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SWR2 MANUSKRIPT
SWR2 Musikstunde
„Musicus, ey potz! Vermagst Stroh zu Gold zu
spinnen?!“
Literarische Musiker-Porträts (2)
Mit Thomas Rübenacker
Sendung: 21. Februar 2017
Redaktion: Dr. Bettina Winkler
Produktion: SWR 2017
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… mit Thomas Rübenacker. Heute: „Musicus, ey potz! Vermagst Stroh zu Gold
zu spinnen?!“ Literarische Musiker-Porträts, Teil zwei.
… mit Thomas Rübenacker. „Musicus, ey potz! Vermagst Stroh zu Gold zu
spinnen?!“ Literarische Musiker-Porträts, Teil 2.
MUSIK
Einer der ersten und besten Dichter der Romantik hieß Ernst Theodor Amadeus
Hoffmann – eigentlich ja Wilhelm, aber als Verneigung vor Mozart änderte er seinen
dritten Vornamen selbst in Amadeus. In einem aber war Hoffmann der erste: Die
Nachtseite der menschlichen Existenz hängt in seinen Geschichten über, seine
Freundschaft mit Ärzten und Psychiatern der Zeit bewirkte, dass der Alptraum, das
groteske Verbrechen, die Zwischenwelt des menschlichen Fühlens Einzug hielten in
die Literatur – ein Baudelaire, ein Edgar Allan Poe wären ohne Hoffmann nicht
denkbar. Und noch etwas war an Hoffmann singulär: Er wollte eigentlich Komponist
werden – im Gegensatz zu seinem späteren größten Fan, Robert Schumann, der
eigentlich Schriftsteller werden wollte. Allerdings blieb bei Hoffmann das
musikalische und das dichterische Werk strikt getrennt; während der Dichter selbst
einen Sigmund Freud das Fürchten lehrte, tummelte der Komponist sich ganz
klassizistisch in der Mozartwelt!
MUSIK: HOFFMANN, GRAND TRIO E-DUR (SCHERZO), TRACK 11 (3:20)
1) E. T. A. Hoffmann, Grand Trio E-dur; Trio Margaux; Hänssler Profil 07063 (LC
13287)
E. T. A. Hoffmann als Komponist, wie ein bereits von der Romantik angehauchter
Mozart oder Haydn: Das Trio Margaux spielte sein Scherzo. Allegro molto aus dem
Grand Trio in E-dur.
E. T. A. Hoffmann, der 1776 in Königsberg geboren wurde, lebte viele verschiedene
Leben, aber drei Hauptstränge kristallisieren sich heraus: Nahezu zeitlebens
bekleidete er als Volljurist öffentliche Ämter bis hin zum Preußischen Regierungsrat;
als Komponist, wie gesagt, wandelte er auf Mozarts Spuren; und als Dichter war er
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der beherrschende Einfluss auf fast alle „schwarzen Romantiker“, mit Ausnahme von
Matthew Gregory Lewis – dessen Schauerroman „Der Mönch“ war umgekehrt ein
Vorbild für Hoffmann. Was er sonst noch so tat in seinen 46 Lebensjahren, war meist
einer Neigung oder aber einer Gelegenheit geschuldet: Kapellmeister, Musikkritiker,
Zeichner und Karikaturist.
Er versuchte damit auch, der Janusköpfigkeit zu entkommen. In vielen seiner
Geschichten hat das Gute ein alter ego, und das ist das Böse, sowie umgekehrt. Er
wollte nicht in der Musik „das Gute“ verkörpern und in der Literatur „das Böse“:
erkannte aber, dass sein Leben genau darauf zusteuerte. Daher die Tätigkeiten als
Journalist und vor allem als Staatsbeamter – übrigens einer, der alle seine Examina
mit der Note „vorzüglich“ abschloss. Etwa 1809, da war er (aufgrund diverser
Intrigen) gerade in Bamberg als Musikdirektor gescheitert, bot man ihm an, für die
Leipziger Allgemeine musikalische Zeitung Musikkritiken zu schreiben, was er
annahm: eine neue Maske für Janus. Unter seinem eigenen Namen konnte oder
wollte er nicht auftreten, also erfand er sich ein Pseudonym, das dann tatsächlich als
sein alter ego auch durch mehrere seiner Dichtungen geistern sollte. Er signierte
seine Kritiken mit Johannes Kreisler, in den Dichtungen später ein leicht verrückter
Kapellmeister, dessen Leben allerdings im Wahn endet. Der „Sinn“ dahinter: Erst im
Überschreiten dieser Grenze, des Wahnsinns, könne das Individuum ganz und gar
Künstler werden; eine der romantischsten Kunstideen überhaupt.
Mit der literarischen Kunstfigur Johannes Kreisler, der zugleich existierte und nicht
existierte, identifizierte sich noch ein anderer „echter“ Musiker: Robert Schumann.
Man weiß, dass Schumann die poetischen Titel seiner Stücke erst nach dem
Komponieren erfand, sie also nie Vorgabe, Richtschnur oder gar „Programm“ waren.
Eine Ausnahme bilden offenbar die „Kreisleriana“, wie ein Brief vom 15. März 1839
verrät: „Herzallerliebste Clara“, schreibt Schumann, „ein kleines Klavier-Gebinde, das
gerade entsteht, wird ganz Ihnen gewidmet sein … Ich will es Kreisleriana heißen,
nach Hoffmann's so unglückseligem Capellmeister Kreisler ...“ Robert und Clara
wollten damals schon heiraten, aber Claras Vater Friedrich Wieck, der seinem
Wunderkinde eine bessere Partie gegönnt hätte, suchte das zu hintertreiben. So fiel
die Widmung an Clara weg, um Wiecks Zorn nicht noch mehr aufzustacheln, und die
„Kreisleriana“ wurden Chopin zugeeignet, der damit allerdings wenig anzufangen
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wusste. Dass Clara das Herz dieser acht Phantasiestücke blieb, glaubte ein Tüftler
sogar in einem Anagramm des Titels gefunden zu haben: Kreisleriana oder „Klara,
sei rein!“
MUSIK: SCHUMANN, KREISLERIANA, CD 1, TRACKS 1 + 2 (10:31)
2) Robert Schumann, Kreisleriana; Eric Le Sage (Klavier); ALPHA 135 (KEIN LC!)
Die ersten beiden der acht Liebesbriefe, die der 28jährige Robert Schumann seiner
Braut in spe Clara Wieck komponierte und „Kreisleriana“ nannte, nach dem
literarischen alter ego des Dichter-Komponisten E. T. A. Hoffmann. Eric Le Sage
spielte.
Überhaupt ist Hoffmann ein gutes Beispiel dafür, wie die Musik in die Literatur
Einlass fand – und die Literatur dann wieder in die Musik. Der Kapellmeister Kreisler,
ursprünglich ein Pseudonym des Musikkritikers E. T. A. Hoffmann, dann eine
weltabgewandte Figur in seinen Erzählungen – und von Schumanns „Kreisleriana“
wieder ins Reich der Muse Polyhymnia geholt. Ganz ähnlich bei Jacques Offenbachs
einziger Oper, dem Torso „Hoffmanns Erzählungen“. Zwar geht es hier (außer in
zweien der Geschichten) nicht um literarisierte Komponisten, aber die Musik in jeder
Form ist immer gegenwärtig. 1851 verfasste die Pariser Dramatiker-Werkstatt von
Jules Barbier und Michel Carré ein Stück, das auf verschiedenen Novellen E. T. A.
Hoffmanns basierte, darunter „Der Sandmann“, „Rat Krespel“, „Die Abenteuer der
Sylvester-Nacht“ sowie „Die Geschichte vom verlorenen Spiegelbild“. Die
Uraufführung war ein großer Erfolg, und derlei rauschte natürlich auch an einem
Mann wie Offenbach nicht spurlos vorüber: Er beschloss, unter dem Titel „Les contes
d'Hoffmann“, Hoffmanns Erzählungen, ursprünglich eine opéra-comique daraus zu
machen. Dass ihm vor Beendigung der Löffel aus der Hand genommen wurde, ist ja
das Los vieler letzter Meisterwerke – und steigert noch deren Mythos.
Die längste und schauerlichste Geschichte ist die vom „Sandmann“, sie inspirierte
sogar Sigmund Freud zu einem großen Essay über „Das Unheimliche“. Hoffmann
porträtiert hier einen ganz besonderen Musikmeister: den Miterfinder des Metronoms
und Beethoven-Freund Johann Nepomuk Mälzel. Der baute eine ganze Welt von
Automaten: nach einer Walze selbstspielende Orgeln, hölzerne Ersatzgeiger,
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Schachspieler, Bühnen-Maschinchen und Historische Panoramen, darunter die
Schlacht um Troja, mit der wir gestern ja begannen. Bei Hoffmann heißt Mälzel
Spalanzani, und er hat sich eine Automaten-Tochter gebaut, die überirdisch schön ist
und wunderbar anmutig tanzen kann – aber keine Augen hat. Augen kann
Spalanzani nicht; also kauft er ihr welche - „die besten und teuersten in Europa“.
Danach ist diese Olimpia so perfekt, dass der Opernheld Hoffmann sich wieder
einmal verlieben kann. Ich weiß nicht, ob Offenbach einen Gedanken dran
verschwendete, aber es könnte ein Zerrbild des Feminismus' sein: eine schöne Frau,
die alles für einen tut – ohne je zu sprechen, also auch ohne Streit! In der folgenden
Szene bietet Coppelius, ein fliegender Händler, die von ihm perfektionierten
Glasaugen an: „Sköne Oke! Sköne Oke!“ heißt es in der Original-Novelle, als würde
er Hot Dogs feilbieten. Der Dritte im Bunde ist Hoffmanns Freund Nicklausse,
gesungen von einer Frau.
MUSIK: OFFENBACH, HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN, CD 1, TRACKS 25 BIS 29
(5:52)
3) Jacques Offenbach, Les contes d'Hoffmann; Alagna, Dessay, van Dam, Orchestre
de l'Opéra National de Lyon, Kent Nagano; Erato 0630-14330-2 (LC 0200)
Das war Szene 8 im 2. Akt von Jacques Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“:
Der Held und sein Freund Nicklausse treffen den „Augenhändler“ Coppelius, der erst
die Puppe Olimpia zum perfekten Abbild einer schönen Frau macht – und Hoffmann
verliebt sich prompt in sie. Unser Ausschnitt enthielt übrigens auch das berühmte
„Augen-Terzett“, worin Coppelius Hoffmann eine Brille verkauft, die ihm die Welt für
immer – rosig zeigt. Roberto Alagna und José van Dam sangen, Nicklausse war
Cathérine Dubosc, das Orchestre de l'Opéra National de Lyon spielte, der Dirigent
war Kent Nagano.
Übrigens geht Offenbach sehr weit, um die Puppe Olimpia zu demaskieren: Er gibt
ihr die einzige peinliche Arie in der ganzen Oper. Um seinen Gästen den Liebreiz
seiner „Tochter“ zu demonstrieren, lässt Spalanzani eine Harfe herbeischaffen und
begleitet Olimpia dann selbst bei einem reichlich dämlichen Poesiealbums-Liedl,
währenddessen ihr auch noch ständig die Puste ausgeht: „Les oiseaux dans la
charmille“, Die Vöglein in den Laubengängen, sie singt es sehr mälzelisch-
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mechanisch, und zweimal muss sogar unterbrochen werden, um die Puppe neu
aufzuziehen. Da darf Spalanzanis rosa Brille bei Hoffmann all ihre Wirkung entfalten,
damit irregeleitete Liebe ihren Weg trotzdem findet …
MUSIK: OFFENBACH, HOFFMANN (LES OISEAUX), CD 1, TRACK 35 (5:29)
3) Jacques Offenbach, Les contes d'Hoffmann; Alagna, Dessay, van Dam, Orchestre
de l'Opéra National de Lyon, Kent Nagano; Erato 0630-14330-2 (LC 0200)
Ein Mälzel'sches Sing-Monster, erfunden für E. T. A. Hoffmanns Novelle „Der
Sandmann“, re-erfunden für Jacques Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“; es
sang Natalie Dessay.
Übrigens fand „Der Sandmann“, dieses bitterböse Mälzel-Porträt, auch im Ballett
seinen Widerhall: 1870 in „Coppélia“ von Léo Delibes. Warum hier der Physiker
Spalanzani und der „Augenhändler“ Coppelius die Rollen tauschen, weiß ich
allerdings nicht; immerhin ist Coppelius in der Vorlage ja wohl der Teufel. Im Titel des
Balletts allerdings spielt Delibes deutlich darauf an, wo hier der Hund begraben liegt:
„Das Mädchen mit den Glasaugen“.
MUSIK: DELIBES, COPPELIA, CD 1, TRACK 18 (4:20)
4) Leo Delibes, Coppélia; Orchestre du Théâtre National de l'Opéra de Paris, JeanBaptiste Mari; EMI 9 67723 2 (LC 06646)
„Das Mädchen mit den Glasaugen“, Leo Delibes' „Coppélia“, tanzt einen Walzer,
automatenhaft natürlich auch er. Jean-Baptiste Mari leitete das Orchestre du Théâtre
National de l'Opéra de Paris. Übrigens, ein Stückchen Trivial Pursuit: Offenbachs
Oper „Hoffmanns Erzählungen“, heute eine der meistgespielten, wurde im 19.
Jahrhundert nicht gern gegeben: Ein Theaterbrand suggerierte den abergläubischen
Zeitgenossen, das Werk provoziere den Teufel und sei darob verflucht …
Wie heißt der meistvertonte deutsche Dichter? Nein, es ist nicht Heine und auch
nicht Uhland, nicht einmal Goethe oder Friedrich Rückert. Er heißt: Joseph von
Eichendorff. Etwa 5000 Lieder werden es sein, von fast allen deutschen Tonsetzern,
darunter den Größten – Mendelssohn, Brahms, Robert Schumann oder Hugo Wolf.
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Geboren 1788 bei Ratibor in Oberschlesien, war Eichendorff als preußischer Adliger
zunächst für eine Militärkarriere vorgesehen – aber bald wurde klar, dass
kunstsinnige Naturen weder sich selbst noch irgendwelchem Kriegsziel einen
Gefallen tun, daher verzichtete man selbst im kriegsverliebten Preußen gerne
stillschweigend auf sie. Der kleine Joseph jedenfalls liebte den Kampf in Abenteuerund Ritterromanen oder Sagen, aber nicht im Leben; früh begann er selber zu
schreiben, mit 12 Jahren etwa eine „Naturgeschichte“ mit eigenen Illustrationen.
Selbst der Versuch, mit einem Jurastudium doch noch etwas „Handfestes“ aus ihm
zu machen, schlug fehl – denn dabei traf er Leute wie Schleiermacher oder Goethe,
später auch Arnim, Brentano und Kleist, deren Sog sich als stärker erwies. Erst die
Front gegen Napoleon machte Eichendorff dann doch noch zum Soldaten: Zu den
Befreiungskriegen 1813 bis 15 meldete er sich freiwillig, um den Tyrannen aus dem
Land zu jagen.
Mit E. T. A. Hoffmann verband ihn, dass er wichtige Kirchen- und Staatsämter
bekleidete, wenn auch halbherzig: Kirchen- und Schulrat, Oberpräsidialrat, ja sogar
Geheimer Regierungsrat, das höchste aller Ämter nach dem Regenten. Eine
schwere Lungenentzündung zwang ihn dann, seinen Abschied zu nehmen; fortan
war er, bis zu seinem Tod 1857, als Dichter auf der Suche nach der verlorenen Zeit.
Ich möchte Ihnen Eichendorff mit einem kurzen Lied vorstellen, das aufzeigt, wie ein
Genie des Wortes und ein Genie der Musik – hier: Robert Schumann – ein still
schreiendes Meisterwerk schufen; eines, das noch weit größer ist als seine
Einzelteile.
MUSIK: SCHUMANN, IN DER FREMDE, 2‘05
5) Robert Schumann, In der Fremde; Dietrich Fischer-Dieskau (Bariton), Gerald
Moore (Klavier); M0359372 001
Genialer Dichter, genialer Komponist: Joseph von Eichendorff und Robert Schumann
Hand in Hand „In der Fremde“, aus dem „Liederkreis“ op. 39. Es sang der Bariton
Dietrich Fischer-Dieskau, der Pianist war Gerald Moore.
Ein ganz besonderer Musiker bevölkert Eichendorffs Erzählung „Die Glücksritter“, die
1841 veröffentlicht wurde, aber in der Zeit unmittelbar nach dem Dreißigjährigen
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Krieg spielt – also in Simplicissimus Country; mit dem alten Schelmenroman teilt sie
auch eine gewisse, nun ja: Buntheit. In Halle verbrüdern sich zweie, der Musiker
Siglhupfer, von aller Welt „Klarinett“ genannt (wahrscheinlich, weil er die Tuba spielt),
und der Student Suppius, der Klarinett vor einem prügelnden Mob schützt, indem er
zurückprügelt. Das schweißt sie fürs Leben zusammen, ab da wird zu zweit
gewandert. Das Duo findet ein Schloss im Wald, worin sich allerdings die beese
Marketenderin Sinka samt Gefolge eingenistet hat, auf der Flucht, weil sie mit der
Regimentskasse der Holkischen Jäger durchgebrannt ist. Dem Klarinett spielt sie die
Schlossherrin Euphrosine vor und beginnt mit ihm ein Techtelmechtel, woraufhin der
sich, um gleichzuziehen, „Rittmeister von Klarinett“ nennt – obwohl er ja eigentlich
auf der Suche nach Denkeli ist, dem reizenden Puppenspieler-Töchterlein, dem er
schon seit Jahren hold war. Schreibt Eichendorff über das Lotterleben bei Schloss:
„Da war nichts als Schmausen und Musizieren und Umherliegen über Rasenbänken
und Kanapees.“ Ich nehme an, er deutet mit dem Umherliegen fein an, was noch so
zum Lotterleben gehört. Da naht das Verhängnis in Gestalt von Renegaten, also
desertierten Soldaten, die das Schloss zu plündern gedenken. Auf wundersame
Weise aber verhindert das das eintreffende Denkeli, hart auf der Spur ihres geliebten
Klarinett. Aufbrauset die alte Flamme, Euphrosine wird abgelegt wie ein alter Hut,
und fortan zieht er mit der Jüngeren durch die Wälder. Dann tritt auch noch Graf
Herold auf den Plan, der echte Schlossherr, und vertreibt die Landsknechte. Der
Student Suppius, der nach Denkelis und Klarinetts zweitem Frühling liegenzubleiben
drohte wie ein angebissenes Stück Brot, erkennt in des Grafen Tochter das Mädel,
das er suchte, das Happy-End schlägt also doch noch unerbittlich zu. Und wenn sie
nicht, dann sie nicht.
Nun, was in der Inhaltsangabe klingt wie ein Lore-Roman mit Musike, ist zwar so
ungefähr das Gegenteil der erschütternden Dichtung „In der Fremde“ - aber zugleich
auch eine der schönsten Musiker-Geschichten. Das macht zuvörderst Eichendorffs
Sprache: nie überquellend, klar und doch auch phantasievoll-aufblühend, eine
Sprache, die in ihren schönsten Momenten Musik wird. Hier der Schluss:
Oben aber schmetterten jetzt von frischem die Trompeten, Vivat und
Jubelgeschrei, und hinter sich sah Suppius die Hüte schwenken und
Weinflaschen blinken und die schönen Augen der Gräfin dazwischen funkeln.
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- So hatte er, wie man die Hand umdreht, sein Glück gemacht. - SiglhupferKlarinett aber blieb in den Wäldern mit Denkeli selig verschollen.
Ja, und da ist es dann alles andere als ein Lore-Roman. Und es drückt sich auch
Eichendorffs Liebe zur Musik aus: Mozart war sein Favorit von gestern, Carl Maria
von Weber der von heute. Beide haben viel für ein Instrument getan, eben die
Klarinette, Mozart, indem er sie erst so recht etablierte, und Weber, indem er ihr alles
Mögliche auf den Leib komponierte. Hören wir also zum Schluss noch – den
„Rittmeister von Klarinett“ mit Carl Maria von Weber!
MUSIK: WEBER, KLARINETTENQUINTETT (RONDO), CD 1, TRACK 15 (6:08)
6) Carl Maria von Weber, Klarinettenquintett; Sebastian Manz (Klarinette),
casalQuartet; edel/SWR20300835 (LC 06203)