Reden des Inspekteurs der Marine Vizeadmiral Andreas Krause Impulsvortrag anlässlich des DWT Symposiums „Attraktivität“ am 16. Februar 2017 in Hamburg Es gilt das gesprochene Wort Seite 1 von 13 Meine sehr verehrten Damen und Herren, Guten Morgen! Eine Freude, dieses Symposium eröffnen zu dürfen! Die Besatzung eines Schiffes ist eine Einheit. Sie ist ein eingeschworenes Team, eine Kampfgemeinschaft. Das muss sie auch. Nur so besteht sie die besonderen Anforderungen, die an sie gestellt wird, gleich ob reguläre Seefahrt oder Einsatz. Und doch – diese Einheit besteht aus vielen Einzelteilen, aus unterschiedlichen Biographien. Es sind Männer dabei und Frauen, es gibt Jüngere und Lebensältere, Hochqualifizierte und weniger Hochqualifizierte, Menschen die in einer Partnerschaft leben, Menschen die ledig sind, Mütter und Väter – Kinderlose, Berufssoldaten – und welche, die nur eine Etappe ihres Lebens bei der Marine verbringen. Von ethnischer Abstammung, von Religion, von sexueller Orientierung, habe ich noch gar nicht gesprochen, muss ich auch nicht: Glauben Sie mir bitte, die Marine fährt zwar auf grauen Schiffen zur See, aber sie ist bunter, als man glauben mag! Attraktivität zu definieren und für die Marine daraus Schlussfolgerungen zu ziehen, ist damit eine große Herausforderung! Und wird, in der Marine, wie sicherlich auch in ihren Häusern, kontrovers diskutiert! Muss man sich dieser Debatte überhaupt stellen? Seite 2 von 13 Reicht es nicht, dass Menschen einfach bei uns ihr Geld verdienen? Haben wir nicht bereits genug Herausforderungen zu stemmen? Leben wir nicht in schwierigen Zeiten, welche die volle Konzentration auf unser Kerngeschäft erfordern? Ist der Drang nach mehr Attraktivität in unseren Organisationen und Unternehmen nur eine Mode unserer Zeit? Mitnichten! Demographie und sozialer Wandel zwingen uns schlicht dazu, denn: o In wenigen Jahren wird in Deutschland die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung über 50 Jahre alt sein. o Etwa 30% wird sogar über 60 Jahre alt sein. o Die Hälfte der Kinder unter 5 Jahren wird einen Migrationshintergrund haben. o das Gesamtpotential der arbeitenden Bevölkerung wird um 1/3 abschmelzen! Das sind Tatsachen, meine Damen und Herren! Zudem schreitet eine weitere unaufhaltsame Entwicklung in unserer Gesellschaft voran, der Megatrend zur Individualität. Wir erleben und erfreuen uns an neuen sozialen Freiheiten, sind weit vorangeschritten in der Entwicklung zu unterschiedlichsten Lebensentwürfen, wir erleben ein neues Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl, nicht nur bei der Jugend, meine Damen und Herren! Seite 3 von 13 Wir können uns davor nicht wegducken! Und wir wollen es auch gar nicht müssen, denn wir sind froh über die entstandenen Freiheiten, wir sind froh, dass die Bundeswehr mit der Gesellschaft Schritt hält und wir sind froh, dass wir die Möglichkeit haben, auf diese Entwicklungen zu reagieren! Gleichwohl stellt uns das als große Organisation Marine, die wir auf die Ressource Mensch zwingend angewiesen sind, vor eine schwierige Lage, denn: o Es werden immer weniger, die zu uns kommen könnten! o Niemand muss mehr zu uns kommen! o Niemand muss sich verpflichtet fühlen, bei uns zu bleiben! o Kaum einer in unserer Gesellschaft verspürt noch das tiefe innere Verlangen für den Dienst am Vaterland Großteile seines Privatlebens zu opfern. o Warum auch? Die Konkurrenz am Arbeitsmarkt ist stark! Die Marine hat das verstanden! Wir haben die Rahmenbedingungen dieses Wandels als Chance begriffen, wir versuchen den Wandel vorausdenken und wir arbeiten mit voller Kraft daran, diesen Wandel mit für uns maßgeschneiderten Maßnahmen zu begleiten! Seite 4 von 13 Ja, das ist nicht einfach, ja, das ist in Teilen furchtbar anstrengend, und ja, es erfordert Mut, Wandel in den Streitkräften herbeizuführen! Wir versuchen, wo immer es in unseren Möglichkeiten liegt, vor die Welle zu kommen, Demographie und soziale Veränderung nicht nur als Zufall der Natur hinzunehmen – wir wollen unsere Zukunft aktiv gestalten! Nicht nur im Sinne des einzelnen Soldaten/Soldatin oder Mitarbeiters/Mitarbeiterin, nein, auch ganz gezielt für die Zukunftsfähigkeit unserer Organisation – attraktiv zu sein, heißt für mich persönlich in erster Linie zukunftsfähig zu sein! Wenn ich nochmal auf das Besatzungsgefüge, auf das ich zu anfangs ansprach, zurückkommen darf, wird schnell klar, in welchem Spannungsfeld wir uns als Marine bewegen, wenn es um Attraktivität geht. Im Kern geht es nämlich darum, die vielen individuellen, sehr persönlichen Bedürfnisse, und ich meine das vollkommen wertungsfrei, mit dem Auftrag an unsere Organisation – einsatzfähige maritime Streitkräfte zu stellen, bestmöglich in Einklang zu bringen. Aber eines muss klar sein: An erster Stelle steht der Auftrag! Seite 5 von 13 Ist das machbar oder eine schiere Utopie? Laufen wir Gefahr, dass Empathie uns schwächt? Wieviel Individualität hält eine Organisation, die auf Uniformität ausgerichtet ist, überhaupt aus? Oder, ganz praktisch, gemessen an der Einsatzrealität der Marine - Wieviel Work erträgt eine Work-Life Balance? Das sind nicht nur viele Fragen, die ich, die sich die Führung meines Hauses, stellt, sondern die sich durchaus auch Soldatinnen und Soldaten stellen und auch die Öffentlichkeit. Auch wenn ich mich des Diskurses erfreue – wie Martin Luther schon sagte: Manchmal reicht es eben nicht aus, sich ständig den Puls zu fühlen. Manchmal muss man einfach machen. Und dieses machen, unsere Marine attraktiver zu gestalten, ist eine Herkulesaufgabe, ein Spagat zwischen Rational und Emotion. Sie erfordert Pragmatismus und das nehme ich sehr wörtlich. Sicherlich gibt es den ein oder anderen hier im Publikum, der bisher kaum Berührungspunkte mit uns hatte, der vielleicht nur eine vage Vorstellung vom Alltag in der Marine hat und daher schlecht einschätzen kann, um was es eigentlich ganz konkret geht. Ich will es Ihnen gerne näherbringen. Seite 6 von 13 Es geht um nichts weniger als darum o Einsätze, Seefahrt, monatelange Abwesenheit (in Teilen jährlich wiederkehrend über 200 Tage im Jahr); Enge, unausweichliche Nähe, das Leben auf einer technischen Plattform, ein Leben ohne Rückzugsort und in Abgeschnittenheit von zu Hause; ein Dienst, der einem körperliche Höchstleistungen abverlangt und psychisch extrem fordernd ist in Balance zu bringen mit o dem Privatleben unserer Männer und Frauen, mit ihren Familien, mit ihren Freunden, mit ihren Hobbies, vielleicht ihren Ehrenämtern – zusammengefasst mit all dem, was ein Mensch in der Basis braucht, um glücklich und ausgeglichen zu sein und ohne das berufliche Hochleistung unmöglich ist. Als Marine attraktiv sein zu wollen ist damit nicht nur „nicht ganz leicht“, es ist harte Arbeit, zyklisch wiederkehrend, nie endend, nie uniform. Seite 7 von 13 Hinzu kommt ein ganz wesentlicher Aspekt, den Kritiker gerne unter den Tisch zu kehren versuchen, wenn sie beispielsweise eine Agenda Attraktivität belächeln: Soldatinnen und Soldaten sind mitnichten „normale“ Arbeitnehmer! Sie haben geschworen, ihr Leben für Recht und Freiheit einzusetzen. Ihr Leben. Sind wir als Gesellschaft dann nicht verpflichtet, nicht wir als Führung des Hauses verpflichtet, eben weil wir mehr als andere Arbeitgeber fordern, auch bessere Bedingungen für unsere Männer und Frauen zu schaffen? Ich denke ja! Und wenn ich eben über die Kritiker sprach, dann will ich den ein oder anderen Marinekameraden, der vielleicht in einer anderen Zeit diente und diesem Wandel ebenso ablehnend gegenübersteht, nicht ausnehmen: Wir werden in Zukunft nicht besonders weit kommen, wenn wir alles so belassen wie es ist. Und was angeblich immer schon so war heißt nicht, dass es immer schon gut war! Leidensfähigkeit, Entbehrungen, harte Lebensumstände vor allem in der Seefahrt erfahren zu müssen, will die heutige Generation so nicht mehr tragen. Und ich kann das gut Seite 8 von 13 verstehen, meine Damen und Herren, sehr bildlich, wenn ich mich an meine Zeiten auf Ubooten zurückbesinne. Zweifellos verbinden gemeinsames Erleben und Ertragen von außergewöhnlichen Umständen, auch das ist ein Element von Attraktivität. Diese Attraktivität wirkt aber nur auf diejenigen, die sie bereits erlebt haben – die anderen schreckt sie aber eher ab. Es wird nie unser Ziel sein, „besonders schön und besonders nett“ zu sein - das würde dem Wesen und dem Charakter von Streitkräften widersprechen - aber stärker am Menschen orientiert, stärker an unserem wichtigsten Kapital, ohne das es keine zukunftsfähige Marine geben kann! Attraktivität ist kein monolithischer Block. Dies erfahre ich immer wieder im Gespräch mit den Menschen der Marine. Und ich glaube ich habe ein authentisches Lagebild, an welchen Baustellen wir in dieser Thematik vordringlich arbeiten müssen. Sie werden vielleicht erstaunt sein: die Seefahrt selbst ist gar nicht das Problem! Seefahrt ist nach wie vor unser Alleinstellungsmerkmal; Seefahrt ist das intensive Erlebnis, das viele Menschen zu uns führt, Seefahrt ist Einzigartigkeit; ist Kameradschaft, ist die Chance, über den Tellerrand hinausschauen zu können, mit Seite 9 von 13 attraktiver Technik umgehen zu dürfen und vor allem: Verantwortung übernehmen zu können – Seefahrt ist nach wie vor attraktiv! Woran wir vordringlich arbeiten müssen, ist Maß und Planbarkeit von Seefahrt. Die Menschen wollen wissen, wann sie rausfahren und wann sie wieder einlaufen. Sie wollen mit Schiffen zur See fahren, die diese Planbarkeit ermöglichen und auf die sie stolz sein können. Und natürlich gehört dazu ein ausgewogenes Verhältnis von Abwesenheit und die Möglichkeit ein Privatleben auch mit Leben füllen zu können. Die stringente Ausrichtung des Designs unserer neuen Kampfschiffe auf Intensivnutzung und Mehrbesatzungsmodelle sowie Einsatzausbildung im Heimathafen - sie stellen den Menschen bereits jetzt in den Mittelpunkt. Anders wird es in Zukunft nicht mehr gehen. Ohne gute Bedingungen keine Attraktivität, ohne Attraktivität keine Mitarbeiter. Einfache Rechnung. Und wenn wir gerade bei Rechnungen sind – so reden wir auch gern über die Bezahlung. Eine der besonderen Belastung adäquate Vergütung ist Anreiz und wichtiger Hygienefaktor. Unsere Männer und Frauen haben ein Anrecht darauf dass ihre Risikobereitschaft und ihr Einsatz in der Gesellschaft diskutiert werden. Aber Tatsache ist eines: die Attraktivität des Dienstes in der Marine wird sich am Ende nicht daran bemessen, ob man 50 Euro mehr oder weniger in Seite 10 von 13 der Tasche hat. Als gerecht und lohnend empfundene Anreize zu setzen ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für einen attraktiven Arbeitgeber Marine. Was viel tiefer geht, was langfristig attraktiv ist, was sozusagen die intrinsische Attraktivität bei unseren Männern und Frauen befördert, ist die Sinnhaftigkeit des Auftrages, ist die Wahrnehmung und Wertschätzung des einzelnen Mitarbeiters. Das alles zusammenzubringen, zu balancieren, abzuschätzen was geht und was auch nicht – Attraktivität aktiv anzupacken, meine Damen und Herren, ist Führungsaufgabe! Und Führungsaufgaben sind im seltensten Fall zweidimensional zu lösen, wie wir alle wissen. Die Balance zwischen Individualität und Uniformität, zwischen den Bedürfnissen unserer Mitarbeiter und des Auftrages unserer sehr besonderen maritimen Kampfgemeinschaft, immer wieder neu auszupendeln, kann per se nicht ein für alle Mal festgelegt werden. Mal wird das eine mehr wiegen, mal das andere. Und mal wird es auch gar nicht gehen, allen gerecht zu werden! Einem zur See fahrenden Soldaten kann ich in der derzeitigen Situation kein ständiges Homeoffice ermöglichen. Und einer zur See Seite 11 von 13 fahrenden Mutter muss ich hoffentlich nicht erklären müssen, dass sie ihr Kind nicht jeden Tag zur Kita wird bringen können. Wir müssen und werden authentisch bleiben! Wir werden als Marine nicht allen Ansprüchen von Attraktivität genügen können! Und doch bin ich davon überzeugt, dass wenn wir schon nicht für alle, dann aber für sehr viele Menschen - Mitarbeiter und potentielle Mitarbeiter attraktiver werden können, als wir es derzeit sind! Das impliziert ein Ungleichgewicht. Das impliziert an mancher Stelle eine empfundene Ungerechtigkeit, die schnell zu Friktionen führen kann: Eine Organisation, die Regeln und Ordnung per definitionem schützt, wird schließlich mit strengstem Maßstab daran bemessen, wie gerecht sie sich verhält. Wir werden diesen Diskurs aushalten müssen. Wir werden erklären und versuchen, die Menschen mitzunehmen. Wir werden unsere Empathie in einem tragbaren und vertretbaren Rahmen zu unserer Stärke zu machen, aber gleichzeitig genau darauf achten, dass sie nicht zu unserer Schwäche wird. Das ist, aus meiner Sicht, der richtige Kurs in Richtung einer attraktiveren Marine. Seite 12 von 13 Sicherlich ist die „Attraktivitätsdebatte“, so will ich sie mal nennen, nicht nur bei uns, sondern auch bei vielen von Ihnen nicht einfach zu führen – bei einem sind wir uns alle sicher einig: Wandel stellt eine Organisation auf den Prüfstand. Kommunikation und Information müssen diesen Prozess daher zwingend begleiten. Quer durch die Organisation, quer durch alle Ebenen. Alle müssen verstehen, um was es geht – um auf uns zurück zu kommen, geht es wieder um eine Besatzung - nur nicht die eines einzelnen Schiffes, sondern der gesamten Marine: Im weitesten Sinne geht es um nicht weniger, als Attraktivität als Kultur zu verankern. Nutzen wir den zeitlichen Vorsprung, der uns gegeben ist, diesen Wandel zu gestalten. Lassen Sie uns in ein spannendes Symposium gehen und viele gute Impulse mitnehmen. Ich freue mich darauf. Herzlichen Dank. Seite 13 von 13
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