„sola scriptura“ | 2. Timotheus 3, 16-17 2017

„sola scriptura“ | 2. Timotheus 3, 16-17
2017-02 | Franz Seiser
Liebe Geschwister! Liebe Gäste!
Ein herzliches Grüß Gott von meiner Seite. Wir schließen heute die Predigtreihe der
„solis“ der Reformation mit dem „sola scriptura“ ab. Wir haben die Solis der
Reformation in ihrer Bedeutung sowie im Kontext zur damaligen Zeit erleben dürfen
und stehen heute bei der Heiligen Schrift, der Bibel.
Ein kleiner Rückblick, oder eine Zusammenfassung
vorweg zur Erinnerung: In „sola fide“, also allein
durch den Glauben haben wir in Römer 3, 28 erfahren
dürfen: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch
gerecht wird ohne des Gesetztes Werke, allein durch
den Glauben.“ „Sola fide“ stellt fest, dass ein Mensch
sich die Anerkennung Gottes nicht durch Werke verdienen kann, sondern diese allein
durch seine Glaubensbeziehung zu Gott bekommt, welche allein von Gott ausgeht.
In „sola gratia“, also allein durch die Gnade,
lesen wir im Epheserbrief des Apostels Paulus
2, 8-10: „Denn aus Gnade seid ihr gerettet
durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes
Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht
jemand rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die
Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln
sollen.“ Weiters dürfen wir in Römer 3, 21-28
diese bedeutendste biblische Grundlage nachlesen.
In „solus Christus“, also Christus allein, ist
für uns alle klar, dass allein Christus mit
seinem Heilswerk die Erlösung des
sündigen Menschen erwirkt. Wir lesen
dazu im Ersten Brief des Apostel Paulus
an Timotheus 2, 5-6: „Denn es ist ein Gott
und ein Mittler zwischen Gott und den
Menschen, nämlich der Mensch Christus
Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung, dass dies zu seiner Zeit
gepredigt werde.“
1
„sola scriptura“ | 2. Timotheus 3, 16-17
2017-02 | Franz Seiser
Letzten Sonntag hörten wir von Francesco
über das „soli Deo Gloria“, also allein Gott
gebührt die Ehre. Das lesen wir wieder im
Römer-Brief im 11. Kapitel unter Vers 36:
„Denn von ihm und durch ihn und zu ihm
sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.“
Wir hatten die Beispiele vieler Künstler,
besonders Komponisten, wie Johann
Sebastian Bach oder Anton Bruckner, die
jedes Werk mit dem „soli Deo Gloria“
beendeten, allein zur Ehre Gottes. Als man
Anton Bruckner darauf angesprochen hatte,
ob er nicht dem Kaiser seine Symphonie
widmen wolle, antwortete Bruckner: „Vom Kaiser habe ich meine Gaben nicht
erhalten!“ Ob jeder der vielen tausend Musiker aller Orchester dieser Welt wissen, dass
die Musik von Bach und Bruckner nur zur Ehre Gottes komponiert wurde? Ich denke
man hat wohl die Widmung des Komponisten „soli Deo Gloria“bei der Vervielfältigung
weggelassen.
Und nun wollen wir uns mit dem Wort, der Heiligen
Schrift, dem „sola scriptura“ beschäftigen. Davor
stellen wir uns noch die Frage, wie kommt es
eigentlich zur Reformation? Was war in der
damaligen Zeit der Auslöser für diese trefflichen
biblischen Wahrheiten, die ja ohnehin im Wort
standen. Also warum wird es notwendig diese in
so einem Sturm an Auseinandersetzung wie es
damals war, zu manifestieren?
Die Zeit der Reformation, von der wir hier sprechen, war das
ausgehende Mittelalter, also der Beginn der Renaissance. Wir
schreiben das Jahr 1517, also vor genau 500 Jahren, als Martin
Luther die 95 Thesen proklamierte.
Dies war ja auch nicht neues, war es im Mittelalter üblich
Appelationen, wie sie Johannes ‚Jan‘ HUS proklamierte,
anzuschlagen.
Die Römisch-katholische Kirche, oder
Alte Kirche, oder Papsttum, hatte die
Bibel auf die Liste der „Verbotenen
Bücher“, dem „Index Romanus“ gesetzt.
Auf dieser Liste fanden sich ca. 6.000
Bücher. Erst im Jahre 1958, also erst
beim zweiten Vatikanischen Konzil wurde
die Bibel aus dem Indesx Romaus von
der Liste wieder herausgenommen.
2
„sola scriptura“ | 2. Timotheus 3, 16-17
2017-02 | Franz Seiser
Es war bei Strafe, Exkommunikation, also dem Ausschluss aus der Alten Kirche, dem
Verlust des ewigen Heils, verboten im Wort Gottes zu lesen. Dies galt natürlich nicht für
den Klerus, also der Priesterschaft. Hier teilen wir in den Höheren Klerus und in den
Niederen Klerus. Der Höhere Klerus, das waren die Bischöfe und Äbte, die des Lesens
mächtig waren. Die Bibel war ja in Latein [Vulgata], sofern man nun nicht aus der
Ursprachen der Bibel rezitieren wollte. Die Vulgata war um 800 bis 900 n.C. komplett
vorliegend und ab dem Buchdruck nach 1500 auch gedruckt worden.
Denn das Alte Testament ist in Hebräisch und das Neue Testament in Griechisch
geschrieben. Nun der Niedere Klerus war meist weder des Hebräischen, noch des
Griechischen, noch des Latein kundig und so war es den Menschen meist vorenthalten,
das Wort Gottes zu hören.
Aber die Menschen hungerten und dürsteten nach dem Wort Gottes, zu jeder Zeit in
der Geschichte. Denn es war Gottes Reden zu den Menschen, und das ist in den
Menschen gelegt, dass er nach dem Sinn des Lebens sucht.
Weiters waren die Marienverehrung und
Heilgenverehrung, der Ablasshandel und viele
Schräglagen der Alten Kirche auch schon vor
Martin Luthers Zeiten den Menschen ein
Gräuel. Durch den Ablasshandel wurden die
ohnehin schon sozial schwächsten in der
Gesellschaft ausgepresst. Der Spruch: „Sobald
das Geld im Kasten klingt, die Seele in den
Himmel springt!“, war in jeder Munde. Man
hatte den Menschen gesagt, dass es deinem
Kind im Fegefeuer sehr schlecht ginge und
wenn du Geld zahlst, kannst du durch einen Ablass die Situation verbessern. Die Kirche
brauchte dringend das Geld um den Petersdom in Rom fertigstellen zu können.
Der Höhere und Niedere Klerus lebte ja vom Pfründewesen und profitierte davon.
Pfründewesen bedeutet, dass jeder von seinem Vermögen, ob Kuh, Getreide, Obst oder
Gemüse etc. einen Teil abgeben musste. Das wurde soweit pervertiert, dass den
ohnehin schlecht gestellten Menschen noch mehr auferlegt wurde, weil die Hunde der
Obrigkeit sonst Mangel gelitten hätten. So hatte man obendrein noch eine Hundesteuer
eingeführt. Dass die Menschen vor Hunger starben, kümmerte den Klerus meist wenig.
Aus diesen wenigen Beispielen ersehen wir welche Spannung es im Mittelalter und
auch danach gegeben hatte. Das System von Macht, also Obrigkeit und Klerus, war so
angelegt, dass es immer zu Lasten der Unterdrückten ging.
In der vorreformatiorischen Zeit hatten wir ja viele religiöse Bewegungen, die diesen
Hunger und Durst nach dem Wort Gottes stillten.
Im 11. Jahrhundert wurden die „Freunde Gottes“, Gute Christen“ oder auch nur
„Christen“, in Folge Katharer und Albigenser [von der Stadt Albi abgeleitet] genannt,
blutig niedergeschlagen als sie eine eigene Katharerkirche begründen wollten.
3
„sola scriptura“ | 2. Timotheus 3, 16-17
2017-02 | Franz Seiser
Die Kreuzzüge im Namen Jesu Christi schlachteten so viele Menschen ab, dass die Erde
in Blut getränkt war.
Im 12. Jahrhundert waren die
„Armen von Lyon“ oder auch
„Arme Jesu Christi“, wie sie sich
nannten aufgestanden und
hatten sich dem Wort Gottes, im
Besonderen den Evangelien,
aber auch einigen Lebensregeln
der Heiligen Augustinus,
Hieronymus, Ambrosius und
Gregorius, verschrieben.
Der Kaufmann Waldes aus Lyon
war sehr reicht und hatte sich
zwei Prieser bezahlt, die ihm
aus der Bibel die Evangelien
vorlasen und in seiner Sprache,
dem Franko-Provenzalischen in
Okzitanien, also Südrankreich, niedergeschrieben und so hatten sie die Evangelien,
die sie abgeschrieben und somit vervielfältigten. In der Inquisition nannte man sie
„Waldenser“ und brachte tausende auf die Scheiterhaufen, dass Europa über ein
Jahrhundert in rote Glut getaucht war.
In Österreich lebten damals über 80.000 Waldenser, die in der Inquisition durch den
Inquisitor Petrus Zwicker auf den Scheiterkaufen kamen und meist auch nach Böhmen
vertrieben wurden.
Im 13. Jahrhundert hatte der Theologe John Wycliff in Oxford betont, dass allein aus
Gnade der Mensch gerettet sei und nicht aus Werken. Er redete gegen die Transsubstantiationslehre der Alten Kirche. Er wurde von seiner Professur an der Universität
Oxford entlassen, somit hatte er keinen Zugang zur Bibliothek und konnte nicht mehr
lehren und forschen. Er wurde als kleiner Dorfpfarrer „entsorgt“, damit der den
Dogmen der Römischen Kirche nicht im Wege stand.
Im 14. Jahrhundert hatte sich der Theologe Johannes ‚Jan‘ HUS in Prag, der selbst
Rektor der Universität war, mit den Schriften des John Wycliff auseinandergesetzt und
vermerkt: „Lieber Wycliff, Gott gebe dir das himmlische Königreich“ oder „O Wycliff,
nicht nur einem verdrehst du den Kopf“. Viele Studenten aus Prag hatten auch in
Oxford studiert und die Schriften von John Wycliff nach Prag gebracht. Jan Hus betonte
auch die Gnade und hatten den Zustand des Papsttums öffentlich kritisiert und war
unter anderem auch deshalb in Ungnade gefallen. Als er zur Disputation zum Konzil
nach Konstanz reiste, mit der Zusage des Königs des freien Geleits, wurde er trotzdem
am 6. Juli 1415 am Scheiterhaufen als Ketzer verbrannt.
Das war Auslöser für die sogenannten Hussitenkriege, die ab 1419 viele Städte in
Böhmen und Österreich nieder brannten, bis sie zu Asche wurden.
Es war eine schreckliche Zeit in der viele Menschen aus Glaubensgründen, wegen des
Machtrausches der Päpste ihr Leben lassen mussten. Das und noch viel mehr musste
wohl der Augustinermönch Martin Luther vor Augen gehabt haben. Eine Zeit des
Schreckens und des Machtmissbrauchs.
4
„sola scriptura“ | 2. Timotheus 3, 16-17
2017-02 | Franz Seiser
Er hatte wohl auch durch sein ‚Bekehrungserlebnis‘
einen Wink vom Himmel erhalten und begann in der
Bibel zu lesen. Das war damals nicht üblich. Nun
begann er aber die Bibel zu studieren und der Heilige
Geist offenbarte ihm Gottes Heilsplan. Er musste
erkennen, dass der Ablass, die Heiligenverehrung,
Anbetung der Mutter Gottes als Mittlerin und viele
‚Traditionen‘ der Alten Kirche über dem Wort Gottes
standen.
Doch die Heilige Schrift zeigte ihm den Weg zum Heil. Er
erkannte, dass die Dogmen, also die Lehrsätze der Alten Kirche
nicht die oberste Autorität sind, sondern Gottes Wort allein und
das durch den Glauben, allein durch Gnade und allein durch
Jesus Christus.
Die Dogmen stehen in der Alten Kirche über
dem Wort Gottes. Und wenn wir uns nur 5 von
245 Dogmen der Römischen Kirche vor Augen
halten, so ersehen wir auch weiter die Bedeutung der Reformation:
1) 1215 im 4. Laterankonzil wurde die Transsubstantiationslehre dogmatisiert. Also es
wurde die echte Verwandlung der Hostie in den Leib Jesu festgeschrieben.
2) 1545 im Trienter Konzil wurde die Ablehnung Roms gegenüber der gesamten
Reformation beschlossen. Weiters die Lehre der Kirche immer weniger von der Schrift
und immer stärker von der Tradition her, begründet.
3) 1854 erklärte Papst Pius IX. die unbefleckte Empfängnis der Maria zu einem zu
glaubendes Dogma der Kirche. Diese Entscheidung wurde vom Papst allein getroffen,
ohne einer Befragung eines Konzils.
4) 1870 definierte das erste Vatikanische Konzil die Unfehlbarkeit des Papstes als
Dogma.
5) 1950 definierte Papst Pius XII. dass Maria nach Vollendung ihres irdischen Lebenslaufes leiblich in den Himmel aufgenommen worden sei.
Und immer wieder kam den Menschen beim betrachten der Geschehnisse Apostelgeschichte 5, 29 ins Bewusstsein, wo es heißt: „Man muss Gott mehr gehorchen als
den Menschen.“
Sola, sola, sola!
Für Luther wurde immer deutlicher: Gott spricht durch die Worte der Bibel zu uns. Sie
allein ist deshalb der Maßstab für alle Fragen des Glaubens – nicht die Traditionen und
Entscheidungen der Kirche. Denn Päpste, Konzilien und Kirchenlehrer können irren.
Wer aber legt die Bibel richtig aus? Für Luther war es die Bibel selbst: Ihre Botschaft ist
zuverlässig und klar – sie legt sich daher selbst aus.
5
„sola scriptura“ | 2. Timotheus 3, 16-17
2017-02 | Franz Seiser
„sola scriptura“ allein durch die Heilige Schrift!
Christus war für Luther der Mittelpunkt der Heiligen Schrift. Die Bibel verkündigt die
frohe Botschaft: Wer an Christus glaubt, hat das ewige Leben. Er allein ist der
Vermittler zwischen Gott und Menschen. Und: Man muss sich die Gnade Gottes nicht
verdienen. Sie wird jedem geschenkt, der Christus vertraut. Wer von diesem
vertrauenden Glauben erfüllt ist, tut von sich aus Gutes – ohne Zwang, ohne
Berechnung und ohne Furcht.
Luthers Bibelübersetzung begann in Eisenach:
Auf der Wartburg entstand in nur elf Wochen das
„September-Testament“ – eine Übertragung des
Neuen Testaments, die im September 1522 zum
ersten Mal veröffentlicht wurde. Luthers Werk war
ein Riesenerfolg: Schon drei Monate später folgte
die zweite Auflage, das „Dezember-Testament“.
Die vollständig übersetzte Bibel erschien erstmals
im Jahr 1534.
Luther übersetzte die Bibel nicht ins Deutsche. Denn
‚das Deutsche‘, eine einheitliche deutsche Sprache,
gab es damals noch nicht. Luther verwendete deshalb die sächsische Kanzleisprache.
Seine Bibelübersetzung war so erfolgreich, dass Luthers Bibelsprache weite Verbreitung fand – auch dort, wo man andere Dialekte sprach.
Die Lutherbibel spielte deshalb eine wichtige Rolle bei der Entstehung einer
einheitlichen deutschen Schriftsprache. Luther wollte, dass die Bibel verstanden wird.
Jeder sollte Gottes Wort selbständig lesen können. Luther forderte deshalb: Man muss
„dem Volk aufs Maul schauen“, um treffende Begriffe zu finden. Das bedeutete aber
nicht, dass Luther Alltagssprache verwendete: Er schuf eine gehobene Sprache, die im
Gottesdienst verwendet werden konnte – und trotzdem verständlich war.
Wenn wir uns allein am Beispiel des hebräischen Wortes
Schalom ansehen, wie eine Wortbedeutung mehrdeutig ist,
dann wird einem bewusst, wie präzise Luther mit seinem
Team gearbeitet hatten:
Das Wort Schalom, hier in der masoretischen Schreibweise ca. 800 n.C. entstanden
(Selbstlaute hinzugefügt) Familie Ben Ascher. Schalom bedeutet: Gedeihen, Unversehrtheit, Wohlergehen, Frieden, Freundlichkeit, Heil, „Friede sei mit dir“, „Mögest Du
gedeihen haben.“ Also welches Wort wird nun im deutschen verwendet? Was wird im
Kontext ausgesagt?
„Wir wissen gar nicht, was wir Luther und der Reformation im Allgemeinen alles zu
danken haben. Wir sind frei geworden von den Fesseln geistiger Borniertheit.“ sagte
Johann Wolfgang von Goethe.
Wie teuer war eine Bibel? Wenn wir den Gegenwert in
Rindfleisch bewerten:
1456 musste man 14 Rinder verkaufen um eine Bibel
zu erwerben.
1534 waren 2 ¹/² Rinder notwendig um eine Bibel zu
erwerben.
6
„sola scriptura“ | 2. Timotheus 3, 16-17
2017-02 | Franz Seiser
1713 bekam ich für ein Rind bereits 36 Bibeln
2017 bekomme ich für eine Kuh bereits zwischen 80 und 150 Bibeln, je nach
Ausführung. Was für ein Segen!
Ich stelle das „sola scriptura“ unter den Vers 105 des 119. Psalms:
„Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.“
1) Die Heiligen Schriften zeigen den Weg zum Heil:
In 2. Timotheus 3,14–17 schreibt Paulus seinem
jungen Mitarbeiter, warum er von der Heiligen
Schrift, die er schon als ein kleines Kind kennen
lernte, völlig überzeugt sein soll: „Du aber bleibe
in dem, was du gelernt hast und wovon du völlig
überzeugt bist, da du weißt, von wem du es
gelernt hast, und weil du von klein auf die
heiligen Schriften kennst, die Kraft haben, dich
weise zu machen zur Errettung durch den
Glauben, der in Jesus Christus ist“ (2 Tim 3,14–
15).
Das zentrale Thema des Wortes Gottes ist also die Errettung des Menschen. Paulus
verquickt die Bedeutung der Bibel völlig mit der Errettung. Und dennoch ist es nicht
das Wort Gottes, das uns errettet, sondern allein Jesus Christus.
Die Bibel – und nur die Bibel – macht uns weise zur
Errettung, die in Jesus Christus ist. Nicht mehr, aber
auch nicht weniger. Denn was wüssten wir von Jesus
Christus und von seinem Werk der Erlösung, wenn Gott
es uns nicht offenbart und sogar schriftlich in die Hand
gegeben hätte? Die Worte der Bibel sind also
notwendig, um errettet zu werden.
Ist demnach die Bibel ein magisches Buch? Macht der
Besitz der Bibel aus Feinden Gottes – Kinder Gottes?
Nein, Paulus sagt ganz klar, was uns errettet: nämlich
der Glaube, der in Jesus Christus ist. Glauben heißt
Vertrauen. Wer darauf vertraut, dass Jesus für seine
Sünden am Kreuz gestorben ist, und von daher um Vergebung seiner Schuld bittet,
wird vor der ewigen Verdammnis gerettet werden.
Wozu dann aber noch die Bibel? Paulus sagt zwar, dass uns der
Glaube an Jesus errettet, aber dass die Bibel uns „weise“ für
diesen Glauben macht. Wir wissen nämlich nur aus der Bibel, was
Gott für uns getan hat, und dass er uns retten will. Ohne das, was
Gott uns in der Bibel sagt, können wir nicht gerettet werden, obwohl die Rettung selbst durch Gottes Tat geschah und nicht durch
einen Bericht davon. Das ist also die Aufgabe der Bibel, die
Menschen von der göttlichen Wahrheit zu überzeugen, dass jeder
Mensch ein Sünder vor Gott ist und es nur eine Rettung gibt.
7
„sola scriptura“ | 2. Timotheus 3, 16-17
2017-02 | Franz Seiser
Was Paulus hier über die Schrift sagt, ist nach zwei Seiten hin abzugrenzen.
Einerseits ist der Gedanke zu verwerfen, die Schrift selbst schaffe das Heil.
Andererseits ist der Gedanke zu verwerfen, das Heil sei von der Schrift unabhängig.
Vielmehr wäre uns das von Christus geschaffene Heil ohne die Offenbarung nicht
zugänglich.
2) Ist aber damit die Aufgabe der Bibel erfüllt?
Für viele ist die Bibel göttliche Offenbarung,
solange sie vom Heil spricht. Alles, was
darüber hinausgeht, ist dagegen menschliches
Beiwerk. Aber was sagt die Bibel selbst dazu?
Lesen wir die Fortsetzung der Verse bei Paulus:
„Die ganze [oder: alle] Schrift ist von Gott
eingegeben und nützlich zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung [oder: Erziehung], zur Unterweisung
in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes vollkommen ist, zu
jedem guten Werk völlig ausgebildet“ (2 Tim 3,16–17).
Mit der Errettung durch den Glauben, den man aus der Bibel gelernt hat, fängt also die
Bedeutung der Bibel erst an. Nicht nur das, was uns über das Heil gesagt wird, ist
wichtig, sondern „jede Schrift“ ist von Gott eingegeben. Hier muss auf den
griechischen Grundtext eingegangen werden.
Aber im Griechischen stehen die beiden Aussagen
gleichwertig nebeneinander: Die Bibel ist 1. von
Gott eingegeben und 2. nützlich für die
aufgeführten Dinge. Wenn die Bibel von Gott
eingegeben, wörtlich „geistdurchhaucht“ ist, dann
heißt das, dass in der Bibel das menschliche Wort,
etwa des Paulus, und das göttliche Wort eine
untrennbare Einheit eingegangen sind. Die Bibel
ist nicht von Gott diktiert. Gott hat die Persönlichkeit der Schreiber nicht ausgeschaltet,
sondern erst richtig eingeschaltet.
Vom Koran oder vom Buch Mormon wird behauptet, Gott selbst oder ein Engel habe sie
ursprünglich diktiert oder geschrieben. Daher, weil der Mensch unbeteiligt war, sollen
sie von Gott stammen. Aber nur der Teufel arbeitet mit Zwang.
Der Gott der Bibel hat die Schreiber der Bibel nicht gezwungen. Vielmehr haben
Menschen in ihrem Stil, mit ihrer Erfahrung und in ihrer historischen Situation geredet
und geschrieben, doch Gottes Geist hat es zugleich gebraucht, um Gottes Wort
niederzulegen. Dass Menschen die Bibel geschrieben haben, ist für den Glauben sehr
wichtig. Aber Gott hat gleichzeitig darüber gewacht, dass sie seinen Willen niederschrieben. So ist jede Schrift von Gott durchhaucht.
8
„sola scriptura“ | 2. Timotheus 3, 16-17
2017-02 | Franz Seiser
Was ist nun der Sinn und der Nutzen der Bibel? Paulus nennt vier Dinge.
1. Die Bibel ist nützlich zur Lehre
Aus der Bibel erfahren wir also, wie Gott die
Dinge sieht. Wir werden durch sie zu Schülern.
Dies steht mit dem Missionsbefehl in Einklang,
nach dem wir alle Menschen zu „Schülern“
(meist mit „Jüngern“ oder „Nachfolgern“ wiedergegeben) machen sollen und diese Jünger
„alles lehren“ sollen, „was ich euch befohlen
habe“ (Mt 28,18–20).
Wenn Gott etwas in der Bibel nicht lehrt, wissen wir nicht, wie er dazu steht. Wenn er
aber etwas lehrt, ist das die vertrauenswürdige, universal gültige Wahrheit in
menschlichem Gewand. Was die Bibel über die Schöpfung oder das Volk Israel lehrt,
was sie an Angaben über die Geschichte oder den Menschen macht, welche ethischen
Werte und Grenzen sie uns gibt, all das ist wichtig für uns. Vieles davon mag uns im
Moment persönlich nicht unmittelbar betreffen, wie das Lehre oft so an sich hat, und
dennoch ist es wichtig, es zu lernen.
2. Die Bibel ist nützlich zur Überführung
Aber Lehre ist nicht genug, um dem Sinn der Bibel
gerecht zu werden. Gott möchte durch sein Wort nicht
einfach Richtigkeiten in den Raum stellen, sondern er
möchte unser Leben prägen und verändern. Anhand
der Bibel können wir prüfen, ob wir nach dieser Lehre
leben. Die Bibel korrigiert unser falsches Denken und
Handeln, sie überführt uns also. Nicht umsonst nennt
sich die Bibel selbst einen „Spiegel“.
Wie gefährlich es ist, nur die Lehre der Bibel zu kennen
und nicht die eigenen Fehler dabei zu entdecken,
beschreibt Jakobus, da solche Menschen sich selbst betrügen (Jak 1,22–25): "Seid aber
Täter des Worts und nicht Hörer allein; sonst betrügt ihr euch selbst. Denn wenn
jemand ein Hörer des Worts ist und nicht ein Täter, der gleicht einem Menschen, der
sein leibliches Angesicht im Spiegel beschaut; denn nachdem er sich beschaut hat,
geht er davon und vergisst von Stund an, wie er aussah. Wer aber sich vertieft in das
vollkommene Gesetz der Freiheit und dabei beharrt und ist nicht ein vergesslicher
Hörer, sondern ein Täter, der wird selig sein in seinem Tun.“
3. Die Bibel ist nützlich zur Zurechtbringung
Aber auch die Aufdeckung von Schuld, die Feststellung
von Abweichungen von der biblischen Lehre allein, wird
dem Sinn der Bibel noch nicht gerecht und kann eine rein
theoretische Übung bleiben. Wie schrecklich wäre es,
wenn die biblische Lehre unsere Fehler aufdecken würde,
ohne weitere Hilfe anzubieten. Aber Gott deckt unsere
Schuld nicht auf, um uns bloßzustellen, oder auch nur,
9
„sola scriptura“ | 2. Timotheus 3, 16-17
2017-02 | Franz Seiser
um unsere Vergangenheit zu bewältigen. Vielmehr möchte er uns helfen, retten,
zurechtbringen und uns eine bessere Zukunft ermöglichen. So zeigt uns die Bibel den
Weg, wie wir über Buße und Umkehr auf den guten und richtigen, der Lehre
entsprechenden Weg zurückkehren können.
Die Bibel bietet uns also nicht nur das Gesetz, also das „So solltest du sein!“, sondern
auch das Evangelium, nämlich: „Durch Vergebung und Vertrauen auf Gott kannst du so
sein“.
4. Die Bibel ist nützlich zur Unterweisung in der Gerechtigkeit
„Damit der Mensch Gottes vollkommen
sei, zu jedem guten Werk völlig zugerüstet“ (2. Timotheus 3,17).
Selbst wenn die Bibel durch ihre Lehre
unsere Schuld aufdecken würde und wir
zurechtkämen, wäre das immer noch
nicht alles. Gott möchte nicht nur, dass
wir ständig aus unseren Fehlern lernen.
Er möchte, dass wir im Vertrauen auf
ihn die Fehler erst gar nicht begehen.
Dazu will uns die Bibel erziehen. Die
Bibel warnt und tröstet.
Das Wort „Unterweisung“ heißt eigentlich „Erziehung“. Erziehung bildet den
Menschen nach Gottes Gedanken aus. Jeder hat die Möglichkeit, durch die Bibel eine
lebens-längliche Ausbildung durch Gott persönlich zu erhalten und ein geistlicher
„Erwachsener“ zu werden, der „durch Gebrauch geübte Sinne hat“ (Hebr 5,14). Was
für eine herrliche Angelegenheit. Doch wie viele lassen sich das entgehen.
Vergleichen wir die Bibel einmal mit
einem Autoatlas, so sehr dieser
Vergleich wie alle Vergleiche hinkt
und nur einen Aspekt beleuchten
kann. Die erste Funktion eines
Autoatlasses ist es, recht zu haben. Er
zeichnet einfach korrekt auf, welche
Wege es von A nach B gibt. Aber was
nützt mir das, wenn ich längst falsch
gefahren bin – denn oft schlagen wir
den Atlas erst auf, wenn wir merken,
dass wir irgendwie völlig falsch
gefahren sind. Doch wenn ich nun
festgestellt habe, dass ich nicht von
A nach B, sondern in eine ganz
falsche Richtung unterwegs bin, zeigt mir der Autoatlas den besten Weg zu meinem
ursprünglichen Ziel. Doch wer wirklich weise ist, konsultiert das nächste Mal den
Autoatlas zuerst. Aus Schaden klug geworden fährt er gleich den richtigen Weg. Denn
dafür ist der Autoatlas eigentlich da. So sehr er Verirrten hilft und Umwege aufklärt:
Gekauft hat man ihn schließlich nicht, um Umwege zu fahren,
sondern um sie zu vermeiden.
10
„sola scriptura“ | 2. Timotheus 3, 16-17
2017-02 | Franz Seiser
So will uns auch die Bibel den richtigen
Weg lehren, den falschen Weg aufdecken,
den kürzesten Weg zurück zum
eigentlichen Ziel zeigen, aber in letzter
Konsequenz beibringen, lieber gleich von
Anfang an den vertrauenswürdigen Weg
Gottes einzuschlagen.
Das wünsche ich Euch, von ganzem
Herzen, dass Euch die Bibel das Licht am
Wege Eures Lebens werde und bleibe, wie
der Eingangsvers 105 aus dem Psalm 119
sagt:
„Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.“
Amen.
11