Abteilung: Sendereihe: Sendedatum: Produktion Kirche und Religion Gott und die Welt 12.02.2017 06.02.2017: Redaktion: Autor/-in: Sendezeit: Anne Winter Barbara Zillmann 9.04-9.30 Uhr/kulturradio 9.15-17.00 Uhr/T9 _____________________________________________________________________________ Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt; eine Verwertung ohne Genehmigung des Autors ist nicht gestattet. Insbesondere darf das Manuskript weder ganz noch teilweise abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Eine Verbreitung im Rundfunk oder Fernsehen bedarf der Zustimmung des RBB (Rundfunk Berlin-Brandenburg). _____________________________________________________________________________ GOTT UND DIE WELT Ein grüner Freund für’s Leben Von der Beziehung zwischen Mensch und Baum Sprecherin: Ilka Teichmüller Regie: Roman Neumann 2 Sommerliche Musik O-Ton 1 Eva Nickel Als ich ein Kind war, hatte ich draußen im Garten einen Lieblingsbaum. Es war schön darunter zu liegen, es war schön, die Blätter sich bewegen zu sehen, die Vögel rumtanzen und rumflattern zu sehen, singen zu hören, Ich bin auch auf diesen Baum als Kind geklettert und hab von da oben gern runter geguckt und mein Ziel war dann immer: kann ich unser Haus noch sehen? je höher ich kam. O-Ton 1b Jeutner Mich hat immer beeindruckt, wie sich die Rinde anfühlt. Der Baum kann mein Gefährte sein, ich habe unendlich viele Baumhäuser gehabt mit meinen Geschwistern und Freunden, ich bin auf dem Dorf großgeworden, also Bäume sind viel mehr als ein Baum, das ist auch n Lebensort und gehört zum Aufwachsen dazu. Musik Titelsprecherin Ein grüner Freund für’s Leben Von der Beziehung zwischen Mensch und Baum Eine Sendung von Barbara Zillmann O-Ton 2 Nickel Es war mein Lieblingsbaum dort, und ist es immer noch. Sprecherin Wenn Eva Nickel an ihre Kindheit zurückdenkt, hat sie ihn ganz klar vor Augen – und mit dem Bild ist auch das Glücksgefühl sofort wieder da, das sie mit ihrem Baum verbindet – ihr Ausguck, ihr Rückzugsort, ihr Schlüssel zur Welt. O-Ton 3 Nickel Ein Lindenbaum war‘s, unter den ich immer gerannt bin und dort gespielt habe, Tiere beobachtet, Grashüpfer gefangen habe und sie auf der Hand hatte, auch kleine Frösche und sowas alles () Er steht mitten auf einer Wiese, er wächst da wild auf der Wiese rum, ohne dass sich jemand darum kümmert und ihn ständig beschneidet - der ist einfach so gewachsen, ja - wie Gott es wollte. Sprecherin Aber wie wollte Gott diese Wesen zwischen Himmel und Erde? Eva Nickel ist Spezialistin für die Legenden des Judentums. Ein Schöpfungsmärchen mag sie besonders. O-Ton 4 Eva Nickel Der Allmächtige hatte die Welt erschaffen, und weil sich die Erde beschwert hatte, sie ist so fern vom Allmächtigen, und der Himmel ist ihm so nah, hatte der Allmächtige der Erde dann versprochen, sie soll sich nicht beklagen, er wird auf ihr Wälder und 3 Felder und Wiesen und Berge und Täler und alles, was sie schön macht, schaffen. Dann war die Erde zufrieden. Sprecherin Ein bisschen näher war sie dem Himmel gekommen. Die Bäume aber sorgten sich, so erzählt der Midrasch, der erzählende Teil der jüdischen Tora. Zitator (Krieg und Frieden) Als die Erde Bäume, Gärten, Wälder hervorbrachte, fürchteten sich die Bäume vor dem Erz, das unter ihnen in der Erde lag. Sie sprachen: Tage werden kommen, und der Mensch wird Äxte aus Eisen machen und uns alle fällen. Das Erz hörte die Worte der Bäume und sprach: wenn ihr friedlich miteinander lebt, wenn einer dem andern nicht zum Verräter wird - dann kann ich keinem von euch etwas Böses tun. Denn woher soll ich das Holz nehmen, um den Stiel für eine Axt zu machen? Sprecherin Bäume und Menschen - verletzliche Geschöpfe, deren Schicksal eng miteinander verbunden ist. In den Bilderwelten vieler Religionen und Kulturen spielen Bäume eine herausragende Rolle: sie sind von ähnlicher Gestalt wie die Menschen, und doch ganz andere Lebewesen. Rabbiner Walter Rothschild: O-Ton 5 Rothschild Bäume sind faszinierend, eine total andere Lebensart, Lebensweise. Wie ist es ein Baum zu sein? Man steht dort. (Immobil,) aber man wächst. Aus dem Nichts, ein bisschen Wasser, ein bisschen Erde, kommt ein riesengroßes solides - uh! Holzding, mit Ästen, mit Zweigen, mit Blättern, mit Millionen kleine Saaten, die herumfliegen. Die Bäume leben länger als wir. Das ist die Botschaft, das die Bäume geben: Kontinuität und Zeit. Langlebigkeit. Sprecherin Ein Hauch von Ewigkeit. Der Baum zwischen Mensch und Gott. In den monotheistischen Religionen steht im Paradies der „Lebensbaum“, auch „Baum der Erkenntnis“. Symbol für das Wunder des Lebens und: das göttliche Wissen, welches allein dem Schöpfer zusteht. Die Schöpfungsgeschichte in der hebräischen Bibel gibt das Muster vor: O-Ton 6 Rothschild Gott hat Angst, dass der Mensch wird vom Baum des Lebens essen, der Baum des Lebens heißt Ewigkeit und Gott will, dass wir begrenzt bleiben. Aber die Sefer Tora, die Bücher, von denen wir lesen, die sind auf diese Holzrollen befestigt, die heißen 4 „aze chaim“, Bäume des Lebens. Wenn man aus der Tora liest, man ist irgendwie in Kontakt mit dieser Ewigkeit, mit dieser Unbegrenztheit. Sprecherin Auch in christlichen Bibelhandschriften ranken sich Zweige des Lebensbaums um die Buchstaben der Heiligen Schrift. Der Koran beschreibt den Paradiesbaum im siebten Himmel, neben Allahs Thron. Es ist ein Lotus, geschmückt mit Blättern aus Seide, einem Stamm aus Rubin, Wurzeln aus Perlen. Abraham, aber auch Buddha empfingen nach der Überlieferung göttliche Offenbarungen unter einem Baum. Aber nicht nur im spirituellen Sinne werden Bäume zu Geburtshelfern des Neuen, zu Metaphern des Erhabenen: Auch im sozialen Leben spielten die grünen Gefährten immer wieder eine Rolle: als Wegmarken für Wanderer, als lebensspendende Oase, als Dach, unter dem Gericht gehalten wurde. Und in Kriegszeiten wurden die symbolträchtigen Riesen gern von der gegnerischen Partei gefällt. 7. Atmo – O-Ton (Begrüßungsszene Pfarrer Jeutner setzt Apfelbaum) … Gehn wir hier durch die Gartenpforte .. Ich sage ein Willkommen, mein Name ist Thomas Jeutner, ich bin der Gemeindepfarrer hier an der kleinen Kapelle der Versöhnung ... (Autoatmo) Sprecherin Es ist Winter in Berlin. An der Bernauer Straße, wo einst die Grenze zwischen Ost und West verlief, befinden sich heute Geschichtsmuseen. Etwas abseits, im Niemandsland des ehemaligen Mauerstreifens, an der Rückseite eines alten Friedhofs, stehen Menschen mit Spaten in der Hand auf einem leeren Beet. Hier möchte Pfarrer Tomas Jeutner einen Apfelbaum pflanzen – als Zeichen eines Neubeginns. 8. O-Ton Jeutner Dieser Streifen, wo wir jetzt gärtnern, war gar nicht betretbar, obwohl es noch Ostberliner Gebiet war.... da wuchs ja nichts - das wurde ja mit Unkrautvernichtungsmitteln immer pflanzenfrei gehalten, und es war wirklich ein Todesstreifen, auch weil da kein Leben war. Sprecherin Mit Freiwilligen aus zwei Kirchengemeinden wurde das verwilderte Gelände wieder hergerichtet. Jetzt gibt es hier Bienenstöcke, Beete, Bänke und Wege. Und nun auch den ersten Baum. 5 9. O-Ton Jeutner Dieser "Edle Borsdorfer", der heute gesetzt wurde, das ist der Anfang. Sicher kriegt dieser Baum ein paar Geschwister, aber man muss auch in Ruhe, auch mit einer gewissen Langsamkeit, die die Natur uns ja lehrt, das Ganze sich entwickeln lassen, und nicht so sehr mit einem Nutzwillen daran gehen. Wir halten auch viel davon, dass in diesem Garten Freiraum sein darf. Nicht vollpflanzen. Sprecherin Die Oase in der Großstadt soll auch Freiraum für ein neues Zusammenleben der Nachbarn bieten; Migrantenfamilien aus dem Wedding und Alteingesessene aus dem ehemaligen Ost-Berlin können sich hier begegnen, über die Gräben der Geschichte und der Kulturen hinweg. Die behutsame, ökologische Gartenpflege soll ein Gemeinschaftsprojekt werden. 10. O-Ton Jeutner Wenn man so gelebt hätte, diese Achtsamkeit, hätt es glaub ich nie ne Teilung, ne Mauer gegeben. Dadurch ist auch so ein Garten immer ein Vorbild. Sprecherin Im Winter erkennt man den Wuchs und die verborgene Kraft jedes einzelnen Baumes besonders gut, sagt der Pfarrer: in den kargen Ästen, den zarten Knospen, den verwitterten Rinden. Immer wieder sucht er die Nähe zu Bäumen: 11. O-Ton Jeutner Ich habe neulich in einem Baum gestanden. Das war eine alte Weide, die ja oft innen so hohl sind, und die eine Hälfte des Baumes war schon komplett weg. Also sie war schon verrottet oder durch einen Blitz - also es stand nur noch eine Hälfte dieser Baumrinde, und da hab ich mich reingestellt. Es war wie so ein Mantel, an den ich mich angelehnt habe, es hat dazu einfach eingeladen. (…) Und oben über dieser Rindenhöhe, so in Menschenhöhe, da drüber wuchs aus diesem halb vergangenen Baumrest ein großes Ästewerk, das ragte so in den Himmel hinein, also das war so jung so kräftig und auch noch grün, ich wunderte mich, dass da noch grüne Blätter dran waren Sprecherin Der Baum als Wunder. Im Wechsel von Blühen und Vergehen, im Zusammenspiel von Ruhe und Kraft. 12. O-Ton Jeutner Was ich von einem Baum lernen kann ist der Trost, der mir sagt, auch in deinen, meinen lichtkargen, früchtearmen Zeiten, die wir ja alle oft durchwandern, ist trotzdem die Standfestigkeit da, die Energie da, schon alles vorgebildet, was noch kommen wird, dieser Aspekt des Wartens, sammle auch dich Mensch, guck was in dir angelegt ist an Gaben und halte ein bisschen aus – weil nach dem Winter kommt der Frühling. Das ist für mich ein Baum. 6 Sprecherin Thomas Jeutner verbindet mit Bäumen auch schöne Kindheitserinnerungen. 13. O-Ton Jeutner Mich hat immer beeindruckt, wie sich die Rinde anfühlt. Ich habe unendlich viele Baumhäuser gehabt mit meinen Geschwistern und Freunden, ich bin auf dem Dorf großgeworden, also Bäume sind viel mehr als ein Baum, das ist auch n Lebensort und gehört zum Aufwachsen dazu. Musik spielerisch 14. O-Ton Caroline Also der Baum – er ist für mich eigentlich etwas Besonderes, sind viel Äste dran, man kann sehr gut klettern und man hat sehr viel Spaß – dann haben wir einmal uns ganz oben in der Krone versteckt und unsere Eltern haben uns erstmal gesucht. Sprecherin Die neunjährige Caroline teilt sich mit ihrem Bruder einen Kletterbaum, eine große Eibe. 15. O-Ton Caroline Also ich find er ist sowas wie ein Freund, weil er ist auch ziemlich nett, er hat mich erst zweimal runterfallen lassen, und hat mich auch einmal aufgefangen, da ist mir dann nichts passiert – weil ich bin mit dem Hinterkopf auch gegen einen anderen Ast gekommen, und also ich bin jetzt auch richtig schnell, ich werde nicht mehr runterfallen, das glaub ich! Atmo draussen – sie redet oben im Baum Sprecherin Caroline ist auf ihre Eibe geklettert und zeigt, wo sie sich einen Sitz gebaut hat. Wo man gut hangeln kann. Sie schaukelt auf einem langen flachen Ast mit vielen kleinen Zweigen und rutscht wieder vom Baum herunter. 16. O-Ton Caroline Da haben wir bei meinem Geburtstag immer Schiff gespielt, dann haben wir das hin und her gewackelt, diesen Ast, der ist auch richtig lustig, (mein Bruder hat da immer Motorrad drauf gespielt,) und ich hab auf diesem Ast immer Schweinebaumeln gemacht. Sprecherin Aufwachsen mit und manchmal auch im Baum. Jedes Jahr mit neuen Spielen, mit anderen Gefühlen. Caroline sitzt gern oben in der Krone und träumt. Da ist man näher am Himmel. 7 17. O-Ton Caroline Ich guck mir dann immer schön die Sonne an, das wärmt mich auch richtig, und abends kann man sich dann immer schön den Mond angucken und dann ist das auch richtig gemütlich darauf. Ja, abends entspann ich mich da son bisschen, und am Tag spiel ich da drauf immer mit meinem Bruder und setzt mich da zwischendurch mal hin und lass mich n bisschen aufwärmen wenns so kalt ist. Musik & Atmo Schneestapfen, Schritte 18. O-Ton Ihlefeld Wenn dann frischer Schnee gefallen ist, dadurch dass ich auf dem Gelände wohne, trete dann morgens raus und diese totale Ruhe - Bilder wie im Märchenwald, dann sind die Grabmale ganz anders betont, wenn man da diese kleine Urne sieht, auf einmal hat die son Häubchen auf ... Sprecherin Olaf Ihlefeldt ist Friedhofsverwalter in Stahnsdorf bei Potsdam. Wenn er die Besucher über das weitläufige, waldähnliche Gelände führt, hat er etwas Besonderes zu bieten: die Bestattung unter Bäumen. Asche wird dabei zwischen den Wurzeln eines Baumes verstreut, den man sich aussuchen kann. Atmo Glocken Kapelle Zum Beispiel die Erle mit schrägliegendem Stamm, die viele schon als letzte Ruhestätte gewählt haben. 19. O-Ton Ihlefeld - schon ein recht alter Baum, mit ner starken Neigung mit Moos überwachsen, was für Alter spricht, und dann mitten aus dem Moos wachsen junge Triebe raus, wo die Menschen gefesselt sind von, wo sie sehen, aus dem Alten und aus dem, was zu Ende geht, ist ne wunderbare Brücke natürlich, wenn jemand gestorben ist, weiss man unser Leben geht auch weiter und) entsteht immer was Neues. Das ist das beste Beispiel hier, was auch wieder Kraft gibt und Zuversicht und auch tröstlich ist. Sprecherin Im Baum erkennen die Betrachter oft ein individuelles Schicksal, erzählt Olaf Ihlefeldt. 20. O-Ton Ihlefeldt sie sehen dann in einem Baum, wo es dann einen starken Knick im Stamm gibt, da wird denn drüber philosophiert, ach guck mal, da war die oder derjenige so schwer krank, weisst du noch, und dann wird die Lebensgeschichte plötzlich präsent - und dann sieht man wie sich zwei Bäume naturbedingt - wie die fest umschlungen sind, wo Menschen die sich geliebt haben sehen, guck mal, das war der doch. Das kann man bildhauerisch einfach nicht darstellen, das gibt nur die Natur her. 8 Sprecherin Fast jeden Baum auf seinem Friedhof kennt er, sie sind ihm wichtige Gefährten. Die Hinterbliebenen haben oft Bilder im Kopf: soll es für die Liebsten, die gestorben sind, eine Buche sein, eine Eiche, eine Kiefer? In welche Himmelsrichtung soll der Baum zeigen? 21. O-Ton Ihlefeldt Es gibt auch Menschen, die den Baum einfach umarmen beim Aussuchen des Platzes, die wollen es spüren. Den Baum als Freund. Und ein Baum ist halt von Leben durchflutet, und er gibt den Menschen ja auch was zurück. Und in dem Moment, wo der Baum den Lebenden etwas Spürbares gibt, in dem Moment ist ihnen klar, die Juden würden sagen: das ist der gute Ort für die Toten. Sprecherin Eltern, die ein Kind verloren haben, wählen gern einen jungen Ahorn, einen Buchensetzling, so wie andere im glücklichen Moment der Geburt für ihr Kind ein Bäumchen pflanzen. 22. O-Ton Ihlefeld Mit der Idee, sie sehen den Baum wachsen, sie sehen da auch noch n Stück Wachstum auch noch des Menschen! Das ist halt das Tröstliche. Dieses Angebot, das gibt die Natur her, und dann ist es am Ende die kleine Buche, bis dahin dass man am Ende auch das eigene Bäumchen aus dem Garten mitbringt und dann an den Platz setzt, was ne sehr intime Form ist der Trauerbewältigung. Sprecherin Der Baum, der noch wächst, scheint dem jähen Ende etwas entgegenzusetzen, er stärkt die Hoffnung, dass mit dem Tod nicht alles zu Ende ist. Manche suchen sich schon zu Lebzeiten ein schattiges Plätzchen aus und halten sich gern dort auf. Wird der Baum so zur Ersatzheimat moderner Menschen, zu einer Projektionsfläche für emotionale Wünsche - von der Wiege bis zur Bahre? Musikakzent 23. O-Ton Peter Wohlleben Bäume sind mit meinem Leben ganz, ganz stark verbunden, und ich geb so einem Baum schon mal 'nen Klaps und sage, Mensch, haste gut gemacht, bist schon seit ein oder zweihundert Jahren hier, hast schon soviel Stürme mitgemacht, überlebt, und bist immer noch fit, ja, also ich find das schon toll. Sprecherin Peter Wohlleben ist Förster und wollte schon als Kind Naturschützer werden. Sein Buch "Das geheime Leben der Bäume" wurde zum Bestseller. 9 24. O-Ton Wohlleben Wir haben Bäume bis jetzt sehr verkannt, weil sie sich evolutionär weiter entfernt befinden als Tiere - mit Tieren können wir gut fühlen, je näher sie uns stehen desto besser ... bei Bäumen ist es so, die stehen rum, die bewegen sich nicht und dass die dann tatsächlich Gefühle haben, dass die n Sozialleben haben, das ist uns halt völlig entgangen, ...und für uns waren bisher Bäume nicht viel mehr als bemooste Steine. Sprecherin International haben Wissenschaftler inzwischen belegt, dass Bäume und Wälder eine Art Sozialgefüge bilden. Bäume haben in den Wurzelspitzen gehirnähnliche Strukturen und können, zum Beispiel über ihre Säfte oder ihre Knarrgeräusche, Signale aussenden, die sowohl die eigenen Sprößlinge als auch andere Baumarten verstehen können. Bäume haben also auch eine Art Sprache. Sie bilden ein globales Netzwerk, einen Schutzmantel der Erde: 25. O-Ton Wohlleben Das ist dieses sogenannte woodwide web, wie es mal die Zeitschrift Nature getauft hat, dass ist dieses Internet des Waldes, was durch Pilzfäden gebildet wird, die tatsächlich durch diese kleinen Pilzfäden auch Nachrichten weiterleiten!! Also: Wenn ein Baum durch Insekten befallen ist, dann warnt dieses Netzwerk die nächsten Bäume, die schon im Vorausgriff Giftstoff in die Blätter und die Rinde einlagern können, damit sie eben nicht befallen werden. Sprecherin Der Förster, der inzwischen eine Waldakademie gegründet hat, setzt sich dafür ein, Bäume als Individuen mit einem eigenen Lebensrecht zu betrachten. Für ihn ist die schonende, ökologische Behandlung der Wälder heute überlebenswichtig, denn ihr Sozialgefüge zu stören, macht ihnen Stress - und uns. 26. O-Ton Wohlleben Wenn nicht unser Immunsystem, so doch unser Hertz-Kreislaufsystem reagiert darauf, wenn wir in intakten Wäldern sind, die in Ordnung sind, dann sinkt unser Blutdruck, oder wenn wir durch Plantagen laufen, in Brandenburg haben wir ja viel diese Kiefernplantagen, dann steigt der Blutdruck. Sprecherin Schon deshalb sollte es im Interesse des Menschen sein, die Wälder nicht nur als Rohstofflieferant auszunutzen, sondern achtsam zu pflegen und möglichst wenig in ihr natürliches Gleichgewicht einzugreifen. Die Bäume brauchen den Menschen nicht, sagt der Förster, und zeigen ihm deutlich, wenn es ihnen nicht gut geht. 10 Aber: kommunizieren sie auch inhaltlich mit Menschen, wie es etwa Baumorakel in der Antike oder heutige Esoterik-Lehren nahelegen? Tut ein bestimmter Baum zum Beispiel einem bestimmten Menschentyp besonders gut? Was ist dran an der Sehnsucht der Menschen, sich mit Bäumen zu verbinden? 27. O-Ton Wohlleben Das wissen wir noch nicht so genau. Dass Bäume mit Tieren kommunizieren, weiß man. Man weiß zum Beispiel auch, dass Bäume den Unterschied schmecken können, ob ein Reh einen Ast abbeißt also an dem Speichel von den Rehen, oder ob wir das abbrechen, dann ist nämlich die Reaktion, die auf diese Verwundung erfolgt, ne ganz andere. () Da findet was statt, aber ob man das jetzt direkt Kommunikation nennen kann zwischen uns und Bäumen, das weiß ich nicht, weil wir merken ja nix davon, aber wir merken es unbewusst. - Also es findet Kommunikation statt, unser Blutdruck reagiert, aber dass wir tatsächlich verstehen was da abläuft - nein. So weit ist es noch nicht. Sprecherin Aber wer weiss. Peter Wohlleben ist Förster und zugleich Wissenschaftler. Daher spekuliert er ungern über die Beziehung zwischen Mensch und Baum. 28. O-Ton Ich weiß aber sehr wohl, dass es da sehr vielmehr gibt als die Wissenschaft heutzutage weiss, also allein meine Bücher, da hätte man vor 40 Jahren gesagt, der spinnt ja. Und das ist inzwischen naturwissenschaftlicher Fakt, also insofern bin ich da ganz ganz vorsichtig, wir wissen von Bäumen sehr sehr wenig, und wenn Menschen da Dinge hineinprojizieren, die wissenschaftlich noch nicht erwiesen sind, die machen vor allem eins, die schaden den Bäumen nicht und das find ich schon mal sehr sympathisch. Musikakzent Autorin Die Bäume zu achten und ihnen nicht zu schaden, das ist auch eine Botschaft des jüdischen „Neujahrsfests der Bäume“, Tubischwat. Jedes Jahr wird es am ersten Vollmond im Monat Schevat gefeiert, dem elften Monat des religiösen Kalenders. Meist fällt das Fest in den Februar. Kinder pflanzen dann ein kleines Bäumchen. In Geschichte und Gegenwart geht es dabei um die Achtung der Natur als einer Gabe Gottes. 29. O-Ton Nickel Das Fest der Bäume erinnert die Menschen an die Heiligkeit der Schöpfung in der Vegetation. An sich ist kein Grashalm heilig, aber die Schöpfung an sich ist etwas Heiliges, weil von Gott geschaffen. 11 Sprecherin Das Grün der Bäume, ihr Schatten, ihre Wurzeln, ihre Früchte spenden seit Urzeiten Leben, dafür müssen auch die Menschen etwas tun. Eva Nickel, die als Kind von ihrer Linde aus die Welt entdeckte, weiß, wie wichtig es ist, einen solchen Schatz zu hüten. Aus ihrer Freundschaft mit dem Baum ihrer Kindheit wurde ein inneres Bild: 30. O-Ton Nickel Ich habe in Krisenzeiten einmal geträumt, dass ich auf einem Berg stehe und einen großen großen Überblick wie auf einem Baum sitzend habe, über eine wunderschöne Landschaft, die ich tief im Tal unter mir liegen habe. Und aus irgendeinem Grund wollte ich in dem Traum weggehen. Aber ich konnte nicht, und ich guckte in meinem Traum runter und stellte fest: Ich bin ja ein Baum. Meine Beine sind ein Baumstamm. Und ich kann gar nicht weg. Sprecherin Wie ein Baum eben - tief verwurzelt in der Erde. Was sich zunächst befremdlich anfühlte, wandelte sich dann: Sie konnte im Traum stolz und aufrecht stehenbleiben, die Situation aushalten. Stark und ruhig wie ein Baum: 31. O-Ton Nickel Er muss die Situation so, wie sie ist, annehmen. Auch das Gewitter, den Regen, den Schnee, die Hitze ohne Wasser in der Erde. Er muss die Kraft aufbringen. Das kostet ihn viel Mühe, er kriegt dadurch unheimlich viele Narben, und auch Leute, die kommen, und ihn abschlagen wollen, es aber dennoch nicht schaffen, er muss dadurch. Muss es hinnehmen, aber er hat die Kraft, wieder neue Äste, die kraftvoll sind, zu entwickeln. Musik Titelsprecherin Ein grüner Freund für’s Leben Von der Beziehung zwischen Mensch und Baum Sie hörten eine Sendung von Barbara Zillmann Es sprach: Ilka Teichmüller Ton: Nina Kluge Redaktion: Anne Winter Regie: Roman Neumann Das Manuskript der Sendung können Sie telefonisch bei unserer Service-Redaktion bestellen, aus Berlin oder Potsdam unter 97993-2171. Oder per email: [email protected]. Und zum Nachhören oder Lesen finden Sie die Sendung auch im Internet unter kulturradio.de 12
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