Einfach glauben

Glaubenssachen
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Sonntag, 19. Februar 2017, 08.40 Uhr
Einfach glauben
Wenn Menschen wieder Wesentliches spüren wollen
Von Christian Modehn
Redaktion: Dr. Claus Röck
Norddeutscher Rundfunk
Religion und Gesellschaft
Rudolf-von-Bennigsen-Ufer 22
30169 Hannover
Tel.: 0511/988-2395
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1. Sprecher:
Meinen Schulfreund Karl hatte ich einige Jahre aus den Augen verloren. In einem Café
traf ich ihn kürzlich wieder. Mittlerweile ist er erfolgreicher Bauingenieur. Neben
seinem Espresso hatte er ein dickes Buch ausgebreitet, dem seine ganze
Aufmerksamkeit galt. Gleich nach der Begrüßung wollte Karl, typisch für ihn, das
„Allerneueste“ mitteilen: „Ich bin vor einem halben Jahr katholisch geworden, habe
mich taufen lassen“, berichtete er, „und nun lese ich ein Kompendium des ganzen
Glaubens“. Er zeigte mir, nicht ohne Stolz, sein Buch - den „Katechismus der
Katholischen Kirche“. Dies sei seine „Gebrauchsanweisung für den Glauben“; auf Seite
134 hatte er ein paar Zeilen unterstrichen:
2. Sprecher:
Die Erbsünde „ist eine Sünde, die durch Fortpflanzung an die ganze Menschheit
weitergeben wird. (...) Sie ist eine Sünde, die man ‚miterhalten‘, nicht aber begangen
hat, (sie ist) ein Zustand, keine Tat“.
1. Sprecher:
Ich muss gestehen, dass mir diese Zeilen einen leichten Schock versetzten. So soll es
also gewesen sein? Als sich meine Eltern liebten, „sich fortpflanzten“, wie es im
katholischen Katechismus recht prosaisch heißt, haben sie also die Erbsünde an mich
weitergegeben. Aber wurde uns denn nicht im Religionsunterricht eingeschärft:
Sündigen kann man nur in einer freien Entscheidung? Und nun gibt es eine Sünde als
Zustand? Ein Ungeborener soll bereits sündig sein? Ist ein Glaubenskompendium
hilfreich, wenn der Leser irritiert wird oder an der Lehre zweifelt?
Karl nahm mein Erstaunen gar nicht wahr. Voller Begeisterung erzählte er gleich
weiter, dass er bis zur Taufe ein ganzes Jahr lang an Glaubensunterweisungen
teilgenommen habe, Konvertiten–Unterricht genannt. Die gesamte katholische Lehre
hätte er noch gar nicht durchgearbeitet, wie er sagte. Aber mit diesem Katechismus
könne er sich ja selbst in alle Einzelheiten vertiefen. Im Vorwort zu seinem
„Glaubenskompendium“ hatte Papst Johannes Paul II. geschrieben:
2. Sprecher:
Dieser Katechismus „ist eine Darlegung des Glaubens der Kirche“ (...) Ich erkenne ihn
als gültiges und legitimes Werkzeug (...) an, ferner als sichere Norm für die Lehre des
Glaubens“.
1. Sprecher:
Und während mein Schulfreund Karl weiterplauderte, seine „Gebrauchsanweisung“
fest im Griff, fragte ich mich, wer denn eigentlich gern Gebrauchsanweisungen liest.
Und: Ist Glauben so schwer zu lernen und mühsam zu verstehen? Kann man nicht auch
„einfach glauben?“, ohne dickes Buch oder Lehrgebäude?
Alle christlichen Kirchen sind bestrebt, in umfangreichen Büchern den „ganzen
Glauben“ darzustellen. Auch die Reformatoren Luther und Calvin hatten den Ehrgeiz,
ihre protestantische Theologie einprägsam zu verbreiten, etwa im „Augsburger
Bekenntnis“ oder im „Heidelberger Katechismus“. Der Titel dieser klassischen
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Glaubensbücher bezieht sich auf das altgriechische Verb κατηχεῖν (sprich: kat – ech –
ein); es bedeutet wörtlich übersetzt „von oben herab tönen, ergötzen, bezaubern“.
Diese ursprüngliche Bedeutung hatten die Menschen im 8. Jahrhundert wohl längst
vergessen, als die ersten umfassenden Katechismen in den Klöstern geschrieben
wurden. Dabei ist die ursprüngliche griechische Wortbedeutung durchaus treffend:
Denn diese Lehrbücher wurden von oben herab, von Päpsten, Bischöfen und
Theologen den Laien, dem Volk, vorgesetzt, als geistliche Nahrung, wie es hieß. Ob die
Laien von diesen Büchern immer bezaubert oder gar ergötzt wurden, ist fraglich
angesichts der nüchternen, trockenen Theologensprache. Ich erinnere mich noch an
den Katechismus aus den fünfziger Jahren, der mit einer abstrakten Frage begann:
2. Sprecher:
Wozu sind wir auf Erden?
1. Sprecher:
Die Antwort konnte man gleich darunter lesen:
2. Sprecher:
Wir sind auf Erden, um Gott zu erkennen, ihn zu lieben, ihm zu dienen und einst ewig
bei ihm zu leben.
1. Sprecher:
Als Kinder mussten wir ganze Seiten dieses Frage- und Antwort- „Spiels“, wie wir
damals sagten, auswendig lernen. Der Katechismus umfasste 248 Fragen. Die letzte
Frage bewegte uns Kinder am meisten, denn sie erzeugte einen gewissen Schauer:
2. Sprecher:
Was wird am Jüngsten Tag mit der sichtbaren Welt geschehen?
1. Sprecher:
„Sie wird verwandelt und neu gestaltet werden“, riefen wir dann mutig dem Pfarrer zu.
Wer zehn weitere Fragen korrekt beantworten konnte, erhielt einen Bonbon. Dieser
Katechismus wurde damals auch in der DDR verbreitet. Viele der dortigen Atheisten
hat er wohl kaum zum Glauben bewegt. Denn dieses Buch setzte Gott schlicht und
einfach als real existierend voraus. Heute bieten Katechismen wenigstens Hinweise,
wo und wie denn die göttliche Wirklichkeit im Alltag des Lebens zu ahnen, zu spüren
und möglicherweise zu finden sei. Über alle Zeiten hinweg aber ist den Katechismen
eine Überzeugung gemeinsam:
2. Sprecher:
Der christliche Glaube ist ein Lehrsystem. Evangelische wie katholische Katechismen
beginnen auch heute noch, systematisch gegliedert, bei Gott selbst, bei „Gott Vater“.
Innerhalb der sogenannten Trinität, der Dreifaltigkeit, führen sie dann die Leser weiter
zu Jesus Christus, dem ewigen Logos, „das menschgewordene Wort Gottes“, und
schließlich zum Heiligen Geist; im Anschluss daran wird das Wesen der Kirche
abgehandelt.
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1. Sprecher:
Vom Himmel hoch kommend landet der Leser schließlich nach hunderten von Seiten
bei den irdischen, auch den ethischen Fragen. Der Evangelische Erwachsenenkatechismus aus dem Jahre 1977 breitet diese Lehre auf 1.356 Seiten aus. Die
aktuelle Ausgabe, als „Kursbuch des Glaubens“ angepriesen, umfasst nur noch 1.020
Seiten. Katholiken könnten da fast eifersüchtig werden; denn die römische Glaubensbehörde hat für ihren offiziellen Katechismus nur 816 Seiten zustande gebracht. Dabei
erscheint doch der katholische Glaube schon aufgrund der Heiligenverehrung, des
Papsttums und der sieben Sakramente sehr viel inhaltsreicher.
Wie auch immer: Diese Bücher hinterlassen den Eindruck: Ein Mensch ist erst dann ein
wahrer Christ, wenn er die 800 oder 1000 Seiten studiert, also diese „Gebrauchsanweisung“ durchgearbeitet hat, wie mein Schulfreund Karl betonte. Aber, wie gesagt,
wer liest schon gern Gebrauchsanweisungen? Natürlich kann es gelegentlich reizvoll
sein, bestimmte Phänomene der christlichen Lehre genauer kennenzulernen; etwa der
Frage nachzugehen, welche Rolle Christus, der Sohn Gottes, „der ewige Logos“, wie es
heißt, im Ganzen der himmlischen Dreifaltigkeit spielt. Im Katholischen Katechismus
aus dem Jahr 1993 heißt es dazu im Paragraphen 254:
2. Sprecher:
„Die Trinität ist eine. (...) Die drei göttlichen Personen beziehen sich aufeinander. Weil
die reale Verschiedenheit der Personen die göttliche Einheit nicht zerteilt, liegt sie
einzig in den gegenseitigen Beziehungen“.
1. Sprecher:
Solche Sätze pflegte mein Vater gern mit einem lauten „Aha“ zu kommentieren, um
dann sofort von etwas anderem zu sprechen, etwa von der Sozialpolitik. Ihn ärgerte
zudem, dass ein modernes Glaubensbuch, der so genannte Holländische Katechismus
aus dem Jahr 1966, verfasst in einer modernen Alltagssprache, von der offiziellen
Kirche abgelehnt und bekämpft wurde.
Weil Katechismen immer den Eindruck erwecken, der christliche Glaube sei eine Art in
sich geschlossener Weltanschauung, die auf alle grundlegenden, religiösen und
ethischen Fragen eine endgültige Antwort weiß, haben auch Theologen zu allen Zeiten
unter diesem „System–Christentum“ gelitten und Auswege aufgezeigt. Schon der
große Augustinus, selbst Verfasser zahlreicher voluminöser Glaubensbücher, erkannte
die Notwendigkeit, den Glauben „auf den Punkt“ zu bringen. Er schrieb den viel
zitierten lateinischen Satz:
2. Sprecher:
„Dílige et quod vis fac“. Wörtlich übersetzt: Liebe und tu, was du willst.“
1. Sprecher:
Als Augustinus diese Worte im Jahr 407 niederschieb, hatte er seine von erotischen
Liebesabenteuern geprägte Jugendphase längst hinter sich gelassen. Als Bischof von
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Hippo in Nordafrika, bezog er sich in seinem Spruch nicht auf den Eros, sondern auf
die Liebe als Caritas, auf die tätige Nächstenliebe. Ausführlich und ein wenig
paraphrasierend müsste man übersetzen:
2. Sprecher:
Übe dich in der Nächstenliebe, erst dann kannst du frei dein Leben gestalten.
1. Sprecher:
Erstaunlich, dass dieser viel gerühmte „Kirchenvater“ den Kern des Glaubens in einer
sehr praktischen Lebenshaltung sah. Darin folgte er den Weisungen der frühen Kirche.
Für den Apostel Paulus ist die Nächstenliebe das Höchste und alles Entscheidende.
Und der Verfasser des 1. Johannesbriefes schreibt:
2. Sprecher:
Wir Glaubende wissen, dass wir aus dem Tod in das Leben gekommen sind, weil wir
die Geschwister lieben. Wer nicht liebt, der bleibt im Tod, hat also mit Gott keine
Verbindung.
1. Sprecher:
Die frühe Kirche hatte auch Interesse, den inneren, den religiösen Kern des Glaubens,
die Theorie, wenn man so will, in wenigen Worten zusammenzufassen. Dabei hat sie
durchaus die unterschiedlich geprägten religiösen und kulturellen Milieus ernst
genommen. Gegen-über gebildeten sogenannten Heiden-Christen, vor allem den
Philosophen in Athen, betonte der Apostel Paulus:
2. Sprecher:
Gott ist nicht fern von einem jeden Menschen. Denn in Gott leben wir, in ihm bewegen
wir uns und sind wir. Tatsächlich, wir sind von göttlichem Geschlecht.
1. Sprecher:
Einer der bedeutenden katholischen Theologen des 20. Jahrhunderts, Karl Rahner, war
von den zahlreichen kurz gefassten Bekenntnissen der ersten Christen beeindruckt.
Sein Plädoyer: Wenn heute viele Christen den Wald vor Bäumen nicht mehr sehen, also
angesichts der Überfülle von Lehren und Dogmen das Wesentliche des Glaubens nicht
mehr wahrnehmen, dann sollten „Kurzformeln des Glaubens“ geschrieben werden,
prägnante Verse, die alles Entscheidende griffig sagen, ohne dabei zu oberflächlichen
Werbeslogans zu verkommen. Bei dieser Suche nach dem Wesen des Christentums
wusste sich Rahner verbunden mit einer breiten theologischen Tradition. So wollte
zum Beispiel der protestantische Theologe Adolf von Harnack, Professor an der
Berliner Humboldt Universität, das „Zentrum des Glaubens“ in den Mittelpunkt stellen.
Sein Buch „Das Wesen des Christentums“ erschien im Jahr 1900 und fand sehr viel
Aufmerksamkeit. Darin heißt es:
2. Sprecher:
Wesentlich ist der Glaube an Gott, den wir uns in etwa wie einen guten Vater vorstellen
können; wesentlich ist der unendliche Wert eines jeden Menschen und damit
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zusammenhängend die Nächstenliebe. Jesus lehrt uns, in diesem Geist die Welt
gerecht zu gestalten.
1. Sprecher:
Diese Erkenntnis bewegt bis heute viele Menschen, Fromme und weniger Fromme.
Und sie wissen sich dabei ganz eng mit dem Initiator des Christentums verbunden, mit
Jesus von Nazareth. Eigentlich sollte die ständige Bindung an die Lehren und
Weisungen Jesu für Christen selbstverständlich sein. Aber die hochkomplex
gewordene Kirchenlehre hat die Gestalt Jesu oft eher verdeckt als lebendig erscheinen
lassen. Wie viele Synodenbeschlüsse oder Enzykliken nehmen denn auf Jesus
ausdrücklich Bezug, auf die Bergpredigt zum Beispiel oder auf seine Mahnungen, nicht
zu herrschen und arm zu leben, sich nicht Meister nennen zu lassen, sondern der
Diener aller zu sein? Bezeichnenderweise haben alle großen Reformatoren, wie
Franziskus von Assisi oder Martin Luther, immer wieder Jesus als das kritische Gegenüber zu einer sich machtvoll gebärdenden Kirche eingeklagt. In diesem Sinne schreibt
der Theologieprofessor Gottfried Bachl aus Salzburg in seinem Buch „Der schwierige
Jesus“:
2. Sprecher:
Alle beachtenswerten Stimmen der Tradition laden mich ein, mich unmittelbar und
hautnah an Jesus zu halten, keine anderen Prinzipien gelten zu lassen. Woher sollte
man denn sonst auch wissen, dass man angesichts der bunten religiösen Vielfalt im
Christentum tatsächlich auf seinem, also auf Jesu Weg sich befindet?
1. Sprecher:
Allerdings: Eindeutige und historisch sichere Informationen über diesen Jesus von
Nazareth sind eher mühsam zu haben. Die vier Evangelien aus dem Neuen Testament
sind Predigten und Bekenntnisse, keine Lebensbeschreibungen; eine umfassende,
objektiv korrekte Biographie Jesu kann es aufgrund der Quellenlage nicht geben.
Dennoch gibt es keinen Zweifel, dass die entscheidende Mitte der Lehre Jesu,
sozusagen das „Unverwechselbare“, genau festgelegt werden kann.
2. Sprecher:
In seiner Bergpredigt lobt Jesus die Friedfertigen sowie die Menschen, die nach
Gerechtigkeit streben. Auch jene werden seliggepriesen, die barmherzig sind und
authentisch leben wollen, also ein „reines Herz“ haben. In anderen Erzählungen
empfiehlt Jesus nachdrücklich, niemals über andere Menschen zu richten, sondern
auch „den Balken im eigenen Auge zu sehen“. Er wendet sich mit aller Liebe den
Armen und Ausgestoßenen zu, integriert sie in die Gemeinschaft; er warnt vor aller
Scheinheiligkeit und mahnt die religiösen Führer, niemals zu herrschen, sondern zu
dienen. Allein auf das μετανοεῖν (sprich meta-no-ein), das Umdenken komme es an, auf
die Umstellung bisher üblicher Werte.
1. Sprecher:
Diese von Jesus inspirierte Lebensweisheit wird von Theologen heute gern der
„einfache Glaube“ genannt. Mit dem Wort „einfach“ möchten sie sich abgrenzen von
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allen komplizierten Glaubenslehren. Auch Philosophen sprechen jetzt nachdrücklich
davon, etwa der weltweit geschätzte Italiener Gianni Vattimo. Er setzt sich in seinem
Buch mit dem Titel „Glauben–Philosophieren“ von den ausgefeilten, manchmal
allwissend erscheinenden Traditionen des Christentums ab. Für ihn kommt es auf
einen im guten Sinne „reduzierten“, also einen bescheidenen Basis-Glauben an. Es ist
schon fast ein Trend, wenn Philosophen wie Theologen betonen:
2. Sprecher:
Menschen können authentisch und wahrhaftig glauben, wenn sie sich den Lebensweisheiten Jesu anschließen.
1. Sprecher:
Einfach, im Sinne von „schlicht“ oder „leicht realisierbar“, ist dieser elementare
Glaube nicht. Denn wer kann auf Dauer der Weisung folgen, immer wieder zu verzeihen? Wer kann seinen Geist so frei machen von Aggressionen, dass er selbst seinen
Feind lieben kann? Wer kann von sich sagen, dass er sein Herz nicht doch an den
schnöden Mammon, das Geld, bindet? Dieser einfache Glaube Jesu wirkt wie eine
dauernde Einladung, nicht stehen zu bleiben, nicht existentiell zu stagnieren, sondern
das Ziel menschlicher Reife anzustreben. Eine Herausforderung, die nur gelingen
kann, wenn sich die Menschen von einem tragenden Grund, von einer unendlichen
göttlichen Liebe, geborgen wissen. Der einfache Glaube kommt ohne Mystik nicht aus.
In der langen Geschichte der christlichen Mystik wurde dieser „bergende
Lebensgrund“ auch „göttlicher Funke“ im Menschen genannt, Meister Eckart sprach im
13. Jahrhundert davon, später Angelus Silesius, auch Philosophen wie Johann Gottlieb
Fichte. Dieser göttliche Bereich im Menschen ist die lebendige Quelle des
elementaren, des einfachen Glaubens. Wer dieses „göttlichen Bereichs“ inne werde,
der sei auf dem besten Weg, ein Glaubender zu werden, meinte z.B. Thomas Merton,
ein katholischer spiritueller Autor aus Amerika. Er war von dieser Idee ganz begeistert:
2. Sprecher:
Im innersten Kern unseres Wesens gibt es einen Punkt, klein wie ein Nichts, an den
Sünde und Illusion nicht zu rühren vermögen. Er ist der Punkt der lauteren Wahrheit.
Nie können wir über diesen göttlichen „Funken“ verfügen, er ist der Punkt der
Herrlichkeit Gottes in uns. Er ist in unser innerstes Wesen geschrieben. Er steckt in
jedem Menschen. Deswegen gibt es Milliarden solcher Lichtpunkte. Sie können
Dunkelheit und Grausamkeit des Lebens verscheuchen.
1. Sprecher:
Angesichts einer unübersichtlichen und vielfach bedrohten Welt suchen Menschen
nach festen Eckpunkten, nach einer elementaren Weisheit, die im praktischen Leben
wie auf der spirituellen Suche Orientierung zu geben vermag. Vor einigen Wochen
erschien in den Niederlanden ein Buch, das diesen Interessen entgegenkommt. Es
umfasst nur 140 Seiten. Kunstdrucke mit Werken von Caravaggio bis Chagall sollen zur
Meditation anregen. Anstelle von Belehrungen wird von menschlichen Tugenden
erzählt, etwa vom Mitgefühl, der Gerechtigkeit, der Annahme seiner selbst.
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„Katechismus des Mitgefühls“ heißt dieses Buch, das einige kleinere protestantische
Kirchen gemeinsam herausgegeben haben. Es hat im säkularisierten Holland sehr viel
Interesse gefunden. Die Autoren schreiben:
2. Sprecher:
Wer sich vom Mitgefühl für andere leiten lässt, erkennt auch sein eigenes Leben. Wer
sich in andere hineindenkt, wer die Unbekannten, die Fremden, lieben lernt: Erlebt die
ganze Weite der Schöpfung Gottes und lernt sie lieben. Dann kann der Glaube
beginnen, elementar und einfach. Dann kann Gott als eine mystische Kraft entdeckt
werden.
***
Literaturhinweise:
Gottfried Bachl, Der schwierige Jesus. Tyrolia Verlag, Innsbruck – Wien. 1996, 112 Seiten.
Catechismus van de compassie (Katechismus des Mitgefühls). Von Christiane Berkvens –Stevelinck und Ad Alblas,
Skandalon Verlag in Vught, Niederlande, mit einer DVD von Karen Amstrong. 140 Seiten, 2010.
Thomas Merton, Zeiten der Stille. Herder Verlag, 1992. 155 Seiten.
Albert Schweitzer, Das Christentum und die Weltreligionen. Becksche Reihe, München, 1992. 124 Seiten.
Gianni Vattimo, „Glauben, Philosophieren“. Reclam Verlag, Stuttgart, 1997. 121 Seiten .
Zum Autor:
Christian Modehn, Theologe und Journalist aus Berlin; http://religionsphilosophischer-salon.de/