Ein Notausgang nach dem Debakel

Datum: 14.02.2017
Sieger: Die Partei von SP-Präsident Christian Levrat will «weniger Steuerprivilegien». Foto: Tomas Wüthrich (13 Photo)
Ein Notausgang nach dem Debakel
Wirtschaftsfunktionäre und bürgerliche Politiker arbeiten hinter den Kulissen bereits an einer Zweiteilung der gescheiterten
Steuerreform. Damit sollen die geächteten Steuerregimes abgeschafft werden. Die explosiven Elemente würden auf später verschoben.
Themen-Nr.: 660.003
Abo-Nr.: 660003
Auflage: 157'323
Argus Ref.: 64295070
Datum: 14.02.2017
Verlierer: Verbände wie der Gewerbeverband unter Hans-Ulrich Bigler wollen kaum Kompromisse. Foto: Anthony Anex (Keystone)
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Andreas Valda und Markus Häfliger
Bern
Der vernichtende Volksentscheid zur
Unternehmenssteuerreform (USR) III
war für die Befürworter ein Schock,
doch ihre Starre dauerte nicht lang.
Schon am Tag nach dem Volksnein
langsamen Paket. Im ersten sollen unbe- präsident des Finanzberaters Pricewastrittene Elemente der gescheiterten Re- terhouseCoopers (PWC), bezeichnet
form möglichst flott durchs Parlament den Plan C als «interessantes Szenario».
gebracht werden mit der Einschätzung, Die fünfjährige Übergangsbesteuerung
dass es dagegen kein Referendum gebe. gebe Zeit, für den zweiten Schritt mit
Diese Elemente sollen es den Kantonen den neuen Steuerabzügen. Dieser
ermöglichen, sich von den geächteten Schritt müsse aber «auf jeden Fall komSteuerprivilegien zu verabschieden, men». Der Plan C könne nur funktionie-
arbeiteten die Abstimmungsverlierer an ohne dass Konzerne massenweise ab- ren, wenn die Firmen Aussicht darauf
einem überraschenden Notausgang, wie wandern. Die Elemente sind:
hätten, nach der Übergangsfrist internaRecherchen zeigen: Statt rasch eine Die international verpönten Steuer- tional konkurrenzfähige Steuersätze zu
zweite, nur punktuell angepasste Steuer- regimes werden abgeschafft.
erhalten. Auch ein anderer Steuerexvorlage zu erarbeiten, wollen bürgerli- Den betroffenen Konzernen wird eine perte meint, der Plan C gebe mehr Fleche Politiker, kantonale Finanzdirekto- tiefe Übergangsbesteuerung («Step-up») xibilität, um negative Reaktionen der EU
ren und Wirtschaftsfunktionäre ihre offeriert, die während fünf Jahren gilt. oder der OECD zeitlich abzufedern.
Strategie grundlegend ändern.
Aufgrund der Abschaffung der
Bis jetzt schien klar, was nach einem Steuerprivilegien würden für gewisse Kommt doch noch der Plan B?
Nein passieren würde: Bund und Kan- Kantone die Einzahlungen in den Natio- Zwar sagen einige der in diese Überletone würden prompt eine neue Vorlage nalen Finanzausgleich (NFA) enorm stei- gungen eingeweihten Personen, dass sie
aushandeln. Dieser Plan B sollte sich eng gen. Um dies zu verhindern, soll der Be- den Plan B noch nicht definitiv verloren
an der abgelehnten Vorlage orientieren rechnungsmodus für den NFA geändert gäben. Man könne zwei, drei Monate
- nach dem Schema «mehr Gegenfinan- werden. Dieses Element der USR III war lang versuchen, einen Kompromiss zu
zierung, weniger Steuerprivilegien», wie im Abstimmungskampf unbestritten.
erzielen, zum Beispiel im Rahmen des
SP-Nationalrat Beat Jans sagt. Vor allem Um den Kantonen Spielraum für ge- runden Tisches. Damit es zu einer Einidie SP und die Städte als Abstimmungs- nerelle Steuersenkungen zu geben, zahlt gung kommen könnte, müssten vor alsieger drängen in diese Richtung. «Bis ihnen der Bund eine Kompensation von lem die SP und der Gewerbeverband zu
Ende der Frühlingssession» soll ein Vor1,1 Milliarden Franken pro Jahr, wie es substanziellen Kompromissen bereit
schlag vorgestellt werden. «Es gibt keine auch in der USR III vorgesehen war.
sein. Erste Signale geben diesbezüglich
Alternative zu diesem Plan B.»
eher wenig Anlass zur Hoffnung.
SP-Nationalrat Jans sagte am Montag,
Plan C, zweiter Teil
Plan C, erster Teil
Doch bei Economiesuisse und verbündeten Verbänden, in den Kantonen und
in der FDP haben einflussreiche Akteure
grosse Zweifel, dass ein solcher Plan B
innert nützlicher Frist machbar ist. «Er
hängt davon ab, ob die Positionen der SP
und des Gewerbeverbands einen nationalen Kompromiss ermöglichen. Das
scheint fraglich», sagt ein Funktionär.
«Das Volk hat derart deutlich abgelehnt,
Die anderen Elemente der USR III, namentlich die neuen Steuerabzüge, würden für das zweite Gesetzespaket aufgespart. Die Idee ist, dank der Übergangsbesteuerung von fünf Jahren Zeit zu gewinnen, um das politisch explosivere
zweite Paket mehrheitsfähig zu machen.
Darin eingeschlossen wäre auch eine
mögliche Gegenfinanzierung durch höhere Steuern auf Dividenden.
man erwarte, dass der Bundesrat nicht
mit den Abstimmungsverlierern aus der
Wirtschaft und den Kantonen, sondern
mit den Siegern eine neue Vorlage erarbeite, die politisch austariert sei. Die
Aussage Maurers, dass er die Vorlage
zweiteilen wolle und ein Jahr für einen
neuen Vorschlag brauche, kritisiert Jans
scharf. Die Präsidentin der Wirtschaftskommission des Nationalrats, Susanne
Leutenegger Oberholzer (SP, BL), erwar-
In die gleiche Richtung wie Noser
dass es nicht genügt, nur ein paar denken
und lobbyieren auch gut infor- tet «eine konkrete Botschaft des BundesSchräubchen an der Vorlage zu drehen»,
rats spätestens bis zur Sommersession
sagt der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi mierte Personen in WirtschaftsverbänNoser, der im Vorstand von Economie- den und Kantonen. «Ja, ein solches Konsuisse sitzt. Die Vorlage müsse gründlich zept ist im Busch», bestätigt der Waadtüberarbeitet werden, und das gehe nicht länder Finanzdirektor Pascal Broulis
so schnell, wie das den Referendums- (FDP). Mit Nosers und Broulis' Erläute-
und will das der Kommission am kommenden Montag zur Diskussion stellen».
Sollte der Plan B aber scheitern, käme
der Plan C ins Spiel. Informelle Kontakte
in dieser Richtung begannen hinter den
rungen erscheint eine Aussage Ueli Mau- Kulissen schon vor dem Sonntag, als sich
führern vorschwebe. Darum, sagt Noser,
brauche es einen Plan C, das heisst: «Die rers in neuem Licht. Der Finanzminister die Ablehnung der Vorlage abzeichnete.
am Sonntag angetönt, dass man Dem Vernehmen nach könnten noch
Aufteilung der Steuerreform in eine hatte
die gescheiterte Vorlage möglicherweise
diese Woche weitere Gespräche im Fierste und in eine zweite Phase.»
nanzdepartement stattfinden.
Der Plan C besteht aus einem schnel- «in zwei Schritten» bringen müsse.
Markus Neuhaus, Verwaltungsratslen ersten Paket und einem zweiten
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Datum: 14.02.2017
Steuerreform Im Kanton Waadt
Die versprochenen Bundesmillionen sollen trotzdem fliessen
beseitigt. Die meisten Kantone gaben
gestern in einer Umfrage der Nachrich- Nicht auf den Bund warten
tenagentur SDA nämlich an, sie hätten Obwohl man in der Waadt wie in anderen Kantonen darauf hofft, der Bund
ihre Umsetzungsgesetze gestoppt.
Der Waadtländer Finanzdirektor Pas- werde innert Monaten eine neue Vorcal Broulis hatte «seinen» Kanton vor lage präsentieren, zirkuliert die Idee,
Die Waadt ist frustriert
über das Nein. An ihrer
eigenen Steuerreform will
sie aber festhalten.
Philippe Reichen
Lausanne
Der Kanton Waadt ist bei der Unternehmenssteuerreform (USR) III Pionierkanton und selbst dem Bund weit voraus. Im
März 2016 votierten 87 Prozent für eine
kantonale USR III, die Steuererleichterungen für Unternehmen bei gleichzeitiger Erhöhung der Sozialausgaben (Kinderzulagen, Kinderbetreuung, Prämienverbilligungen) vorsieht. Alles ist genau
kalkuliert: Steuerausfälle und zusätzliche Sozialausgaben will die Waadt mit
den 107 Millionen Franken decken, die
der Bund gemäss der USR-III-Vorlage
als jährliche Kompensationszahlung ver-
der Abstimmung zur nationalen USR III die kantonale USR III Anfang 2019 als Ulvor einem Nein gewarnt. «Es gibt keinen tima Ratio in Kraft zu setzen, falls sich
Plan B. Ein Nein zur nationalen USR III die Bundeslösung hinauszögert. Das
würde die kantonale Steuerreform zer- heisst, die Waadt würde den Sonderstastören», prophezeite er. Trotz des Neins tus für Konzerne wie geplant abschaffen
hat Broulis seine Haltung geändert. Er und käme so zu den einkalkulierten Milsagt: «Die Umsetzung der Waadtländer lioneneinnahmen von Bund und KonUSR III könnte sich verzögern, blockiert zernen zur Finanzierung der zusätzlichen Sozialabgaben, obwohl es dafür
ist sie aber nicht.»
Unter Druck setzen Broulis die Wirt- nach dem Nein zur USR III keine rechtschaftsverbände. Claudine Amstein, Di- liche Grundlage gibt. Finanzdirektor
rektorin der Waadtländer Handelskam- Broulis sagt: «Ich halte das für keinen
mer, sagt: «Wir sind nicht mehr bereit, gangbaren Weg.» Eine Beseitigung der
das Paket aufzuschnüren. Der Kanton steuerlichen Vorzüge für Konzerne
soll die USR III wie geplant umsetzen und müsse der Bund vornehmen. National-
der Bund die versprochenen 107 Millio- rat Roger Nordmann (SP, VD) bestätigt
nen Franken jährlich bezahlen.» Die dies, sagt aber: «Wenn sich bei den Kon-
Linke hätten mit ihrem Referendum ja zernen in der Waadt der Trend zum
sprochen hat. 50 Millionen Franken weder die Kompensationen des Bundes spontanen, freiwilligen Ausstieg aus den
kommen von den Konzernen, die mit noch die Abschaffung des Sonderstatus Steuerprivilegien fortsetzt, reduzieren
dem Einheitssteuersatz von 13,79 Pro- für Konzerne infrage gestellt, sagt Amzent deutlich höher besteuert werden. stein. Auch Christophe Reymond, DirekDas Nein zur nationalen USR III tor des Unternehmerverbands «Fe' d&abringt die Waadtländer Steuerreform tion Patronale Vaudoise», fordert, «am
nun aber aus dem Gleichgewicht. Auf Prinzip der kantonalen USR III nichts zu
die 107 Millionen Franken des Bundes ändern». Wenn nötig müsse man halt auf
kann die Waadt vorerst nicht zählen und den Bund warten und könne das neue
muss sich gut überlegen, ob sie den Son- Steuerregime erst nach dem Januar 2019
derstatus für Konzerne im Alleingang in Kraft setzen.
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sich die Verluste der kantonalen USR III.
Damit stiege die ordentliche Steuersubs-
tanz an, womit die Regierung andere
Teile der kantonalen USR III einfacher
umsetzen könnte.» Der Staatsrat muss
in den kommenden sechs Monaten Vorschläge zur USR-III-Umsetzung ausarbei-
ten und dem Parlament vorlegen.
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