SWR2 Tandem

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Tandem
Hotline für besorgte Bürger
Ali Can spricht auch mit AfD-Anhängern
Das Gespräch führt Almut Engelien
Sendung: Freitag, 10. Februar 2017, 10.05 Uhr
Redaktion: Petra Mallwitz
Produktion: SWR 2017
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede
weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des
Urhebers bzw. des SWR.
Service:
SWR2 Tandem können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter
www.swr2.de oder als Podcast nachhören:
http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml
Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Tandem sind auf CD erhältlich beim
SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro.
Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030
Bestellungen per E-Mail: [email protected]
Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2?
Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen
Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen.
Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen
Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert.
Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de
HOTLINE FÜR BESORGTE BÜRGER
Almut Engelien:
Ali Can, seit einem halben Jahr - erst war es nur einmal in der Woche, dann
mehrmals in der Woche - jeweils zwei Stunden am Tag, sprechen Sie mit Menschen,
die anrufen und irgendwie Probleme haben mit Einwanderern, mit Ausländern, mit
Flüchtlingen. Was ist Ihre Bilanz nach dieser Zeit, über ein halbes Jahr?
Ali Can:
Also es rufen nicht nur Menschen an, die Probleme haben mit der zunehmenden
Anzahl von Geflüchteten, zum Beispiel, sondern besorgte Bürger sind auch
Menschen, die sogar in der Flüchtlingshilfe sind und aber mal vielleicht eine Situation
erleben, die sie vielleicht schockiert hat, die sie nachdenklich gemacht hat. Also es
rufen wirklich verschiedenste Menschen an.
Almut Engelien:
Was ist in letzter Zeit ein Anruf gewesen, ein Gespräch, das Sie sehr stark
beschäftigt hat oder über das Sie gerne sprechen würden?
Ali Can:
Also es gibt so viele Gespräche, die sind alle eigentlich hoch interessant. Aber das
am Montag hat mir wieder eins verdeutlicht, was mich sehr nachdenklich gemacht
hat. Da war jemand, der gesagt hat, dass er prinzipiell nichts gegen Flüchtlinge hat,
aber er wundert sich, dass die ganzen jungen Männer kommen und warum diese
Männer nicht gegen die Terroristen, gegen die IS ankämpfen, also um den SyrienKrieg zu beenden. So und das hat mir aber verdeutlicht, dass dieser Mensch wirklich
dachte, der Bürgerkrieg Syriens besteht daraus, dass da der IS ist und den müsste
man eigentlich nur beseitigen. Und die ganze Bevölkerung würde aber sozusagen
abhauen, auf Gutdeutsch gesagt, und deswegen ist das Land weiterhin immer noch
im Krieg. Aber der Bürgerkrieg ist ja viel komplexer, es geht ja dabei gar nicht wirklich
um den IS an sich, also da haben wir schon im Land verschiedene Akteure, Parteien,
die gegen das Assad-Regime sind, das Assad-Regime ist gegen die, dann kommt
der IS dazu.
Almut Engelien:
Das war dem Anrufer alles überhaupt nicht klar und vor Augen?
Ali Can:
Eben und das hat mich wirklich sehr nachdenklich gemacht, weil ich mir denke, wir
leben in Deutschland, in einem Land, wo wir viel Allgemeinbildung haben, wo wir
eigentlich ja viel Presse lesen und dieser Mensch hat diesen Krieg so eindimensional
aufgefasst und darauf aufbauend so eine Meinung vertreten. Und das hätte ich nie
gedacht, dass das wirklich so stark ist. Weil, ich komme zum Beispiel aus dem
Südosten der Türkei, da ist Bildung sehr rar, aber hier gehe ich eigentlich davon aus,
dass man da schon, ja, so weit gebildet ist, dass man das ein bisschen versteht, was
da vor sich geht.
2
Almut Engelien:
Das wird ja wahrscheinlich oft so sein, dass Menschen anrufen und sehr vereinfachte
Vorstellungen von etwas haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das gut geht,
wenn Sie sozusagen sofort in die Position des Belehrenden oder Informanten
kommen, der jetzt sagt: „Aber Moment mal, dies und das und jenes.“ Also, worauf
achten Sie?
Ali Can:
Damit haben Sie eigentlich intuitiv erkannt, wie es nicht funktioniert, nämlich, wie ich
das jetzt als angehender Lehrer erlebe, nicht wie ein Oberlehrer vorne zu stehen...
Almut Engelien:
Sie studieren Deutsch und Ethik für Lehramt.
Ali Can:
Genau, ich studiere Deutsch und Ethik für Lehramt für Haupt- und Realschulen. Und
da machen wir auch Praktika, wir sammeln Erfahrung. Und ich habe gemerkt bei
dem Praktikum, dass, wenn ich oberlehrerhaft vorne stehe, Frontalunterricht, und von
vorne rein, ohne wirklich eine Verbindung zu den Schülern zu haben, ohne mal
wirklich die Kinder dort abzuholen, wo sie stehen, etwas beibringen möchte, indem
ich einfach was befehle vom Ton her, dann klappt das nicht. Und das ist eigentlich
was Zwischenmenschliches, so auch in der Situation mit besorgten Bürgern oder
Menschen, die zunächst einmal aus einem bestimmten Gefühl heraus reden wollen.
Und dann kann man da nicht mit einer rationalen entgegengesetzten Position
kommen, weil das verschreckt die Leute. Und das ist tatsächlich erst mal eine
wichtige Erkenntnis, dass man verstehen muss, dass wenn man sich von vorne rein
gegen jemanden positioniert, dann macht diese Person erstmal zu. Es gibt ganz
wenige Menschen, die so, ich sage mal, reif sind, oder aufgeschlossen sind, die
damit umgehen können, die das nicht persönlich nehmen. Also ist die Strategie
erstmal, egal was für eine Information kommt, egal was er mir erzählt, dass man
erstmal zuhört. Das ist mir vorher nie bewusst gewesen, dass das für die Dynamik
des Gespräches, für die Atmosphäre ganz wichtig ist. Erstmal nur zuzuhören, denen
Raum zu geben.
Almut Engelien:
Was passiert dann? Jemand ruft Sie an und steht total unter Druck, habe ich auch in
der Zeitung über Sie gelesen, Leute rufen an und sind aufgeregt, weil bei ihnen der
Sportplatz zugemüllt wird von Flüchtlingen oder jemand ruft an und hat eine
schreckliche Erfahrung gemacht, dass er als junger Mann von Arabern, oder er hielt
sie für Araber, angegriffen wurde. Die Leute stehen da dann ganz schön unter
Dampf, wenn die anrufen. Sie hören erstmal zu, wie geht es weiter?
Ali Can:
Ja, Dampf ist schon der richtige Begriff, wie Sie gesagt haben. Weil, ich meine, wie
ist das so, ich habe Erfahrung gesammelt jetzt in meiner ersten Wohngemeinschaft,
als ich von zuhause ausgezogen bin, beim Kochen von Kartoffeln, das Wasser
brodelt und kocht. Wenn ich den Deckel wegnehme, dann kommt da erstmal so viel
Dampf raus. Und das ist ein bisschen mit den Menschen auch so. Wenn ich zuhöre,
echauffieren die sich erstmal ganz lange. Und das, was ich eigentlich mache, ist
3
immer nur so: „Mh -.... okay -.... ja.“ Nur so ein bisschen Häppchen zu geben, dass er
weitererzählt. Weil, was eigentlich passiert, wenn er sich so echauffiert und erzählt,
er gibt mir auch Einblicke in die Gebiete, die man mit den Parolen sozusagen nicht
erkennt. Und ganz oft sind das wirklich dann elementare Bedürfnisse, wie zum
Beispiel nach Sicherheit, auch dass man Gewissheit möchte, weil man etwas nicht
kennt, also man weiß nicht, was auf einen zukommt. Dann ist es aber auch so dieses
Gefühl nach: selber gelten wollen. Anerkennung ist, glaube ich, etwas, je älter ich
werde, ich meine so alt bin ich jetzt noch nicht, aber je älter ich werde...
Almut Engelien:
Dreiundzwanzig.
Ali Can:
Dreiundzwanzig, genau. Ich merke irgendwie, Anerkennung ist ganz wichtig für
Menschen. Also jede Beziehung, die ich mal hatte, wenn man nicht anerkannt hat
erstmal, dass jemand eine Meinung hat und die erstmal zunächst ganz auf
Augenhöhe äußern darf, dann gibt man keine Einblicke, also macht sich nicht
verletzlich. Und bei der Hotline oder wenn ich eben mich mit Menschen treffe, ist das
so, dass man erst eine bestimmte Vertrautheit braucht, die entsteht dadurch, dass
ich zuhöre. Dann erzählt diese Person aber immer mehr, worum es ihr wirklich geht
und hat das Gefühl, dass sie sich mir anvertrauen kann. Weil ich möchte ja irgendwo
auch der Migrant des Vertrauens sein, der vielleicht erste oder zweite oder dritte
Migrant mit dem man mal wirklich länger reden kann.
Almut Engelien:
Sie haben jetzt in Ihren Formulierungen oft „er“ gesagt. Rufen überwiegend Männer
bei Ihnen an?
Ali Can:
Tatsächlich ja, also um ehrlich zu sein, hat bisher nur eine Frau angerufen.
Almut Engelien:
In über einem halben Jahr. Das heißt, die aktive Kontaktaufnahme per Telefon ist
doch nach wie vor in erster Linie etwas, was dem männlichen Rollenverhalten
entspricht.
Ali Can:
Ich würde das eher damit in Verbindung bringen, dass zum Beispiel, wenn man zu
Pegida geht oder sich die AFD-Wählerinnen und Wähler anschaut, dann sind das ja
auch oftmals mehr Männer. Auf der anderen Seite trauen sich vielleicht die Männer
einfach auch mehr, und die Damen wissen nicht so recht, weil sie denken: „Das ist
ein junger Zuwanderer, in der Öffentlichkeit fühle ich mich bedrängt“, was ja auch
nachvollziehbar ist, dass die dann vielleicht erstmal zurückschrecken und sagen:
„Den rufe ich jetzt nicht an.“ Und die Männer sind dann eher auf Augenhöhe oder
sagen: „Den rufe ich jetzt mal an, den kleinen Knaben.“
4
Almut Engelien:
Sie sind ja da vermutlich mit einer Menge Vorurteile, Klischees konfrontiert, die
Menschen einfach im Kopf haben. Wie bereiten Sie sich vor darauf, dass Sie damit,
wenn jetzt die Hotline aktiv ist und Sie sind zwei Stunden am Stück in solchen
Gesprächen, dass Sie selber in der Verfassung sind, dass Sie damit gut umgehen
können, dass Sie nicht selber mal irgendwie die Nerven verlieren? Oder machen Sie
das auch, dass Sie hart werden?
Ali Can:
Ja, also es gab mal Situationen, wo ich einfach auch mal, nicht frustriert, aber schon
so ein bisschen... Warum mache ich das denn jetzt eigentlich? Also eigentlich
motiviert mich, dass es einen ganz großen Rechtsdruck gibt und nicht nur in
Deutschland, sondern überall auf der Welt. Ich motiviere mich jedes Mal, weil ich
eigentlich ja schon in einem friedlichen Deutschland leben möchte. Und je älter ich
werde, frage ich mich immer mehr: wir haben eigentlich alles in diesem Land, was wir
brauchen. Wir können unsere Grundbedürfnisse stillen, haben Kulturbedürfnisse, die
wir stillen können, aber wir leben trotzdem mit Groll und Missgunst miteinander. Und
dieser Schmerz, der motiviert mich eigentlich umso mehr, was zu tun. Schließlich
habe ich ja auch viel geschenkt bekommen.
Almut Engelien:
Darüber sprechen wir gleich. Ich meinte noch was Anderes. Um Telefonate gut zu
führen, überhaupt um Gespräche gut zu führen, muss man ja auch die eigene
Verfassung im Auge behalten. Man darf nicht gereizt sein zum Beispiel, oder man
muss ein Bewusstsein dafür haben, wo erwischt der mich an meinen eigenen
wunden Punkten oder bei meinem eigenen Geltungsdrang: ich will jetzt auch mal hier
Recht haben, oder weiß der Kuckuck. Sind Sie mit solchen Seiten bei sich auch
konfrontiert, auf die Sie achten müssen?
Ali Can:
Also vielleicht mache ich es mir da zu einfach, aber ich bin einfach ehrlich. Wenn ich
mal etwas nicht weiß, dann sage ich das, wenn ich überfordert bin, sage ich das
auch. Ich bin kein Ja-Sager, der bei allem zustimmt, ich bin auch nicht jemand, der
nein sagt, wenn er nur das Gefühl hat, dass jemand rassistisch ist. Sondern ich sage
dann immer, ich weiß nicht, das fühlt sich für mich gerade nicht richtig an. Mir kann
auch jemand, egal welche Partei er wählt, auch etwas erzählen und ich lerne dazu.
So sehe ich auch Demokratie.
Almut Engelien:
Sie haben ja schon unendlich viele Stunden diese Gespräche geführt. Haben Sie das
Gefühl, dass Sie bei Ihren Anrufern, oder wenigstens bei einem nennenswerten Teil,
wirklich etwas bewegen können?
Ali Can:
Ja und zwar eben nicht nur bei besorgten Bürgern, wie das vielleicht die Mehrheit der
Menschen meint, sondern auch bei Menschen, die zum Beispiel sich für Geflüchtete
engagieren, die dann mir sagen: „Ich finde das gut, was Sie tun, das hat mir Kraft
gegeben im Umgang mit bestimmten Familienangehörigen.“ Also das hat mir jemand
gesagt, dass er Angst hat, das war vor Weihnachten, dass Weihnachten am Esstisch
5
die Familie sich bei der Flüchtlingsfrage total streitet. Die Leute wissen nicht, wie sie
damit umgehen, wenn sie Freunde haben, wenn sie Familie haben...
Almut Engelien:
...Die eine andere Meinung haben, die sagen: „Die kommen alle, sind Schmarotzer
und sollen alle weg.“
Ali Can:
Genau. Und dann rufen also auch Menschen an, die meinetwegen gar nicht
engagiert sind, aber die einfach damit umgehen müssen, mit solchen
Familienangehörigen, die anderer Meinung sind. Und sagen dann, das hat mir Kraft
gegeben, da auch nochmal die Ruhe zu bewahren und nochmal es mit Vertrautheit
zu versuchen und das ist ja auch mein Tipp. Zu sagen: Leute, ihr braucht die Familie,
ihr braucht diese Vertrautheit, ihr braucht diese Ebene, um überhaupt Zugang zu
einem Menschen zu bekommen. An Weihnachten solltet ihr euch nicht streiten, da
solltet ihr dieses Fest feiern.
Almut Engelien:
Die „Süddeutsche“ hat über Sie geschrieben, Ihre Gesprächsführung, also die
durften zuhören, ohne dass sie die Anrufer hörten, die hörten nur, was Sie sagten,
sei erfrischend unaufgeregt.
Sie haben gesagt, Sie haben viel bekommen und deswegen möchten Sie etwas
zurückgeben. Was haben Sie bekommen?
Ali Can:
Wir sind ja, als ich zwei Jahre alt war, nach Deutschland gekommen. Und wir waren
sehr lange geduldet, wir sind als Asylsuchende hierhergekommen...
Almut Engelien:
Sie sind kurdische Aleviten. Also doppelt in Schwierigkeiten in der Türkei, als Kurden
sowieso und als Aleviten eigentlich auch.
Ali Can:
Ja, also Schwierigkeiten ist das gute Wort. Man kann das nicht pauschalisieren,
denke ich, in der Türkei, aber wir haben das erlebt tatsächlich. Also es war ein
Massaker, in meinem Geburtsjahr war wieder ein Anschlag und meine Familie wurde
ständig kontrolliert und es gab Folter. Und um dem zu entkommen, war der einzige
Weg, wegzugehen. Und dann sind wir also nach Deutschland gekommen und dieses
Land und die Menschen, die hier gelebt haben, die haben uns geholfen. Die
Familien, die mich eingeladen haben an Weihnachten. Also ich bin aufgewachsen im
Münsterland, in Warendorf, und da gibt es Familien, die uns geholfen haben, obwohl
meine Eltern die Sprache nicht konnten, die haben uns eingeladen, mich, ich durfte
übernachten bei meinen Freunden. Wir haben Hilfen bekommen, ganz viel
Unterstützung...
Almut Engelien:
Das war Mitte der neunziger Jahre.
6
Ali Can:
Genau, ja, ‚95 war das. Dass ich jetzt, wenn ich das reflektiere, eigentlich auch sehr
dankbar bin. Und überhaupt die Chance zu bekommen, als jemand, der eigentlich ja
nicht aus Deutschland ist, hier zu leben. Man sollte vielleicht dann auch mal
überlegen, wieder was zurück zu geben.
Almut Engelien:
Sie geben das nicht denen direkt zurück, die Ihnen Gutes getan haben. Sie geben
das anderen, Sie empfinden eigentlich diese rechtspopulistisch angehauchten
Menschen als sehr bedürftig.
Ali Can:
Nicht als bedürftig, ich würde das nicht so darstellen. Ich würde eher sagen, dass mir
am Herzen liegt, dass diese Gesellschaft sich nicht spaltet.
Almut Engelien:
Trotzdem denke ich, diese Gespräche kann man nur führen, wenn man auch mit
diesen Menschen, die anrufen, eine Sympathie empfindet, ohne irgendwie
irgendeine Art von Sympathie geht es nicht. Wo ist diese Sympathie, wo spüren Sie
die in sich?
Ali Can:
Also die Sympathie, die kommt bei manchen Menschen, bei manchen Anrufern
intuitiv, weil diese Menschen sympathisch sind. Es gibt Pegida-Menschen, die sehr
sympathisch sind. Es gibt gute Menschen unter AFD-Wählern. Nicht jeder PegidaMensch oder AFD-Wähler ist schlimm. Das habe ich erfahren, und nicht nur am
Telefon, sondern auch wirklich face-to-face und da kommt schon mal die Sympathie
hoch. Mir hat zum Beispiel bei einer Pegida-Veranstaltung jemand, als ich
Schokolade verteilt habe, um in Gespräche zu kommen und um Nächstenliebe
sozusagen zu verbreiten, hat mir Geld gegeben. Meinte so: „Du bist doch bestimmt
Student und musstest das von deinem eigenen Geld kaufen“, dem war auch so, und
dann hat der mir Geld, zehn Euro, gegeben. Also jemand, der sogar bei Pegida
Reden hält, muss man sich mal vorstellen, also ich sehe schon Potential in den
Menschen, dass sie friedlich sein wollen, jetzt nicht in allen, natürlich nicht. Und wir
leben in Deutschland in einem christlich geprägten Land und wenn wir jetzt nicht
Nächstenliebe zeigen, wann dann?
Almut Engelien:
Also Sie fahren tatsächlich zu Pegida-Demos, Sie waren in Dresden, glaube ich, in
Hoyerswerda, in Leipzig. Was haben Sie da für Erlebnisse gehabt? Sie haben ja
schon erzählt von dem Mann mit den zehn Euro. Aber wenn jetzt jemand wie Sie
kommt, der eindeutig südlich aussieht, also Sie haben dunkle Augen, dunkle
Augenbrauen, dunkle Haare, dunklen Bart. Sie sehen ausnehmend freundlich aus,
muss man sagen. Welche Erfahrung haben Sie gemacht mit den Leuten auf den
Demos?
Ali Can:
Ganz unterschiedliche. Man muss anmerken, dass ich nur mit einem bestimmten Teil
gesprochen habe. Und von diesem Teil, mit dem ich gesprochen habe, was vielleicht
7
sich bei jeder Demo auf zwanzig bis vierzig Personen beschränkt, waren fast alle
freundlich, nachdem sie verstanden haben, dass ich freundlich war. Und wir haben in
einem wertschätzenden Gespräch gesprochen und diskutiert. Und, was ich gemerkt
habe, dass eigentlich bei allen immer nur bestimmte Aspekte wirklich
ausschlaggebend waren, dafür dass sie zu Pegida kommen. Also, da war jemand,
der gesagt hat: „Ich bin hier, weil ich eine Obergrenze möchte, weil ich nicht finde,
dass das wirtschaftlich zu tragen ist.“ Also er wollte die Obergrenze nicht, weil er der
größte Rassist ist, vielleicht ist er es, das konnte ich in dem Gespräch vielleicht nicht
wirklich erfahren, aber im Grunde genommen hat er gesagt, das Wirtschaftliche stört
ihn, er sieht es schon kommen, wenn dann irgendwann die Steuern erhöht werden
müssen und war dann wegen diesem Aspekt bei Pegida. Eine andere Mutter zum
Beispiel, die war da, also eine Frau von, ich glaube fünfzig oder so, sie hat eine
Tochter, die zum Studieren nach Heidelberg geht oder die schon jetzt gegangen ist
zum Wintersemester. Und die sagte mir, sie ist nur auf der Demo, weil sie nach den
Kölner Ereignissen einfach Angst um ihre Tochter hat und nicht weiß, wohin sie
gehen soll und eine Plattform sucht.
Almut Engelien:
Also man kann ja die Leute im Einzelnen verstehen, aber letzten Endes rennen sie
da einer doch relativ gefährlichen Strömung hinterher oder nehmen da teil. Was
sagen Sie dann?
Ali Can:
Also was ich nur machen kann, das ist eine Plattform zu bieten, damit das Feld nicht
den Radikaleren überlassen wird, die diese Menschen noch weiter aufputschen
sozusagen und sozusagen noch irgendwie radikalisieren. Und zweitens, dass sie
nicht pauschalisieren. Ich kann also auch zeigen, es gibt eine andere
Migrantengruppe, die nicht dem entspricht, was vielleicht oben auf der Bühne
skandiert wird.
Almut Engelien:
Also ich versteh aus dem was Sie sagen, dass es Ihnen vor allen Dingen darum
geht, Menschen, die jetzt Ängste haben oder schwierige Punkte sehen oder in
Ausländern, Einwanderern generell ein Problem sehen, vom totalen Pauschalisieren
abzubringen. Trotzdem, ich stelle mir das einfach sehr schwer vor, diese Gespräche
immer wieder zu führen. Sind Sie nicht müde?
Ali Can:
Also mich rufen glücklicherweise, da bin ich sehr froh drum, Menschen auch an oder
schreiben mir, die mir Mut machen. Man kann Hass nicht mit Hass bekämpfen. Wenn
also ein Rechtspopulist daherkommt und sich abgrenzt und ein Feindbild etabliert,
dann ist das, was die meisten Politiker gemacht haben und Entscheidungsträger in
der Öffentlichkeit, zwei Jahre lang, das Falsche, indem sie gesagt haben: „Diese
Menschen, die können wir auch abschotten, das ist unser Feindbild“. Und wenn
beide sich ausgrenzen, wo soll denn der Dialog stattfinden? Viele Menschen
verstehen, dass ich mir denke: Hey, wir wollen in einer Gesellschaft leben, wo wir mit
unserem Nachbarn wirklich auch mal in Harmonie leben, dass wir die kennen.
Dankenswerterweise geben mir Menschen Mut und seitdem ich jetzt einen Verein
8
habe, kann ich auch Spenden annehmen und das ist ganz toll, dass das Menschen
auch wirklich unterstützen.
Almut Engelien:
Das ist ihr Verein für interkulturellen Frieden.
Ali Can:
Genau, den habe ich jetzt jüngst erst gegründet, damit ich das professionalisieren
kann und Menschen spenden können, damit wir diese Hotline, 0800-Nummer
einrichten können, weil bisher zahle ich das immer noch selbst, mit Freunden, und
auf Dauer ist das schwierig.
Almut Engelien:
Wo ist bei Ihnen die Grenze? Politiker sind ja in einer anderen Situation, die sind ja
nicht nur in der individuellen Gesprächssituation, die sind ja auch in der
Verantwortung für die Gesellschaft und die müssen auch mal sagen: Moment, hier ist
jetzt Schluss. Diese Propaganda kann nicht gemacht werden. Es kann nicht das und
das verbreitet werden, das ist in Deutschland strafbar, fällt unter Volksverhetzung
oder Aufhetzung zum Rassenhass oder weiß der Kuckuck, wie die Paragraphen
heißen.
Ali Can:
Was ich auch an Deutschland sehr liebe, ist der Rechtsstaat. Und ich mag es total,
wenn Menschen einfach die bestehenden Gesetze anschauen und danach
entscheiden. Wenn jemand also beleidigend wird und Volksverhetzung betreibt, dann
gibt’s dementsprechend auch bestimmte gesetzliche Maßnahmen und da ist für mich
die Grenze. Das weiß aber ein Richter besser als ich und das wissen Anwälte besser
als ich.
Almut Engelien:
Sie führen ein Gespräch und jemand hat so Nazi-Vorstellungen im Kopf. Also von
Untermenschen und von Leuten, die man ausmerzen muss. Wie gehen Sie damit
um?
Ali Can:
Zunächst einmal müssen wir unser Ego da zurücknehmen. Wenn wir das an uns so
ranlassen und uns persönlich angegriffen fühlen, dann hört das Gespräch ja auf, weil
wir dann selbst auch total diffus reagieren. Man muss da einen klaren Verstand
bewahren und sein Ego zurücknehmen. Das heißt, dann erstmal zu erkennen: er hat
Bilder im Kopf und jetzt geht es darum, damit zu arbeiten. Und wenn wir dann, sobald
jemand Parolen posaunt mit Nazi-Sprüchen, wenn wir dann schon aufhören, was
machen wir denn dann? Dann bestätigen wir ihn, indem wir ihn so lassen wie er ist.
Almut Engelien:
Ja, aber wo reagieren Sie?
Ali Can:
Also ich mache das individuell. Es hat jemand mal angerufen und hat von vornerein
gesagt: „Sie sind ein scheiß Kanacke, haben Sie richtig gehört, ein scheiß Kanacke,
9
scheiß Kanacke.“ Mehrmals. Und ich habe gewartet, fast zwanzig Sekunden und er
hat dann nicht aufgehört und das war für mich die Grenze. Er wollte nur beleidigen.
Almut Engelien:
Gut, aber Sie sind schon auch froh, dass es Richter und Strafverfolgung gibt, wo es
nötig ist.
Ali Can:
Selbstverständlich, also wir wissen alle ja auch, dass ganz viele Hetzer und
Demagogen, die es ja heute gibt, die Reden halten, dass diese ja auch einen
gewissen Hass schüren können und dass das manche Menschen dazu verleitet,
Gewalttaten auszuüben und das muss unterbunden werden, ganz klar.
Almut Engelien:
Gibt es eigentlich einen Punkt, wo Sie wirklich wütend werden?
Ali Can:
Das ist, weiß nicht, eine persönliche Einstellung. Wütend werde ich eigentlich dann
nicht wirklich, weil ich mich bewusst auf das Potential des Anrufers oder des
Menschen konzentriere. Ich könnte eigentlich bei vielem wütend werden.
Almut Engelien:
Haben Sie richtig Schulungen durchlaufen, um diese Aufgabe so meistern zu
können?
Ali Can:
Ne, habe ich nicht.
Almut Engelien:
Wo haben Sie das her, wo haben Sie die Kraft dafür her, wo haben Sie diese große
Menschenliebe her? Ist das etwas, was Ihnen Ihre Eltern mitgegeben haben?
Ali Can:
Das ist wirklich eine ganz interessante Frage, weil ich lange Zeit dachte, dass ich das
nicht von meinen Eltern habe. Ich engagiere mich schon seit längerem auch für
UNICEF zum Beispiel, für andere Hilfsorganisationen, ehrenamtlich. Meine Eltern
haben das nie verstanden, haben immer gesagt: „Du vergeudest Zeit, willst du die
Welt retten oder was?“ Weil sie natürlich auch immer gesehen haben, dass ich weg
bin. Und dann habe ich immer gedacht: Oh Mensch, meine Eltern verstehen mich
überhaupt nicht. Aber ich habe in den letzten sechs, sieben, acht Monaten mal
nachgedacht und eigentlich ist das, was meine Eltern von Kind auf uns sagten, das
Fundament dessen was ich tue. Nämlich sind wir Aleviten und Aleviten, zumindest so
wie ich es kennen gelernt habe, legen ganz großen Wert auf Menschlichkeit, wo zum
Beispiel Männer und Frauen gleichgestellt sind, wo man auch den Wert der Tiere
sieht, mit der Natur vollkommen sein möchte. Daher kommt das schon, also das
kommt schon daher. Und jetzt, wo meine Eltern das seit ein paar Monaten auch
kennen, was ich tue, so ein bisschen begreifen, also die wissen, okay, der macht
10
irgendwie Frieden, unterstützen sie das auch, weil sie sagen: „Das ist ganz wichtig,
dass du nicht eine Stimme des Hasses bist, sondern immer Friedensstifter bist.“
Almut Engelien:
Die Aleviten sind ja eine Richtung des Islam, die vom sunnitischen und schiitischen
Islam nicht richtig anerkannt wird, zum Teil auch verfolgt wird. Es gibt ganz
verschiedene Richtungen der Aleviten, also Assad in Syrien ist ja auch ein Alevit,
aber wieder ein ganz anderer als die türkischen Aleviten. Sind Sie denn selber
religiös, haben Sie eine Beziehung dazu?
Ali Can:
Also ich nehme mir aus jeder Religion so ein bisschen das raus, was ich für wichtig
erachte. Also ich bin kein Moslem, ich bin kein Christ, meine Religion wäre
Menschlichkeit. Da gibt es auch Sachen, die ich aus dem Buddhismus ganz gut
finde, zum Beispiel das Meditieren, das hilft Vorurteilen vorzubeugen, weil man beim
Meditieren innehält und seine Gedanken reflektiert und feststellt, was man eigentlich
für Assoziationen hat. Das ist so ein Moment, wo man loslässt und das ist auch ganz
wichtig in interkulturellen, schwierigen Situationen. Und manche Menschen sind so
nationalistisch, dass die sagen, „Ich habe sogar deutsches Blut, oder ich habe
türkisches Blut“ und denken, dass sie eins sind mit dieser Nationalität. Aber das ist ja
Quatsch, das ist ja alles anerzogen und das ist halt eine tolle Erkenntnis beim
Meditieren.
Almut Engelien:
Sie haben auch ganz viel Theater gespielt, habe ich gelesen, als Kind, als
Jugendlicher. Hat das auf das, was Sie heute machen, irgendeinen Einfluss? Hat
Ihnen das irgendwie geholfen für Ihre jetzige Tätigkeit?
Ali Can:
Ungemein. Ich bin so dankbar, dem Stadttheater Gießen. Also das muss man mal
sagen, die Theaterschaffenden dort - ich bin dahin gekommen, habe gesagt: „Ich
möchte Schauspieler werden“. Das war so in der neunten Klasse, und dann haben
die sofort gesagt: „Ja, du hast schon eine gute Stimme, wir haben gerade eine
Jungendgruppe, magst du nicht zur Probe kommen?“ Die waren schon mitten in den
Proben und ich habe dann direkt in einem Stück von Aristophanes, Lysistrata, habe
ich die Rolle des Ratsherrn bekommen und bei den Proben haben wir so Sachen
gemacht, die so interessant sind, also die im zwischenmenschlichen Leben sehr
wichtig sind. Empathie entwickeln zum Beispiel, Mitgefühl für die Rolle, indem man
zum Beispiel die Rolle wirklich kennen lernt, die Biographie, was steckt zwischen den
Wörtern? Und dann aber auch zum Beispiel so handwerkliche Sachen, dass man
immer mal wieder guckt, im Blickwinkel hat, was die anderen tun, wie das ist. Das ist
bei Pegida ganz wichtig, damit ich wirklich sensibel auf Gesten reagieren kann. Das
hat nicht unbedingt was von Theater, aber die Werkzeuge des Theaters oder des
Schauspielers sind ungemein wichtig für mich. Oder sich auch mal wirklich von der
Rolle zu befreien, Distanz zu gewinnen. Und mit Gefühlen wirklich umgehen zu
können, das ist ein Geschenk des Stadttheaters gewesen.
11
Almut Engelien:
Haben Sie denn eigentlich Mittäter gewonnen, sozusagen, oder bestreiten Sie die
Hotline nach wie vor alleine?
Ali Can:
Ja, habe ich. Es gibt zwei Freunde, die auch telefonieren. Der eine ist aus Österreich,
der andere ist aus Unterfranken.
Almut Engelien:
Sie haben ja sicher auch Kontakt zu muslimischen Verbänden, zu Organisationen
von Einwanderern. Was erwarten Sie von denen eigentlich?
Ali Can:
Eine große Forderung der besorgten Bürger, die bei mir anrufen ist: „Herr Can, Sie
sind ja scheinbar integriert, aber die meisten sind es nicht.“ Dann sage ich immer:
„Uh, ich kenne aber auch noch einige Freunde, die also schon so wie ich sind.“ Dann
sagen sie: „Ja, wieso sieht man die nicht irgendwo, wieso zeigen die sich nicht?“ Es
müssen viel mehr Migrantenorganisationen den Blick in die Öffentlichkeit schaffen.
Und vor allem sich öffnen und partizipieren an anderen Vereinsstrukturen, am
gesellschaftlichen Leben. Zum Beispiel habe ich festgestellt, dass so wenige
Migranten bei den Feuerwehrvereinen sind. Das ist traurig eigentlich, dabei ist das so
eine wichtige Sache. Ich glaube, das würde helfen, einfach auch zu zeigen, hey, die
sind ja wirklich da und man das Gefühl hat, dass man Gemeinsamkeiten teilt.
12