Programmheft

KAMMER
KONZERT
FR 3. M ÄRZ, 20 UHR
FREIBURG, KONZERTHAUS
SA 4. M ÄRZ, 20 UHR
BADEN-BADEN, MUSEUM FRIEDER BURDA
SO 5. M ÄRZ, 16 UHR
STUT TGART, NEUES SCHLOSS
PROGRAMM
JÖRG WIDMANN
*1973
OKTETT FÜR KLARINETTE, FAGOTT, HORN,
STREICHQUARTETT UND KONTRABASS
1. Satz: Intrada
2. Satz: Menuetto
3. Satz: Lied ohne Worte
4. Satz: Intermezzo
5. Satz: Finale
· Pause ·
FRANZ SCHUBERT
1797 – 1828
OKTETT F-DUR, D 803 (OP. POST. 166)
1. Satz: Adagio – Allegro
2. Satz: Adagio
3. Satz: Allegro vivace – Trio
4. Satz: Thema. Andante (mit 7 Variationen)
5. Satz: Menuetto. Allegretto – Trio
6. Satz: Andante molto – Allegro
Sebastian Manz, Klarinette · Hanno Dönneweg, Fagott
Marc Noetzel, Horn · Natalie Chee, Phillip Roy, Violine
Jean-Eric Soucy, Viola · Frank-Michael Guthmann, Violoncello
Konstanze Brenner, Kontrabass
»Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele
zu befragen« – schrieb der (Musik-)Philosoph Theodor W. Adorno 1934
in seinem bedeutenden Schubert-Aufsatz – »unbildlich und real« falle
sie »in uns ein«. Jörg Widmann ist besonders vom unbildlichen Singen
und Wandern der Schubertschen Musik fasziniert. Er hat wiederholt
Musik geschrieben, die sich auf die Musikgeschichte bezieht, aber – wie
er betont –»nie im Sinne einer bloßen Musik über Musik«. Widmann
zitiert nicht, sondern er versucht der Essenz in seinem eigenen Erleben
nachzuspüren. Nicht nur einmal ist bei ihm Schubert der Bezugspunkt.
In seinem Oktett freilich, das 2004 als Auftragswerk für das Kammermusikfest »Spannungen: Musik im Kraftwerk Heimbach 2004« entstand
und im selben Jahr mit dem Komponisten als Klarinettisten uraufgeführt wurde, nimmt der Komponist tatsächlich auf Schuberts 180
Jahre zuvor entstandenes epochales Kammermusikwerk Bezug: »Die
direkten Anspielungen sind nicht so wichtig. Natürlich sind die Oktaven
am Beginn ein direkter Bezug zum Schubert-Oktett. Aber mir ging es
letztlich um anderes: einerseits um den Schubertschen Tonfall und den
emotionalen Gestus seiner Musik; andererseits um das, wohin mich
dieser Ausgangspunkt Schubert führt.« Der Intrada-Satz wird geprägt
von einem »Signal«, das auf verschiedenen Tonstufen und in verschiedener Harmonisierung vorgestellt wird und zunächst im Unisono erklingt.
Das Tempo wird allmählich gesteigert in einen schnellen Kopfsatz. Im
zweiten, sehr kurzen Menuetto spielt Widmann mit der Gattungstradition des Wiener Menuetts. Das Horn intoniert naiv ein Jagdthema. Im
Trio aber wird diese Musik »bitterböse« und die abschließende Reprise
des Anfangsthemas versteht der Komponist als »verlogenen Akt«. Der
dritte Satz ist in Jörg Widmanns Oktett eine dreifache Anspielung: Das
»Lied ohne Worte« bezieht sich natürlich sowohl auf Felix Mendelssohn
als auch auf Schubert und die quasi unendliche Melodie sowie auf seine
eigene Komposition, ›Lied für Orchester‹. Es ist der zentrale und längste
Satz des Werkes. Hier verwendet der Komponist auch mikrotonale Töne.
Melodien finden somit nicht wirklich zusammen. Die dramatische Steigerung ist atomisiert. Das Horn »geistert« oder »irrt« am Ende dieses
Satzes (voller tonaler Anspielungen) quasi improvisatorisch durch den
spartanisch ausgefüllten Klangraum. Nach einem kurzen Intermezzo
mit erzwungener Fröhlichkeit folgt attacca das Finale, ein dunkles (kontrapunktisch gearbeitetes) Nachtstück, das für Jörg Widmann eher ein
»Anti-Finale« ist. Während nämlich das klassische Finale immer eine
sich steigernde Beschleunigung im Sinne hat, lässt Widmann die Zeit
einfrieren. Wie Schubert auch, nimmt er hier am Anfang das Signal des
ersten Satzes wieder auf. Tonale Gesten scheinen wie im Nebel auf und
verschwinden. Am Ende verblasst die Musik schließlich schattenhaft.
Das Oktett F-Dur, D 803 (op. posth. 166) von Franz Schubert ist sein
längstes Kammermusikwerk. Mit seinen sechs Sätzen bezieht es sich
auf die Wiener Serenadentradition, besonders aber auf das damals
höchst populäre Septett Es-Dur op. 20 von Ludwig van Beethoven.
Sind bei letzterem noch je ein Instrument der Streicherfamilie, also
Streichtrio plus Kontrabass vertreten, erweitert Schubert sein Oktett
nicht nur numerisch um ein Instrument, sondern weitet es in gewisser Weise symphonisch, indem nämlich die Streicher quasi Repräsentanten eines vollständigen Streichorchesters sind. Den konzertanten
Zug der Violino primo aber hält Schubert bei. Ansonsten sind wie bei
Beethoven die Bläser identisch: zwei Holzbläser und das Horn (als das
die Orchestergruppen verbindende Blechblasinstrument). Wie Mozart
im Divertimento in Streichtriobesetzung KV 563 und Beethoven stellt
Schubert einen Sonatensatz an den Anfang und lässt dann auf dieses
erste Allegro fünf weitere Sätze folgen: Adagio, Scherzo mit Trio, dann,
als zweiten langsamen Satz, Variationen über ein eigenes Thema (aus
seinem Singspiel »Die Freunde von Salamanca«), ein zweites Menuett
und ein Finale. In der Zeit während der Komposition seines Oktetts ließ
er Ende März 1824 seinen Freund Leopold Kuppelwieser wissen, dass er
nur wenige Lieder geschrieben habe, »dagegen versuchte ich mich in
mehreren Instrumental-Sachen, denn […] überhaupt will ich mir auf diese
Art den Weg zur großen Sinfonie bahnen.« Der sinfonische Anspruch des
Komponisten lässt sich auch an den langsamen Einleitungen der Eck-
sätze ablesen. Das Oktett entstand im zeitlichen Umfeld zum Rosamunde-Quartett und zum Streichquartett »Der Tod und das Mädchen«. Den
Auftrag hatte Schubert wahrscheinlich von prominenter Stelle, nämlich
von Ferdinand Graf Troyer erhalten, der als Klarinettist mit seinen Musikern gern Beethovens Septett spielte und sich ein Schwesterwerk zu
diesem gewünscht haben soll. Wieder einmal war Schubert im Schaffensrausch oder, wie sein Malerfreund Moritz von Schwind es nannte,
»unmenschlich fleißig«. Dieser berichtet weiter: »Ein neues Quartett
wird Sonntags bei Zupanzik aufgeführt, der ganz begeistert ist und
besonders fleißig einstudiert haben soll. Jetzt schreibt er schon lang
an einem Oktett mit dem größten Eifer. Wenn man unter Tags zu ihm
kommt, sagt er grüß dich Gott, wie geht’s?? gut’, und schreibt weiter,
worauf man sich entfernt.« Nach der Privataufführung 1824 wohl im
Hause des Grafen Troyer sollte es noch drei Jahre bis zur öffentlichen
Aufführung in einer von Schuppanzighs Quartettmatineen im damaligen Gebäude des Wiener Musikvereins (»Zum roten Igel«) dauern. Die
Wiener Allgemeine Zeitung bemängelte die große Länge des Werkes und
bemerkte damals ansonsten nur, dass Schuberts Oktett »im Einklang mit
dem wohlbekannten Talent des Komponisten« stehe. Der Rezensent wird
das musikgeschichtliche Gewicht der Komposition damals nicht recht
bemerkt haben. Schubert bot das Werk übrigens vergeblich zwei renommierten Musikverlagen zur Veröffentlichung an. Erst 1853 erschien es im
Druck, und erst 1861 gab es, nach einer Pause von 34 Jahren, wieder eine
öffentliche Aufführung.
Changierend zwischen kammermusikalischen Farben, mit immer wechselnden Verbindungen zwischen Streichern und Bläsern und quasi
orchestralem Impetus, ist Schuberts Oktett ein Werk des Reichtums an
Ausdrucksmitteln, vom Kontrast bis zur Verschmelzung und subtilen
Anreicherung. Anfangs- und Schlusssatz stellen gleichsam signalhaft
und selbstbewusst den Ton F, unisono vorgetragen, ins Zentrum eines
Satzes, der gleichermaßen rhythmisch markant, lyrisch und expressiv
ist. Die punktierten (pulsierenden) Rhythmen der Violinen, der Viola und
des Cellos vom Anfang werden zum bestimmenden Element auch der
folgenden Sätze. Das aufsteigende Motiv der Adagio-Einleitung wird im
Allegro fortgeführt und erzeugt einen großen Bogen – oder begründet,
wie es Robert Schumann ausdrückte, eine der »himmlischen Längen« bei
Schubert. Dem klassisch gebauten ersten Satz folgt ein beseeltes, freies
Sich-Aussingen im 6/8-Takt (Adagio), innerhalb eines sich verdichtenden instrumentalen Gewebes. Neben das »Singen« tritt hier auch das
»Wandern« – wie es Jörg Widmann bei Schubert hervorgehoben hat – in
Erscheinung durch Tonwiederholungen, die später drängender werden
und in die zarte Lyrik einen dramatischen Tonfall bringen. Das (singende)
Individuum wird zum vom Schicksal Getriebenen, und umso dünner
wird das Eis, auf dem es geht. Eine Stimmung von Wehmut, unendlicher Traurigkeit entsteht, Schönheit ist zerbrechlich geworden, bedroht.
Sehnsucht nach anderen Zuständen wird Ton. Den beiden gewissermaßen symphonischen Sätzen folgen im Oktett leichtere, serenadenhafte
Sätze: Erdgebunden das Scherzo im Allegro vivace und versehen mit
einem behutsamen Trio. Das naiv anmutende Thema des folgenden
Satzes wird in sieben Variationen reizvoll ausgeleuchtet. In das anmutige Spiel mischt sich schon in der zweiten Variation mit den punktierten
Rhythmen ein energischer Ton. Aufgewühlt ist der Ton in der Variation V
(in Moll), ätherisch in Variation VI (in der entfernten Tonart As-Dur).
Wie ein Schattenspiel eines Tanzes wirkt das kleingliedrige Menuett mit
seinem wienerischen Trio. Hugo Wolf nannte den Beginn des Finalsatzes das »Grollen fernen Donners« mit bedrohlichem Basstremolo und
signalartigen Klangstößen. Ihm folgt ein fast enthusiastisch-fröhliches
Allegro. Aber wir ahnen: es ist eine trügerische Idylle und eine immer
wieder verzweifelte Lustigkeit. Kurz vor Schluss dann bricht tatsächlich
die gewittrige Stimmung des Beginns in die vordergründig ausgelassene
Stimmung ein. Offenkundig sind es diese Abgründe, die den Komponisten
und Klarinettisten Jörg Widmann an Schubert besonders faszinieren.
DAS NÄCHSTE KAMMERKONZERT
FR 31. M ÄRZ, 20 UHR
FREIBURG, KONZERTHAUS
SA 1. APRIL , 20 UHR
BADEN-BADEN, MUSEUM FRIEDER BURDA
SO 2. APRIL , 16 UHR
STUTTGART, NEUES SCHLOSS
ANTONÍN DVOŘÁK
Klavierquintett Nr. 2 A-Dur op. 81
LOWEN LIEBERMANN
Nocturne Nr. 8 op. 85 für Klavier solo
PETER TSCHAIKOWSKY
Streichsextett »Souvenir de Florence« d-Moll op. 70
TZIMON BARTO, KLAVIER
Rosbaud Quartett: Christian Ostertag und Phillip Roy, Violine
Johannes Lüthy, Viola · Frank-Michael Guthmann, Violoncello
Gabriele Turck und Gesa Jenne-Dönneweg, Violine
Ingrid Philippi und Christian Nas · Viola
Wolfgang Düthorn und Fionn Bockemühl · Violoncello
Burkhard Egdorf
KONZERTKARTEN: SWR CLASSIC SERVICE 07221 300100
KL ANGVIELFALT ERLEBEN · JEDERZEIT ONLINE
SWR WEB CONCERTS
SWRCLASSIC.DE