C-Teil adé Grenzen verschieben Dicht und

ISSN: 1863-4699
Im Fokus: Dynamische Dichtungen
C-Teil adé
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Automotive
Grenzen verschieben
Energietechnik
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Dicht und wirtschaftlich
TRIALOG DER DICHTUNGS- UND KLEBETECHNIK
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01-2010 | `8,50
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SCHIFFSBAU
»1 Das Gummimännchen als Ausgangsidee
»2 Das modifizierte „Gummimännchen“
»3 Die neue Dichtungsgeometrie
Nicht alltäglich
Außergewöhnliche Dichtungsentwicklung – ein Projektbericht
STATISCHE DICHTUNGEN – Bei der Entwicklung eines Dichtungskonzeptes für
Schiffsschotten war eine Vielzahl von Hürden zu nehmen. Dabei konnte die ursprünglich vom Schiffsbauer konzipierte Dichtung
die Anforderungen nicht erfüllen – zumal
während des Projektes die Rahmenparameter geändert wurden. Sie war aber eine
gute Basis für die letztliche Lösung.
Ein absolut dichtes Schott ist Voraussetzung,
um im Fall einer Havarie das eingedrungene Wasser in der betroffenen Abteilung
zurückzuhalten und somit einer kompletten
Flutung des Rumpfs entgegenzuwirken.
Durchgänge in den Trennwänden der Schotten werden mit Luken verschlossen – eine
potenzielle Schwachstelle. So war auch der
Auftrag, den Van Dam erteilte, klar definiert:
Eine in jeder Situation absolut zuverlässige
Dichtung für solche Luken zu entwickeln.
Schwierige Rahmenbedingungen
Die primäre Vorgabe war, die Schotttüren
wasserdicht zu machen. Hinzu kam eine
weitere Forderung. Das Schott musste gasdicht sein. Auf den ersten Blick ließ die Aufgabe keine besonderen Herausforderungen
erkennen. Im konkreten Fall aber machten
spezielle Umstände die Sache komplizierter
als ursprünglich angenommen. Vor allem
die Dichtungen waren von diesen besonderen Gegebenheiten betroffen. So handelte
es sich bei der Schleuse, für die die Dichtungen entwickelt werden sollten, um eine
Schiebetür. Um das Schott zu schließen,
wird die Türe in den dafür konstruierten
Rahmen geschoben. Innerhalb dieses Rahmens ist eine genau definierte horizontale
Toleranz vorgesehen. Diese Toleranz muss
von der Dichtung ausgeglichen werden.
Darüber hinaus sollte die Dichtung nur einseitig angebracht werden und trotz der bestehenden horizontalen Toleranz völlige
Dichtheit gewährleisten – unabhängig davon, auf welcher Seite des Schotts der
Wasserdruck entsteht. Entscheidend für
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die Wirksamkeit der Dichtung war aufgrund
der besonderen Ausgangssituation die Dichtungsgeometrie. Hier mussten ganz neue
konstruktive Wege eingeschlagen werden.
Ein „Gummimännchen“ als Grundidee
Hinsichtlich der Dichtungsauslegung hatte
sich der Auftraggeber bereits Gedanken gemacht. Es gab einen Vorentwurf, der nun
gründlich auf den „Prüfstand“ gestellt werden sollte. Der Entwurf war in seiner Form
einem „Gummimännchen“ nicht unähnlich
»1. Ein an der Schotttüre befestigtes Stahlprofil dient der Befestigung der Dichtung.
Die Basis der Dichtung, in der sich ein Loch
befindet, wird vollständig von dem Stahlprofil aufgenommen. Die Dichtung wird so fest
mit der Schotttüre verbunden. Unmittelbar
oberhalb des Profils strecken sich zwei
Arme in einem schrägen Aufwärtswinkel
zur Seite. Das Bild des „Männchens“ wird
durch einen „Kopf“, der sich zwischen den
Armen befindet, abgerundet. Beim Schließen
gleitet die Türe in den Rahmen und auf
den Kopf wird automatisch Druck ausgeübt.
Auf Grund dieser Geometrie führt das Induzieren des Drucks dazu, dass sich die
Arme des „Männchens“ heben und einen
Kontakt mit der Gegenfläche – dem Rahmen – herstellen. Die Arme fungieren auf
diese Weise als Dichtlippen. Ein eigens für
diese Aufgabe ins Leben gerufenes Entwicklungsteam begann damit, die Leistungsfähigkeit des „Männchens“ auf „Herz und
Nieren“ zu prüfen. Vorab galt es, die Materialeigenschaften der vorgesehenen Gummimischung – ein spezieller EPDM-Compound
mit 75 Shore A Ausgangshärte – zu definieren. Da Elastomere ein hochgradig nicht
lineares Deformationsverhalten haben, mussten zunächst durch Verformungstests nicht
lineare Materialparameter ermittelt werden.
Die Shorehärte ist für eine genaue Beschreibung des mechanischen Materialverhaltens
von Elastomeren ein viel zu grobes Maß. In
einer Reihe von Versuchen, in denen die
auf den Werkstoff einwirkenden Zug- und
Druckbelastungen variiert wurden, konnten
die entsprechenden Werte ermittelt werden.
Die Ergebnisse der Tests lieferten die Grundlage für die weiteren Entwicklungsschritte.
Bereits das Material zeigte ein hochgradig
nicht lineares Verhalten. Tritt das Elastomer
nun in Interaktion mit weiteren Einflussparametern, wie z.B. der Dichtungsgeometrie,
wird die präzise Vorhersagbarkeit des Verformungsverhaltens einer Dichtung noch
wesentlich diffiziler. Um die finiten Deformationen – um solche handelt es sich bei
den hochgradig nicht linearen Verformungen von Elastomeren – exakt und realitätsnah abbilden zu können, bediente man
sich der numerischen Simulation, basierend auf der Finite Elemente Methode.
Nach einer Reihe von Simulationen konnte
das komplexe Zusammenwirken von Materialparametern und großen Dehnungen bzw.
Verzerrungen präzise abgebildet werden
und führte zu einem klaren Ergebnis – der
„Gummimann“ hatte die Tests nicht bestanden.
Zwar erwies sich die Ausgangsidee als durchaus sinnvoll, der erste Entwurf war aber
nicht geeignet, die Vorgaben uneingeschränkt
zu erfüllen. Mithilfe weiterer Tests und
Simulationen konnten die Eigenschaften
des ursprünglichen „Gummimännchens“
Schritt für Schritt an die geforderte Performance herangeführt werden, bis schließlich
die optimale Abstimmung von Material und
Dichtungsgeometrie abgebildet werden konnte »2. Trotz der „stämmigeren“ Arme und
des abgeflachten „Kopfes“ lässt sich auch
noch in der endgültigen Dichtungsvariante
das Grundprinzip des „Gummimännchens“
erkennen – wenn auch in deutlich abstrakterer Form.
Die Einsatzparameter ändern sich
Unmittelbar nach dem erfolgreichen Abschluss der Analysen und der auf Basis der
gewonnenen Daten optimalen Auslegung
des Dichtungsprofils ergab sich eine neue
SCHIFFSBAU
»4 Funktionsweise der neuen Dichtung
Ausgangssituation: Das Pflichtenheft des Auftraggebers musste aufgrund geänderter
Gegebenheiten korrigiert werden. Kern der
Änderung war, dass die horizontale Toleranz
der Türe innerhalb des Rahmens aus konstruktionstechnischen Gründen nun erweitert werden musste, und zwar immerhin um
11 mm. So perfekt das modifizierte „Gummimännchen“ auf die ursprünglichen Anwendungsparameter auch ausgelegt war,
die veränderten Anforderungen – eine zusätzliche Toleranz von 11 mm auszugleichen –
konnten von dem bereits vollständig entwickelten Dichtungsprofil nicht mehr erfüllt
werden. Der alte Ansatz wurde neu evaluiert, mit dem Ergebnis, dass eine vollkommen andere Dichtungsgeometrie entworfen
werden musste.
»5 Simulation: Wasserdruck von außen bzw. von innen
nächst von der Gegenseite entfernt, galt es,
einen Weg zu finden, die Dichtlippe dennoch an ihr Gegenstück, den Rahmen, zu
pressen, damit sie die geforderte Dichtfunktion erfüllt. Welche Dichtungsgeometrie war in der Lage, diese „Doppelfunktion“
zu meistern? Die Lösung zeigt »3. Die Dichtung wird mittels eines Stahlprofils auf die
Schiebetüre aufgeschraubt. Dabei muss die
kritische Anschlussstelle zur Türe abgedichtet werden. Ein genau vordefinierter
Anpressdruck ermöglicht es, dass die Dichtung neben ihrer Hauptfunktion eine kleine, aber wichtige Nebenrolle spielt. Sie fungiert als Flachdichtung zwischen Türe und
Stahlprofil. Weiterhin ist zu berücksichtigen,
dass die Dichtung nach dem Aufschrauben
an der Türe anliegt – was durch eine präzise Vorspannung erreicht wird.
Wieder eine neue Dichtungsgeometrie
Da die Dichtung lediglich auf einer Seite der
Schotttüre angebracht werden sollte, galt
es, einen entscheidenden Punkt zu berücksichtigen – die Dichtung musste gewissermaßen eine Doppelfunktion erfüllen. Die
grundsätzliche Überlegung war, dass es
zwei vollkommen unterschiedliche Ausgangssituationen gibt. Je nachdem auf welcher
Seite des Schotts der Wassereinbruch erfolgt, wirkt der Wasserdruck entweder von
innen oder von außen. Findet der Wassereinbruch auf der Seite des Schotts statt, an
der keine Dichtung angebracht ist, wird die
Dichtung aufgrund des auftretenden Wasserdrucks gegen den Rahmen, in dem sie
gefasst ist, gepresst. Die Dichtlippe schließt
automatisch und erfüllt auf diese Weise ihre
Funktion. Das ist ein durchaus geläufiges
Szenario.
Entsteht der Wasserdruck hingegen auf derjenigen Seite der Türe, auf der das Dichtungsprofil montiert ist, entfernt sich die
Dichtung vom Rahmen, da die Schiebetüre
wegen der bestehenden horizontalen Toleranz auf die Gegenseite des Rahmens gepresst wird. Obwohl sich die Dichtung zu-
Neben der Aufgabe die Dichtung an der
Türe zu befestigen, erfüllt das Stahlprofil
eine zweite Funktion. Es dient als mechanischer Anschlag auf der Gegenseite, um
zu verhindern, dass die Dichtung gequetscht
wird, wenn der Wasserdruck die Schotttüre
gegen den Rahmen presst. Eine optimale
Dichtwirkung wird so bei der ersten der
beiden möglichen Ausgangssituationen gewährleistet – nämlich bei einem Wassereinbruch auf der von der Dichtung abgewandten Seite des Schotts.
Tritt hingegen der Wasserdruck auf der anderen Seite des Schotts auf, wird die Dichtung hinterspült. Da nun durch das Wasser
ein mechanischer Druck auf die Dichtung
ausgeübt wird, klappt sie unmittelbar an der
Kante des Stahlprofils nach vorne und die
Dichtlippe legt sich am Rahmen an. Dadurch wird die horizontale Toleranz ausgeglichen – die Dichtlippe schließt und die
Dichtung ist voll funktionsfähig. Um das
Elastomer einer möglichst geringen mechanischen Belastung auszusetzen, müssen
die Kanten des Stahlprofils abgerundet sein.
Die Funktionsweise der Dichtung veranschaulicht »4.
Eine Hochleistungsdichtung entsteht
Nachdem die grundsätzliche Dichtungsgeometrie unter Dach und Fach gebracht war,
musste die Auslegung verfeinert werden.
Erneut wurde mit einer Reihe von Simulationen präzise berechnet, welche Auslegung
beide Funktionen der Dichtung auf optimale Weise integrieren konnte »5. Es musste
vor allem dafür Sorge getragen werden,
dass die Dichtung einerseits die nötige Flexibilität besitzt, um die Distanz zum gegenüberliegenden Rahmen zu überbrücken,
wenn sie vom Wasser hinterspült wird. Andererseits muss sie aber die nötige Spannung aufweisen, um dem Wasserdruck
standzuhalten, der auf sie einwirkt, wenn
die Dichtlippe dann am Rahmen anliegt.
Das Ergebnis der Entwicklungsarbeit ist ein
in jeder Hinsicht funktionierendes Konzept,
das in allen Teilbereichen die gewünschte
Performance liefert.
FAKTEN FÜR KONSTRUKTEURE
• Die Shorehärte ist für eine genaue
Beschreibung des mechanischen
Materialverhaltens von Elastomeren
ein viel zu grobes Maß
• Umfangreiche Simulationen, basierend auf der Finite Elemente
Methode, unterstützten die Dichtungsentwicklung
Angst+Pfister Group
www.angst-pfister.com
von Dr.-Ing. Robert Eberlein, Chief
Technology Officer und Sunitha Balakrishnan, Public Relations Manager
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