismus oder des PKK-Terrorismus in der
Türkei. Hier gibt es Bezüge zum Islam, aber insbesondere wird das Gewaltbild islamisiert. Es wird um die
Gewalt ein konstruierter Islam gebaut. Es gibt über
1000 Fatwas, also Rechtsgutachten, die Selbstmord­
attentate als große Sünde verurteilen. Von diesen
Fatwas hört und liest man bei uns nichts.
Wie groß ist die Gefahr, dass mit
den Flüchtlingsbewegungen IS-Aktivisten nach Europa kommen?
Im September 2015, als bei uns
die Flüchtlingskrise ihren Höhepunkt erreicht hatte, startete
der IS eine Medienkampagne, in
der die Flucht aus IS-besetzten
Gebieten in das „Haus des Unglaubens“ verurteilt wurde. Der
IS verliert an Legitimität, wenn
Menschen aus seiner Region,
aus dem Kalifat, fliehen. Er lebt
davon, dass er eine Heimat für
Muslime anbietet. Für den IS ist
20
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die Flucht nach Europa eine große Sünde. Dennoch hat
der IS aufgrund der Gebietsverluste in seinem Machtzentrum in Syrien und Irak seine Strategie angepasst.
Er fordert seit 2016 Sympathisanten auf, in ihren
Heimatländern in Europa zu bleiben, um dort durch
Terroranschläge den Feind zu schwächen. Als Flüchtlinge getarnte IS-Terroristen in Europa sind ein nicht zu
unterschätzendes Sicherheitsrisiko.
Hat man Erfahrungen mit dem Dschihad in Österreich?
Einen dschihadistisch motivierten Terroranschlag gab
es in Österreich glücklicherweise noch nicht. Rückkehrer nach Österreich werden intensiv beobachtet.
Wir haben Dienste, die dafür zuständig sind, wie das
Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung. Wir haben auch ein umfassendes Netzwerk
für Deradikalisierungs- und Präventionsarbeit. Gefäng­
nis-Seelsorger, Religionspädagogen und Jugendarbeiter
sind bemüht, unter anderem das extremistische Weltbild von Sympathisanten, Radikalisierten und Rückkehrern zu dekonstruieren und ihnen ein libera­
les Islamverständnis näherzubringen.
JASMINA RUPP studierte Arabistik und Islam­
wissenschaft sowie Politikwissenschaft. Ihre
Forschungsfelder sind islamistische Bewegungen,
Extremismus und Terrorismus mit Fokus auf den
Aktivitäten von Daesh/IS sowie das internationale
Krisen- und Konfliktmanagement in Syrien und im
Irak. Seit 2014 ist sie als Konfliktforscherin am
Institut für Friedenssicherung und Konflikt­
management für die MENA-Region zuständig.
Jasmina Rupp (Hg.)
Der (Alb)Traum vom Kalifat
Ursachen und Wirkung von Radikalisierung
im politischen Islam. Böhlau, 374 S., e 35,Erhältlich auf www.boehlau-verlag.com
Gilt die
Genfer Konvention?
D
Ist der Flüchtlingsschutz noch
zeitgemäß? Oder gehört die Genfer
Flüchtlingskonvention neu geschrieben?
44444444444 Von Bernhard Schneider
ie Aufnahme von Menschen, die in ihren Herkunftsländern der Gefahr von Gewalt und Verfolgung ausgesetzt sind, lässt sich seit der Antike
nachweisen. Getragen ist diese Art des Schutzes einerseits vom Grundsatz der Mitmenschlichkeit. Andererseits liegt das Gewähren von Schutz und Hilfe für
Flüchtlinge auch im Interesse derer, die Schutz gewähren: Angesichts der wechselvollen Geschichte der
Menschheit kann niemand sicher sein, nicht einmal
selbst in einem fremden Land um Hilfe und Schutz bitten zu müssen.
Wichtigste Grundlage
Auf internationaler Ebene institutionalisiert und rechtlich abgesichert wurde der Schutz von Flüchtlingen
erst im 20. Jahrhundert – vor allem unter dem traumatischen Eindruck der durch die beiden Weltkriege verursachten Vertreibung von Millionen Menschen.
Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ist in
Österreich am 30. Jänner 1955 in Kraft getreten und
steht im Rang eines Bundesgesetzes. Sie ist bis heute
die wichtigste Grundlage für den internationalen
Flüchtlingsschutz und regelt die Rechte und Pflichten
von Flüchtlingen erstmals relativ umfassend. Sie ent-
hält eine Definition des Flüchtlingsbegriffs, gewährleis­
tet den Flüchtlingen Religions- und Bewegungsfreiheit,
stellt sie hinsichtlich des Empfangs von Sozial­hilfe­leis­
tungen Inländern gleich und untersagt den Staaten,
Flüchtlinge in ein Land zurückzuschicken, in dem ihnen
direkt oder indirekt Verfolgung drohen könnte („Refoulement-Verbot“).
EU-Mindeststandards
Auch die EU hat Rechtsakte erlassen, die vor allem verhindern sollen, dass die MItgliedstaaten bei der Behandlung von Asylanträgen bestimmte Mindeststandards unterschreiten. Ziel der Bemühungen ist ein
„Gemeinsames Europäisches Asylsystem“, das bisher
allerdings noch nicht erreicht wurde.
Wer ist ein Flüchtling?
Mit 31. Dezember 2009 ist die Grundrechtecharta der
EU in Kraft getreten, die auch in Österreich im Verfassungsrang steht. Damit ist das von der Genfer Flüchtlingskonvention gewährleistete Asylrecht im Bereich
des EU-Rechts ein Menschenrecht und kann gerichtlich geltend gemacht werden.
19|2017
21
Positive Asylbescheide
2016 einschließlich November
13.891
weiblich
männlich
und die Politik der meisten EU-Staaten intensiv. Die
Frage liegt nahe: Ist das gewachsene, etablier­te System
des Flüchtlingsschutzes noch zeitgemäß?
Pacta sunt servanda
Zunächst ist das Flüchtlingsrecht wegen der weltweit
sehr hohen Flüchtlingszahlen wohl notwendiger denn
je. Es ist zeitgemäß, funktionsfähig und bisher auch inhaltlich weitgehend ausreichend. Woran es den Staaten vielmehr mangelt, ist der politische
Wille, das bestehende Flüchtlingsrecht
umzusetzen und es gegen politische
Zahl der gestellten
Asylanträge
EU
28
2016
Angriffe
zu verteidigen. Der Grundsatz
Der EU-rechtliche Flüchtlingsschutz ist
134.890
„Pacta sunt servanda“ („Verträge sind
stärker ausgeprägt als der Flüchtlings121.205
einzuhalten“) scheint an Bedeutung zu
schutz der Genfer 117.720
Flüchtlingskonven­
114.625
106.745
102.840
verlieren.
tion.
Letzterer
erstreckt
sich
nur
auf
98.575
97.310
94.010
Ganz offensichtlich reformbedürftig
Personen, die ihr Heimatland aus beist
auch die Art, wie die MItgliedstaaten
rechtigter Furcht vor Verfolgung wegen
60.300
der EU miteinander umgehen. Deutlich
ihrer Rasse, Religion, Nationalität,
mehr Solidarität und eine gerechtere
politischen Überzeugung oder der
27.130
Aufgabenteilung wären nötig, nationale
Zugehörigkeit zu einer bestimmten
Egoismen müssten zurückgestellt werden.
sozialen Gruppe verlassen mussten.
Dazu bedarf es aber keiner Änderung
Die EU-Anerkennungsrichtlinie um- DR. BERNHARD SCHNEIDER
der Genfer Flüchtlingskonvention oder
fasst darüber hinaus Personen, die bei
ist Jurist und leitet den
des EU-Flüchtlingsrechts. Vielmehr wäRückkehr in ihr Herkunftsland von To- Bereich Recht und Migration
ren Prinzipientreue, Entschlossenheit,
desstrafe, Folter, unmenschlicher oder
im Österreichischen
Mut und politischer Wille erforderlich.
erniedrigender Behandlung oder Strafe
Roten Kreuz
Man kann die EU-Staaten nur dazu eroder durch willkürliche Gewalt im Rahmutigen, ihre Haltung in diesem Sinne zu überdenken.
men eines Krieges oder Bürgerkrieges bedroht wären.
Wie das Beispiel der Rotkreuz- und Rothalbmond­
Anlassfall Mittelmeer
bewegung zeigt und wie viele einschlägige Studien belegen, gehört ein starkes und gut gepflegtes Werte­
Die Regeln zum Flüchtlingsschutz sind laut Entscheifundament generell zu den wichtigsten Erfolgsfakto­
dungen europäischer Höchstgerichte auch außerhalb
ren von Unternehmen und Organisationen. Es ist kein
des EU-Territoriums anzuwenden. Daher sind ZurückGrund ersichtlich, warum Vergleichbares nicht
weisungen potenzieller Asylwerber auf hoher See, ohauch für Staaten gelten sollte.
ne ihnen die Möglichkeit einer Asylantragstellung zu
geben, verboten (konkreter
Anlassfall: das Mittelmeer).
DIE WICHTIGSTEN INSTRUMENTE DES FLÜCHTLINGSSCHUTZES
Die Intensität heutiger KonINTERNATIONAL:
flikte und ihre lange Dauer
1933: Abkommen über den internationalen Status von Flüchtlingen
führen zu den größten Flucht1938: Konvention über den Flüchtlingsstatus
bewegungen, die die Welt je
1948: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
gesehen hat. Doch die wenigs­
1949: Vierte Genfer Konvention über den Schutz von Zivilpersonen
ten der heute 65 Millionen
im bewaffneten Konflikt
Flüchtlinge – nur ein bis zwei
1951: Genfer Flüchtlingskonvention
Millionen – haben in den letzten beiden Jahren die Flucht in
EU-ASYLRECHT:
EU-Mitgliedstaaten angetreten.
2003: EU-Aufnahmerichtlinie, regelt Aufnahme, Unterbringung
Angesichts der Gesamtbeund Versorgung von Asylwerbern
völkerung der EU von rund 510
2003: Dublin-Verordnung, regelt, welcher EU-Staat für die Prüfung
Millionen Einwohnern ist das
eines bestimmten Asylantrags zuständig ist
keine beeindruckend große
2005: EU-Verfahrensrichtlinie, regelt die Durchführung von Asylverfahren
Anzahl. Dennoch beschäftigt
2005: EU-Anerkennungsrichtlinie, regelt die Prüfung und Zuerkennung
sie die öffentliche Meinung
des Asylrechts sowie des Rechts auf subsidiären Schutz
19|2017
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1.130
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1.424
1.444
Die Grenzen
in den Köpfen
B
44444444444 Interview: Thomas Aistleitner
Fotos: Nadja Meister
rigadier Mag. Dr. Walter Feichtinger ist Analyst für militärische Zusammenhänge und Leiter des Institutes für
Friedenssicherung und Konfliktmanagement an der
Landesverteidigungsakademie.
henri: Wie geht es einem Experten für Konfliktmanagement und Friedenssicherung in Zeiten wie diesen?
WALTER FEICHTINGER: Darauf gibt es zwei Antworten. Auf der einen Seite kann ich sagen: Sehr gut,
weil wir uns nicht über zu wenig Arbeit beklagen können. Auf der anderen Seite ist es entsetzlich, was heute
passiert. Das wirklich Schlimme daran ist, dass nicht
absehbar war, dass es in so kurzer Zeit in so vielen
Bereichen dermaßen eskalieren würde. Auf den Punkt
gebracht: Es geht mir nicht gut mit dieser Entwicklung.
Beziehen Sie sich damit auf Syrien?
Ich beziehe mich auf Syrien, auf Libyen und den Jemen
und in gewisser Weise auch auf die Ukraine, wo sich
noch immer keine Entspannung abzeichnet. Das sind
Entwicklungen, die vor der Haustür Europas passieren.
Und genau in dieser Phase wird die Handlungsfähigkeit der EU durch den Brexit zumindest vorübergehend
deutlich geschwächt.
Das Schließen von Grenzen ist in
vier Dimensionen zu sehen, sagt Walter Feichtinger,
Leiter des Institutes für Friedenssicherung.
Die EU hat sich ansatzweise als handlungsfähig erwiesen:
Sie hat mit der Türkei ein Flüchtlingsabkommen geschlossen.
Durch die Migrationswelle ist vor eineinhalb Jahren ein
unglaublicher Handlungsdruck entstanden. Dabei erschien der „Türkei-Deal“ als gangbarer Weg, der so
weit auch funktioniert. Die negative innenpolitische
Entwicklung in der Türkei war damals nicht absehbar.
Wie soll es weitergehen?
Das ist ein bitterer Lernprozess, nicht nur für Europa.
Ich komme gerade von einer Reise nach Teheran. Der
Iran hat drei Millionen afghanische Flüchtlinge, die
Hälfte ist offiziell registriert, die andere Hälfte befindet sich illegal im Land. Die Herausforderung zieht
sich vom Mittleren Osten bis in den Norden Europas.
Das wird auch noch länger so bleiben.
Kann man die Grenzen schließen? Oder haben wir eine Art
Völkerwanderung vor uns, die eine historische Realität
schafft, egal wie wir dazu stehen?
Beim Schließen von Grenzen unterscheide ich vier
Dimensionen. Erstens die technische Machbarkeit –
das ist eine Frage des Aufwands. Österreich hat von
19|2017
23
1990 bis 2004 als „Schengenland“ die Grenze der EU
dichtgemacht und sich dabei massiv auf das Militär
gestützt. Zweitens: Ist es politisch machbar? Hier gibt
es keine klare Antwort. Da spielen innenpolitische
Überlegun­gen oder Verpflichtungen im EU-Rahmen,
aber auch das Völkerrecht eine große Rolle. Drittens
die humanitäre Dimension, die in der Debatte unterbelichtet erscheint. Das ist bedauerlich, weil man Migration und vor allem Flucht nicht nur aus der Sicherheitsperspektive wahrnehmen darf. Hier ist ein umfassen­
der rechtlich-politischer Maßstab anzulegen. Als eine
vierte, entscheidende Dimension sehe ich die „Grenzen
in den Köpfen“, die durch Demagogen aktiviert und
schwer wieder beseitigt werden können.
Die Angst vor den Migranten scheint durch sämtliche
Gesellschaftsschichten zu gehen.
Das ist verständlich, denn diese Herausforderung gab
es in dieser Form noch nicht. Unkenntnis und Überraschungen schaffen Unsicherheit, Verunsicherung führt
zu Ängsten – es ist daher eher die Angst vor dem Ungewissen als vor den Migranten, die sich verbreitet hat.
„Die jungen Männer, die zu uns flüchten,
streben ein unglaublich hohes Gut an:
Sie wollen eine Familie gründen.
Wenn das zu Hause möglich ist, bleiben
sie auch zu Hause“
Warum waren wir nicht vorbereitet?
Wir hatten über viele Jahrzehnte eine gewollte Arbeitsmigration mit steigenden Wanderbewegungen in der
EU. Die Anzahl von Asylsuchenden war dagegen sehr
gering. Heute haben wir massenweise Menschen, die
vornehmlich aus Afrika oder dem Mittleren Osten
fliehen, um sich ein besseres Leben zu ermöglichen.
Das war für Experten absehbar, aber in der Politik nicht
auf der Agenda. Deshalb ist dieses Thema in den
letzten Jahren so unglaublich hart aufgeschlagen.
Wovon hängen die möglichen Reaktionen ab?
Vom Umfang und von der Dauer des Andrangs sowie
vom Aufnahmewillen betroffener Staaten. Hier ist
anzumerken, dass der zeitweise unkontrollierte Strom
über die Grenzen das Vertrauen in die Handlungsfähig­
keit der Politik erheblich gestört, wenn nicht sogar
zerstört hat. Es wird unglaublich schwer sein, es wieder
aufzubauen.
24
19|2017
Wo sehen Sie den Vertrauensverlust?
Der Staat hat seine Kernaufgaben nur zum Teil erfüllt.
Diese sind die Aufrechterhaltung der inneren und
äußeren Sicherheit sowie eine gerechte Verteilung der
Güter im Inneren. Das Vertrauen darauf, dass der Staat
diese Aufgaben in vollem Umfang wahrnimmt, wurde
bei vielen erschüttert.
Wie kann das Vertrauen wieder gewonnen werden?
Indem glaubhaft gemacht wird, dass diese Missstände
nicht wieder auftreten. Eine Maßnahme wäre die Etablierung eines Verfahrens für geregelte Zuwanderung.
Gibt es Anzeichen, dass die EU eine Einigung zustande
bringt, samt ihren östlichen Mitgliedstaaten?
Ich gehe davon aus, dass die Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorgehens inzwischen von allen erkannt
wurde. Die bisherigen Positionen waren ja extrem und
miteinander unvereinbar. Da stand „Wir müssen alle
gleichmäßig und solidarisch verteilen“ gegen „Wir
nehmen überhaupt niemanden auf“. Ich sehe, dass
sich diese Positionen nun etwas aufweichen. Auch die
Visegrád-Staaten sind daran interessiert, in einen
Dialog zu treten. Es wird keinem erspart bleiben, das
Problem als europäische Herausforderung zu verstehen, die auf europäischer Ebene zu lösen ist. Ich bin
optimis­tisch, dass man dazugelernt hat und konstruktive Ansätze findet.
Viele Experten warnen davor, dass die eigentliche große
Zuzugswelle erst bevorsteht und aus Afrika kommen wird.
Afrika ist unser Nachbarkontinent, der Weg vieler
Afrikaner nach Europa ist vorgezeichnet. Der EU ist das
längst bewusst und sie ist zunehmend aktiv. So soll
durch ein Engagement in Mali den Ursachen massiver
Wanderbewegungen vor Ort begegnet werden. Für
den Migrationsbereich ist es wichtig, Libyen zu einem
funktionierenden Staatswesen zu verhelfen. Dabei ist
die EU-Unterstützung zum Aufbau einer handlungs­
fähigen Küstenwache ein entscheidender Baustein.
Ist Libyen handlungsfähig?
Wir haben die kuriose Situation, dass es in Libyen drei
Regierungen gibt. Eine im Osten, eine im Westen und
die unter UN-Vermittlung entstandene Einheitsregierung. Es funktioniert derzeit ansatzweise, aber es wird
mühsam sein, die Macht der Milizen einzudämmen.
Mit wie vielen Migranten aus Afrika rechnen Sie?
Laut UN-Prognosen wird die afrikanische Bevölkerung
bis 2050 von 1,2 auf 2,3 Milliarden Menschen anwachsen. Wenn sich nur drei Prozent von diesem Zuwachs
nach Europa aufmachen, dann wäre das etwa 1 Million
jährlich – nicht sofort, aber in steigender Anzahl.
Ist es eine schicksalhafte Bewegung, die einiges in unserer
Welt neu ordnen wird, oder man kann sie managen?
Schicksal ist nicht vorhersehbar, Migration schon.
Wenn Europa in seiner heutigen Form mit seinen hohen
Sozialstandards bestehen bleiben will, dann muss es
lernen, damit umzugehen.
„In den nächsten vier Jahrzehnten
werden allein in Nordafrika und
im Mittleren Osten 100 Millionen
neuer Jobs gebraucht“
Glauben Sie persönlich, dass das gelingt?
Wenn wir einen Zeithorizont von 20 bis 30 Jahren ansetzen, bin ich optimistisch, dass das gelingt. Wir
sollten ein ureigenes Interesse daran haben, dass unsere nächste und übernächste Generation in geordneten und sozial gesicherten Verhältnissen leben können. Dafür muss man aber den Problemursachen vor
Ort begegnen. Das sieht man in Ansätzen schon. Das
starke Engagement der EU in Mali zeigt, dass erkannt
wurde, worum es geht: Sicherheit und Entwicklung zu
fördern und damit Zukunftsperspektiven zu schaffen.
Sie halten das Engagement vor Ort für wichtiger und proaktiver als die Kontrolle der Außengrenzen?
Beides muss Hand in Hand gehen. Ohne geregelte
Zuwanderung nach Europa würden die diffizilen Sozial­
systeme bald kollabieren. Gleichzeitig ist es unverzichtbar, verträgliche Lebensbedingungen vor Ort zu
schaffen, damit dieser Druck, wegzugehen, abnimmt.
Wenn die Leute malträtiert und unterdrückt werden,
werden sie fliehen. Dazu kommen die wirtschaftlichen
Verhältnisse, wobei es da nicht um den großen Reichtum geht. Viele junge Männer, die zu uns flüchten,
streben ein unglaublich hohes Gut an: Sie wollen eine
Familie gründen. Wenn sie zu Hause ein Umfeld finden,
in dem das möglich ist, dann bleiben sie auch zu Hause.
Und wenn das nicht gelingt?
Eine Weltbank-Studie geht davon aus, dass in den
nächsten 40 Jahren allein in Nordafrika und im Mittleren
Osten bis zu 100 Millionen neuer Jobs benötigt werden.
Viele Frauen drängen auf den Arbeitsmarkt und die
Menschen arbeiten länger als früher. Nehmen wir
Ägypten: heute 85 Millionen Einwohner, in 30 Jahren
110 Millionen oder auch bis zu 150 Millionen. Was kann
dieses Land so vielen jungen Leuten bieten?
Warum ist Afrika, von den Voraussetzungen her ein reicher
Kontinent, anders aufgestellt als etwa der asiatische Raum?
Das gilt für eine ganze Reihe von Staaten. Was hindert
eine Gesellschaft im 21. Jahrhundert daran, politische
Systeme zu schaffen, die zur Unterstützung und nicht
zur Unterdrückung der Menschen da sind? Wo ist der
Vorteil der Globalisierung, wenn sie zu noch mehr
Repression führt? Der Kolonialismus mag eine Ursache
sein, aber nach so vielen Jahrzehnten genügt er nicht
mehr als hauptsächliche Erklärung.
Was wäre dann die Erklärung?
In vielen Teilen Afrikas stehen klientelistisches Elitendenken und Traditionen einer inklusiven gesellschaftlichen Entwicklung, die alle teilhaben lässt, entgegen.
Das lässt sich auch nicht von außen lösen ...
... wurde aber schon versucht?
Eine der wichtigsten Lehren aus dem Krisenmanagement lautet, dass man kein politisches System von
außen implementieren kann. Wenn es nicht von innen
gefordert, getragen und umgesetzt wird, nützen auch
hunderte Milliarden nichts. Die Veränderung
muss von innen kommen.
19|2017
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Österreich & Syrien in einer WG
Majida hat fertig!
„Angekommen!“ –
Österreich in Text und Ton
Projekt Fliehkraft
Nivin – eine von Millionen
Woher kommen sie, wohin gehen sie?
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19|2017
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Familie plus
Was alles geht, wenn man will. Besuch in einer
österreichisch-syrischen Wohngemeinschaft.
4444444444 Aufgezeichnet von Thomas Aistleitner
Fotos: Harold Naaijer
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in kleiner Ort, eine halbe Stunde westlich von Wien: In
St. Andrä-Wördern wohnen knapp 8000 Einwohner und
107 Flüchtlinge. Hier sind Yamen, 21, und Lujain, 14,
nach ihrer Flucht aus Syrien gelandet. Eine Flucht, die
vor vier Jahren begann und jetzt ein Ende gefunden hat.
Yamen und Lujain wohnen bei einer österreichischen
Familie, in einer Wohngemeinschaft zusammen mit
Miriam, 20, Felix, 18, und Max, 16. Die Eltern der drei,
Christine und Robert, wohnen einen Stock tiefer.
Christine
Physiotherapeutin
Wir haben gehört, dass unbegleitete Jugendliche in
unseren Ort kommen. Wir
konnten uns eine Patenschaft vorstellen, und ich ha­
be­ bei „Connecting People“
eine Ausbildung dafür gemacht. Ich habe in einem
Haus mit 16 Flüchtlingen
mitgeholfen. Dort habe ich
Yamen und Lujain kennengelernt. Syrer sind ja recht
schnell asylberechtigt. Die beiden sind aber lange
nicht drangekommen. Ich vermute, weil das Mädchen
noch so jung ist. Wir haben beantragt, dass Yamen für
sie erziehungs- und entscheidungsberechtigt wird. So habe
ich immer mehr Kontakt zu ihnen bekommen. Anders als ihr
Bruder hat Lujain nur subsidiären Schutz bekommen hat und
ist nicht asylberechtigt. Ich
denke, sie hat deshalb nur subsidiären Schutz, damit sie die Eltern nicht nachholen kann. Sie
wird wohl mit 18 Asyl bekommen, denn dann gibt es keine
Familienzusammenführung mehr.
Bis dahin sind wohl wir ihre Familie.
28
19|2017
Lujain
Ich ging in die zweite
Klasse Volksschule,
als der Krieg in Syrien begann und wir in die Türkei
flüchteten. Dort gab es keinen Unterricht für mich. Ich
konnte drei Jahre nicht in die Schule gehen. In Österreich bin ich in die dritte Klasse NMS eingestiegen. Das
war hart, es ist eine neue Sprache, eine neue Schrift,
eine neue Kultur. Aber ich lerne. Letztes Jahr gab es in
der Schule einen Deutschkurs, heuer leider nicht mehr.
Ich muss es selbst lernen. Nächstes Jahr werde ich in
die Oberstufe wechseln. Ich habe mir schon eine HLW
und ein BORG angeschaut.
Miriam
Wir sitzen manchmal zusammen und
lesen die Bescheide. Deutsch ist meine
Muttersprache und selbst ich verstehe
nicht, was da geschrieben steht. Und
dann bekommt Yamen diesen Bescheid,
und wir sitzen zu dritt oder zu viert dabei
und versuchen es zu verstehen. Was wäre,
wenn Yamen nicht bei uns wohnt, sondern
in einer Großunterkunft, und niemand
Deutschsprachigen an seiner Seite hat?
Yamen
Christine und Robert (Eltern);
Lujain, Miriam, Max, Yamen, Felix
(v. l.) und Mitbewohnerin Julia
Robert
Bankangestellter
Das sind Menschen,
die alles verloren haben. Sie sind von einem
relativ guten Status zu
Hause auf den unters­
ten sozialen Status gefallen. Aber die Menschenrechte sind so,
wie sie sind. Wir können nicht darauf warten, dass andere Staaten zu unserer Flüchtlingsquote aufschließen, bevor wir neue Flüchtlinge aufnehmen. Das ist einfach unvertretbar.
Die vielzitierte Spaltung der Gesellschaft zieht sich auch durch unseren
Ort. Wir haben seit vielen Jahren ein
Flüchtlingsheim, wir haben zivilgesellschaftliche Projekte. Und dann
klopft jemand an deine Tür und will
deine Unterschrift, weil zehn unbegleitete Minderjährige untergebracht
werden sollen. 1200 haben dagegen
unterschrieben. Eine horrende Zahl.
Wir sind aus Aleppo
geflüchtet. In der Stadt
Aleppo gibt es kaum
noch Schulen und sie
werden bombardiert.
Zuerst waren wir zweieinhalb Jahre mit den
Eltern in der Türkei. Wir
haben dort gearbeitet, aber ich konnte nicht studieren.
Vor 15 Monaten bin ich dann mit Lujain nach Öster­
reich gegangen – mit dem Zug, mit dem Auto, mit dem
Boot. Wir waren in einem Zelt in Traiskirchen unter­
gebracht. Nach einem Monat sind wir nach St. AndräWördern in ein Flüchtlingshaus gezogen. Dort haben
wir Christine kennengelernt. Ich habe einen unbefris­
teten Asylbescheid und meine Schwester Lujain hat
subsidiären Schutz bekommen.
Es ist sehr angenehm, hier zu wohnen. Ich lerne
weiterhin Deutsch. Deutsch ist nicht einfach, ganz anders als Englisch und schwerer zu lernen. A2 habe ich
geschafft, jetzt mache ich B1.
Felix
Als in unserem Haus der
Oberstock frei wurde,
war es für uns Kinder
klar, dass hier noch mehr
Leute wohnen können.
Wir wurden gefragt,
ob es für uns ein Problem
wäre, wenn Flüchtlinge
bei uns einziehen, und
wir haben alle gesagt:
Kein Problem.
Max
In meiner Schule, HTL-Oberstufe, gibt
es Leute, die sich in Deutsch schwertun. Für sie wurde extra ein Förderkurs eingerichtet. Und wenn es dann
nicht möglich ist, in einer Neuen
Mittelschule einen Deutschkurs für
Kinder, die geflüchtet sind, zu organisieren, dann sehe ich da schon ein
Problem in unserem Bildungssystem.
19|2017
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Majida hat fertig!
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Majida lernt nicht bloß. Sie saugt auf wie ein Schwamm.
Wir werden uns noch wundern, was alles gehen wird.
ie achtjährige Syrerin ist erst seit wenigen Monaten in
Österreich. Sie ist eines von 16.000 Flüchtlingskindern,
die seit Anfang 2015 an österreichischen Pflichtschulen
unterrichtet werden. Sie selbst ist seit Herbst 2016 in
der 1. Klasse. Deutschkenntnisse: keine. Jedenfalls
noch zu Schulbeginn im September.
Kurz nach Weihnachten betrachtet Majida ein
Bild im Schulbuch. Kinder fahren Autodrom. Darunter stehen Sätze, die als richtig oder falsch
zu kennzeichnen sind. „Mario rammt Lenas
Auto“, liest Majida. „Ja!“, ruft sie und kreuzt den
Satz an. „Laura ist im Auto mit der Nummer …“ –
„Vier“, sagt Majida und schreibt die Zahl hin.
„In einem Auto sind drei Dinosaurier.“ – „Nein.
Unsinn!“ Wird nicht angekreuzt.
Deutschpflicht für Lehrer
16.000 Kinder, das wären, gerechnet mit einer
Klassenschülerhöchstzahl von 25 Kindern, 640
„neue“ Schulklassen. Wegen der (noch) sinkenden Schülerzahlen hat durch sie nicht so sehr
die absolute Zahl der Schülerinnen und Schüler
zugenommen. Aber die der Kinder mit nichtdeutscher Erstsprache – schon bisher bundes-
30
19|2017
weit mehr als 20 %, in Wien fast schon 50 % – ist noch
einmal sprunghaft angestiegen. Jetzt rächt sich, dass
eine langjährige Rotkreuz-Forderung noch immer
nicht umgesetzt ist: Das Fach „Deutsch als Zweitsprache /Deutsch als Fremdsprache“ (DaZ/DaF) muss in der
Pädagogen-Ausbildung zum Pflichtfach werden.
Einschulung von Kindern und Jugendlichen,
die in Österreich um Asyl ansuchten
Jänner 2015 bis Juni 2016
Salzburg 498
Steiermark 1.913
3,5 %
Oberösterreich 2.085
13,4 %
Tirol 1.185
14,6 %
8,3 %
Vorarlberg 780
5,5 %
23,7 %
Niederösterreich 3.376
22,7 %
Wien 3.236
5,3 %
2,8 %
Kärnten 761
Burgenland 399
Quelle: BMB; eigene Darstellung
Übersetzerin für die Eltern
Das Mädchen baut sich mit der gelösten Aufgabe vor
ihrer Lehrerin auf: „Ich habe fertig!“ Ihr Wortschatz ist
noch beschränkt, die Grammatik holpert. Aber darauf
kommt es jetzt noch nicht an. Majida kann sich bereits
nach rund vier Schulmonaten verständlich ausdrücken.
Sie übersetzt außerdem für andere arabische Kinder in
der Klasse – und für ihre Eltern, zum Beispiel Elternbriefe. „Mama, Papa kann nicht lesen. Wo unterschreiben?“, fragt sie dann.
Als „aufgeschlossen, ehrgeizig, selbstständig, offen,
neugierig, wissbegierig, motiviert“ beschreibt ihre
Lehrerin das Mädchen. Die Klasse hat einen Lesepaten,
und auch er ist erklärtes Ziel von Majida. Mit den
Worten: „Ich kann lesen. Aber ich kann nix verstehen“,
fordert sie von ihm Erklärungen ein, wenn sich ihr der
Sinn eines Wortes oder Satzes nicht erschließt.
Viele sind ohne Qualifikation
Über welche Qualifikationen die Flüchtlinge verfügen,
die seit Sommer 2015 nach Österreich gekommen sind
und wahrscheinlich Bleiberecht erhalten, darüber
herrscht nach wie vor Unklarheit, jedenfalls in der Öffentlichkeit. Ein bemerkenswerter Satz von Vizekanzler
Reinhold Mitterlehner in der ORF-Sendung „Im Zen-
Syrerin Majida: „Aufgeschlossen, wissbegierig, motiviert“
trum“ Mitte Jänner deutet aber eher Unerfreuliches an:
„90 Prozent haben keine Mindestqualifikation, was die
Arbeit anbelangt.“
Bei 34 Prozent dieser Flüchtlinge, zumindest das ist
sicher, ist das aus einem einfachen Grund der Fall: weil
sie noch im Schulalter sind. Nicht alle sind so aufgeschlossen und ehrgeizig wie Majida. Nicht jede Klasse
verfügt über so engagierte Pädagoginnen. Es fehlt an
Personal, das die Lehrerinnen und Lehrer unterstützt,
und an Material. Die Kinder brauchen außerdem nicht
nur Deutschkenntnisse. Sondern auch Bildung, die sich
am europäischen Menschenbild orientiert.
Trotzdem: Dass Kinder in denselben Kreislauf aus
niedriger Bildung und Arbeitslosigkeit geraten wie ihre
Eltern, kann die Schule maßgeblich verhindern.
Was Kinder wie Majida betrifft, werden wir uns
jedenfalls noch wundern,
Hallo
was alles gehen wird.
Hal
lo Öste
Mein Steckbrief
My Profile
Heft
Nr. 01/
Mai
2016
Heft Nr. 02/ Oktober 2016
Österreich!
‫ِﻣﻠَﻔﱢﻲ اﻟﺸﱠ ﺨ ِْﴢ‬
‫ ﻣﻦ‬CV
Das Rote Kreuz unterstützt das Bildungssystem
durch seine komplementären Lernprogramme
mit Personal und Material.
LERNHILFE Pädagoginnen und Pädagogen
werden stundenweise bezahlt,
um mit Schülerinnen und Schülern
an ihrem Schulstandort am
Nachmittag zu lernen.
LESEPATINNEN Freiwillige Lesepatinnen und
Lesepaten lesen und lernen mit
Schulkindern unter Anleitung des
Lehrpersonals direkt in ihrer Klasse.
Hallo
Schwim
men
Learning lern
en
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‫اﻟﺴﺒﺎﺣﺔ‬
‫ﺗﻌﻠﻢﮔﯿﺮی ﺷﻨﺎ‬
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Viele Sprachen – eine Schule
Viele
VIELE SPRACHEN, ZWEI MAGAZINE
Spra
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Die mehrsprachige Schülerzeitschrift Trio, herausgegeben vom Bildungsministerium mit Unterstützung durch
den Stadtschulrat Wien, unterstützt seit 2006 den
Unterricht in mehrsprachigen Klassen mit Texten auf
Deutsch, Bosnisch/Kroatisch/Serbisch und Türkisch.
So sollen alle Kinder in mehrsprachigen Klassen
Fortschritte auf Deutsch machen, ohne ihre
Muttersprache zu „vergessen“.
Seit 2016 geben Rotes Kreuz und Jugendrotkreuz
die Zeitschrift „Trio – Hallo Öster­reich!“ heraus.
Darin erscheinen Texte über Österreich und das
Zusammenleben – für Schulklassen, in denen
geflüchtete Kinder lernen (siehe S. 33).
Texte für die 2. bis 6. Schulstufe
Auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Dari
Download: Texte auf Englisch, Arabisch und Dari
Dow
LERNHÄUSER Spitzenpädagogik für Schulkinder
aus bildungsfernen Familien am
Nachmittag, fünfmal die Woche.
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„Sie sind in Österreich!“
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So beginnt die vielleicht am meisten verbreitete
Information für alle „Angekommenen“ in Österreich.
ie grüßt man in Österreich? Welches Wasser kann man
trinken? Muss ein Kind in den Kindergarten gehen?
Dinge, die vielleicht jedes Kind in Österreich weiß,
sind für Menschen, die „neu hier“ sind, mitunter nicht
so selbstverständlich. Tägliche Missverständnisse zeigen, wie wichtig das Wissen um
Verhalten und Regeln im Land ist. Damit
auch Flüchtlinge die Gepflogen­heiten
und Umgangsformen lernen, hat
das Österreichi­sche Rote Kreuz
einen Taschenratgeber mit dem
Titel „Angekommen!“, der all das
erklären soll, herausgegeben.
Audio auf der Website
In dem Ratgeber findet man Fragen,
die sich Menschen auf der Flucht stellen,
wenn sie in Österreich angekommen sind –
und die Antworten darauf. 148 Seiten in vier Sprachen
(Deutsch, Englisch, Arabisch und Dari) umfasst das
Handbuch. Auf der Website www.angekommen.online
kann man sich die Fragen und Antworten des Ratgebers in den vier Sprachen auch vorlesen lassen.
Die Broschüre klärt über Rechte und Pflichten auf,
über das Bildungs-, Gesundheits- und Asylwesen. Sie
Text und Ton auf www.angekommen.online
erklärt auch, wann Kinder in der Schule
fehlen dürfen und wo es in Österreich
„Halal“-Fleisch zu kaufen gibt.
„Der Leitfaden ist als Handreichung zu verstehen.
Flüchtlinge sollen verstehen, wie Österreich tickt“,
sagt Gerald Schöpfer, Präsident des Österreichischen
Roten Kreuzes, das diesen Integrationsratgeber mit
Unterstützung vonseiten der ORF-Initiative „Helfen.
Wie wir.“ herausgegeben hat.
Gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Integrationsexperte Prof. Heinz Faßmann, der die inhaltliche Überprüfung des „Flüchtlings-Knigge“ übernommen hat, stellte bei der Präsentation dann auch
klar: „Hilfe bei der Integration trägt dazu bei, die Entstehung von Parallelgesellschaften zu vermeiden, und
von gut integrierten Zuwanderern profitiert auch die
Aufnahmegesellschaft. Integration ist aber immer ei­ne
gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
„Wie begegne
Sie kann nicht nur von den Asylwerich Frauen?“ –
bern erbracht werden, dazu braucht
Antwort in vier
Sprachen
es auch die Mehrheitsbevölkerung.“
32
19|2017
Starke Nachfrage
Die Nachfrage war von Anfang
an stark. „Angekommen! – Fragen und Antworten zum Leben
in Österreich“ wurde zum meistverbreiteten Medium für Flüchtlinge. Daher ging die Broschüre
in die 2. Auflage. 110.000 ExemVerstehen, wie
Österreich tickt:
plare wurden verteilt, inzwischen
mit dem Ratgeber
ist sie vergriffen.
„Angekommen“
Die Website mit allen Fragen und
Antworten zum Lesen und Anhören auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Dari ist für Smartphones
optimiert: www.angekommen.online
Hallo
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Mai 2016
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rio – Hallo Österreich!“ heißt die mehrsprachige
Kinderzeitschrift, die Österreichisches Rotes Kreuz
und Österreichisches Jugendrotkreuz entwickelt
haben. Auf 40 Seiten gibt es Infos, Rätsel und Artikel
auf Deutsch und Englisch über Österreich, aber auch
über die Herkunftsländer geflüchteter Kinder. Einige
Texte sind auf Arabisch und Dari verfügbar. Ein Downloadpaket bringt Übersetzungen.
„Trio – Hallo Österreich!“ hilft beim Deutschlernen
und ist für den gemeinsamen Unterricht in Klassen
mit mehreren Muttersprachen geeignet.
Eine Evaluierung unter den bestellenden Schulen
ergab eine hohe Zufriedenheit mit den Zeitschriften.
Deshalb erscheint im April 2017 die bereits
dritte Ausgabe von „Trio – Hallo Österreich!“.
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Heft Nr.
02/
Die multilinguale Kinderzeitschrift des Roten Kreuzes.
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Hallo Österreich!
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19|2017
33
Logbuch Fliehkraft
F
44444444444 Beate Leyrer
lucht ist ein Begriff, der uns auf unterschiedlichen Ebenen berührt. Wir sehen die Bilder in den Medien. Viele
von uns haben in den letzten beiden Jahren Kontakt zu
geflüchteten Menschen gehabt. Andererseits werden
Erinnerungen aus der eigenen Familie wach, in der es
Erzählungen von Menschen gibt, die zu anderen Zeiten
ebenso fliehen mussten.
Sie alle werden von der „Fliehkraft“ geleitet. Sie
sollte unserem Projekt den Namen geben.
Syrische Juge
34
19|2017
nd
liche erzählen
Ein Kunstprojekt mit Schülern und
Geflüchteten.
Im letzten Schuljahr haben wir mit den Kindern der
Privatschule KreaMont in St. Andrä-Wördern in Nieder­
österreich am Projekt Fliehkraft gearbeitet.
Als ob wir die Entwicklungen des Herbstes 2015
geahnt hätten, in dem unzählige Flüchtende die österreichische Grenze passierten, hatten wir unser Projekt
schon Monate vorher beim Mostviertel-Festival eingereicht, wo es auch ausgewählt wurde.
Aus der eigenen Familiengeschichte
Die Uroma
Der Bau des Floßes
Die Fluchtgeschichten werden auf dem Floß gesammelt
Der letzte Schliff vor der Überfahrt
Die Kinder waren aufgerufen, ihre Familienmitglieder
zu fragen, ob es Fluchterfahrungen in der Familie gibt.
In einer zweiten Phase wurden Interviews mit Menschen geführt, die gerade nach Österreich geflüchtet
sind. Gertrud Birgfellner hat diese Interviews mit den
Kindern zu einem „Logbuch Fliehkraft“ verarbeitet.
Die lebensgefährliche Überfahrt vieler Flüchtlinge
über das Mittelmeer hat als Inspiration gedient, unser
Floß am Donau-Altarm in Greifenstein als Symbol für
ein Flüchtlingsboot zu verwenden. Es wurde künstlerisch gestaltet und mit dem Logbuch des Projektes
sowie Büchern zum Thema Flucht ausgestattet.
Mitten am sicheren Altarm können die Kinder ein
Stück hinausfahren und nachspüren, wie das Mittelmeer, das wir nur als Urlaubsort kennen, zu einem Ort
der Sehnsucht, der Hoffnung, aber auch der Gefahr
und des Untergangs werden kann.
PROJEKT FLIEHKRAFT
Gertrud Birgfellner
Silvia Both
Beate Leyrer
Stefan Novak
Kinder der Sekundaria der
Privatschule KreaMont
19|2017
35
FLIEHKRAFT-ERFAHRUNGEN
Die Schüler haben über mehrere Monate Lebensgeschichten
gesammelt, aufgeschrieben und künstlerisch bearbeitet. Alle
Geschichten verband, dass sie von Menschen erzählt wurden,
die in Not ihre Heimat verlassen mussten und flüchteten.
Die ältesten Geschichten stammen aus der Zeit des Zweiten
Weltkriegs. Am Donaualtarm in Greifenstein, Niederösterreich,
können Passanten am selbst gebauten Floß diese Geschichten
lesen und dabei gedanklich zu neuen Ufern übersetzen.
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19|2017
19|2017
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Eine von Millionen
44444444444 von Stefan Müller
N
38
„Go out, this is Vienna!“ Nivin findet ihr zweites
Leben in Wien. Global gesehen sind internationale
Flüchtlinge eine sehr kleine Gruppe.
ivin Al Haddad lächelt gerne. Nur wenn sie über ihre
Flucht spricht, merkt man ihr an, was sie mit ihren 25
Jahren durchmachen musste und wie nahe es ihr geht.
An die Worte des Mannes, der sie am Ende ihrer
Odyssee mit dem Auto nach Österreich brachte, erinnert sich Nivin genau. „Go out, this is Vienna. Bye.“
Da stand sie nun, mit ihrer Schwester. Weit weg von
zu Hause, in einem Land, das sie nicht kannte. An diesem Tag begann ihr Leben zum zweiten Mal.
Die Syrerin, geboren in Daraa, ist eine von vielen.
Eine von Millionen, die im Jahr 2015 ihre Heimat ver­
lassen mussten, weil ihr Leben in Gefahr war. In der
Öffentlichkeit rief die Zahl von Asylsuchenden eine
Debatte hervor, in der von Flüchtlingswellen die Rede
war, die den sozialen Frieden gefährden. Ist das so?
rung wächst. Die Zunahme erfolgt parallel.“ Der
36-jährige Engländer ist selbst ein Grenzgänger. Er ist
Migrationsforscher, lehrt als Professor in Shanghai
und ist am Institut für Demografie der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften tätig.
Bis zum Jahr 2000 gab es keine weltweite Erhebung
von Migrationsdaten. Dann haben Weltbank und UNO
Zahlen veröffentlicht, wie viele Menschen außerhalb
ihres Geburtslandes leben. Mit statistischen Methoden haben Guy Abel und seine Kollegin Nikola Sander
verglichen, wie sich diese Daten je nach Land und Kontinent in Fünfjahresabständen seit 1990 verändert haben. Somit konnten erstmals Migrationsbewegungen
abgebildet werden. 2014 veröffentlichten die beiden
ihre Ergebnisse im Wissenschaftsmagazin „Science“.
Nimmt Migration zu?
Peak in den Neunzigern
Das größte Missverständnis, sagt Guy Abel, sei der
Glaube, dass nur die Migration ständig zunehme. „Es
gibt zwar mehr Migranten, aber auch die Weltbevölke-
Die größten Bevölkerungsbewegungen gab es in den
frühen Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts. Die
Sowjetunion war gerade kollabiert, Jugoslawien zerfiel
19|2017
und es tobten Konflikte in Ruanda und Kuwait. Viele
Menschen aus Südostasien, Indien oder Pakistan zogen
in Golfstaaten, um dort zu arbeiten. Zwischen 1990
und 1995 emigrierten 41,5 Millionen Menschen.
Im folgenden Intervall waren es sieben Millionen weniger, bevor der Wert wieder anstieg und von 2005 bis
2010 erneut 41,5 Millionen erreichte. Gemessen an der
Erdbevölkerung sank der Anteil der Migranten pro
Fünfjahresintervall damit von 0,75 auf 0,61 Prozent.
Von arm nach weniger arm
Natürlich wandern die Menschen vorwiegend von weniger stabilen in stabilere Länder mit stärkerer Wirtschaftsleistung. Allerdings weniger aus den ärmsten
Ländern direkt in die reichsten Länder. Der Trend
zeigte, dass Auswanderer die Einkommensleiter Stufe
für Stufe hochsteigen. Menschen aus Indonesien gehen nach Malaysia, die Malaysier ins reichere Singapur.
Wanderungsbewegungen in Afrika südlich der Sahara finden vorwiegend in der Region statt. Auch die
Migration von Süd- nach Westasien war überraschend
stark. Fasst man Zu- und Abwanderung zwischen 2005
„Im globalen
Kontext ist
Migration kein
unermessliches
Problem“
Guy Abel
und 2010 zusammen, sind die USA mit einem Plus von
fünf Millionen Personen nach wie vor Einwanderungsland Nummer eins, gefolgt von den Vereinigten Arabischen Emiraten (+ 3 Mio.), Spanien (+ 2,2 Mio.) und
Italien (+ 2 Mio.). Die Länder mit den größten Nettoverlusten sind Indien (– 2,9 Mio.), Pakistan (– 2 Mio.) und
China (– 1,8 Mio.).
Und in Europa?
Die Migration in Europa ist vielschichtig: Die größte
Gruppe resultiert aus der Freizügigkeit innerhalb der
EU. Flüchtlinge waren bis vor Kurzem eine relativ kleine Gruppe. „Die Wirtschafts-Migranten sind weniger
geworden, dafür hat sich die Anzahl von unter Zwang
Vertriebenen erhöht“, sagt Abel. In Österreich rief das
Ängste hervor. Nivin Al Haddad hat sogar Verständnis
dafür. „Bis zu einem gewissen Grad haben die Menschen das Recht, sich zu fürchten. Sie haben noch nie
etwas von Syrien gehört und hart gearbeitet, um dieses Land aufzubauen. Aber wir Flüchtlinge haben auch
Rechte. Beide Seiten sollten eine gute Lösung finden,
um das Beste aus der Situation zu machen.“
Nivin stammt aus einer Familie der Mittelschicht,
studierte Politik und Wirtschaft in Damaskus, engagierte sich für den Roten Halbmond und wurde dann
Medienbetreuerin für die HIlfsorganisation. Sie floh
über Beirut in die Türkei und auf einem Boot nach Griechenland. Die Zustände in einem überfüllten Lager auf
Kos seien schlimm gewesen. Über die „Balkanroute“
schlug sie sich bis nach Wien durch.
Welchen Einfluss hat das Klima?
Bis Ende 2015 hat das Österreichische Rote Kreuz
650.000 Menschen, die auf der Suche nach Schutz ins
Land gekommen sind, versorgt und unterstützt. Mit
Oktober 2016 hat Österreich etwa 80.000 Flüchtlinge
aufgenommen. Ein Zuwachs von einem Prozent der
Gesamtbevölkerung „Wir sind zuversichtlich, dass die
staatlichen Systeme dafür leistungsfähig genug sind“,
sagt Rotkreuz-Generalsekretär Werner Kerschbaum.
In einem Forschungsprojekt mit der Wirtschaftsuniversität Wien untersucht Guy Abel derzeit, ob es eine
Verbindung zwischen Flüchtlingsbewegungen und
dem Klimawandel gibt. Konkret gehen die Forscher in
dem Projekt der Frage nach, ob geringer Niederschlag
und Missernten zum Aufstand in Syrien beigetragen
haben. „Wir versuchen, das zu quantifizieren.“
Zwei Drittel der rund 65 Millionen Menschen auf der
Flucht sind intern Vertriebene. Nur 20 Millionen verlassen ihr Herkunftsland. „Das ist ein sehr kleiner Teil der
Weltbevölkerung“, sagt Guy Abel. „Die Leute sollten
das im Kopf behalten. Migration ist kein unermessli­
ches Problem, wenn man im globalen Kontext darüber
nachdenkt.“
Nivin will zurück
Wenn sich die Lage in Syrien beruhigt hat, will Nivin zurückkehren. Sie vermisst die Familie und ihre Eltern.
Sie arbeitet tageweise in der Migrationsabteilung des
Roten Kreuzes, spricht in Schulen über ihre Geschichte
und will wieder studieren.
Schlechte Erfahrungen in ihrem Gastland hat Nivin
noch keine gemacht. Vielleicht liegt das auch daran,
dass sie jung ist, fließend Deutsch spricht und gerne
lächelt. Sich in eine fremde Gesellschaft zu integrieren
ist nicht leicht, aber es lohnt sich.
Wenn Nivin eines Tages nach Syrien zurückkehren
sollte, wird sie eine zweite Heimat gewonnen
haben: Österreich.
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39
Woher und wohin
Aus welchen Ländern Fluchtbewegungen
kommen und welche Wege sie gehen.
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10
20
30
40
50
60
70
80
65,3
Millionen
Millionen
Menschen auf der Flucht weltweit
21,3
Millionen
Flüchtlinge unter UNHCR-Mandat
10
Millionen
staatenlose Menschen
107.000
resettled (in Drittstaaten angesiedelt)
Wo sich Geflüchtete aufhalten
12 %
Nord- und
Südamerika
53 %
aller Flüchtlinge kommen
aus drei Staaten
29 %
Afrika
6 %
SYRIEN
Europa
4,79 Millionen
AFGHANISTAN
2,7 Millionen
SOMALIA
1,1 Millionen
39 %
Mittlerer Osten
und Nordafrika
40
19|2017
14 %
Asien und
pazifischer Raum
Asylanträge in Österreich 2016 nach Staatsangehörigkeit
11.289
Afghanistan
Syrien
8.227
Irak
2.655
2.366
Iran
Afghanistan
Pakistan
11.289
2.320
Nigeria
Syrien
1.717
Somalia
Irak
1.470
8.227
2.366
Iran
1.446
Russische Föderation
Marokko
Pakistan
1.007
Algerien
Nigeria
961
2.320
Pakistan
1,6 Millionen
Libanon
1,1 Millionen
1.717
Somalia
Russische Föderation
Top-Aufnahmestaaten weltweit
2.655
36.216
1.470
Iran
979.400
1.446
Marokko
1.007
Algerien
961
36.216
Äthiopien
736.100
Türkei
2,7 Millionen
Jordanien
664.100
Europäische Union gesamt (28 Länder)
davon in:
755.770
420.080
Deutschland
Asylentscheidungen
in der
EU Jänner bis September 2016
67.555
Italien
Europäische Union Frankreich
gesamt (28 Länder)
davon in:
Schweden
63.310
755.770
57.395
420.080
Deutschland
Österreich
29.065
Niederlande
67.555
Italien
24.175
63.310
Frankreich
Griechenland
7.610
57.395
Schweden
Österreich
Niederlande
Griechenland
29.065
24.175
7.610
Jeden Tag ...
... verlassen 33.972 Menschen weltweit ihre Heime wegen Krieg und Verfolgung.
19|2017
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Florian Klenk vs. Christian Ortner
Die Rolle der Zivilgesellschaft
Arbeitsmarkt: Was können sie?
Johannes Kopf: „Wie schnell würden
Sie Arabisch lernen?“
42
19|2017
19|2017
43
„Das Märchen
ist geplatzt“
Die Flüchtlingsbewegung des Jahres 2015 hat nicht
nur die Bevölkerung gespalten, sondern auch die Medien.
Gibt es eine „Willkommenskultur“?
Oder wurde uns bewusst die Unwahrheit erzählt?
E
4444444444444 Interview: Thomas Aistleitner und Robert Dempfer
nde August 2015 setzt das deutsche Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge (BaMF) einen folgenreichen
Tweet ab: „Dublin-Verfahren syrischer Staatsangehöriger werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt von uns
weitestgehend faktisch nicht weiter verfolgt.“
Die Einladung nach Deutschland verbreitet sich wie
ein Lauffeuer. Tausende Flüchtlinge brechen zuerst in
Richtung Österreich auf – auch jene, die um den Budapester Bahnhof Keleti lagern. Von hier aus fahren die
meisten in Sonderzügen der ÖBB nach Deutschland
weiter. Bis zur Schließung der Balkanroute werden es
Hunderttausende sein.
Dr. Florian Klenk ist Chefredakteur des Wochenmagazins „Falter“ und Österreichs „Journalist des Jahres
2016“, Christian Ortner ist einer der einflussreichsten
Kommentatoren Österreichs und Herausgeber von
ortneronline.at, dem „Zentralorgan des Neoliberalismus“. Im Gespräch erinnern sie sich an die Ereignisse
im Herbst 2015 und ihre Rezeption in den Medien.
henri: Im Jahr 2015 wurde Flüchtlingen auf Österreichs
Bahnhöfen applaudiert. Was ist von dieser „Willkommenskultur“ geblieben?
FLORIAN KLENK: Die Menschen haben ja nicht applaudiert, weil sie naiv sind. Sondern vor Erleichterung,
dass das ungarische Missmanagement ein Ende hatte.
CHRISTIAN ORTNER: Ich war damals am Bahnhof
Keleti. Szenen wie dort hatte ich außerhalb des Nahen
Ostens noch nicht gesehen. Bis dahin war die Entscheidung der Bundesregierung, diese Menschen aufzunehmen, richtig. Der Fehler war, dann nicht zu sagen: Das
ist eine einmalige humanitäre Maßnahme. Aber jetzt
müssen wieder gesetzmäßige Zustände herrschen.
Die Medien sagten: Wir brauchen diese Menschen. Sie sind
gut ausgebildet, werden künftig unsere Pensionen zahlen.
44
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KLENK: Wir haben geschrieben, dass unter den Sy­rern
eine relativ hohe Anzahl gut qualifizierter Leute ist,
aber unter den Afghanen ein relativ hoher Anteil
schlecht qualifizierter. Ich selbst habe geschrieben,
dass wir uns keine Märchen erzählen sollten.
Mercedes-Chef Dieter Zetsche hat das anders gesehen.
ORTNER: Ja, nur hat der Chef eines Weltkonzerns mit
250.000 Angestellten bisher keinen einzigen Flüchtling
angestellt. Dieses Märchen ist geplatzt. Die zweite
Lüge war: Das wird alles nichts kosten, sondern daraus
wird ein kleines Wirtschaftswunder. Heute wissen wir:
Das wird Österreich zwei, drei Milliarden Euro pro Jahr
kos­ten, denen keine Gegenleistung gegenübersteht.
Haben uns die Medien angelogen?
ORTNER: Ich war an dem Sonntag in Nickelsdorf, als
12.000 Menschen über die Grenze gekommen und
weitertransportiert worden sind. Ich habe in diesen
Zügen fast ausschließlich junge Männer gesehen, nur
vereinzelt Frauen und Kinder. Die Bilder in den Medien
am nächsten Tag haben Frauen gezeigt, die kleine
Kinder gehalten haben. Mich wundert nicht, dass der
österreichische Medienkonsument uns Journalisten
heute nicht mehr so vertraut. Die Leute haben zu Recht
das Gefühl, sie sind angelogen worden.
Der ORF-Generaldirektor hat damals gemeint, der Sender
wäre jetzt Teil einer nationalen Kraftanstrengung.
KLENK: Aber welcher Kraftanstrengung? Was im
Herbst 2015 passiert ist, war ja nicht Einwanderungspolitik, sondern Katastrophenmanagement. Weil das
Innenministerium nicht fähig war, für ein paar tausend
Leute Betten zu organisieren.
Dürfen sich Medien in Katastrophen engagieren?
ORTNER: Journalismus darf sich nicht gemein machen,
nicht mit der richtigen Sache, nicht mit der guten
Sache. Die meisten unserer Kollegen haben es im
Herbst 2015 aber so gehalten.
KLENK: Das kann man lange diskutieren. Aber gerade
der ORF ist mehr als ein journalistisches Medium. Er ist
auch eine mediale Plattform, die er hin und wieder
dafür nutzen kann, Hilfsbedürftigen Hilfe zukommen
zu lassen. Das darf aber nicht auf die Berichterstattung
wirken. Etwa so, dass die „Zeit im Bild“ nicht über eine
Vergewaltigung durch Flüchtlinge berichten kann.
Umgekehrt sollte er auch über Vergewaltigungen berichten, die an Flüchtlingen begangen werden.
In Deutschland hat ein Flüchtling ein 17-Jähriges Mädchen
vergewaltigt und ermordet. Das Fernsehen hat darüber erst
berichtet, als es schon in der „New York Times“ gestanden ist.
„Wenn man Menschen importiert,
importiert man auch Kriminelle“
KLENK: Eine Fehlleistung. Selbstverständlich ist das
zu berichten!
Herr Ortner hat geschrieben: Ohne die Flüchtlingspolitik
der Frau Merkel wäre dieses Mädchen noch am Leben.
ORTNER: Dass ein junger Afghane nicht nach
Deutschland einreisen hätte können, wenn die EUAußengrenzen so geschützt wären, wie das gesetzlich
geregelt ist, das ist logisch zwingend. Darüber kann
man nicht debattieren. Man kann nur sagen: Ich will
das nicht sehen, ich will das nicht hören. Gegen
Emotio­nen helfen Argumente nicht, wie wir wissen.
Sie haben auch prophezeit, dass ein gewisser Prozentsatz
der Flüchtlinge kriminell sein wird.
ORTNER: Wenn man Menschen importiert, importiert
man zwangsläufig auch Kriminelle.
KLENK: Laut den Anzeigenstatistiken hat die Flüchtlingskrise nicht dazu geführt, dass es mehr Kriminalität gibt. Es gibt natürlich mehr, weil es mehr Leute gibt.
Aber wir haben nicht Kriminelle importiert.
ORTNER: Wenn man eine große Anzahl an Menschen
hereinlässt, dann ist darunter zwangsläufig eine ge-
„Wenn wir 80.000 Kinder zeugen, werden
wir auch Kriminelle zeugen“
wisse Anzahl von Kriminellen. Es wird zum hier vorhandenen Kriminalitätsstock Kriminalität aufgestockt.
Die Kriminalität wird also mehr.
KLENK: Wenn wir pro Jahr 80.000 Kinder zeugen,
werden wir auch Kriminelle zeugen. Deswegen werden
wir aber nicht dafür eintreten, dass keine Kinder mehr
gezeugt werden.
ORTNER: Wenn wir Kinder zeugen, haben wir einen
Nutzen davon. Das gilt für den Import von Menschen
aus Afghanistan, Syrien und dem Irak nicht. Laut einer
parlamentarischen Anfrage ist die Zahl der Sexualdelikte in den ersten sechs Monaten 2016 um 131 Prozent
gestiegen.
Was heißt das in absoluten Zahlen?
ORTNER: Es ist ein Anstieg von 131 Prozent, das reicht
ja wohl. Hätte man die Entwicklung nicht zugelassen,
19|2017
45
Neonazi-Szene und im Vergleich zu Deutschland eine
kleine Salafistenszene.
Sie haben geschrieben: „Das Sommermärchen wärmt nur
die Herzen einer kleinen hilfsbereiten Elite.“ Wie passen die
Wahlergebnisse seither dazu?
KLENK: In der Tat haben sowohl die Wiener Gemeinderatswahl als auch die Wahl zum Bundespräsidenten
jene Kandidaten deutlich gewonnen, die sich für eine
humanitäre Flüchtlingspolitik ausgesprochen haben.
Schlussfolgerung: Die „Willkommenskultur“ ist mehrheitsfähig?
KLENK: Die Leute wollten, was passiert ist, sonst hät-
„Hätte die AfD ohne Willkommenspolitik
heute 13 Prozent?“
ten sie Norbert Hofer gewählt, und den haben sie ja
gerade nicht gewählt. Ich glaube nicht, dass die Bevölkerung ein Problem damit hat, dass in einem Ausnahmejahr 80.000 Menschen kommen, also ein Prozent
der Bevölkerung. Aber sie hat ein Problem damit, wenn
es das Innenministerium nicht zustande bringt, denen
ein Quartier zu vermitteln.
wäre auch diese junge Frau am Wiener Praterstern
nicht vergewaltigt worden.
KLENK: Das ist mir zu polemisch.
ORTNER: Was ist falsch daran?
KLENK: Es ist, als ob ich sagen würde: Wenn ich heute
das Autofahren verbiete, dann fahren alle mit dem Zug,
und es gibt weniger Verkehrstote.
ORTNER: Das Autofahren finden wir nützlich. Deshalb
sind wir bereit, Probleme damit in Kauf zu nehmen.
Dass ein unbegleiteter 17-jähriger Afghane zu uns
kommt, der mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Recht
auf Asyl hat, davon hat in Österreich niemand
etwas. Hätten wir davon etwas, würde ich sagen: Gut,
dafür müssen wir eben gewisse Nebenwirkungen in
Kauf nehmen.
Ist eine Nebenwirkung der Berichterstattung, dass in
Euro­pa Rechtspopulisten Aufschwung haben?
KLENK: Sie haben nicht Aufschwung, weil die Medien
falsch berichtet haben. Sie sind so präsent, weil sie in
den Einwanderern ein Feindbild sehen. Ich lese jeden
Tag Straches Facebook-Site. Das ist Counterdschihad.
Das funktioniert wie auf den Websites der Islamisten:
Es werden Gefahren von innen und außen beschworen
und ein Bürgerkriegsszenario, gegen das wir aufstehen müssen.
ORTNER: Glauben Sie wirklich, dass ohne die Willkommenspolitik die AfD heute 13 Prozent hätte?
KLENK: Natürlich ist das eine Reaktion. Man kann
aber auch sagen: Willkommenspolitik ist, dass wir keine Pegida-Demonstrationen und keine brennenden
Flüchtlingsheime haben, obwohl wir 80.000 Flüchtlinge aufgenommen haben. Wir haben keine offene
46
19|2017
„Die Wahlen haben die gewonnen, die sich
für eine humanitäre Flüchtlingspolitik
ausgesprochen haben“
ORTNER: Die Österreicher sind weder besonders
xenophob noch besonders ausländerfeindlich. Ich
glaube, da sind wir uns einig. Was sie nicht wollen, ist
ein ganz bestimmter Typus von Einwanderern. Es ist
eben ein großer Unterschied, ob 80.000 Japaner hierherkommen oder 80.000 Menschen aus einer Kultur,
die frauenverachtend und gewaltaffin ist. Deswegen
bringt uns der Begriff Ausländer überhaupt nicht weiter. Und Begriffe wie xenophob oder ausländerfeindlich führen zu keinerlei Erkenntnis.
„Wie ein Aufatmen“
2015 war das Jahr von Parndorf und
dem Budapester Bahnhof – aber auch
der Zivilgesellschaft. Wie blicken
Caritas, Diakonie und Rotes Kreuz
auf die Ereignisse und die Folgen?
444444444444444444 Interview: Thomas Aistleitner und Robert Dempfer
„Willkommenskultur“
War es richtig, die Grenzen zu öffnen?
BERND WACHTER: In Österreich ist der Regierung
nach einigen Monaten der Mut abhandengekommen.
Dadurch hat die Glaubwürdigkeit der Politik und von
Organisationen wie uns gelitten. Es gab einen massi­ven
Vertrauensschwund. Natürlich möchte ich, möchten
wohl die meisten Österreicher in einem Land leben,
das eine „Willkommenskultur“ hat. Diesen Begriff zu
verdrehen und als „Unwert“ darzustellen war eine politische Meisterleistung, auf die niemand stolz sein kann.
Stattdessen sollten wir sagen: Das sind die Probleme,
das sind bestimmte Lösungspfeiler, packen wir es an!
MICHAEL CHALUPKA: Ich tue mir schwer, die Antwort auf ein „Ja“ zu beschränken. Wir waren im Mai
2015 erst bei 22.000 Asylanträgen, und die Situation
galt bereits als katastrophal. Dann kamen Parndorf
und der 4. September. Und dann wurde der Grundsatz
„Wir dürfen Österreich nicht zu attraktiv für die Flüchtlinge machen“ durch zwei Bewegungen unterbrochen:
eine europäische, ausgehend von Angela Merkel, bei
der Werner Faymann mitgemacht hat, mit der Aussage:
„Man kann die Menschen in Ungarn nicht hängen lassen!“ Mehr war es ja nicht. Die zweite Bewegung, das
war die Zivilgesellschaft. Die Menschen, die damals
begonnen haben, bei uns als Freiwillige mitzuhelfen,
gibt es alle noch immer. Aber wirklich alles, was gelungen ist, wurde schlechtgeschrieben. Sonst ist das Aufgabe einer schlechten Opposition. Bei uns erledigt das
die Regierung mit der Notverordnung selbst.
GERRY FOITIK: Die „akute“ Notlage hat ja bereits
2013 begonnen: Am Westbalkan haben sich Schlepperbanden formiert, wegen der Situation in Syrien und
anderen Ländern war mit einem sprunghaften Anstieg
der Flüchtlingszahlen zu rechnen. Im Sommer 2014 hat
Österreich sich schon den Staatskollaps eingestanden
und gesagt: „Wir schaffen das nicht. 19.000 Flüchtlinge sind viel zu viel.“ Dann kamen der Lkw von Parndorf, das Foto des dreijährigen Aylan, der tot in einer
Bucht in der Türkei lag. Schließlich hat Viktor Orban
19|2017
47
„Der 5. September war ein magisches
Datum, ein Ruck der Menschlichkeit durch
unsere Gesellschaft“
minderjährige Flüchtlinge haben. Wir wissen, wie viel
Betreuung sie brauchen. Nach unseren Standards
dürften wir unter den Bedingungen, wie sie derzeit für
Jugendquartiere gelten, eigentlich keine führen.
WACHTER: Wenn eine politische Gruppierung meint,
die Flüchtlingsbetreuung ist ein Geschäftsfeld, dann
ist sie herzlich eingeladen, sich zu betätigen. Für uns
stellt sich die Frage, ob man bei den geltenden Tarifen
solche Aufgaben überhaupt noch wahrnehmen kann.
Der schönste Moment
Woran in den letzten zwei Jahren erinnern Sie sich gerne?
WACHTER: Der 5. September 2015 war ein magisches
Datum. Es war so etwas wie ein Aufatmen. Wir können
das schaffen, wir hatten hier einen Ruck der Menschlichkeit in der Zivilgesellschaft. Vergessen wir nicht die
Situation: Es war eine dramatische Verelendung von
Tausenden Menschen am Budapester Bahnhof. „Wir
schaffen das!“ hat sich auf diese Menschen bezogen.
Und es wurde vorerst von der Politik mitgetragen.
Faymann und Merkel mit der Frage erpresst: „Die
Flüchtlinge in Ungarn wollen weiter nach Österreich.
Wir müssen sie aber aufhalten, denn es gilt die DublinVerordnung. Was sollen wir tun?“ Damit hat er uns vor
die Wahl gestellt: Wollt ihr mitverantwortlich sein für
die Zustände in Ungarn? Oder sagt ihr: „Grenzen auf?“
Es war nicht Humanität. Es war nur der Wunsch, nicht
mitschuldig zu sein am Desaster in Ungarn.
„Gutmenschenfalle“
Das Wort des Jahres?
FOITIK: Dieses Wort bedeutet: Die einzig mögliche
Konsequenz aus einer politischen Pattsituation ist,
dass man seine Klientel im Stich lässt. Das geht beim
Roten Kreuz nicht, und das wird ausgenützt. Wir sind
nicht die Ärztekammer, die streikt, wenn die Rahmenbedingungen nicht passen. Das ist wie mit dem Kinderzimmer. Wenn ich sage: „Räum endlich auf!“, mein
Kind aber eine höhere Toleranzgrenze hat als ich, dann
werde ich letztlich selbst aufräumen.
CHALUPKA: Wofür wir stehen, wird ausgenützt.
Sonst dürften wir keine Quartiere für unbegleitete
„Es war nicht Humanität. Es war der
Wunsch, nicht mitschuldig zu sein an dem
Desaster in Ungarn“
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19|2017
FOITIK: Es gab viele schönste Momente, im Kontakt
mit Geflüchteten oder mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die berichtet haben, wie jene sich erstmals in
Sicherheit und willkommen gefühlt haben. Das ist das
Schönste, was Menschen anderen Menschen antun
können: ihr Leben zu retten oder ihm wieder eine Perspektive zu geben. Viele unserer Leute haben gesagt:
Das war ihr sinnvollster und bester Einsatz, obwohl sie
körperlich und seelisch extrem strapaziert waren.
CHALUPKA: Wir haben in der Rekordzeit von drei
Monaten ein neunjähriges Mädchen von Athen aus mit
seiner Mutter und seinen Geschwistern in unserem
Heim in Baden vereint. Das war ein Glücksmoment, der
auch zeigt, wie wirr und irr das System ist. Man hat uns
gesagt: „Das Mädchen muss in Griechenland einen
Antrag stellen. Aber unter ein bis zwei Jahren geht gar
nichts.“ Alle Beamten haben gemeint, dass die zusammengehören. Aber jeder hat sich gefürchtet, irgendein
Gesetz zu verletzen.
Familienbeihilfe vs. UMF
Die Familienbeihilfe pro Kind beträgt nicht einmal € 140,–
im Monat. Für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling bekommt die betreuende Organisation € 2900,–.
„Ich bin immer wieder erstaunt,
was Menschen aushalten. Man bietet
ihnen die miesesten Bedingungen und sie
werden trotzdem nicht kriminell“
WACHTER: Weil wirklich alles, was sonst die Eltern
leisten, bereitgestellt werden muss. Betreuung, Beglei­
tung, 24-Stunden-Präsenz. Das steht jedem Kind zu.
Egal, wo seine Wiege stand.
CHALUPKA: Private und institutionelle Erziehung
sind nicht vergleichbar. Um einen Menschen eine Woche lang 24 Stunden am Tag immer präsent zu haben,
brauchen wir fünfeinhalb Personaleinheiten, also fünf­
einhalb Gehälter. Das sind fünfeinhalb Menschen, die
ich beschäftigen muss. Muss, weil es die Vorgabe der
Jugendwohlfahrt ist. Gleichzeitig fehlt den Flüchtlingen
trotzdem, was Kindheit und Jugend ausmacht – Geborgenheit und Fürsorge.
Sind die Flüchtlinge kriminell(er)?
CHALUPKA: Ich bin immer wieder erstaunt, was
Menschen aushalten. Dass man ihnen die miesesten
Bedingungen bietet, und sie werden trotzdem nicht
kriminell. Dass man ihnen kein Geld gibt, und sie
fangen trotzdem nicht an zu stehlen. Dass man ihnen
keine Wohnung gibt, und sie versuchen doch, sich
irgend­etwas zu organisieren. Aber vernünftig ist das
nicht.
Sollen sie arbeiten?
CHALUPKA: Niemand von uns hatte die Illusion,
dass alle qualifiziert sind, nur ein bisschen Deutsch
lernen müssten, und dann sind sie schon auf dem
Arbeitsmarkt. Aber wir müssen aufhören, die Leute zu
dequalifizieren, bevor sie überhaupt dem Arbeitsmarkt
zur Verfügung stehen. Wir müssen aufhören, sie jahrelang gar nichts machen zu lassen. Was wir brauchen,
ist Integration vom ersten Tag an: Deutschkurse und
gemeinnützige Arbeit.
FOITIK: Die Probleme am österreichischen Arbeitsmarkt sind nicht durch Migration entstanden. Im
Gegenteil, sie wurden bisher durch Migration eher
gelöst. Die Probleme sind durch eine Steuerungleichverteilung entstanden, durch fehlende wirtschafts­
politische Impulse. Da wirkt es dann wie ein Symptom,
wenn wir zusätzlich noch viele Menschen qualifizieren,
requalifizieren oder nostrifizieren müssen. Aber die
Ursachen liegen woanders.
WACHTER: Wir wissen, dass Integration dann funktioniert, wenn sie von Anfang an geschieht. Es ist Unsinn,
Menschen jahrelang vom Bildungssystem und vom
Arbeitsmarkt fernzuhalten. Sogar Hochqualifizierte
werden dann demotiviert. Nach sechs Monaten im
Asylverfahren muss es möglich sein, dass ein Mensch
seine Chance am Arbeitsmarkt sucht. Stattdessen
haben wir noch immer den Bartenstein-Erlass, um
Flüchtlinge vom Arbeitsmarkt fernzuhalten, wenn sie
nicht Tellerwäscher oder Erntehelfer sind.
Wie geht es weiter?
WACHTER: 60 Millionen Menschen sind weltweit auf
der Flucht. Vor dieser Realität kann unsere Gesellschaft nicht flüchten. Und Krieg kommt nicht aus dem
Bodenlosen. Die Visegrád-Staaten liefern Waffen in die
19|2017
49
Für den Unterricht
und zu Hause.
Lernen. Üben.
Mitmachen.
ab der 7.
Schulstufe
ab der 5.
Schulstufe
Die
Schülerzeitschriften
mit dem digitalen
Lehrerservice
3. + 4.
Schulstufe
Bei JÖ und TOPIC
unter Mitwirkung des
Österreichischen
Buchklubs der Jugend
2. Schulstufe
1. Schulstufe
Unterrichtsmaterialien von
Klasse 1 bis 9
www.lehrerservice.at
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facebook.com/lehrerservice.sek
Konfliktregionen, auch Deutschland,
in den letzten Jahren sogar wieder
mehr. Es gibt Gewinner, während die
Probleme sozialisiert werden.
CHALUPKA: Die besten Grenzkontrollen fördern nur, dass sich die Leute immer intensiver verstecken müssen, dass Schleppern immer mehr
gezahlt wird. Auch die Schließung
der Westbalkanroute ist ein Mythos.
Was die Zahl der Flüchtlinge wirklich
verringert hat, war das Schließen der
Grenze zwischen der Türkei und
Syrien. So haben wir die Menschen
dort massenhaft dem Tod ausgesetzt. Wir sind auf der Flucht vor der
Realität des Nord-Süd-Gefälles, vor
der Realität in Griechenland, Italien,
„Team Österreich“-Flüchtlingshelfer in der Steiermark, September 2015
in Syrien. World Food Programme
und UNHCR sind schon wieder nicht
ausfinanziert. Wir haben nicht einmal gelernt, dass man
und Außenverhältnis fair umzusetzen. So wie wir unser
die Menschen zu Hause nicht hungern lassen sollte.
Wohlfahrtsmodell und unser Sozialstaatsmodell verteidigen, nämlich auch aus Eigennutz, so müssen wir
FOITIK: Wir haben jetzt die Chance, die Werte, für
auch unser humanitäres Weltbild und unser
die westliche Demokratien angeblich stehen, ernst zu
humanitäres Modell verteidigen.
nehmen und eine Methode zu entwickeln, sie im Innen-
MAG. GERRY FOITIK
ist Bundesrettungskommandant
und kooptiertes Mitglied der
Geschäftsleitung des
Österreichischen Roten Kreuzes.
MMAG. BERND WACHTER
ist Generalsekretär der
Caritas Österreich.
PFARRER MAG. MICHAEL
CHALUPKA
ist Direktor der Diakonie Österreich.
Parndorf: Bei Parndorf (Burgenland) wurden am
27. August 2015 in einem Schlepper-Lkw 71 Leichen
von Flüchtlingen gefunden.
4. September/Budapester Bahnhof: Tausende Flüchtlinge lagerten im Sommer 2015 unter katastrophalen
Umständen am Budapester Ostbahnhof Keleti. Als
Deutschland bekannt gab, dass es syrische Flüchtlinge
nicht in das Land ihrer Einreise in die EU zurückschicken würde (wie es die „Dublin-Verordnung“ vorsieht),
brachen sie am 4. September in Richtung Österreich auf,
um zu bleiben oder nach Deutschland weiterzureisen.
Bartenstein-Erlass: Asylwerber dürfen in Österreich
theoretisch arbeiten, wenn sie seit drei Monaten zum
Asylverfahren zugelassen sind. Der „Bartenstein-Erlass“
aus dem Jahr 2004 beschränkt diese Tätigkeit aber
auf Saisonbeschäftigung (Land- und Forstwirtschaft,
Tourismus).
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Was können sie?
D
Sichern die Flüchtlinge den Wohlstand?
Viele Untersuchungen liefern wenige Antworten.
Eine neue Rotkreuz-Studie bringt jetzt ein wenig mehr Klarheit.
444444444 Von Robert Dempfer
ie Euphorie war anfangs nicht nur auf den Bahnhöfen
groß, sondern auch in den Wirtschaftsforschungsins­
tituten: In Deutschland und Österreich, so die Meldungen, würden Flüchtlinge den Arbeitsmarkt auffüllen und damit nicht nur für die eigene Alimentierung,
sondern auch für jene der alternden und teils schrumpfenden Gesellschaften sorgen.
Zufrieden ist inzwischen eigentlich nur mehr McKinsey: 90 Prozent aller Migranten weltweit, so der Unternehmensberater, sind keine Flüchtlinge. Sie bewegen
sich freiwillig über Grenzen, ihr Ziel ist ein besseres
Leben. Die Hälfte zieht aus Entwicklungsländern in Industrieländer und steigert die globale Wirtschaftsleis­
tung. 2015 machte ihr Beitrag dazu rund 6,7 Billionen
US-Dollar aus. 90 Prozent dieses Zuwachses verblieben
den entwickelten Ländern.
Mangel an Daten
Ob für Flüchtlinge das Gleiche gilt, ist inzwischen weniger klar. Das betrifft auch jene, die seit dem Sommer
2015 in der EU Aufnahme gefunden haben. Es ist ein
„Stochern im Nebel“, meinen Sozialforscher, zurückzuführen „auf den Mangel an Daten für diese spezielle
Gruppe“, so eine Studie des Europäischen Parlaments.
Der Mangel beginnt damit, dass „wir relativ wenig
darüber wissen, welche Eigenschaften und Qualifikationen diese Menschen mit sich bringen“, meint eine
Analyse der Agenda Austria. Der ORF wusste allerdings
bereits im Oktober 2015, dass von 5.400 anerkannten
syrischen Flüchtlingen 72 % höchstens die Pflichtschule und 5 % eine Lehre absolviert hatten. 20 % brachten
eine Matura oder einen Studienabschluss mit.
First come – first served
Ob eine Matura aus Homs oder eine Schweißerlehre
aus Kandahar österreichischen Anforderungen entsprechen, ist fraglich. Um das herauszufinden, hat das
Wiener Arbeitsmarktservice (AMS) schon im Herbst
2015 die ersten Flüchtlinge einem Kompetenzcheck
unterzogen. Ziel war es, herauszufinden, welche Aufschulungen die künftigen Asylberechtigten benötigen,
um Arbeit zu finden. Als repräsentative Untersuchung
war der Kompetenzcheck nie angelegt, die Flüchtlinge
wurden ihm nach dem Prinzip „first come – first served“
unterzogen. Das AMS hat das auch immer betont. Die
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19|2017
Ergebnisse waren ohnehin nur zum Teil ermutigend.
Repräsentativ waren sie nie. Schlagzeilen wie „Flüchtlinge besser ausgebildet als die Österreicher“ wurden
daher auch durch die Ergebnisse der Kompetenzchecks nicht richtiger.
Die Rotkreuz-Studie
Aus Mangel an rezenten Daten nahm die Grazer Joan­
neum Research im Auftrag des Roten Kreuzes und der
Caritas deshalb jene Flüchtlinge unter die Lupe, die
schon zwischen 2002 und 2015 asylberechtigt wurden.
In der Mehrheit waren es Menschen aus Afghanistan,
Syrien und der Russischen Föderation. Seit 2015 führen
ähnliche Herkunftsländer das Ranking an, nämlich
Afghanistan, Syrien und der Irak.
Die Studie zeigt: In den ersten fünf Jahren nach
Erlangung der Asylberechtigung steigt die selbstständige und unselbstständige Beschäftigung, wenn auch
nicht im selben Ausmaß wie bei der eingesessenen
Bevölkerung. Danach setzt eine Trendwende ein. Insbesondere der Anteil der Arbeitslosen steigt.
Als einen Hauptgrund dafür orten die Sozialforscher
das deutlich niedrigere Bildungsniveau der Zuwanderer. Die Hälfte von ihnen im Alter zwischen 25 und 64
Jahren verfügt über höchstens einen Pflichtschulab-
schluss bzw. über gar keinen formalen Bildungsabschluss. Dazu kommt, dass die „vorherrschenden Normen und Arbeitsprozesse“ im Herkunftsland „oftmals
nicht in Österreich direkt anwendbar sind“.
Schon heute ist ein Pflichtschulabschluss als höchste
Ausbildung in Österreich zunehmend ein Ausschlussgrund vom Arbeitsmarkt – für jeden, nicht nur für Zu-
Subgruppe der Asylberechtigten auch von einem Motivationsproblem ausgegangen werden, das durch die
Höhe der Transferleistungen determiniert wird.“
AMS-Chef Johannes Kopf nennt dieses Phänomen
„Inaktivitätsfalle“. Das bedeutet: Besonders bei Familien mit niedrig qualifizierten Eltern erreichen staatliche Transferleistungen rasch eine Höhe, die sich durch
eine Erwerbstätigkeit niemals erzielen ließe.
Auch wenn von „sozialer Hängematte“ keine Rede
sein kann: Es war diese Entwicklung, die angesichts der
seit 2015 angekommenen Flüchtlinge die Debatte um
die Mindestsicherung befeuert hat.
Jugend ohne Arbeit
„In den ersten fünf Jahren nach
Erlangen der der Asylberechtigung
steigt die Beschäftigung, danach steigt
der Anteil der Arbeitslosen“
wanderer. Es besteht ein klarer Angebotsüberhang an
Arbeitskräften in diesem Segment, denn die Nachfrage verändert sich in Richtung Hoch- und Höchstqualifizierte. In Wien ist deshalb schon jeder zweite Pflichtschulabgänger arbeitslos, österreichweit jeder vierte.
Der Verdrängungswettbewerb, ausgelöst durch gut
ausgebildete Arbeitskräfte aus den östlichen EU-MItgliedstaaten, dreht die Spirale weiter. Die starke
Zuwanderung vor allem auf den ostösterreichischen
Arbeitsmarkt sorgt für einen Verdrängungskampf innerhalb der Migrantengruppen: Jüngere, besser qualifizierte Ausländer – darunter auch Tagespendler – verdrängen Ausländer, die schon länger hier ansässig sind.
Und sie verdrängen neue Asylberechtigte: Denn das
Angebot an Arbeitskräften steigt gerade in jenem Segment des Arbeitsmarktes, in denen sie am ehesten
Beschäftigungschancen hätten. Sehr diplomatisch formuliert die Studie weiter: „Letztlich muss bei einer
„Besonders bedenklich“ finden auch die Forscher von
Joanneum Research die Jugendarbeitslosigkeit unter
Asylberechtigten. Trotz des Geburtenrückgangs unter
der schon länger ansässigen Bevölkerung hat sich das
Problem insgesamt verschärft. In der Bundeshauptstadt haben schon 70 % der arbeitslos gemeldeten Jugendlichen einen Migrationshintergrund.
Die meisten von ihnen sind naturgemäß nicht mit
der letzten Migrationsbewegung nach Österreich gekommen. Zu einem beträchtlichen Teil sind sie Nachkommen der Gastarbeiter, inzwischen in der dritten
Generation, was die Frage aufwirft: Warum sollte bei
den Menschen, die im „Märchensommer“ 2015 ins
Land gekommen sind, besser gelingen, was schon in
den Jahrzehnten zuvor nicht geklappt hat: nämlich gerade den Jugendlichen den unseligen Kreislauf aus geringer Qualifikation und Arbeitslosigkeit zu ersparen,
dem ihre Eltern und Großeltern so häufig nicht entkommen sind.
Die Herkulesaufgabe
Die Lösung – mehr Aufwand für Qualifikation – liegt
auf der Hand. Es wird „eine Herkulesaufgabe“, räumt
auch AMS-Chef Kopf ein. Vor allem die 34 % Kinder und
Jugendlichen unter den Flüchtlingen dürfen nicht zurückgelassen werden. „Wir müssen aufhören, das
Problem zu verschweigen oder schönzureden“, sagt
ein Sozialforscher. „Wir müssen jetzt richtig Geld in die
Hand nehmen und das als Zukunftsinvestition betrachten – und auch so erklären!“
Zumindest das Ende des Schönredens wäre ja sogar
gratis zu haben. Trotzdem erreichte die Redaktionen
zum Jahresende 2016 nochmals eine Jubelmeldung der
Wirtschaftsforscher: Die Ausgaben für die Flüchtlinge
hätten das deutsche BIP 2016 um 0,3 % stärker steigen
lassen als ohne die Migration. Allerdings hatte der
deutsche Staat in diesem Jahr 20 Milliarden Euro für die
Flüchtlinge ausgegeben, also rund 0,6 % des BIP.
Anders gesagt: Deutschland hat zwei Euro
ausgegeben, um einen Euro einzunehmen ...
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„Wie schnell
würde ein Österreicher
Arabisch lernen?“
Fünf Jahre braucht es mindestens, bis jeder zweite Flüchtling einen Job
hat – sofern wir alles richtig machen. AMS-Chef Johannes Kopf über
überzogene Integrations-Erwartungen und den Merkel-Spirit.
444444 Von Andrea Grman und Simon Kravagna
henri: Herr Kopf, Sie haben einmal gesagt, es sei eine Herkulesaufgabe, Flüchtlinge am Arbeitsmarkt zu integrieren. Ist
es so schwer?
JOHANNES KOPF: Es ist schwierig und braucht viel
Zeit.
Wie steht es um jene Flüchtlinge, die 2015 Asyl bekommen
haben?
Man kann sagen, dass ein Jahr nach einem positiven
Asylentscheid etwa jeder zehnte Geflüchtete einen Job
hat. Laut internationalen Erfahrungen ist es möglich,
dass fünf Jahre nach dem positiven Asylbescheid etwa
50 Prozent aus dieser Gruppe beschäftigt sind, jedoch
nur, wenn wir kaum Fehler bei der Integration machen.
Ist das nicht eine mäßige Bilanz?
Wir müssen geduldig bleiben. Wir
sind ja sogar schon ungeduldig
mit geflüchteten Menschen, die
noch gar kein Asyl bekommen
haben. Manche Leute fragen, warum diese nicht arbeiten, obwohl
sie noch gar nicht dürfen. Wir im
AMS haben uns getäuscht in der
Frage, wie lange die Asylverfahren
dauern werden.
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19|2017
Ist das für die Arbeitslosenstatistik nicht gut, wenn die
Asylverfahren so lange dauern?
Für die aktuellen Arbeitsmarktzahlen ist das augenscheinlich gut, weil Menschen in Asylverfahren nicht
als arbeitslos gezählt werden. Für die spätere Integration auf dem Arbeitsmarkt ist es aber sehr schlecht.
Je länger das Asylverfahren dauert, desto schlechter
gelingt die spätere Integration.
„Frau Merkel hat der
gesamten Verwaltung
die Aufgabe gegeben:
Schafft das!“
Angeblich dauern die Verfahren im
Schnitt rund acht Monate.
Da gibt es auch noch die Zeit bis
zur Zulassung zum Verfahren. Ich
freue mich darüber, dass es jetzt
mehr Personal für die Asylverfahren gibt. Aber wie war es bisher?
2015 sind rund 95.000 Menschen
nach Österreich geflüchtet. Wenn man davon ausgeht,
dass knapp die Hälfte von ihnen Asyl oder subsidiären
Schutz bekommt, kommen wir auf grob 45.000 Menschen. Unter der Annahme, dass zwei Drittel dieser
geflüchteten Menschen im arbeitsfähi­gen Alter sind,
sollten 30.000 Personen vom AMS betreut werden.
Zu uns gekommen sind bisher nur knapp 10.000, die
anderen sind weitgehend noch im Verfahren.
Johannes Kopf
Warum?
Es sind die klassischen Phänomene der Langzeitarbeits­
losigkeit: Verlust von Tagesstruktur, Verlust von Selbstvertrauen, Veralterung der beruflichen Qualifikationen
und so weiter.
Deutschland hat auch sehr viele Flüchtlinge aufgenommen. Dennoch laufen dort die Asylverfahren schneller ab.
Frau Merkel hat gesagt: „Wir schaffen das.“ Man kann
diese Aussage kritisieren, aber sie hat der gesamten
Verwaltung die Aufgabe gegeben: „Schafft das!“ Natürlich sind die Deutschen auch noch nicht wahnsinnig
weit, doch sie sind die Aufgabe von Anfang an viel entschlossener und behördenübergreifender angegangen
als wir in Österreich. Positive Asylverfahren können
dort mittlerweile innerhalb von 48 Stunden abgewickelt werden.
Kommen wir zu jenen Flüchtlingen, die bereits Arbeit haben. Was sind das für Leute?
Oft sind es Hilfsarbeiter, manchmal auch Facharbeiter.
Die meisten Geflüchteten, die zu uns gekommen sind,
sind jung, männlich und stark – das ist die klassische
Beschreibung für Hilfskräfte in der Landwirtschaft
oder am Bau. Gar nicht wenige dieser Personen sind
jedoch qualifiziert und das Nutzen dieser Qualifikationen ist volkswirtschaftlich sinnvoller.
Wer lässt sich schwerer integrieren? Der syrische Arzt oder
der syrische Hilfsarbeiter?
Wenn „schwer“ etwas mit der Dauer zu tun hat, dann
lautet die Antwort: der syrische Arzt. Natürlich dauert
es länger, wenn man eine Nostrifizierung vornehmen
muss. Auch muss man unsere Sprache besser lernen.
Es hat doch am Anfang geheißen, dass wir die Flüchtlinge
brauchen, weil wir nicht ausreichend Fachkräfte haben.
Stimmt das?
Unser Arbeitsmarkt hätte die Geflüchteten nicht
gebraucht. Den Mangel, den wir aufweisen, hätten wir
locker aus den EU-Ländern decken können. Aber jetzt
sind sie da, und egal, wie sozial man eingestellt ist: Es
ist teurer, diese Menschen nicht zu integrieren.
Es gibt Förderungen für Unternehmen, wenn sie einen
Asylberechtigten beschäftigen – das nehmen wenige Firmen
in Anspruch, oder?
Selbst bei Unternehmen, die von sich aus Geflüchtete
aufnehmen, gelingt die Eingliederung nur schleppend.
Es dauert lange, eine Sprache zu beherrschen. Wie lange würde ich Französisch lernen müssen, um in Paris
auf meinem Qualifikationsniveau arbeiten zu können?
Wie schnell würde ein Österreicher in Syrien Arabisch
lernen? Das sollte sich jeder einmal überlegen.
„Wir wissen, dass es schlecht ist,
Menschen untätig herumsitzen zu lassen.
Trotzdem lassen wir das zu“
Sind die Erwartungen einfach zu hoch?
Die Erwartungen sind auf jeden Fall zu hoch. Wenn wir
sagen, nach fünf Jahren können maximal 50 Prozent in
den Arbeitsmarkt integriert sein, sieht man, dass Integration sehr lange dauert. Diese 50 Prozent sind ein
Ziel, das erreicht werden kann, wenn wir alles richtig
machen. Leider machen wir im Moment vieles nicht
richtig – wir bringen geflüchteten Personen während
der zu langen Asylverfahren noch nicht wirklich
Deutsch bei. Wir bräuchten viel mehr gemeinnützige
Arbeitsstellen während der Verfahren. Wir sollten den
Lehrstellenmarkt für geflüchtete Minderjährige öffnen.
Das sind Dinge, die die Menschen in Bewegung halten.
Wir wissen, dass es schlecht ist, Menschen untätig
herumsitzen zu lassen. Besonders fatal ist es bei Jugendlichen. Und trotzdem lassen wir das zu.
Wenn Sie etwas aus der Welt zaubern könnten, was wäre das?
Die negative Stimmung. Die ist integrationshemmend
und wirkt sich mittlerweile auch auf die eine oder andere politische Entscheidung aus. Ich habe den Eindruck,
manches wird nicht so sehr sach- und lösungsorientiert,
sondern mehr öffentlichen Emotionen folgend entschieden. Es wäre aus meiner Sicht gut gewesen, den
Sorgen der Bevölkerung von Anfang an entschiedener
zu begegnen und ihr unnötige Ängste und daraus
entstehenden Fremdenhass zu nehmen.
Original-Interview: biber, Jänner 2017
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55
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AUS DEN BUNDESLÄNDERN
„6:15 Uhr: Mein Einsatz beginnt“
Lachen und Lernen
Kochen fürs Krankenhaus
„Was passiert hier Schönes?“
Mit 14 auf der Flucht
MA Bayar
Workshop „Österreich“
Begegnungscafé
Flüchtlingscamp Hard
56
19|2017
19|2017
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Burgenland
„Es macht
mich glücklich“
In der Juninacht sind Flüchtlinge eingetroffen.
Um 6 Uhr 15 läutet das Telefon: Mein Einsatz
in der Flüchtlingsbetreuung beginnt.
A
4444 Von Petra Gesperger
ls ich in der Bezirksstelle Neusiedl am See ankomme, bin ich nervös. Was erwartet mich in
den nächsten Stunden? In der Garage sind Familien mit kleinen Kindern. Die meisten schlafen noch.
Einige sind schon auf den Beinen, essen Toastbrote mit
Nutella oder Marmelade, trinken Tee. Im hinteren Teil
der Garage sehe ich Søren und Christina. Sie haben die
Flüchtlinge in der Nacht betreut, erklären mir die Aufgaben: Tee kochen, Brote schmieren, aufräumen.
dreckt, die Schuhe sind kaum noch tragbar. Für die
Kinder haben wir Stofftiere.
Ein wenig Normalität
Ein kleines Mädchen ist mit ihrer Familie angekommen.
Zehn Minuten nach ihrer Ankunft schlafen alle – bis auf
sie. Ich schnappe mir einen Stoffteddy und spiele mit
ihr, um den Eltern eine Pause zu gönnen. Später malen
wir ein paar Bilder und lachen viel. Wir verständigen
uns mit Händen und Füßen, es
Von der Straße
klappt!
„Ich
habe
mich
manchmal
Nach einigen Stunden ist nur
Alle paar Stunden sammelt die
sogar dafür ,rechtfertigen‘
noch diese Familie in der Garage.
Polizei auf den Straßen einzelAls der Polizeibus kommt, bedanne Personen oder kleine Grupmüssen, dass ich helfe. Aber
ken sich alle mit Tränen in den
pen auf und bringt sie zu uns.
ich war nicht allein“
Augen. Das kleine Mädchen sitzt
Die Flüchtlinge sind zu Fuß
auf dem Schoß der Mutter. Der
unterwegs gewesen. ManchBus fährt los, alle winken, und das Mädchen strahlt
mal haben Schlepper sie irgendwo ausgesetzt und
mich an. Wir winken zurück.
ihrem Schicksal überlassen. Man sieht ihnen an, wie
die Flucht sie mitgenommen hat. Daher wird beim
So viele Fragen
Empfang zuerst der Gesundheitszustand kontrolliert.
Viele haben von den Fußmärschen große Blasen und
Die Gefühle und Gedanken in solchen Momenten sind
schmerz­hafte Wunden an den Füßen. Einige Kinder
intensiv: Wo kommen sie jetzt hin? Werden sie dort in
sind krank und weinen. Alle sind hungrig, durstig, erSicherheit sein? Werden sie bleiben dürfen?
schöpft.
Ab diesem Tag melde ich mich jede freie Minute für
Wir zeigen den Leuten, wo sie sich waschen und ausdie Flüchtlingsbetreuung, verbringe meine Wochenenruhen können, etwas zu essen und zu trinken bekomden an der Grenze. Das Gelände in Nickelsdorf kenne
men, bei Bedarf frische Kleidung. Ihre eigene ist verich vom „Nova Rock“-Festival. Vom Feiern und von der
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Musik der Bands, die über die Felder dröhnt. Jetzt höre
ich hier Lebensgeschichten, erfahre von trauri­gen
Schicksalen, lache mit den Leuten, bin überwältigt von
Eindrücken und Emotionen. Manchmal bin ich auch
am Verzweifeln und am Ende meiner Kräfte.
Ich wollte mir selbst ein Bild machen
sparnisse aus. Diese Menschen hatten einen gewissen
Lebensstandard, einen Job, ein Haus, ein Auto. Und
sahen keinen anderen Ausweg, als die Heimat zu verlassen. Dazu braucht man Geld, ein Handy – und Mut.
Wir Menschen in Österreich, in Europa haben das
Glück, zufällig hier geboren zu sein. Wir sollten dieses
Glück mit den Menschen teilen, die es nicht haben.
Warum habe ich mich überhaupt gemeldet? Ich habe
Ich bin enttäuscht
viel Schlechtes gehört. Die Leute sagen: „Alle“ Flüchtlinge hätten Geld, Handys, sogar die neuesten iPhones.
Freunde und Familie unterstützen mich. Meine Mutter
„Alle“ wären unfreundlich, aggressiv, frauenfeindlich,
sammelt Spenden – und hört zu, wenn ich erschöpft
undiszipliniert. „Alle“ wären junge Männer, nur aus
nach Hause komme und noch über meine Erlebnisse
wirtschaftlichen Gründen hier. Ich wollte das nicht einund Gefühle reden muss. Meine Oma, im Krieg aufgefach glauben, mir selbst ein Bild mawachsen, hat selbst kein leichtes
chen, und ich bereue es nicht. Ich
Leben gehabt. Sie gibt mir Kraft und
habe sehr viel gelernt, sehe nun
Zuspruch.
„Wir haben das Glück,
vieles mit anderen Augen.
Heute bin ich von manchen Mithier geboren zu sein.
Bald kommen immer mehr und
menschen enttäuscht – dafür von
Wir sollten es mit den
mehr Flüchtlinge an. Umso mehr
anderen, denen ich ihr Engagement
müssen wir einfach nur funktionienicht zugetraut hätte, überrascht.
Menschen teilen, die es
ren, Dinge schneller erledigen. Der
Ich
habe mich manchmal sogar danicht haben“
Ansturm wird größer, wir haben wefür rechtfertigen müssen, dass ich
niger Zeit für persönliche Gespräche.
helfe. Aber ich war nicht allein.
Ich bin stolz darauf, helfen zu dürDie Gnade der Geburt
fen: Flüchtlingen, aber natürlich auch anderen Menschen in meiner Umgebung. Es ist eine LebenseinstelViele Flüchtlinge haben natürlich Handys, auch iPhones.
lung. Es ist nicht immer einfach. Aber es macht mich
Sie kommen ja nicht aus der Steinzeit! Das Handy ist
O
glücklich. Aus Liebe zum Menschen.
besonders wichtig, um der zurückgelassenen Familie
Lebenszeichen zu senden, um auf der langen Flucht
dank GPS nicht verloren zu gehen.
Gekürzt. Der vollständige Beitrag ist erschienen in:
Natürlich haben sie auch Geld. Eine Flucht ist teuer,
Tobias Mindler, Sandra Nestlinger: Grenzerfahrungen.
oft geben Familien für die Schlepper ihre letzten ErÖRK, Landesverband Burgenland 2016.
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Niederösterreich
Lachen und Lernen
W
Erfahrungen einer freiwilligen Deutschtrainerin in Pressbaum.
4444444444444 Von Christiane Gaar
elche Zutaten brauchen wir für ein Müsli?“,
fragt Renate in die Runde. Mit einigen Männern und Frauen unternimmt sie gerade einen
Ausflug in einen Supermarkt, um Obst und Gemüse
einzukaufen. Äpfel, Birnen, Bananen, Joghurt und Haferflocken werden gesucht und gekauft.
Danach setzt sich die Gruppe in einem Lehrsaal des
Roten Kreuzes zusammen und verarbeitet die Produk­
te. Für Renate ist das Teil einer gelebten Sprachvermittlung. Sie hat viele Jahre als Pädagogin gearbeitet
und vermittelt nun im Roten Kreuz niederschwellig
Deutschkenntnisse an Asylsuchende.
Im Roten Kreuz Niederösterreich können Migranten,
subsidiär Schutzberechtigte und Asylberechtigte zertifizierte Deutschkurse besuchen. Inzwischen werden
auch niederschwellige Kurse für Asylsuchende, umgesetzt von Freiwilligen, angeboten. Renate schult diese
Freiwilligen und gibt ihre Erfahrungen an sie weiter.
Seit dem Jahr 2015 sind sehr viele Laien als Sprachvermittler aktiv, nicht immer funktioniert das konfliktfrei,
weiß Renate zu berichten: „Wenn Laien auch eine unterrichtende Tätigkeit übernehmen wollen, sollten sie
Informationen über Unterrichtsgestaltung erhalten.
Sie müssen auch wissen, dass sie professionelle Pädagogen nicht ersetzen können. Andernfalls birgt dies
Raum für Frustration, auf beiden Seiten“, sagt die Trainerin.
„Ich habe bis jetzt jeden einzelnen Kurstag als Bereicherung für alle erlebt!“, berichtet Renate begeistert.
„An jedem Kurstag wird gelacht und dabei auch viel gelernt. Lehrende und Lernende befinden sich in einem
ständigen Kennenlernprozess. Wenn es dabei lustig
und humorvoll zugeht, freut und motiviert uns das alle
O
besonders!“ „Mein Name ist Hani“
„Ich lebe in Tulln und helfe
beim Roten Kreuz.“
44444444444 Von Hani Zyton
M
ein Name ist Hani Zyton, ich bin
29 Jahre alt
und komme aus Syrien. Vor
der Krieg habe ich als
Buch­halter gearbeitet. Vor zwei Jahren sah ich mich
gezwungen, mein Land zu verlassen, um in Sicherheit
leben zu können. Da mein Onkel seit Jahren in Wien
lebt, habe ich beschlossen, nach Österreich zu gehen.
Zum ersten Mal Kontakt mit dem Roten Kreuz hatte
60
19|2017
ich bei einer Beratung für Familienzusammen­
führung in Niederösterreich. Damals wollte
ich meine Ehefrau nach Österreich nachholen. Heute lebe ich mit meiner Frau in Tulln
und besuche mit ihr einen Deutschkurs vom
Roten Kreuz. Außerdem unterstütze ich als
Freiwilliger das Rote Kreuz in Belangen der
Familienzusammenführung und als projektXchange-Botschafter.
Aufgrund meiner Erfahrungen und dank
meiner Sprachkenntnisse kann ich mich in die Lage
von getrennten Familienmitgliedern versetzen und sie
unterstützen. Ich gebe meine Erfahrungen auch an
Kinder und Jugendliche weiter, damit diese verstehen,
O
was es bedeutet, in Österreich „fremd“ zu sein. Endlich in Sicherheit
D
Wohnen unter dem Zeichen
des Roten Kreuzes.
ie Bilder des überfüllten Erstaufnahmezentrums
Traiskirchen im Jahr 2015 sind vielen in Erinnerung. Wohnraum für Menschen auf der Flucht
musste damals rasch geschaffen werden. Das Rote
Kreuz Niederösterreich reagierte schnell – und sorgte
für die Unterbringung der Asylsuchenden. Heute werden rund 650 Personen in 30 Quartieren betreut.
Eine afghanische
Familie im Quartier
Schwechat
Fatima, Schwechat
Die junge Afghanin Fatima wohnt mit 280 anderen
Asylsuchenden in einem Quartier in Schwechat, das
von der Flughafen Wien AG zur Verfügung gestellt wurde. Das Rote Kreuz ist für die Betreuung zuständig.
Neben Deutschkursen und Hilfsangeboten wie einer
Ambulanz wurde auch ein sportlich-kreatives Angebot
geschaffen. So gibt es Gruppen für Musik, Tanz und
Fußball. Sogar ein Graffitiworkshop wurde mit lokalen
Initiativen organisiert. Im Winter hat Fatima in einer
Bastelgruppe Weihnachtskarten hergestellt, die auf
einem Weihnachtsmarkt verkauft worden sind.
Abdul, Tulln
Der Syrer Abdul wohnt seit eineinhalb Jahren in einem
Quartier in Tulln. „Integration bedeutet für mich, dass
man die Sprache, die Kultur, die Religion und das Leben versteht und akzeptiert und sich einordnet in die
Gesellschaft. Ich habe viele Freunde gefunden und mit
ihnen versuche ich, noch schneller Deutsch zu lernen.“
Ob in einem Quartier in der Stadt oder in familiärem
Umfeld: „Es ist wichtig, Integrationsmaßnahmen so
früh wie möglich zu setzen, um diesen Menschen langfristig eine Perspektive zu bieten“, erklärt der Präsident
des Roten Kreuzes Niederösterreich, Josef Schmoll. O
Deutschkurs und Fußball:
Team Grenzenlos
TEAM GRENZENLOS ist ein ehrenamtliches
Projekt, das auf Vermittlung der deutschen Sprache
und österreichischer Grundwerte durch die Macht
des Fußballs setzt. Das Team Grenzenlos absolviert
wöchentlich acht Stunden Deutschkurs und
hilft tatkräftig beim Roten Kreuz Neulengbach
mit. Erste Interessenten für das freiwillige
Integrationsjahr gibt es bereits
(siehe auch S. 68).
19|2017
61
Oberösterreich
Augenuntersuchungen
für die Bewohner des
Quartiers
Mit offenen Augen
W
Die Firma Silhouette wollte helfen,
aber nicht nur mit Spenden.
ir sind ein Unternehmen, das authentisch und
ehrlich helfen möchte, weil wir uns unserer
sozialen Verantwortung bewusst sind“, sagt
Tarek El-Dabbagh, Personalmanager von Silhouette. Das Unternehmen, das Brillen herstellt, wurde
einst von Flüchtlingen aus dem Sudetenland gegründet.
Seit Anfang 2016 unterstützt das Linzer Unternehmen ein Asylwerberquartier, das vom Roten Kreuz betreut wird. „Es war uns wichtig, die Mitarbeiter einzubeziehen und zu wissen, dass unsere Unterstützung
auch wirklich bei den Hilfsbedürftigen ankommt“,
sagt El-Dabbagh. Als das Rote Kreuz die Betreuung
eines Asylquartiers in unmittelbarer Nähe zum Firmen­
sitz übernahm, war die Gelegenheit da.
Silhouette organisierte eine Sachspendenaktion bei
den Beschäftigten, ein Mitarbeiter mit arabischer
Mut­tersprache sorgte einen Abend lang mit seinen
Zauberkünsten für Abwechslung im Asylwerberquartier.
Alle Kinder wurden augenärztlich untersucht und bei
Bedarf wurde eine Brille zur Verfügung gestellt.
„Es war für mich ein besonderer Moment, als die
Flüchtlingskinder zur Untersuchung mit ängstlichen
Augen gekommen sind und uns danach mit leuchtenden Augen verlassen haben“, erinnert sich El-Dabbagh.
Gemeinsame Freizeit
Flüchtlinge aus Afghanistan haben ein Buffet mit landestypischen Gerichten vorbereitet und die Speisen in
der Mitarbeiterkantine verkauft. „Solche Aktionen ermöglichen Austausch, denn Integration funktioniert
nur, wenn beide Seiten aufeinander zugehen.“ Viele
Mitarbeiter unternehmen in ihrer Freizeit etwas mit den
Asylwerbern. Denn erst durch persönliche Kontak­te
entstehen Offenheit und Verständnis füreinander. O
DER NEUE LEHRLING. Amir Mohammad
Fouladvan, 24, kommt aus dem Iran. Seine Familie
ist im Asylverfahren. Er ist Lehrling bei der Bäckerei
Nimmervoll in Grieskirchen. Bäckermeister Nimmervoll
ist zufrieden mit Amir Mohammad: „Er hat Niveau und
einen guten Hintergrund. Meine Mitarbeiter helfen
ihm, Hochdeutsch zu lernen, und er lernt von ihnen
auch den Dialekt!“
62
19|2017
Tabouleh, von
Experten zubereitet,
für das LKH Steyr
Köfte, Tabouleh
& Koshari
W
Asylwerber kochen fürs LKH Steyr.
er am 4. Oktober 2016 zu Mittag den Speisesaal des Landeskrankenhauses Steyr betrat,
schnupperte orientalische Düfte. Bereits zum
zweiten Mal kochten acht Asylwerber, die in der Rotkreuz-Unterkunft am Krankenhausareal untergebracht
sind, ein Menü des Speiseplans.
Unter der Leitung ihres Betreuers Christoph Schneeweiß bereiteten die Männer 400 Portionen zu und verkochten dafür 40 kg Tomaten und ebenso viel Faschier­
tes. Zubereitet wurden Mercimek Köfte (orientalische
Fleischlaibchen mit Beilagen), Tabouleh (TomatenPetersilie-Bulgur-Salat) und Koshari (ein vegetarisches
Reisgericht aus Ägypten). Gekocht wurde sowohl in
der Unterkunft als auch gemeinsam mit Küchenmit­
ASYLWERBER ALS SCHÜLERLOTSEN.
In Frankenmarkt sind acht Asylwerber jeden Morgen
arbeitern des LKH Steyr in der Betriebsküche. Auch
diesmal hat die Belegschaft des Krankenhauses das
Angebot sehr gut angenommen.
Dass das Projekt fortgeführt werden soll, wurde von
O
der Krankenhausleitung bereits bestätigt.
FEST DER BEGEGNUNG. Im Asylwerberhaus
des Roten Kreuzes in Pramerdorf, St. Florian/Inn,
als Schülerlotsen tätig. Nach der Ausbildung durch die
fand am 3. Juli 2016 ein Fest der Begegnung statt.
Polizei haben sie ihren freiwilligen und unbezahlten
Mehr als 300 Menschen nahmen die Gelegenheit
Dienst aufgenommen. So gibt es einen Austausch mit
wahr, die Flüchtlinge kennenzulernen. Diese
der Bevölkerung und einen „Fixtermin“ im Tagesablauf.
empfingen die Besucher mit arabischen
und afghanischen Köstlichkeiten.
19|2017
63
Salzburg
Gemeinsamer Einsatz der Hilfsorganisationen
Nachwuchs im Asylquartier Seekirchen
Holzhäuser vom Roten Kreuz für 240 Flüchtlinge
„Momente, die
man nicht vergisst“
Am 31. August erreichte eine Flüchtlingswelle
ungeahnten Ausmaßes das Bundesland Salzburg.
Das Rote Kreuz übernahm, gemeinsam mit der Caritas und
dem Malteser-Hospitaldienst, die Versorgung der Flüchtlinge.
4444444444444 Von Matthias Leinich
Z
wischen 31. August 2015 und 18. März 2016 (dieses
Datum gilt als offizielles Enddatum des Einsatzes
des Roten Kreuzes) wurden am Salzburger Hauptbahnhof 183.686 Flüchtlinge betreut. Es wurden
824 Krankenhaustransporte durchgeführt und 32.555
Hilfe­leistungen erbracht. Insgesamt waren 3.521 Rotkreuz-Mitarbeiter im Einsatz.
Martin Huber war Kolonnenkommandant der „Freiwilligen Kolonne“ Salzburg Stadt:
Konnten Sie abschätzen, was am Hauptbahnhof und an
all den Nebenschauplätzen auf Sie zukam?
MARTIN HUBER: Nicht wirklich. Aber wir erkannten sofort, dass jeder von uns vor einer in seiner RotkreuzLaufbahn nie da gewesenen Herausforderung stand.
Kann man sagen, dass jeder sein Bestes gab?
Auf jeden Fall. Die Werte des Roten Kreuzes sind unser
gemeinsamer Anker. Und eben die Tatsache, dass es
für alle Beteiligten noch nie einen Einsatz in dieser
Dimension gab. Alle Kollegin­nen und Kollegen, egal in
welcher Position oder Funktion, wuchsen weit über
sich hinaus. Jeder von uns spürte die große Verantwortung, aber auch das unglaubliche Gefühl, gemeinsam
etwas Einmaliges zu leisten.
Wie erlebten Sie die ankommenden Menschen?
Diese Menschen waren da, also wurde ihnen geholfen.
64
19|2017
Sie brauchten unsere Betreuung, um die Menschenwürde und Sicherheit zu bekommen, die ihnen an dem
Ort, den sie verlassen haben, genommen worden war.
Wie geht man mit negativer Kritik um?
Man darf nicht vergessen, dass wir alle nur Menschen
sind. Natürlich ist es schwierig, neben der Belastung
und dem Stress auch mit persönlichen Angriffen konfrontiert zu werden, diese waren aber selten. Die Wertschätzung, die wir erfahren haben, hat bei Weitem
überwogen. Das Wissen, hier und jetzt gebraucht zu
werden, wiegt mehr als jeder Ärger.
Gibt es Bilder, die immer in Ihrem Kopf bleiben werden?
Es gab in den ersten Wochen viele, auch langgediente
Kolleginnen und Kollegen, die schon viele Einsätze erlebt haben, die vom Bahnsteig zum Versorgungszelt
kamen und Tränen in den Augen hatten – einfach weil
sie so bewegt waren von der Ankunft so vieler hilfsbedürftiger Familien, Kinder, alter Menschen. Die Bilder
von der Bahnhofsgarage – die zu einem provisorischen
Lager mit über 1.000 Betten umfunktioniert wurde –
werden uns immer im Kopf bleiben. Trotz dieser
schwierigen Bedingungen wussten die Menschen, dass
sie geborgen und in Sicherheit waren. Einfach deshalb,
weil wir da waren. Hier war die positive Kraft des
Symbols des Roten Kreuzes unmittelbar spürbar. Das
O
sind Momente, die man nicht vergisst. „Was passiert
hier Schönes?“
Wie eine siebenköpfige Familie
nach ihrer Flucht aus Syrien
wieder zusammenfand.
4444444444444 Von Susanna Berger
D
ie Tür geht auf und Hamza (9) und Suad (11) treten,
von Flugpersonal begleitet, in die Ankunftshalle.
Hadia Alzalan, die eben noch auf einem der Sitze
im Wartebereich ausgeharrt hat, springt mit ihrem
Baby auf dem Arm auf. Es sind ihre beiden ältesten
Kinder, die sie nach 15 Monaten endlich wiedersieht.
Sie schließt sie in die Arme und hält sie fest.
Die Geschichte der Familie Alzalan mutet für die
Passanten am Salzburger Flughafen wie ein kleines
Weihnachtswunder an.
„Was passiert hier Schönes?“, will eine Frau wissen.
Eine andere, sichtlich gerührt, wischt sich eine Träne
aus dem Augenwinkel.
Flucht mit Hindernissen
Die Geschichte beginnt im Jahr 2015, als die Alzalans
beschließen, ihrer Heimatstadt im Westen Syriens den
Rücken zu kehren. Erst verlässt Vater Ahmed (35) mit
Schleppern das Land, später folgen ihm seine Frau (27)
und die jüngeren Kinder Mona (5) und Saud (6). Hamza
und Suad müssen in der benachbarten Türkei bleiben,
weil für ihre Flucht kein Geld mehr da ist.
„Diese Entscheidung war fürchterlich“, erzählt der
Familienvater. Die Kinder lebten mit einer Bekannten
in einem türkischen Flüchtlingscamp nahe der Grenze.
Nachdem die Familie in Österreich Asyl erhalten hatte,
Wiedersehen am
Flughafen Salzburg
arbeitete das Rote Kreuz an der Familien­zu­sam­men­­
führung. Es sollten weitere sechs Monate vergehen, bis
Hamza und Suad endlich ausreisen durften.
„Es war sehr aufwendig und kompliziert“, sagt Stefan
Soucek vom Salzburger Roten Kreuz. Aber mit Hilfe des
türkischen Roten Halbmondes, der UNO-Flüchtlingshilfe UNHCR und der Internationalen Organisation für
Migration konnte man alle Formalitäten erledigen.
Hamza und Suad haben seit ihrer Ankunft nicht nur
ihre Familie zurück, sie haben auch noch einen kleinen
Bruder dazubekommen. Immer wieder küssen sie den
zwei Monate alten Gad, den sie nur von Fotos kannten.
Für Ahmed Alzalan ist der 8. Dezember ein Tag, den
er nie vergessen wird. Der Informatiker ist mit seiner
Familie in eine Wohnung in Oberndorf gezogen. „Für
uns beginnt ein neues Leben. Wir sind zusammen und
O
können in der neuen Heimat in Frieden leben.“
TRAUMATHERAPEUTISCHE STABILISIERUNGSGRUPPEN
Asylwerber zeigen oft Symptome von Traumatisierung aufgrund
ihrer Erfahrungen in der Heimat oder während der Flucht. Für die Behandlungen
gibt es lange Wartezeiten. In den Stabilisierungsgruppen des Roten Kreuzes
Salzburg lernen die Betroffenen Methoden zur Selbstberuhigung und
Emotionskontrolle, die ihnen helfen, das eigene Verhalten, Denken und
Fühlen besser einzuordnen und zu verstehen. Die Stabilisierungsgruppen
werden von Psychotherapeuten und klinischen Psychologen mit
Traumatherapiefortbildung geleitet. Dazu kommen vom Salzburger
Roten Kreuz ausgebildete Dolmetscher.
19|2017
65
Steiermark
Shahir mit Schwester,
Mutter und Bruder
Mit 14 auf der Flucht
Die gefährlichste Reise seines Lebens:
Aus der Taliban-Geiselhaft in eine Zukunft mit Perspektive.
4444444444444 Von Lucas Kundigraber
N
och vor wenigen Minuten hat Shahir Lebensmittel
in das Lager seiner Peiniger, der Taliban, geschleppt. Doch nun nutzt er einen kurzen Moment
der Unachtsamkeit und krallt sich mit
all seiner Kraft an den Unterbau des
Lieferwagens – bis dieser nach etwa
15 Minuten Fahrt endlich zum Stillstand kommt. Shahir holt noch einmal tief Luft und läuft los. Der Beginn
einer monatelangen Flucht.
In den nächsten Monaten durchquert er viele Länder. „Ich fürchtete,
dass mich dieser Weg töten würde.
Aber ich hatte immer im Hinterkopf:
Wenn ich aufgebe und nach Afghanis­
tan zurückkehre, sterbe ich sowieso.“
Immer wieder kommt es auf seiner
Flucht zu brenzligen Situationen. Sha-
66
19|2017
hir wird gefangen genommen. Verprügelt. Voller Blessuren kommt er irgendwie frei. Er schuftet auf einer
Plantage, um sich die Weiterreise zu finanzieren. Seine
Familie weiß zu dieser Zeit von alldem
nichts. „Alle dachten, ich sei tot.“
Doch er kämpft weiter und kommt
seinem Ziel, endlich in Sicherheit zu
sein, immer näher. Viele Wochen später
findet er sich auf einem Lkw wieder, wie
damals in Afghanistan. Doch dieses Mal
im Lagerraum, nicht am Unterbau.
Der beeindruckende Neubeginn
Auf der österreichischen Autobahn hat
Shahirs Flucht ein abruptes Ende. Polizisten bringen ihn ins Flüchtlingslager
in Traiskirchen. Er erfährt, dass er in
Österreich ist. Das war vor vier Jahren.
Seither hat sich viel getan. Nachdem sein Asylverfahund mit Unterstützung durch das Rote Kreuz bei der
ren abgeschlossen ist, beginnt Shahirs neues Leben. Er
Familienzusammenführung kommt er gemeinsam mit
darf in Österreich bleiben.
Shahirs Mutter und Schwester im Oktober 2016 nach
Es verschlägt ihn nach Graz, wo er neben der AbendÖsterreich. „Wir waren alle so unfassbar glücklich und
schule auch noch in einem Fahrradgeschäft aushilft.
haben gemeinsam viel geweint. Es war ein toller MoWas die vielen guten Nachrichten trübt, ist die Sorge
ment.“
um seine Familie, die noch immer in Afghanistan ist.
Jeden Tag nach der Arbeit verbringt Shahir viel Zeit
Vom Roten Kreuz wird er beim Antrag auf Familienmit seiner Familie und schaut, dass sie sich so gut
zusammenführung beraten und unterintegriert, wie er es getan hat. Seine Gestützt. „Ich habe dort einfach angerufen,
schwister gehen bereits zur Schule, lerbin vorbeigekommen und wir haben viel „Die Sprache ist das
nen ebenso fleißig wie er und besuchen
Wichtigste. Sie ist
gesprochen.“ Auch über Shahirs Perzusätzlich Deutschkurse. „Die Sprache
spektiven am Arbeitsmarkt. Dabei zeigt
ist das Wichtigste. Sie ist die Basis für
die Basis für alles
sich, dass eine Lehrstelle beim Bauunalles andere. Dann stehen einem in
andere“
ternehmen Porr die beste Möglichkeit
Österreich alle Möglichkeiten offen“,
wäre. Gecoacht von seiner Rotkreuz-Sosagt Shahir, mittlerweile Anfang 20.
zialbegleiterin verfasst er eine Bewerbung und bereiWie auch immer die Zukunft der Familie Azizi aussetet sich auf das Bewerbungsgespräch vor. Mit Erfolg:
hen mag: Der Sohn und große Bruder Shahir hat in den
Bei Porr ist man begeistert.
letzten Jahren eindrucksvoll gezeigt, was man mit
O
„Ich leite das Personal seit 25 Jahren – Shahir war der
Fleiß und Ehrgeiz alles erreichen kann. erste Lehrlingsbewerber, der in einer so hohen Qualität über unseren Konzern Bescheid wusste“, so Porr„In der Bildungs- und Sozialberatung orientieren wir uns
Personalleiter Oliver Erat.
an den Zielen und Kompetenzen der jeweiligen Person
Shahir kann sich im Unternehmen rasch integrieren
und suchen gemeinsam einen Weg, der zur aktuellen
und zählt zu den besten Lehrlingen des Betriebs. Sein
Lebenssituation passt. Wenn die Voraussetzungen im
Engagement macht sich bezahlt: Shahir erhält die
sozialen Umfeld vorhanden sind, zum Beispiel wenn der
Möglichkeit, zusätzlich eine zweite Lehre zu beginnen.
Lebensunterhalt einigermaßen gesichert ist, ist eine
„Wenn alles gut geht, werde ich bald mit einer DoppelBerufsausbildung eine tolle Chance. Sie ermöglicht
lehre beginnen. Dann bin ich nicht nur Maurer, sonneue Perspektiven am Arbeitsmarkt und ist ein Schlüssel
dern auch Schalungsbauer“, so der fleißige Shahir.
Das lang ersehnte Wiedersehen
Maurer – das möchte auch sein kleiner Bruder eines Tages werden. Nach langem bürokratischem Tauziehen
für gelingende Integration sowie eine wesentliche
Voraussetzung für finanzielle Selbstständigkeit –
unabhängig von Sozialleistungen.“
KARIN PLODER, Migrationsbeauftragte im LV Steiermark
Angekommen!
UND DEUTSCH LERNEN.
Seit Oktober 2016 bietet das Rote Kreuz Steiermark an
den Bezirks- und Ortsstellen in Liezen, Leoben,
Mürzzuschlag, Bruck/Kapfenberg und Wildon
Deutschkurse an, die vom Land Steiermark gefördert
werden. Im Rahmen des neuen Kursformats
„Angekommen! Und Deutsch lernen“ können Asylwerber
einen Deutschkurs beim Roten Kreuz Steiermark
besuchen. Die Teilnehmer lernen, wie sie
Herausforderungen des Alltags sprachlich bewältigen:
vom Einkaufen über Arzttermine bis zu kulturellen und
landesspezifischen Kenntnissen. Sie erfahren mehr über
Feste und Bräuche in Österreich, setzen sich mit den
Werten des gelungenen Zusammenlebens auseinander
und lernen ihre Rechte und Pflichten kennen.
19|2017
67
Tirol
MA Bayar
Bayar Suleiman ist der erste Teilnehmer
des freiwilligen Integrationsjahres im Roten Kreuz.
R
um, am 2. November 2016. Erster Arbeitstag für
Bayar Suleiman, den ersten Teilnehmer des
freiwilligen Integrationsjahres im Roten Kreuz.
Alle freuen sich, dass Bayar die Abteilung Flucht und
Migration im Roten Kreuz Tirol unterstützen wird.
Das freiwillige Integrationsjahr ist ein Angebot für
asylberechtigte oder subsidiär schutzberechtigte
Menschen, bei denen die Zuerkennung dieses Status
nicht länger als zwei Jahre zurückliegt. Außerdem
müssen Interessierte die bedarfsorientierte Mindestsicherung beziehen.
„Da Bayar schon recht gut Deutsch spricht, werden
wir die vorgesehene 150-stündige Ausbildung nicht nur
in Deutschlernkurse investieren, sondern ihn auch in
unsere Projekte im Bereich Flucht und Migration ein-
führen. Für mich ist es wichtig, dass er nach diesem
Jahr viel für sein Leben mitnehmen kann und den
Arbeitsalltag in Österreich kennenlernt“, meint Doris
Olumba, Mitarbeiterin im Bereich Migration. „Denn
beim freiwilligen Integrationsjahr handelt es sich um
kein Arbeitsverhältnis, sondern um ein Arbeitstraining.
Die Teilnehmer sollen neue Kompetenzen erlangen
und sich ein Netzwerk in Österreich aufbauen.“
Bayar ist glücklich mit der neuen Situation: „Ich
freue mich sehr, mitarbeiten zu können. Mein Tag hat
wieder eine Struktur und ich kann die Zeit nützen, um
mich auf meinen weiteren Lebensweg in Österreich
vorzubereiten. Für Menschen mit Fluchthintergrund ist
es am Anfang sehr schwierig, in einem neuen Land Fuß
O
zu fassen.“ Projekt protect
Auf eigenen Beinen stehen und das Wissen weitergeben.
V
iktoria und Bilal
bereiten den heutigen Tag vor. Stifte,
Blöcke, Wasser, alles
steht bereit. Jetzt noch
ein Willkommensgruß
auf die Tafel. „Das musst
du machen“, lacht Viktoria. Und Bilal schreibt:
“‫„ – „يوم جيد‬Guten Morgen“ auf Arabisch.
Der Workshop ist Teil
des Projekts „protect“,
das Schulungen in den Muttersprachen der Teilnehmer
anbietet. Ob auf Arabisch, Somali oder Dari/Farsi, Interessierte werden zu alltäglichen Fragen des Lebens in
Österreich geschult. Es geht dabei um die Rechte und
Pflichten eines österreichischen Staatsbürgers oder
das österreichische Gesundheitssystem.
Ziel der Schulungstage ist es, die Teilnehmer zu befähigen, ihr Wissen über die österreichische Gesellschaft an die Menschen in ihrer Gemeinschaft weiterzugeben und so als Multiplikatoren zu wirken. Bilal ist
vor mehr als drei Jahren aus Syrien über die Türkei
68
19|2017
Workshops zum Leben in
Österreich
nach Öster­reich geflüchtet, wo er Asyl beantragt
hat. Bereits im Asylverfahren engagierte er sich
freiwillig im Roten Kreuz.
Später wurde er als
hauptamtlicher
Mitarbeiter aufgenommen und konzipierte mit dem Team
der Abteilung Migration das Projekt „protect“ in Tirol,
das auf einem Konzept des Wiener Roten Kreuzes
basiert.
Safa war eine der ersten Teilnehmerinnen. Sie ist
überzeugt: „Für uns Frauen ist es wichtig, in Österreich
auf eigenen Beinen zu stehen. Durch Projekte wie
,protect‘ bekommen wir das notwendige Handwerkszeug, um uns eigenständig zurechtzufinden und unser
Wissen auch an andere weitergeben zu können.“ O
Näheres zu „protect“ unter: www.roteskreuz-tirol.at
ProjektXchange-Botschafter Ahmed,
Projektkoordinatorin Doris
projektXchange
Austausch macht Fremde zu Freunden.
„Wo genau liegt Somalia?“
„Können die Kinder dort noch in die Schule gehen?“
„Wie bist du nach Österreich gekommen?“
„Vermisst du deine Familie sehr?“
ragen wie diese beantwortet Ahmed im Rahmen
von projektXchange, einer Initiative von Rotem
Kreuz und Jugendrotkreuz Tirol. Er ist Freiwilliger im
Roten Kreuz Tirol und vor vier Jahren aus Somalia geflohen.
Ziel von projektXchange ist es, durch persönliches
Kennenlernen Vorurteile, Ängste und Konflikte abzubauen und ein Miteinander zu fördern. Bei den Schulbesuchen berichtet Ahmed als einer von rund 300
ehren­amtlichen Botschaftern von seiner persönlichen
Geschichte und seinen Fluchterfahrungen.
F
Besuch in der Schule
Ein Schulbesuch dauert zwei bis drei
Stunden. Im ersten Teil berichtet ein
Mitarbeiter von der Situation in den
Her­kunfts­ländern, von der Rotkreuz-Arbeit im Bereich Flucht und
Migration oder vom Asylrecht.
Im zweiten Teil erzählt ein projektXchange-Botschafter erst die eigene Fluchtgeschichte, danach sind
die Schüler an der Reihe und stellen
Fragen. „Nachdem Ahmed in unsere
Klasse gekommen war, wurde mir
erst richtig bewusst, was Menschen,
die aus ihrer Heimat flüchten müsInfofolder zum Projektangebot
sen, alles leisten. Dass er seine Lebensfreude behalten
hat und sich für andere Geflüchtete einsetzt, bewundere ich“, meint Luisa, eine Schülerin aus Innsbruck.
„Alle wünschen sich ein sicheres Leben“
Seit April 2016 haben Ahmed und das Team vom Roten
Kreuz Tirol schon 15 Workshops – von der Volksschule
bis zum Gymnasium oder zur Berufsschule – abgehalten. Und die Nachfrage steigt.
„projektXchange ist ein wichtiger Teil unserer Rotkreuz-Arbeit. Es ist wichtig, Brücken zu bauen, um die
Angst vor dem scheinbar Fremden zu verlieren. Das Rote Kreuz ist ein gesellschaftlicher Motor. Es ist unsere
Aufgabe, Menschlichkeit zu leben und uns für die
Gleichbehandlung aller einzusetzen – unabhängig von
Herkunft, Glauben oder Weltanschauung“, meint Thomas Wegmayr, Landesgeschäftsführer des Roten Kreuzes Tirol.
Auch Ahmed ist überzeugt: „Nur
durch den direkten Kontakt mit
Menschen anderer Kulturen, anderer Hautfarben, mit anderer Hintergrundgeschichte können Intoleranz
und Voreingenommenheit abgebaut
werden. Im Gespräch wird schnell
klar, dass sich alle Menschen – egal
wo sie geboren sind – eigentlich nur
ein sicheres Leben für sich und ihre
Familie wünschen.“
projektXchange wird in allen BunO
desländern angeboten. www.projektxchange.at
19|2017
69
Wien
Mahmoud mit seinen Kindern
Mohammad und Linda
IWORA
A
Integrationswohnraum für Geflüchtete.
44444444 Von Julia Hofbauer
sylberechtigte stehen nach ihrer Flucht aus der
Heimat vor der Herausforderung, in Öster­
reich Fuß zu fassen. Sozial- oder Gemeindewohnungen
stehen aufgrund der Wartezeiten meist nicht zur Verfügung. Eine eigene Wohnung ist jedoch eine wichtige
Voraussetzung für erfolgreiche Integration. Aus diesem Grund hat das Wiener Rote Kreuz das Projekt
IWORA ins Leben gerufen.
Sozialarbeiter unterstützen Asylberechtigte dabei,
leistbaren Wohnraum zu finden. Sie stehen den Klien­
ten neben der Wohnraumakquise bei der Antragstellung von Sozialleistungen, wie Mindestsicherung, Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld, sowie bei
Fragen zum Gesundheitssystem beratend zur Seite.
Chance für den Beginn
Die größte vom Wiener Roten Kreuz betreute IWORAEinrichtung befindet sich in Wien-Meidling und umfasst sieben Wohneinheiten. Seit Projektstart wurden
7 Kleinwohnungen für Jungfamilien und 12 mittelgroße Wohnungen für 81 Klienten in Wien vermittelt.
Mahmoud bezog Anfang Juli 2016 mit seiner Frau Nes-
rin und den Kindern Linda und
Mohammad (beide 8) eine
Wohneinheit in der Altmannsdorfer Straße. Die Familie kommt
aus Syrien und ist seit Oktober
2015 in Österreich. Sohn Moham­
mad leidet unter Autismus.
„Unser Zuhause lag direkt im
Kriegsgebiet. Wenn ein Flugzeug
über unser Haus flog, verkroch
sich Mohammad unter dem Tisch. Seine Krankheit hat
sich mit jedem Tag verschlimmert. Linda sprach nicht
mehr. Da wussten wir: Wir müssen gehen“, erzählt
Mahmoud.
Schule und Deutschkurse
In Wien besucht Mohammad eine sonderpädagogi­
sche Schule. Er nimmt an einer Musiktherapie teil.
So kommt er zumindest phasenweise zur Ruhe. Die
achtjährige Linda besucht eine Volksschule, in der sie
besonders herzlich empfangen worden ist.
In der vorübergehenden Unterkunft fühlt sich die
Familie wohl und schätzt auch die Betreuung durch das
Wiener Rote Kreuz: „Wegen der Krankheit unseres
Sohnes müssen wir täglich zum Arzt fahren. Das Rotkreuz-Team unterstützt uns dabei sehr“, ist Mahmoud
dankbar. Für die Zukunft wünscht er sich, dass seine
Kinder die schrecklichen Erlebnisse verarbeiten können und wieder Freude am Leben haben.
Mutter Nesrin besucht den Deutschkurs für Frauen,
der zweimal wöchentlich im Gemeinschaftsraum des
Hauses stattfindet. Vater Mahmoud nimmt an einem
vom AMS organisierten Deutschkurs teil. Er wurde zum
„Haussprecher“ gewählt und verwaltet nun den Schlüssel für den Gemeinschaftsraum, sorgt für Ordnung
und Putzpläne und kümmert sich um die Pflanzen. In
Syrien war er Florist und besaß eine Blumenhandlung.
Diesen Beruf möchte er gerne wieder ausüben.
Für Mahmoud und seine Familie ist IWORA ein
O
Meilenstein für eine eigenständige Zukunft. TEAM NIMBLE ist eine Gruppe
ehemaliger Studenten der TU und BOKU Wien.
Sie gestalten die kahlen Räume unserer
Flüchtlingsquartiere und die IWORA-Einrichtung
in der Altmannsdorfer Straße mit Farbe und
Kreativität. „Unsere Ideen wurden mit Interesse
aufgenommen und weiterentwickelt, die Bewohner
haben Know-how, Fleiß und Kreativität eingebracht“,
sagt Georg Steinfelder von Team Nimble.
70
19|2017
Voneinander lernen,
miteinander lernen
Workshops für Hilfe im Notfall.
444444444444 Von K arin Pointner
H
allo, mein Name ist Nemat. Ich bin 19 Jahre alt,
komme aus Afghanistan und lebe seit einem
Jahr und zwei Monaten in Österreich.“ Ein
Raunen geht durch den Raum. Eine Workshop-Teilnehmerin nickt anerkennend und meint: „So gut möchte
ich auch Deutsch sprechen!“
Nemat lächelt stolz. Es ist der erste Workshop, den
er abhält. Er schaut zu den anderen Vortragenden,
Christine und Merve. Christine hat Nemat und Merve
ausgebildet. Merve absolviert gerade das „Freiwillige
Soziale Jahr“ beim Wiener Roten Kreuz.
Sie alle sind für das Projekt „protect“ im Einsatz. Es
wird seit Herbst 2016 vom Fonds Soziales Wien finanziert. Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrung
sollen durch kostenlose zweistündige „Hilfe im
Notfall“-Workshops erreicht werden.
Die Workshops werden von 5–25 Personen besucht
und auf Deutsch abgehalten. Themen sind richtiges
Verhalten in Notfällen und freiwilliges Engagement.
In Gruppen mit geringen Deutsch­kenntnissen werden
Die Protect-Freiwilligen Souhaib und Sultan
schwierige Begriffe übersetzt. Farsi, Paschtu, Dari,
Somali und Arabisch sind besonders gefragt. Stabile
Seitenlage und Rettungskette kommen ebenso vor wie
die Notrufnummern, Verhalten im Brandfall, Erste
Hilfe und freiwilliges Enga­ge­ment.
Auf diesem Engagement beruht auch der Erfolg des
Projekts, denn die Vortragenden sind Freiwillige unterschiedlichster Herkunftsländer und Altersgruppen. O
Kochen mit
Hamed und Fatima
U
Der Geschmack des Orients trifft Liebe zum Menschen.
nter dem Titel „Kochen
mit Hamed Hummus
und Fatima Falafel“ hat die ORFJournalistin Christine Grabner
mit einem Team ein Koch-LeseBuch veröffentlicht. Kinder aus
Syrien, Afghanistan, dem Irak
und Iran haben dafür ihre Lieblingsrezepte verraten.
Einige Kinder wurden mit ihren Familien vom Wiener Roten Kreuz betreut. Gemeinsam mit der iranischen Köchin Hirsa Navid und
dem syrischen Koch Mahmoud Al Ahmad haben sie die
orientalischen Köstlichkeiten zubereitet und dabei
Christine Grabner,
Mahmoud Al Ahmad:
„Kochen mit Hamed Hummus
und Fatima Falafel“
Edition Esspapier, E 14,90
auch über sich, ihre Familien, ihre Flucht und ihre
Zukunftspläne erzählt.
Die zehn Kinder Salwa,
Ibrahim, Ritaj, Mahdi, Mohammad, Muhadesa, Fatima, Mohammad, Moyad und Shana sind zwischen vier
und elf Jahre alt. Sie haben sich gerne für das Buch
fotografieren lassen und bunte Zeichnungen als IllusO
trationen zur Verfügung gestellt. 19|2017
71
Kärnten
„Herzlich
willkommen!“
100 Gäste beim ersten „Begegnungscafé“
der Rotkreuz-Bezirksstelle Klagenfurt.
444444444444 Von Christian Wetternig & Melanie Reiter
D
ie Kinder hatten
Spaß beim Bas­
teln mit den Pfadfindern, die Erwachsenen unterhielten sich
und kosteten sich durch
Die Tanzgruppe des
die internationalen Arobosnischen Kulturzentrums
men des Buffets, die
Tanzgruppe „Bkud Safir“
des bosnischen Kulturzentrums Klagenfurt sorgte für
Stimmung, dann wurde gemeinsam getanzt und gesungen: Am 29. Oktober ging das erste „Begegnungscafé“ des Roten Kreuzes Klagenfurt über die Bühne.
Bezirksstellenleiter Philip Kucher freute sich über
den Besuch von rund 100 Gästen: „Hier treffen sich
viele Nationalitäten zum gemeinsamen Austausch.
Das ist die Basis jedes Miteinanders.“
Kulturelle und sprachliche Hürden
Künftig sollen für Interessierte auch Vorträge und
Seminare zum Thema Gesundheit im Rahmen des
„Begegnungscafés“ angeboten werden, sagt Brigitte
Pekastnig vom Roten Kreuz Kärnten.
72
19|2017
Partner des „Begegnungscafés“ ist die Stadt Klagenfurt. „Die Suche nach geeigneten Räumlichkeiten war
nicht einfach, aber schlussendlich hatte sie Erfolg“, so
Integrationsstadträtin Ruth Feistritzer.
Auch Rotkreuz-Präsident Peter Ambrozy freut sich,
dass es mit dem Integrationscafé der Bezirksstelle
Klagenfurt geklappt hat: „Viele Migranten, die nach
Österreich kommen, schaffen es, sich in ihrer neuen
Umgebung zurechtzufinden. Aber andere haben
Schwierigkeiten – das sind jene Zuwanderer, denen wir
unsere Aufmerksamkeit widmen. Migranten stehen oft
vor kulturellen und sprachlichen Hürden oder sie
haben mit Diskriminierung zu kämpfen. Dieser Gruppe
von bedürftigen Menschen zu helfen ist ein Prinzip der
Rotkreuz-Bewegung auf der ganzen Welt.“
Das Projekt wird vom Referat für Migration der Bezirksstelle Klagenfurt unter Federführung von Meggie
Meesters betreut. Die Organisation des Cafés hat ein
freiwilliges Team rund um Marion Obermüller, Susanne Knaus und Ulli Jenny über.
„Jeder, der beim Treffen dabei sein will, ist herzlich
willkommen. Wir freuen uns über jeden einzelnen
O
Gast“, so die Organisatorinnen. Vorarlberg
Das Flüchtlingscamp
Hard
D
Wie Asylanwärter ihr neues Leben
in Vorarlberg meistern.
444444444444 Von Ulrike Sperrer
„Zu Beginn haben sich viele Mitmenschen in unserem
as Rote Kreuz Vorarlberg hat 2015 im ehemaligen
Flüchtlingscamp ehrenamtlich eingebracht, sei es bei
Gasthaus Löwen das „Flüchtlingscamp Hard“
Deutschkursen oder bei Unternehmungen mit den
errichtet, das von Petra Gebhard geleitet wird.
Bewohnern. Eine Kerngruppe ist zum Glück geblieben,
Betreut von beruflichen und ehrenamtlichen Rotkreuzjedoch lässt das ehrenamtliche EngageMitarbeitern können bis zu 81 Perso­
ment der Bevölkerung leider etwas nach“,
nen untergebracht werden.
erzählt Petra Gebhard.
Die laufenden Deutschkurse besu- Wer keinen Zugang
zum Arbeitsmarkt
Das Flüchtlingscamp Hard ist ein guter
chen die Asylanwärter sowohl extern
Beweis
dafür, dass Menschen verschiede­
als auch in internen Kursen, die Freihat, braucht eine
ner
Herkunft
friedlich auf kleinem Raum
willige aus der Gemeinde abhalten.
Tagesstruktur
O
miteinander leben können.
Bis zur Klärung ihres Status haben
die Erwachsenen keinen Zugang zum
Petra Gebhard
Arbeitsmarkt. Umso wichtiger ist eine Tagesstruktur
in ihrem Büro
mit Putzdienst, Einkauf, selbstständiger Verpfle­gung
und handwerklicher Tätigkeit. Die schulpflichtigen
Kinder besuchen die Volks- oder Mittelschule in Hard,
die Kleineren den Kindergarten.
Die meisten Asylanwärter meistern ihr neues Leben
in Vorarlberg sehr gut. Besonders die Kinder knüpfen
im Kindergarten und in der Schule schnell Kontakte.
Wenige leben zurückgezogen und haben Heimweh.
In der Gemeinde Hard wird Integration vorbildlich
gelebt, so gibt es regelmäßig Einladungen in die
Kulturwerkstätte zu Theater und Musik oder zum „Fest
der Freunde“.
19|2017
73
Back Issues
henri zum Nachbestellen.
Kostenlos, solange der Vorrat reicht.
Kein Nachdruck.
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Fremd
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
1 Sieben Einsätze hautnah mitverfolgt
Reportagen über die Arbeit des Roten
Kreuzes auf sieben Kontinenten. Berichte
vom Schauplatz, spektakuläre Fotos.
vergriffen, PDF auf http://henri.roteskreuz.at
10 Fremd
Integration: Die neuen Österreicher
in der Schule, in der Wirtschaft, in der
Gesellschaft. Wer profitiert vom anderen,
wer ist Nettozahler?
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Sponsoring-Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 03Z035192 S.
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Ausgabe 10|2010
Die neuen Österreicher 1 Integration: Wirtschaft prescht vor 1 Sprache: Getürktes Deutsch 1
Was ist los mit dem Islam? 1 Sind Zuwanderer Nettozahler? 1 Prostitution: 100 Euro nach
Bulgarien 1 Schule: Sparen statt Lernen 1 Frühstück in Südkärnten 1 Der Pilot in der Volksschule
INtErVIEWS: Carla Baghajati, Brigitta Busch, Christopher Caldwell, Heinz Fassmann, Wolfgang Kopetzky,
Georg Kraft-Kinz, Svetlana Puljarevic, Ali Rahimi, Christoph Reinprecht
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
11 Perspektiven
Wohlstand und Sozialstaat erhalten – geht
das noch? Welche Maßnahmen sind dazu
nötig? Und wie setzt das Rote Kreuz
in ganz Europa sie um?
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Ausgabe 2 | 2005
DAS MAGAZIN MIT SIEBEN GRUNDSÄTZEN
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
2 Die Rotkreuz-Grundsätze
Die einzige Idee, für die noch nie ein
Mensch getötet hat. Reportagen aus aller
Welt, die zeigen, wie die sieben Grundsätze gelebt werden.
MAG
AZIN
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DAS
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FEHLT
FEHLT
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2011
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Ausg
DAS
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Das Recht auf ...
H LFE
Sponsoring-Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 03Z035192 S.
3 Katastrophen aus Wind und Wasser
Mehr Unwetter, Dürren und Überflutungen
wegen des Treibhauseffekts? Weltweite
Krise oder beherrschbares Problem? Eine
weltweite Bestandsaufnahme.
12 Das Recht auf humanitäre Hilfe
Internationale Hilfe ist eine Verantwortung
und eine Investition. Beispiele aus aller
Welt zum Engagement des Österreichischen Roten Kreuzes.
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
HUMANITÄRE
Ausgabe 3 | 2006
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
MAG
AZIN
, DAS
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS
Sponsoring.Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 03Z035192 S
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Das Rote Kreuz in
Abu Ghraib • Beine für
Afghanistan • Die Wahrheit
über Live Aid • Martin & Martina
in Afrika • Tschetschenen in Steyr •
Kathi (15) am Telefon • Neujahr
bei der Rettung • Lachen
in Langenlois
... ist Verantwortung und Investition
[nicht Mildtätigkeit und Erbarmen]
Helfertypen: Die Motive der NGOs p Helfen als Imagefrage: Die Unternehmen
Die Spendenformel: Das Kalkül der Medien p Krieg auf Rechnung: Die privaten Söldner
Hass auf die Helfer: Die Grenzen der Hilfe p Helfen zum Überleben: Die großen Einsätze
INtERvIEwS: Jonathan Benthall, Walter Feichtinger, Wolfgang Kopetzky, Peter Rabl, Werner Raza,
Max Santner, Martina Schloffer, Peter Vitouch, Andreas Wigger
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
das Magazin,
das fehlt.
Katastrophen aus Wind und Wasser •
Versichert die Armen! • Der Krieg ums
Wasser kommt nicht • Österreich lehrt
Indien schwimmen • Wellness und
Design des blauen Goldes • Die grünen
Berge von Osttimor • Wasser-Macher
Ausgabe 13| 2012
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
im Katastropheneinsatz • Wer kauft
Sponsoring-Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 03Z035192 S
Mineralwasser „ohne“?
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
4 Krieg der Generationen?
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Immer mehr Alte, immer weniger Junge:
Brechen unsere Sozialsysteme zusammen?
Wie wichtig sind Beruf und Familie? Die
fünf großen Alterslügen.
vergriffen, PDF auf http://henri.roteskreuz.at
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Prognosen sind nur Annahmen
Geburten: Vereinbarkeit entscheidet
Schule: Leistung mit Integration
Slowakische Pflegerinnen
So leben wir unser Leitbild: Reportagen aus den Bundesländern p Besondere Dienststellen:
So bunt ist das Rote Kreuz pFührung: Begeisterung oder Frust? p Das Leitbild hat Zukunft:
Neue Aufgaben, neue Leistungen p Mein Rotes Kreuz: Mitarbeiter über ihr Leitbild
INteRvIewS: Gerald Czech, Markus Jarnig, Werner Kerschbaum, Michael Opriesnig,
Ruth Simsa, Susanne Widhalm
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Mit 60 etwas Neues
In der Senioren-WG
Die fünf Alterslügen
Familienbilder
GENERATIONEN
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Ausgabe 14| 2012
14 Der Preis des Alter(n)s
Vom Umgang mit Älteren und Pflege­
bedürftigen: Was sich in Österreich
ändern muss und wie wir ein lebenswertes
Leben bis zum Ende finanzieren können.
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Der Preis
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
des Alter(n)s
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
5 Blut – Leben ist keine Ware
Sind unsere Blutkonserven sicher?
Und: Sind uns genug Blutkonserven sicher?
Starke Partner
– starke Visionen
Wenn Blut in der EU als Ware deklariert
wird, ist beides in Gefahr.
Sponsoring-Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 03Z035192 S.
Sponsoring-Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 03Z035192 S
Wo bleibt der Funfaktor, Baby?
Sprachen lernen im Kindergarten
Sponsoring-Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 03Z035192 S.
Ausgabe 4 | Jänner 2007
:7IC7=7P?D":7I<;>BJ
13 Leitbild
„Wir sind da, um zu helfen.“ Das Leitbild
des Österreichischen Roten Kreuzes in
Reportagen, Diskussionen und aus der
persönlichen Sicht der Mitarbeiter.
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Die Missgunst der Alten
Sozialdienst für Junge und Alte?
25.000 Jugendliche pflegen
Frauen: Warum früher in Pension?
Oma & Opa werden „babyfit“
Im Alter am Abgrund: Gastarbeiter
Christa & Gerti, Freiwillige im Hospiz
Senioren-WG: Zusammen ist man weniger allein
IntervIeWS: Konrad Paul Liessmann, Klaus Malle, Fredy Mayer, Wolfgang
R. Mayr, Birgit Meinhard-Schiebel, Katharina Pils, Richard David Precht, Josef Wöss
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Ausgabe 15| 2013
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
6 Die vielen Gesichter der Pflege
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Junge
Wünsche
Vor über 75 Jahren entwickelte der japanische
Wissenschaftler Dr. Minoru Shirota Yakult.
Seine Vision war es, die von ihm entdeckten Milchsäurebakterien (Lactobacillus casei
Shirota) allen Menschen in einer einfachen,
handlichen und preiswerten Form zugänglich
zu machen. Auf dieser Basis entwickelte er das
fermentierte
Getränk
Yakult,
auf
das
Millionen Menschen weltweit seit über 75 Jahren
vertrauen.
Yakult und das Rote Kreuz: eine Partnerschaft
im Dienste des allgemeinen Wohlbefindens
Menschen zu dienen, die Yakult und das
Österreichische Rote Kreuz verbindet. Yakult
unterstützt das Rote Kreuz daher seit vielen
Jahren bei gesellschaftlich relevanten Themen.
2012 fördert Yakult wieder ein Blutspendeprojekt, um die österreichweite Versorgung
aufrecht zu erhalten. Informieren Sie sich jetzt
über die Blutspendezentralen des Roten Kreuzes
in ganz Österreich, auf: www.roteskreuz.at
Als kleine Stärkung nach einer Blutspende
erhalten Sie ein gratis Fläschchen Yakult – ganz
im Sinne des Wissenschaftlers Dr. Shirota, mit
kleinen Dingen große Dienste zu tun.
Pflege und Betreuung sind ein wesentliches
Zukunfts­thema für Österreich. henri 6 bietet
eine Bestandsaufnahme, in der viele
Akteure zu Wort kommen.
Es ist die Philosophie, dem Wohlergehen der
15 Junge Wünsche
Kinder brauchen mehr als nur Rechte!
Die Kindercharta und die Jugendcharta
des Österreichischen Jugendrotkreuzes:
20 Punkte, die uns wichtig sind.
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Die Kindercharta und die jugendcharta
des Österreichischen jugendrotkreuzes
p Wie viel Computer braucht das Kind?
p Mehrsprachigkeit: Generation Deutsch plus
p Verkehr: Der erste Schulweg
p Die kindliche Arbeitswoche
p Facebook: Digitale Nachbarn
p „Fehler sind Rohstoffe!“ p ProjektXchange
p jugendservice p Letzter Ausweg jugendheim
p Dilemmageschichte
Sponsoring-Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 03Z035192 S.
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
INTERVIEWS: Andrea Gerstenberger
Christina Hager • Philipp Ikrath • Belinda
Mikosz • Bettina Weidinger • Manfred Zentner
t
das sag
end!
die Jug
www.jugendrotkreuz.at/kindercharta
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Ausgabe 16| Juli 2013
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
7 Migration und Integration
Österreich hat Angst vor Zuwanderern.
Anderswo sind sie willkommen. henri 7
schlägt vor, wie Migration und Integration
geplant und gesteuert werden können.
Willkommen!
Willkommen!
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Zuwanderung &
Integration
in Österreich
und im
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Roten Kreuz
Willkommen!
Sponsoring-Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 432857691.
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
kommen
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
p Wir sind ein Zuwanderungsland!
p Die Migrationscharta des Roten Kreuzes
p Sprache und Bildung sind die Schlüssel
p Gibt es das Recht auf Asyl wirklich?
p Wo wir auf Zuwanderer angewiesen sind
p Lernhäuser p Aufgabenhilfe p projektXchange
p „Herzsprache“: Marketing für Migranten
p Zuwanderer als Freiwillige im Roten Kreuz
.
INTERVIEWS: Manuel Bräuhofer • Inci Dirim •
Christian Friesl • Stephan Kanhäuser
& Bernhard Schneider • Georg Kapsch •
Sebastian Kurz • Rüdiger Teutsch
16 Willkommen!
Zuwanderung und Integration in
Österreich und im Roten Kreuz.
Auch die Rotkreuz-Welt sähe ohne
Migranten anders aus.
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Ausgabe 17| September 2014
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Wir sind die
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Alle wollen.
Alle nehmen.
Wer gibt?
FReIwILLIge hILFe – DeR MoToR
unseRes ZusaMMenLeBens
Sponsoring-Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 03Z035192 S. Foto: Heribert Corn
1 Die Krise der Zivilgesellschaft
1 Biologie der Freiwilligkeit
1 Die Zukunft der Rettung
1 Team Österreich – Kufstein kostenlos –
Corporate Volunteering
1 InTeRVIews: Fredy Mayer – Ruth simsa –
Christoph Redelsteiner
1 Blut: sicherheit durch Freiwilligkeit
1 schüler als sanitäter in Bad Ischl
1 Land Rover Challenge
8 Alle wollen. Alle nehmen. Wer gibt?
Die vielen Gesichter der freiwilligen Hilfe.
Menschen, die helfen, weil sie es für sich
und andere tun. Die interessantesten
Projekte aus ganz Österreich.
Rettung
Die schnellste Hilfe Österreichs.
Sponsoring-Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 432857691.
Ausgabe 8|2009
17 Wir sind die Rettung
Retten Freiwillige besser? 144 oder 112?
Woher kommt das Tatü? Mit dem Taxi
zur OP? Braucht die Rettung Zivildiener?
70 Fragen zur Rettung. Und 70 Antworten.
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
p Notfallrettung oder Sozialdienst?
p Retten Freiwillige besser?
p Mit dem Taxi zur OP?
p Ist 144 schneller als 112?
p Was sind First Responder?
p Ist Rettung Kindersache?
u 70 Fragen, 70 Antworten
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Ausgabe 18| Oktober 2015
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
18 Das Versprechen
Die Grundsätze des Roten Kreuzes wurden
1965 festgelegt. Gelten sie heute noch?
Ein henri auf Deutsch und Englisch
mit Educational für den Unterricht.
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Die Welt der Uhrmenschen
Die Bluthunde der Geschichte
Diversity: Frauen im Krieg
IntervIeWs: Yves Daccord
thomas Gebauer DAS
Wolfgang Kopetzky
ralf Leonhard
Dirk Messner
Peter niggli
Max santner
Michael spindelegger
MAGAZIN, DAS FEHLT
Armut und Klimawandel
Humanitarian Diplomacy
eZA: Österreich zahlt zu wenig
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Das Geld der Migranten
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit, Armut und Klimawandel:
Die Rotkreuz-Bewegung begegnet den
neuen Herausforderungen.
Sponsoring-Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 03Z035192 S. Foto: IKRK
Was wir sehen
Was wir tun
The Pledge
sich
verpflichteteüberall
Vor 50 Jahren
immer und handeln.
zu
das Rote Kreuz,
Grundsätzen
nach sieben
heute noch?
Gilt das auch
the Red Cross
50 years ago
always stay true
pledged toseven
principles.
to their still relevant today?
Are these
EDUCATIONAL
Die Grundsätze im Unterricht | The principles in class
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
DAS MAGAZIN, DAS FEHLT
HUMAnItäre HILFe UnD entWIcKLUnGsZUsAMMenArBeIt
9 Was wir sehen. Was wir tun
Das Versprechen
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Ausgabe 9|2010
Back Issues von henri kostenlos bestellen:
E-Mail: [email protected]
Tel.: 01/589 00-356
henri online lesen: http://henri.roteskreuz.at
74
19|2017
„Das alte Europa, verkalkt
und überwiegend altersmilde,
von den eigenen Geistern heimgesucht,
wehrlos gegen Brutalität und Tyrannei,
seiner selbst unsicher und zugleich
ersehntes Ziel Millionen Leidender.“
Ian McEwan, „Nussschale“