Dienstag, 14. Februar 2017 ...................................................................................................... Globaler Ausblick für 2017: Die Aussichten für Xi Jinping ..................................................................................................... Experte Urs Schoettli Region: China und Nordost-Asien Präsident Xi Jinping ist zum einflussreichsten chinesischen Führer seit einer Generation geworden. Seine Macht wird noch in diesem Jahr auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei auf den Prüfstand kommen (Foto: dpa) Präsident Xi Jinping ist sowohl der stärkste Führer Chinas seit einer Generation als auch sein am stärksten angreifbarer. Nach der Konsolidierung der Macht während seiner ersten fünfjährigen Amtszeit, die diesen Herbst endet, kann er nun versuchen, die Regeln zu ändern, damit er sogar für eine dritte Amtszeit Präsident bleiben kann. Aber Xi muss vorsichtig sein und den Vorwurf vermeiden, einen Personenkult zu erschaffen, der vernichtend für seine Führung sein könnte – vor allem, falls er in einer Periode der wirtschaftlichen Schwäche aufkommen sollte. Ende 2017 wird der 19. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas zusammen treten. Die wichtigste Aufgabe dieser Versammlung ist es, den Kurs des Landes für die nächsten fünf Jahre sowohl bei Personalfragen als auch in der Politik selbst festzulegen. Im Mittelpunkt steht der 63-jährige Xi Jinping, Generalsekretär der KP www.gisreportsonline.com SEITE 1 Dienstag, 14. Februar 2017 ...................................................................................................... Chinas, Präsident der Volksrepublik China und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission. Während die Partei erhebliche Fortschritte bei der Umwandlung des Landes von einem Armenhaus am Ende der Herrschaft von Mao Zedong zur zweitgrößten Wirtschaft der Welt gemacht hat, ist die politische Entwicklung der Volksrepublik ins Stocken geraten. Wie jeder Führer eines kommunistischen Ein-Parteien-Staates steht auch Xi vor der Frage, ob er den unvermeidlichen Zusammenbruch des Systems verschieben kann, indem er Reformen (zaghaft oder anders) anstößt oder indem er durch das Anziehen der Zügel die Reihen schließt. Konsolidierung der Macht Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass eine der wenigen politischen Veränderungen, die seit dem Tod von Mao Zedong von der Parteiführung eingeführt wurden, die Altersbeschränkung für die Besetzung hoher Partei- oder Staatsämter sowie die Begrenzung der Führungskräfte auf zwei fünfjährige Amtszeit ist. Die letztgenannte Regel wurde umgesetzt, als die Macht von der dritten Generation der Führer (Jiang Zemin, Li Peng und Zhu Rongji) auf die vierte (Hu Jintao und Wen Jiabao) übertragen wurde, und sie wurde erneut bekräftigt, als die Macht von Präsident Hu und Premier Wen auf die fünfte Generation überging (Präsident Xi und Premier Li Keqiang). Mao und Deng Xiaoping hatten ihre Ämter ohne zeitliche Begrenzung inne, wie es in den damaligen kommunistischen Parteien Brauch war. Die Veränderung zielte weitgehend darauf ab, eine Ungewissheit wie in den letzten Jahren von Maos Herrschaft zu vermeiden, als verschiedene Fraktionen um die Macht kämpften, während der kränkliche Führer kaum noch zugänglich war. Es ist kein gutes Zeichen, dass auch diese ziemlich begrenzte Reform jetzt in Frage gestellt wird, da die Spekulationen um sich greifen, nach denen Xi beabsichtige, über 2022 hinaus, dem Ende seiner zweiten Amtszeit, seinen Posten zu bekleiden. Es gibt auch Gerüchte, nach denen einige Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Politbüros von der Altersgrenze befreit werden könnten und dass das Gremium von sieben auf fünf Mitglieder reduziert werden dürfte. Die gegenwärtigen Regeln sehen fünf Ersatzleute vor, wobei Premier Li und Präsident Xi die einzigen beiden wären, www.gisreportsonline.com SEITE 2 Dienstag, 14. Februar 2017 ...................................................................................................... die im Amt blieben; die neuen Mitglieder würden deren Nachfolger gleich mit umfassen. Offensichtlich würde ein Schrumpfen des Ständigen Ausschusses die Macht der verbleibenden Mitglieder vergrößern. Aufbau des Erbes Die potenziellen personellen Veränderungen erhöhen die Bedeutung einiger kürzlich zu bemerkender Veränderungen in der Rhetorik. Zuerst wurde eine neue Formel verwendet, um die Position von Xi zu beschreiben: Seit dem vergangenen Herbst wird er als „Zentraler Führer“ bezeichnet, ein Titel, der keine Funktion trägt, der allerdings von hohem symbolischen Wert ist. Er wurde einst für Mao, Deng und Jiang verwendet; Präsident Xis unmittelbarer Vorgänger, Hu Jintao, hatte diese Bezeichnung nicht erhalten. Wie die Staatschefs in vielen anderen Ländern neigen auch die chinesischen Parteiführer dazu, gegen Ende ihrer Amtszeit ein politisches Erbe, das an die Persönlichkeit des Politikers geknüpft ist, zu schaffen. In Dengs Fall waren es die historischen Wirtschaftsreformen. Präsident Jiang, der große Erwartungen an seine Rolle als Staatsmann hatte, setzte sein Konzept der „Drei Repräsentanten“ durch. Damit erhielt er Einzug in den kommunistischen Kanon der Volksrepublik, der mit der „Denkweise Mao Zedongs“ beginnt und der auch „Deng Xiaopings Theorie“ umfasst. Während eine solche rhetorische Leistung für externe Beobachter rein symbolisch erscheinen mag, kostete sie Präsident Jiang einen großen Teil seines politischen Kapitals. Präsident Xi scheint es eilig zu haben, eine ähnliche Wegmarke zu erschaffen, indem er seine „Vier umfassenden Grundlagen“ formulierte: 1. Der umfassende Aufbau einer moderat wohlhabenden Gesellschaft; 2. Die umfassende Vertiefung der Reform; 3. Das umfassende Regieren der Nation nach den Grundlagen der Gesetze; 4. Das umfassend strenge Regieren die Partei. Das Abnicken eines solchen Satzes an Vorschriften, die von der Partei verabschiedet wurden, um die Politik der gegenwärtigen Führung anzuleiten, ist eine ziemlich große www.gisreportsonline.com SEITE 3 Dienstag, 14. Februar 2017 ...................................................................................................... Leistung, vor allem, wenn dies zu Beginn einer Amtszeit geschieht. Zusammen mit seiner Positionierung im „Zentrum“ ist dies das zweite Element von Xis Porträtierung als außergewöhnlicher Führer. Falls Präsident Xi Schwierigkeiten bekäme, seine Macht auszuüben, könnte er sich dem Militär zuwenden, wo er sich einen starken Rückhalt aufgebaut hat (Foto: dpa) Es gibt eine andere, weniger ernsthafte rhetorische Veränderung. Präsident Xi leitet zwei Sonderausschüsse: einen, der die Sicherheitsbehörden des Landes beaufsichtigen soll, und einen, der „umfassende“ Sicherheitsreformen umsetzen will – dies hat ihm den Spitznamen „COE: Chairman of Everything“ eingebracht. Diese Art von Ehrlichkeit, so vorsichtig sie auch sein mag, spiegelt das Bewusstsein einer Bedrohung wider, die allen Ein-Parteien-Systemen gemeinsam ist: die allgegenwärtige Gefahr eines Personenkultes. China erinnert sich an die Probleme, die dieser unter Mao herbeigeführt hatte und strukturierte darum seine Regierung um, um eine Wiederholung zu vermeiden, so dass der Vorwurf, dass ein Führer versuchen könnte, einen derartigen Kult zu errichten in der Tat gravierend wäre. Wenn die Probleme im System, die sich häufen, akuter werden, ist es möglich, dass www.gisreportsonline.com SEITE 4 Dienstag, 14. Februar 2017 ...................................................................................................... man auch Xi diesen Vorwurf macht, was zu seinem Untergang führen könnte. Herausforderungen und Szenarien Die vier großen Herausforderungen für Xi Jinping sind: • die Verlangsamung der Wirtschaft • die Korruption • hartnäckiger und systemischer Widerstand gegen Reformen • Verlust des Gesichts auf der internationalen Bühne Wie er diese Herausforderungen bewältigt, wird weitgehend bestimmen, inwieweit er auf dem Parteitag in diesem Jahr eine gewisse Autorität ausüben kann. Es gibt zwei Hauptszenarien. Szenario eins, die wahrscheinlichste Option: Präsident Xi schafft, was er sich vorgenommen hatte, und der Parteitag folgt seiner Führung in den Fragen des Personalmanagements, der Ideologie und Politik und bestätigte ihn als definitiv stärksten Führer seit Deng. Das bedeutet, dass der Einfluss von Xi weit über 2022 hinausgehen könnte, entweder, weil er die Regeln ändert, um sich eine dritte Amtszeit zu ermöglichen, oder weil er durch seine Personalentscheidungen einen wichtigen Eindruck hinterlässt. In diesem Szenario wird die verstärkte Fokussierung auf die Kontrolle der „Reinheit des Denkens“ (durch Zensur) anhalten. Auf der internationalen Bühne wird es eine stärkere Verteidigung und Projektion nationaler Interessen geben. In ökonomischer Hinsicht ist zu bedenken, dass Präsident Xi von Beginn seiner Präsidentschaft an mehr auf ideologische Inhalte als auf Politikpragmatismus setzte – im krassen Gegensatz zu Deng und dessen unmittelbaren Vorgänger Hu Jintao. Unabhängig von den sozioökonomischen Herausforderungen in den nächsten fünf Jahren dürfen wir von einem starken Präsidenten Xi erwarten, dass der Primat der Politik gegenüber der Ökonomie, der traditionell die Politik der KP Chinas geprägt hat, noch stärker umgesetzt wird. Egal wie dringend die Notwendigkeit weiterer Reformen (vor allem in der Finanzindustrie) ist: Er wird sicherstellen, dass nichts www.gisreportsonline.com SEITE 5 Dienstag, 14. Februar 2017 ...................................................................................................... entschieden wird, das die Gesamt-Kontrolle über die chinesische Gesellschaft beeinflussen könnte. Xi ist sich bewusst, dass seine wichtigste Aufgabe die Gewährleistung der Fortsetzung der Herrschaft der KP ist. Nach dem 19. Parteitag wird der Schwerpunkt zweifellos auf 2019 liegen, dem Jubiläumsjahr, in dem die KP ihr 70-jähriges Bestehen feiert. Damit wird ein willkommener Vorwand für eine stärkere Betonung des Nationalismus geschaffen, der auch in der Wirtschaft – vor allem für ausländische Unternehmen – spürbar sein wird. Szenario zwei: Präsident Xi ist nicht in der Lage, alle seine Ziele umzusetzen und muss in Bezug auf Personal und Politik Kompromisse mit anderen Kräften aushandeln. Derartige Absprachen hätten wohl keine Umkehrung seiner Antikorruptionsstrategien oder ideologischen Wertekampagnen zur Folge, die die breite Unterstützung der Öffentlichkeit genießen. Zugeständnisse würden in der Verfolgung der strengeren zentralen Kontrolle über provinzielle Banken und bankenähnliche Institutionen gemacht werden. Maoistische Werte erfreuen sich heute in China einer wiederbelebten Akzeptanz, da das Land eine wachsende Wohlstandslücke sowohl innerhalb der Bevölkerung als auch zwischen den Regionen erlebt. Präsident Xi hat diese Werte in seine Theorie der „Vier umfassenden Grundlagen“ integriert. Es wird erwartet, dass er sich, wenn er Kompromisse schließen muss, explizit auf Maoistische Werte berufen wird – zumindest rhetorisch, um die Traditionalisten ruhig zu stellen. Das bevorstehende Jubiläum wird weitere Anreize bieten, über das Vermächtnis des „Großen Steuermanns“ nachzudenken. Worauf man achten muss Mehrere potenzielle Entwicklungen können externen Beobachtern helfen, zu beurteilen, wie viel Erfolg Präsident Xi in seinen Bemühungen hat, die Dominanz über die Partei zu behalten. Falls er härter arbeiten muss, um seine Macht im Angesicht möglicher Gegner zu demonstrieren, wird er sich ganz sicher den Streitkräften zuwenden. Neben seiner Machtdemonstrationen im Parteiapparat war Xi am entschlossensten, als es darum ging, die absolute Unterstützung des Militärs zu gewinnen. Während das Konzept der „Zentralen Führung“ erst vor kurzem www.gisreportsonline.com SEITE 6 Dienstag, 14. Februar 2017 ...................................................................................................... entstanden ist, bekleidete Präsident Xi von Anfang an den Posten des Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission. Falls seine Dominanz innerhalb der Partei angefochten würde, dürfte er wahrscheinlich versuchen, seine militärische Basis zu stärken. Im Gegenzug wird er den Streitkräften mehr Unterstützung für deren strategische Ambitionen zuteil werden lassen sowie die weitere Modernisierung und Erweiterung ihres Arsenals vorantreiben. Die Ernsthaftigkeit jeder Herausforderung von Xis Führung hängt von den Machtgleichungen innerhalb der KP ab. Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass die Partei kein Monolith ist. Obwohl Präsident Xi bei der Beseitigung aller potentiellen Konkurrenten sehr erfolgreich war, sind die verschiedenen ideologischen Stränge und persönlichen Cliquen nicht verschwunden. Natürlich herrscht offiziell eine totale Einheit, aber im Allgemeinen sind drei Stränge klar erkennbar: die technokratischen Modernisierer; die Traditionalisten (oder Maoisten) und schließlich die große Gruppe der Pragmatiker oder Opportunisten, die genau aufpassen, wie sich der Wind dreht. Solange die Wirtschaft boomt, gilt deren Unterstützung offensichtlich den Technokraten. Aber es ist kein Zufall, dass, wenn die Wirtschaft auf Schwierigkeiten stößt, immer mehr Hinweise auf das traditionelle maoistische Denken vernehmbar sind. Und schließlich: In Ermangelung der Rechtsstaatlichkeit werden Kampagnen gegen Korruption leicht als Instrumente angesehen, um Konkurrenten und Rivalen zu entfernen. Dies trifft auch auf die aktuelle Kampagne von Präsident Xi zu, die einen eher willkürlichen Ansatz verfolgt, wenn es um korrupte Kader in der Partei und der Regierung geht. Wie sich die Kampagne in den kommenden Monaten entwickelt, muss daher als Indikator für die Stärke von Xi und für seine Fähigkeit angesehen werden, den 19. Nationalen Parteitag zu dominieren. www.gisreportsonline.com SEITE 7
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