Chance Praxis

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Chance Praxis
Das Fachmagazin für junge Zahnmediziner
„Dental 4.0, MVZ und Co.?“ Zur Zukunft der
zahnärztlichen Berufsausübung
Monia Geitz · Dienstag den 7. März 2017
Was bringt die immer weiter vorangetriebene Digitalisierung? Wie spielt das
bei der zunehmenden Zahl von Zahnärztinnen und den veränderten
politischen Rahmenbedingungen für die Praxen zusammen? Wie verändern
sich dadurch die Strukturen für die Berufsausübung – Stichwort MVZ? Und
welche Rolle spielen dabei Dental 4.0 und e-Health?
Die größten Vorteile in Bezug auf das MVZ sahen die Teilneher der Bonner Runde in der
Rubik „Digitalisierung und Dental 4.0“: digitale Abformung, DVT, Röntgen, Zahnersatz sowie
Datensicherung und Administration. Foto: Shutterstock/Wongwiwat Hema
Das analysierten, diskutierten und konkretisierten im Konstruktiv-Workshop Bonner
Runde Zahnärztinnen und Zahnärzte mit Einzelpraxen sowie Betreiber zahnärztlicher
MVZ mit Prof. Dr. Christoph Benz (BZÄK) und Thomas Bristle (KZBV) in der
DZW-Redaktion – unter der Moderation des Unternehmensberaters Rudolf Weiper,
der gemeinsam mit der DZW Initiator der Bonner Runde ist.
Nach einem Startvortrag von MVZ-Gesellschafter, -Geschäftsführer und
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Zahnarzt Dr. Dr. Ruben Stelzner zum Thema „Megatrends in der Zahnmedizin“
diskutierten die Teilnehmer die Aspekte der neuen Praxisstrukturen. Dabei klar
benannt wurde der langfristige Trend weg von der Einzelpraxis hin zu größeren
Strukturen – dazu zählt auch schon die Gemeinschaftspraxis, wobei jedoch die
Einzelpraxis immer noch die mit Abstand häufigste Praxisform ist. Als Vorteile für
MVZ wurden genannt, dass die Arbeit im Team zeitgemäßer ist für Zahnärzte, die
Teilzeit oder als Angestellte arbeiten wollen, wirtschaftlicher ist durch die mögliche
höhere Arbeitsteilung (weniger Verwaltungstätigkeit) und ein größeres
Behandlungsspektrum und Öffnungszeiten abdecken kann. Das kommt der
Motivation der jungen Zahnärztegeneration zugute: Sie wollen gemeinschaftlich
arbeiten, sich fachlich austauschen und ihre Zeit nicht mit Bürokratie und
Praxisführung verbringen, sondern sich auf die Zahnmedizin konzentrieren – ohne
Unternehmerrisiko, bei einem marktüblichen Gehalt.
In der Einzelpraxis ist der Zahnarzt Unternehmer und Praxismanager
Während die Einzelpraxis zwei Persönlichkeiten des Zahnarztes – die des Mediziners
sowie die des Unternehmers und Praxismanagers – fordert und immer häufiger zu
zeitlicher und fachlicher Überlastung und Burnout führt, verteilen sich diese
Anforderungen in größeren Strukturen auf mehrere Schultern. Das sei in Bezug auf
die zusätzlichen Anforderungen durch die zunehmende Digitalisierung und das
dafür erforderliche Engineering oft gar nicht anders machbar. Schließlich ist die
Zahnmedizin die Tätigkeit, die der Zahnarzt ausüben will – und „nicht BWL oder
Studieren von Bedienungsanleitungen des technischen Equipments“. Will man mit
der Digitalisierung Schritt halten, brauche es bald erst einen Technikmanager, dann
noch einen Personalmanager – „und schließlich eine größere Praxis!“, spitzte ein
Teilnehmer die Situation zu.
„Give peanuts – get monkeys“
Voraussetzung für jede Praxisform ist: Die zahnmedizinische Qualität muss
sichergestellt sein – auch in einem zahnärztlichen MVZ, da waren sich die
Teilnehmer einig. Hier müsse der Chef die Qualität erkennbar vorgeben, war
deren Empfehlung. Geschehe das und stimme das Gehalt der angestellten Zahnärzte,
so stimmten auch deren Motivation und Behandlungsqualität. Es gelte: „Give peanuts
– get monkeys“, wie in jedem anderen Unternehmen auch.
Als Vorteil der MVZ sahen deren Betreiber, dass sich aufgrund einer höheren
Geräteauslastung, besserer Fokussierung und Planbarkeit von Prozessen und
zentralisierter Administration niedrigere Kosten für die Patienten ergeben und
sich so auch weniger gut gestellte Schichten zahnmedizinisch höherwertige
zahnärztliche Behandlung leisten können, was der wirtschaftlichen Realität
entspreche. Die Einzelpraxis dagegen wende sich eher vermehrt an gut zahlende
Patienten.
Stichwort Versorgungsauftrag: Auch hier sei die Chance groß, dass durch
flächendeckende MVZ gerade in ländlichen Gebieten die Versorgungsstrukturen
aufrecht gehalten werden können. Auch die Förderung von Praxis-Netzwerken
oder Kooperationen von MVZ mit Einzelpraxen könnten sinnvoll sein, so zum
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Beispiel in Form von Satellitenkonzepten von städtischen MVZ mit TeilzeitAußenstellen auf dem Land. Möglicherweise eine – allerdings nach Kenntnis der
Teilnehmer noch nicht praktizierte – weitere Chance für die Landpraxis, denn die
müsse, so vor allem die Vertreter der Standesorganisationen, unbedingt wieder
attraktiver werden.
Alternativen zulassen, statt sie zu bekämpfen
Starken Gegenwind erfuhr die Argumentation pro MVZ seitens der Vertreter der
zahnärztlichen Berufsverbände. Ihre Befürchtung: Von den MVZ gehe eine
Kommerzialisierung des Berufsstands aus, die Freiberuflichkeit sei gefährdet, die
Großformen erhielten Vorteile zulasten der Einzelpraxis, die diese nicht kompensieren
könnten. Sie wiesen auf das Risiko von Preis- und nachfolgendem Lohndumping
durch die Möglichkeiten der höheren Arbeitsteilung bei Großen und Ketten und die
dadurch ebenfalls zunehmende Gefahr von Selektivverträgen mit Kassen hin, mit
denen man sich aus der Kollektivität des Berufsstands ausklinken könne und die den
Markt dann deutlich beeinflussen würden. Das würde den wirtschaftlichen
Spielraum von Einzelpraxen weiter einschränken. Die Gefahr, dass Finanzinvestoren
wie in den USA oder Großbritannien den Markt überrollen und finanzgesteuerte
Formationen unkontrolliert entstehen, werde dabei aber oft übersehen.
In dem Punkt stimmte die Pro-MVZ-Fraktion zu: „Die MVZ müssen gegründet werden,
aber sie müssen von uns gegründet werden“, fasste ein zahnärztlicher Unternehmer
zusammen. Reine Private-Equity-Gesellschaften und Finanzinvestoren lehnten
Standesvertreter, MVZ- und Einzelunternehmer einhellig ab. Das werde man
sorgfältig beobachten, so die Standesvertreter, und gegebenenfalls Gegenmaßnahmen
ergreifen müssen, denn das bisherige System funktioniere. Trotz aller konzidierten
Schwächen sei man in Deutschland schließlich mit diesem „Weltmeister der
Zahngesundheit“ geworden. Gerade deshalb sollten die MVZ nach Meinung aller
Praxisinhaber in der Runde unbedingt in die Standesorganisationen mit
eingebunden werden. Ohne die „Großen“ einschränken zu wollen, sollten aber
parallel auch die Überlebensmöglichkeiten für kleine Praxen verbessert werden. Nicht
zuletzt auch dadurch könnten Kostennachteile und damit die Preisrisiken aus
den MVZ für die Einzelpraxen vermindert werden.
„Es gibt keine Solidarität bei den Zahnärzten“
Initiativen der regionalen Standesorganisationen zur Entwicklung neuer
Kooperationsmöglichkeiten für Einzelpraxen bei Schlüsselthemen wie Personal
und Organisation wünschten sich die Teilnehmer, um „gleich lange Spieße zu
haben“. Dies könne die Unterstützung bei Rekrutierung von qualifiziertem Personal
(zum Beispiel Börsen), die Re-Integration von Personal nach Auszeiten, die Erhebung
von Gehaltsspiegeln oder Unterstützung bei der Aus- und Weiterbildung von
ZFA sein. Aber, so ein Insider: „Bei Zahlen und Angaben rund um Lohn- und andere
Kostenpositionen wird viel gelogen, um den eigenen Wettbewerbsvorteil nicht
preiszugeben“, daher hätten solche Erhebungen von Kennzahlen kaum Aussagekraft
für den Einzelnen. „Es gab und gibt da kaum Solidarität bei Zahnärzten.“
Überraschend übrigens: Laut ersten vorliegenden Zahlen haben 90 Prozent der
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jetzigen MVZ nicht mehr als vier angestellte Zahnärzte. Der Anteil der oft so
gefürchteten Großstrukturen liege nur bei 10 Prozent. Diese Zahl zeige, dass viele der
derzeit offiziell neu auftretenden MVZ nur eine „nachträgliche Begradigung der vielen
bereits lange bestehenden krummen Strukturen“ sei. Wenn die Situation so bleibe, sei
zum Beispiel die diskutierte Begrenzung der Zahl angestellter Zahnärzte auf fünf bis
sechs Behandler in den MVZ weitgehend wirkungslos.
Vorteile und neue Möglichkeiten von Dental 4.0
Die größten Vorteile in Bezug auf das MVZ sahen fast alle Teilnehmer klar in der
Rubik „Digitalisierung und Dental 4.0“ und den dadurch zu erwartenden
Investitionen und Belastungen. Das bedeutet digitale Abformung, DVT, Röntgen oder
mögliche Herstellung von Zahnersatz chairside. Eine durchschnittliche Einzelpraxis
müsse, um diese Geräte zu nutzen, erst einmal umgebaut werden, soweit das
überhaupt möglich sei. Hier sahen die Teilnehmer die MVZ und Großpraxen ganz klar
im Vorteil, da sie eher investieren können, durch die Vorteile höherer Arbeitsteilung
flexibler agieren und ihre Angestellten in effizienten Prozessen trainieren und steuern
können. Erkennbare Auswirkungen der Digitalisierung auf die Berufsausübung aller
Zahnärzte werden sich nach Ansicht der Teilnehmer durch einfachere
Datenaufbewahrung sowie bei der Administration und auch Online-Terminsystemen
ergeben. Hier waren die Vorteile der Digitalisierung unstrittig. So sei zum
Beispiel die Patientenakzeptanz hoch, Termine online zu buchen, und nach eigener
Erfahrung von Teilnehmern sei die Termintreue bei digital vereinbarten Terminen
sogar signifikant höher als bei konventioneller Terminvergabe – möglicherweise eine
Folge des Nudging beim Ankreuzen von Ausfallkosten. Auch in der
Patientenaufklärung und Diagnose würden sich bessere Möglichkeiten eröffnen, in der
Behandlung dagegen weniger.
Viel Geld für Bananen-Produkte – sie reifen beim Kunden
Die vorgängig zu stemmenden hohen Investitionen seien aber auch ein Grund für
das sinkende Interesse an Einrichtung und Übernahme von Einzelpraxen bei
Jüngeren. Das schrecke viele Praxisstarter ab, zumal auch die Banken heute vor dem
Gründungskredit schärfer auf die vorgelegten Businesspläne schauen würden. Diese
Startinvestitionen gelte es jedoch einmal zu hinterfragen, forderten erfolgreiche
Praktiker: So seien die steigenden Kosten einer Praxisübernahme oder -neueröffnung
zu einem guten Teil auch durch „exzessives Verkaufsgebaren von Industrie und
Handel“ bei den Investitionsgütern getrieben worden, „die sich nun aber beklagen,
dass es immer weniger Einzelpraxen gibt“, so ein Teilnehmer.
Was brauchen Praxisstarter wirklich?
Trotz Digitalisierungshype sollten Start-ups deshalb nüchtern hinterfragen, was sie
von dem großen Angebot wirklich benötigen, um als Zahnarzt erfolgreich und auf
einem zahnmedizinisch hohen Niveau zu starten. Vieles, das propagiert werde,
brauche es anfänglich gar nicht dafür oder könne bei sicherem Stand später folgen.
„Kritisch und spitz gerechnet“, so ein anderer Teilnehmer, der viele Erfolgspraxen
kennt, „kommt man auch heute noch mit 100.000 bis 150.000 Euro Investitionskosten
beim Praxisstart hin.“
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Neue Produkte: Zahnärzte wollen keine Beta-Tester sein
Verschärft werde diese Situation noch dadurch, dass die Lieferanten, gerade wenn es
um neue weitere Digitalisierung gehe, die Praxen als Beta-Tester nutzen und Produkte
oft erst während des Gebrauchs wirklich gebrauchsfähig würden, häufigere
Ausfallzeiten und Störung des Praxisablaufs beim Nachjustieren inbegriffen.
„Digitale Demenz: Ich versuche einzudämmen, was geht,“ so ein Teilnehmer. Und:
„Ich kann mir auch ein Auto mit 500 PS kaufen. Aber was nützt es mir bei einer
Geschwindigkeitsbegrenzung?“ Dieses Thema „Ausgereiftheit“ der Produkte wurde
sehr kritisch gesehen: „Ich habe schlechte Erfahrungen damit, sehr früh neue Technik
zu kaufen. Ich will kein Beta-Tester sein. Erst, wenn Geräte länger im Markt sind und
andere Kollegen kaufen, würde ich zur Anschaffung neigen,“ ergänzte ein anderer
Teilnehmer.
Die Einstellung entsprach fast wörtlich der ersten Zahnarztrunde zum Thema Dental
4.0, die ebenfalls als Basis der Arbeit in der Praxis „Digitus statt digital“
proklamierte und empfahl, von dieser Basis aus sehr vorsichtig mit dem
Investitionsbudget umzugehen und den Fokus auf folgende Kosten und Zeitaufwand
zu richten.
„Nur was den Praxen Nutzen bringt, wird sich durchsetzen“
„Die Digitalisierung einer Praxis schafft zuerst einmal viele neue Probleme.“ So
ergebe sich durch permanent notwendige Updates ein Dauerinvestment aus
Zeit und Geld. Sicher sei nur „die permanente Störung des Praxisablaufs durch
Industrie und Handel“, so ein Teilnehmer, denn die „haben das Thema nicht im Griff“.
„Überall muss permanent geschraubt und nachgekauft werden.“
Investitionen müssen betriebswirtschaftlich sinnvoll sein
Des Weiteren stelle sich ständig die Frage nach der Kompatibilität der Geräte und
der Schnittstellen. Erst bis 2025 erwarte man, dass sich total offene Systeme
etabliert hätten – früher nicht. Die digitale Praxis werde so also eher erst 2025 als
2020 zum Mainstream. Die Empfehlung der Teilnehmer hieß: im Moment so
zurückhaltend wie möglich investieren, denn „nur was den Praxen Nutzen bringt, wird
sich dort auch durchsetzen“. Jede Investition müsse betriebswirtschaftlich sinnvoll
sein sowie eine spürbare Leistungsverbesserung bringen. Und da gelte es erst einmal
abzuwarten. „Wenn die Vorteile durch Investitions- und Installationsnachteile
aufgehoben werden, entsteht kein Nutzen.“
Keine Angst vorm MVZ
Muss man also wirklich Angst haben vor den MVZ? Nicht, wenn man seine Praxis
zukunftsfähig gestaltet. Und damit ist nicht gemeint, alles zu besitzen, was geht,
sondern gezielt nur das zu nutzen, was einem auf seinem eigenen Praxisweg
weiterhilft. Und zum Umgang mit den neuen Formen empfahlen die anwesenden
Praxisinhaber offenen Dialog, also „nicht verhindern und dagegenstellen, aber
regulieren“ durch Einbezug der MVZ in die Standesorganisationen und gezielte
Unterstützung der Einzelpraxen.
Großstrukturen und Einzelpraxen können auch nebeneinander existieren
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„Ist meine Einzelpraxis noch der Weg der Zukunft? Ich werde nun definitiv mal
über andere Strukturen nachdenken“, „Unter den MVZ ist der Austausch von
Eckdaten und Informationen im Moment eigentlich sehr offen“, „Für die Generation Y
ist die Entscheidung über den Weg als Zahnarzt schon deutlich komplexer als früher“
und „Ball flach halten, denn es wird keinen Tsunami der MVZ geben“, so das Fazit der
Teilnehmer. Großstrukturen und Einzelpraxen können auch nebeneinander
existieren – die passenden Patienten gibt es für beide Praxisformen. Und – ach ja:
Dass Einzelpraxen bei Praxisabgabe übrigens oft nicht mehr verkäuflich sind, habe
nichts mit den MVZ zu tun, hieß es, sondern eher damit, dass der alte Behandler
schon lange aufgehört hat, in die Praxis zu investieren und sie zukunftsfähig zu
machen.
MG
Dieser Beitrag wurde publiziert am Dienstag den 7. März 2017 um 11:24
in der Kategorie: Praxisgründung.
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