Ausgabe 19| März 2017 DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Sponsoring-Post, SP 02Z031122 N DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Angekommen! Angenommen? Schaffen wir das? p Paul Collier: Die Obergrenze ist keine Zahl p Hartmut Dießenbacher: Was auf uns zukommt p Jasmina Rupp: Der Ruf des Dschihad p Florian Klenk vs. Christian Ortner: Lügt die Presse? p Johannes Kopf: Wie schnell lernen wir Arabisch? p Michael Chalupka, Walter Feichtinger, Gerry Foitik, Michael Kühnel, Bernhard Schneider, Bernd Wachter, eine österreichisch-syrische WG und Majida Gesundheit für Alle! Das Magazin Gesundes Österreich dient dem Informationsaustausch über Gesundheitsförderung und Prävention. Es erscheint dreimal im Jahr und gibt einen umfassenden Überblick über aktuelle Aktivitäten und Themen. Das aktuelle Magazin beschäftigt sich mit dem Thema: „Flüchtlinge – Zusammenleben gesundheitsfördernd gestalten“ und kann kostenlos beim FGÖ bestellt werden. Der FGÖ gibt in Broschüren und Foldern zu diesen und weiteren Themen Informationen mit wertvollen Tipps und Adressen. Praxisrelevante Seminare bieten die Fort- und Weiterbildungsprogramme für in der Gesundheitsförderung tätige Personen. Die Bewegungsempfehlungen für Erwachsene und Kinder gibt es als Plakat in der Größe DIN A2. Unabhängige und kompetente Informationen rund um das Thema Gesundheit und das Gesundheitswesen. Alle Publikationen erhalten Sie gratis beim Fonds Gesundes Österreich, ein Geschäftsbereich der Gesundheit Österreich GmbH, Bestellung unter: Tel. 01/895 04 00, Fax 01/895 04 00-20, [email protected], www.fgoe.org Editorial Anmerkungen zum homo migrans I st zum Thema Flüchtlinge schon alles gesagt, nur noch nicht von allen? Ganz im Gegenteil. Was wir 2015 erlebt haben, war erst der Anfang. Der Homo migrans flieht weiter vor Krieg und Repression und sucht ein besseres Leben. Globale Ungleichheiten verschärfen die Entwicklung. Warum waren wir darauf nicht vorbereitet? Das weiß Brigadier Walter Feichtinger (S. 23). Was ist von einer Obergrenze zu halten? Nun, zumindest ist sie keine Zahl, erklärt der OxfordÖkonom Paul Collier (S. 14). Warum sechs Dekaden Entwicklungshilfe Fluchtgründe Ist zum Thema Flüchtlinge nicht beseitigen konnten und was wir deshalb noch zu erwarten haben, weiß Konfliktforschon alles gesagt, scher Hartmut Dießenbacher (S. 10). Was nur noch nicht von allen? Schulen für Flüchtlingskinder leisten, erfährt Ganz im Gegenteil: Majida gerade in Wien (S. 30). Wann ihre Es ist Zeit für eine ehrliche Eltern Arbeit finden werden, schätzt AMSDebatte! Chef Johannes Kopf (S. 54). Ab Seite 56 lassen die Helfer selbst die Ereignisse Revue passieren – und blicken in die Zukunft. Nicht zuletzt: Hat uns die „Lügenpresse“ im „Märchensommer 2015“ verschaukelt? „Falter“-Chefredakteur Florian Klenk (im Streitgespräch mit Christian Ortner ab Seite 44) hat im September 2015 geschrieben: „Vieles von dem, was wir uns über Einwanderer erzählen, sind Märchen. Es ist Zeit für eine ehrliche Debatte.“ Zu einer solchen ehrlichen Debatte soll diese Ausgabe von henri beitragen. Aus Vernunft, aus Voraussicht – und aus Liebe zum Menschen. Univ.-Prof. DDr. Gerald Schöpfer Präsident 6 „Ich könnte sterben für ein neues Leben“ 8 An Bord der „Responder“ „Boat ahead. There will be a rescue!“ Ein Rettungsschiff der Menschlichkeit im Mittelmeer. 10 Die Überzähligen Alle wollen Fluchtursachen bekämpfen. Doch der Zusammenhang zwischen Migration und Überbevölkerung ist nach wie vor ein Tabu. 14 Die Suche nach der „Obergrenze“ Der Ökonom Paul Collier misst die Beziehung zwischen der Vielfalt in einer Gesellschaft und ihrem Wohlstand. 18 Der Ruf des Dschihad Der IS kann militärisch besiegt werden, seine Ideologie lebt weiter, sagt Islamismus-Forscherin Jasmina Rupp. 21 Gelten die Genfer Konventionen? Ist Flüchtlingsschutz noch zeitgemäß? Für den Rotkreuz-Rechtsexperten Bernhard Schneider liegt das Problem anderswo. 23 Die Grenzen in den Köpfen Wenn Europa nicht handelt, wird es in seiner heutigen Form keinen Bestand haben, sagt Konfliktexperte Walter Feichtinger. 26 Angekommen! 28 Familie plus Hier fürchtet sich niemand: Eine österreichisch-syrische WG zeigt, wie einfach das Zusammenleben sein kann. 30 Majida hat fertig Wie Flüchtlingskinder lernen – und wie sie das Rote Kreuz dabei unterstützt. Ein Schulbesuch. 32 Angekommen: Österreich in Schrift und Ton Ein Österreich-Führer des Roten Kreuzes wurde zum Handbuch für Geflüchtete und ihre Betreuer. 34 Logbuch Fliehkraft Kinder interviewen Geflüchtete und spüren ihren Erfahrungen nach: mit einer Ausstellung und auf einem Floß. 38 Eine von Millionen Nivins zweites Leben in Wien. Wie viele globale Flüchtlinge gibt es eigentlich? Migrationsforscher Guy Abel gibt Antworten. 40 Wo sind sie? Woher kommen sie? Impressum Eine globale Übersicht. 4 Herausgeber, Medieninhaber, Verleger: Österreichisches Rotes Kreuz, Wiedner Hauptstraße 32, A-1041 Wien. Verlagsort: Wien. ZVR-Zahl: 432857691 henri informiert Entscheidungsträger, Meinungsf ührer und andere Interessierte über Aktivitäten, Neuerungen, Ereignisse und Hintergründe im humanitären Geschehen. Gesamtleitung: Mag. Andrea Winter. Chefredaktion: Mag. Robert Dempfer, Tel.: +43-1-589 00-355, Fax: -159, E-Mail: robert.dempfer@rotes kreuz.at. Redaktion: Thomas Aistleitner. Koordination Bundesländer: Mag. Diana Karabinova. Website: www.roteskreuz.at. Produktion: Wortbild Medienproduktion, Wien, Tel.: +43-1-523 69 49-16, Info-Media, Wien. Produktionsleitung: Dr. Gottfried Fritzl. Grafische Gestaltung: Mag. Andrea Chadt. Bildredaktion: Mona Saleh. Fotos: Coverfoto: Jarkko Mikkonen/Finnish Red Cross. Fotos: ÖRK/Markus Hechenberger (S. 3); ÖRK/LV Steiermark/Luttenberger (S. 4); ÖRK/Helmut Mitter (S. 5); Italian Red Cross/Yara Nardi (S. 6–7); IFRC/Thorir Gudmundsson (S. 8/4, 9/3); istockphoto.com (S. 10/2, 11, 16, 18, 31, 43, 52–53); picturedesk.com (S. 12, 14, 15, 17, 47, 51/3, 55, 75); IFRC/Jonathan Kalan (S. 12); Katja Dießenbacher, Tifflis (S. 13); Nadja Meister (S. 19, 20/2, 22, 23, 25, 38, 45, 46/2, 47, 48/2, 49, 51/3); Arni/Archive der Vereinten Nationen/1. August 1951 (S. 21); fotolia.de (S. 21, 42–43); ÖRK/LV Stmk./Felix Kodolitsch (S. 25–26, 51); Harold Naaijer (S. 28–29); Robert Dempfer (S. 30, 31); Fotolia/macrovector (S. 32/2, 33); Projekt Fliehkraft (S. 34/3, 35/5, 36–37); Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital (S. 39); AMS/Andrei Pungovschi (S. 54); ÖRK/Robert Holzer (S. 56–57); ÖRK/LV NÖ/S. Gahr (S. 58, 59/2); ÖRK/LV NÖ/ RK Schwechat/Manfred Hanakampf (S. 58); ÖRK/LV Bgld. (S. 58); ÖRK/LV Bgld./Tobias Mindler (S. 59); ÖRK/LV NÖ (S. 60/4, 61/3); ÖRK/LV OÖ (S. 62/2, 63/5); ÖRK/LV Sbg. (S. 64/3, 65/2); ÖRK/LV Stmk. (S. 66/2, 67); Rotes Kreuz Tirol/Ennemoser (S. 68, 69/4); Jakob Pfaundler (S. 68); Rotes Kreuz Tirol/Abou Hatab (S. 68); ÖRK/LV Wien/Hechenberger (S. 70/3); WRK/Protect (S. 71); Roland Ferrigato (S. 71); Rotes Kreuz/Christian Wetternig (S. 72/4); ÖRK/LV Vbg. (S. 73/2). Lektorat: Mag. Sabine Wawerda. Druck: agensketterl Druckerei. Hinweis: Personenbezogene Bezeichnungen gelten im Zweifel gleichermaßen für weibliche und männliche Personen. 19|2017 Bild Inhalt 42 Gesellschaft auf der Flucht? 44 Lügenpresse? Die Rolle der Medien, unterschiedlich gesehen von den Journalisten Florian Klenk und Christian Ortner. 47 So haben wir geholfen Die Herausforderungen für die NGOs, gesehen von Michael Chalupka (Diakonie), Gerry Foitik (ÖRK) und Bernd Wachter (Caritas). 52 Was können sie? Sichern Flüchtlinge den Wohlstand? Eine neue Studie gibt Antworten. 54 „Würden Sie in einem halben Jahr Arabisch lernen?“ Johannes Kopf über Qualifikation und über „Wir schaffen das!“. 56 Wir sind da, um zu helfen 58 Burgenland „Es macht mich glücklich: Mein Einsatz in Nickelsdorf.“ 60 Niederösterreich Deutschtrainerin Renate Hani, Rotkreuz-Freiwilliger aus Syrien Besuch im Flüchtlingsquartier Schwechat 62 Oberösterreich Mit offenen Augen: Ein Brillenhersteller engagiert sich. Asylwerber als Schülerlotsen Afghanische Menüs im LKH Steyr 64 Salzburg Der Großeinsatz am Salzburger Hauptbahnhof „Was passiert hier Schönes?“ Wie eine syrische Familie wieder zusammenfand. Traumatherapie stabilisiert. 66 Steiermark Mit 14 auf der Flucht Neues Format für Deutschkurse 68 Tirol MA Bayan: Erstes freiwilliges Integrationsjahr im Roten Kreuz Projekt protect: Auf eigenen Beinen stehen projektXchange im Jugendrotkreuz Tirol 70 Wien Integrationswohnraum für Geflüchtete Workshops für Hilfe im Notfall Kochen mit Hamed und Fatima 72 Kärnten „Herzlich willkommen!“: Begegnungscafé in Klagenfurt 73 Vorarlberg Flüchtlingscamp Hard Wie Asylanwärter ihr neues Leben meistern. 74 henri – back Issues 19|2017 5 “ n n e e b b r e e L t s s e e t u n e n n ö n k i e h r c I ü „ f An Bord der „Responder“ Die Überzähligen Die Suche nach der „Obergrenze“ Der Ruf des Dschihad Gelten die Genfer Konventionen noch? Die Grenzen in unseren Köpfen 6 19|2017 19|2017 7 An Bord der „Responder“ Michael Kühnel, Wiener Rotkreuz-Delegierter Ein Rettungsschiff der Menschlichkeit im Mittelmeer. 4444444444444 Von Andrea Janousek A Gesundheitscheck unmittelbar nach der Rettung ttention to all stations – boat ahead proceeds to your station. There will be a rescue!“ (Achtung an alle Stationen – Boot voraus. Es gibt einen Rettungseinsatz.) An einem frühen Morgen im November starren zwei Frauen und drei Männer auf die tiefschwarzen Wellen des Mittelmeers. Sie tragen weiße Overalls, Rettungswesten und Sicherheitshelme und stehen an Deck des Rotkreuz-Rettungsschiffs „Responder“. Die Krankenschwestern Eleanor und Johanna, die beiden Rettungskräfte Thorir, Abdel und den Mediziner Michael verbindet dieselbe Aufgabe: das Leben von Menschen zu retten, die das Mittelmeer in Schlauchbooten durchqueren, um nach Europa zu gelangen. Vergessene Tragödie Seit Juni beteiligt sich das Rote Kreuz gemeinsam mit der privaten Hilfsorganisation MOAS (Migrant Offshore Aid Station) an der Bergung von Bootsflüchtlingen. Koordiniert vom Italienischen Roten Kreuz wechseln sich Rotkreuz-Mannschaften aus ganz Europa bei der medizinischen Betreuung an Bord ab. Die „Flotte der Menschlichkeit“ besteht aus der „Responder“ und ihrem Schwesterschiff „Phoenix“. Beide Schiffe verstehen sich als „schwimmende Ambulanz“ und sind da- 8 19|2017 Fieber messen: Johanna vom Isländischen Roten Kreuz rauf ausgelegt, pro Monat bis zu 3.000 in Seenot geratene Flüchtlinge entlang der gefährlichen Mittelmeerroute zwischen Nordafrika und Italien zu retten. Die geretteten Flüchtlinge werden in Häfen des italienischen Hoheitsgebietes ausgeschifft. Das Italienische Rote Kreuz sorgt für die Übergabe der Geretteten an die zuständigen Behörden. Alleine im Jahr 2016 sind nach Angaben der inter nationalen Migrationsbehörde IOM mehr als 4.650 Männer, Frauen und Kinder während der gefährlichen Überfahrt im Mittelmeer gestorben. 2015 waren es 3.660 Todesfälle. „Wir wollen, dass sie leben“ Einer, der das Sterben auf der Flucht verhindern möchte, ist der 41-jährige Wiener Arzt und erfahrene Rotkreuz-Delegierte Michael Kühnel. Seit Anfang November verstärkt er das internationale Rotkreuz-Team an Bord der Responder, das 14 Meilen vor der libyschen Küste kreuzt. Kühnel ist medizinischer Leiter an Bord. Er bezeichnet die geretteten Flüchtlinge respektvoll als „Gäste“. „Es sind in erster Linie Menschen. Wir machen keine Unterschiede, weder nach Herkunft, Geschlecht, Religion noch nach Hautfarbe oder sexueller Rettung mit dem Schlauchboot der Responder Orientierung. Das zählt zu unseren Grundsätzen. Wir wollen, dass sie leben.“ Das fünfköpfige Team aus Island, Italien, Österreich und Schweden hat schon 1.100 in Seenot geratenen Menschen das Leben gerettet. Kühnels Part beginnt mit der medizinischen Versorgung, bei der die Temperatur gemessen wird, geschaut wird, ob die Menschen dehydriert sind, Verletzungen oder Verätzungen an Armen, Beinen und Gesäß haben. Danach erfolgt die Untersuchung auf Skabies. Das sind kleine Tierchen, die sich unter der Haut einnisten und fürchterlichen Juckreiz verursachen. Erst dann bekommen die Gäste an Bord trockene Kleidung, weil ihre eigene nass und voll Treibstoff ist. Goldene Aludecken wärmen die unterkühlten Flüchtlinge. Sie bekommen Wasser und Butterkekse, weil diese am besten zu lagern sind. Tagelang im Schlauchboot Die Überfahrt vom Norden Afrikas nach Italien beträgt rund 550 Kilometer. „Unsere Gäste sind oft tagelang unterwegs. Sie wagen die Überfahrt in völlig überfüllten Schlauchbooten oder Holzschiffen, die nicht hochseetauglich sind“, erklärt Kühnel. Der Tod dieser Menschen wird in Kauf genommen. Um die Oktanzahl und damit die Verbrennungsleis tung zu erhöhen, wird der Sprit mit Chemikalien versetzt. Dadurch erleiden viele Flüchtlinge Vergiftungen und sterben. „Menschen, die in der Mitte des Bootes sitzen, haben oft nur den Kopf im Freien, inhalieren die Benzindämpfe oder schlucken das mit Wasser gemischte Benzin, das auf den Boden schwappt, während sie schlafen.“ Nicht allen in Seenot geratenen Flüchtlingen kann die Responder helfen. Mit der Bergung von Toten oder der schweren Entscheidung, mit der Reanimation nicht mehr weiterzumachen, hat auch das Rotkreuz-Team Erfahrung. „Ich weine nicht, wenn wir Tote bergen oder wenn jemand an Bord stirbt, aber jeder Mensch berührt mich auf eine Weise“, sagt Michael Kühnel. „Durch unsere Mission werden die Bilder, die wir aus den Nachrichten kennen, von den tausenden Toten, die beim Versuch der Überfahrt von Nordafrika nach Europa gestorben sind, erst begreifbar. Hier bekommen alle Zahlen ein Gesicht. Wir kennen die Namen nicht, sie bleiben anonym. Keiner erfährt, warum jemand auf der Flucht war, ob er Familie, Ziele oder Träume hatte. Es liegt an uns, das zu ändern. Nicht jeder muss auf ein Rettungsschiff gehen, um Menschenleben zu retten. Aber es sollte der Respekt vor dem Leben im Allgemeinen und dem der anderen vorhanden sein. Zurzeit erleben wir die Globalisierung der Gleichgültigkeit. Niemand fühlt sich wirklich verantwortlich für die Tragödien im Mittelmeer, die Menschen sind zum politischen Spielball geworden.“ Während sich Europa daran gewöhnt hat, dass im Mittelmeer Woche für Woche Menschen sterben, die auf den Kontinent wollen, wird das Rotkreuz-Team auf der Responder weitermachen und möglichst viele dieser Menschen retten. Eleanor vom Schwedischen Roten Kreuz verteilt Decken Der jüngste Gast Erst vor wenigen Tagen konnte das Rotkreuz-Team seinen bisher jüngsten Gast retten. Er heißt Desmond, ist einen Monat alt und kommt aus Nigeria. Dank der raschen Hilfe des Roten Kreuzes sind der kleine Bub und seine Mutter wohlauf. „Wir fragen uns nicht: Warum tut man dem Kind das an? Sondern: Wie verzweifelt muss man sein, wie wenig Perspektiven und wieviel Angst muss man haben, um diese Überfahrt mit einem so kleinen Baby zu wagen?“ Gerettet vom Responder-Team: Treasure, 1, und ihre Mutter 19|2017 9 Die Überzähligen 44444444 Interview: Robert Dempfer E Alle wollen Fluchtursachen bekämpfen. Doch der Zusammenhang zwischen Migration und Überbevölkerung ist nach wie vor ein Tabu. risiko. Hartmut Dießenbacher ist deutscher KonfliktU-Spitzenpolitiker reisen nach Niger und Mali, um forscher mit Schwerpunkt auf demografischer Bürger„Migrationspartnerschaften“ abzuschließen. Außenmi kriegsforschung an der Universität Bremen. In seinem nister Kurz besucht Äthiopien, um dort effektivere Buch „Kriege der Zukunft“ hat er nachgewiesen, dass Grenzkontrollen auszuhandeln. „Tausende junge Mänder ruandische Völkermord und die Bürgerkriege in ner verlassen das Land, in dem kein Krieg herrscht, Angola, im Sudan und im Kosovo durch Überbevölkeund riskieren auf dem Weg nach Europa ihr Leben“, rung angetrieben waren. titelt der „Spiegel“ über den Senegal. Ein Aspekt, der in der Migrationsdebatte mit keinem henri: Herr Professor Dießenbacher, 86 Prozent aller Wort vorkommt: Die genannten Länder weisen die Flüchtlinge stammen aus Ländern mit hohen Geburtenraten. höchsten Geburtenraten der Welt auf, Niger – mit 45 Ist Überbevölkerung ein Fluchtgrund? Geburten auf 1000 Einwohner pro Jahr – überhaupt die höchste: Drei Viertel der H. DIESSENBACHER: Ein we„jüngsten Bräute der sentliches Merkmal von ÜberWelt“ heiraten dort zwibevölkerung besteht darin, schen 14 und 18 Jahren. dass die Mehrheit der bis zu In den 1990er-Jahren 29-Jährigen keine Beschäftigriff der amerikanische gung findet. Sie ist vom Gefühl Geograf Gary Fuller Saeiner gewissen Nutz- und Sinnmuel Huntingtons Belosigkeit ihres Lebens bedroht. griff des „youth bulge“ Bevölkerungswachstum und (Jugendüberhang) für Wirtschaftswachstum klaffen seine Bürgerkriegsfor weit auseinander. Das führt zu schung auf: Sind 20 Propermanenten lebensbedrohzent einer Bevölkerung lichen Situationen. Seit Walter junge Männer im Alter Cannon kennen wir als Reak „Zwischen 1950 und 2050 wird von 15 bis 29 Jahren, tion darauf den „fight-or-flight sich die Bevölkerung Afrikas dann steigt das Tötungs response“. um 1000 Prozent vermehrt haben“ 10 19|2017 Kampf oder Flucht, um der Armut, der Arbeitslosigkeit und der Ausweglosigkeit zu entkommen? Die lebensbedrohlichen Situationen in einem über völkerten Land, vor allem in seinen rasant wachsenden und aggressiv aufgeladenen Megacitys, müssen so erheblich sein, dass viele der überzähligen Jüngeren von der Suche nach einem neuen Leben getrieben sind. Einige sind in Schockstarre paralysiert. Sie resignieren und sacken ab in hoffnungslose Armut. Aber andere kämpfen? Die Vitalen und Kompetenteren lehnen sich auf. Ich glaube, dass in jedem vitalen „Überzähligen“ ein potenzieller Krieger und ein potenzieller Flüchtling stecken. Der „Überzählige“ lebt ständig im Vorfeld der Flucht und im Vorfeld der Schlacht. Beide Reaktionen sind im Hypothalamus neurologisch eng benachbart. Vielleicht wissen die meisten anfangs selbst nicht, ob sie fliehen oder angreifen werden. Da steht auch die Fluchtforschung am Anfang. Die jungen Männer, die seit 2015 nach Europa gekommen sind, waren ja gerade nicht gegeneinander zu Felde gezogen. Das hat mich anfangs verwirrt. Ich bin davon ausgegangen, dass sich überzählige junge Männer dem „Islamischen Staat“ oder anderen Milizen anschließen. Aber auch überzählige Senegalesen fliehen nach Europa, Kriege führen sie keine. Wir sprechen nicht mehr bloß vom Übervölkerungskrieger, sondern auch vom Übervölkerungsflüchtling. Afrikas Bevölkerung wächst. Was ist zu erwarten? Die Weltbevölkerung wird bis 2050 um 2,6 Milliarden Menschen wachsen. Das ist fünfmal Europa oder die Bevölkerung Chinas und Indiens zusammengenommen, in nur 33 Jahren. 90 Prozent dieses Zuwachses sind in den niedrig entwickelten Ländern zu erwarten. Am hervorstechendsten ist Afrika. 1950 lag die Bevölkerung noch unter der Europas … ... aber schon 1995 hatte sie die weit überholt. 2009 betrug sie 1,1 Milliarden und sie wird sich bis 2050 auf 2,2 Milliarden verdoppeln. Dann hat Afrika seine Bevölkerung in 100 Jahren um 1000 Prozent vermehrt. Und die Länder des Nahen und Mittleren Ostens? Die legen bis 2050 auch auf 620 Millionen zu. Dann haben wir in schwarzafrikanischen und arabischen Ländern etwa 1,8 Milliarden Menschen unter 30 Jahren. Ist jeder Vierte migrationsbereit, stünden in 33 Jahren gut 400 Millionen junge Afrikaner und Araber vor den Türen Europas. Es geht auch anders: Im Iran wurde die Fertilitätsrate in „Alterssicherung ist kein Akt der Caritas, sondern sie zündet den ökonomischen Motor und setzt Wachstum in Gang“ 25 Jahren von über 7 auf ungefähr 2 Kinder pro gebärfähiger Frau gesenkt. Ja, bemerkenswert. Pille, Kondome und die glückliche Kleinfamilie wurden beworben. An Schulen und Universitäten gab es Verhütungsberatung und Familienplanung. Dazu soziale Absicherung. Inzwischen hat die Regierung eine Kehrtwende vollzogen. Mit dem Verlust der „Atombombe“ greifen sie jetzt zur „Bevölkerungsbombe“: Bis 2050 soll sich die Bevölkerung auf 150 Millionen verdoppeln, um die Vorherrschaft auf der Arabischen Halbinsel zu sichern. Aber bis dahin hielt man Bildung und Aufklärung für die Erfolgsrezepte? Pointiert verkürzt: Wem es gelingt, gebärfähige junge Frauen zwischen 18 und 28 Jahren durch kostenlose Bildung, kostenlose Geburtenkontrollmaßnahmen und eine gesetzlich garantierte Rente im Alter vom vielen Kinderkriegen abzuhalten, der ist auf dem richtigen Weg. Bildung hilft aber armen afrikanischen Frauen wenig. Natürlich werden selbst gebildete Frauen so lange nicht auf mehrere Kinder verzichten, als sie nicht wissen, wie sie sich im Alter und bei Gebrechlichkeit ernähren sollen. Geburtenkontrolle also nur in Verbindung mit Pensionsversicherung – aber wer zahlt die? 19|2017 11 ermöglichen. Aber in diesen 20 Jahren hat sich die Bevölkerung verdoppelt! Er konnte gar nicht so viele Bäume pflanzen, wie Menschen geboren wurden! Was also sollten Hilfsorganisationen machen? Anders als Regierungen sollten sie klein beginnen. Ich habe in Fluchtländern nach Krankenhäusern, Hilfs organisationen, Betrieben und Fabriken gesucht, um dort eine „Beratungsstelle für Geburtenkontrolle und Betriebsrente“ einzurichten. Aber ich habe niemanden gefunden. Iran: Familienplanung senkte die Kinderzahl von 7 auf 2 pro Frau Alterssicherung ist kein Akt der Caritas, sie zündet den ökonomischen Motor. Wer ökonomisches Wachstum in Gang setzen will, muss Alterssicherung einführen. Wie muss man sich das vorstellen? Nehmen wir ein Paar mit sechs Kindern, das über ein monatliches Einkommen von 1000 ökonomischen Einheiten verfügt. 600 gehen an die Kinder, 100 sind für den Unterhalt alter Eltern zu zahlen. Bleiben 300 Einheiten. Erhalten die alten Eltern monatlich eine Rente, hätte das Paar schon 400 Einheiten für sich. Ferner entfiele das Motiv, möglichst viele Kinder als Altersversorger in die Welt zu setzen. Bei zwei Kindern hätten sie statt 400 nun 800 Einheiten für sich. Einen Teil könnten sie in ihre eigene Altersversicherung einzahlen. Und den Rest? Sie könnten produktive Güter kaufen: ein Fahrrad zum eigenen Transport und für logistische Dienstleistun gen. Ackerland mit einer Wasserpumpe, einen Generator, einen Computer. Oder sie investieren in die Bildung ihrer zwei Kinder oder in kleine Unternehmensgründungen in Handwerk und Dienstleistungen. Jedenfalls könnten sie sich als aktivere Teilnehmer auf den Waren-, Arbeits- und Kapitalmärkten bewegen. Klingt wie eine gute Idee für Hilfsorganisationen, so etwas zu fördern. Das humanitäre Engagement ist unverzichtbar. Aber frei von Schuld macht es nicht. Nach meiner Analyse geht es nicht darum, die Überzähligen humanitär zu versorgen – sondern darum, sie zu verhüten. Sonst gerät man in die Rolle des Arztes, der Kranke braucht, um seine Existenz zu rechtfertigen. Was würden Sie als Politiker tun? Ich würde sagen: Nur Nothilfe alleine ist zu wenig. Erinnern Sie sich an Karlheinz Böhms Aktion „Menschen für Menschen“ in Äthiopien. Böhm hat gemeint: Wir pflanzen viele Bäume an, und in 20 Jahren werden diese blühen, Schatten spenden und Landwirtschaft 12 19|2017 Gibt es dafür Best-Practice-Beispiele, wo diese Strategie schon aufgegangen ist? Deutschland war das erste Land, das eine gesetzliche Rentenversicherung eingeführt hat. Ganz ohne Geburtenkontroll-Kampagnen ging die Zahl der Kinder pro Frau in 100 Jahren im Durchschnitt von 6,6 auf 1,7 runter. „Wem es gelingt, Frauen zwischen 18 und 28 Jahren durch Bildung und eine garantierte Rente im Alter vom vielen Kinderkriegen abzuhalten, der ist auf dem richtigen Weg“ Hartmut Dießenbacher Aber klappt das auch in Entwicklungsländern? Ich habe diesen Eindruck, ja. Man müsste aber jetzt konkrete Vorschläge vorlegen. Auch in Drittwelt- und Schwellenländern bekommen Soldaten, Polizisten und Beamte eine Staatsrente und Industriearbeiter eine Betriebspension. Und: Sie haben weniger Kinder als die anderen! Hundert Jahre Zeit haben wir dafür aber nicht mehr! Deshalb sollte man in ausgewählten Ländern damit beginnen, etwa in Ägypten. Denn wir wissen: Selbst bei rückläufiger Kinderzahl wächst eine Bevölkerung noch 30 bis 40 Jahre lang weiter. Stoßen Ihre Überlegungen angesichts der Flüchtlinge inzwischen auf größeres Echo? VIELE KINDER – VIEL ARMUT Die 15 geburtenstärksten Länder der Welt und ihr Platz im Human Development Index (HDI) von insgesamt 188 Ländern. Die Geburtenrate gibt die Anzahl der Lebendgeburten pro Jahr bezogen auf 1000 Einwohner an. 1 LAND Niger 2 Mali 44,99 179 3 Uganda 43,79 163 4 Sambia 42,13 139 5 Burkina Faso 42,03 183 6 Burundi 42,01 184 7 Malawi 41,56 173 8 Somalia 40,45 k. A. 9 Angola 38,78 149 10 Mosambik 38,58 180 11 Afghanistan 38,57 171 12 Nigeria 37,64 152 13 Äthiopien 37,27 174 14 Sierra Leone 37,03 181 15 Südsudan 36,91 169 9,41 23 8,47 6 204 Österreich 217 Deutschland GEBURTENRATE 45,45 HDI-RANG 188 19|2017 13 Die Suche nach der „Obergrenze“ D 44444444444 Von Robert Guest ie „Obergrenze“ ist keine Zahl. Sie liegt in jeder Gesellschaft woanders – und doch am selben Punkt: dort, wo Zuwanderung das Vertrauen und den sozialen Zusammenhalt untergräbt. Der Ökonom Paul Collier von der Universität Oxford misst die Beziehung zwischen der Vielfalt in einer Gesellschaft und ihrem Wohlstand. Wohlstandsgesellschaften funktionieren, weil ihre Mitglieder einander vertrauen und deshalb miteinander kooperieren. So entstehen „Myriaden von kooperati ven Spielen“, wie es Paul Collier nennt. Weil in solchen Gesellschaften gegenseitige Rücksichtnahme herrscht, erwidern ihre Mitglieder die kooperativen Handlungen anderer – bis hin zur Solidarität mit jenen, denen es weniger gut geht, etwa durch finanzielle Transfers oder tätige Hilfe. Umgekehrt ist das Fehlen von „kooperativen Spielen“ ein Grund dafür, dass Gesellschaften dysfunktional sind – und damit arm, argumentiert Collier. Auch die Wirtschaft kann nicht produktiv sein in Ländern, in denen Arbeitnehmer nach Lust und Laune zur Arbeit erscheinen, der Strom ständig ausfällt, Zulieferer unzuverlässig sind und Unternehmer sich mit korrupten Bürokraten herumschlagen müssen. Verlassen Migranten Länder mit einem nicht funktionierenden Sozialmodell und wandern in solche mit funktionalen Modellen ein, dann können sie „ihre Pro- 14 19|2017 duktivität vervielfachen“. Das schafft enorme Migrationsanreize. Da Migration mit vielfältigen Kosten verbunden ist, wandern aber nicht die Ärmsten, sondern die Wohlhabenderen aus ärmeren Ländern aus. Mit langsam steigendem Wohlstand in ärmeren Ländern nimmt der Migrationsdruck also nicht ab, sondern im Gegenteil zu. Die Moral emigriert mit Der Ökonom meint außerdem, dass die vorherrschenden Moralvorstellungen ihrer Gesellschaften zusammen mit den Menschen emigrieren. Diese Grundannahme seines jüngsten Buches „Exodus“ hat kontroverse Reaktionen ausgelöst. Denn, so schlussfolgert Collier: Sind diese Vorstellungen von den im Gastland üblichen weit entfernt und ist die Zahl der Migranten hoch, dann bedrohen sie dort die gegenseitige Rücksichtnahme und damit die Grundlage von Vertrauen, Zusammenhalt und Wohlstand. Deshalb hält er den ökonomischen und sozialen Nutzen von Zuwanderung für beschränkt. Er endet dort, wo aufgrund von abnehmender Rücksichtnahme und bröckelndem sozialem Zusammenhalt hohe soziale Kosten entstehen. „Warum wir Einwanderung neu regeln müssen“, lautet der Untertitel seines aktuellen Buches. Der Entwicklungsökonom erzählt von einer Publikumsreaktion auf einen seiner Vorträge: „Professor Collier ist kein charismatischer Typ. Aber seinen Argumenten sollte man Gehör schenken.“ Diese Argumente trägt er mit großem Bedacht vor, weil er weiß: Auf dem Boden von Debatten über die Begrenzung von Zuwanderung kann schnell Fremdenfeindlichkeit gedeihen. henri: Herr Professor Collier, die meisten Menschen fragen sich: Ist Migration gut oder schlecht? Sie sagen: Das ist die falsche Frage. Warum? PAUL COLLIER: In meinem Buch „Exodus“ versuche ich, den Leuten analytische Bausteine zur Verfügung zu stellen, damit sie sich darüber selbst eine Meinung bilden können. Denn die richtige Frage lautet tatsächlich nicht: Ist Migration eine gute oder eine schlechte Sache? Nehmen wir an, sie wäre eine gute Sache, was die vernünftige Schlussfolgerung sein dürfte. Aber weil sie ganz allgemein eine gute Sache ist – muss das auch schmelzen. Aber wenn sich Migration beschleunigt, dann erreicht man trotzdem irgendwann den Punkt, an dem auch die Vielfalt größer wird. Sie sprechen von kultureller Vielfalt? Ja. Die ethnische Herkunft spielt keine Rolle. Egal welcher Herkunft, jeder kann sich an eine andere Kultur anpassen, und viele tun das auch. Wir müssen also zwischen ethnischer Herkunft und kultureller Vielfalt unterscheiden. Warum ist die kulturelle Vielfalt beachtenswerter? Sie ist ein zweischneidiges Schwert. Wir wissen, dass etwas Vielfalt besser ist als keine. Sie erlaubt mehr Auswahl und sie beschleunigt das Tempo von Innovationen. Aber es gibt auch einen abnehmenden Ertrag, es gibt steigende Kosten: je höher die Vielfalt, desto geringer das Vertrauen in einer Gesellschaft. Mit zunehmender Vielfalt nimmt daher der Zusammenhalt „Jeder kann sich an eine andere Kultur anpassen, und viele tun das auch“ in jedem einzelnen Fall zutreffen? Die richtige Frage lautet daher: Wie viel Migration? Also: Wie viel Migration wir künftig zulassen sollen? Ja. Ein Grund, dabei in die Zukunft zu schauen, lautet: Wenn man die Migration sich selbst überlässt, dann beschleunigt sie sich. Warum sollte das künftig passieren? Was Migranten am meisten hilft, ist eine etablierte Diaspora im Gastland. Denn sie verringert die Kosten der Migration aus dem Herkunftsland erheblich. Migration von armen in reiche Länder ist ja ein jüngeres Phänomen, erst etwa 60 Jahre alt. Und obwohl die Einkommensunterschiede groß waren, war Migration lange ein spärliches Rinnsal. Denn die meisten Menschen, die emigrieren wollten, konnten sich das schlicht nicht leisten. Migration war nicht für die wirklich Armen interessant, sondern ist ein Mittelklasse-Phänomen. Und diese Mittelklasse wird größer und wohlhabender. Und diese beschleunigte Migration erzeugt eine zu hohe Vielfalt im Gastland? Migration erhöht nicht notwendigerweise die Vielfalt. Das Ausmaß der Vielfalt hängt nämlich davon ab, wie rasch Zuwanderer mit der Aufnahmegesellschaft ver- Muslimische Polizistin in Großbritannien ab. Es ist gut belegt, dass dann Kooperationen zwischen den einzelnen Mitgliedern einer Gesellschaft schwieriger werden. Auch jene Kooperationen, die notwendig sind, um öffentliche Güter bereitzustellen. Und nicht zuletzt nimmt die Großzügigkeit ab. Ein Schlüsselbegriff in Ihrem Buch ist die „gegenseitige Rücksichtnahme“. Genau. Nicht gegenseitiger Respekt, Respekt kann ja sehr kühl sein. Sondern gegenseitige Rücksichtnahme. Adam Smith verwendet dafür den Begriff „gegenseitige Sympathie“. Jede Gesellschaft verträgt ein bestimmtes Vielfaltsniveau: Man möchte die Vorzüge der Vielfalt, aber nicht so viel davon, dass ihre gesellschaft19|2017 15 Metropole London: Jeder 2. Einwohner ist nicht in Großbritannien geboren lichen Nachteile einsetzen. Das bedeutet, dass die Frage „Wie viel Migration?“ mit einer anderen Frage verknüpft ist, nämlich: „Wie hoch soll das Ausmaß der Vielfalt in unserer Gesellschaft sein? Wie viel davon ertragen wir?“ Das hängt gleich mit der nächsten Frage zusammen: Wie rasch verschmelzen Einwanderer mit der Aufnahmegesellschaft? Wenn wir mehr Wert auf Multikulturalismus legen als auf Integration, dann wird die Vielfalt weniger hoch sein müssen. Aber stimmt das tatsächlich? Auch innerhalb Europas ist die Vielfalt besonders in den Städten hoch. Ein Paradebeispiel ist Ihre Heimatstadt London, eine der vielfältigsten Städte Europas und gleichzeitig ein reicher, lebenswerter Ort. London ist so reich, weil es eine Zentrale des internatio nalen Finanzsektors ist. Aber ist die Stadt wirklich so ein Erfolgsmodell für die eingesessene Bevölkerung? Die Bevölkerung Londons ist heute nicht größer als vor 60 Jahren. Nur dass inzwischen mehr als jeder zweite Einwohner Londons nicht in Großbritannien geboren wurde. Da ist doch etwas Einschneidendes passiert mit dieser eingesessenen Bevölkerung: Sie hat sich mehr als halbiert, und das binnen eines halben Jahrhunderts. Mir fällt keine andere große Stadt oder Hauptstadt ein, in der das passiert wäre. Sie sprechen von den möglichen nachteiligen Auswirkun gen künftiger Vielfalt. Bisher sieht es doch so aus, als ob Migranten sehr von ihrer Emigration profitieren, Aufnahmege- 16 19|2017 sellschaften etwas, und die Herkunftsländer darunter leiden, dass die Besten gehen. Ist Ihr Ansatz nicht sehr theoretisch? Nein. Es gibt auch zum Thema Migration den wild entschlossenen Zugang: Liberalisieren, deregulieren, die Türen aufstoßen ... das ist, mit Verlaub, zu simpel. Moderne Gesellschaften beruhen auf einer Vielzahl von kooperativen Spielen, die lokal stabil sind. Aber wir wissen, dass sie nicht global stabil sind, weil sie anderswo schlicht nicht existieren. Das bedeutet: Bei den Myriaden von Kooperationen, auf denen eine moderne Gesellschaft basiert, handelt es sich um etwas ziemlich Zerbrechliches. Können Sie ein Beispiel nennen? Eine der Konventionen in Großbritannien ist die Nichtbewaffnung der Polizei. Eine stillschweigende Übereinkunft schafft ein lokal stabiles Gleichgewicht: Die Polizei benützt keine Schusswaffen, die Kriminellen tun das auch nicht. Aber diese Konvention ist zerbrechlich. Sie funktioniert auch nur in ganz wenigen Gesellschaften. Man kann sich vorstellen, dass dieses Gleich gewicht durch Migration zerbricht, ja, zerstört wird. Das könnte man, ja. Vor vier Jahren wurden hier zwei unbewaffnete Polizistinnen erschossen. Eine lokal gültige Konventionen war plötzlich nicht mehr stabil, und prompt hat nach diesen Morden die Debatte begonnen: Soll unsere Polizei bewaffnet werden? * Ist es aber inzwischen nicht ohnehin so, dass Europa die Türen für Migranten schließt? Ja. Aber gleichzeitig erreichen die bestehenden Kontrollen ihre legitimen Ziele nicht, und sie richten darüber hinaus jede Menge Schaden an. Doch mein Punkt ist: Wir haben es gemeinsam auf eine beträchtliche Anzahl an kooperativen Spielen gebracht. Trotzdem sollten wir ihre Existenz nicht als selbstverständlich ansehen. In den Gesellschaften, mit denen ich mich beschäftige, gibt es sie nicht. Deshalb wollen die Menschen ja von dort weg! Haben wir schon zu viel Migration zuge lassen? Das behaupte ich nicht. Was ich sage, ist: Wir brauchen eine vernünftige Debatte darüber, welches Maß an Vielfalt wir schlussendlich wollen. In meinem Buch finden die Leser die Bausteine, mit deren Hilfe sie sich darüber ihre eigene Meinung bilden können. Sie werden nach der Lektüre zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen. Das ist legitim. Aber wir werden nicht länger bloß auf der Grundlage von Vorurteilen und Unkenntnis in heftigen Streit geraten. Denn das ist es, was wir zurzeit tun. PAUL COLLIER (* 1949) ist Ökonom und Direktor des Zentrums für afrikanische Ökonomien an der Universität Oxford. Er forscht seit vielen Jahren über die ärmsten Länder der Welt und den Zusammenhang zwischen Armut, Krieg und Migration. Bis 2003 leitete er die Entwicklungsforschungsgruppe der Weltbank. Große Aufmerksamkeit erreichte 2011 sein Buch „Die unterste Milliarde. Warum die ärmsten Länder scheitern und was man dagegen tun kann“. Sein jüngstes Buch „Exodus. Warum wir Einwanderung neu regeln müssen“ ist im Siedler-Verlag erschienen. * Die meisten der 30.000 Londoner Polizisten sind mit einem Taser – einem Elektroschocker – ausgerüstet, der Angreifer kampfunfähig machen soll. Seit Jänner 2016 ist die Zahl der mit Schusswaffen ausgerüsteten Londoner Bobbies allerdings von 2200 auf 2800 gestiegen. Darüber hinaus wurde die Zahl der Fahrzeuge mit bewaffneten Beamten verdoppelt. 92 Prozent der Londoner Polizisten sind allerdings weiterhin unbewaffnet. © The Economist Newspaper Limited, London, www.economist.com 19|2017 17 Der Ruf des Dschihad 44444444 Interview: Thomas Aistleitner Der IS kann militärisch besiegt werden, seine Ideologie lebt weiter, sagt Islamismus-Expertin Jasmina Rupp. Deradikalisierung ist jedoch möglich. henri: Ich habe das von Ihnen herausgegebene Buch „Der (Alb)traum vom Kalifat“ gelesen. Man bekommt darin den Eindruck, dass der Aufstieg des IS nicht nur interne Ursachen hat. JASMINA RUPP: Die US-Intervention im Irak und die einhergehende Marginalisierung der Sunniten unter der schiitisch dominierten Regierung haben in einem großen Ausmaß dazu beigetragen, dass sich insbesondere die Sunniten im Irak radikalisiert haben. Der zweite Grund ist der frühzeitige Abzug der US-Streitkräfte. Man sieht eine Korrelation zwischen dem Abzug und dem Anstieg der Gewalt durch die Vorgängerorganisation des IS, Al-Qaida im Irak. Die irakischen Sicherheitskräfte waren nicht in der Lage, die komplexe Sicherheitssituation zu managen. Zusätzlich war die politische Führung durch Grabenkämpfe gelähmt. Inzwischen hat der IS ja nicht nur Territorium erobert, sondern auch wieder verloren. Der IS hat sein erträumtes Kalifat wahrgemacht. Auch wenn es inzwischen wieder zerstört wurde, hat er sich damit einen Namen gemacht und kann die Ideologie durch seinen Propagandaapparat weiterleben lassen, um somit langfristig Sympathisanten und Finanzmittel zu erwerben. Die Rückschläge für den IS können auch nur temporär sein. Der IS ist kein klassischer Staat, er 18 19|2017 ist eine Terrororganisation, die sich an die Verhältnisse an der Kampffront anpassen kann, die reagieren kann, die sich auch zurückziehen kann. Wohin kann sich der IS zurückziehen? Der IS ist wüstenerprobt, er kann sich in unkontrollier te Räume in der Wüste zurückziehen – und irgendwann mit neuer Stärke zurückschlagen. Wer wartet auf seine Rückkehr? Der Grund, warum der IS überhaupt entstanden ist und dermaßen erfolgreich wurde, ist die systematische Ausgrenzung der Sunniten im Irak seit dem Sturz Saddams. Dieses Problem ist bis heute nicht gelöst. Sehen Sie Lösungen für die Region? Keine kurzfristigen. Die Missstände im Nahen und Mittleren Osten werden seit vielen Jahren bewusst geschürt, um geopolitische Interessen durchzusetzen. Aber man sollte Schritte setzen, um gerade den jungen Menschen in der Region Zukunftsaussichten geben. Sie leben unter schlechten sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen. Das ist eine verlorene Generation ohne Aussichten auf Bildung und Jobs. Und die Dschihadisten sind nach wie vor sehr gute Geldgeber. Was kann Europa tun? Diese Region braucht einen Marshallplan, auch die wenigen stabilen Länder wackeln gewaltig. Wenn wir sie jetzt nicht unterstützen, werden wir das bereuen. Welche Länder sind das? Der Libanon, Jordanien und auch die autonome Region Kurdistan im Irak leiden unter den hohen Flüchtlingszahlen bei einer ohnehin angeschlagenen Wirtschaft. Wegen der Gebietsverluste des IS stellen mittlerweile Flüchtlinge auch ein großes Sicherheitsrisiko dar. Die Sicherheitskräfte befürchten das Eindringen von als Flüchtlinge getarnten IS-Kämpfern. Welche Rolle spielt die Türkei? Der Türkei wird oft nach gesagt, dass sie den IS unterstützt. Die Türkei hat lange Zeit versucht, über den IS ihre Interessen zu verfolgen, und ihn auch unterstützt. Inzwischen ist die Türkei selbst zur Zielscheibe des IS junge Menschen in Europa, die sich rächen wollen für ihre eigene Unzufriedenheit. Das sieht man in den Bekennervideos, wo gesagt wird: „Jetzt zeigen wir es euch. Jetzt seht ihr, wer die Macht hat.“ Diese Menschen können nun „gestalten“ und zeigen, dass sie eine Rolle im Leben haben. Deshalb ist die Identitätsfrage in der Radikalisierung entscheidend. Was kann man dagegen tun? Grob gesagt, radikalisieren sich Menschen, wenn sie keinen Halt in der Gesellschaft finden. Stattdessen bieten radikale Gruppen einen Platz in ihrer exklusiven Gemeinschaft „wahrer“ Muslime. Jugendliche sollen sich mit ihren individuellen Hintergründen in der Mehrheitsgesellschaft anerkannt fühlen. Es darf nicht sein, dass Jugendliche nur bei radikalen Salafisten das Gefühl bekommen, ernst genommen zu werden. Wir brauchen starke Netzwerke von Eltern, Vertretern aus Schule, Sozial- und Jugendarbeit, die einen Zugang zu jungen Menschen und deren Communitys haben. „Die Region braucht einen Marshallplan. Wenn wir sie jetzt nicht unterstützen, werden wir das bereuen“ geworden. Der IS ruft in seiner Propaganda immer wieder dazu auf, Terroranschläge in der Türkei zu verüben. Warum reisen europäische Bürger ins Kalifat? Die Dschihadisten aus Europa, die ins Kalifat ziehen, sind europäische Staatsbürger und gut integriert. Es sind oft Jugendliche zweiter oder dritter Generation, die die Sprache ihres Landes beherrschen und die Kultur verinnerlicht haben. Und jeder vierte IS-Kämpfer ist ein Konvertit ohne Migrationshintergrund. Der IS hat sich als globale Widerstandsbewegung etabliert. Wie war das möglich? Junge Radikalisierte protestieren gegen die Eltern und die Mehrheitsgesellschaft. Sie weisen die neoliberale Kapitalgesellschaft zurück und treten beim IS in ein strukturiertes Umfeld. Die Dschihadisten bieten ihnen ein einfaches Weltbild, das aus Schwarz und Weiß, Gut und Böse besteht. Man kämpft für Gerechtigkeit, weil die Muslime weltweit unterdrückt werden. Wir haben Lehrer zum Beispiel sollten erkennen, wenn ein Schüler oder eine Schülerin sich beginnt zu entfremden. Dann schaut man in die Familie, ins Jugendzentrum ... Welche Rolle spielt der Glaube? Ist der Islam ein Problem? Ich halte es für falsch, den Islam auf eine gewaltbereite Religion zu reduzieren. Wir sollten den traditionellen Islam, der vom Großteil der Muslime weltweit friedlich gelebt wird, von der politischen Ideologie – dem Islamismus, der die Schaffung einer neuen Ordnung anstrebt – unterscheiden. Die religiöse Dimension reduziert sich auf eine nihilistische Ideologie: Folgt dem Gesetz Gottes und errichtet ein Kalifat, begeht Selbstmordattentate gegen die Ungläubigen, und ihr landet im Paradies – ohne Religion als Legitimation wäre das nicht möglich. Jugendliche brauchen positive muslimi sche Vorbilder, die ihre Religion liberal leben und mit den Radikalen nichts gemeinsam haben. Sie brauchen das kritische Hinterfragen. Denn die dschihadistische Ideologie lebt davon, den Radikalisierten eine Version 19|2017 19 des Islam aufzutischen, der sie blind gehorchen. Auch hier ist Europa gefragt. Warum gerade Europa? In der arabischen Welt wird von autoritären Macht habern vorgegeben, wie theologische Auslegungen, Koranausbildung und Freitagspredigten erfolgen sollen. Moderne und aufgeklärte Interpretationen der Quelltexte im Islam werden in konservativen Ländern wie Saudi-Arabien strikt untersagt. In Europa herrscht die Freiheit der Lehre. Hier sollte es Institutionen geben, die sich mit Religionsfragen auseinandersetzen und einen moderaten Islam propagieren. „Der IS hat sich auf seine Weise als globale Widerstandsbewegung etabliert“ Gibt es in Europa eine muslimische Community, die gegen islamische Radikalisierung auftritt? Die muslimische Community in Europa wurde selbst überrumpelt von der Problematik. Zuerst meinte man, man müsste sich für die Taten anderer nicht rechtfertigen. Nach und nach distanzieren sich muslimische NGOs, Vereine, Imame und bieten auch Programme zur Prävention und Deradikalisierung an. In den Medien wird das viel zu wenig thematisiert. Steht der Islam der Gewalt nicht bejahend gegenüber? Vom Fundament und der moralischen Gesinnung ist der Islam nicht gewaltbejahender als Christentum und Judentum. Textstellen, die von Gewalt oder Krieg reden, sind im Koran genauso selten zu finden wie in der Bibel. Der islamistische Terrorismus wurde in den 1980er-Jahren erfunden – in Form des palästinensi schen Terrorismus oder des PKK-Terrorismus in der Türkei. Hier gibt es Bezüge zum Islam, aber insbesondere wird das Gewaltbild islamisiert. Es wird um die Gewalt ein konstruierter Islam gebaut. Es gibt über 1000 Fatwas, also Rechtsgutachten, die Selbstmord attentate als große Sünde verurteilen. Von diesen Fatwas hört und liest man bei uns nichts. Wie groß ist die Gefahr, dass mit den Flüchtlingsbewegungen IS-Aktivisten nach Europa kommen? Im September 2015, als bei uns die Flüchtlingskrise ihren Höhepunkt erreicht hatte, startete der IS eine Medienkampagne, in der die Flucht aus IS-besetzten Gebieten in das „Haus des Unglaubens“ verurteilt wurde. Der IS verliert an Legitimität, wenn Menschen aus seiner Region, aus dem Kalifat, fliehen. Er lebt davon, dass er eine Heimat für Muslime anbietet. Für den IS ist 20 19|2017 die Flucht nach Europa eine große Sünde. Dennoch hat der IS aufgrund der Gebietsverluste in seinem Machtzentrum in Syrien und Irak seine Strategie angepasst. Er fordert seit 2016 Sympathisanten auf, in ihren Heimatländern in Europa zu bleiben, um dort durch Terroranschläge den Feind zu schwächen. Als Flüchtlinge getarnte IS-Terroristen in Europa sind ein nicht zu unterschätzendes Sicherheitsrisiko. Hat man Erfahrungen mit dem Dschihad in Österreich? Einen dschihadistisch motivierten Terroranschlag gab es in Österreich glücklicherweise noch nicht. Rückkehrer nach Österreich werden intensiv beobachtet. Wir haben Dienste, die dafür zuständig sind, wie das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung. Wir haben auch ein umfassendes Netzwerk für Deradikalisierungs- und Präventionsarbeit. Gefäng nis-Seelsorger, Religionspädagogen und Jugendarbeiter sind bemüht, unter anderem das extremistische Weltbild von Sympathisanten, Radikalisierten und Rückkehrern zu dekonstruieren und ihnen ein libera les Islamverständnis näherzubringen. JASMINA RUPP studierte Arabistik und Islam wissenschaft sowie Politikwissenschaft. Ihre Forschungsfelder sind islamistische Bewegungen, Extremismus und Terrorismus mit Fokus auf den Aktivitäten von Daesh/IS sowie das internationale Krisen- und Konfliktmanagement in Syrien und im Irak. Seit 2014 ist sie als Konfliktforscherin am Institut für Friedenssicherung und Konflikt management für die MENA-Region zuständig. Jasmina Rupp (Hg.) Der (Alb)Traum vom Kalifat Ursachen und Wirkung von Radikalisierung im politischen Islam. Böhlau, 374 S., e 35,Erhältlich auf www.boehlau-verlag.com Gilt die Genfer Konvention? D Ist der Flüchtlingsschutz noch zeitgemäß? Oder gehört die Genfer Flüchtlingskonvention neu geschrieben? 44444444444 Von Bernhard Schneider ie Aufnahme von Menschen, die in ihren Herkunftsländern der Gefahr von Gewalt und Verfolgung ausgesetzt sind, lässt sich seit der Antike nachweisen. Getragen ist diese Art des Schutzes einerseits vom Grundsatz der Mitmenschlichkeit. Andererseits liegt das Gewähren von Schutz und Hilfe für Flüchtlinge auch im Interesse derer, die Schutz gewähren: Angesichts der wechselvollen Geschichte der Menschheit kann niemand sicher sein, nicht einmal selbst in einem fremden Land um Hilfe und Schutz bitten zu müssen. Wichtigste Grundlage Auf internationaler Ebene institutionalisiert und rechtlich abgesichert wurde der Schutz von Flüchtlingen erst im 20. Jahrhundert – vor allem unter dem traumatischen Eindruck der durch die beiden Weltkriege verursachten Vertreibung von Millionen Menschen. Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ist in Österreich am 30. Jänner 1955 in Kraft getreten und steht im Rang eines Bundesgesetzes. Sie ist bis heute die wichtigste Grundlage für den internationalen Flüchtlingsschutz und regelt die Rechte und Pflichten von Flüchtlingen erstmals relativ umfassend. Sie ent- hält eine Definition des Flüchtlingsbegriffs, gewährleis tet den Flüchtlingen Religions- und Bewegungsfreiheit, stellt sie hinsichtlich des Empfangs von Sozialhilfeleis tungen Inländern gleich und untersagt den Staaten, Flüchtlinge in ein Land zurückzuschicken, in dem ihnen direkt oder indirekt Verfolgung drohen könnte („Refoulement-Verbot“). EU-Mindeststandards Auch die EU hat Rechtsakte erlassen, die vor allem verhindern sollen, dass die MItgliedstaaten bei der Behandlung von Asylanträgen bestimmte Mindeststandards unterschreiten. Ziel der Bemühungen ist ein „Gemeinsames Europäisches Asylsystem“, das bisher allerdings noch nicht erreicht wurde. Wer ist ein Flüchtling? Mit 31. Dezember 2009 ist die Grundrechtecharta der EU in Kraft getreten, die auch in Österreich im Verfassungsrang steht. Damit ist das von der Genfer Flüchtlingskonvention gewährleistete Asylrecht im Bereich des EU-Rechts ein Menschenrecht und kann gerichtlich geltend gemacht werden. 19|2017 21 Positive Asylbescheide 2016 einschließlich November 13.891 weiblich männlich und die Politik der meisten EU-Staaten intensiv. Die Frage liegt nahe: Ist das gewachsene, etablierte System des Flüchtlingsschutzes noch zeitgemäß? Pacta sunt servanda Zunächst ist das Flüchtlingsrecht wegen der weltweit sehr hohen Flüchtlingszahlen wohl notwendiger denn je. Es ist zeitgemäß, funktionsfähig und bisher auch inhaltlich weitgehend ausreichend. Woran es den Staaten vielmehr mangelt, ist der politische Wille, das bestehende Flüchtlingsrecht umzusetzen und es gegen politische Zahl der gestellten Asylanträge EU 28 2016 Angriffe zu verteidigen. Der Grundsatz Der EU-rechtliche Flüchtlingsschutz ist 134.890 „Pacta sunt servanda“ („Verträge sind stärker ausgeprägt als der Flüchtlings121.205 einzuhalten“) scheint an Bedeutung zu schutz der Genfer 117.720 Flüchtlingskonven 114.625 106.745 102.840 verlieren. tion. Letzterer erstreckt sich nur auf 98.575 97.310 94.010 Ganz offensichtlich reformbedürftig Personen, die ihr Heimatland aus beist auch die Art, wie die MItgliedstaaten rechtigter Furcht vor Verfolgung wegen 60.300 der EU miteinander umgehen. Deutlich ihrer Rasse, Religion, Nationalität, mehr Solidarität und eine gerechtere politischen Überzeugung oder der 27.130 Aufgabenteilung wären nötig, nationale Zugehörigkeit zu einer bestimmten Egoismen müssten zurückgestellt werden. sozialen Gruppe verlassen mussten. Dazu bedarf es aber keiner Änderung Die EU-Anerkennungsrichtlinie um- DR. BERNHARD SCHNEIDER der Genfer Flüchtlingskonvention oder fasst darüber hinaus Personen, die bei ist Jurist und leitet den des EU-Flüchtlingsrechts. Vielmehr wäRückkehr in ihr Herkunftsland von To- Bereich Recht und Migration ren Prinzipientreue, Entschlossenheit, desstrafe, Folter, unmenschlicher oder im Österreichischen Mut und politischer Wille erforderlich. erniedrigender Behandlung oder Strafe Roten Kreuz Man kann die EU-Staaten nur dazu eroder durch willkürliche Gewalt im Rahmutigen, ihre Haltung in diesem Sinne zu überdenken. men eines Krieges oder Bürgerkrieges bedroht wären. Wie das Beispiel der Rotkreuz- und Rothalbmond Anlassfall Mittelmeer bewegung zeigt und wie viele einschlägige Studien belegen, gehört ein starkes und gut gepflegtes Werte Die Regeln zum Flüchtlingsschutz sind laut Entscheifundament generell zu den wichtigsten Erfolgsfakto dungen europäischer Höchstgerichte auch außerhalb ren von Unternehmen und Organisationen. Es ist kein des EU-Territoriums anzuwenden. Daher sind ZurückGrund ersichtlich, warum Vergleichbares nicht weisungen potenzieller Asylwerber auf hoher See, ohauch für Staaten gelten sollte. ne ihnen die Möglichkeit einer Asylantragstellung zu geben, verboten (konkreter Anlassfall: das Mittelmeer). DIE WICHTIGSTEN INSTRUMENTE DES FLÜCHTLINGSSCHUTZES Die Intensität heutiger KonINTERNATIONAL: flikte und ihre lange Dauer 1933: Abkommen über den internationalen Status von Flüchtlingen führen zu den größten Flucht1938: Konvention über den Flüchtlingsstatus bewegungen, die die Welt je 1948: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte gesehen hat. Doch die wenigs 1949: Vierte Genfer Konvention über den Schutz von Zivilpersonen ten der heute 65 Millionen im bewaffneten Konflikt Flüchtlinge – nur ein bis zwei 1951: Genfer Flüchtlingskonvention Millionen – haben in den letzten beiden Jahren die Flucht in EU-ASYLRECHT: EU-Mitgliedstaaten angetreten. 2003: EU-Aufnahmerichtlinie, regelt Aufnahme, Unterbringung Angesichts der Gesamtbeund Versorgung von Asylwerbern völkerung der EU von rund 510 2003: Dublin-Verordnung, regelt, welcher EU-Staat für die Prüfung Millionen Einwohnern ist das eines bestimmten Asylantrags zuständig ist keine beeindruckend große 2005: EU-Verfahrensrichtlinie, regelt die Durchführung von Asylverfahren Anzahl. Dennoch beschäftigt 2005: EU-Anerkennungsrichtlinie, regelt die Prüfung und Zuerkennung sie die öffentliche Meinung des Asylrechts sowie des Rechts auf subsidiären Schutz 19|2017 iki sta a sc h Er itr e r be No ve m ob er Ta d r be em pt O kt t us i Se Au g Ju l Ju n i Ru ss isc h M ai ril Ap z M är ar ru r ne Jä n Fe b 22 48 n 48 Ch in a 54 eF öd e ra t ia 390 Ira n 408 io n 412 So m al en lo s n at sta ist a an Sy rie n Af gh 1.130 Ira k 1.424 1.444 Die Grenzen in den Köpfen B 44444444444 Interview: Thomas Aistleitner Fotos: Nadja Meister rigadier Mag. Dr. Walter Feichtinger ist Analyst für militärische Zusammenhänge und Leiter des Institutes für Friedenssicherung und Konfliktmanagement an der Landesverteidigungsakademie. henri: Wie geht es einem Experten für Konfliktmanagement und Friedenssicherung in Zeiten wie diesen? WALTER FEICHTINGER: Darauf gibt es zwei Antworten. Auf der einen Seite kann ich sagen: Sehr gut, weil wir uns nicht über zu wenig Arbeit beklagen können. Auf der anderen Seite ist es entsetzlich, was heute passiert. Das wirklich Schlimme daran ist, dass nicht absehbar war, dass es in so kurzer Zeit in so vielen Bereichen dermaßen eskalieren würde. Auf den Punkt gebracht: Es geht mir nicht gut mit dieser Entwicklung. Beziehen Sie sich damit auf Syrien? Ich beziehe mich auf Syrien, auf Libyen und den Jemen und in gewisser Weise auch auf die Ukraine, wo sich noch immer keine Entspannung abzeichnet. Das sind Entwicklungen, die vor der Haustür Europas passieren. Und genau in dieser Phase wird die Handlungsfähigkeit der EU durch den Brexit zumindest vorübergehend deutlich geschwächt. Das Schließen von Grenzen ist in vier Dimensionen zu sehen, sagt Walter Feichtinger, Leiter des Institutes für Friedenssicherung. Die EU hat sich ansatzweise als handlungsfähig erwiesen: Sie hat mit der Türkei ein Flüchtlingsabkommen geschlossen. Durch die Migrationswelle ist vor eineinhalb Jahren ein unglaublicher Handlungsdruck entstanden. Dabei erschien der „Türkei-Deal“ als gangbarer Weg, der so weit auch funktioniert. Die negative innenpolitische Entwicklung in der Türkei war damals nicht absehbar. Wie soll es weitergehen? Das ist ein bitterer Lernprozess, nicht nur für Europa. Ich komme gerade von einer Reise nach Teheran. Der Iran hat drei Millionen afghanische Flüchtlinge, die Hälfte ist offiziell registriert, die andere Hälfte befindet sich illegal im Land. Die Herausforderung zieht sich vom Mittleren Osten bis in den Norden Europas. Das wird auch noch länger so bleiben. Kann man die Grenzen schließen? Oder haben wir eine Art Völkerwanderung vor uns, die eine historische Realität schafft, egal wie wir dazu stehen? Beim Schließen von Grenzen unterscheide ich vier Dimensionen. Erstens die technische Machbarkeit – das ist eine Frage des Aufwands. Österreich hat von 19|2017 23 1990 bis 2004 als „Schengenland“ die Grenze der EU dichtgemacht und sich dabei massiv auf das Militär gestützt. Zweitens: Ist es politisch machbar? Hier gibt es keine klare Antwort. Da spielen innenpolitische Überlegungen oder Verpflichtungen im EU-Rahmen, aber auch das Völkerrecht eine große Rolle. Drittens die humanitäre Dimension, die in der Debatte unterbelichtet erscheint. Das ist bedauerlich, weil man Migration und vor allem Flucht nicht nur aus der Sicherheitsperspektive wahrnehmen darf. Hier ist ein umfassen der rechtlich-politischer Maßstab anzulegen. Als eine vierte, entscheidende Dimension sehe ich die „Grenzen in den Köpfen“, die durch Demagogen aktiviert und schwer wieder beseitigt werden können. Die Angst vor den Migranten scheint durch sämtliche Gesellschaftsschichten zu gehen. Das ist verständlich, denn diese Herausforderung gab es in dieser Form noch nicht. Unkenntnis und Überraschungen schaffen Unsicherheit, Verunsicherung führt zu Ängsten – es ist daher eher die Angst vor dem Ungewissen als vor den Migranten, die sich verbreitet hat. „Die jungen Männer, die zu uns flüchten, streben ein unglaublich hohes Gut an: Sie wollen eine Familie gründen. Wenn das zu Hause möglich ist, bleiben sie auch zu Hause“ Warum waren wir nicht vorbereitet? Wir hatten über viele Jahrzehnte eine gewollte Arbeitsmigration mit steigenden Wanderbewegungen in der EU. Die Anzahl von Asylsuchenden war dagegen sehr gering. Heute haben wir massenweise Menschen, die vornehmlich aus Afrika oder dem Mittleren Osten fliehen, um sich ein besseres Leben zu ermöglichen. Das war für Experten absehbar, aber in der Politik nicht auf der Agenda. Deshalb ist dieses Thema in den letzten Jahren so unglaublich hart aufgeschlagen. Wovon hängen die möglichen Reaktionen ab? Vom Umfang und von der Dauer des Andrangs sowie vom Aufnahmewillen betroffener Staaten. Hier ist anzumerken, dass der zeitweise unkontrollierte Strom über die Grenzen das Vertrauen in die Handlungsfähig keit der Politik erheblich gestört, wenn nicht sogar zerstört hat. Es wird unglaublich schwer sein, es wieder aufzubauen. 24 19|2017 Wo sehen Sie den Vertrauensverlust? Der Staat hat seine Kernaufgaben nur zum Teil erfüllt. Diese sind die Aufrechterhaltung der inneren und äußeren Sicherheit sowie eine gerechte Verteilung der Güter im Inneren. Das Vertrauen darauf, dass der Staat diese Aufgaben in vollem Umfang wahrnimmt, wurde bei vielen erschüttert. Wie kann das Vertrauen wieder gewonnen werden? Indem glaubhaft gemacht wird, dass diese Missstände nicht wieder auftreten. Eine Maßnahme wäre die Etablierung eines Verfahrens für geregelte Zuwanderung. Gibt es Anzeichen, dass die EU eine Einigung zustande bringt, samt ihren östlichen Mitgliedstaaten? Ich gehe davon aus, dass die Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorgehens inzwischen von allen erkannt wurde. Die bisherigen Positionen waren ja extrem und miteinander unvereinbar. Da stand „Wir müssen alle gleichmäßig und solidarisch verteilen“ gegen „Wir nehmen überhaupt niemanden auf“. Ich sehe, dass sich diese Positionen nun etwas aufweichen. Auch die Visegrád-Staaten sind daran interessiert, in einen Dialog zu treten. Es wird keinem erspart bleiben, das Problem als europäische Herausforderung zu verstehen, die auf europäischer Ebene zu lösen ist. Ich bin optimistisch, dass man dazugelernt hat und konstruktive Ansätze findet. Viele Experten warnen davor, dass die eigentliche große Zuzugswelle erst bevorsteht und aus Afrika kommen wird. Afrika ist unser Nachbarkontinent, der Weg vieler Afrikaner nach Europa ist vorgezeichnet. Der EU ist das längst bewusst und sie ist zunehmend aktiv. So soll durch ein Engagement in Mali den Ursachen massiver Wanderbewegungen vor Ort begegnet werden. Für den Migrationsbereich ist es wichtig, Libyen zu einem funktionierenden Staatswesen zu verhelfen. Dabei ist die EU-Unterstützung zum Aufbau einer handlungs fähigen Küstenwache ein entscheidender Baustein. Ist Libyen handlungsfähig? Wir haben die kuriose Situation, dass es in Libyen drei Regierungen gibt. Eine im Osten, eine im Westen und die unter UN-Vermittlung entstandene Einheitsregierung. Es funktioniert derzeit ansatzweise, aber es wird mühsam sein, die Macht der Milizen einzudämmen. Mit wie vielen Migranten aus Afrika rechnen Sie? Laut UN-Prognosen wird die afrikanische Bevölkerung bis 2050 von 1,2 auf 2,3 Milliarden Menschen anwachsen. Wenn sich nur drei Prozent von diesem Zuwachs nach Europa aufmachen, dann wäre das etwa 1 Million jährlich – nicht sofort, aber in steigender Anzahl. Ist es eine schicksalhafte Bewegung, die einiges in unserer Welt neu ordnen wird, oder man kann sie managen? Schicksal ist nicht vorhersehbar, Migration schon. Wenn Europa in seiner heutigen Form mit seinen hohen Sozialstandards bestehen bleiben will, dann muss es lernen, damit umzugehen. „In den nächsten vier Jahrzehnten werden allein in Nordafrika und im Mittleren Osten 100 Millionen neuer Jobs gebraucht“ Glauben Sie persönlich, dass das gelingt? Wenn wir einen Zeithorizont von 20 bis 30 Jahren ansetzen, bin ich optimistisch, dass das gelingt. Wir sollten ein ureigenes Interesse daran haben, dass unsere nächste und übernächste Generation in geordneten und sozial gesicherten Verhältnissen leben können. Dafür muss man aber den Problemursachen vor Ort begegnen. Das sieht man in Ansätzen schon. Das starke Engagement der EU in Mali zeigt, dass erkannt wurde, worum es geht: Sicherheit und Entwicklung zu fördern und damit Zukunftsperspektiven zu schaffen. Sie halten das Engagement vor Ort für wichtiger und proaktiver als die Kontrolle der Außengrenzen? Beides muss Hand in Hand gehen. Ohne geregelte Zuwanderung nach Europa würden die diffizilen Sozial systeme bald kollabieren. Gleichzeitig ist es unverzichtbar, verträgliche Lebensbedingungen vor Ort zu schaffen, damit dieser Druck, wegzugehen, abnimmt. Wenn die Leute malträtiert und unterdrückt werden, werden sie fliehen. Dazu kommen die wirtschaftlichen Verhältnisse, wobei es da nicht um den großen Reichtum geht. Viele junge Männer, die zu uns flüchten, streben ein unglaublich hohes Gut an: Sie wollen eine Familie gründen. Wenn sie zu Hause ein Umfeld finden, in dem das möglich ist, dann bleiben sie auch zu Hause. Und wenn das nicht gelingt? Eine Weltbank-Studie geht davon aus, dass in den nächsten 40 Jahren allein in Nordafrika und im Mittleren Osten bis zu 100 Millionen neuer Jobs benötigt werden. Viele Frauen drängen auf den Arbeitsmarkt und die Menschen arbeiten länger als früher. Nehmen wir Ägypten: heute 85 Millionen Einwohner, in 30 Jahren 110 Millionen oder auch bis zu 150 Millionen. Was kann dieses Land so vielen jungen Leuten bieten? Warum ist Afrika, von den Voraussetzungen her ein reicher Kontinent, anders aufgestellt als etwa der asiatische Raum? Das gilt für eine ganze Reihe von Staaten. Was hindert eine Gesellschaft im 21. Jahrhundert daran, politische Systeme zu schaffen, die zur Unterstützung und nicht zur Unterdrückung der Menschen da sind? Wo ist der Vorteil der Globalisierung, wenn sie zu noch mehr Repression führt? Der Kolonialismus mag eine Ursache sein, aber nach so vielen Jahrzehnten genügt er nicht mehr als hauptsächliche Erklärung. Was wäre dann die Erklärung? In vielen Teilen Afrikas stehen klientelistisches Elitendenken und Traditionen einer inklusiven gesellschaftlichen Entwicklung, die alle teilhaben lässt, entgegen. Das lässt sich auch nicht von außen lösen ... ... wurde aber schon versucht? Eine der wichtigsten Lehren aus dem Krisenmanagement lautet, dass man kein politisches System von außen implementieren kann. Wenn es nicht von innen gefordert, getragen und umgesetzt wird, nützen auch hunderte Milliarden nichts. Die Veränderung muss von innen kommen. 19|2017 25 „A “ n e m m o k e ng Österreich & Syrien in einer WG Majida hat fertig! „Angekommen!“ – Österreich in Text und Ton Projekt Fliehkraft Nivin – eine von Millionen Woher kommen sie, wohin gehen sie? 26 19|2017 19|2017 27 Familie plus Was alles geht, wenn man will. Besuch in einer österreichisch-syrischen Wohngemeinschaft. 4444444444 Aufgezeichnet von Thomas Aistleitner Fotos: Harold Naaijer E in kleiner Ort, eine halbe Stunde westlich von Wien: In St. Andrä-Wördern wohnen knapp 8000 Einwohner und 107 Flüchtlinge. Hier sind Yamen, 21, und Lujain, 14, nach ihrer Flucht aus Syrien gelandet. Eine Flucht, die vor vier Jahren begann und jetzt ein Ende gefunden hat. Yamen und Lujain wohnen bei einer österreichischen Familie, in einer Wohngemeinschaft zusammen mit Miriam, 20, Felix, 18, und Max, 16. Die Eltern der drei, Christine und Robert, wohnen einen Stock tiefer. Christine Physiotherapeutin Wir haben gehört, dass unbegleitete Jugendliche in unseren Ort kommen. Wir konnten uns eine Patenschaft vorstellen, und ich ha be bei „Connecting People“ eine Ausbildung dafür gemacht. Ich habe in einem Haus mit 16 Flüchtlingen mitgeholfen. Dort habe ich Yamen und Lujain kennengelernt. Syrer sind ja recht schnell asylberechtigt. Die beiden sind aber lange nicht drangekommen. Ich vermute, weil das Mädchen noch so jung ist. Wir haben beantragt, dass Yamen für sie erziehungs- und entscheidungsberechtigt wird. So habe ich immer mehr Kontakt zu ihnen bekommen. Anders als ihr Bruder hat Lujain nur subsidiären Schutz bekommen hat und ist nicht asylberechtigt. Ich denke, sie hat deshalb nur subsidiären Schutz, damit sie die Eltern nicht nachholen kann. Sie wird wohl mit 18 Asyl bekommen, denn dann gibt es keine Familienzusammenführung mehr. Bis dahin sind wohl wir ihre Familie. 28 19|2017 Lujain Ich ging in die zweite Klasse Volksschule, als der Krieg in Syrien begann und wir in die Türkei flüchteten. Dort gab es keinen Unterricht für mich. Ich konnte drei Jahre nicht in die Schule gehen. In Österreich bin ich in die dritte Klasse NMS eingestiegen. Das war hart, es ist eine neue Sprache, eine neue Schrift, eine neue Kultur. Aber ich lerne. Letztes Jahr gab es in der Schule einen Deutschkurs, heuer leider nicht mehr. Ich muss es selbst lernen. Nächstes Jahr werde ich in die Oberstufe wechseln. Ich habe mir schon eine HLW und ein BORG angeschaut. Miriam Wir sitzen manchmal zusammen und lesen die Bescheide. Deutsch ist meine Muttersprache und selbst ich verstehe nicht, was da geschrieben steht. Und dann bekommt Yamen diesen Bescheid, und wir sitzen zu dritt oder zu viert dabei und versuchen es zu verstehen. Was wäre, wenn Yamen nicht bei uns wohnt, sondern in einer Großunterkunft, und niemand Deutschsprachigen an seiner Seite hat? Yamen Christine und Robert (Eltern); Lujain, Miriam, Max, Yamen, Felix (v. l.) und Mitbewohnerin Julia Robert Bankangestellter Das sind Menschen, die alles verloren haben. Sie sind von einem relativ guten Status zu Hause auf den unters ten sozialen Status gefallen. Aber die Menschenrechte sind so, wie sie sind. Wir können nicht darauf warten, dass andere Staaten zu unserer Flüchtlingsquote aufschließen, bevor wir neue Flüchtlinge aufnehmen. Das ist einfach unvertretbar. Die vielzitierte Spaltung der Gesellschaft zieht sich auch durch unseren Ort. Wir haben seit vielen Jahren ein Flüchtlingsheim, wir haben zivilgesellschaftliche Projekte. Und dann klopft jemand an deine Tür und will deine Unterschrift, weil zehn unbegleitete Minderjährige untergebracht werden sollen. 1200 haben dagegen unterschrieben. Eine horrende Zahl. Wir sind aus Aleppo geflüchtet. In der Stadt Aleppo gibt es kaum noch Schulen und sie werden bombardiert. Zuerst waren wir zweieinhalb Jahre mit den Eltern in der Türkei. Wir haben dort gearbeitet, aber ich konnte nicht studieren. Vor 15 Monaten bin ich dann mit Lujain nach Öster reich gegangen – mit dem Zug, mit dem Auto, mit dem Boot. Wir waren in einem Zelt in Traiskirchen unter gebracht. Nach einem Monat sind wir nach St. AndräWördern in ein Flüchtlingshaus gezogen. Dort haben wir Christine kennengelernt. Ich habe einen unbefris teten Asylbescheid und meine Schwester Lujain hat subsidiären Schutz bekommen. Es ist sehr angenehm, hier zu wohnen. Ich lerne weiterhin Deutsch. Deutsch ist nicht einfach, ganz anders als Englisch und schwerer zu lernen. A2 habe ich geschafft, jetzt mache ich B1. Felix Als in unserem Haus der Oberstock frei wurde, war es für uns Kinder klar, dass hier noch mehr Leute wohnen können. Wir wurden gefragt, ob es für uns ein Problem wäre, wenn Flüchtlinge bei uns einziehen, und wir haben alle gesagt: Kein Problem. Max In meiner Schule, HTL-Oberstufe, gibt es Leute, die sich in Deutsch schwertun. Für sie wurde extra ein Förderkurs eingerichtet. Und wenn es dann nicht möglich ist, in einer Neuen Mittelschule einen Deutschkurs für Kinder, die geflüchtet sind, zu organisieren, dann sehe ich da schon ein Problem in unserem Bildungssystem. 19|2017 29 Majida hat fertig! D Majida lernt nicht bloß. Sie saugt auf wie ein Schwamm. Wir werden uns noch wundern, was alles gehen wird. ie achtjährige Syrerin ist erst seit wenigen Monaten in Österreich. Sie ist eines von 16.000 Flüchtlingskindern, die seit Anfang 2015 an österreichischen Pflichtschulen unterrichtet werden. Sie selbst ist seit Herbst 2016 in der 1. Klasse. Deutschkenntnisse: keine. Jedenfalls noch zu Schulbeginn im September. Kurz nach Weihnachten betrachtet Majida ein Bild im Schulbuch. Kinder fahren Autodrom. Darunter stehen Sätze, die als richtig oder falsch zu kennzeichnen sind. „Mario rammt Lenas Auto“, liest Majida. „Ja!“, ruft sie und kreuzt den Satz an. „Laura ist im Auto mit der Nummer …“ – „Vier“, sagt Majida und schreibt die Zahl hin. „In einem Auto sind drei Dinosaurier.“ – „Nein. Unsinn!“ Wird nicht angekreuzt. Deutschpflicht für Lehrer 16.000 Kinder, das wären, gerechnet mit einer Klassenschülerhöchstzahl von 25 Kindern, 640 „neue“ Schulklassen. Wegen der (noch) sinkenden Schülerzahlen hat durch sie nicht so sehr die absolute Zahl der Schülerinnen und Schüler zugenommen. Aber die der Kinder mit nichtdeutscher Erstsprache – schon bisher bundes- 30 19|2017 weit mehr als 20 %, in Wien fast schon 50 % – ist noch einmal sprunghaft angestiegen. Jetzt rächt sich, dass eine langjährige Rotkreuz-Forderung noch immer nicht umgesetzt ist: Das Fach „Deutsch als Zweitsprache /Deutsch als Fremdsprache“ (DaZ/DaF) muss in der Pädagogen-Ausbildung zum Pflichtfach werden. Einschulung von Kindern und Jugendlichen, die in Österreich um Asyl ansuchten Jänner 2015 bis Juni 2016 Salzburg 498 Steiermark 1.913 3,5 % Oberösterreich 2.085 13,4 % Tirol 1.185 14,6 % 8,3 % Vorarlberg 780 5,5 % 23,7 % Niederösterreich 3.376 22,7 % Wien 3.236 5,3 % 2,8 % Kärnten 761 Burgenland 399 Quelle: BMB; eigene Darstellung Übersetzerin für die Eltern Das Mädchen baut sich mit der gelösten Aufgabe vor ihrer Lehrerin auf: „Ich habe fertig!“ Ihr Wortschatz ist noch beschränkt, die Grammatik holpert. Aber darauf kommt es jetzt noch nicht an. Majida kann sich bereits nach rund vier Schulmonaten verständlich ausdrücken. Sie übersetzt außerdem für andere arabische Kinder in der Klasse – und für ihre Eltern, zum Beispiel Elternbriefe. „Mama, Papa kann nicht lesen. Wo unterschreiben?“, fragt sie dann. Als „aufgeschlossen, ehrgeizig, selbstständig, offen, neugierig, wissbegierig, motiviert“ beschreibt ihre Lehrerin das Mädchen. Die Klasse hat einen Lesepaten, und auch er ist erklärtes Ziel von Majida. Mit den Worten: „Ich kann lesen. Aber ich kann nix verstehen“, fordert sie von ihm Erklärungen ein, wenn sich ihr der Sinn eines Wortes oder Satzes nicht erschließt. Viele sind ohne Qualifikation Über welche Qualifikationen die Flüchtlinge verfügen, die seit Sommer 2015 nach Österreich gekommen sind und wahrscheinlich Bleiberecht erhalten, darüber herrscht nach wie vor Unklarheit, jedenfalls in der Öffentlichkeit. Ein bemerkenswerter Satz von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner in der ORF-Sendung „Im Zen- Syrerin Majida: „Aufgeschlossen, wissbegierig, motiviert“ trum“ Mitte Jänner deutet aber eher Unerfreuliches an: „90 Prozent haben keine Mindestqualifikation, was die Arbeit anbelangt.“ Bei 34 Prozent dieser Flüchtlinge, zumindest das ist sicher, ist das aus einem einfachen Grund der Fall: weil sie noch im Schulalter sind. Nicht alle sind so aufgeschlossen und ehrgeizig wie Majida. Nicht jede Klasse verfügt über so engagierte Pädagoginnen. Es fehlt an Personal, das die Lehrerinnen und Lehrer unterstützt, und an Material. Die Kinder brauchen außerdem nicht nur Deutschkenntnisse. Sondern auch Bildung, die sich am europäischen Menschenbild orientiert. Trotzdem: Dass Kinder in denselben Kreislauf aus niedriger Bildung und Arbeitslosigkeit geraten wie ihre Eltern, kann die Schule maßgeblich verhindern. Was Kinder wie Majida betrifft, werden wir uns jedenfalls noch wundern, Hallo was alles gehen wird. Hal lo Öste Mein Steckbrief My Profile Heft Nr. 01/ Mai 2016 Heft Nr. 02/ Oktober 2016 Österreich! ِﻣﻠَﻔﱢﻲ اﻟﺸﱠ ﺨ ِْﴢ ﻣﻦCV Das Rote Kreuz unterstützt das Bildungssystem durch seine komplementären Lernprogramme mit Personal und Material. LERNHILFE Pädagoginnen und Pädagogen werden stundenweise bezahlt, um mit Schülerinnen und Schülern an ihrem Schulstandort am Nachmittag zu lernen. LESEPATINNEN Freiwillige Lesepatinnen und Lesepaten lesen und lernen mit Schulkindern unter Anleitung des Lehrpersonals direkt in ihrer Klasse. Hallo Schwim men Learning lern en to swim اﻟﺴﺒﺎﺣﺔ ﺗﻌﻠﻢﮔﯿﺮی ﺷﻨﺎ ﯾﺎد Viele Sprachen – eine Schule Viele VIELE SPRACHEN, ZWEI MAGAZINE Spra chen – ein e Sc hule Die mehrsprachige Schülerzeitschrift Trio, herausgegeben vom Bildungsministerium mit Unterstützung durch den Stadtschulrat Wien, unterstützt seit 2006 den Unterricht in mehrsprachigen Klassen mit Texten auf Deutsch, Bosnisch/Kroatisch/Serbisch und Türkisch. So sollen alle Kinder in mehrsprachigen Klassen Fortschritte auf Deutsch machen, ohne ihre Muttersprache zu „vergessen“. Seit 2016 geben Rotes Kreuz und Jugendrotkreuz die Zeitschrift „Trio – Hallo Österreich!“ heraus. Darin erscheinen Texte über Österreich und das Zusammenleben – für Schulklassen, in denen geflüchtete Kinder lernen (siehe S. 33). Texte für die 2. bis 6. Schulstufe Auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Dari Download: Texte auf Englisch, Arabisch und Dari Dow LERNHÄUSER Spitzenpädagogik für Schulkinder aus bildungsfernen Familien am Nachmittag, fünfmal die Woche. rreich ! 19|2017 Auf Tex nloa te für Deu d: Tex tsch die te auf , Englisch 2. bis 6. Eng lisch , Arabisc Schulst , Ara ufe bisc h und Dar h und Dar i i 31 en! kommved! e g n A i e arr You'v تم الو به مقص صول د رسیدید Leben n zum tworte glisch, und An Deut sch, En f Fragen ri. ich. Au e 1 Da rre d te men.onlin h un in Ös ngekom Arabisc www.a „Sie sind in Österreich!“ W So beginnt die vielleicht am meisten verbreitete Information für alle „Angekommenen“ in Österreich. ie grüßt man in Österreich? Welches Wasser kann man trinken? Muss ein Kind in den Kindergarten gehen? Dinge, die vielleicht jedes Kind in Österreich weiß, sind für Menschen, die „neu hier“ sind, mitunter nicht so selbstverständlich. Tägliche Missverständnisse zeigen, wie wichtig das Wissen um Verhalten und Regeln im Land ist. Damit auch Flüchtlinge die Gepflogenheiten und Umgangsformen lernen, hat das Österreichische Rote Kreuz einen Taschenratgeber mit dem Titel „Angekommen!“, der all das erklären soll, herausgegeben. Audio auf der Website In dem Ratgeber findet man Fragen, die sich Menschen auf der Flucht stellen, wenn sie in Österreich angekommen sind – und die Antworten darauf. 148 Seiten in vier Sprachen (Deutsch, Englisch, Arabisch und Dari) umfasst das Handbuch. Auf der Website www.angekommen.online kann man sich die Fragen und Antworten des Ratgebers in den vier Sprachen auch vorlesen lassen. Die Broschüre klärt über Rechte und Pflichten auf, über das Bildungs-, Gesundheits- und Asylwesen. Sie Text und Ton auf www.angekommen.online erklärt auch, wann Kinder in der Schule fehlen dürfen und wo es in Österreich „Halal“-Fleisch zu kaufen gibt. „Der Leitfaden ist als Handreichung zu verstehen. Flüchtlinge sollen verstehen, wie Österreich tickt“, sagt Gerald Schöpfer, Präsident des Österreichischen Roten Kreuzes, das diesen Integrationsratgeber mit Unterstützung vonseiten der ORF-Initiative „Helfen. Wie wir.“ herausgegeben hat. Gesamtgesellschaftliche Aufgabe Integrationsexperte Prof. Heinz Faßmann, der die inhaltliche Überprüfung des „Flüchtlings-Knigge“ übernommen hat, stellte bei der Präsentation dann auch klar: „Hilfe bei der Integration trägt dazu bei, die Entstehung von Parallelgesellschaften zu vermeiden, und von gut integrierten Zuwanderern profitiert auch die Aufnahmegesellschaft. Integration ist aber immer eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. „Wie begegne Sie kann nicht nur von den Asylwerich Frauen?“ – bern erbracht werden, dazu braucht Antwort in vier Sprachen es auch die Mehrheitsbevölkerung.“ 32 19|2017 Starke Nachfrage Die Nachfrage war von Anfang an stark. „Angekommen! – Fragen und Antworten zum Leben in Österreich“ wurde zum meistverbreiteten Medium für Flüchtlinge. Daher ging die Broschüre in die 2. Auflage. 110.000 ExemVerstehen, wie Österreich tickt: plare wurden verteilt, inzwischen mit dem Ratgeber ist sie vergriffen. „Angekommen“ Die Website mit allen Fragen und Antworten zum Lesen und Anhören auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Dari ist für Smartphones optimiert: www.angekommen.online Hallo Ös Mai 2016 Nr. 01/ i th ک لک ین ُة m jede rem? es in in eu ch? gibt auch se no – nge Klas f! e Di mer rer Dies senzim in eu iffe au Klas gibt es e Begr Was eibt di hr hr Sc eU cken chbe Was asin das washb ال ظرف حَ و ُْض the شویه r pute Com ter der compu the ُال حَ اس وب ُ ک مپی وتر di clock ال ساع ت سَّ ا َع ُة the l Rega das shelf the ال ُّ رَّف املاری the l Tafe die oard kb َّتخ ته ال س blac س یاه ُب ورَ ُة Buch das book the ال ِك تَا ُب کتاب el Sess der chair the ال كُر ِْس ُّ چو کی Ju bëftë mirë! Albanisch Sma Dobar tek! Kroatisch czne go! Polni ien ten Kas rd der pboa ال ِخ cu زَانَ ُة the جع به Mein Ste ckbrief My Pro file ﴢ ِ ﱢﻲ اﻟﺸﱠ ْﺨ ِﻣﻠَﻔ ﻣﻦCV übel tk Mis h bin der bbis سَ لَّ ُة امل ru ِک ثاف ُهْمَ الَت the ت دانی Tür die door the ال َب ا ُب د روازه Ital Hallo Добър апетит! Bulgarisch Englisch ur meal! Enjoy yo اشتh ها Viele S !ی خ وشεξη! praή όcρ h en – e λ α Κ ine Sc Приятног hule о аппети та! isch ch/Serbisch Prijatno! Bosnis t! éti pp na Bo zö Fran sisc sch 2 / Oktober 2016 Hello !سالم h zu sehen! Arabisch Schön, dic you! َ يل أ َ ْن أَر ٌ َج ِمDari َاك Nice to see از دی Hallo !خ وش ه ستمbegrüدنت ßen. Welt . chen in aller d the world Wie sich Mens other aroun e greet each َ كَ ي َْف أ ُ َح يِّي ال ن How peopl َِّاس ِف ك ُِّل أَنْ َح ا ِء ال َع الَم مردم در جهان چطور به .هم سالم می کنند الصَّ ْد َر ع ََل ِ األَكْ ت َاف الصَّ ْد ِر َو يُ َربِّ تُو َن ع ََل مکزیکی ها سینه هایشان را به دست رضبه ای به شانه هم می مالند و به .یکدیگر می زنند In Südamerika sich beim verbeugt man schütteln. längeren Händeca, people In South Ameri lengthy bow over a َ ِف أ handshake. 20 م ي ن،ََ ريِكَا ال َج نُو ِب َّي ة امل ُصَ افَ َح ِة الَّ تِي عَا َد ًة َ َم ْا َحتَنكِيُو ُا ِإلنْسَ ا ُن أَث ْنَا َء .ًن طَ وِي لَ ة در دادنآمریکای جنوبی به هنگام دست مدتی .تعظیم می کند ec hisc Texte Down Auf Deuts für die load: 2. bis Texte ch, Englis 6. Sch ch, auf En ulstuf glisch, Arabisch e und Arabi sch und Dari Dari Russisch Do bro !وال ش فاء u c Arabisch hu ť! Ts ch en Eskimos begrüßNasensich mit einem Münder kuss. (Zwei der Kälte würden bei eben.) zusammenkl each Eskimos greet a nose kiss. with other s would (Two mouther in the stick togeth cold.) ِ أ َ ْه ُل اإل !مرحبا Hello ec Hallo hisch ب ال هن اء ch! Hallo Österrei !سالم ť! Dobrú chu Afiyet ols un! Türkis 2 / Oktober 2016 Slowakisch ch بَ ْع ضَ ُه ْم ِِسْب تك ي ُم و يُ َح يُّو َن ِ (ال َف منِ َ ْق بِيلِ األَن ِ ْف لِألَن ْف ْ َ َّ ِف )ِالب ِد يَ لْ تَصِ قَان اسکیمو ها با بوسیدن دماغ به هم سالم می (دهان در.کنند رسما به ).یکدیگر می چسبد en sich dieeln. In Europa begrüß mit Händeschütt Menschen people greet each In Europe, handshakes. other with ِف أ ُورُوبَا يُ َح يِّي ال ن َّاس ب در اروپا مردم با دست دادن ُ َ ْع ضَ ُه ْم بِامل ُصَ افَ َح ِة به .هم سالم می دهند an Brust er. lehnen Brust Mexikaner n einander auf die Schulton other und klopfe and pat each Mexicans hug ِ امل كْسِ ِك يُّو َن يَ ْح نُو َن the shoulder. Gri Dari h ch !مرحبا ch! Hallo Österrei ungen? andere Begrüß Kennst du noch euch zu Hause? t ihr e Wie begrüß deiner Sprach Was heißt in zu sehen“? „Schön, dich ufe hulst 6. Sc d Dari 2. bis h un d Dari für die abisc Texte glisch, Ar abisch un , Ar , En utsch Englisch Auf Dexte auf Te d: loa Down ch Tis der table the ال طَّا ِولَ ُة م یز ¡Buen pro vecho! Spani sch Bu on ap tsch pe eit! Deu Mahlz tit o! ppetit! A en Gut Rumänisch nă! bu Poftă 18 ule e Sch – ein n e h SpracHallo Öster reich! Viele 2016 llo / Ok !2 garis Kostenlose Bestellung (Portobeitrag) auf www.schule-mehrsprachig.at Ha ich t! Un gya tvá Jó é rio – Hallo Österreich!“ heißt die mehrsprachige Kinderzeitschrift, die Österreichisches Rotes Kreuz und Österreichisches Jugendrotkreuz entwickelt haben. Auf 40 Seiten gibt es Infos, Rätsel und Artikel auf Deutsch und Englisch über Österreich, aber auch über die Herkunftsländer geflüchteter Kinder. Einige Texte sind auf Arabisch und Dari verfügbar. Ein Downloadpaket bringt Übersetzungen. „Trio – Hallo Österreich!“ hilft beim Deutschlernen und ist für den gemeinsamen Unterricht in Klassen mit mehreren Muttersprachen geeignet. Eine Evaluierung unter den bestellenden Schulen ergab eine hohe Zufriedenheit mit den Zeitschriften. Deshalb erscheint im April 2017 die bereits dritte Ausgabe von „Trio – Hallo Österreich!“. terre D ar sse Kla roomَ ال DieClass فف صْ ُل ص نnster Fe w The das windo ال ن e َّافِ َذ !سالم o He16ll r 20 Oktober isch Arab Hallo !مرحبا tobe ﯾﺎ اﻟ ﺮیﺴﺒﺎﺣﺔ دﮔﯿ ﺷﻨﺎ Heft Nr. 02/ Die multilinguale Kinderzeitschrift des Roten Kreuzes. n n lerne imme Schw ng to swim ﺗﻌﻠﻢ Learni Heft T Hallo Österreich! h! reic Öster Hallo ßung legen n der Begrü Zum Zeiche die Hände aneinander die Chinesen gen sich. se und verbeu greeting, the Chine bow. As a sign of hands together and ِ تَ ْع ِب ريًا عَنِ ال place their ت َو يَ ْن َح نُو َن َّ ح َّي ِة يَضَ ُع الصِّ ي ِن ي ُّو َن ال َي َد ع ََل ال َي ِد در چین مردم دو دست را بر روی هم ق رار می.دهند و تعظیم می کنند en i und in Ägypt ßung In der Türke bei der Begrü . küsst man älteren Person way die Hand der Egypt, the hand In Turkey and is to kiss the of greeting person. of the older ِف تُ ْركِ يَا َو ِم Und wie begrüßt ihr euch? And how do you greet one another? َْ ص يُ َق ب ُِّل ا ِإلن يَ َد الشَّ ْخ َص األَك َ َْب ِم ْن ُه سِ نًّاْسَ ا ُن ِع ْن َد ال َّت ِح َّي ِة در ترکیه و مص زمان سالمراو احوال پرسی دست اشخاص ریش .سفید می بوسند nur berühr t man In Äthiopien e Hand. etched die ausgestreckt only the outstr In Ethiopia, d. ِف أَث ْيُو hand is touche بْ يَا الَ يَ لْ َم ُس ا ِإلن ا ِْسَ ُن س در وَى ال َي َد امل ُ ْم َت َّد َة اتیوپی تنها دست .را ملس می کنند mit gt man sich In Indien verbeu n. gefalteten Händeg takes place by In India, greetin folded hands. ِف ال ِه ْن ِد ي ن bowing with ِ َ ْ َح نِي ا َو أَنْ ُت ْم كَ ي َْف تُ َح يُّو َن بَ ْع ضَ ُك مْ؟ شم چه طور جورپرسانی می کنید؟ 21 إلن ا ُن ِ ْ ْسَ َو يَ َديْ ِه َم طْ ِويَّ ت َي در ه ندوستان مردم کف دست ها را روی هم گذاشته 19|2017 33 Logbuch Fliehkraft F 44444444444 Beate Leyrer lucht ist ein Begriff, der uns auf unterschiedlichen Ebenen berührt. Wir sehen die Bilder in den Medien. Viele von uns haben in den letzten beiden Jahren Kontakt zu geflüchteten Menschen gehabt. Andererseits werden Erinnerungen aus der eigenen Familie wach, in der es Erzählungen von Menschen gibt, die zu anderen Zeiten ebenso fliehen mussten. Sie alle werden von der „Fliehkraft“ geleitet. Sie sollte unserem Projekt den Namen geben. Syrische Juge 34 19|2017 nd liche erzählen Ein Kunstprojekt mit Schülern und Geflüchteten. Im letzten Schuljahr haben wir mit den Kindern der Privatschule KreaMont in St. Andrä-Wördern in Nieder österreich am Projekt Fliehkraft gearbeitet. Als ob wir die Entwicklungen des Herbstes 2015 geahnt hätten, in dem unzählige Flüchtende die österreichische Grenze passierten, hatten wir unser Projekt schon Monate vorher beim Mostviertel-Festival eingereicht, wo es auch ausgewählt wurde. Aus der eigenen Familiengeschichte Die Uroma Der Bau des Floßes Die Fluchtgeschichten werden auf dem Floß gesammelt Der letzte Schliff vor der Überfahrt Die Kinder waren aufgerufen, ihre Familienmitglieder zu fragen, ob es Fluchterfahrungen in der Familie gibt. In einer zweiten Phase wurden Interviews mit Menschen geführt, die gerade nach Österreich geflüchtet sind. Gertrud Birgfellner hat diese Interviews mit den Kindern zu einem „Logbuch Fliehkraft“ verarbeitet. Die lebensgefährliche Überfahrt vieler Flüchtlinge über das Mittelmeer hat als Inspiration gedient, unser Floß am Donau-Altarm in Greifenstein als Symbol für ein Flüchtlingsboot zu verwenden. Es wurde künstlerisch gestaltet und mit dem Logbuch des Projektes sowie Büchern zum Thema Flucht ausgestattet. Mitten am sicheren Altarm können die Kinder ein Stück hinausfahren und nachspüren, wie das Mittelmeer, das wir nur als Urlaubsort kennen, zu einem Ort der Sehnsucht, der Hoffnung, aber auch der Gefahr und des Untergangs werden kann. PROJEKT FLIEHKRAFT Gertrud Birgfellner Silvia Both Beate Leyrer Stefan Novak Kinder der Sekundaria der Privatschule KreaMont 19|2017 35 FLIEHKRAFT-ERFAHRUNGEN Die Schüler haben über mehrere Monate Lebensgeschichten gesammelt, aufgeschrieben und künstlerisch bearbeitet. Alle Geschichten verband, dass sie von Menschen erzählt wurden, die in Not ihre Heimat verlassen mussten und flüchteten. Die ältesten Geschichten stammen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Am Donaualtarm in Greifenstein, Niederösterreich, können Passanten am selbst gebauten Floß diese Geschichten lesen und dabei gedanklich zu neuen Ufern übersetzen. 36 19|2017 19|2017 37 Eine von Millionen 44444444444 von Stefan Müller N 38 „Go out, this is Vienna!“ Nivin findet ihr zweites Leben in Wien. Global gesehen sind internationale Flüchtlinge eine sehr kleine Gruppe. ivin Al Haddad lächelt gerne. Nur wenn sie über ihre Flucht spricht, merkt man ihr an, was sie mit ihren 25 Jahren durchmachen musste und wie nahe es ihr geht. An die Worte des Mannes, der sie am Ende ihrer Odyssee mit dem Auto nach Österreich brachte, erinnert sich Nivin genau. „Go out, this is Vienna. Bye.“ Da stand sie nun, mit ihrer Schwester. Weit weg von zu Hause, in einem Land, das sie nicht kannte. An diesem Tag begann ihr Leben zum zweiten Mal. Die Syrerin, geboren in Daraa, ist eine von vielen. Eine von Millionen, die im Jahr 2015 ihre Heimat ver lassen mussten, weil ihr Leben in Gefahr war. In der Öffentlichkeit rief die Zahl von Asylsuchenden eine Debatte hervor, in der von Flüchtlingswellen die Rede war, die den sozialen Frieden gefährden. Ist das so? rung wächst. Die Zunahme erfolgt parallel.“ Der 36-jährige Engländer ist selbst ein Grenzgänger. Er ist Migrationsforscher, lehrt als Professor in Shanghai und ist am Institut für Demografie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tätig. Bis zum Jahr 2000 gab es keine weltweite Erhebung von Migrationsdaten. Dann haben Weltbank und UNO Zahlen veröffentlicht, wie viele Menschen außerhalb ihres Geburtslandes leben. Mit statistischen Methoden haben Guy Abel und seine Kollegin Nikola Sander verglichen, wie sich diese Daten je nach Land und Kontinent in Fünfjahresabständen seit 1990 verändert haben. Somit konnten erstmals Migrationsbewegungen abgebildet werden. 2014 veröffentlichten die beiden ihre Ergebnisse im Wissenschaftsmagazin „Science“. Nimmt Migration zu? Peak in den Neunzigern Das größte Missverständnis, sagt Guy Abel, sei der Glaube, dass nur die Migration ständig zunehme. „Es gibt zwar mehr Migranten, aber auch die Weltbevölke- Die größten Bevölkerungsbewegungen gab es in den frühen Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts. Die Sowjetunion war gerade kollabiert, Jugoslawien zerfiel 19|2017 und es tobten Konflikte in Ruanda und Kuwait. Viele Menschen aus Südostasien, Indien oder Pakistan zogen in Golfstaaten, um dort zu arbeiten. Zwischen 1990 und 1995 emigrierten 41,5 Millionen Menschen. Im folgenden Intervall waren es sieben Millionen weniger, bevor der Wert wieder anstieg und von 2005 bis 2010 erneut 41,5 Millionen erreichte. Gemessen an der Erdbevölkerung sank der Anteil der Migranten pro Fünfjahresintervall damit von 0,75 auf 0,61 Prozent. Von arm nach weniger arm Natürlich wandern die Menschen vorwiegend von weniger stabilen in stabilere Länder mit stärkerer Wirtschaftsleistung. Allerdings weniger aus den ärmsten Ländern direkt in die reichsten Länder. Der Trend zeigte, dass Auswanderer die Einkommensleiter Stufe für Stufe hochsteigen. Menschen aus Indonesien gehen nach Malaysia, die Malaysier ins reichere Singapur. Wanderungsbewegungen in Afrika südlich der Sahara finden vorwiegend in der Region statt. Auch die Migration von Süd- nach Westasien war überraschend stark. Fasst man Zu- und Abwanderung zwischen 2005 „Im globalen Kontext ist Migration kein unermessliches Problem“ Guy Abel und 2010 zusammen, sind die USA mit einem Plus von fünf Millionen Personen nach wie vor Einwanderungsland Nummer eins, gefolgt von den Vereinigten Arabischen Emiraten (+ 3 Mio.), Spanien (+ 2,2 Mio.) und Italien (+ 2 Mio.). Die Länder mit den größten Nettoverlusten sind Indien (– 2,9 Mio.), Pakistan (– 2 Mio.) und China (– 1,8 Mio.). Und in Europa? Die Migration in Europa ist vielschichtig: Die größte Gruppe resultiert aus der Freizügigkeit innerhalb der EU. Flüchtlinge waren bis vor Kurzem eine relativ kleine Gruppe. „Die Wirtschafts-Migranten sind weniger geworden, dafür hat sich die Anzahl von unter Zwang Vertriebenen erhöht“, sagt Abel. In Österreich rief das Ängste hervor. Nivin Al Haddad hat sogar Verständnis dafür. „Bis zu einem gewissen Grad haben die Menschen das Recht, sich zu fürchten. Sie haben noch nie etwas von Syrien gehört und hart gearbeitet, um dieses Land aufzubauen. Aber wir Flüchtlinge haben auch Rechte. Beide Seiten sollten eine gute Lösung finden, um das Beste aus der Situation zu machen.“ Nivin stammt aus einer Familie der Mittelschicht, studierte Politik und Wirtschaft in Damaskus, engagierte sich für den Roten Halbmond und wurde dann Medienbetreuerin für die HIlfsorganisation. Sie floh über Beirut in die Türkei und auf einem Boot nach Griechenland. Die Zustände in einem überfüllten Lager auf Kos seien schlimm gewesen. Über die „Balkanroute“ schlug sie sich bis nach Wien durch. Welchen Einfluss hat das Klima? Bis Ende 2015 hat das Österreichische Rote Kreuz 650.000 Menschen, die auf der Suche nach Schutz ins Land gekommen sind, versorgt und unterstützt. Mit Oktober 2016 hat Österreich etwa 80.000 Flüchtlinge aufgenommen. Ein Zuwachs von einem Prozent der Gesamtbevölkerung „Wir sind zuversichtlich, dass die staatlichen Systeme dafür leistungsfähig genug sind“, sagt Rotkreuz-Generalsekretär Werner Kerschbaum. In einem Forschungsprojekt mit der Wirtschaftsuniversität Wien untersucht Guy Abel derzeit, ob es eine Verbindung zwischen Flüchtlingsbewegungen und dem Klimawandel gibt. Konkret gehen die Forscher in dem Projekt der Frage nach, ob geringer Niederschlag und Missernten zum Aufstand in Syrien beigetragen haben. „Wir versuchen, das zu quantifizieren.“ Zwei Drittel der rund 65 Millionen Menschen auf der Flucht sind intern Vertriebene. Nur 20 Millionen verlassen ihr Herkunftsland. „Das ist ein sehr kleiner Teil der Weltbevölkerung“, sagt Guy Abel. „Die Leute sollten das im Kopf behalten. Migration ist kein unermessli ches Problem, wenn man im globalen Kontext darüber nachdenkt.“ Nivin will zurück Wenn sich die Lage in Syrien beruhigt hat, will Nivin zurückkehren. Sie vermisst die Familie und ihre Eltern. Sie arbeitet tageweise in der Migrationsabteilung des Roten Kreuzes, spricht in Schulen über ihre Geschichte und will wieder studieren. Schlechte Erfahrungen in ihrem Gastland hat Nivin noch keine gemacht. Vielleicht liegt das auch daran, dass sie jung ist, fließend Deutsch spricht und gerne lächelt. Sich in eine fremde Gesellschaft zu integrieren ist nicht leicht, aber es lohnt sich. Wenn Nivin eines Tages nach Syrien zurückkehren sollte, wird sie eine zweite Heimat gewonnen haben: Österreich. 19|2017 39 Woher und wohin Aus welchen Ländern Fluchtbewegungen kommen und welche Wege sie gehen. 0 10 20 30 40 50 60 70 80 65,3 Millionen Millionen Menschen auf der Flucht weltweit 21,3 Millionen Flüchtlinge unter UNHCR-Mandat 10 Millionen staatenlose Menschen 107.000 resettled (in Drittstaaten angesiedelt) Wo sich Geflüchtete aufhalten 12 % Nord- und Südamerika 53 % aller Flüchtlinge kommen aus drei Staaten 29 % Afrika 6 % SYRIEN Europa 4,79 Millionen AFGHANISTAN 2,7 Millionen SOMALIA 1,1 Millionen 39 % Mittlerer Osten und Nordafrika 40 19|2017 14 % Asien und pazifischer Raum Asylanträge in Österreich 2016 nach Staatsangehörigkeit 11.289 Afghanistan Syrien 8.227 Irak 2.655 2.366 Iran Afghanistan Pakistan 11.289 2.320 Nigeria Syrien 1.717 Somalia Irak 1.470 8.227 2.366 Iran 1.446 Russische Föderation Marokko Pakistan 1.007 Algerien Nigeria 961 2.320 Pakistan 1,6 Millionen Libanon 1,1 Millionen 1.717 Somalia Russische Föderation Top-Aufnahmestaaten weltweit 2.655 36.216 1.470 Iran 979.400 1.446 Marokko 1.007 Algerien 961 36.216 Äthiopien 736.100 Türkei 2,7 Millionen Jordanien 664.100 Europäische Union gesamt (28 Länder) davon in: 755.770 420.080 Deutschland Asylentscheidungen in der EU Jänner bis September 2016 67.555 Italien Europäische Union Frankreich gesamt (28 Länder) davon in: Schweden 63.310 755.770 57.395 420.080 Deutschland Österreich 29.065 Niederlande 67.555 Italien 24.175 63.310 Frankreich Griechenland 7.610 57.395 Schweden Österreich Niederlande Griechenland 29.065 24.175 7.610 Jeden Tag ... ... verlassen 33.972 Menschen weltweit ihre Heime wegen Krieg und Verfolgung. 19|2017 41 t “ f ? a t h h c c s u l l l e F s er e „Guf d a Florian Klenk vs. Christian Ortner Die Rolle der Zivilgesellschaft Arbeitsmarkt: Was können sie? Johannes Kopf: „Wie schnell würden Sie Arabisch lernen?“ 42 19|2017 19|2017 43 „Das Märchen ist geplatzt“ Die Flüchtlingsbewegung des Jahres 2015 hat nicht nur die Bevölkerung gespalten, sondern auch die Medien. Gibt es eine „Willkommenskultur“? Oder wurde uns bewusst die Unwahrheit erzählt? E 4444444444444 Interview: Thomas Aistleitner und Robert Dempfer nde August 2015 setzt das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BaMF) einen folgenreichen Tweet ab: „Dublin-Verfahren syrischer Staatsangehöriger werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt von uns weitestgehend faktisch nicht weiter verfolgt.“ Die Einladung nach Deutschland verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Tausende Flüchtlinge brechen zuerst in Richtung Österreich auf – auch jene, die um den Budapester Bahnhof Keleti lagern. Von hier aus fahren die meisten in Sonderzügen der ÖBB nach Deutschland weiter. Bis zur Schließung der Balkanroute werden es Hunderttausende sein. Dr. Florian Klenk ist Chefredakteur des Wochenmagazins „Falter“ und Österreichs „Journalist des Jahres 2016“, Christian Ortner ist einer der einflussreichsten Kommentatoren Österreichs und Herausgeber von ortneronline.at, dem „Zentralorgan des Neoliberalismus“. Im Gespräch erinnern sie sich an die Ereignisse im Herbst 2015 und ihre Rezeption in den Medien. henri: Im Jahr 2015 wurde Flüchtlingen auf Österreichs Bahnhöfen applaudiert. Was ist von dieser „Willkommenskultur“ geblieben? FLORIAN KLENK: Die Menschen haben ja nicht applaudiert, weil sie naiv sind. Sondern vor Erleichterung, dass das ungarische Missmanagement ein Ende hatte. CHRISTIAN ORTNER: Ich war damals am Bahnhof Keleti. Szenen wie dort hatte ich außerhalb des Nahen Ostens noch nicht gesehen. Bis dahin war die Entscheidung der Bundesregierung, diese Menschen aufzunehmen, richtig. Der Fehler war, dann nicht zu sagen: Das ist eine einmalige humanitäre Maßnahme. Aber jetzt müssen wieder gesetzmäßige Zustände herrschen. Die Medien sagten: Wir brauchen diese Menschen. Sie sind gut ausgebildet, werden künftig unsere Pensionen zahlen. 44 19|2017 KLENK: Wir haben geschrieben, dass unter den Syrern eine relativ hohe Anzahl gut qualifizierter Leute ist, aber unter den Afghanen ein relativ hoher Anteil schlecht qualifizierter. Ich selbst habe geschrieben, dass wir uns keine Märchen erzählen sollten. Mercedes-Chef Dieter Zetsche hat das anders gesehen. ORTNER: Ja, nur hat der Chef eines Weltkonzerns mit 250.000 Angestellten bisher keinen einzigen Flüchtling angestellt. Dieses Märchen ist geplatzt. Die zweite Lüge war: Das wird alles nichts kosten, sondern daraus wird ein kleines Wirtschaftswunder. Heute wissen wir: Das wird Österreich zwei, drei Milliarden Euro pro Jahr kosten, denen keine Gegenleistung gegenübersteht. Haben uns die Medien angelogen? ORTNER: Ich war an dem Sonntag in Nickelsdorf, als 12.000 Menschen über die Grenze gekommen und weitertransportiert worden sind. Ich habe in diesen Zügen fast ausschließlich junge Männer gesehen, nur vereinzelt Frauen und Kinder. Die Bilder in den Medien am nächsten Tag haben Frauen gezeigt, die kleine Kinder gehalten haben. Mich wundert nicht, dass der österreichische Medienkonsument uns Journalisten heute nicht mehr so vertraut. Die Leute haben zu Recht das Gefühl, sie sind angelogen worden. Der ORF-Generaldirektor hat damals gemeint, der Sender wäre jetzt Teil einer nationalen Kraftanstrengung. KLENK: Aber welcher Kraftanstrengung? Was im Herbst 2015 passiert ist, war ja nicht Einwanderungspolitik, sondern Katastrophenmanagement. Weil das Innenministerium nicht fähig war, für ein paar tausend Leute Betten zu organisieren. Dürfen sich Medien in Katastrophen engagieren? ORTNER: Journalismus darf sich nicht gemein machen, nicht mit der richtigen Sache, nicht mit der guten Sache. Die meisten unserer Kollegen haben es im Herbst 2015 aber so gehalten. KLENK: Das kann man lange diskutieren. Aber gerade der ORF ist mehr als ein journalistisches Medium. Er ist auch eine mediale Plattform, die er hin und wieder dafür nutzen kann, Hilfsbedürftigen Hilfe zukommen zu lassen. Das darf aber nicht auf die Berichterstattung wirken. Etwa so, dass die „Zeit im Bild“ nicht über eine Vergewaltigung durch Flüchtlinge berichten kann. Umgekehrt sollte er auch über Vergewaltigungen berichten, die an Flüchtlingen begangen werden. In Deutschland hat ein Flüchtling ein 17-Jähriges Mädchen vergewaltigt und ermordet. Das Fernsehen hat darüber erst berichtet, als es schon in der „New York Times“ gestanden ist. „Wenn man Menschen importiert, importiert man auch Kriminelle“ KLENK: Eine Fehlleistung. Selbstverständlich ist das zu berichten! Herr Ortner hat geschrieben: Ohne die Flüchtlingspolitik der Frau Merkel wäre dieses Mädchen noch am Leben. ORTNER: Dass ein junger Afghane nicht nach Deutschland einreisen hätte können, wenn die EUAußengrenzen so geschützt wären, wie das gesetzlich geregelt ist, das ist logisch zwingend. Darüber kann man nicht debattieren. Man kann nur sagen: Ich will das nicht sehen, ich will das nicht hören. Gegen Emotionen helfen Argumente nicht, wie wir wissen. Sie haben auch prophezeit, dass ein gewisser Prozentsatz der Flüchtlinge kriminell sein wird. ORTNER: Wenn man Menschen importiert, importiert man zwangsläufig auch Kriminelle. KLENK: Laut den Anzeigenstatistiken hat die Flüchtlingskrise nicht dazu geführt, dass es mehr Kriminalität gibt. Es gibt natürlich mehr, weil es mehr Leute gibt. Aber wir haben nicht Kriminelle importiert. ORTNER: Wenn man eine große Anzahl an Menschen hereinlässt, dann ist darunter zwangsläufig eine ge- „Wenn wir 80.000 Kinder zeugen, werden wir auch Kriminelle zeugen“ wisse Anzahl von Kriminellen. Es wird zum hier vorhandenen Kriminalitätsstock Kriminalität aufgestockt. Die Kriminalität wird also mehr. KLENK: Wenn wir pro Jahr 80.000 Kinder zeugen, werden wir auch Kriminelle zeugen. Deswegen werden wir aber nicht dafür eintreten, dass keine Kinder mehr gezeugt werden. ORTNER: Wenn wir Kinder zeugen, haben wir einen Nutzen davon. Das gilt für den Import von Menschen aus Afghanistan, Syrien und dem Irak nicht. Laut einer parlamentarischen Anfrage ist die Zahl der Sexualdelikte in den ersten sechs Monaten 2016 um 131 Prozent gestiegen. Was heißt das in absoluten Zahlen? ORTNER: Es ist ein Anstieg von 131 Prozent, das reicht ja wohl. Hätte man die Entwicklung nicht zugelassen, 19|2017 45 Neonazi-Szene und im Vergleich zu Deutschland eine kleine Salafistenszene. Sie haben geschrieben: „Das Sommermärchen wärmt nur die Herzen einer kleinen hilfsbereiten Elite.“ Wie passen die Wahlergebnisse seither dazu? KLENK: In der Tat haben sowohl die Wiener Gemeinderatswahl als auch die Wahl zum Bundespräsidenten jene Kandidaten deutlich gewonnen, die sich für eine humanitäre Flüchtlingspolitik ausgesprochen haben. Schlussfolgerung: Die „Willkommenskultur“ ist mehrheitsfähig? KLENK: Die Leute wollten, was passiert ist, sonst hät- „Hätte die AfD ohne Willkommenspolitik heute 13 Prozent?“ ten sie Norbert Hofer gewählt, und den haben sie ja gerade nicht gewählt. Ich glaube nicht, dass die Bevölkerung ein Problem damit hat, dass in einem Ausnahmejahr 80.000 Menschen kommen, also ein Prozent der Bevölkerung. Aber sie hat ein Problem damit, wenn es das Innenministerium nicht zustande bringt, denen ein Quartier zu vermitteln. wäre auch diese junge Frau am Wiener Praterstern nicht vergewaltigt worden. KLENK: Das ist mir zu polemisch. ORTNER: Was ist falsch daran? KLENK: Es ist, als ob ich sagen würde: Wenn ich heute das Autofahren verbiete, dann fahren alle mit dem Zug, und es gibt weniger Verkehrstote. ORTNER: Das Autofahren finden wir nützlich. Deshalb sind wir bereit, Probleme damit in Kauf zu nehmen. Dass ein unbegleiteter 17-jähriger Afghane zu uns kommt, der mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Recht auf Asyl hat, davon hat in Österreich niemand etwas. Hätten wir davon etwas, würde ich sagen: Gut, dafür müssen wir eben gewisse Nebenwirkungen in Kauf nehmen. Ist eine Nebenwirkung der Berichterstattung, dass in Europa Rechtspopulisten Aufschwung haben? KLENK: Sie haben nicht Aufschwung, weil die Medien falsch berichtet haben. Sie sind so präsent, weil sie in den Einwanderern ein Feindbild sehen. Ich lese jeden Tag Straches Facebook-Site. Das ist Counterdschihad. Das funktioniert wie auf den Websites der Islamisten: Es werden Gefahren von innen und außen beschworen und ein Bürgerkriegsszenario, gegen das wir aufstehen müssen. ORTNER: Glauben Sie wirklich, dass ohne die Willkommenspolitik die AfD heute 13 Prozent hätte? KLENK: Natürlich ist das eine Reaktion. Man kann aber auch sagen: Willkommenspolitik ist, dass wir keine Pegida-Demonstrationen und keine brennenden Flüchtlingsheime haben, obwohl wir 80.000 Flüchtlinge aufgenommen haben. Wir haben keine offene 46 19|2017 „Die Wahlen haben die gewonnen, die sich für eine humanitäre Flüchtlingspolitik ausgesprochen haben“ ORTNER: Die Österreicher sind weder besonders xenophob noch besonders ausländerfeindlich. Ich glaube, da sind wir uns einig. Was sie nicht wollen, ist ein ganz bestimmter Typus von Einwanderern. Es ist eben ein großer Unterschied, ob 80.000 Japaner hierherkommen oder 80.000 Menschen aus einer Kultur, die frauenverachtend und gewaltaffin ist. Deswegen bringt uns der Begriff Ausländer überhaupt nicht weiter. Und Begriffe wie xenophob oder ausländerfeindlich führen zu keinerlei Erkenntnis. „Wie ein Aufatmen“ 2015 war das Jahr von Parndorf und dem Budapester Bahnhof – aber auch der Zivilgesellschaft. Wie blicken Caritas, Diakonie und Rotes Kreuz auf die Ereignisse und die Folgen? 444444444444444444 Interview: Thomas Aistleitner und Robert Dempfer „Willkommenskultur“ War es richtig, die Grenzen zu öffnen? BERND WACHTER: In Österreich ist der Regierung nach einigen Monaten der Mut abhandengekommen. Dadurch hat die Glaubwürdigkeit der Politik und von Organisationen wie uns gelitten. Es gab einen massiven Vertrauensschwund. Natürlich möchte ich, möchten wohl die meisten Österreicher in einem Land leben, das eine „Willkommenskultur“ hat. Diesen Begriff zu verdrehen und als „Unwert“ darzustellen war eine politische Meisterleistung, auf die niemand stolz sein kann. Stattdessen sollten wir sagen: Das sind die Probleme, das sind bestimmte Lösungspfeiler, packen wir es an! MICHAEL CHALUPKA: Ich tue mir schwer, die Antwort auf ein „Ja“ zu beschränken. Wir waren im Mai 2015 erst bei 22.000 Asylanträgen, und die Situation galt bereits als katastrophal. Dann kamen Parndorf und der 4. September. Und dann wurde der Grundsatz „Wir dürfen Österreich nicht zu attraktiv für die Flüchtlinge machen“ durch zwei Bewegungen unterbrochen: eine europäische, ausgehend von Angela Merkel, bei der Werner Faymann mitgemacht hat, mit der Aussage: „Man kann die Menschen in Ungarn nicht hängen lassen!“ Mehr war es ja nicht. Die zweite Bewegung, das war die Zivilgesellschaft. Die Menschen, die damals begonnen haben, bei uns als Freiwillige mitzuhelfen, gibt es alle noch immer. Aber wirklich alles, was gelungen ist, wurde schlechtgeschrieben. Sonst ist das Aufgabe einer schlechten Opposition. Bei uns erledigt das die Regierung mit der Notverordnung selbst. GERRY FOITIK: Die „akute“ Notlage hat ja bereits 2013 begonnen: Am Westbalkan haben sich Schlepperbanden formiert, wegen der Situation in Syrien und anderen Ländern war mit einem sprunghaften Anstieg der Flüchtlingszahlen zu rechnen. Im Sommer 2014 hat Österreich sich schon den Staatskollaps eingestanden und gesagt: „Wir schaffen das nicht. 19.000 Flüchtlinge sind viel zu viel.“ Dann kamen der Lkw von Parndorf, das Foto des dreijährigen Aylan, der tot in einer Bucht in der Türkei lag. Schließlich hat Viktor Orban 19|2017 47 „Der 5. September war ein magisches Datum, ein Ruck der Menschlichkeit durch unsere Gesellschaft“ minderjährige Flüchtlinge haben. Wir wissen, wie viel Betreuung sie brauchen. Nach unseren Standards dürften wir unter den Bedingungen, wie sie derzeit für Jugendquartiere gelten, eigentlich keine führen. WACHTER: Wenn eine politische Gruppierung meint, die Flüchtlingsbetreuung ist ein Geschäftsfeld, dann ist sie herzlich eingeladen, sich zu betätigen. Für uns stellt sich die Frage, ob man bei den geltenden Tarifen solche Aufgaben überhaupt noch wahrnehmen kann. Der schönste Moment Woran in den letzten zwei Jahren erinnern Sie sich gerne? WACHTER: Der 5. September 2015 war ein magisches Datum. Es war so etwas wie ein Aufatmen. Wir können das schaffen, wir hatten hier einen Ruck der Menschlichkeit in der Zivilgesellschaft. Vergessen wir nicht die Situation: Es war eine dramatische Verelendung von Tausenden Menschen am Budapester Bahnhof. „Wir schaffen das!“ hat sich auf diese Menschen bezogen. Und es wurde vorerst von der Politik mitgetragen. Faymann und Merkel mit der Frage erpresst: „Die Flüchtlinge in Ungarn wollen weiter nach Österreich. Wir müssen sie aber aufhalten, denn es gilt die DublinVerordnung. Was sollen wir tun?“ Damit hat er uns vor die Wahl gestellt: Wollt ihr mitverantwortlich sein für die Zustände in Ungarn? Oder sagt ihr: „Grenzen auf?“ Es war nicht Humanität. Es war nur der Wunsch, nicht mitschuldig zu sein am Desaster in Ungarn. „Gutmenschenfalle“ Das Wort des Jahres? FOITIK: Dieses Wort bedeutet: Die einzig mögliche Konsequenz aus einer politischen Pattsituation ist, dass man seine Klientel im Stich lässt. Das geht beim Roten Kreuz nicht, und das wird ausgenützt. Wir sind nicht die Ärztekammer, die streikt, wenn die Rahmenbedingungen nicht passen. Das ist wie mit dem Kinderzimmer. Wenn ich sage: „Räum endlich auf!“, mein Kind aber eine höhere Toleranzgrenze hat als ich, dann werde ich letztlich selbst aufräumen. CHALUPKA: Wofür wir stehen, wird ausgenützt. Sonst dürften wir keine Quartiere für unbegleitete „Es war nicht Humanität. Es war der Wunsch, nicht mitschuldig zu sein an dem Desaster in Ungarn“ 48 19|2017 FOITIK: Es gab viele schönste Momente, im Kontakt mit Geflüchteten oder mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die berichtet haben, wie jene sich erstmals in Sicherheit und willkommen gefühlt haben. Das ist das Schönste, was Menschen anderen Menschen antun können: ihr Leben zu retten oder ihm wieder eine Perspektive zu geben. Viele unserer Leute haben gesagt: Das war ihr sinnvollster und bester Einsatz, obwohl sie körperlich und seelisch extrem strapaziert waren. CHALUPKA: Wir haben in der Rekordzeit von drei Monaten ein neunjähriges Mädchen von Athen aus mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in unserem Heim in Baden vereint. Das war ein Glücksmoment, der auch zeigt, wie wirr und irr das System ist. Man hat uns gesagt: „Das Mädchen muss in Griechenland einen Antrag stellen. Aber unter ein bis zwei Jahren geht gar nichts.“ Alle Beamten haben gemeint, dass die zusammengehören. Aber jeder hat sich gefürchtet, irgendein Gesetz zu verletzen. Familienbeihilfe vs. UMF Die Familienbeihilfe pro Kind beträgt nicht einmal € 140,– im Monat. Für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling bekommt die betreuende Organisation € 2900,–. „Ich bin immer wieder erstaunt, was Menschen aushalten. Man bietet ihnen die miesesten Bedingungen und sie werden trotzdem nicht kriminell“ WACHTER: Weil wirklich alles, was sonst die Eltern leisten, bereitgestellt werden muss. Betreuung, Beglei tung, 24-Stunden-Präsenz. Das steht jedem Kind zu. Egal, wo seine Wiege stand. CHALUPKA: Private und institutionelle Erziehung sind nicht vergleichbar. Um einen Menschen eine Woche lang 24 Stunden am Tag immer präsent zu haben, brauchen wir fünfeinhalb Personaleinheiten, also fünf einhalb Gehälter. Das sind fünfeinhalb Menschen, die ich beschäftigen muss. Muss, weil es die Vorgabe der Jugendwohlfahrt ist. Gleichzeitig fehlt den Flüchtlingen trotzdem, was Kindheit und Jugend ausmacht – Geborgenheit und Fürsorge. Sind die Flüchtlinge kriminell(er)? CHALUPKA: Ich bin immer wieder erstaunt, was Menschen aushalten. Dass man ihnen die miesesten Bedingungen bietet, und sie werden trotzdem nicht kriminell. Dass man ihnen kein Geld gibt, und sie fangen trotzdem nicht an zu stehlen. Dass man ihnen keine Wohnung gibt, und sie versuchen doch, sich irgendetwas zu organisieren. Aber vernünftig ist das nicht. Sollen sie arbeiten? CHALUPKA: Niemand von uns hatte die Illusion, dass alle qualifiziert sind, nur ein bisschen Deutsch lernen müssten, und dann sind sie schon auf dem Arbeitsmarkt. Aber wir müssen aufhören, die Leute zu dequalifizieren, bevor sie überhaupt dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Wir müssen aufhören, sie jahrelang gar nichts machen zu lassen. Was wir brauchen, ist Integration vom ersten Tag an: Deutschkurse und gemeinnützige Arbeit. FOITIK: Die Probleme am österreichischen Arbeitsmarkt sind nicht durch Migration entstanden. Im Gegenteil, sie wurden bisher durch Migration eher gelöst. Die Probleme sind durch eine Steuerungleichverteilung entstanden, durch fehlende wirtschafts politische Impulse. Da wirkt es dann wie ein Symptom, wenn wir zusätzlich noch viele Menschen qualifizieren, requalifizieren oder nostrifizieren müssen. Aber die Ursachen liegen woanders. WACHTER: Wir wissen, dass Integration dann funktioniert, wenn sie von Anfang an geschieht. Es ist Unsinn, Menschen jahrelang vom Bildungssystem und vom Arbeitsmarkt fernzuhalten. Sogar Hochqualifizierte werden dann demotiviert. Nach sechs Monaten im Asylverfahren muss es möglich sein, dass ein Mensch seine Chance am Arbeitsmarkt sucht. Stattdessen haben wir noch immer den Bartenstein-Erlass, um Flüchtlinge vom Arbeitsmarkt fernzuhalten, wenn sie nicht Tellerwäscher oder Erntehelfer sind. Wie geht es weiter? WACHTER: 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Vor dieser Realität kann unsere Gesellschaft nicht flüchten. Und Krieg kommt nicht aus dem Bodenlosen. Die Visegrád-Staaten liefern Waffen in die 19|2017 49 Für den Unterricht und zu Hause. Lernen. Üben. Mitmachen. ab der 7. Schulstufe ab der 5. Schulstufe Die Schülerzeitschriften mit dem digitalen Lehrerservice 3. + 4. Schulstufe Bei JÖ und TOPIC unter Mitwirkung des Österreichischen Buchklubs der Jugend 2. Schulstufe 1. Schulstufe Unterrichtsmaterialien von Klasse 1 bis 9 www.lehrerservice.at facebook.com/lehrerservice.prim facebook.com/lehrerservice.sek Konfliktregionen, auch Deutschland, in den letzten Jahren sogar wieder mehr. Es gibt Gewinner, während die Probleme sozialisiert werden. CHALUPKA: Die besten Grenzkontrollen fördern nur, dass sich die Leute immer intensiver verstecken müssen, dass Schleppern immer mehr gezahlt wird. Auch die Schließung der Westbalkanroute ist ein Mythos. Was die Zahl der Flüchtlinge wirklich verringert hat, war das Schließen der Grenze zwischen der Türkei und Syrien. So haben wir die Menschen dort massenhaft dem Tod ausgesetzt. Wir sind auf der Flucht vor der Realität des Nord-Süd-Gefälles, vor der Realität in Griechenland, Italien, „Team Österreich“-Flüchtlingshelfer in der Steiermark, September 2015 in Syrien. World Food Programme und UNHCR sind schon wieder nicht ausfinanziert. Wir haben nicht einmal gelernt, dass man und Außenverhältnis fair umzusetzen. So wie wir unser die Menschen zu Hause nicht hungern lassen sollte. Wohlfahrtsmodell und unser Sozialstaatsmodell verteidigen, nämlich auch aus Eigennutz, so müssen wir FOITIK: Wir haben jetzt die Chance, die Werte, für auch unser humanitäres Weltbild und unser die westliche Demokratien angeblich stehen, ernst zu humanitäres Modell verteidigen. nehmen und eine Methode zu entwickeln, sie im Innen- MAG. GERRY FOITIK ist Bundesrettungskommandant und kooptiertes Mitglied der Geschäftsleitung des Österreichischen Roten Kreuzes. MMAG. BERND WACHTER ist Generalsekretär der Caritas Österreich. PFARRER MAG. MICHAEL CHALUPKA ist Direktor der Diakonie Österreich. Parndorf: Bei Parndorf (Burgenland) wurden am 27. August 2015 in einem Schlepper-Lkw 71 Leichen von Flüchtlingen gefunden. 4. September/Budapester Bahnhof: Tausende Flüchtlinge lagerten im Sommer 2015 unter katastrophalen Umständen am Budapester Ostbahnhof Keleti. Als Deutschland bekannt gab, dass es syrische Flüchtlinge nicht in das Land ihrer Einreise in die EU zurückschicken würde (wie es die „Dublin-Verordnung“ vorsieht), brachen sie am 4. September in Richtung Österreich auf, um zu bleiben oder nach Deutschland weiterzureisen. Bartenstein-Erlass: Asylwerber dürfen in Österreich theoretisch arbeiten, wenn sie seit drei Monaten zum Asylverfahren zugelassen sind. Der „Bartenstein-Erlass“ aus dem Jahr 2004 beschränkt diese Tätigkeit aber auf Saisonbeschäftigung (Land- und Forstwirtschaft, Tourismus). 19|2017 51 Was können sie? D Sichern die Flüchtlinge den Wohlstand? Viele Untersuchungen liefern wenige Antworten. Eine neue Rotkreuz-Studie bringt jetzt ein wenig mehr Klarheit. 444444444 Von Robert Dempfer ie Euphorie war anfangs nicht nur auf den Bahnhöfen groß, sondern auch in den Wirtschaftsforschungsins tituten: In Deutschland und Österreich, so die Meldungen, würden Flüchtlinge den Arbeitsmarkt auffüllen und damit nicht nur für die eigene Alimentierung, sondern auch für jene der alternden und teils schrumpfenden Gesellschaften sorgen. Zufrieden ist inzwischen eigentlich nur mehr McKinsey: 90 Prozent aller Migranten weltweit, so der Unternehmensberater, sind keine Flüchtlinge. Sie bewegen sich freiwillig über Grenzen, ihr Ziel ist ein besseres Leben. Die Hälfte zieht aus Entwicklungsländern in Industrieländer und steigert die globale Wirtschaftsleis tung. 2015 machte ihr Beitrag dazu rund 6,7 Billionen US-Dollar aus. 90 Prozent dieses Zuwachses verblieben den entwickelten Ländern. Mangel an Daten Ob für Flüchtlinge das Gleiche gilt, ist inzwischen weniger klar. Das betrifft auch jene, die seit dem Sommer 2015 in der EU Aufnahme gefunden haben. Es ist ein „Stochern im Nebel“, meinen Sozialforscher, zurückzuführen „auf den Mangel an Daten für diese spezielle Gruppe“, so eine Studie des Europäischen Parlaments. Der Mangel beginnt damit, dass „wir relativ wenig darüber wissen, welche Eigenschaften und Qualifikationen diese Menschen mit sich bringen“, meint eine Analyse der Agenda Austria. Der ORF wusste allerdings bereits im Oktober 2015, dass von 5.400 anerkannten syrischen Flüchtlingen 72 % höchstens die Pflichtschule und 5 % eine Lehre absolviert hatten. 20 % brachten eine Matura oder einen Studienabschluss mit. First come – first served Ob eine Matura aus Homs oder eine Schweißerlehre aus Kandahar österreichischen Anforderungen entsprechen, ist fraglich. Um das herauszufinden, hat das Wiener Arbeitsmarktservice (AMS) schon im Herbst 2015 die ersten Flüchtlinge einem Kompetenzcheck unterzogen. Ziel war es, herauszufinden, welche Aufschulungen die künftigen Asylberechtigten benötigen, um Arbeit zu finden. Als repräsentative Untersuchung war der Kompetenzcheck nie angelegt, die Flüchtlinge wurden ihm nach dem Prinzip „first come – first served“ unterzogen. Das AMS hat das auch immer betont. Die 52 19|2017 Ergebnisse waren ohnehin nur zum Teil ermutigend. Repräsentativ waren sie nie. Schlagzeilen wie „Flüchtlinge besser ausgebildet als die Österreicher“ wurden daher auch durch die Ergebnisse der Kompetenzchecks nicht richtiger. Die Rotkreuz-Studie Aus Mangel an rezenten Daten nahm die Grazer Joan neum Research im Auftrag des Roten Kreuzes und der Caritas deshalb jene Flüchtlinge unter die Lupe, die schon zwischen 2002 und 2015 asylberechtigt wurden. In der Mehrheit waren es Menschen aus Afghanistan, Syrien und der Russischen Föderation. Seit 2015 führen ähnliche Herkunftsländer das Ranking an, nämlich Afghanistan, Syrien und der Irak. Die Studie zeigt: In den ersten fünf Jahren nach Erlangung der Asylberechtigung steigt die selbstständige und unselbstständige Beschäftigung, wenn auch nicht im selben Ausmaß wie bei der eingesessenen Bevölkerung. Danach setzt eine Trendwende ein. Insbesondere der Anteil der Arbeitslosen steigt. Als einen Hauptgrund dafür orten die Sozialforscher das deutlich niedrigere Bildungsniveau der Zuwanderer. Die Hälfte von ihnen im Alter zwischen 25 und 64 Jahren verfügt über höchstens einen Pflichtschulab- schluss bzw. über gar keinen formalen Bildungsabschluss. Dazu kommt, dass die „vorherrschenden Normen und Arbeitsprozesse“ im Herkunftsland „oftmals nicht in Österreich direkt anwendbar sind“. Schon heute ist ein Pflichtschulabschluss als höchste Ausbildung in Österreich zunehmend ein Ausschlussgrund vom Arbeitsmarkt – für jeden, nicht nur für Zu- Subgruppe der Asylberechtigten auch von einem Motivationsproblem ausgegangen werden, das durch die Höhe der Transferleistungen determiniert wird.“ AMS-Chef Johannes Kopf nennt dieses Phänomen „Inaktivitätsfalle“. Das bedeutet: Besonders bei Familien mit niedrig qualifizierten Eltern erreichen staatliche Transferleistungen rasch eine Höhe, die sich durch eine Erwerbstätigkeit niemals erzielen ließe. Auch wenn von „sozialer Hängematte“ keine Rede sein kann: Es war diese Entwicklung, die angesichts der seit 2015 angekommenen Flüchtlinge die Debatte um die Mindestsicherung befeuert hat. Jugend ohne Arbeit „In den ersten fünf Jahren nach Erlangen der der Asylberechtigung steigt die Beschäftigung, danach steigt der Anteil der Arbeitslosen“ wanderer. Es besteht ein klarer Angebotsüberhang an Arbeitskräften in diesem Segment, denn die Nachfrage verändert sich in Richtung Hoch- und Höchstqualifizierte. In Wien ist deshalb schon jeder zweite Pflichtschulabgänger arbeitslos, österreichweit jeder vierte. Der Verdrängungswettbewerb, ausgelöst durch gut ausgebildete Arbeitskräfte aus den östlichen EU-MItgliedstaaten, dreht die Spirale weiter. Die starke Zuwanderung vor allem auf den ostösterreichischen Arbeitsmarkt sorgt für einen Verdrängungskampf innerhalb der Migrantengruppen: Jüngere, besser qualifizierte Ausländer – darunter auch Tagespendler – verdrängen Ausländer, die schon länger hier ansässig sind. Und sie verdrängen neue Asylberechtigte: Denn das Angebot an Arbeitskräften steigt gerade in jenem Segment des Arbeitsmarktes, in denen sie am ehesten Beschäftigungschancen hätten. Sehr diplomatisch formuliert die Studie weiter: „Letztlich muss bei einer „Besonders bedenklich“ finden auch die Forscher von Joanneum Research die Jugendarbeitslosigkeit unter Asylberechtigten. Trotz des Geburtenrückgangs unter der schon länger ansässigen Bevölkerung hat sich das Problem insgesamt verschärft. In der Bundeshauptstadt haben schon 70 % der arbeitslos gemeldeten Jugendlichen einen Migrationshintergrund. Die meisten von ihnen sind naturgemäß nicht mit der letzten Migrationsbewegung nach Österreich gekommen. Zu einem beträchtlichen Teil sind sie Nachkommen der Gastarbeiter, inzwischen in der dritten Generation, was die Frage aufwirft: Warum sollte bei den Menschen, die im „Märchensommer“ 2015 ins Land gekommen sind, besser gelingen, was schon in den Jahrzehnten zuvor nicht geklappt hat: nämlich gerade den Jugendlichen den unseligen Kreislauf aus geringer Qualifikation und Arbeitslosigkeit zu ersparen, dem ihre Eltern und Großeltern so häufig nicht entkommen sind. Die Herkulesaufgabe Die Lösung – mehr Aufwand für Qualifikation – liegt auf der Hand. Es wird „eine Herkulesaufgabe“, räumt auch AMS-Chef Kopf ein. Vor allem die 34 % Kinder und Jugendlichen unter den Flüchtlingen dürfen nicht zurückgelassen werden. „Wir müssen aufhören, das Problem zu verschweigen oder schönzureden“, sagt ein Sozialforscher. „Wir müssen jetzt richtig Geld in die Hand nehmen und das als Zukunftsinvestition betrachten – und auch so erklären!“ Zumindest das Ende des Schönredens wäre ja sogar gratis zu haben. Trotzdem erreichte die Redaktionen zum Jahresende 2016 nochmals eine Jubelmeldung der Wirtschaftsforscher: Die Ausgaben für die Flüchtlinge hätten das deutsche BIP 2016 um 0,3 % stärker steigen lassen als ohne die Migration. Allerdings hatte der deutsche Staat in diesem Jahr 20 Milliarden Euro für die Flüchtlinge ausgegeben, also rund 0,6 % des BIP. Anders gesagt: Deutschland hat zwei Euro ausgegeben, um einen Euro einzunehmen ... 19|2017 53 „Wie schnell würde ein Österreicher Arabisch lernen?“ Fünf Jahre braucht es mindestens, bis jeder zweite Flüchtling einen Job hat – sofern wir alles richtig machen. AMS-Chef Johannes Kopf über überzogene Integrations-Erwartungen und den Merkel-Spirit. 444444 Von Andrea Grman und Simon Kravagna henri: Herr Kopf, Sie haben einmal gesagt, es sei eine Herkulesaufgabe, Flüchtlinge am Arbeitsmarkt zu integrieren. Ist es so schwer? JOHANNES KOPF: Es ist schwierig und braucht viel Zeit. Wie steht es um jene Flüchtlinge, die 2015 Asyl bekommen haben? Man kann sagen, dass ein Jahr nach einem positiven Asylentscheid etwa jeder zehnte Geflüchtete einen Job hat. Laut internationalen Erfahrungen ist es möglich, dass fünf Jahre nach dem positiven Asylbescheid etwa 50 Prozent aus dieser Gruppe beschäftigt sind, jedoch nur, wenn wir kaum Fehler bei der Integration machen. Ist das nicht eine mäßige Bilanz? Wir müssen geduldig bleiben. Wir sind ja sogar schon ungeduldig mit geflüchteten Menschen, die noch gar kein Asyl bekommen haben. Manche Leute fragen, warum diese nicht arbeiten, obwohl sie noch gar nicht dürfen. Wir im AMS haben uns getäuscht in der Frage, wie lange die Asylverfahren dauern werden. 54 19|2017 Ist das für die Arbeitslosenstatistik nicht gut, wenn die Asylverfahren so lange dauern? Für die aktuellen Arbeitsmarktzahlen ist das augenscheinlich gut, weil Menschen in Asylverfahren nicht als arbeitslos gezählt werden. Für die spätere Integration auf dem Arbeitsmarkt ist es aber sehr schlecht. Je länger das Asylverfahren dauert, desto schlechter gelingt die spätere Integration. „Frau Merkel hat der gesamten Verwaltung die Aufgabe gegeben: Schafft das!“ Angeblich dauern die Verfahren im Schnitt rund acht Monate. Da gibt es auch noch die Zeit bis zur Zulassung zum Verfahren. Ich freue mich darüber, dass es jetzt mehr Personal für die Asylverfahren gibt. Aber wie war es bisher? 2015 sind rund 95.000 Menschen nach Österreich geflüchtet. Wenn man davon ausgeht, dass knapp die Hälfte von ihnen Asyl oder subsidiären Schutz bekommt, kommen wir auf grob 45.000 Menschen. Unter der Annahme, dass zwei Drittel dieser geflüchteten Menschen im arbeitsfähigen Alter sind, sollten 30.000 Personen vom AMS betreut werden. Zu uns gekommen sind bisher nur knapp 10.000, die anderen sind weitgehend noch im Verfahren. Johannes Kopf Warum? Es sind die klassischen Phänomene der Langzeitarbeits losigkeit: Verlust von Tagesstruktur, Verlust von Selbstvertrauen, Veralterung der beruflichen Qualifikationen und so weiter. Deutschland hat auch sehr viele Flüchtlinge aufgenommen. Dennoch laufen dort die Asylverfahren schneller ab. Frau Merkel hat gesagt: „Wir schaffen das.“ Man kann diese Aussage kritisieren, aber sie hat der gesamten Verwaltung die Aufgabe gegeben: „Schafft das!“ Natürlich sind die Deutschen auch noch nicht wahnsinnig weit, doch sie sind die Aufgabe von Anfang an viel entschlossener und behördenübergreifender angegangen als wir in Österreich. Positive Asylverfahren können dort mittlerweile innerhalb von 48 Stunden abgewickelt werden. Kommen wir zu jenen Flüchtlingen, die bereits Arbeit haben. Was sind das für Leute? Oft sind es Hilfsarbeiter, manchmal auch Facharbeiter. Die meisten Geflüchteten, die zu uns gekommen sind, sind jung, männlich und stark – das ist die klassische Beschreibung für Hilfskräfte in der Landwirtschaft oder am Bau. Gar nicht wenige dieser Personen sind jedoch qualifiziert und das Nutzen dieser Qualifikationen ist volkswirtschaftlich sinnvoller. Wer lässt sich schwerer integrieren? Der syrische Arzt oder der syrische Hilfsarbeiter? Wenn „schwer“ etwas mit der Dauer zu tun hat, dann lautet die Antwort: der syrische Arzt. Natürlich dauert es länger, wenn man eine Nostrifizierung vornehmen muss. Auch muss man unsere Sprache besser lernen. Es hat doch am Anfang geheißen, dass wir die Flüchtlinge brauchen, weil wir nicht ausreichend Fachkräfte haben. Stimmt das? Unser Arbeitsmarkt hätte die Geflüchteten nicht gebraucht. Den Mangel, den wir aufweisen, hätten wir locker aus den EU-Ländern decken können. Aber jetzt sind sie da, und egal, wie sozial man eingestellt ist: Es ist teurer, diese Menschen nicht zu integrieren. Es gibt Förderungen für Unternehmen, wenn sie einen Asylberechtigten beschäftigen – das nehmen wenige Firmen in Anspruch, oder? Selbst bei Unternehmen, die von sich aus Geflüchtete aufnehmen, gelingt die Eingliederung nur schleppend. Es dauert lange, eine Sprache zu beherrschen. Wie lange würde ich Französisch lernen müssen, um in Paris auf meinem Qualifikationsniveau arbeiten zu können? Wie schnell würde ein Österreicher in Syrien Arabisch lernen? Das sollte sich jeder einmal überlegen. „Wir wissen, dass es schlecht ist, Menschen untätig herumsitzen zu lassen. Trotzdem lassen wir das zu“ Sind die Erwartungen einfach zu hoch? Die Erwartungen sind auf jeden Fall zu hoch. Wenn wir sagen, nach fünf Jahren können maximal 50 Prozent in den Arbeitsmarkt integriert sein, sieht man, dass Integration sehr lange dauert. Diese 50 Prozent sind ein Ziel, das erreicht werden kann, wenn wir alles richtig machen. Leider machen wir im Moment vieles nicht richtig – wir bringen geflüchteten Personen während der zu langen Asylverfahren noch nicht wirklich Deutsch bei. Wir bräuchten viel mehr gemeinnützige Arbeitsstellen während der Verfahren. Wir sollten den Lehrstellenmarkt für geflüchtete Minderjährige öffnen. Das sind Dinge, die die Menschen in Bewegung halten. Wir wissen, dass es schlecht ist, Menschen untätig herumsitzen zu lassen. Besonders fatal ist es bei Jugendlichen. Und trotzdem lassen wir das zu. Wenn Sie etwas aus der Welt zaubern könnten, was wäre das? Die negative Stimmung. Die ist integrationshemmend und wirkt sich mittlerweile auch auf die eine oder andere politische Entscheidung aus. Ich habe den Eindruck, manches wird nicht so sehr sach- und lösungsorientiert, sondern mehr öffentlichen Emotionen folgend entschieden. Es wäre aus meiner Sicht gut gewesen, den Sorgen der Bevölkerung von Anfang an entschiedener zu begegnen und ihr unnötige Ängste und daraus entstehenden Fremdenhass zu nehmen. Original-Interview: biber, Jänner 2017 19|2017 55 , a “ d n d e f n l i e s ir zu h „Wm u AUS DEN BUNDESLÄNDERN „6:15 Uhr: Mein Einsatz beginnt“ Lachen und Lernen Kochen fürs Krankenhaus „Was passiert hier Schönes?“ Mit 14 auf der Flucht MA Bayar Workshop „Österreich“ Begegnungscafé Flüchtlingscamp Hard 56 19|2017 19|2017 57 Burgenland „Es macht mich glücklich“ In der Juninacht sind Flüchtlinge eingetroffen. Um 6 Uhr 15 läutet das Telefon: Mein Einsatz in der Flüchtlingsbetreuung beginnt. A 4444 Von Petra Gesperger ls ich in der Bezirksstelle Neusiedl am See ankomme, bin ich nervös. Was erwartet mich in den nächsten Stunden? In der Garage sind Familien mit kleinen Kindern. Die meisten schlafen noch. Einige sind schon auf den Beinen, essen Toastbrote mit Nutella oder Marmelade, trinken Tee. Im hinteren Teil der Garage sehe ich Søren und Christina. Sie haben die Flüchtlinge in der Nacht betreut, erklären mir die Aufgaben: Tee kochen, Brote schmieren, aufräumen. dreckt, die Schuhe sind kaum noch tragbar. Für die Kinder haben wir Stofftiere. Ein wenig Normalität Ein kleines Mädchen ist mit ihrer Familie angekommen. Zehn Minuten nach ihrer Ankunft schlafen alle – bis auf sie. Ich schnappe mir einen Stoffteddy und spiele mit ihr, um den Eltern eine Pause zu gönnen. Später malen wir ein paar Bilder und lachen viel. Wir verständigen uns mit Händen und Füßen, es Von der Straße klappt! „Ich habe mich manchmal Nach einigen Stunden ist nur Alle paar Stunden sammelt die sogar dafür ,rechtfertigen‘ noch diese Familie in der Garage. Polizei auf den Straßen einzelAls der Polizeibus kommt, bedanne Personen oder kleine Grupmüssen, dass ich helfe. Aber ken sich alle mit Tränen in den pen auf und bringt sie zu uns. ich war nicht allein“ Augen. Das kleine Mädchen sitzt Die Flüchtlinge sind zu Fuß auf dem Schoß der Mutter. Der unterwegs gewesen. ManchBus fährt los, alle winken, und das Mädchen strahlt mal haben Schlepper sie irgendwo ausgesetzt und mich an. Wir winken zurück. ihrem Schicksal überlassen. Man sieht ihnen an, wie die Flucht sie mitgenommen hat. Daher wird beim So viele Fragen Empfang zuerst der Gesundheitszustand kontrolliert. Viele haben von den Fußmärschen große Blasen und Die Gefühle und Gedanken in solchen Momenten sind schmerzhafte Wunden an den Füßen. Einige Kinder intensiv: Wo kommen sie jetzt hin? Werden sie dort in sind krank und weinen. Alle sind hungrig, durstig, erSicherheit sein? Werden sie bleiben dürfen? schöpft. Ab diesem Tag melde ich mich jede freie Minute für Wir zeigen den Leuten, wo sie sich waschen und ausdie Flüchtlingsbetreuung, verbringe meine Wochenenruhen können, etwas zu essen und zu trinken bekomden an der Grenze. Das Gelände in Nickelsdorf kenne men, bei Bedarf frische Kleidung. Ihre eigene ist verich vom „Nova Rock“-Festival. Vom Feiern und von der 58 19|2017 Musik der Bands, die über die Felder dröhnt. Jetzt höre ich hier Lebensgeschichten, erfahre von traurigen Schicksalen, lache mit den Leuten, bin überwältigt von Eindrücken und Emotionen. Manchmal bin ich auch am Verzweifeln und am Ende meiner Kräfte. Ich wollte mir selbst ein Bild machen sparnisse aus. Diese Menschen hatten einen gewissen Lebensstandard, einen Job, ein Haus, ein Auto. Und sahen keinen anderen Ausweg, als die Heimat zu verlassen. Dazu braucht man Geld, ein Handy – und Mut. Wir Menschen in Österreich, in Europa haben das Glück, zufällig hier geboren zu sein. Wir sollten dieses Glück mit den Menschen teilen, die es nicht haben. Warum habe ich mich überhaupt gemeldet? Ich habe Ich bin enttäuscht viel Schlechtes gehört. Die Leute sagen: „Alle“ Flüchtlinge hätten Geld, Handys, sogar die neuesten iPhones. Freunde und Familie unterstützen mich. Meine Mutter „Alle“ wären unfreundlich, aggressiv, frauenfeindlich, sammelt Spenden – und hört zu, wenn ich erschöpft undiszipliniert. „Alle“ wären junge Männer, nur aus nach Hause komme und noch über meine Erlebnisse wirtschaftlichen Gründen hier. Ich wollte das nicht einund Gefühle reden muss. Meine Oma, im Krieg aufgefach glauben, mir selbst ein Bild mawachsen, hat selbst kein leichtes chen, und ich bereue es nicht. Ich Leben gehabt. Sie gibt mir Kraft und habe sehr viel gelernt, sehe nun Zuspruch. „Wir haben das Glück, vieles mit anderen Augen. Heute bin ich von manchen Mithier geboren zu sein. Bald kommen immer mehr und menschen enttäuscht – dafür von Wir sollten es mit den mehr Flüchtlinge an. Umso mehr anderen, denen ich ihr Engagement müssen wir einfach nur funktionienicht zugetraut hätte, überrascht. Menschen teilen, die es ren, Dinge schneller erledigen. Der Ich habe mich manchmal sogar danicht haben“ Ansturm wird größer, wir haben wefür rechtfertigen müssen, dass ich niger Zeit für persönliche Gespräche. helfe. Aber ich war nicht allein. Ich bin stolz darauf, helfen zu dürDie Gnade der Geburt fen: Flüchtlingen, aber natürlich auch anderen Menschen in meiner Umgebung. Es ist eine LebenseinstelViele Flüchtlinge haben natürlich Handys, auch iPhones. lung. Es ist nicht immer einfach. Aber es macht mich Sie kommen ja nicht aus der Steinzeit! Das Handy ist O glücklich. Aus Liebe zum Menschen. besonders wichtig, um der zurückgelassenen Familie Lebenszeichen zu senden, um auf der langen Flucht dank GPS nicht verloren zu gehen. Gekürzt. Der vollständige Beitrag ist erschienen in: Natürlich haben sie auch Geld. Eine Flucht ist teuer, Tobias Mindler, Sandra Nestlinger: Grenzerfahrungen. oft geben Familien für die Schlepper ihre letzten ErÖRK, Landesverband Burgenland 2016. 19|2017 59 Niederösterreich Lachen und Lernen W Erfahrungen einer freiwilligen Deutschtrainerin in Pressbaum. 4444444444444 Von Christiane Gaar elche Zutaten brauchen wir für ein Müsli?“, fragt Renate in die Runde. Mit einigen Männern und Frauen unternimmt sie gerade einen Ausflug in einen Supermarkt, um Obst und Gemüse einzukaufen. Äpfel, Birnen, Bananen, Joghurt und Haferflocken werden gesucht und gekauft. Danach setzt sich die Gruppe in einem Lehrsaal des Roten Kreuzes zusammen und verarbeitet die Produk te. Für Renate ist das Teil einer gelebten Sprachvermittlung. Sie hat viele Jahre als Pädagogin gearbeitet und vermittelt nun im Roten Kreuz niederschwellig Deutschkenntnisse an Asylsuchende. Im Roten Kreuz Niederösterreich können Migranten, subsidiär Schutzberechtigte und Asylberechtigte zertifizierte Deutschkurse besuchen. Inzwischen werden auch niederschwellige Kurse für Asylsuchende, umgesetzt von Freiwilligen, angeboten. Renate schult diese Freiwilligen und gibt ihre Erfahrungen an sie weiter. Seit dem Jahr 2015 sind sehr viele Laien als Sprachvermittler aktiv, nicht immer funktioniert das konfliktfrei, weiß Renate zu berichten: „Wenn Laien auch eine unterrichtende Tätigkeit übernehmen wollen, sollten sie Informationen über Unterrichtsgestaltung erhalten. Sie müssen auch wissen, dass sie professionelle Pädagogen nicht ersetzen können. Andernfalls birgt dies Raum für Frustration, auf beiden Seiten“, sagt die Trainerin. „Ich habe bis jetzt jeden einzelnen Kurstag als Bereicherung für alle erlebt!“, berichtet Renate begeistert. „An jedem Kurstag wird gelacht und dabei auch viel gelernt. Lehrende und Lernende befinden sich in einem ständigen Kennenlernprozess. Wenn es dabei lustig und humorvoll zugeht, freut und motiviert uns das alle O besonders!“ „Mein Name ist Hani“ „Ich lebe in Tulln und helfe beim Roten Kreuz.“ 44444444444 Von Hani Zyton M ein Name ist Hani Zyton, ich bin 29 Jahre alt und komme aus Syrien. Vor der Krieg habe ich als Buchhalter gearbeitet. Vor zwei Jahren sah ich mich gezwungen, mein Land zu verlassen, um in Sicherheit leben zu können. Da mein Onkel seit Jahren in Wien lebt, habe ich beschlossen, nach Österreich zu gehen. Zum ersten Mal Kontakt mit dem Roten Kreuz hatte 60 19|2017 ich bei einer Beratung für Familienzusammen führung in Niederösterreich. Damals wollte ich meine Ehefrau nach Österreich nachholen. Heute lebe ich mit meiner Frau in Tulln und besuche mit ihr einen Deutschkurs vom Roten Kreuz. Außerdem unterstütze ich als Freiwilliger das Rote Kreuz in Belangen der Familienzusammenführung und als projektXchange-Botschafter. Aufgrund meiner Erfahrungen und dank meiner Sprachkenntnisse kann ich mich in die Lage von getrennten Familienmitgliedern versetzen und sie unterstützen. Ich gebe meine Erfahrungen auch an Kinder und Jugendliche weiter, damit diese verstehen, O was es bedeutet, in Österreich „fremd“ zu sein. Endlich in Sicherheit D Wohnen unter dem Zeichen des Roten Kreuzes. ie Bilder des überfüllten Erstaufnahmezentrums Traiskirchen im Jahr 2015 sind vielen in Erinnerung. Wohnraum für Menschen auf der Flucht musste damals rasch geschaffen werden. Das Rote Kreuz Niederösterreich reagierte schnell – und sorgte für die Unterbringung der Asylsuchenden. Heute werden rund 650 Personen in 30 Quartieren betreut. Eine afghanische Familie im Quartier Schwechat Fatima, Schwechat Die junge Afghanin Fatima wohnt mit 280 anderen Asylsuchenden in einem Quartier in Schwechat, das von der Flughafen Wien AG zur Verfügung gestellt wurde. Das Rote Kreuz ist für die Betreuung zuständig. Neben Deutschkursen und Hilfsangeboten wie einer Ambulanz wurde auch ein sportlich-kreatives Angebot geschaffen. So gibt es Gruppen für Musik, Tanz und Fußball. Sogar ein Graffitiworkshop wurde mit lokalen Initiativen organisiert. Im Winter hat Fatima in einer Bastelgruppe Weihnachtskarten hergestellt, die auf einem Weihnachtsmarkt verkauft worden sind. Abdul, Tulln Der Syrer Abdul wohnt seit eineinhalb Jahren in einem Quartier in Tulln. „Integration bedeutet für mich, dass man die Sprache, die Kultur, die Religion und das Leben versteht und akzeptiert und sich einordnet in die Gesellschaft. Ich habe viele Freunde gefunden und mit ihnen versuche ich, noch schneller Deutsch zu lernen.“ Ob in einem Quartier in der Stadt oder in familiärem Umfeld: „Es ist wichtig, Integrationsmaßnahmen so früh wie möglich zu setzen, um diesen Menschen langfristig eine Perspektive zu bieten“, erklärt der Präsident des Roten Kreuzes Niederösterreich, Josef Schmoll. O Deutschkurs und Fußball: Team Grenzenlos TEAM GRENZENLOS ist ein ehrenamtliches Projekt, das auf Vermittlung der deutschen Sprache und österreichischer Grundwerte durch die Macht des Fußballs setzt. Das Team Grenzenlos absolviert wöchentlich acht Stunden Deutschkurs und hilft tatkräftig beim Roten Kreuz Neulengbach mit. Erste Interessenten für das freiwillige Integrationsjahr gibt es bereits (siehe auch S. 68). 19|2017 61 Oberösterreich Augenuntersuchungen für die Bewohner des Quartiers Mit offenen Augen W Die Firma Silhouette wollte helfen, aber nicht nur mit Spenden. ir sind ein Unternehmen, das authentisch und ehrlich helfen möchte, weil wir uns unserer sozialen Verantwortung bewusst sind“, sagt Tarek El-Dabbagh, Personalmanager von Silhouette. Das Unternehmen, das Brillen herstellt, wurde einst von Flüchtlingen aus dem Sudetenland gegründet. Seit Anfang 2016 unterstützt das Linzer Unternehmen ein Asylwerberquartier, das vom Roten Kreuz betreut wird. „Es war uns wichtig, die Mitarbeiter einzubeziehen und zu wissen, dass unsere Unterstützung auch wirklich bei den Hilfsbedürftigen ankommt“, sagt El-Dabbagh. Als das Rote Kreuz die Betreuung eines Asylquartiers in unmittelbarer Nähe zum Firmen sitz übernahm, war die Gelegenheit da. Silhouette organisierte eine Sachspendenaktion bei den Beschäftigten, ein Mitarbeiter mit arabischer Muttersprache sorgte einen Abend lang mit seinen Zauberkünsten für Abwechslung im Asylwerberquartier. Alle Kinder wurden augenärztlich untersucht und bei Bedarf wurde eine Brille zur Verfügung gestellt. „Es war für mich ein besonderer Moment, als die Flüchtlingskinder zur Untersuchung mit ängstlichen Augen gekommen sind und uns danach mit leuchtenden Augen verlassen haben“, erinnert sich El-Dabbagh. Gemeinsame Freizeit Flüchtlinge aus Afghanistan haben ein Buffet mit landestypischen Gerichten vorbereitet und die Speisen in der Mitarbeiterkantine verkauft. „Solche Aktionen ermöglichen Austausch, denn Integration funktioniert nur, wenn beide Seiten aufeinander zugehen.“ Viele Mitarbeiter unternehmen in ihrer Freizeit etwas mit den Asylwerbern. Denn erst durch persönliche Kontakte entstehen Offenheit und Verständnis füreinander. O DER NEUE LEHRLING. Amir Mohammad Fouladvan, 24, kommt aus dem Iran. Seine Familie ist im Asylverfahren. Er ist Lehrling bei der Bäckerei Nimmervoll in Grieskirchen. Bäckermeister Nimmervoll ist zufrieden mit Amir Mohammad: „Er hat Niveau und einen guten Hintergrund. Meine Mitarbeiter helfen ihm, Hochdeutsch zu lernen, und er lernt von ihnen auch den Dialekt!“ 62 19|2017 Tabouleh, von Experten zubereitet, für das LKH Steyr Köfte, Tabouleh & Koshari W Asylwerber kochen fürs LKH Steyr. er am 4. Oktober 2016 zu Mittag den Speisesaal des Landeskrankenhauses Steyr betrat, schnupperte orientalische Düfte. Bereits zum zweiten Mal kochten acht Asylwerber, die in der Rotkreuz-Unterkunft am Krankenhausareal untergebracht sind, ein Menü des Speiseplans. Unter der Leitung ihres Betreuers Christoph Schneeweiß bereiteten die Männer 400 Portionen zu und verkochten dafür 40 kg Tomaten und ebenso viel Faschier tes. Zubereitet wurden Mercimek Köfte (orientalische Fleischlaibchen mit Beilagen), Tabouleh (TomatenPetersilie-Bulgur-Salat) und Koshari (ein vegetarisches Reisgericht aus Ägypten). Gekocht wurde sowohl in der Unterkunft als auch gemeinsam mit Küchenmit ASYLWERBER ALS SCHÜLERLOTSEN. In Frankenmarkt sind acht Asylwerber jeden Morgen arbeitern des LKH Steyr in der Betriebsküche. Auch diesmal hat die Belegschaft des Krankenhauses das Angebot sehr gut angenommen. Dass das Projekt fortgeführt werden soll, wurde von O der Krankenhausleitung bereits bestätigt. FEST DER BEGEGNUNG. Im Asylwerberhaus des Roten Kreuzes in Pramerdorf, St. Florian/Inn, als Schülerlotsen tätig. Nach der Ausbildung durch die fand am 3. Juli 2016 ein Fest der Begegnung statt. Polizei haben sie ihren freiwilligen und unbezahlten Mehr als 300 Menschen nahmen die Gelegenheit Dienst aufgenommen. So gibt es einen Austausch mit wahr, die Flüchtlinge kennenzulernen. Diese der Bevölkerung und einen „Fixtermin“ im Tagesablauf. empfingen die Besucher mit arabischen und afghanischen Köstlichkeiten. 19|2017 63 Salzburg Gemeinsamer Einsatz der Hilfsorganisationen Nachwuchs im Asylquartier Seekirchen Holzhäuser vom Roten Kreuz für 240 Flüchtlinge „Momente, die man nicht vergisst“ Am 31. August erreichte eine Flüchtlingswelle ungeahnten Ausmaßes das Bundesland Salzburg. Das Rote Kreuz übernahm, gemeinsam mit der Caritas und dem Malteser-Hospitaldienst, die Versorgung der Flüchtlinge. 4444444444444 Von Matthias Leinich Z wischen 31. August 2015 und 18. März 2016 (dieses Datum gilt als offizielles Enddatum des Einsatzes des Roten Kreuzes) wurden am Salzburger Hauptbahnhof 183.686 Flüchtlinge betreut. Es wurden 824 Krankenhaustransporte durchgeführt und 32.555 Hilfeleistungen erbracht. Insgesamt waren 3.521 Rotkreuz-Mitarbeiter im Einsatz. Martin Huber war Kolonnenkommandant der „Freiwilligen Kolonne“ Salzburg Stadt: Konnten Sie abschätzen, was am Hauptbahnhof und an all den Nebenschauplätzen auf Sie zukam? MARTIN HUBER: Nicht wirklich. Aber wir erkannten sofort, dass jeder von uns vor einer in seiner RotkreuzLaufbahn nie da gewesenen Herausforderung stand. Kann man sagen, dass jeder sein Bestes gab? Auf jeden Fall. Die Werte des Roten Kreuzes sind unser gemeinsamer Anker. Und eben die Tatsache, dass es für alle Beteiligten noch nie einen Einsatz in dieser Dimension gab. Alle Kolleginnen und Kollegen, egal in welcher Position oder Funktion, wuchsen weit über sich hinaus. Jeder von uns spürte die große Verantwortung, aber auch das unglaubliche Gefühl, gemeinsam etwas Einmaliges zu leisten. Wie erlebten Sie die ankommenden Menschen? Diese Menschen waren da, also wurde ihnen geholfen. 64 19|2017 Sie brauchten unsere Betreuung, um die Menschenwürde und Sicherheit zu bekommen, die ihnen an dem Ort, den sie verlassen haben, genommen worden war. Wie geht man mit negativer Kritik um? Man darf nicht vergessen, dass wir alle nur Menschen sind. Natürlich ist es schwierig, neben der Belastung und dem Stress auch mit persönlichen Angriffen konfrontiert zu werden, diese waren aber selten. Die Wertschätzung, die wir erfahren haben, hat bei Weitem überwogen. Das Wissen, hier und jetzt gebraucht zu werden, wiegt mehr als jeder Ärger. Gibt es Bilder, die immer in Ihrem Kopf bleiben werden? Es gab in den ersten Wochen viele, auch langgediente Kolleginnen und Kollegen, die schon viele Einsätze erlebt haben, die vom Bahnsteig zum Versorgungszelt kamen und Tränen in den Augen hatten – einfach weil sie so bewegt waren von der Ankunft so vieler hilfsbedürftiger Familien, Kinder, alter Menschen. Die Bilder von der Bahnhofsgarage – die zu einem provisorischen Lager mit über 1.000 Betten umfunktioniert wurde – werden uns immer im Kopf bleiben. Trotz dieser schwierigen Bedingungen wussten die Menschen, dass sie geborgen und in Sicherheit waren. Einfach deshalb, weil wir da waren. Hier war die positive Kraft des Symbols des Roten Kreuzes unmittelbar spürbar. Das O sind Momente, die man nicht vergisst. „Was passiert hier Schönes?“ Wie eine siebenköpfige Familie nach ihrer Flucht aus Syrien wieder zusammenfand. 4444444444444 Von Susanna Berger D ie Tür geht auf und Hamza (9) und Suad (11) treten, von Flugpersonal begleitet, in die Ankunftshalle. Hadia Alzalan, die eben noch auf einem der Sitze im Wartebereich ausgeharrt hat, springt mit ihrem Baby auf dem Arm auf. Es sind ihre beiden ältesten Kinder, die sie nach 15 Monaten endlich wiedersieht. Sie schließt sie in die Arme und hält sie fest. Die Geschichte der Familie Alzalan mutet für die Passanten am Salzburger Flughafen wie ein kleines Weihnachtswunder an. „Was passiert hier Schönes?“, will eine Frau wissen. Eine andere, sichtlich gerührt, wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Flucht mit Hindernissen Die Geschichte beginnt im Jahr 2015, als die Alzalans beschließen, ihrer Heimatstadt im Westen Syriens den Rücken zu kehren. Erst verlässt Vater Ahmed (35) mit Schleppern das Land, später folgen ihm seine Frau (27) und die jüngeren Kinder Mona (5) und Saud (6). Hamza und Suad müssen in der benachbarten Türkei bleiben, weil für ihre Flucht kein Geld mehr da ist. „Diese Entscheidung war fürchterlich“, erzählt der Familienvater. Die Kinder lebten mit einer Bekannten in einem türkischen Flüchtlingscamp nahe der Grenze. Nachdem die Familie in Österreich Asyl erhalten hatte, Wiedersehen am Flughafen Salzburg arbeitete das Rote Kreuz an der Familienzusammen führung. Es sollten weitere sechs Monate vergehen, bis Hamza und Suad endlich ausreisen durften. „Es war sehr aufwendig und kompliziert“, sagt Stefan Soucek vom Salzburger Roten Kreuz. Aber mit Hilfe des türkischen Roten Halbmondes, der UNO-Flüchtlingshilfe UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration konnte man alle Formalitäten erledigen. Hamza und Suad haben seit ihrer Ankunft nicht nur ihre Familie zurück, sie haben auch noch einen kleinen Bruder dazubekommen. Immer wieder küssen sie den zwei Monate alten Gad, den sie nur von Fotos kannten. Für Ahmed Alzalan ist der 8. Dezember ein Tag, den er nie vergessen wird. Der Informatiker ist mit seiner Familie in eine Wohnung in Oberndorf gezogen. „Für uns beginnt ein neues Leben. Wir sind zusammen und O können in der neuen Heimat in Frieden leben.“ TRAUMATHERAPEUTISCHE STABILISIERUNGSGRUPPEN Asylwerber zeigen oft Symptome von Traumatisierung aufgrund ihrer Erfahrungen in der Heimat oder während der Flucht. Für die Behandlungen gibt es lange Wartezeiten. In den Stabilisierungsgruppen des Roten Kreuzes Salzburg lernen die Betroffenen Methoden zur Selbstberuhigung und Emotionskontrolle, die ihnen helfen, das eigene Verhalten, Denken und Fühlen besser einzuordnen und zu verstehen. Die Stabilisierungsgruppen werden von Psychotherapeuten und klinischen Psychologen mit Traumatherapiefortbildung geleitet. Dazu kommen vom Salzburger Roten Kreuz ausgebildete Dolmetscher. 19|2017 65 Steiermark Shahir mit Schwester, Mutter und Bruder Mit 14 auf der Flucht Die gefährlichste Reise seines Lebens: Aus der Taliban-Geiselhaft in eine Zukunft mit Perspektive. 4444444444444 Von Lucas Kundigraber N och vor wenigen Minuten hat Shahir Lebensmittel in das Lager seiner Peiniger, der Taliban, geschleppt. Doch nun nutzt er einen kurzen Moment der Unachtsamkeit und krallt sich mit all seiner Kraft an den Unterbau des Lieferwagens – bis dieser nach etwa 15 Minuten Fahrt endlich zum Stillstand kommt. Shahir holt noch einmal tief Luft und läuft los. Der Beginn einer monatelangen Flucht. In den nächsten Monaten durchquert er viele Länder. „Ich fürchtete, dass mich dieser Weg töten würde. Aber ich hatte immer im Hinterkopf: Wenn ich aufgebe und nach Afghanis tan zurückkehre, sterbe ich sowieso.“ Immer wieder kommt es auf seiner Flucht zu brenzligen Situationen. Sha- 66 19|2017 hir wird gefangen genommen. Verprügelt. Voller Blessuren kommt er irgendwie frei. Er schuftet auf einer Plantage, um sich die Weiterreise zu finanzieren. Seine Familie weiß zu dieser Zeit von alldem nichts. „Alle dachten, ich sei tot.“ Doch er kämpft weiter und kommt seinem Ziel, endlich in Sicherheit zu sein, immer näher. Viele Wochen später findet er sich auf einem Lkw wieder, wie damals in Afghanistan. Doch dieses Mal im Lagerraum, nicht am Unterbau. Der beeindruckende Neubeginn Auf der österreichischen Autobahn hat Shahirs Flucht ein abruptes Ende. Polizisten bringen ihn ins Flüchtlingslager in Traiskirchen. Er erfährt, dass er in Österreich ist. Das war vor vier Jahren. Seither hat sich viel getan. Nachdem sein Asylverfahund mit Unterstützung durch das Rote Kreuz bei der ren abgeschlossen ist, beginnt Shahirs neues Leben. Er Familienzusammenführung kommt er gemeinsam mit darf in Österreich bleiben. Shahirs Mutter und Schwester im Oktober 2016 nach Es verschlägt ihn nach Graz, wo er neben der AbendÖsterreich. „Wir waren alle so unfassbar glücklich und schule auch noch in einem Fahrradgeschäft aushilft. haben gemeinsam viel geweint. Es war ein toller MoWas die vielen guten Nachrichten trübt, ist die Sorge ment.“ um seine Familie, die noch immer in Afghanistan ist. Jeden Tag nach der Arbeit verbringt Shahir viel Zeit Vom Roten Kreuz wird er beim Antrag auf Familienmit seiner Familie und schaut, dass sie sich so gut zusammenführung beraten und unterintegriert, wie er es getan hat. Seine Gestützt. „Ich habe dort einfach angerufen, schwister gehen bereits zur Schule, lerbin vorbeigekommen und wir haben viel „Die Sprache ist das nen ebenso fleißig wie er und besuchen Wichtigste. Sie ist gesprochen.“ Auch über Shahirs Perzusätzlich Deutschkurse. „Die Sprache spektiven am Arbeitsmarkt. Dabei zeigt ist das Wichtigste. Sie ist die Basis für die Basis für alles sich, dass eine Lehrstelle beim Bauunalles andere. Dann stehen einem in andere“ ternehmen Porr die beste Möglichkeit Österreich alle Möglichkeiten offen“, wäre. Gecoacht von seiner Rotkreuz-Sosagt Shahir, mittlerweile Anfang 20. zialbegleiterin verfasst er eine Bewerbung und bereiWie auch immer die Zukunft der Familie Azizi aussetet sich auf das Bewerbungsgespräch vor. Mit Erfolg: hen mag: Der Sohn und große Bruder Shahir hat in den Bei Porr ist man begeistert. letzten Jahren eindrucksvoll gezeigt, was man mit O „Ich leite das Personal seit 25 Jahren – Shahir war der Fleiß und Ehrgeiz alles erreichen kann. erste Lehrlingsbewerber, der in einer so hohen Qualität über unseren Konzern Bescheid wusste“, so Porr„In der Bildungs- und Sozialberatung orientieren wir uns Personalleiter Oliver Erat. an den Zielen und Kompetenzen der jeweiligen Person Shahir kann sich im Unternehmen rasch integrieren und suchen gemeinsam einen Weg, der zur aktuellen und zählt zu den besten Lehrlingen des Betriebs. Sein Lebenssituation passt. Wenn die Voraussetzungen im Engagement macht sich bezahlt: Shahir erhält die sozialen Umfeld vorhanden sind, zum Beispiel wenn der Möglichkeit, zusätzlich eine zweite Lehre zu beginnen. Lebensunterhalt einigermaßen gesichert ist, ist eine „Wenn alles gut geht, werde ich bald mit einer DoppelBerufsausbildung eine tolle Chance. Sie ermöglicht lehre beginnen. Dann bin ich nicht nur Maurer, sonneue Perspektiven am Arbeitsmarkt und ist ein Schlüssel dern auch Schalungsbauer“, so der fleißige Shahir. Das lang ersehnte Wiedersehen Maurer – das möchte auch sein kleiner Bruder eines Tages werden. Nach langem bürokratischem Tauziehen für gelingende Integration sowie eine wesentliche Voraussetzung für finanzielle Selbstständigkeit – unabhängig von Sozialleistungen.“ KARIN PLODER, Migrationsbeauftragte im LV Steiermark Angekommen! UND DEUTSCH LERNEN. Seit Oktober 2016 bietet das Rote Kreuz Steiermark an den Bezirks- und Ortsstellen in Liezen, Leoben, Mürzzuschlag, Bruck/Kapfenberg und Wildon Deutschkurse an, die vom Land Steiermark gefördert werden. Im Rahmen des neuen Kursformats „Angekommen! Und Deutsch lernen“ können Asylwerber einen Deutschkurs beim Roten Kreuz Steiermark besuchen. Die Teilnehmer lernen, wie sie Herausforderungen des Alltags sprachlich bewältigen: vom Einkaufen über Arzttermine bis zu kulturellen und landesspezifischen Kenntnissen. Sie erfahren mehr über Feste und Bräuche in Österreich, setzen sich mit den Werten des gelungenen Zusammenlebens auseinander und lernen ihre Rechte und Pflichten kennen. 19|2017 67 Tirol MA Bayar Bayar Suleiman ist der erste Teilnehmer des freiwilligen Integrationsjahres im Roten Kreuz. R um, am 2. November 2016. Erster Arbeitstag für Bayar Suleiman, den ersten Teilnehmer des freiwilligen Integrationsjahres im Roten Kreuz. Alle freuen sich, dass Bayar die Abteilung Flucht und Migration im Roten Kreuz Tirol unterstützen wird. Das freiwillige Integrationsjahr ist ein Angebot für asylberechtigte oder subsidiär schutzberechtigte Menschen, bei denen die Zuerkennung dieses Status nicht länger als zwei Jahre zurückliegt. Außerdem müssen Interessierte die bedarfsorientierte Mindestsicherung beziehen. „Da Bayar schon recht gut Deutsch spricht, werden wir die vorgesehene 150-stündige Ausbildung nicht nur in Deutschlernkurse investieren, sondern ihn auch in unsere Projekte im Bereich Flucht und Migration ein- führen. Für mich ist es wichtig, dass er nach diesem Jahr viel für sein Leben mitnehmen kann und den Arbeitsalltag in Österreich kennenlernt“, meint Doris Olumba, Mitarbeiterin im Bereich Migration. „Denn beim freiwilligen Integrationsjahr handelt es sich um kein Arbeitsverhältnis, sondern um ein Arbeitstraining. Die Teilnehmer sollen neue Kompetenzen erlangen und sich ein Netzwerk in Österreich aufbauen.“ Bayar ist glücklich mit der neuen Situation: „Ich freue mich sehr, mitarbeiten zu können. Mein Tag hat wieder eine Struktur und ich kann die Zeit nützen, um mich auf meinen weiteren Lebensweg in Österreich vorzubereiten. Für Menschen mit Fluchthintergrund ist es am Anfang sehr schwierig, in einem neuen Land Fuß O zu fassen.“ Projekt protect Auf eigenen Beinen stehen und das Wissen weitergeben. V iktoria und Bilal bereiten den heutigen Tag vor. Stifte, Blöcke, Wasser, alles steht bereit. Jetzt noch ein Willkommensgruß auf die Tafel. „Das musst du machen“, lacht Viktoria. Und Bilal schreibt: “„ – „يوم جيدGuten Morgen“ auf Arabisch. Der Workshop ist Teil des Projekts „protect“, das Schulungen in den Muttersprachen der Teilnehmer anbietet. Ob auf Arabisch, Somali oder Dari/Farsi, Interessierte werden zu alltäglichen Fragen des Lebens in Österreich geschult. Es geht dabei um die Rechte und Pflichten eines österreichischen Staatsbürgers oder das österreichische Gesundheitssystem. Ziel der Schulungstage ist es, die Teilnehmer zu befähigen, ihr Wissen über die österreichische Gesellschaft an die Menschen in ihrer Gemeinschaft weiterzugeben und so als Multiplikatoren zu wirken. Bilal ist vor mehr als drei Jahren aus Syrien über die Türkei 68 19|2017 Workshops zum Leben in Österreich nach Österreich geflüchtet, wo er Asyl beantragt hat. Bereits im Asylverfahren engagierte er sich freiwillig im Roten Kreuz. Später wurde er als hauptamtlicher Mitarbeiter aufgenommen und konzipierte mit dem Team der Abteilung Migration das Projekt „protect“ in Tirol, das auf einem Konzept des Wiener Roten Kreuzes basiert. Safa war eine der ersten Teilnehmerinnen. Sie ist überzeugt: „Für uns Frauen ist es wichtig, in Österreich auf eigenen Beinen zu stehen. Durch Projekte wie ,protect‘ bekommen wir das notwendige Handwerkszeug, um uns eigenständig zurechtzufinden und unser Wissen auch an andere weitergeben zu können.“ O Näheres zu „protect“ unter: www.roteskreuz-tirol.at ProjektXchange-Botschafter Ahmed, Projektkoordinatorin Doris projektXchange Austausch macht Fremde zu Freunden. „Wo genau liegt Somalia?“ „Können die Kinder dort noch in die Schule gehen?“ „Wie bist du nach Österreich gekommen?“ „Vermisst du deine Familie sehr?“ ragen wie diese beantwortet Ahmed im Rahmen von projektXchange, einer Initiative von Rotem Kreuz und Jugendrotkreuz Tirol. Er ist Freiwilliger im Roten Kreuz Tirol und vor vier Jahren aus Somalia geflohen. Ziel von projektXchange ist es, durch persönliches Kennenlernen Vorurteile, Ängste und Konflikte abzubauen und ein Miteinander zu fördern. Bei den Schulbesuchen berichtet Ahmed als einer von rund 300 ehrenamtlichen Botschaftern von seiner persönlichen Geschichte und seinen Fluchterfahrungen. F Besuch in der Schule Ein Schulbesuch dauert zwei bis drei Stunden. Im ersten Teil berichtet ein Mitarbeiter von der Situation in den Herkunftsländern, von der Rotkreuz-Arbeit im Bereich Flucht und Migration oder vom Asylrecht. Im zweiten Teil erzählt ein projektXchange-Botschafter erst die eigene Fluchtgeschichte, danach sind die Schüler an der Reihe und stellen Fragen. „Nachdem Ahmed in unsere Klasse gekommen war, wurde mir erst richtig bewusst, was Menschen, die aus ihrer Heimat flüchten müsInfofolder zum Projektangebot sen, alles leisten. Dass er seine Lebensfreude behalten hat und sich für andere Geflüchtete einsetzt, bewundere ich“, meint Luisa, eine Schülerin aus Innsbruck. „Alle wünschen sich ein sicheres Leben“ Seit April 2016 haben Ahmed und das Team vom Roten Kreuz Tirol schon 15 Workshops – von der Volksschule bis zum Gymnasium oder zur Berufsschule – abgehalten. Und die Nachfrage steigt. „projektXchange ist ein wichtiger Teil unserer Rotkreuz-Arbeit. Es ist wichtig, Brücken zu bauen, um die Angst vor dem scheinbar Fremden zu verlieren. Das Rote Kreuz ist ein gesellschaftlicher Motor. Es ist unsere Aufgabe, Menschlichkeit zu leben und uns für die Gleichbehandlung aller einzusetzen – unabhängig von Herkunft, Glauben oder Weltanschauung“, meint Thomas Wegmayr, Landesgeschäftsführer des Roten Kreuzes Tirol. Auch Ahmed ist überzeugt: „Nur durch den direkten Kontakt mit Menschen anderer Kulturen, anderer Hautfarben, mit anderer Hintergrundgeschichte können Intoleranz und Voreingenommenheit abgebaut werden. Im Gespräch wird schnell klar, dass sich alle Menschen – egal wo sie geboren sind – eigentlich nur ein sicheres Leben für sich und ihre Familie wünschen.“ projektXchange wird in allen BunO desländern angeboten. www.projektxchange.at 19|2017 69 Wien Mahmoud mit seinen Kindern Mohammad und Linda IWORA A Integrationswohnraum für Geflüchtete. 44444444 Von Julia Hofbauer sylberechtigte stehen nach ihrer Flucht aus der Heimat vor der Herausforderung, in Öster reich Fuß zu fassen. Sozial- oder Gemeindewohnungen stehen aufgrund der Wartezeiten meist nicht zur Verfügung. Eine eigene Wohnung ist jedoch eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Integration. Aus diesem Grund hat das Wiener Rote Kreuz das Projekt IWORA ins Leben gerufen. Sozialarbeiter unterstützen Asylberechtigte dabei, leistbaren Wohnraum zu finden. Sie stehen den Klien ten neben der Wohnraumakquise bei der Antragstellung von Sozialleistungen, wie Mindestsicherung, Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld, sowie bei Fragen zum Gesundheitssystem beratend zur Seite. Chance für den Beginn Die größte vom Wiener Roten Kreuz betreute IWORAEinrichtung befindet sich in Wien-Meidling und umfasst sieben Wohneinheiten. Seit Projektstart wurden 7 Kleinwohnungen für Jungfamilien und 12 mittelgroße Wohnungen für 81 Klienten in Wien vermittelt. Mahmoud bezog Anfang Juli 2016 mit seiner Frau Nes- rin und den Kindern Linda und Mohammad (beide 8) eine Wohneinheit in der Altmannsdorfer Straße. Die Familie kommt aus Syrien und ist seit Oktober 2015 in Österreich. Sohn Moham mad leidet unter Autismus. „Unser Zuhause lag direkt im Kriegsgebiet. Wenn ein Flugzeug über unser Haus flog, verkroch sich Mohammad unter dem Tisch. Seine Krankheit hat sich mit jedem Tag verschlimmert. Linda sprach nicht mehr. Da wussten wir: Wir müssen gehen“, erzählt Mahmoud. Schule und Deutschkurse In Wien besucht Mohammad eine sonderpädagogi sche Schule. Er nimmt an einer Musiktherapie teil. So kommt er zumindest phasenweise zur Ruhe. Die achtjährige Linda besucht eine Volksschule, in der sie besonders herzlich empfangen worden ist. In der vorübergehenden Unterkunft fühlt sich die Familie wohl und schätzt auch die Betreuung durch das Wiener Rote Kreuz: „Wegen der Krankheit unseres Sohnes müssen wir täglich zum Arzt fahren. Das Rotkreuz-Team unterstützt uns dabei sehr“, ist Mahmoud dankbar. Für die Zukunft wünscht er sich, dass seine Kinder die schrecklichen Erlebnisse verarbeiten können und wieder Freude am Leben haben. Mutter Nesrin besucht den Deutschkurs für Frauen, der zweimal wöchentlich im Gemeinschaftsraum des Hauses stattfindet. Vater Mahmoud nimmt an einem vom AMS organisierten Deutschkurs teil. Er wurde zum „Haussprecher“ gewählt und verwaltet nun den Schlüssel für den Gemeinschaftsraum, sorgt für Ordnung und Putzpläne und kümmert sich um die Pflanzen. In Syrien war er Florist und besaß eine Blumenhandlung. Diesen Beruf möchte er gerne wieder ausüben. Für Mahmoud und seine Familie ist IWORA ein O Meilenstein für eine eigenständige Zukunft. TEAM NIMBLE ist eine Gruppe ehemaliger Studenten der TU und BOKU Wien. Sie gestalten die kahlen Räume unserer Flüchtlingsquartiere und die IWORA-Einrichtung in der Altmannsdorfer Straße mit Farbe und Kreativität. „Unsere Ideen wurden mit Interesse aufgenommen und weiterentwickelt, die Bewohner haben Know-how, Fleiß und Kreativität eingebracht“, sagt Georg Steinfelder von Team Nimble. 70 19|2017 Voneinander lernen, miteinander lernen Workshops für Hilfe im Notfall. 444444444444 Von K arin Pointner H allo, mein Name ist Nemat. Ich bin 19 Jahre alt, komme aus Afghanistan und lebe seit einem Jahr und zwei Monaten in Österreich.“ Ein Raunen geht durch den Raum. Eine Workshop-Teilnehmerin nickt anerkennend und meint: „So gut möchte ich auch Deutsch sprechen!“ Nemat lächelt stolz. Es ist der erste Workshop, den er abhält. Er schaut zu den anderen Vortragenden, Christine und Merve. Christine hat Nemat und Merve ausgebildet. Merve absolviert gerade das „Freiwillige Soziale Jahr“ beim Wiener Roten Kreuz. Sie alle sind für das Projekt „protect“ im Einsatz. Es wird seit Herbst 2016 vom Fonds Soziales Wien finanziert. Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrung sollen durch kostenlose zweistündige „Hilfe im Notfall“-Workshops erreicht werden. Die Workshops werden von 5–25 Personen besucht und auf Deutsch abgehalten. Themen sind richtiges Verhalten in Notfällen und freiwilliges Engagement. In Gruppen mit geringen Deutschkenntnissen werden Die Protect-Freiwilligen Souhaib und Sultan schwierige Begriffe übersetzt. Farsi, Paschtu, Dari, Somali und Arabisch sind besonders gefragt. Stabile Seitenlage und Rettungskette kommen ebenso vor wie die Notrufnummern, Verhalten im Brandfall, Erste Hilfe und freiwilliges Engagement. Auf diesem Engagement beruht auch der Erfolg des Projekts, denn die Vortragenden sind Freiwillige unterschiedlichster Herkunftsländer und Altersgruppen. O Kochen mit Hamed und Fatima U Der Geschmack des Orients trifft Liebe zum Menschen. nter dem Titel „Kochen mit Hamed Hummus und Fatima Falafel“ hat die ORFJournalistin Christine Grabner mit einem Team ein Koch-LeseBuch veröffentlicht. Kinder aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und Iran haben dafür ihre Lieblingsrezepte verraten. Einige Kinder wurden mit ihren Familien vom Wiener Roten Kreuz betreut. Gemeinsam mit der iranischen Köchin Hirsa Navid und dem syrischen Koch Mahmoud Al Ahmad haben sie die orientalischen Köstlichkeiten zubereitet und dabei Christine Grabner, Mahmoud Al Ahmad: „Kochen mit Hamed Hummus und Fatima Falafel“ Edition Esspapier, E 14,90 auch über sich, ihre Familien, ihre Flucht und ihre Zukunftspläne erzählt. Die zehn Kinder Salwa, Ibrahim, Ritaj, Mahdi, Mohammad, Muhadesa, Fatima, Mohammad, Moyad und Shana sind zwischen vier und elf Jahre alt. Sie haben sich gerne für das Buch fotografieren lassen und bunte Zeichnungen als IllusO trationen zur Verfügung gestellt. 19|2017 71 Kärnten „Herzlich willkommen!“ 100 Gäste beim ersten „Begegnungscafé“ der Rotkreuz-Bezirksstelle Klagenfurt. 444444444444 Von Christian Wetternig & Melanie Reiter D ie Kinder hatten Spaß beim Bas teln mit den Pfadfindern, die Erwachsenen unterhielten sich und kosteten sich durch Die Tanzgruppe des die internationalen Arobosnischen Kulturzentrums men des Buffets, die Tanzgruppe „Bkud Safir“ des bosnischen Kulturzentrums Klagenfurt sorgte für Stimmung, dann wurde gemeinsam getanzt und gesungen: Am 29. Oktober ging das erste „Begegnungscafé“ des Roten Kreuzes Klagenfurt über die Bühne. Bezirksstellenleiter Philip Kucher freute sich über den Besuch von rund 100 Gästen: „Hier treffen sich viele Nationalitäten zum gemeinsamen Austausch. Das ist die Basis jedes Miteinanders.“ Kulturelle und sprachliche Hürden Künftig sollen für Interessierte auch Vorträge und Seminare zum Thema Gesundheit im Rahmen des „Begegnungscafés“ angeboten werden, sagt Brigitte Pekastnig vom Roten Kreuz Kärnten. 72 19|2017 Partner des „Begegnungscafés“ ist die Stadt Klagenfurt. „Die Suche nach geeigneten Räumlichkeiten war nicht einfach, aber schlussendlich hatte sie Erfolg“, so Integrationsstadträtin Ruth Feistritzer. Auch Rotkreuz-Präsident Peter Ambrozy freut sich, dass es mit dem Integrationscafé der Bezirksstelle Klagenfurt geklappt hat: „Viele Migranten, die nach Österreich kommen, schaffen es, sich in ihrer neuen Umgebung zurechtzufinden. Aber andere haben Schwierigkeiten – das sind jene Zuwanderer, denen wir unsere Aufmerksamkeit widmen. Migranten stehen oft vor kulturellen und sprachlichen Hürden oder sie haben mit Diskriminierung zu kämpfen. Dieser Gruppe von bedürftigen Menschen zu helfen ist ein Prinzip der Rotkreuz-Bewegung auf der ganzen Welt.“ Das Projekt wird vom Referat für Migration der Bezirksstelle Klagenfurt unter Federführung von Meggie Meesters betreut. Die Organisation des Cafés hat ein freiwilliges Team rund um Marion Obermüller, Susanne Knaus und Ulli Jenny über. „Jeder, der beim Treffen dabei sein will, ist herzlich willkommen. Wir freuen uns über jeden einzelnen O Gast“, so die Organisatorinnen. Vorarlberg Das Flüchtlingscamp Hard D Wie Asylanwärter ihr neues Leben in Vorarlberg meistern. 444444444444 Von Ulrike Sperrer „Zu Beginn haben sich viele Mitmenschen in unserem as Rote Kreuz Vorarlberg hat 2015 im ehemaligen Flüchtlingscamp ehrenamtlich eingebracht, sei es bei Gasthaus Löwen das „Flüchtlingscamp Hard“ Deutschkursen oder bei Unternehmungen mit den errichtet, das von Petra Gebhard geleitet wird. Bewohnern. Eine Kerngruppe ist zum Glück geblieben, Betreut von beruflichen und ehrenamtlichen Rotkreuzjedoch lässt das ehrenamtliche EngageMitarbeitern können bis zu 81 Perso ment der Bevölkerung leider etwas nach“, nen untergebracht werden. erzählt Petra Gebhard. Die laufenden Deutschkurse besu- Wer keinen Zugang zum Arbeitsmarkt Das Flüchtlingscamp Hard ist ein guter chen die Asylanwärter sowohl extern Beweis dafür, dass Menschen verschiede als auch in internen Kursen, die Freihat, braucht eine ner Herkunft friedlich auf kleinem Raum willige aus der Gemeinde abhalten. Tagesstruktur O miteinander leben können. Bis zur Klärung ihres Status haben die Erwachsenen keinen Zugang zum Petra Gebhard Arbeitsmarkt. Umso wichtiger ist eine Tagesstruktur in ihrem Büro mit Putzdienst, Einkauf, selbstständiger Verpflegung und handwerklicher Tätigkeit. Die schulpflichtigen Kinder besuchen die Volks- oder Mittelschule in Hard, die Kleineren den Kindergarten. Die meisten Asylanwärter meistern ihr neues Leben in Vorarlberg sehr gut. Besonders die Kinder knüpfen im Kindergarten und in der Schule schnell Kontakte. Wenige leben zurückgezogen und haben Heimweh. In der Gemeinde Hard wird Integration vorbildlich gelebt, so gibt es regelmäßig Einladungen in die Kulturwerkstätte zu Theater und Musik oder zum „Fest der Freunde“. 19|2017 73 Back Issues henri zum Nachbestellen. Kostenlos, solange der Vorrat reicht. Kein Nachdruck. DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Fremd DAS MAGAZIN, DAS FEHLT 1 Sieben Einsätze hautnah mitverfolgt Reportagen über die Arbeit des Roten Kreuzes auf sieben Kontinenten. Berichte vom Schauplatz, spektakuläre Fotos. vergriffen, PDF auf http://henri.roteskreuz.at 10 Fremd Integration: Die neuen Österreicher in der Schule, in der Wirtschaft, in der Gesellschaft. Wer profitiert vom anderen, wer ist Nettozahler? DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Sponsoring-Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 03Z035192 S. DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Ausgabe 10|2010 Die neuen Österreicher 1 Integration: Wirtschaft prescht vor 1 Sprache: Getürktes Deutsch 1 Was ist los mit dem Islam? 1 Sind Zuwanderer Nettozahler? 1 Prostitution: 100 Euro nach Bulgarien 1 Schule: Sparen statt Lernen 1 Frühstück in Südkärnten 1 Der Pilot in der Volksschule INtErVIEWS: Carla Baghajati, Brigitta Busch, Christopher Caldwell, Heinz Fassmann, Wolfgang Kopetzky, Georg Kraft-Kinz, Svetlana Puljarevic, Ali Rahimi, Christoph Reinprecht DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT 11 Perspektiven Wohlstand und Sozialstaat erhalten – geht das noch? Welche Maßnahmen sind dazu nötig? Und wie setzt das Rote Kreuz in ganz Europa sie um? DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Ausgabe 2 | 2005 DAS MAGAZIN MIT SIEBEN GRUNDSÄTZEN DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT 2 Die Rotkreuz-Grundsätze Die einzige Idee, für die noch nie ein Mensch getötet hat. Reportagen aus aller Welt, die zeigen, wie die sieben Grundsätze gelebt werden. MAG AZIN , DAS DAS MAG AZIN , DAS FEHLT FEHLT FEHLT 2011 abe 12| Ausg DAS DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Das Recht auf ... H LFE Sponsoring-Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 03Z035192 S. 3 Katastrophen aus Wind und Wasser Mehr Unwetter, Dürren und Überflutungen wegen des Treibhauseffekts? Weltweite Krise oder beherrschbares Problem? Eine weltweite Bestandsaufnahme. 12 Das Recht auf humanitäre Hilfe Internationale Hilfe ist eine Verantwortung und eine Investition. Beispiele aus aller Welt zum Engagement des Österreichischen Roten Kreuzes. DAS MAGAZIN, DAS FEHLT HUMANITÄRE Ausgabe 3 | 2006 DAS MAGAZIN, DAS FEHLT MAG AZIN , DAS DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS Sponsoring.Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 03Z035192 S DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Das Rote Kreuz in Abu Ghraib • Beine für Afghanistan • Die Wahrheit über Live Aid • Martin & Martina in Afrika • Tschetschenen in Steyr • Kathi (15) am Telefon • Neujahr bei der Rettung • Lachen in Langenlois ... ist Verantwortung und Investition [nicht Mildtätigkeit und Erbarmen] Helfertypen: Die Motive der NGOs p Helfen als Imagefrage: Die Unternehmen Die Spendenformel: Das Kalkül der Medien p Krieg auf Rechnung: Die privaten Söldner Hass auf die Helfer: Die Grenzen der Hilfe p Helfen zum Überleben: Die großen Einsätze INtERvIEwS: Jonathan Benthall, Walter Feichtinger, Wolfgang Kopetzky, Peter Rabl, Werner Raza, Max Santner, Martina Schloffer, Peter Vitouch, Andreas Wigger DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT das Magazin, das fehlt. Katastrophen aus Wind und Wasser • Versichert die Armen! • Der Krieg ums Wasser kommt nicht • Österreich lehrt Indien schwimmen • Wellness und Design des blauen Goldes • Die grünen Berge von Osttimor • Wasser-Macher Ausgabe 13| 2012 DAS MAGAZIN, DAS FEHLT im Katastropheneinsatz • Wer kauft Sponsoring-Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 03Z035192 S Mineralwasser „ohne“? DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT 4 Krieg der Generationen? DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Immer mehr Alte, immer weniger Junge: Brechen unsere Sozialsysteme zusammen? Wie wichtig sind Beruf und Familie? Die fünf großen Alterslügen. vergriffen, PDF auf http://henri.roteskreuz.at DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Prognosen sind nur Annahmen Geburten: Vereinbarkeit entscheidet Schule: Leistung mit Integration Slowakische Pflegerinnen So leben wir unser Leitbild: Reportagen aus den Bundesländern p Besondere Dienststellen: So bunt ist das Rote Kreuz pFührung: Begeisterung oder Frust? p Das Leitbild hat Zukunft: Neue Aufgaben, neue Leistungen p Mein Rotes Kreuz: Mitarbeiter über ihr Leitbild INteRvIewS: Gerald Czech, Markus Jarnig, Werner Kerschbaum, Michael Opriesnig, Ruth Simsa, Susanne Widhalm DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Mit 60 etwas Neues In der Senioren-WG Die fünf Alterslügen Familienbilder GENERATIONEN DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Ausgabe 14| 2012 14 Der Preis des Alter(n)s Vom Umgang mit Älteren und Pflege bedürftigen: Was sich in Österreich ändern muss und wie wir ein lebenswertes Leben bis zum Ende finanzieren können. DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Der Preis DAS MAGAZIN, DAS FEHLT des Alter(n)s DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT 5 Blut – Leben ist keine Ware Sind unsere Blutkonserven sicher? Und: Sind uns genug Blutkonserven sicher? Starke Partner – starke Visionen Wenn Blut in der EU als Ware deklariert wird, ist beides in Gefahr. Sponsoring-Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 03Z035192 S. Sponsoring-Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 03Z035192 S Wo bleibt der Funfaktor, Baby? Sprachen lernen im Kindergarten Sponsoring-Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 03Z035192 S. Ausgabe 4 | Jänner 2007 :7IC7=7P?D":7I<;>BJ 13 Leitbild „Wir sind da, um zu helfen.“ Das Leitbild des Österreichischen Roten Kreuzes in Reportagen, Diskussionen und aus der persönlichen Sicht der Mitarbeiter. DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Die Missgunst der Alten Sozialdienst für Junge und Alte? 25.000 Jugendliche pflegen Frauen: Warum früher in Pension? Oma & Opa werden „babyfit“ Im Alter am Abgrund: Gastarbeiter Christa & Gerti, Freiwillige im Hospiz Senioren-WG: Zusammen ist man weniger allein IntervIeWS: Konrad Paul Liessmann, Klaus Malle, Fredy Mayer, Wolfgang R. Mayr, Birgit Meinhard-Schiebel, Katharina Pils, Richard David Precht, Josef Wöss DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Ausgabe 15| 2013 DAS MAGAZIN, DAS FEHLT 6 Die vielen Gesichter der Pflege DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Junge Wünsche Vor über 75 Jahren entwickelte der japanische Wissenschaftler Dr. Minoru Shirota Yakult. Seine Vision war es, die von ihm entdeckten Milchsäurebakterien (Lactobacillus casei Shirota) allen Menschen in einer einfachen, handlichen und preiswerten Form zugänglich zu machen. Auf dieser Basis entwickelte er das fermentierte Getränk Yakult, auf das Millionen Menschen weltweit seit über 75 Jahren vertrauen. Yakult und das Rote Kreuz: eine Partnerschaft im Dienste des allgemeinen Wohlbefindens Menschen zu dienen, die Yakult und das Österreichische Rote Kreuz verbindet. Yakult unterstützt das Rote Kreuz daher seit vielen Jahren bei gesellschaftlich relevanten Themen. 2012 fördert Yakult wieder ein Blutspendeprojekt, um die österreichweite Versorgung aufrecht zu erhalten. Informieren Sie sich jetzt über die Blutspendezentralen des Roten Kreuzes in ganz Österreich, auf: www.roteskreuz.at Als kleine Stärkung nach einer Blutspende erhalten Sie ein gratis Fläschchen Yakult – ganz im Sinne des Wissenschaftlers Dr. Shirota, mit kleinen Dingen große Dienste zu tun. Pflege und Betreuung sind ein wesentliches Zukunftsthema für Österreich. henri 6 bietet eine Bestandsaufnahme, in der viele Akteure zu Wort kommen. Es ist die Philosophie, dem Wohlergehen der 15 Junge Wünsche Kinder brauchen mehr als nur Rechte! Die Kindercharta und die Jugendcharta des Österreichischen Jugendrotkreuzes: 20 Punkte, die uns wichtig sind. DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Die Kindercharta und die jugendcharta des Österreichischen jugendrotkreuzes p Wie viel Computer braucht das Kind? p Mehrsprachigkeit: Generation Deutsch plus p Verkehr: Der erste Schulweg p Die kindliche Arbeitswoche p Facebook: Digitale Nachbarn p „Fehler sind Rohstoffe!“ p ProjektXchange p jugendservice p Letzter Ausweg jugendheim p Dilemmageschichte Sponsoring-Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 03Z035192 S. DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT INTERVIEWS: Andrea Gerstenberger Christina Hager • Philipp Ikrath • Belinda Mikosz • Bettina Weidinger • Manfred Zentner t das sag end! die Jug www.jugendrotkreuz.at/kindercharta DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Ausgabe 16| Juli 2013 DAS MAGAZIN, DAS FEHLT 7 Migration und Integration Österreich hat Angst vor Zuwanderern. Anderswo sind sie willkommen. henri 7 schlägt vor, wie Migration und Integration geplant und gesteuert werden können. Willkommen! Willkommen! DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Zuwanderung & Integration in Österreich und im DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Roten Kreuz Willkommen! Sponsoring-Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 432857691. DAS MAGAZIN, DAS FEHLT kommen DAS MAGAZIN, DAS FEHLT p Wir sind ein Zuwanderungsland! p Die Migrationscharta des Roten Kreuzes p Sprache und Bildung sind die Schlüssel p Gibt es das Recht auf Asyl wirklich? p Wo wir auf Zuwanderer angewiesen sind p Lernhäuser p Aufgabenhilfe p projektXchange p „Herzsprache“: Marketing für Migranten p Zuwanderer als Freiwillige im Roten Kreuz . INTERVIEWS: Manuel Bräuhofer • Inci Dirim • Christian Friesl • Stephan Kanhäuser & Bernhard Schneider • Georg Kapsch • Sebastian Kurz • Rüdiger Teutsch 16 Willkommen! Zuwanderung und Integration in Österreich und im Roten Kreuz. Auch die Rotkreuz-Welt sähe ohne Migranten anders aus. DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Ausgabe 17| September 2014 DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Wir sind die DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Alle wollen. Alle nehmen. Wer gibt? FReIwILLIge hILFe – DeR MoToR unseRes ZusaMMenLeBens Sponsoring-Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 03Z035192 S. Foto: Heribert Corn 1 Die Krise der Zivilgesellschaft 1 Biologie der Freiwilligkeit 1 Die Zukunft der Rettung 1 Team Österreich – Kufstein kostenlos – Corporate Volunteering 1 InTeRVIews: Fredy Mayer – Ruth simsa – Christoph Redelsteiner 1 Blut: sicherheit durch Freiwilligkeit 1 schüler als sanitäter in Bad Ischl 1 Land Rover Challenge 8 Alle wollen. Alle nehmen. Wer gibt? Die vielen Gesichter der freiwilligen Hilfe. Menschen, die helfen, weil sie es für sich und andere tun. Die interessantesten Projekte aus ganz Österreich. Rettung Die schnellste Hilfe Österreichs. Sponsoring-Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 432857691. Ausgabe 8|2009 17 Wir sind die Rettung Retten Freiwillige besser? 144 oder 112? Woher kommt das Tatü? Mit dem Taxi zur OP? Braucht die Rettung Zivildiener? 70 Fragen zur Rettung. Und 70 Antworten. DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT p Notfallrettung oder Sozialdienst? p Retten Freiwillige besser? p Mit dem Taxi zur OP? p Ist 144 schneller als 112? p Was sind First Responder? p Ist Rettung Kindersache? u 70 Fragen, 70 Antworten DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Ausgabe 18| Oktober 2015 DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT 18 Das Versprechen Die Grundsätze des Roten Kreuzes wurden 1965 festgelegt. Gelten sie heute noch? Ein henri auf Deutsch und Englisch mit Educational für den Unterricht. DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Die Welt der Uhrmenschen Die Bluthunde der Geschichte Diversity: Frauen im Krieg IntervIeWs: Yves Daccord thomas Gebauer DAS Wolfgang Kopetzky ralf Leonhard Dirk Messner Peter niggli Max santner Michael spindelegger MAGAZIN, DAS FEHLT Armut und Klimawandel Humanitarian Diplomacy eZA: Österreich zahlt zu wenig DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Das Geld der Migranten DAS MAGAZIN, DAS FEHLT Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit, Armut und Klimawandel: Die Rotkreuz-Bewegung begegnet den neuen Herausforderungen. Sponsoring-Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 03Z035192 S. Foto: IKRK Was wir sehen Was wir tun The Pledge sich verpflichteteüberall Vor 50 Jahren immer und handeln. zu das Rote Kreuz, Grundsätzen nach sieben heute noch? Gilt das auch the Red Cross 50 years ago always stay true pledged toseven principles. to their still relevant today? Are these EDUCATIONAL Die Grundsätze im Unterricht | The principles in class DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT DAS MAGAZIN, DAS FEHLT HUMAnItäre HILFe UnD entWIcKLUnGsZUsAMMenArBeIt 9 Was wir sehen. Was wir tun Das Versprechen Sponsoring-Post, Verlagspostamt 1040 Wien, 432857691. Ausgabe 9|2010 Back Issues von henri kostenlos bestellen: E-Mail: [email protected] Tel.: 01/589 00-356 henri online lesen: http://henri.roteskreuz.at 74 19|2017 „Das alte Europa, verkalkt und überwiegend altersmilde, von den eigenen Geistern heimgesucht, wehrlos gegen Brutalität und Tyrannei, seiner selbst unsicher und zugleich ersehntes Ziel Millionen Leidender.“ Ian McEwan, „Nussschale“
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