ISSN: 1863-4699 Im Fokus: Dynamische Dichtungen C-Teil adé 12 Automotive Grenzen verschieben Energietechnik 20 Dicht und wirtschaftlich TRIALOG DER DICHTUNGS- UND KLEBETECHNIK 32 01-2010 | `8,50 26 | SCHIFFSBAU »1 Das Gummimännchen als Ausgangsidee »2 Das modifizierte „Gummimännchen“ »3 Die neue Dichtungsgeometrie Nicht alltäglich Außergewöhnliche Dichtungsentwicklung – ein Projektbericht STATISCHE DICHTUNGEN – Bei der Entwicklung eines Dichtungskonzeptes für Schiffsschotten war eine Vielzahl von Hürden zu nehmen. Dabei konnte die ursprünglich vom Schiffsbauer konzipierte Dichtung die Anforderungen nicht erfüllen – zumal während des Projektes die Rahmenparameter geändert wurden. Sie war aber eine gute Basis für die letztliche Lösung. Ein absolut dichtes Schott ist Voraussetzung, um im Fall einer Havarie das eingedrungene Wasser in der betroffenen Abteilung zurückzuhalten und somit einer kompletten Flutung des Rumpfs entgegenzuwirken. Durchgänge in den Trennwänden der Schotten werden mit Luken verschlossen – eine potenzielle Schwachstelle. So war auch der Auftrag, den Van Dam erteilte, klar definiert: Eine in jeder Situation absolut zuverlässige Dichtung für solche Luken zu entwickeln. Schwierige Rahmenbedingungen Die primäre Vorgabe war, die Schotttüren wasserdicht zu machen. Hinzu kam eine weitere Forderung. Das Schott musste gasdicht sein. Auf den ersten Blick ließ die Aufgabe keine besonderen Herausforderungen erkennen. Im konkreten Fall aber machten spezielle Umstände die Sache komplizierter als ursprünglich angenommen. Vor allem die Dichtungen waren von diesen besonderen Gegebenheiten betroffen. So handelte es sich bei der Schleuse, für die die Dichtungen entwickelt werden sollten, um eine Schiebetür. Um das Schott zu schließen, wird die Türe in den dafür konstruierten Rahmen geschoben. Innerhalb dieses Rahmens ist eine genau definierte horizontale Toleranz vorgesehen. Diese Toleranz muss von der Dichtung ausgeglichen werden. Darüber hinaus sollte die Dichtung nur einseitig angebracht werden und trotz der bestehenden horizontalen Toleranz völlige Dichtheit gewährleisten – unabhängig davon, auf welcher Seite des Schotts der Wasserdruck entsteht. Entscheidend für 01 | 2010 die Wirksamkeit der Dichtung war aufgrund der besonderen Ausgangssituation die Dichtungsgeometrie. Hier mussten ganz neue konstruktive Wege eingeschlagen werden. Ein „Gummimännchen“ als Grundidee Hinsichtlich der Dichtungsauslegung hatte sich der Auftraggeber bereits Gedanken gemacht. Es gab einen Vorentwurf, der nun gründlich auf den „Prüfstand“ gestellt werden sollte. Der Entwurf war in seiner Form einem „Gummimännchen“ nicht unähnlich »1. Ein an der Schotttüre befestigtes Stahlprofil dient der Befestigung der Dichtung. Die Basis der Dichtung, in der sich ein Loch befindet, wird vollständig von dem Stahlprofil aufgenommen. Die Dichtung wird so fest mit der Schotttüre verbunden. Unmittelbar oberhalb des Profils strecken sich zwei Arme in einem schrägen Aufwärtswinkel zur Seite. Das Bild des „Männchens“ wird durch einen „Kopf“, der sich zwischen den Armen befindet, abgerundet. Beim Schließen gleitet die Türe in den Rahmen und auf den Kopf wird automatisch Druck ausgeübt. Auf Grund dieser Geometrie führt das Induzieren des Drucks dazu, dass sich die Arme des „Männchens“ heben und einen Kontakt mit der Gegenfläche – dem Rahmen – herstellen. Die Arme fungieren auf diese Weise als Dichtlippen. Ein eigens für diese Aufgabe ins Leben gerufenes Entwicklungsteam begann damit, die Leistungsfähigkeit des „Männchens“ auf „Herz und Nieren“ zu prüfen. Vorab galt es, die Materialeigenschaften der vorgesehenen Gummimischung – ein spezieller EPDM-Compound mit 75 Shore A Ausgangshärte – zu definieren. Da Elastomere ein hochgradig nicht lineares Deformationsverhalten haben, mussten zunächst durch Verformungstests nicht lineare Materialparameter ermittelt werden. Die Shorehärte ist für eine genaue Beschreibung des mechanischen Materialverhaltens von Elastomeren ein viel zu grobes Maß. In einer Reihe von Versuchen, in denen die auf den Werkstoff einwirkenden Zug- und Druckbelastungen variiert wurden, konnten die entsprechenden Werte ermittelt werden. Die Ergebnisse der Tests lieferten die Grundlage für die weiteren Entwicklungsschritte. Bereits das Material zeigte ein hochgradig nicht lineares Verhalten. Tritt das Elastomer nun in Interaktion mit weiteren Einflussparametern, wie z.B. der Dichtungsgeometrie, wird die präzise Vorhersagbarkeit des Verformungsverhaltens einer Dichtung noch wesentlich diffiziler. Um die finiten Deformationen – um solche handelt es sich bei den hochgradig nicht linearen Verformungen von Elastomeren – exakt und realitätsnah abbilden zu können, bediente man sich der numerischen Simulation, basierend auf der Finite Elemente Methode. Nach einer Reihe von Simulationen konnte das komplexe Zusammenwirken von Materialparametern und großen Dehnungen bzw. Verzerrungen präzise abgebildet werden und führte zu einem klaren Ergebnis – der „Gummimann“ hatte die Tests nicht bestanden. Zwar erwies sich die Ausgangsidee als durchaus sinnvoll, der erste Entwurf war aber nicht geeignet, die Vorgaben uneingeschränkt zu erfüllen. Mithilfe weiterer Tests und Simulationen konnten die Eigenschaften des ursprünglichen „Gummimännchens“ Schritt für Schritt an die geforderte Performance herangeführt werden, bis schließlich die optimale Abstimmung von Material und Dichtungsgeometrie abgebildet werden konnte »2. Trotz der „stämmigeren“ Arme und des abgeflachten „Kopfes“ lässt sich auch noch in der endgültigen Dichtungsvariante das Grundprinzip des „Gummimännchens“ erkennen – wenn auch in deutlich abstrakterer Form. Die Einsatzparameter ändern sich Unmittelbar nach dem erfolgreichen Abschluss der Analysen und der auf Basis der gewonnenen Daten optimalen Auslegung des Dichtungsprofils ergab sich eine neue SCHIFFSBAU »4 Funktionsweise der neuen Dichtung Ausgangssituation: Das Pflichtenheft des Auftraggebers musste aufgrund geänderter Gegebenheiten korrigiert werden. Kern der Änderung war, dass die horizontale Toleranz der Türe innerhalb des Rahmens aus konstruktionstechnischen Gründen nun erweitert werden musste, und zwar immerhin um 11 mm. So perfekt das modifizierte „Gummimännchen“ auf die ursprünglichen Anwendungsparameter auch ausgelegt war, die veränderten Anforderungen – eine zusätzliche Toleranz von 11 mm auszugleichen – konnten von dem bereits vollständig entwickelten Dichtungsprofil nicht mehr erfüllt werden. Der alte Ansatz wurde neu evaluiert, mit dem Ergebnis, dass eine vollkommen andere Dichtungsgeometrie entworfen werden musste. »5 Simulation: Wasserdruck von außen bzw. von innen nächst von der Gegenseite entfernt, galt es, einen Weg zu finden, die Dichtlippe dennoch an ihr Gegenstück, den Rahmen, zu pressen, damit sie die geforderte Dichtfunktion erfüllt. Welche Dichtungsgeometrie war in der Lage, diese „Doppelfunktion“ zu meistern? Die Lösung zeigt »3. Die Dichtung wird mittels eines Stahlprofils auf die Schiebetüre aufgeschraubt. Dabei muss die kritische Anschlussstelle zur Türe abgedichtet werden. Ein genau vordefinierter Anpressdruck ermöglicht es, dass die Dichtung neben ihrer Hauptfunktion eine kleine, aber wichtige Nebenrolle spielt. Sie fungiert als Flachdichtung zwischen Türe und Stahlprofil. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Dichtung nach dem Aufschrauben an der Türe anliegt – was durch eine präzise Vorspannung erreicht wird. Wieder eine neue Dichtungsgeometrie Da die Dichtung lediglich auf einer Seite der Schotttüre angebracht werden sollte, galt es, einen entscheidenden Punkt zu berücksichtigen – die Dichtung musste gewissermaßen eine Doppelfunktion erfüllen. Die grundsätzliche Überlegung war, dass es zwei vollkommen unterschiedliche Ausgangssituationen gibt. Je nachdem auf welcher Seite des Schotts der Wassereinbruch erfolgt, wirkt der Wasserdruck entweder von innen oder von außen. Findet der Wassereinbruch auf der Seite des Schotts statt, an der keine Dichtung angebracht ist, wird die Dichtung aufgrund des auftretenden Wasserdrucks gegen den Rahmen, in dem sie gefasst ist, gepresst. Die Dichtlippe schließt automatisch und erfüllt auf diese Weise ihre Funktion. Das ist ein durchaus geläufiges Szenario. Entsteht der Wasserdruck hingegen auf derjenigen Seite der Türe, auf der das Dichtungsprofil montiert ist, entfernt sich die Dichtung vom Rahmen, da die Schiebetüre wegen der bestehenden horizontalen Toleranz auf die Gegenseite des Rahmens gepresst wird. Obwohl sich die Dichtung zu- Neben der Aufgabe die Dichtung an der Türe zu befestigen, erfüllt das Stahlprofil eine zweite Funktion. Es dient als mechanischer Anschlag auf der Gegenseite, um zu verhindern, dass die Dichtung gequetscht wird, wenn der Wasserdruck die Schotttüre gegen den Rahmen presst. Eine optimale Dichtwirkung wird so bei der ersten der beiden möglichen Ausgangssituationen gewährleistet – nämlich bei einem Wassereinbruch auf der von der Dichtung abgewandten Seite des Schotts. Tritt hingegen der Wasserdruck auf der anderen Seite des Schotts auf, wird die Dichtung hinterspült. Da nun durch das Wasser ein mechanischer Druck auf die Dichtung ausgeübt wird, klappt sie unmittelbar an der Kante des Stahlprofils nach vorne und die Dichtlippe legt sich am Rahmen an. Dadurch wird die horizontale Toleranz ausgeglichen – die Dichtlippe schließt und die Dichtung ist voll funktionsfähig. Um das Elastomer einer möglichst geringen mechanischen Belastung auszusetzen, müssen die Kanten des Stahlprofils abgerundet sein. Die Funktionsweise der Dichtung veranschaulicht »4. Eine Hochleistungsdichtung entsteht Nachdem die grundsätzliche Dichtungsgeometrie unter Dach und Fach gebracht war, musste die Auslegung verfeinert werden. Erneut wurde mit einer Reihe von Simulationen präzise berechnet, welche Auslegung beide Funktionen der Dichtung auf optimale Weise integrieren konnte »5. Es musste vor allem dafür Sorge getragen werden, dass die Dichtung einerseits die nötige Flexibilität besitzt, um die Distanz zum gegenüberliegenden Rahmen zu überbrücken, wenn sie vom Wasser hinterspült wird. Andererseits muss sie aber die nötige Spannung aufweisen, um dem Wasserdruck standzuhalten, der auf sie einwirkt, wenn die Dichtlippe dann am Rahmen anliegt. Das Ergebnis der Entwicklungsarbeit ist ein in jeder Hinsicht funktionierendes Konzept, das in allen Teilbereichen die gewünschte Performance liefert. FAKTEN FÜR KONSTRUKTEURE • Die Shorehärte ist für eine genaue Beschreibung des mechanischen Materialverhaltens von Elastomeren ein viel zu grobes Maß • Umfangreiche Simulationen, basierend auf der Finite Elemente Methode, unterstützten die Dichtungsentwicklung Angst+Pfister Group www.angst-pfister.com von Dr.-Ing. Robert Eberlein, Chief Technology Officer und Sunitha Balakrishnan, Public Relations Manager 01 | 2010 | 27
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