Universitätsklinik für Infektiologie Infektiologische Herausforderungen durch die aktuelle Migration HYGIENE IN DER PFLEGE | KS AARAU | Februar 2017 Dr. C. Staehelin, Oberärztin FMH Innere Medizin, Infektiologie, Tropen- & Reisemedizin MIH (Master of Advanced Studies in International Health) Artikel aus der Schweiz: Felix Huber und Uwe Beise – «Migrationsmedizin» Praxis 2016; 105(20):1217-1220 Viele Autoren: «Infektionen bei erwachsenen Flüchtlingen – Empfehlungen für den klinischen Alltag» Schweizerisches Medizin Forum 2016;16(49–50):1067–1074 «Impfungen bei erwachsenen Flüchtlingen – das Wichtigste für die Praxis» Bernhard et al HiP | KSA | 2017 HiP | KSA | 2017 Verantwortungsebenen Wer? Was? HiP | KSA | 2017 Bundesebene Empfangs- und Verfahrenszentren Kantonsebene Zentrumsarzt +/- TB Referenzzentrum Hausarzt/ärztin Grenzsanitärische Massnahmen (GSM) Diagnose und Behandlung gemäss CH Gesundheits-Standards Grenzsanitarische Massnahmen Grenzsanitätsdienstliche Massnahmen (GSM) 1. Information in verschiedenen Sprachen zu o CH Gesundheitswesen (Hausarzt-Modell) o Anrecht auf Impfungen o HIV/AIDS Prävention 2. Kondomverteilung 3. TB screen HiP | KSA | 2017 Impfungen 5 häufigste Asyl Gesuchssteller-Länder in der Schweiz – 2015 Prozent der Bevölkerung mit Grundimmunisierung, gemäss UNICEF/WHO Kritische Durchimpfungsrate: • Masern >95% • Diphtherie 79 – 84% • Varizellen > 90% (*) • Polio > 84% * nicht sterilisierende Immunität HiP | KSA | 2017 WHO Ziele DTP3: > 90% Durchimpfung Masern und Röteln: … Elimination (CH!!) Polio: Elimination Mütterlicher und neonataler Tetanus: Elimination HIV HIV Test, wenn die erwartete Pävalenz im Herkunftsland > 0.5% = ganz sub-Sahara Afrika = MSM and ivDU aller Nationalitäten = jede Person, die sich mit einer Geschlechtskrankheit zeigt = Prostituierte aus Ost Europa (~10% Prävalenz!) HiP | KSA | 2017 BAG Bulletin 21, 2015 Beyrer, Lancet 2015 Tuberkulose www.tb-screen.ch Tibetisch Georgisch HiP | KSA | 2017 http://www.tbinfo.ch/fileadmin/user_upload/tbinfo.ch/Dienstleistungen/TB_Screen_D_12.05.15.pdf Der Score verteilt Punkte gemäss • Herkunftsland • Symptome • Persönliche und Familienanamnese • Subjektiver Eindruck des Interviewers beim TB Screen («kranker Aspekt»?) Score reicht on 0 – 26 (Herkunftsland allein schon 0-10) Score am besten validiert für pulmonale TB, nicht geeignet für Kinder Wenn Score ≥ 10 Röntgen Thorax und klinische Beurteilung obligatorisch. Wenn Symptome bestätigt Sputa HiP | KSA | 2017 HiP | KSA | 2017 TB Epidemiologie in der CH Gesamttrend immer noch rückläufig! ca. 10 neue Diagnosen / Woche 450-620 pro Jahr HiP | KSA | 2017 TB in der Schweiz | der längere Kontext HiP | KSA | 2017 BAG Bulletin vom 9.11.2015 Erstdiagnose der TB relativ zur Einreise in die CH 1/3 in den ersten 90 Tagen HiP | KSA | 2017 TB Handbuch der Schweiz Fall 1 35 J. ♂, Tibet «der halbe Klassiker» In der CH seit 6 Jahren, arbeitet als Kellner in Skiort Herbst 2015: Fieber seit 4 Wochen, leichter Husten, Brustschmerzen, kein Gewichtsverlust PA: TB Behandlung im Tibet für 6 Monate vor etlichen Jahren HiP | KSA | 2017 Mikrobiologie: Sputum und Bronchoskopie mit säure-festen Stäbchen. PCR zeigt Resistenz gegen Rifampicin MDR Tuberkulose Eine Woche nach Behandlungsbeginn bereits keine säure-festen Stäbchen. Behandlungs-Adhärenz perfekt. HiP | KSA | 2017 Fall 2, 24 J. ♀, Eritreerin, in der CH seit Ende 2015 - Verliess Eritrea 2014 - Sudan: TB-Behandlung (4 Pillen) für 6 Monate Ende März 2016: schwanger 27 2/7 Wochen (G1P0) - Gewichtsverlust - 6kg seit Schwangerschaftsbeginn, produktiver Husten seit 01/16 - Fieber bis 39°C, CRP 47 mg/L, Leuk 12 G/L - Fragl. Amnion Infektionssyndrom C/S 30.3.16: «Plazenta brüchig, Teile verbleiben im Plazentabett, zeigen sich als weisslich und nekrotisch Histologie» Disseminierte TB (Lunge, Plazenta, whschl. Milz), keine MDR! HiP | KSA | 2017 HiP | KSA | 2017 … und jenseits der GSM EPIDEMIOLOGIE o Herkunftsland • Horn von Afrika • Syrien / Afghanistan / Pakistan • West Afrika • Zentralasien / Osteuropa o Inkubationszeit relativ zur Reisedauer o Lokale CH Epidemiologie (Influenza! Varizellen!) o Krankheiten der «Enge» KLINISCHE PRÄSENTATION o Akut («europäisch») o Chronisch oder rezidivierend («vom Herkunftsland») HiP | KSA | 2017 Anzahl Diagnosen pro spez. Fachgebiet Derma DERMATOLOGIE (INKL. SCABIES/BETTWANZEN/LÄUSE) Infektiologie INFEKTIOLOGIE (INKL. HIV) Verletzungen VERLETZUNG / AKUTES TRAUMA 40 24 15 PSYCHIATRISCHE ERKRANKUNGEN (INKL. POSTTRAUMAT. STÖRUNGEN, SUCHT, PSYCHOSOZ. BELASTUNGEN) OPHTHALMOLOGIE Ophthalmologie unspezifisch abdominal 12 ABDOMINALE UNSPEZ. SY 9 GYNÄKOLOGIE (INKL. NEUE SCHWANGERSCHAFT, POSTPARTALE VERÄNDERUNGEN) 8 PNEUMOLOGIE 8 RHEUMATOLOGIE 7 ORL 7 NEUROLOGIE 6 UROLOGIE 6 GASTROENTEROLOGIE 6 ORTHOPÄDIE (OHNE TRAUMATA) Gynäkologie (incl. neue SS) 5 ENTWICKLUNGSSTÖRUNGEN / MISSBILDUNGEN / CEREBRALE BEHINDERUNGEN NACH GEBURT 4 KARDIOLOGIE / HYPERTONIE 4 ENDOKRINOLOG. / METABOL. STÖRUNGEN 2 MANGELERNÄHRUNG 2 NEPHROLOGIE 2 VISCERALCHIRURGIE 1 0 HiP | KSA | 2017 Psychiatrie 14 Daten und Slide von Dr. Hans Jakob Zehnder, Riggisberg, BE 5 10 15 20 25 30 35 40 45 548 total 175 in-patients 373 out-patients HiP | KSA | 2017 Alberer; Dtsch Med Wochenschr 2016;141:e8-e15 Fall 3 16 J. ♂ (UAM), Eritrea Fieber seit dem Vortag Juckreiz Kopfschmerz, generelles Unwohlsein bilaterale inguinale Schwellung Hautprobleme beider Beine Schwester und Bruder mit gleicher Hautaffektion verliess Eritrea vor 3 Monaten – Libyen – Italien – CH HiP | KSA | 2017 HiP | KSA | 2017 Haut: Skabies Ausstrich: P. ovale Malaria tertiana HiP | KSA | 2017 Skabies Spitalhygiene o Kontaktisolation im Spital o Zu Hause oder in der Asylunterkunft • Kleider, Bettzeug (Familie - Personen im gleichen Raum): 60° waschen oder In verschlossenem Plastiksack für 4 Tage auf Balkon lassen oder 24 h in Plastiksack in Gefriertruhe (Bsp. Plüschtiere) • Möbel nicht benutzen für (mind. 3) 4 Tage • Skabies sind nach ca. 48h (bei Raumtemperatur) ausserhalb der Haut nicht überlebensfähig • (ODER: sprayen…) HiP | KSA | 2017 Swiss Noso Band 16 N° 2, 2010 Skabies Therapie Achtung: beide Präparate sind nicht auf der CH Spezialitätenliste! o Topisch 5% Permethrin für Patient und Famile (Lyclear Dermal Cream 5% ® / Infectoscab ® oder Rezeptur) • grossflächig auftragen (ausser Gesicht, Schleimhäute), 8-12 h später abspülen. In SS schon nach 1-3h abspülen • Tag 1 + mind. 14 ODER o Ivermectin (Stromectol®) 200ug/kg Tag • Kontraindikation: Schwangerschaft / Kinder < 15kg • Tag 1 + 14 HiP | KSA | 2017 Zunahme der Malariafälle in der CH Malaria bis Woche 45/2016, Stand 15.11.206 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 175 165 185 168 194 183 147 160 303 425 318 Kein Risiko für Schweizer! - Zu kalt - Ungenügende Brutstätten für Anopheles Mücke HiP | KSA | 2017 Abstrich in 4 Asylbewerberunterkünften durch KS Olten o MRSA: pharyngeal, nasal, inguinal o ESBL: Rektalabstrich + Urin Resultate: o MRSA 16% - unabhängig von Herkunftsland o ESBL 24 % - Mittlerer Osten dominant 35% HiP | KSA | 2017 CH x10 CH x 5 Piso et al, KS Olten 60.8% kolonisiert mit MDR Gram-negative Bakterien 35% kolonisiert mit MDR Gram-negative Bakterien HiP | KSA | 2017 Vorgehen Spitalhygiene, Beispiel Insel Ausländer screening: «Von multiresistenten Erregern (MRE) speziell betroffen sind auch Asylsuchende, welche durch die Umstände ihrer Flucht oder durch den Aufenthalt in einem Spital im Ausland resistente Keime erwerben können. Durchführung des Auslandscreenings: Patienten, welche in den vergangenen 6 Monaten ambulant oder stationär Kontakt zum Gesundheitswesen im Ausland hatten, werden auf MRE untersucht.» CAVE: Unterschiedliche Vorgehen werden von anderen Spitälern durchgeführt. HiP | KSA | 2017 Fall 4 31 J. ♀, Äthiopien lebt in Asylbewerberunterkunft unklare Reisedauer Asthma, chronischer Husten hohe IgE, Eosinophilie 6.3% HA verordnet Stuhluntersuchungen und Serologie für Helminthen Strongyloides HiP | KSA | 2017 Ascaris Fasciola häufige Wurmerkrankungen Kein Risiko für Schweizer! - Zu kalt - Hygiene (Wasser und Sanitär) zu gut - Keine geeigneten Zwischenwirte HiP | KSA | 2017 slide von Dr. N. Labhardt gleiche Patientin, 7 Tage später leicht reduzierter AZ, Fieber 38°C. Bei der Lungenauskultation zeigt sich am Rücken: HiP | KSA | 2017 … die lokale CH-er Epidemiologie… was ist die erste und wichtigste Frage an sie? ist sie schwanger? Hat es andere schwangere Frauen in der gleichen Unterkunft? Wenn ja: sofort Varizella IgG bestimmen wenn negativ: Immunglobuline! HiP | KSA | 2017 Schweizerische Richtlinien Kempf; SMW 2007 Varizella Epidemiologie in tropischen Ländern USA UK Philippines Malaysia Singapore HiP | KSA | 2017 Fall 5 nicht heilende Ulzera Dänemark, Schweden, Deutschland, Österreich Fallberichte von nicht heilenden, zum Teil Wochen alten Wunden in neu ankommenden Asylbewerbern DD: atyp. Mykobakterien, endemische Pilze, bakteriell (chronifiziert wegen schlechter Hygiene Corynebacterium diphtheriae non toxigenic + S. aureus, GAS HiP | KSA | 2017 Kutane Diphtherie Bei Verdacht: Zuweisung Isolation bis Ausschluss, dass es sich um einen toxigenen Stamm handelt Wenn C. diphtheriae bestätigt (Kultur von Biopsien): Macrolide or Benzylpenicilline x 14d Nach Behandlung: ‘test of cure’ mit Kultur von Nasopharynx und Haut (+ 10 d Behandlung, wenn weiterhin kolonisiert) Falls toxigener Stamm: PLUS Diphtheria Antitoxin (DAT), wenn Wunde > 2cm2 Erhältlich in Militärpharmazie: ToxInfo Suisse (phonenr.145) Kontaktscreening! (25% von nahen Kontakten sind pos. unabhängig vom Impfstatus) HiP | KSA | 2017 Public Health England: Diphtheria Guidelines 2015 Kutane Diphtherie Corynebacterium diphtheriae, C. ulcerans (zoonotic), (C. pseudotuberculosis selten) • Charakteristische, chronische (Wochen) nicht-heilende Ulzera mit gräulichen Membranen • Oft nach Insektenstich oder kleinerem Trauma • Superinfektion mit normaler Hautflora – die schliesslich zu Komplikationen und Schmerzen führt • Inkubationszeit sehr variabel für kutane Diphtherie HiP | KSA | 2017 3 –jähriges Kind, ursprünglich von Tschetschenien. Geboren in Belgien, nie geimpft. HiP | KSA | 2017 DD: kutane Leishmaniose DD: kutane Diphtherie DD: Ecthyma gangraenosum (Bsp. Pseudomas) DD: atypische Mykobakterien HiP | KSA | 2017 Krankheiten von Massenunterkünften 15 Fälle in Flüchtlingen in München (Somalia, Eritrea, Äthiopien): Spirochäten im Blut PCR Borrelia recurrentis pos. (davon 1 verstorben) Übertragung: Körperlaus (legen Eier in Kleidung) Risikofaktor: enge und überfüllte Unterkünfte, schlechte Hygiene Mortalität bis 10% wenn unbehandelt behandelt <5% Erster Nachweis In Europa seit WWII HiP | KSA | 2017 Euro Surveill. 2015;20(42):pii=30046. Soldaten suchen nach Läusen in den Schützengräben, 1. Weltkrieg HiP | KSA | 2017 HiP | KSA | 2017 Kleider- und Kopflaus vor allem Kleiderlaus (=Körperlaus), weniger Kopflaus als Krankheitsüberträger Epidemischer Typhus / Flecktyphus Rickettsia prowazekii Fünftagefieber Bartonella quintana Läuserückfallfieber Borrelia recurrentis (Epidemiologie 2016: praktisch nur noch endemisch im Horn von Afrika) HiP | KSA | 2017 Körperlaus oder Filzlaus (Schamlaus) • fliegen oder hüpfen nicht • sind in Bettwäsche, Kleider (Saum) • mehrmals am Tag Blutmahlzeit meist Hals, Schultern, Achseln, Leiste, Gürtellinie (wo Kleidung meist die Haut berührt) • Überlebt bis zu 3 Tage ohne Blutmahlzeit Therapie: • Meist reicht waschen mit Seife und heissem Wasser, wenn nicht: • Permethrin 1% (Loxazol®) auf behaarten Stellen zuerst mit normalem Shampoo waschen und trocknen, dann Permethrin applizieren und 10 min einwirken lassen, dann abspülen. • Alternativ: Malathion 0.5% (Prioderm®) 8-12 Stunden einwirken lassen am gesamten Körper mit Fokus auf behaarte Stellen (inklusive Augenbrauen) • Alternative bei Resistenz: Ivermectin (siehe unter Skabies) HiP | KSA | 2017 Körperlaus oder Filzlaus (Schamlaus) o Kontaktisolation im Spital o Zu Hause oder in der Asylunterkunft • Behandlung der Kleider: Mind. 60°, genügend Waschmittel, Tumbler (heissest mögliche Einstellung, mind. 20 Min.) Oder chemische Reinigung / Bügeln (Saum!) In versiegeltem Plastiksack für 2 Wochen bei Zimmertemp. Matratzen, Möbel: sprayen… wenn möglich 2 Wochen nicht benutzen HiP | KSA | 2017 Zusammenfassend GSM: Grundimmunisierung, HIV Prävalenz, TB Hygiene in Asylunterkünften Skabies / Läuse Was häufig ist, ist auch bei Asylsuchenden häufig Aber: bei rez. Fieber Malaria, HIV, Rückfallfieber, TB Würmer HiP | KSA | 2017 andere Quellen o Richtlinien der jeweiligen Kantonsärzte o Robert Koch Institut, Deutschland: http://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundh eitsberichterstattung/GesundAZ/Content/A/Asylsuchende/Asyl suchende.html o Pottie et al – Canadian Collaboration for Immigrant and Refugee Health ”Evidence-based clinical guidelines for immigrants and refugees” CMAJ, September 6, 2011, 183(12) HiP | KSA | 2017
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