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Frauenpower versus Präsidenten
Schon 1913 gab es in Washington zum Amtsantritt von Woodrow Wilson einen
machtvollen Women’s March. Die Tradition jagt jetzt Trump. Seite 27
Fotos: imago/ZUMA Press, imago/Pacific Press Agency
Sonnabend/Sonntag, 11./12. Februar 2017
STANDPUNKT
72. Jahrgang/Nr. 36
Bundesausgabe 2,30 €
www.neues-deutschland.de
Werteverfall
Erdgas, komm raus!
Berufungsrichter
trotzen Trump
Uwe Kalbe über Abschiebungspläne
Ab Sonnabend darf wieder »gefrackt« werden – nach recht strengen Regeln
Einreiseverbote des US-Präsidenten
weiterhin außer Kraft gesetzt
Thüringen macht erhebliche Bedenken gegen den Plan von Bund
und Ländern deutlich, die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber künftig zu einer staatlichen Routinehandlung zu machen. Nur Thüringen, muss man
erschrocken hinzufügen. Zwar
haben weitere Länder signalisiert,
dass ihre Zustimmung eine vorläufige ist, doch ist der Gesetzesauftrag, den die Runde der Länderchefs der Bundesregierung erteilte, bereits eine halbe Unbedenklichkeitserklärung gegenüber bekundeten Absichten wie:
Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen zu sammeln und
direkt von dort zurückzuschicken,
einfach, weil sie aus bestimmten,
als unbedenklich geltenden Ländern kommen. Dies kommt der
vorbestimmten Ablehnung gleich
und verstößt gegen das Grundgebot des Asylrechts, nämlich die
individuelle Prüfung von Fluchtgründen.
Die Reisefähigkeit von Kranken
dem Ziel einer Beschleunigung
ihrer Abschiebung unterzuordnen
und dafür Amtsärzte einzusetzen.
Das ärztliche Gutachten erfolgt
also künftig ergebnisorientiert.
Menschen nicht nur zwangsweise nach Hause zu schicken,
sondern sie zuvor in den Knast zu
stecken, wenn man an ihrer Bereitschaft zur Mitwirkung zweifelt. Ziel ist eine Ausreise ohne
Verzögerungen und bei geringstem Behördenaufwand.
Flüchtlinge gefährdeten unsere
westliche Wertewelt, heißt es zuweilen als Begründung für tief
sitzendes Misstrauen gegenüber
ihren Absichten. Die Bundesregierung hat nun den Auftrag, dem
zuvorzukommen und diese Werte
zumindest in wesentlichen Teilen
gleich selbst zu entsorgen.
UNTEN LINKS
Wir erinnern uns: an finstere
Zeiten, in denen ungewaschene
Zottelbartträger und rotzfreche
Weibsbilder mit geschorenen
Köpfen sich schreiend an Bäume
oder Schienen ketteten, auch
noch am prächtigsten Atomkraftwerk etwas zu nörgeln hatten
und daherredeten, als hätten sie
ein Fremdwörterbuch verschluckt! Richtig, die Rede ist von
den Grünen. Heute hingegen haben wir es mit einer rundum zukunftsfähigen Partei zu tun, deren Vorsitzende anständig angezogen sind, Ketten nur noch von
ihrem Juwelier kennen und endlich volksnah sprechen gelernt
haben: Katrin Göring-Eckardt etwa, Fraktionschefin der Grünen,
twitterte vorgestern: »Noch
schnell alles zurecht gezupft,
dann kann’s losgehen. #Berlinale
mit Cem, Charme und... Outfit ist
noch geheim. #Überraschung.«
Auf dieses wunderbar infantile
Gestammel antwortete ihr Kollege Cem Özdemir: »Ich bin gespannt! Bis gleich!« Hat zwar lang
gedauert, aber sie sind zur Vernunft gekommen, die Grünen. tbl
ISSN 0323-3375
Washington. Das von US-Präsident Donald
Trump verfügte Einreiseverbot für Personen
aus sieben überwiegend islamischen Ländern
bleibt laut einem Gerichtsurteil weiter außer
Kraft. Die drei Richter am Bundesberufungsgericht in San Francisco sollten die Frage klären, ob der von einer unteren Instanz verfügte Stopp des Dekrets annulliert werden soll
oder nicht. Die Entscheidung, die Blockade
aufrechtzuerhalten, fiel einstimmig. Reisende
aus den betroffenen Ländern können damit
weiterhin in die USA kommen.
Trump reagierte umgehend. Er sieht die
nationale Sicherheit bedroht und schrieb auf
Twitter: »Wir sehen uns vor Gericht!« Damit
ist wahrscheinlich, dass der Fall bald das
Oberste Gericht der USA beschäftigen wird.
Am Verfassungsgericht Supreme Court ist
derzeit ein Posten vakant. Sollte das Einreisestopp-Dekret dort landen und es ein Unentschieden von vier zu vier Richterstimmen
geben, würde der Rechtsstand der Vorinstanz gültig und der Bann weiter ausgesetzt
bleiben. Agenturen/nd
Seiten 5 und 6
Holms Kündigung
zurückgenommen
Berliner Humboldt-Universität will
Soziologen doch nicht entlassen
Fracking-Förderanlage hinter einem Sonnenblumenfeld im US-Bundesstaat North Dakota
Berlin. In den USA werden in ganz großem
Stil Erdöl und Erdgas mittels des FrackingVerfahrens gefördert. Dies hat den globalen
Energiemarkt durcheinandergewirbelt, in den
USA ist die Branche längst in vielen Gegenden zum zentralen Wirtschaftsfaktor mutiert
und im Gegenzug protestieren immer mehr
Anwohner, Umweltschützer und Indianerstämme gegen die damit verbundenen Risiken. In Deutschland werden bisher nur klitzekleine Mengen Erdgas mit dieser Fördertechnologie tief aus dem Boden geholt, doch
umstritten ist sie nicht minder als in den Vereinigten Staaten: Das zum Aufbrechen des Ge-
steins verwendete Wasser-Sand-ChemikalienGemisch ist hochgiftig, die CO2-Bilanz miserabel, es werden gewaltige Mengen Wasser
verschwendet und immer wieder taucht der
Verdacht auf, dass die unterirdischen Manipulationen Erdbeben verursachen können.
Wegen des wachsenden Widerstands, der
von ganzen Wirtschaftsbranchen wie den Bierbrauern und den Wasserversorgern mitgetragen wurde, sah sich schon die frühere schwarzgelbe Bundesregierung genötigt, an einem Gesetzentwurf zu basteln, der den genauen Einsatz der Fracking-Technologie in Deutschland
regulieren sollte. Erst folgte ein mehrjähriges
Foto: Reuters/Andrew Cullen
Tauziehen zwischen Parteien, Regionalvertretern, Lobbygruppen und Umweltschützern, bis
Ende 2016 ein Gesetz endgültig verabschiedet
wurde, das viele als tragfähigen Kompromiss
ansehen. An diesem Sonnabend treten die neuen Regeln in Kraft: Demnach dürfen unkonventionelle Gasvorkommen, zumindest bis zum
Ende mehrjähriger Erprobungen, nicht mehr
angezapft werden, konventionelle nur nach
Umweltverträglichkeitsprüfung. Der Stadtwerkeverband VKU »freut sich« über die »Fracking-Restriktionen im Wasserhaushaltsgesetz«, viele Umweltschützer hätten sich hingegen ein Verbot gewünscht. KSte
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Große Koalition: Schneller, immer schneller
Bund und Länder sind beim Thema Asyl im Geschwindigkeitsrausch
Während die Beschlüsse zu
schnelleren Abschiebungen auf
viel Zustimmung treffen, warnt
die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl vor einem »Abschiebeland« Deutschland.
Berlin. Die Beschlüsse von Bund
und Ländern für schnellere Abschiebungen sind für die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) Anlass, eine weitere Beschleunigung der
Asylverfahren zu fordern. Spätestens nach sechs Monaten müsse eine Entscheidung des Bundesamts
für Migration und Flüchtlinge vorliegen, sagte Dreyer. Sonst sei der
gemeinsame Plan, abgelehnte
Asylbewerber möglichst noch aus
der Erstaufnahmeeinrichtung in
die Heimat zurückzuschicken,
nicht realisierbar. Die Ministerpräsidenten und Bundeskanzlerin Angela Merkel hatten sich am Donnerstagabend darauf verständigt,
dass der Bund bald einen Entwurf
für ein »Gesetz zur besseren Durch-
setzung der Ausreisepflicht« vorlegen soll. Im Zentrum der Beschlüsse steht, dass Asylbewerber
ohne Bleibeperspektive bereits aus
der Erstaufnahmeeinrichtung abgeschoben werden sollen. Sie sollen nicht erst in Kommunen untergebracht werden und dort Fuß
fassen. Vorgetäuschte Identitäten
oder Straftaten sollen künftig härter geahndet werden. Die Abschiebehaft für Gefährder soll ausgeweitet, ihre Überwachung erleichtert werden.
Thüringens Ministerpräsident
Bodo Ramelow (LINKE), der an
dem Gespräch in Berlin nicht teilgenommen hatte, verwahrte sich
gegen »Wahlkampfmanöver der
Großen Koalition«. In einer Protokollerklärung machte Thüringen
seinen Widerspruch auch inhaltlich gegen die Beschlüsse der Kanzlerinnenrunde deutlich. Pro-AsylGeschäftsführer Günter Burkhardt
forderte die Abgeordneten in den
Landtagen und im Bundestag auf,
»sich der Abschiebemaschine, die
menschliche Folgen außer Acht
lässt, entgegenzustellen«. Auch der
Vorsitzende der Gewerkschaft der
Polizei (GdP), Jörg Radek, warnte
vor rechtsstaatlich bedenklichen
Entscheidungen. »Wir sollten uns
davor hüten, unsere Werte und
Thüringens Ministerpräsident Bodo
Ramelow (LINKE)
verwahrte sich gegen
»Wahlkampfmanöver der Großen
Koalition«.
Rechtsauffassung durch politischen Aktionismus zu opfern, nur
um einige Tausend Menschen ohne Bleibeperspektive vielleicht einige Wochen schneller aus dem
Land zu bekommen«, erklärte Radek. Die Fraktionsvorsitzende der
Grünen im Berliner Abgeordneten-
haus, Antje Kapek, sagte im RBBInforadio: »Dieses Papier ist insgesamt hochproblematisch, weil es
vor allem unterstellt, dass Asylsuchende grundsätzlich eine Gefahr
für unsere Gesellschaft sind und
deshalb nach Möglichkeit auch gar
nicht den Fuß in diese Gesellschaft
setzen sollten.«
Justizminister Heiko Maas
(SPD) begrüßte die Beschlüsse.
»Nur wenn wir unsere Regeln
durchsetzen, werden wir die Akzeptanz für Zuwanderung dauerhaft erhalten.« Nicht durchsetzen
konnte sich die Union mit den von
Innenminister Thomas de Maizière vorgeschlagenen neuen Ausreisezentren des Bundes. Dazu soll es
erst noch weitere Beratungen geben. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) begrüßte die Pläne. »Wir haben ein
gutes Ergebnis gefunden«, sagte
er. Er sprach sich allerdings dafür
aus, lange in Deutschland geduldete Flüchtlinge zu integrieren.
nd/Agenturen
Seite 5
Berlin. »Ich bin mir heute bewusst, dass ich
gegenüber der HU objektiv falsche Angaben
hinsichtlich meiner Tätigkeit für das MfS gemacht habe.« Mit diesem Satz konnte der
Stadtsoziologe Andrej Holm die Präsidentin
der Humboldt-Universität (HU), Sabine
Kunst, dazu bewegen, die angekündigte Beendigung des Arbeitsverhältnisses zurückzunehmen. Mit seiner Erklärung gebe Herr
Holm erstmalig gegenüber der HU zu, Falschangaben gemacht zu haben und bedauere
dies, heißt es in einer am Freitag veröffentlichten Erklärung der Universität. Holm hatte im Personalfragebogen 2005 angegeben,
nicht hauptamtlich für die Stasi gearbeitet zu
haben. Er hatte gesagt, ihm sei zu jener Zeit
nicht bewusst gewesen, dass seine 1989 begonnene Ausbildung so zu werten sei. »Es ist
erfreulich, dass wir mit Herrn Holm zu einer
gemeinsamen Lösung gekommen sind«, sagte Kunst am Freitag.
Holm hatte seinen Posten als Staatssekretär in Berlin nach Debatten um seine Vergangenheit aufgeben müssen. nic Seiten 2 und 13
Länder wollen NPD
Gelder entziehen
Resolution im Bundesrat
verabschiedet
Berlin. Die Länder gehen geschlossen gegen
eine weitere Finanzierung der rechtsextremen NPD mit staatlichem Geld vor. Der Bundesrat beschloss am Freitag in Berlin einstimmig eine Entschließung zum Ausschluss
von Parteien mit verfassungsfeindlichen Zielen von der Parteienfinanzierung.
Die Länderkammer mahnte diesbezüglich
zügiges Handeln an. Um die NPD von staatlichen Geldern auszuschließen, wäre eine
Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und
Bundesrat notwendig. Bundesjustizminister
Heiko Maas (SPD) begrüßte den Vorstoß. Die
Grünen-Rechtsexpertin
Renate
Künast
mahnte dagegen zur Sorgfalt: Sollte ein Ausschluss der NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung vor Gericht scheitern, wäre
das ein »Desaster«, sagte sie.
Das Bundesverfassungsgericht hatte sich im
Januar zwar gegen ein von den Ländern angestrebtes Verbot der NPD ausgesprochen, die
Karlsruher Richter wiesen aber auf »andere
Reaktionsmöglichkeiten« hin wie den Entzug
der Parteienfinanzierung. Agenturen/nd