Manuskript downloaden

1
SWR2 MANUSKRIPT
SWR2 Musikstunde
„Spazierstock, Hut und Notenpapier“ –
Musiker Museen im Lande (4)
Vom Odenwald nach Schweden - Joseph Martin Kraus
Mit Antonie von Schönfeld
Sendung: 9. Februar 2017
Redaktion: Dr. Ulla Zierau
Produktion: SWR 2017
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw.
des SWR.
Service:
SWR2 Musikstunde können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter
www.swr2.de
Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2?
Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen
Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen.
Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen
Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert.
Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de
2
„Spazierstock, Hut und Notenpapier“ - Musiker Museen im Lande (4)
IV. Vom Odenwald nach Schweden - Joseph Martin Kraus
Signet
.....mit AvS ‚Guten Morgen’ zu einem weiteren Besuch in einem der „Musiker-Museen im Lande“
-„Spazierstock, Hut und Notenpapier“... - die Aufzählung kann ich heute fortführen:
‚und Hofuniform, Ortsschild und Taschenuhr’, denn die werden wir im Odenwald, in
der kleinen Ausstellung, die dem Komponisten Joseph Martin Kraus gewidmet ist,
sehen. Und nach Schweden geht es später auch noch! Also die Reisestiefel an!
Titelmusik
Wer die Stadt Buchen im Odenwald erreichen möchte, folgt - wenn er von Norden
kommt - der A 3 Richtung Süden. Bei Aschaffenburg verlässt er die Autobahn und
lässt sich jetzt vom Main leiten, bis er - zur Linken den Fluss, zur Rechten die
Ostflanke des Odenwalds - die Stadt Miltenberg erreicht.
Von hier ist es vielleicht noch eine halbe Stunde bis Buchen, Ziel ist die alte
Amtskellerei, die dort mitten im Städtchen liegt, und darin wiederum das kleine
Museum, das dem Komponisten Joseph Martin Kraus gewidmet ist.
Doch wenn Miltenberg schon am Weg liegt, dann ist das - auf Kraus bezogen zumindest einen kurzen Abstecher wert, denn hier kann man einen Blick auf sein
Geburtshaus werfen: Das ist ein stattlicher Rokokobau aus rotem Sandstein, der
direkt am Markt liegt, 1750 von seinem Großvater erbaut.
Als Kraus geboren wurde - 1756 - war das fast noch ein Neubau.
Und hier, in seinem Geburtshaus mitten in Miltenberg, könnte man auch das JosephMartin-Kraus-Museum vermuten, doch das ist - wiegesagt - in Buchen.
In Miltenberg aber erinnert seit ein paar Jahren eine Statue an den Komponisten, die
auf dem Marktplatz steht.
3
Dass Kraus Musiker werden würde war keineswegs von vornherein klar:
Der hochtalentierte junge Mann war zu Studienzeiten lange nicht sicher, was er
werden sollte - seine Fächer waren Jura und Philosophie - und eine Zeitlang hat er
geschwankt zwischen Jurist, Dichter und: Musiker.
Musik 1
Joseph Martin Kraus
3´32 <11>
Romance
aus: Streichquartett g-moll VB 183 op.1,3
Salagon Quartett
CARUS 83.194, LC 3839
Nicht Jurist und auch nicht Dichter - Joseph Martin Kraus ist Musiker und Komponist
geworden, in den letzten Jahren wird er zunehmend wiederentdeckt: In Konzerten
wird seine Musik nicht häufig gespielt, doch inzwischen liegen viele seiner Werke in
Tonaufnahmen vor, in der Musik von Kraus mischen sich klassische Stilelemente mit
Sturm und Drang, Witz und Dramatik und am Horizont zeigen sich deutlich schon die
ersten Streifen der Romantik!
- Gerade spielte das Salagon-Quartett den zweiten Satz „Romance“aus dem
Streichquartett g-moll op.1 Nr. 3.
Dass Kraus hierzulande lange vergessen war liegt vor allem daran, dass seine
Karriere als Musiker - ein eher steiniger und kurzer Weg - fern der Heimat verlaufen
ist: In Deutschland hat Kraus keine Zukunft für sich gesehen, ein schwedische
Kommilitone, hat ihm geraten, mit in seine Heimat zu gehen, nach Stockholm, um
hier seine Dienste als Musiker am Hof von Gustav III. anzubieten. Es war weit über
die Grenzen hinaus bekannt, dass der schwedische König ein Freund der Künste
war, vor allem der Musik.
Die Heimat von Kraus aber war der Odenwald: Kurz nach seiner Geburt zog die
Familie erst nach Amorbach und dann nach Buchen.
Und diesen Weg nehmen wir jetzt auch: Vom Geburtshaus in Miltenberg nimmt man
die Straße nach Amorbach und lässt sich das Tal hinaufführen, wer dann in
Schneeberg Richtung Hornbach abbiegt, der schleicht sich quasi von hinten heran
4
an das Städtchen Buchen und bekommt gratis wunderbare Ausblicke über einsame
Höhen, passiert unbemerkt die Landesgrenze von Bayern nach Baden-Württemberg
- hier fehlt nur der Grenzstein, der Schlagbaum, -in der verschneiten
Abenddämmerung lässt sich vieles vorstellen. Hinunter also und hinein in die alte Stadt:
Ein Anruf, ein Tor geht auf und ich tauche ein in eine andere Zeit.
Musik 2
Joseph Martin Kraus
1´30 <12>
Tempo di Minuetto
aus: Streichquartett g-moll VB 183 op.1,3
Salagon Quartett
CARUS 83.194, LC 3839
Für knappe, durchaus abrupte Schlüsse scheint Joseph Martin Kraus eine Vorliebe
gehabt zu haben, immer wieder überrascht es, wie schnell er - scheinbar mitten aus
dem Satzgewebe - zum Schluss eines Stückes kommt. Dieses kurz gefasste
„Tempo die Minuetto“ - gerade gespielt vom Salagon Quartett - ist tatsächlich der
Schlusssatz aus dem Streichquartett g-moll von Kraus.
Die Stadt Buchen im Odenwald gehörte im 18. Jahrhundert noch zur Kurpfalz, mitten
in der historischen Altstadt von Buchen liegt ein Ensemble von alten Gebäuden, die in keiner Weise rechtwinklig oder irgendwie ordentlich angeordnet - einen Innenhof
bilden, eine Insel, wie aus der Zeit gefallen.
Das Ensemble besteht aus dem sog. „Steinernen Bau“ von 1493 - das war die
Sommerresidenz eines kurmainzischen Erzbischofs; der alten „Zehntscheune“ aus
dem frühen 17. Jahrhundert - darüber prangt noch das Wappen eines späteren
Mainzer Bischofs aus dem Geschlecht derer von Greiffenklau; zur Stadt hin steht wie
ein Querriegel das „Belz’sche Haus“ - das war früher der Marstall der Mainzer; und
dann gibt es noch das „Trunzerhaus“, ein stattlicher Fachwerkbau aus dem frühen
16. Jahrhundert.
5
-Das Trunzerhaus hat früher die Amtskellerei beherbergt, das Verwaltungszentrum
des Mainzischen Amtes in Buchen und „Amtskeller“, also Amtmann, war hier in den
1760er Jahren der Vater von Joseph Martin Kraus.
Heute sind im Trunzerhaus verschiedene Abteilungen des Bezirksmuseums
untergebracht, u.a. eine sehenswerte Keramiksammlung, eine Odenwälder
Bauernstube, der Nachlass eines Stadtphotographen, die „Musiksammlung Vleugel“
und die Ausstellungsräume, die an Joseph Martin Kraus erinnern, der in diesem
Haus einige Jahre seiner Kindheit verbracht hat.
Musik 3
Joseph Martin Kraus
4´11 <12>
3. Satz: Finale
aus: Sinfonie D-Dur
Concerto Köln
CAPRICCIO 10396, LC 8748
3. Satz: Finale aus der Sinfonie D-Dur von Joseph Martin Kraus, gespielt vom
Concerto Köln.
In Buchen im Odenwald hat Joseph Martin Kraus die Lateinschule besucht und bei
Kantor Wendler und Rektor Pfister den ersten Klavier- und Geigenunterricht
bekommen. Unten im Innenhof, zwischen Zehntscheune und Trunzerhaus und
vielleicht auch schon unter den beiden prachtvollen alten Bäumen, die hier stehen,
wird er mit seinen Geschwistern und anderen Kindern gespielt haben - Verstecken,
Fangen, vielleicht rannte ein Hund bellend mit und sicherlich ist er ständig die
Holztreppe im Trunzerhaus hochgejagt, die man heute eher gemessenen Schrittes
zur Ausstellung hochgeht, denn die befindet sich exakt in den ehemaligen
Wohnräumen der Krausfamilie.
Der Hof hieß damals vermutlich noch nicht „Museumshof“, doch Geschichte konnte
auch der junge Kraus hier schon atmen, denn genau hier sollen im April 1525,
während der Bauernkriege, Odenwälder Bauern (der sog. „Helle Haufen“) den
adligen Götz von Berlichingen gegen seinen Willen zu ihrem Hauptmann und
Anführer gemacht haben - Goethe beschreibt die Szene später in seinem
6
Schauspiel. Die Aufständischen, die sich gegen die Bischöfe von Mainz, Würzburg
und gegen den Kurfürsten von der Pfalz wandten, sind dann abgezogen Richtung
Amorbach.
Das alles lag auch für Kraus schon rund 200 Jahre zurück. In Buchen ist er
geblieben bis er etwa 12 Jahre alt war und wechselte dann auf das
Jesuitengymnasium nach Mannheim, hier kam er mit den Idealen der Aufklärung in
Berührung und besuchte das Musikseminar. Sein ehemaliger Lehrer Pfister hat den
Wechsel lakonisch mit den Worten kommentiert:
„Fast überfähig!
Kraus kann die schwersten Konzerte spielen.“
(An anderer Stelle habe ich gelesen „Fast überfällig!“. Was beides passt!)
Und da der Rektor Kraus die Geige zu streichen gelehrt hat, wird er bei dem Lob
auch an Musik für die Violine gedacht haben, an anspruchsvolle Konzerte und
Sonaten:
Musik 4
Johann Stamitz
4´43 <11>
2. Satz: Allegro ma non troppo
aus: Sonate A-Dur op. 6 Nr4
Stephan Schardt, Violine
Michael Behringer, Cembalo
MDG 9031862, LC 6768
Johann Stamitz, der 2. Satz: Allegro aus der A-Dur-Sonate op.6,
gespielt von Stephan Schardt zusammen mit Michael Behringer am Cembalo.
Mannheim um die Mitte des 18. Jahrhunderts war eine Hochburg der musikalischen
Entwicklung. Maßgeblich beteiligt daran war Johann Stamitz, der seit 1750
Konzertmeister der kurfürstlichen Kapelle war und später auch noch das Amt des
Music-Direktors übernommen hat.
7
Seine „Sechs Violinsonaten Opus 6“ sind erst posthum veröffentlicht worden, sie
gingen 1759 in den Druck, da war Johann Stamitz seit zwei Jahren tot. 1759 aber
war auch ‚das Jahr drei’ nach der Geburt von Joseph Martin Kraus, rein zeitlich und
auch in puncto geographische Nähe nach Mannheim also ist es durchaus denkbar,
dass Kraus sie gespielt hat - dann allerdings hätte er, um diese hochvirtuosen
Sonaten zu spielen, mit zwölf, dreizehn Jahren schon ein wirklich herausragender
Geiger gewesen sein müssen!
Die Kraus-Ausstellung in Buchen ist klein - aber fein!
Die Herausforderung liegt auf der Hand - es gibt nur wenige authentische
Ausstellungsstücke:
Da ist zum einen die goldene Taschenuhr, die Joseph Martin Kraus als Student in
Göttingen gekauft hat - allerdings wohl „auf Pump“ und sie musste - nach Kraus - des
Öfteren (Zitat) „aufs Leihhaus spazieren“, dann das Porträt - ‚Öl auf Karton’ - von
Antonio Pomarolli, gemalt in Bologna während Kraus’ mehrjähriger Bildungsreise
durch Europa, und schließlich als Prunkstück die schwedische Hof-Uniform: Sie steht
schmuck in der Mitte des dritten Ausstellungsraums in einer Vitrine und besteht aus
Hose, Weste, Jacke, einem dunkelgrünen Samtmantel mit allerlei Stickereien und
innen mit gelber Seide gegengefüttert - und einer breiten blassrosa Schärpe. –
Auf welche Weise hat diese Uniform wohl den Weg aus dem Nachlass des
Komponisten in Schweden nach Buchen gefunden - ?
Diese drei Ausstellungsstücke mögen die wichtigsten der Sammlung sein und sie
sind schön fürs Auge des Betrachters, doch für das Andenken an den Komponisten
sind sie gar nicht entscheidend: Wichtiger ist, was hier aus dem wenigen, was man
hat, gemacht wird:
Zum 100-jährigen Jubiläum der Kraus-Sammlung hier vor Ort hat das
Bezirksmuseum 2013 die Dauerausstellung über Leben und Wirken des
Komponisten völlig neu konzipiert. Man hat sich dafür entschieden, den Komponisten
in seiner Zeit darzustellen, also Zeitzeugnisse miteinzubeziehen, Querverbindungen
zu Geschichte und kulturellen Ereignissen herzustellen und sogar das Gefühl für die
Entfernung vom Odenwald bis nach Schweden in irgendeiner Form darzustellen und das gelingt ganz vorzüglich!
8
Musik 5
Joseph Martin Kraus
3`23 <10>
Schwedischer Tanz für Klavier VB 192
Ronald Bräutigam, Hammerklavier
M0060891 009
Ein Schwedischer Tanz von Joseph Martin Kraus, auf dem Hammerklavier gespielt
von Ronald Bräutigam.
Die Entfernung von Buchen nach Stockholm beträgt 1.447 km.
Im Kraus-Museum kann man eine Schwingtüre aus Glas durchschreiten, an der ein
Ortsschild befestigt ist: „Stockholm“ steht oben darauf, „Deutschland“ darunter ist
durchgestrichen wie am Ortsausgang üblich und die Kilometerzahl prangt prominent
in der Mitte.
Das Stichwort der Ausstellung lautet: Inszenierung! Wie hier jedoch inszeniert wird auf dem überschaubaren Areal von drei Ausstellungsräumen, ein viertes schließt
sich an, das Kraus’ jüngerer Schwester Marianne gewidmet ist - wie hier inszeniert
wird, das ist einerseits verspielt und andererseits klug variiert: der Besucher wird
spielerisch an der Hand genommen und durch Zimmer und Zeiten geleitet. Dabei
sind die Zimmer eher klein, so, wie die Wohnräume in einem alten Fachwerkhaus
eben waren. Doch man kann hier viel sehen, hören und erfahren von der Welt, in der
Joseph Martin Kraus gelebt und gewirkt hat. - Und von ihm:
Die Ausstellung folgt dabei seinem Lebensweg, zunächst das Kapitel ‚Kindheit und
Jugend’, dann ‚Studium in Mainz und Erfurt’ - auf Wunsch des Vaters hat er mit Jura
begonnen. Dann, 1775, - der Student war 19 - der Bruch, die erzwungene
Unterbrechung des Studiums für ein Jahr: Der Vater war wegen eines
Verleumdungsprozesses inhaftiert worden, durch eine Intrige wurde er wegen
Amtsmissbrauch angeklagt - über der Familie lag ein Schatten, das Geld wurde
knapp und für ein Jahr ist Kraus nach Buchen zurückgekehrt.
Die Willkür dieser Inhaftierung hat ihn tief beeindruckt: Als der junge Mann
Fürsprache für den Vater hielt, um seine Entlassung aus dem Gefängnis bat wurde
9
nicht nur nicht angehört, sondern ihm wurden Prügel verabreicht. Diese Erfahrungen
haben die Lebensanschauung des jungen Mannes nachhaltig beeinflusst und seine
spätere Entscheidung, diesem Land den Rücken zu kehren, verstärkt.
Jahre später in Schweden hat Kraus seine C-Dur-Sinfonie geschrieben und hier
scheint beides nebeneinander zu stehen: Die düstere Erfahrung mit der Obrigkeit weit entfernt von den Idealen der Aufklärung! - und das euphorisierende Gefühl eines
Aufbruchs. So beginnt der erste Satz mit einer getragenen Einleitung, die fast
schwermütigen Charakter hat. Das darauffolgende Allegro aber steht in einer ganz
anderen Stimmung: voller Energie, nach vorne drängend und durchaus auch mit
lichten Passagen:
Musik 6
Joseph Martin Kraus
6´36 <6>
1. Satz: Andante die molto. Allegro
aus: Sinfonia C-Dur
Orchestra of the Age of Enlightenment
Ltg. Anthony Halstead
MSCD 419, LC
Das “Orchestra of the Age of Enlightenment” unter der Leitung von Anthony Halstead
spielte den ersten Satz aus der C-Dur Sinfonie von Joseph Martin Kraus, entstanden
vermutlich 1781, während seiner ersten Zeit in Schweden.
Kraus ist immer wieder der „Mozart Schwedens“ genannt worden oder geographisch noch etwas enger gefasst - der „Odenwälder Mozart“.
Doch manche musikalische Wendung, die wir heute als ‚mozartisch’ empfinden
gehört ganz einfach zum stilistischen Musik-Vokabular seiner Zeit.
Die Lebensdaten beider Komponisten aber sind fast identisch: Beide sind 1756
geboren worden, Mozart ist 1791 gestorben, Kraus ein Jahr später.
Ein zentrales dramaturgisches Element in der Buchener Kraus-Ausstellung sind
Schattenrisse von zeitgenössischen Figuren, die in Variationen immer wieder
auftreten - und das ist wörtlich gemeint:
10
Mal stellen sie eine Szene dar, wie die Mutter mit dem Kind, in andere dieser Figuren
sind lauter kleine Papierrollen eingelassen. Zieht man eine auf - wie eine
Pergamentrolle in Kleinformat - so kommt ein Zettel mit Informationen heraus:
Da steht beispielsweise:
„1756 - Der siebenjährige Krieg beginnt.
Friedrich II. fällt in Sachsen ein und stürzt Europa in einen Konflikt,
der die Landkarte verändern wird.“
Und darunter:
In Salzburg wird Wolfgang Amadeus Mozart geboren.“
Oder man liest über den ‚sächsischen Bauern und Astronom Johann Georg
Palitzsch’, der 1758 einen ‚hellen Stern’ am Nachthimmel’ sichtet. Das war der
Halleysche Komet, dessen Wiederkehr für genau dieses Jahr vorausgesagt worden
war. Und man erfährt, dass Joseph Haydn 1766 zum Hofkapellmeister am
Fürstenhof zu Esterház befördert wurde.
Der Scherenschnitt mit flachem Hut an einer Wand übrigens ist ein originaler
Schattenriss, Kraus ließ in Göttingen anfertigen, wo er nach der Zwangspause in
Buchen sein Studium fortgesetzt hat, er hat ihn den Eltern nach Hause geschickt.
Vielleicht wusste er da schon, dass er von Göttingen in den Norden gehen wollte,
vielleicht war’s zur Erinnerung.
Doch noch war er Student, dass das verspielte Element in seinem Leben auch nicht
zu kurz kam, dass er Humor hatte zeigen Lieder wie „Hans und Hanne“, in dem er
von der Idylle dieses Paares erzählt:
Musik 7
Joseph Martin Kraus
2´03 <20>
„Hans und Hanne“ VB 78
Birgit Steinberger, Sopran
Martin Hummel, Bariton
Glen Wilson, Hammerklavier
naxos 8.557452, LC 5537
„Hans und Hanne“ - Birgit Steinberger und Martin Hummel sangen ein Lied von
Joseph Martin Kraus, Glen Wilson begleitete sie am Hammerklavier.
11
Die Erfahrungen während der Zwangspause in Buchen und die Begegnung mit Carl
Stridsberg, einem schwedischen Kommilitonen in Göttingen haben Kraus nachhaltig
beeinflusst: Zum Schrecken der Eltern brach er sein Jura-Studium ab und widmete
sich mehr und mehr der Musik. -Schon in Buchen hatte Kraus seine Studien
vernachlässigt und stattdessen den Hunden Kunststückchen beigebracht und
komponiert, vor allem kirchenmusikalische Werke. Und jetzt dieser Entschluss:
Auswandern nach Schweden - ohne sichere Stelle!
Doch die Erfahrung der ungerechten Behandlung des Vaters und auch seiner
selbst... - für welches „Recht“ sollte er sich hierzulande als Jurist einsetzen?!
- Kraus setzte neue Ziele, an vorderster Stelle: die Befreiung aus der
„selbstverschuldeten Unmündigkeit“ - und die Verpflichtung, das ihm gegebene
Talent zu nutzen.
Ein früherer Lehrer hatte einmal über Kraus gesagt:
„Er Hatte ein glückliches Gedächtniß, natürlichen Scharfsinn, und äusserte
sehr frühzeitig gesunde Beurtheilungs Kraft und ästhätiges Gefühl. Dabey hatte er
wahrhaft das Gemüth eines Engels...“
Das war auf den Schüler bezogen gewesen, passt aber wohl auf den Menschen und
späteren Musiker.
Jetzt, mit Anfang zwanzig, griff Kraus in einer bitterbösen Satire die Verhältnisse
seiner früheren Universität Mainz an und verfasste eine provokante und wohl sehr
fundierte Streitschrift mit dem Titel:
„Etwas von und über Musik fürs Jahr 1777“.
Schweden sollte es also sein - doch wenn schon in Göttingen seine goldene
Taschenuhr des Öfteren „aufs Leihhaus spazieren“ musste, dann litt er in Stockholm
während der ersten Jahre bitterste Not, immer wieder musste er die Eltern um
finanzielle Unterstützung bitten.
Zu seinem Entschluss aber stand er:
„Lieber, als dass ich um meinen Unterhalt kriechen und Despoten Füße
lecken soll, will ich darben“, heißt es in einem Brief an die Eltern.
12
„Meinem Vaterlande bin ich keinen Dank schuldig.
Patriotismus ist eine Torheit, und lange ist der letzte Funke verglüht.“
Und dann gelang es doch noch: Im Juni 1781 bekam Kraus die Gelegenheit, bei
einem privaten Konzert am Hof in Ulriksdal dem König seine Oper „Proserpina“
vorzustellen. Und Gustav III. war dafür bekannt, ein Auge für Talente zu haben - oder
besser gesagt, ein Ohr:
Musik 8
Joseph Martin Kraus
4’30 <4>
Ausschnitt aus dem Duett: „Non temer“
aus: „Proserpina“
Barbara Bonney, Sopran
Claes Hakan Ahnsjö, Tenor
Drottningsholteaternsorkester / Ltg. Thomas Schuback
MSCD 424, LC
Ein junger Mensch braucht eine Eintrittskarte ins Berufsleben, die Gelegenheit, sein
Talent unter Beweis zu stellen.
Für Joseph Martin Kraus war das jener Abend im Juni 1781, an dem er Gustav III.
von Schweden seine Oper „Proserpina“ vorstellen konnte. Barbara Bonney und
Claes Hakan Ahnsjö sangen gerade einen Ausschnitt aus der Arie „Non temer“,
Thomas Schuback leitete das Drottningholmer Hof-Orchester.
Und dann ging alles ganz schnell: Kraus wurde königlicher Kapellmeister,
ging im Auftrag des Königs zunächst auf die klassische Bildungsreise und reiste
durch ganz Europa, begegnete Gluck und Haydn, der von ihm als ‚eines der größten
Genies, die er gekannt habe’ gesprochen hat. Kraus komponierte Opern - und klagte
wieder, diesmal aber über zu viel Arbeit:
„...das ist eine Singerei und Pfeiferei
und Taktschlagerei und Orgelumdudeldumdei
von morgends bis Abends und vom Abend bis morgen in einem fort,
so daß mir der Schweis nach Noten stinkt.“
13
Aus der großen Welt zurück in die kleine Stadt: Ich gleite die 1447km von Stockholm
zurück in den Odenwald nach Buchen und stehe wieder in den Wohnräumen der
Familie Kraus in der Amtskellerei. Umgekehrt kann man von hier auch sofort wieder
nach Stockholm: Via Bildschirmpräsentation Schloss Drottningholm anschauen oder
dem schwedischen Liedermacher Carl Michael Bellmann begegnen - die Musik von
Kraus kann man an Hörstationen auf Knopfdruck erklingen lassen.
Das kleine Museum macht Lust auf mehr - mehr Kraus, mehr Musik, mehr seiner
Schriften! - Hier begegnet man auch den Herren, die diese Sammlung
zusammengetragen haben: Karl Friedrich Schreiber, der Urenkel von Kraus’
Schwester Marianne, der auf den Komponisten aufmerksam wurde, als er dessen
Briefe, die Hofuniform, ein Reisetagebuch und die goldene Taschenuhr erbte; Helmut
Brosch, der sich jahrelang für die Ausstellung engagiert hat und Gründungsmitglied
der Internationalen Joseph Martin Kraus-Gesellschaft war.Gut zehn Jahre nach der ersten Aufführung der „Proserpina“ endet die Geschichte in
Stockholm übrigens tragisch: Im März 1792 wurde bei einem Maskenball in der
Stockholmer Oper ein Attentat auf den König verübt. Auch Kapellmeister Kraus war
anwesend - und hat die Hofuniform getragen, die jetzt in Buchen ausgestellt ist.
Kraus schrieb noch eine Trauersinfonie und das Requiem auf den König bevor er im
Dezember 1792 sterben musste, an Tuberkulose.
Im Odenwald wende ich mich jetzt ab von der Uniform im Schaukasten, von den
großen Augen in dem ernsthaften Gesicht auf dem Pomirolli-Porträt und trete in den
Hof. - Inzwischen ist es dunkel, doch die mächtige Kastanie ist noch gut zu erkennen
- wie schön, dass man unterwegs im Auto Musik hören kann!
Statt der Trauermusik aber wähle ich jetzt lieber Musik
„Zum Geburtstag des Königs“!
Musik 9
Joseph Martin Kraus
Ouvertüre
aus: „Zum Geburtstag des Königs“
Drottningholm Court Theatre Orchestra
Ltg. Thomas Schuback
MSCD 424, LC
4´40 <7>
14
Die SWR2-Musikstunde geht zu Ende mit der Ouvertüre zur Kantate „Zum
Geburtstag des Königs“ von Joseph Martin Kraus.
Thomas Schuback leitete das Drottningholmer Hof-Orchester.
Morgen besuchen wir das Friedrich Silcher Museum in Schnait im Remstal.
Für heute dankt für’s Zuhören und wünscht einen schönen Tag - AvS