Frankfurter Allgemeine, 03.02.2017, S. 17

itz. WIEN, 2. Februar. Nach den Massenprotesten gegen die Lockerung der Antikorruptionsgesetze in Rumänien hoffen
Wirtschaft und Opposition darauf, dass
jetzt Staatspräsident Klaus Johannis und
baum (CDU), schloss sich dieser Forderung an. Er verwies darauf, dass Junckers Vorgänger Jose Manuel Barroso
die EU-Kommission die Korruptionsbekämpfung im Land aufrechterhalten.
Die Strafverfolgung gilt als
gefährdet,
seit die neue Regierung am Parlament
vorbei die Schwelle für den Tatbestand
des Amtsmissbrauchs heraufgesetzt hat.
„Johannis
und Kommissionspräsident
Juncker sind für viele die letzte Hoff-
ein
nung. Es wäre für den Standort politisch
und wirtschaftlich fatal, wenn Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung ausgehöhlt würden“, sagte der ehemalige Europa-Minister Cristian Ghinea dieser Zeitung. Er sitzt heute für die Union zur Rettung Rumäniens (USR) im rumänischen
Parlament. Sie ist die drittstärkste Kraft
hinter den regierenden Sozialdemokraten (PSD) und der nationalliberalen Partei PNL von Präsident Johannis.
Dieser nannte die beabsichtigte Straffreiheit einen „Skandal“. Vorübergehend konnte er ein entsprechendes Regierungsdekret verhindern. Auch rief er
das Verfassungsgericht an und leitete
ein Referendum zur Fortsetzung der Korruptionsbekämpfung ein. Ghinea unterstützt dieses Vorgehen, warf Johannis
aber vor, sich zu lange zurückgehalten
zu haben. Zugleich forderte er EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker
auf, Regierungschef Sorin Grindeanu
(PSD) nach Brüssel einzubestellen, um
ihn zum Einlenken zu bewegen. Der Voreuropapolitischen Aussitzende des
schusses im Bundestag, Günther Krich-
Ministerpräsident
mit
(PSD)
Victor
ähnlich verfahren sei,
umstrittenes
Ponta
als
dieser
Amtsenthebungsver-
fahren gegen Präsident Traian Basescu
einleitete. In einem Schreiben an Juncker regte Krichbaum überdies ein sogenanntes Artikel-7-Verfahren an, um Rumänien mit Stimmrechtsentzug zu drohen. „Wir müssen dringend etwas dageder Rechtsgen tun, dass in Rumänien
staat mit Füßen getreten wird“, sagte er
dieser Zeitung.
In den größten Protestmärschen seit
Ende des Sozialismus waren am Dienstag und Mittwoch Hunderttausende Demonstranten gegen die Regierungspläne
auf die Straßen gegangen. Seitdem wechseln sich Ghinea und andere Oppositionelle mit Mahnwachen und Übernachtungsaktionen im Parlament ab, um ihre
Solidarität auszudrücken. Die Abgeordneten fühlen sich übergangen, weil die
Regierung am Dienstag per Eilverordnung eine Straffreiheit für Amtsmissbrauch beschlossen hatte. Diese greift
für Personen, wenn die Schadenssumme
nicht mindestens 200 000 Lei (44 000
Euro) erreicht. Mutmaßlich will die PSD
damit ihren Vorsitzenden Liviu Dragnea
von der Schuld freisprechen, der wegen
der Annahme von 100 000 Lei vor Gericht steht und kein Regierungsamt übernehmen darf. Ghinea sagte, die Regierunghabe „das Mittel der Notverordnungen missbraucht, ohne dass ein Notstand
vorliegt“.
Wirtschaft. Aus Protest gegen das Dekret trat am Donnerstag Handelsminister Florin Jianu zurück. Der Manager
galt als Verbindung zur Geschäftswelt,
er leitete früher den Mittelstandsverband. Auf Facebook begründete Jianu
seinen Rücktritt mit ethischen und wirtschaftlichen Bedenken. „Wie soll ich
meinem Kind in die Augen schauen?“,
schrieb er.Rumänien hat nicht verdient,
was jetzt passiert.“ Das Wirtschaftspotential des Landes stehe auf dem Spiel,
denn bisher habe es Unternehmer mit
Berechenbarkeit und Stabilität angezogen. „Das muss so schnell wie möglich
wiederhergestellt werden.“ Die Deutsche Handelskammer in Bukarest warnte: „Rumänien läuft Gefahr, seinen im
letzten Jahr erarbeiteten Imagegewinn
zu verlieren.“ Das Vorgehen der Regierung führe „zu einer starken Verunsicherung unter deutschen Investoren“. Die
MittLandeswährung Leu
verlor am
woch gegenüber dem Euro ein Prozent
an Wert, am Donnerstag fing er sich wieder etwas.
Tina
Olteanu, Politikwissenschaftlerin an der Universität Gießen, hält die
Antikorruptionsbehörde
Arbeit
der
DNA für gefährdet, die sich als unabhängige und schlagkräftige Ermittlungsbehörde bewährt habe. Derzeit dürfe man
„den Einfluss der Straße nicht unterschätzen“. Im November 2015 hätten Demonstrationen bereits Ponta zum Abdanken gezwungen. Einen Rücktritt erwartet Olteanu diesmal nicht, möglich
sei aber ein Kabinettsumbau. Die EU in
den Konflikt einzuschalten, lehnt sie ab.
Unterdessen wächst die Besorgnis der
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Frankfurter Allgemeine, 03.02.2017, S. 17
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