3 Tages-Anzeiger – Montag, 20. Februar 2017 Schweiz Giezendanner will Karrer und Rühl absetzen Ueli Giezendanner (SVP) kritisiert die Ja-Kampagne von Economiesuisse zur Steuerreform und will nun aufräumen. Er selbst hat freilich Nein gestimmt. Hans Brandt Der Unmut unter bürgerlichen Politikern über Economiesuisse ist eine Woche nach der spektakulären Niederlage in der Abstimmung zur Unternehmenssteuerreform (USR) übergekocht. Die Fehler in der Kampagne der Befürworter werden vor allem dem Wirtschaftsdachverband angelastet, der die Strategie der Pro-Kampagne entwickelt hatte. Besonders scharf kommt die Kritik von Ulrich Giezendanner: Er hat die Nase voll von der Economiesuisse-Führung und will sie schnellstmöglich ersetzen lassen. «Ich rate dazu, die Köpfe von Economiesuisse – Karrer und Rühl – auszuwechseln», sagt der Aargauer SVP-Nationalrat der «Schweiz am Sonntag». Gemeint sind Heinz Karrer, Präsident des Verbands, und Direktorin Monika Rühl. Beschimpfungen und ein Outing Blick hinauf in den Kühlturm des AKW Leibstadt. Der Aargau ist einer jener Kantone, in denen sich Freisinnige über die Energiewende streiten. Foto: Eddy Risch (Keystone) Freisinnige Kernspaltung Wenn die FDP am 4. März darüber entscheidet, ob sie die Energiewende unterstützt, geht es um mehr als nur eine Abstimmungsparole. Verhandelt werden die Grundsätze der Partei – und ihr Wirtschaftsverständnis. Alan Cassidy Es gibt Entscheidungen, auf die sich niemand freut. Machtproben, auf die alle lieber verzichten würden. Am 4. März treffen sich die Delegierten der FDP Schweiz in Freiburg, um eine Abstimmungsparole zu fassen: Unterstützt die Partei die Energiestrategie von Bundesrat und Parlament, die den Atomausstieg endlich besiegeln soll? Oder schlägt sie sich auf die Seite der SVP, die dagegen das Referendum ergriffen hat? Vordergründig geht es dabei um Stromproduktion, Gebäudesanierungen, Netzzuschläge. Doch verhandelt werden mit der Energiewende auch grössere, grundsätzliche Fragen des Freisinns. Wie stark soll der Staat in die Wirtschaft eingreifen, welche Vorgaben muss er machen? Was ist liberale Energiepolitik? Der Entscheid der Delegierten wird viel aussagen über die Richtung, in die sich die Partei bewegt. Und sie könnte die Volksabstimmung beeinflussen, die für den 21. Mai angesetzt ist. Wer mit Freisinnigen in den Kantonen und im Bundesparlament spricht, erkennt vier Lager. Da sind erstens die orthodoxen Ordnungspolitiker, die die Energiestrategie ablehnen, weil sie mit vielen Subventionen verbunden ist. Da sind zweitens die Wirtschaftsvertreter, die es mit der reinen Lehre nicht so genau nehmen, weil sie sich von der Energiewende ein Geschäft erhoffen. Da sind drittens die Atomfreunde, die primär gegen das geplante AKW-Verbot kämpfen. Und da ist schliesslich der Rest jenes Flügels, der die FDP auch einer grünen Tradition verpflichtet sieht. Noch lebt er. Und trägt so bei zur Kernspaltung des Freisinns, die sich gerade zeigt. Lobbying der Atomfreunde Vor dem Parteitag in Freiburg bringen sich Vertreter all dieser Lager in Stellung. Der Aargauer Nationalrat Matthias Jauslin ist einer jener, die in der Energiewende handfeste Vorteile sehen. Er hat sich, wie viele FDP-Parlamentarier, dem CVP-geführten Unterstützungskomitee für die Energiestrategie angeschlossen. «Als Elektrounternehmer ist Energieeffizienz für mich längst geschäftlicher Alltag», sagt er. «Die Energiewende bietet Chancen, die wir nutzen sollten.» C. Wasserfallen. A. Silberschmidt. Jauslin ist aber auch Präsident der FDP Aargau. Und dort hat er mit seiner Haltung ein Problem. Die kantonalen Jungfreisinnigen trugen mit ihren Unterschriften dazu bei, dass das Referendum der SVP überhaupt erst zustande kam. Unterstützt wurden sie dabei von alten Grössen des freisinnigen Milieus, darunter etwa Edwin Somm, dem früheren Chef von ABB Schweiz – und einer Reihe von ehemaligen Wirtschaftsführern aus dem Energiesektor. Und der Energiesektor, das war im Aargau während Jahrzehnten die Atombranche. Es sind diese Kreise, die nun bereits Delegierte angegangen sind. «Es ist ein Lobbying spürbar», bestätigt Jauslin. Eine Mehrheit seiner Kantonalpartei werde wohl gegen die Energiestrategie sein – auch aus historischen Gründen. «Das sind oft Leute, die selber erlebt haben, wie der Aargau dank den Kernkraftwerken zu Wohlstand kam.» Es sind aber nicht bloss Aargauer Freisinnige, die sich schwertun: In Zürich ist für den Kampf gegen die Energiewende sogar die frühere Ständerätin Vreni Spoerry, bald 80 Jahre alt, aus dem politischen Jenseits auferstanden. Und es sind nicht bloss Atomnostalgiker: In vielen Kantonen sind es die Jungfreisinnigen, die am heftigsten gegen die Energiestrategie kämpfen. «Diese Vorlage führt in die staatliche Planwirtschaft», sagt Andri Silberschmidt, Präsident der nationalen Jungpartei. Der Freisinn stehe davor, aus falschen taktischen Überlegungen seine Grundwerte zu verraten. «Viele in der Partei fürchten, dass die FDP ihren ökologischen Flügel verprellt. Aber das ist kein Grund, sich auf diese Strategie einzulassen.» Dass die FDP heute in Energiefragen ein derart gespaltenes Bild abgibt, ist auch die Folge einer Politik, die in den vergangenen Jahren vor allem durch M. Jauslin. V. Spoerry. eines auffiel: Verwirrung. 2011, als es im Bundesparlament zum ersten Mal nach Fukushima um den Atomausstieg ging, enthielt sich die FDP-Fraktion der Stimme. Das passte zu den Widersprüchen, die sie auslebte: Auf das Gesetz zur CO2-Reduktion trat sie nicht ein, ein Förderprogramm für Elektroautos lehnte sie ab – obschon sich die Partei in Positionspapieren zu beidem bekannte. Philipp Müllers Eingebung Wenig glaubwürdig wirkte deshalb die Ankündigung des damaligen Parteipräsidenten Philipp Müller im Herbst 2013, der FDP jetzt ein «ökologisches Profil» verpassen zu wollen. In der «SonntagsZeitung» sagte er Ja zu einer ökologischen Steuerreform und stellte in Aussicht, man wolle nun bei der Energiestrategie «konstruktiv mitarbeiten». Müller, der frühere Autorennfahrer, hatte zuvor 300 Veranstaltungen seiner Basis besucht und war dabei überrascht worden. Was die Menschen in diesem Land tatsächlich bewege, sei die Natur, sagte er in einem anderen Interview: «Die FDP trägt dem Rechnung.» Bekräftigt wurde Müllers persönlicher Wandel durch ein Treffen mit Elisabeth Kopp, die sich immer für einen grünen Freisinn eingesetzt hatte. Müller hatte der Alt-Bundesrätin jene Titelseite des «Blicks» mitgebracht, auf der ihre Wahl in die Regierung in grossen Buchstaben verewigt war. Kopp war sehr angetan, und aus einem geplanten kurzen Mittagessen in einem Zürcher Hotel wurde eine vierstündige Diskussion. Es sei das erste Mal gewesen, dass er Kopp persönlich begegnet sei, sagte Müller später, «und es war hoch spannend: Was sie einst als Gemeinderätin in Zumikon durchsetzte, war vorbildliche ökologisch-freisinnige Politik.» Und Anregung für den Aargauer. Das erste Massnahmenpaket zur Energiestrategie, das im Dezember 2014 ins Parlament kam, wollte die FDP dann doch zurückweisen. Erst als das nicht klappte, begann die «konstruktive Mitarbeit», wie sie Müller nannte. Heute sind die freisinnigen Befürworter der Energiestrategie im Parlament (zu denen Müller gehört) vor allem stolz darauf, dass sie eine Sunset-Klausel in die Strategie hineinbekommen haben: eine Frist, an deren Ende die Subventionen für alternative Energien auslaufen. Am «Etikettenschwindel» der Vorlage ändere das nichts, sagt FDP-Vizepräsident Christian Wasserfallen, einer der gegnerischen Wortführer: «Hier wird kein Marktumfeld geschaffen, sondern eine zweite Landwirtschaftspolitik mit Milliardensubventionen.» So wie Wasserfallen sieht das auch die aktuelle Parteipräsidentin Petra Gössi. Sie leitete die Sitzung, in der die FDP neulich ihre kantonalen Parteipräsidenten über eine Empfehlung über die Energiestrategie zuhanden der Delegierten abstimmen liess. Mit 14:13 Stimmen sprachen sich die Anwesenden für eine Zustimmung zur Vorlage aus. In der Bundeshausfraktion hatten noch zwei Drittel der Freisinnigen Ja gesagt. Die Westschweiz tickt anders Die Entscheidung der Delegierten könnte allerdings deutlicher zugunsten der Energiestrategie ausfallen – auch, weil die Unterstützung in der Westschweiz gross ist. «Viele Leute verstehen Energie heute als Grundrecht», sagt Nationalrat Frédéric Borloz, Präsident der Waadtländer FDP. «Man kann nicht einfach argumentieren, dass sich der Staat da ganz raushalten solle.» Energie als Grundrecht, Planwirtschaft, die Natur als Richtschnur: Es sind die grossen Fragen, die der Freisinn verhandelt. Am 4. März in einer Halle in Freiburg, bis zum Abstimmungstermin am 21. Mai dann im ganzen Land. Für eine Partei, die ihre jüngsten Erfolge vor allem dem Umstand verdankt, dass sie viel geschlossener auftritt als noch in den Jahren zuvor, könnte das schmerzhaft werden. Nicht wenige im Freisinn wünschen sich deshalb vor allem eines: dass die Abstimmung bald vorbei sein möge. Um das «Forum freisinniger Warm duscher» möglichst schnell umzubauen, hat Giezendanner einen parteiübergreifenden «Geheimclub» von fünf Personen hinter sich geschart. Es könnten noch mehr werden: Bis zu 12 Verbündete aus CVP, FDP und SVP stellt der SVP-Unternehmer in Aussicht. Die Mitglieder der Verschwörergruppe sollen anonym bleiben, damit sie Economie suisse wirkungsvoller aus verschiedenen Richtungen unter Druck setzen können. «Economiesuisse ist zu einem Flaggschiff geworden, dessen Segel nicht mehr im Wind flattern», so Giezendanner. «Es ist tragisch, dass man so tief fallen kann.» Die Bedeutungslosigkeit des Verbandes könne nicht mehr toleriert werden. Kurios ist, dass Giezendanner selbst die USR III gar nicht unterstützte, wie er dem «SonntagsBlick» beichtete. «Ich war von Anfang an gegen die USR III, weil sie dem Kanton Aargau nichts gebracht hätte. Aber aus Loyalität zu Partei und Wirtschaft hielt ich den Mund.» Damit ist es nun offensichtlich vorbei. Denn die Unzufriedenheit über den Dachverband staut sich schon lange an. Auch bei anderen Abstimmungen wurden dem Verband Schwächen vorgeworfen, etwa bei der Abzockerinitiative oder der Masseneinwanderungsinitiative. «Die Verbände haben geholfen, bei der Umsetzung der MEI die Verfassung zu brechen», sagte SVP-Nationalrat Thomas Matter der «Schweiz am Sonntag». «Und Economiesuisse hat sich in den letzten drei Jahren immer stärker in nicht wirtschaftliche Themen eingemischt.» «Wir analysieren – aber intern» In die scharfe Kritik an Economiesuisse reiht sich auch Markus Ritter vom Schweizer Bauernverband ein. Er sei einer von 18 Co-Präsidenten des Pro- Komitees für die USR III gewesen, sagte der St. Galler CVP-Nationalrat der «NZZ am Sonntag». Eine klare strategische Führung habe es nie gegeben. «Zu viele haben sich die Verantwortung geteilt, und dann, als es schiefgelaufen ist, war plötzlich keiner verantwortlich.» «Es war sicher nicht alles bestens», räumte gestern Economiesuisse-Sprecher Michael Wiesner ein. «Aber in jeder Kampagne werden Fehler gemacht. Wir analysieren das, aber wir machen das intern.» Die Kritik der SVP hat Wiesner zufolge weniger mit der USR-III-Kampagne zu tun als mit der Position seines Verbandes in der Europapolitik. «Das ist ein Dossier, wo wir grundlegend andere Positionen vertreten als die SVP.» Über mögliche Änderungen an der Economiesuisse-Spitze wird derweil weiter diskutiert. In der «Schweiz am Sonntag» wird der SVP-Unternehmer Peter Spuhler genannt. In der «NZZ am Sonntag» ist die Rede von Hans Hess, Präsident des Verbandes der Maschinenindustrie. Der ist für Giezendanner allerdings völlig undenkbar – genauso wie Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt. Beide stehen auf seiner Abschussliste: «Über diese Personen ist ebenfalls zu reden», droht er.
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