DE DE BERICHT

Europäisches Parlament
2014-2019
Plenarsitzungsdokument
A8-0047/2017
28.2.2017
BERICHT
über den Antrag auf Aufhebung der Immunität von Marine Le Pen
(2016/2295(IMM))
Rechtsausschuss
Berichterstatterin: Laura Ferrara
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In Vielfalt geeint
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INHALT
Seite
VORSCHLAG FÜR EINEN BESCHLUSS DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS .......... 3
BEGRÜNDUNG ........................................................................................................................ 6
ERGEBNIS DER SCHLUSSABSTIMMUNG IM FEDERFÜHRENDEN AUSSCHUSS.... 13
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VORSCHLAG FÜR EINEN BESCHLUSS DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS
zu dem Antrag auf Aufhebung der Immunität von Marine Le Pen
(2016/2295(IMM))
Das Europäische Parlament,
–
unter Hinweis auf den Antrag auf Aufhebung der Immunität von Marine Le Pen,
eingereicht am 5. Oktober 2016 von Jean-Jacques Urvoas, dem französischen Minister
für Justiz, im Rahmen eines beim Tribunal de grande instance de Nanterre anhängigen
Ermittlungsverfahrens gegen Marine Le Pen wegen Verbreitung islamistischer Bilder
mit Gewaltdarstellungen über ihr Twitter-Konto,
–
nach Anhörung von Jean-François Jalkh in Vertretung von Marine Le Pen gemäß
Artikel 9 Absatz 6 seiner Geschäftsordnung,
–
gestützt auf die Artikel 8 und 9 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und
Befreiungen der Europäischen Union und auf Artikel 6 Absatz 2 des Aktes vom
20. September 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder
des Europäischen Parlaments,
–
unter Hinweis auf die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 12. Mai
1964, 10. Juli 1986, 15. und 21. Oktober 2008, 19. März 2010, 6. September 2011 und
17. Januar 20131,
–
unter Hinweis auf Artikel 26 der Verfassung der Französischen Republik,
–
gestützt auf Artikel 5 Absatz 2, Artikel 6 Absatz 1 und Artikel 9 seiner
Geschäftsordnung,
–
unter Hinweis auf den Bericht des Rechtsausschusses (A8-0047/2017),
A.
in der Erwägung, dass die französischen Justizbehörden im Rahmen eines Verfahrens
wegen Verbreitung von Bildern mit Gewaltdarstellungen über Marine Le Pens TwitterKonto beantragt haben, dass die Immunität von Marine Le Pen, Mitglied des
Europäischen Parlaments und Vorsitzende des Front National (FN), aufgehoben wird,
wobei auf den Bildern die Hinrichtung von drei Geiseln der terroristischen Gruppierung
IS zu sehen war, verbunden mit dem Kommentar: „Daesh c'est ÇA !“ (DAS ist der IS!),
und diese Bilder am 16. Dezember 2015 nach einem Interview auf dem
Radiosender RMC veröffentlicht worden waren, in dem der Aufstieg des FN mit den
Handlungen der terroristischen Gruppierung IS verglichen wurde;
B.
in der Erwägung, dass aus der Rechtsprechung des Europäischen Parlaments
1
Urteil des Gerichtshofs vom 12. Mai 1964, Wagner/Fohrmann und Krier, 101/63, ECLI:EU:C:1964:28; Urteil
des Gerichtshofs vom 10. Juli 1986, Wybot/Faure und andere, 149/85, ECLI:EU:C:1986:310; Urteil des Gerichts
vom 15. Oktober 2008, Mote/Parlament, T-345/05, ECLI:EU:T:2008:440; Urteil des Gerichtshofs vom
21. Oktober 2008, Marra/De Gregorio und Clemente, C-200/07 und C-201/07, ECLI:EU:C:2008:579; Urteil des
Gerichts vom 19. März 2010, Gollnisch/Parlament, T-42/06, ECLI:EU:T:2010:102; Urteil des Gerichtshofs vom
6. September 2011, Patriciello, C-163/10, ECLI: EU:C:2011:543; Urteil des Gerichts vom 17. Januar 2013,
Gollnisch/Parlament, T-346/11 und T-347/11, ECLI:EU:T:2013:23.
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hervorgeht, dass die Immunität eines seiner Mitglieder aufgehoben werden kann, sobald
die streitigen Äußerungen und/oder Bilder in keinem unmittelbaren oder offenkundigen
Zusammenhang mit der Ausübung des Amtes des beschuldigten Abgeordneten als
Mitglied des Europäischen Parlaments stehen und es sich nicht um in Ausübung seines
Amtes als Mitglied des Europäischen Parlaments erfolgte Äußerungen oder
Stimmabgaben im Sinne von Artikel 8 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und
Befreiungen der Europäischen Union und im Sinne von Artikel 26 der Verfassung der
Französischen Republik handelt;
C.
in der Erwägung, dass den Mitgliedern des Europäischen Parlaments außerdem gemäß
Artikel 9 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen
Union im Hoheitsgebiet ihres eigenen Staates die den Parlamentsmitgliedern zuerkannte
Unverletzlichkeit zusteht;
D.
in der Erwägung, dass die Verbreitung von Bildern mit Gewaltdarstellungen, die die
Menschenwürde verletzen, einen Straftatbestand darstellt, der gemäß den Artikeln 22724, 227-29 und 227-31 des französischen Strafgesetzbuchs zu ahnden ist;
E.
in der Erwägung, dass sich Artikel 6-1 des französischen Gesetzes Nr. 2004-575 vom
21. Juni 2004 (Loi pour la Confiance dans l'Économie Numérique – Gesetz über das
Vertrauen in die digitale Wirtschaft), mit dem die Richtlinie 2000/31/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche
Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen
Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen
Geschäftsverkehr“) umgesetzt wird, nicht auf die Tätigkeiten von Einzelpersonen,
sondern auf die Tätigkeiten der Dienstleister der Informationsgesellschaft bezieht;
F.
in der Erwägung, dass die von Marine Le Pen veröffentlichten Bilder zwar über die
Suchmaschine Google für jeden zugänglich sind und nach ihrer ersten Verbreitung im
Internet vielfach wieder aufgegriffen wurden, es sich aber in jedem Fall um
Gewaltdarstellungen handelt, die die Menschenwürde verletzen;
G.
in der Erwägung, dass die Familie der Geisel James Foley am 17. Dezember 2015 – also
nach dem Eingreifen der Justizbehörden – beantragt hatte, dass die drei Bilder aus dem
Netz genommen werden, und dass Marine Le Pen infolge dieser Aufforderung nur das
Bild von James Foley gelöscht hat;
H.
in der Erwägung, dass der Zeitplan des Verfahrens gegen Marine Le Pen dem üblichen
Zeitplan von Verfahren gegen die Presse und andere Kommunikationsmittel entspricht
und dass daher der Verdacht eines Falls von fumus persecutionis, d. h. einer Situation,
in der Indizien zufolge oder dem Anschein nach eine feindliche Gesinnung gegen die
betroffene Person vorliegt, unbegründet ist;
I.
in der Erwägung, dass gemäß Artikel 26 der Verfassung der Französischen Republik
kein Mitglied des Parlaments ohne Genehmigung des Parlaments wegen eines
Verbrechens oder Vergehens verhaftet oder anderweitig seiner Freiheit beraubt oder in
seiner Freiheit eingeschränkt werden darf;
J.
in der Erwägung, dass es nicht Aufgabe des Europäischen Parlaments ist, sich zur
etwaigen Schuld des Abgeordneten oder zur eventuellen Möglichkeit zu äußern, die ihm
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zur Last gelegten Straftaten rechtlich zu verfolgen;
1.
beschließt, die Immunität von Marine Le Pen aufzuheben;
2.
beauftragt seinen Präsidenten, diesen Beschluss und den Bericht seines zuständigen
Ausschusses unverzüglich dem zuständigen Organ der Französischen Republik und
Marine Le Pen zu übermitteln.
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BEGRÜNDUNG
I.
TATSÄCHLICHE WÜRDIGUNG
In der Sitzung vom 24. Oktober 2016 gab der Präsident gemäß Artikel 9 Absatz 1 der
Geschäftsordnung bekannt, dass er am 5. Oktober 2016 ein Schreiben von Jean-Jacques
Urvoas, französischer Minister der Justiz, erhalten habe, mit dem die Aufhebung der
parlamentarischen Immunität von Marine Le Pen beantragt werde. Gemäß Artikel 9 Absatz 1
der Geschäftsordnung überwies der Präsident diesen Antrag an den Rechtsausschuss.
Das Ermittlungsverfahren gegen Marine Le Pen war von den französischen Justizbehörden
eingeleitet worden, nachdem am 16. Dezember 2015 über Marine Le Pens Twitter-Konto drei
Bilder mit Gewaltdarstellungen, die die Menschenwürde verletzen, verbreitet worden waren,
auf denen die Hinrichtung von drei Geiseln der terroristischen Gruppierung IS zu sehen war.
Auf diesen drei Bildern, auf denen die Betroffenen nicht unkenntlich gemacht worden waren,
waren James Foley, eine enthauptete amerikanische Geisel, Moas Al-Kasabeh, ein lebendig in
einem Käfig verbrannter jordanischer Pilot, und Fadi Ammar Zidan, ein syrischer Soldat, der
bei lebendigem Leib unter den Gleisketten eines Kampfpanzers zerquetscht wurde, zu sehen.
Diese Bilder hatte Marine Le Pen mit folgendem Kommentar versehen: „Daesh c'est ÇA !“
(DAS ist der IS!). Es stellte sich heraus, dass diese Veröffentlichung nach einem Interview
desselben Tages mit dem Politologen Gilles Kepel erfolgt war, das von Jean-Jacques Bourdin
im Sender RMC geführt wurde, und in dem der Aufstieg des Front National mit den
Handlungen des IS verglichen wurde. Bevor sie die strittigen Bilder veröffentlichte, postete
Marine Le Pen den Kommentar, die Parallele, die Jean-Jacques Bourdin an diesem Vormittag
zwischen dem IS und dem FN gezogen habe, sei eine inakzeptable Entgleisung, und er müsse
seine widerwärtigen Bemerkungen zurücknehmen.
Der Staatsanwalt von Nanterre wurde von den Tatbeständen und den Feststellungen in
Kenntnis gesetzt und beantragte daraufhin die Schließung und Übermittlung des vom Office
Central de Lutte contre la Criminalité liée aux Technologies de l’Information et de la
Communication (OCLCTIC) angestrengten Verfahrens, damit sich das Dezernat zur
Bekämpfung von Gewaltverbrechen bei der Kriminalpolizei (BRDP) von Paris damit
befassen könne.
Am darauffolgenden Tag, dem 17. Dezember 2015, beantragten die Angehörigen der Geisel
James Foley, dass die Bilder aus dem Netz genommen werden. Marine Le Pen löschte nur das
Bild von James Foley und erklärte, die Identität der Person auf dem Bild sei ihr nicht bekannt
und sie habe das Bild über die Suchmaschine Google gefunden. Sie habe erst an diesem
Morgen erfahren, dass seine Familie sie gebeten habe, das Bild zu entfernen, was sie
selbstverständlich sofort getan habe.
Am 5. Januar 2016 wurde Marine Le Pen von den Dienststellen des Dezernats zur
Bekämpfung von Gewaltverbrechen (BRDP) zu einer Anhörung vorgeladen. Am 4. Januar
2016 teilte David Dassa-Le Deist, Rechtsberater von Marine Le Pen, den Ermittlern mit, seine
Mandantin werde zu dieser Vorladung nicht erscheinen und beabsichtige, gegebenenfalls und
in angemessener Form nur einem Richter Rede und Antwort zu stehen.
Am 21. Januar 2016 leitete die Staatsanwältin Catherine Denis ein Ermittlungsverfahren
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wegen Verbreitung von Bildern mit Gewaltdarstellungen, die die Menschenwürde verletzen,
ein. Dieser Straftatbestand ist gemäß den Artikeln 227-24, 227-29 und 227-31 des
französischen Strafgesetzbuchs zu ahnden.
Am 31. März 2016 wurde Marine Le Pen vorgeladen, am 29. April 2016 um 10.30 Uhr zur
Vorführung vor dem Untersuchungsrichter zu erscheinen. In seinem Schreiben vom 28. April
2016 teilte Rechtsanwalt David Dassa-Le Deist dem Gericht mit, dass Marine Le Pen am
darauffolgenden Tag nicht erscheinen werde. Als Begründung wurde ihre Immunität
angeführt, die sie als Mitglied des Europäischen Parlaments genieße, sowie das Argument, es
handele sich um eine Verfolgung, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung gefährde.
Außerdem solle das Gericht versichert sein, dass es nicht die Gerichtsbarkeit sei, die hier
infrage gestellt werde, sondern die Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft, die die freie
Meinungsäußerung einer französischen Abgeordneten in einem sehr wichtigen Bereich
beeinträchtige.
Am 30. August 2016 leitete die für das Ermittlungsverfahren zuständige Vizepräsidentin,
Carole Bochter, den Antrag auf Aufhebung der parlamentarischen Immunität von Marine Le
Pen an den Generalstaatsanwalt am Cour d’appel de Versailles zu Händen der Staatsanwältin
beim Tribunal de grande instance de Nanterre weiter.
Am 7. September 2016 übermittelte der Generalstaatsanwalt, Marc Robert, den Antrag auf
Aufhebung der parlamentarischen Immunität von Marine Le Pen im Original an den
französischen Minister für Justiz, Jean-Jacques Urvoas.
Am 5. Oktober 2016 übersandte der Minister Jean-Jacques Urvoas dem Präsidenten des
Europäischen Parlaments, Martin Schulz, den Antrag des Generalstaatsanwalt beim Cour
d’appel de Versailles auf Aufhebung der parlamentarischen Immunität von Marine Le Pen,
damit die Befragung zur Ermittlung der Fakten, die ihr vorgeworfen werden, durchgeführt
werden kann.
II.
RECHTLICHE WÜRDIGUNG
a) Geltendes europäisches Recht
Protokoll (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union im
Anhang zum Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
„Artikel 8
Wegen einer in Ausübung ihres Amtes erfolgten Äußerung oder Abstimmung dürfen
Mitglieder des Europäischen Parlaments weder in ein Ermittlungsverfahren verwickelt noch
festgenommen oder verfolgt werden.
Artikel 9
Während der Dauer der Sitzungsperiode des Europäischen Parlaments
a) steht seinen Mitgliedern im Hoheitsgebiet ihres eigenen Staates die den
Parlamentsmitgliedern zuerkannte Unverletzlichkeit zu,
b) können seine Mitglieder im Hoheitsgebiet jedes anderen Mitgliedstaats weder festgehalten
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noch gerichtlich verfolgt werden.
Die Unverletzlichkeit besteht auch während der Reise zum und vom Tagungsort des
Europäischen Parlaments.
Bei Ergreifung auf frischer Tat kann die Unverletzlichkeit nicht geltend gemacht werden; sie
steht auch nicht der Befugnis des Europäischen Parlaments entgegen, die Unverletzlichkeit
eines seiner Mitglieder aufzuheben.“
Akt vom 20. September 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der
Mitglieder des Europäischen Parlaments
„Artikel 6.2
Die Mitglieder des Europäischen Parlaments genießen die Vorrechte und Befreiungen, die
nach dem Protokoll vom 8. April 1965 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen
Gemeinschaften für sie gelten.“
Schlussanträge des Urteils des Gerichtshofs vom 6. September 2011, Patriciello,
C-163/10
„Art. 8 des dem EUV, dem AEUV und dem EAG-Vertrag beigefügten Protokolls über die
Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass eine von
einem Europaabgeordneten außerhalb des Europäischen Parlaments abgegebene Erklärung,
die in seinem Herkunftsmitgliedstaat zu einer strafrechtlichen Verfolgung wegen falscher
Anschuldigung geführt hat, nur dann eine in Ausübung seines parlamentarischen Amtes
erfolgte Äußerung darstellt, die unter die in dieser Vorschrift vorgesehene Immunität fällt,
wenn sie einer subjektiven Beurteilung entspricht, die in einem unmittelbaren und
offensichtlichen Zusammenhang mit der Ausübung dieses Amtes steht. Es ist Sache des
vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob diese Voraussetzungen im Ausgangsverfahren
vorliegen.“
b) Französische Rechtsvorschriften
Verfassung der Französischen Republik
„Artikel 26
Kein Mitglied des Parlaments darf wegen der in Ausübung seines Mandates geäußerten
Meinungen oder seines Abstimmungsverhaltens belangt werden, Gegenstand einer Fahndung
sein, verhaftet, in Haft gehalten oder verurteilt werden.
Kein Mitglied des Parlaments darf ohne die Genehmigung des Präsidiums der Kammer, der
es angehört, wegen eines Verbrechens oder eines Vergehens verhaftet oder auf andere Weise
seiner Freiheit beraubt oder in seiner Freiheit eingeschränkt werden. Dieser Genehmigung
bedarf es bei einem bei Begehung festgestellten Verbrechen oder Vergehen oder bei einer
rechtskräftigen Verurteilung nicht.
Die Inhaftierung, die freiheitsberaubenden oder einschränkenden Maßnahmen oder die
Strafverfolgung eines Mitglieds des Parlaments werden für die Dauer der Sitzungsperiode
ausgesetzt, wenn die Kammer, der es angehört, dies verlangt.
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Die betreffende Kammer tritt unmittelbar von Rechts wegen zu zusätzlichen Sitzungen
zusammen, um gegebenenfalls die Anwendung des obigen Absatzes zu ermöglichen.“
Französisches Strafgesetzbuch
„Artikel 227-24
Wer eine Botschaft gewalttätigen, zum Terrorismus aufstachelnden, pornographischen oder
die Menschenwürde schwerwiegend verletzenden Inhalts oder eine Botschaft, durch die
Minderjährige zu Spielen zu verleitet werden, die sie körperlich in Gefahr bringen, herstellt,
befördert, verbreitet, gleichgültig durch welches Mittel und über welchen Träger, oder wer
mit einer solchen Botschaft Handel treibt, wird mit drei Jahren Haft und 75 000 EUR
Geldstrafe bestraft, wenn diese Botschaft von Minderjährigen gesehen oder wahrgenommen
werden kann.
Werden die in diesem Artikel bezeichneten Straftaten über Printmedien, audiovisuelle Medien
oder über die öffentliche Online-Kommunikation begangen, gelten für die Feststellung der
verantwortlichen Personen die besonderen Bestimmungen der diese Materie regelnden
Gesetze.“
„Artikel 227-29
Gegen natürliche Personen, die sich der in diesem Kapitel aufgeführten Straftaten schuldig
gemacht haben, können außerdem folgende Zusatzstrafen verhängt werden:
1. die Aberkennung der staatsbürgerlichen, bürgerlichen und familiären Rechte gemäß den
Bestimmungen des Artikels 131-26;
2. die Aussetzung der Fahrerlaubnis für eine Dauer von bis zu fünf Jahren; diese Aussetzung
kann auf das Fahren außerhalb der beruflichen Tätigkeit beschränkt werden;
3. die Entziehung der Fahrerlaubnis mit dem Verbot, während einer Frist von bis zu fünf
Jahren eine neue Fahrerlaubnis zu beantragen;
4. das Verbot, für die Dauer von bis zu fünf Jahren das französische Staatsgebiet zu
verlassen;
5. die Einziehung der Sache, die zur Begehung der Tat gedient hat oder dazu bestimmt war
oder die aus ihr hervorgegangen ist;
6. das entweder endgültige oder auf die Dauer von bis zu zehn Jahren beschränkte Verbot,
eine berufliche oder ehrenamtliche Tätigkeit auszuüben, mit der ein regelmäßiger Kontakt mit
Minderjährigen verbunden ist;
7. die Verpflichtung zum Besuch eines Seminars über elterliche Verantwortung gemäß den
Bestimmungen aus Artikel 131-35-1;
8. bei Verbrechen gemäß Artikel 227-2 und Artikel 227-16 entsprechend den Bestimmungen
aus Artikel 131-27 entweder das Verbot der Ausübung eines öffentlichen Amts oder einer
Berufstätigkeit oder sozialen Tätigkeit, bei deren Ausübung oder in deren Rahmen der
Verstoß begangen wurde, oder das Verbot der Ausübung einer Tätigkeit im Bereich Handel
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oder herstellendes Gewerbe, der unmittelbaren oder mittelbaren Leitung, Verwaltung,
Führung oder Kontrolle eines Handels- oder Industrieunternehmens oder einer
Handelsgesellschaft im Rahmen eines beliebigen Amts in selbstständiger oder
nichtselbstständiger Tätigkeit. Diese Ausübungsverbote können kumulativ verhängt werden.“
„Artikel 227-31
Personen, die sich der in Artikel 227-22 bis 227-27 bezeichneten Straftaten schuldig gemacht
haben, können außerdem zu gerichtlich-sozialer Aufsicht gemäß den Bestimmungen der
Artikel 131-36-1 bis 131-36-13 verurteilt werden.“
Gesetz Nr. 2004-575 vom 21. Juni 2004 (Loi pour la Confiance dans l'Économie
Numérique – Gesetz für das Vertrauen in die digitale Wirtschaft)
„Artikel 1 Absatz IV
Gemäß Artikel 1 des Gesetzes Nr. 86-1067 vom 30. September 1986 (Loi relative à la liberté
de communication – Gesetz über die Kommunikationsfreiheit) ist Kommunikation mit der
Öffentlichkeit auf elektronischem Weg frei.
Die Ausübung dieser Freiheit darf nur einerseits durch die Wahrung der Menschenwürde, der
Freiheit und des Eigentums anderer, den Pluralismus der Gedanken- und Meinungsäußerung
und andererseits durch die Wahrung der öffentlichen Ordnung, die Erfordernisse der
nationalen Verteidigung, die Gemeinwohlanforderungen, die mit den Kommunikationsmitteln
verbundenen technischen Vorgaben sowie durch die Notwendigkeit für die audiovisuellen
Dienste, die audiovisuelle Produktion zu fördern, im erforderlichen Maß beschränkt werden.
Als Kommunikation mit der Öffentlichkeit auf elektronischem Weg gilt die Bereitstellung von
Zeichen, Signalen, Schriftstücken, Bildern, Tonmitteilungen oder Botschaften jeglicher Art,
bei denen es sich nicht um private Korrespondenz handelt, durch einen elektronischen
Kommunikationsvorgang für die Öffentlichkeit oder bestimmte Kategorien der Öffentlichkeit.
Als öffentliche Online-Kommunikation gilt die Übermittlung digitaler Daten, bei denen es
sich nicht um private Korrespondenz handelt, auf individuelle Aufforderung durch einen
elektronischen Kommunikationsvorgang, der einen wechselseitigen Datenaustausch zwischen
Sender und Empfänger ermöglicht.
Als E-Mail gelten Botschaften im Text-, Sprach-, Ton- oder Bildformat, die über ein
öffentliches Kommunikationsnetz verschickt und auf einem Netzwerkserver oder auf dem
Endgerät des Empfängers gespeichert werden, bis dieser sie abruft.“
„Artikel 6-1
Sofern es durch die Erfordernisse der Bekämpfung der Aufstachelung zur Begehung
terroristischer Handlungen oder der Rechtfertigung solcher Handlungen gemäß Artikel 4212-5 des Strafgesetzbuchs oder die Bekämpfung der Verbreitung von Bildern oder
Darstellungen von Minderjährigen gemäß Artikel 227-23 des Strafgesetzbuchs gerechtfertigt
ist, kann die Verwaltungsbehörde jede in Artikel 6 Absatz III des vorliegenden Gesetzes
genannte Person oder die in ebendiesem Artikel 6 Absatz I Ziffer 2 genannten Personen
auffordern, die Inhalte zu entfernen, die gegen die genannten Artikel 421-2-5 und 227-23
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verstoßen. Gleichzeitig setzt sie die in Artikel 6 Absatz I Ziffer 1 des vorliegenden Gesetzes
genannten Personen in Kenntnis.
Werden die Inhalte nicht innerhalb von 24 Stunden entfernt, kann die Verwaltungsbehörde
den in dieser Ziffer 1 genannten Personen eine Auflistung der elektronischen Adressen der
öffentlichen Online-Kommunikationsdienste übermitteln, die gegen die genannten
Artikel 421-2-5 und 227-23 verstoßen. Diese Personen müssen anschließend umgehend den
Zugang zu diesen Adressen unterbinden. Stellt die in Artikel 6 Absatz III genannte Person die
ebendort genannten Daten jedoch nicht zur Verfügung, kann die Verwaltungsbehörde die im
ersten Satz dieses Abschnitts genannte Übermittlung ohne vorherige Aufforderung gemäß
Abschnitt 1 Satz 1 dieses Artikels, die Inhalte zu entfernen, vornehmen.
Die Verwaltungsbehörde übermittelt die im ersten Unterabsatz genannten Aufforderungen
sowie die im zweiten Unterabsatz genannte Auflistung einer qualifizierten Persönlichkeit, die
aus den Reihen der Nationalen Kommission für Informatik und Freiheiten für die Dauer ihres
Mandats in dieser Kommission benannt wird. Es darf sich dabei nicht um eine der in
Artikel 13 Absatz I Ziffer 1 des Gesetzes Nr. 78-17 vom 6. Januar 1978 (Loi relative à
l'informatique, aux fichiers et aux libertés – Gesetz über Informatik, Dateien und Freiheiten)
aufgeführten Personen handeln. Die qualifizierte Persönlichkeit überprüft, ob die
Aufforderungen zur Entfernung und die Bedingungen für die Erstellung, Aktualisierung,
Übermittlung und Verwendung der Auflistung ordnungsgemäß sind. Stellt sie eine
Unregelmäßigkeit fest, kann sie jederzeit der Verwaltungsbehörde nahelegen, diese zu
beheben. Falls die Verwaltungsbehörde dieser Empfehlung nicht nachkommt, kann die
qualifizierte Persönlichkeit im Zuge eines beschleunigten Verfahrens oder einer Klage das
zuständige Verwaltungsgericht damit befassen.
Des Weiteren kann die Verwaltungsbehörde die elektronischen Adressen, deren Inhalte gegen
die Artikel 421-2-5 und 227-23 des Strafgesetzbuchs verstoßen, den Suchmaschinen oder
Verzeichnissen melden, die alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die Verweise auf
den öffentlichen Online-Kommunikationsdienst zu entfernen. Es gilt das Verfahren gemäß
Absatz 3 dieses Artikels.
Die in Absatz 3 genannte qualifizierte Persönlichkeit veröffentlicht jährlich einen
Tätigkeitsbericht über die Umstände der Ausübung und die Ergebnisse ihrer Tätigkeit, in dem
insbesondere die Anzahl der Aufforderungen zur Entfernung, die Anzahl der entfernten
Inhalte, die Entfernungsgründe und die Anzahl der Empfehlungen an die Verwaltungsbehörde
aufgeführt sind. Dieser Bericht wird der Regierung und dem Parlament übermittelt.
Die Modalitäten der Anwendung dieses Artikels werden per Erlass festgelegt, insbesondere
was ggf. den Ausgleich der gerechtfertigten Mehrkosten betrifft, die aufgrund der den
Betreibern auferlegten Pflichten entstanden sind.
Verstöße gegen die Verpflichtungen gemäß diesem Artikel werden mit den Strafen gemäß
Artikel 6 Absatz VI Ziffer 1 dieses Gesetzes geahndet.“
III.
HINTERGRUND/BEGRÜNDUNG
Gemäß den Artikeln 227-24, 227-29 und 227-31 des französischen Strafgesetzbuchs, denen
zufolge die Verbreitung von Bildern mit Gewaltdarstellungen, die die Menschenwürde
verletzen, einen Straftatbestand darstellt und zu ahnden ist, haben die französischen
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Justizbehörden beantragt, dass die Aufhebung der Immunität von Marine Le Pen, Mitglied
des Europäischen Parlaments und Vorsitzende des FN, aufgehoben wird, nachdem nach
einem Interview auf dem Radiosender RMC, in dem der Aufstieg des FN mit den Handlungen
der terroristischen Gruppierung IS verglichen wurde, am 16. Dezember 2015 auf Marine Le
Pens Twitter-Konto drei Bilder veröffentlicht worden waren, auf denen die Hinrichtung von
drei Geiseln der terroristischen Gruppierung IS zu sehen war, verbunden mit dem
Kommentar: „Daesh c'est ÇA !“ (DAS ist der IS!).
Auch wenn die von Marine Le Pen veröffentlichten Bilder über die Suchmaschine Google für
jeden zugänglich sind und nach ihrer ersten Verbreitung im Internet vielfach wieder
aufgegriffen wurden, lässt sich insbesondere nicht leugnen, dass es sich um
Gewaltdarstellungen handelt, die die Menschenwürde verletzen, womit ihre Veröffentlichung
einen Straftatbestand darstellt.
Darüber hinaus bezieht sich Artikel 6-1 des französischen Gesetzes Nr. 2004-575 vom
21. Juni 2004 (Loi pour la Confiance dans l'Économie Numérique – Gesetz für das Vertrauen
in die digitale Wirtschaft), dem zufolge kein Strafverfahren gegen Dienstleister der
Informationsgesellschaft eingeleitet wird, falls die Bilder mit Gewaltdarstellungen innerhalb
von 24 Stunden nach der Mitteilung durch die zuständige Behörde, dass sie entfernt werden
müssen, tatsächlich entfernt wurden, ausschließlich auf die Tätigkeiten der Dienstleister der
Informationsgesellschaft, nicht auf private Tätigkeiten bzw. Tätigkeiten von Einzelpersonen,
wie es hier der Fall ist. In diesem Zusammenhang sei noch betont, dass Marine Le Pen nur
das Bild der Hinrichtung der Geisel James Foley entfernt hat, die anderen beiden Bilder
jedoch nicht.
Schließlich entspricht der Zeitplan des Verfahrens gegen Marine Le Pen dem üblichen
Zeitplan von Verfahren gegen die Presse und andere Kommunikationsmittel. Daher ist der
Verdacht eines Falls von fumus persecutionis, d. h. einer Situation, in der Indizien zufolge
oder dem Anschein nach eine feindliche Gesinnung gegen die betroffene Person vorliegt,
unbegründet.
IV.
SCHLUSSANTRÄGE
Auf der Grundlage des Vorstehenden und gemäß Artikel 9 der Geschäftsordnung empfiehlt
der Rechtsausschuss nach Prüfung der Gründe, die für bzw. gegen die Aufhebung der
Immunität des Mitglieds des Parlaments sprechen, dass das Europäische Parlament die
parlamentarische Immunität von Marine Le Pen aufhebt.
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Datum der Annahme
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Ergebnis der Schlussabstimmung
+:
–:
0:
Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung
anwesende Mitglieder
Joëlle Bergeron, Marie-Christine Boutonnet, Jean-Marie Cavada,
Kostas Chrysogonos, Therese Comodini Cachia, Mady Delvaux, Laura
Ferrara, Sylvia-Yvonne Kaufmann, Gilles Lebreton, António Marinho e
Pinto, Jiří Maštálka, Emil Radev, Evelyn Regner, Pavel Svoboda, Axel
Voss, Tadeusz Zwiefka
Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung
anwesende Stellvertreter
Pascal Durand, Evelyne Gebhardt, Heidi Hautala, Virginie Rozière,
Tiemo Wölken
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