Schwingungsabwehr an Krankabinen Einsatz von semiaktiven

KRAN- UND HEBETECHNIK
| Kabinenanbindung
Schwingungsabwehr an Krankabinen
Einsatz von semiaktiven Dämpfern
An der Kranführerkabine eines Gießkrans
traten beim Überfahren von uneben verschweißten Schienenstößen starke, stoßartige Horizontalschwingungen auf. Die
ursprüngliche Anbindung der Kabine an
den Kabinendom über Schwingen und
passive Dämpfer konnte die Kabine nicht
wirksam von den Schwingungen des
Kabinendoms entkoppeln. Dies schaffte
erst eine neu konzipierte Anbindung der
Kabine mit semiaktiven Dämpfern, die
ihre Dämpfung während des Betriebs
anpassen können.
Versuch mit semiaktivem
Dämpfungssystem
Um die Schwingungsamplituden und -frequenzen zu ermitteln sowie die Ursachen
der Schwingungen einzugrenzen, wurde die
Beschleunigung an verschiedenen Stellen des
Kabinendoms und der Kabine während des
Betriebs gemessen:
Die Haupterregung der Kabine resultiert
aus der Beschleunigung der Kabinenaufhängung in Fahrtrichtung. Je nach Fahrgeschwindigkeit liegen die Erregungsfrequenzen zwischen 2 Hz und 8 Hz mit dominierenden Frequenzen bei 4 Hz. Diese Anregung führt zu
einer erzwungenen Schwingung der Kabine
mit einer Hauptfrequenz von 3,5 Hz.
Bild ➊ zeigt die Verstärkung der Beschleunigung in x-Richtung zwischen einem oberen
Messpunkt am Kabinendom und der Kabinenaufhängung. Demnach können die Lastumlagerungen des starren Schleppträgers mit
seiner statisch unbestimmten Stützung und
dessen Verdrehen beim Überfahren von
Unebenheiten als Ursache der Schwingungen angesehen werden. Letzteres wird durch
den kurzen Radstand verstärkt. Die entsprechende Torsionsschwingung des Schleppträgers versetzt den 5 m langen Kabinendom in eine Pendelbewegung, die die großen
Schwingungsamplituden der Kabinenaufhängung erzeugt.
Erfahrungsgemäß kann ein Verschleifen
der unebenen Schienenstöße das Schwingungsverhalten der Kabine nur mittelfristig
verbessern. Für eine langfristige Verbesserung muss die Krankabine wirksamer von
den Schwingungen des Kabinendoms entkoppelt werden.
In einem gedämpften Schwingungssystem
mit konstanter Dämpfung herrscht immer ein
Kompromiss zwischen guter Dämpfung im
Resonanzfall und guter Isolation gegenüber
höherfrequenten Schwingungen: Ein stark
gedämpftes System verhindert eine Verstärkung im Resonanzfall, Frequenzen oberhalb
dieser werden jedoch stärker übertragen. Letzteres lässt mit einer niedrigen Dämpfung verhindern, wobei dann Eigenschwingungen jedoch
kaum gedämpft werden. Dieser Konflikt kann
durch eine variable, geregelte Dämpfung des
Systems entschärft werden. Eine solche soll
für die Entkopplung der Krankabine verwendet
werden, um den Widerspruch zwischen einer
guten Schock-/Schwingungsisolation und der
Vermeidung von Einschwingvorgängen (aus
Anfahren und Bremsen) zu lösen.
Bisher liegen keine Erfahrungen mit solchen semiaktiven Dämpfungssystemen für
Krankabinen vor. Deshalb soll experimentell
herausgefunden werden, wie die Dämpfung
eines Schwingungssystems geregelt werden
muss, um dessen Entkopplung von der Erregung zu optimieren. Der Versuch besteht aus
einem Einmassenschwinger mit einstellbarem
Dämpfer. Im Inneren dieses Dämpfers befindet
sich ein elektrorheologisches Fluid, das durch
Anlegen einer elektrischen Spannung seine
Viskosität ändert. Die Erregung erfolgt über
einen Hydraulikzylinder. Die Beschleunigung
des Schwingers wird gemessen. Mithilfe dieses
Signals wird die Dämpfung adaptiv geregelt.
Durch gezielte Anpassung der entsprechenden
Regelungsparameter konnte die Entkopplung
des Systems verbessert werden.
QUELLE: IFF
Der betrachtete Vierträger-Brückenkran mit
33 m Spannweite hat einen Schleppträger,
dessen zwei Räder je Kranbahnseite einen
sehr kurzen Radstand aufweisen. Diese statisch unbestimmte Stützung führt zu Lastumlagerungen infolge von Höhenunterschieden
an den Schienenstößen. Die entsprechenden
Torsionsschwingungen des Schleppträgers
bewirken eine Pendelbewegung des 5 m langen
Kabinendoms und damit eine starke horizontale
Anregung der Kabine (Bild ➊).
Die Kabine war ursprünglich über drei
kurze Schwingen sowie passive Dämpfer mit
dem Kabinendom verbunden. Die Schwingungen der Krankabine waren teilweise so stark,
dass der Kranführer ohne sich festzuhalten
darin nicht aufrecht stehen konnte. Solche
starken Schwingungen können sich negativ
auf den Gesundheitszustand des Bedieners
auswirken. Hersteller sowie Betreiber von
Kranen sind deshalb gesetzlich verpflichtet,
die vorgeschriebenen Grenzwerte der auf den
Kranführer wirkenden Schwingungen garantiert einzuhalten.
Schwingungsmessungen
während des Betriebs
➊ Schematische Ansicht der Krankabine einschließlich Anordnung der Messpunkte (l.) und gemessene Beschleunigung.
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Hebezeuge Fördermittel 1-2/2017
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Erneuerung der Kabinenlagerung
QUELLE: IFF
Im Zuge des Umbaus wurden alle Sekundärkopplungen zwischen Kabine und Kabinenaufhängungen entfernt. Die Koppeln wurden
von 250 mm auf 500 mm verlängert und mit
sphärischen Lagern geschlossen. Anstelle der
passiven Dämpfer wurden semiaktive Dämpfer
verbaut (Bild ➋).
Auf der Kabinenoberseite wurde ein
Beschleunigungsaufnehmer angebracht, der
die horizontale Beschleunigung misst. Diese ist
das Eingangssignal der Dämpferregelung. Ziel
der Regelstrategie war, einerseits eine gute Stoßisolierung durch eine niedrige Dämpfung bei
einem Stoßimpuls zu realisieren, andererseits
bei niederfrequenten Anregungen, wie Anfahren und Bremsen, die Schwingungsamplitude
durch eine hohe Dämpfung zu verringern.
➋ Kopplung zwischen Kabine und Aufhängung mit semiaktivem Dämpfer.
QUELLE: IFF
Ergebnisse nach dem Umbau
➌ Vergleich der Beschleunigung der Kabine vor und nach dem Umbau.
Simulationen zum Vergleich
Das Schwingungssystem wird mit einem
2D-Modell der Kabine mit zwei Koppeln und
Dämpfer im Simulationsprogramm SimulationX berechnet. Der an der Kabinenaufhängung
gemessene Beschleunigungsverlauf wird der
starren Kabinenaufhängung als Erregerfunktion aufgeprägt. Die Kabine ist über zwei gelenkig angeschlossene Koppeln und dem Dämpfer
mit der Aufhängung verbunden.
Zunächst wurde versucht, das ursprüngliche System zu simulieren. Dafür wurden die
ursprüngliche Koppellänge von 250 mm und die
Dämpfung des ursprünglich verbauten passiven Dämpfers verwendet. Der damit berechnete
Beschleunigungsverlauf der Kabine entsprach
aber nicht dem gemessenen. In Wirklichkeit
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musste die ursprüngliche Kopplung der Kabine
an den Kabinendom weitaus steifer sein als im
Modell angenommen. Dies könnte ungewollt
durch Sekundärkopplungen der Kabine durch
Kabelbäume oder zusätzliche mechanische
Anschläge herbeigeführt worden sein.
Die Ergebnisse der Simulationen mit adaptiver Regelung der Dämpfung zeigen Vorteile
im Vergleich zur passiven Dämpfung, da die
Regelung die Ankopplung des Systems an die
Erregung adaptiv verringern kann und so die
Aufnahme von Schwingungsenergie verringert.
Durch den Einsatz der semiaktiven Dämpfer
kann das System also zusätzlich von Stößen
entkoppelt werden. Durch Verdoppelung der
Koppellänge von 250 mm auf 500 mm lässt sich
das Übertragungsverhalten der Kabinenaufhängung zusätzlich verbessern.
Nach dem Umbau wurde der Beschleunigungsverlauf der Kabine 16 h während eines repräsentativen Kranbetriebs gemessen und mit
entsprechenden Messungen vor dem Umbau
verglichen. Vor dem Umbau wurden am Kabinenboden regelmäßig Beschleunigungsspitzen
von bis zu ±1,5 m/s² gemessen (Bild ➌). Vergleichend dazu bewegen sich die gemessenen
Beschleunigungen nach dem Umbau fast ausschließlich im Bereich von ±0,5 m/s².
Die neue Aufhängung der Kabine mit semiaktiven Dämpfern erreicht eine sehr effektive
Stoßisolierung. Zusätzlich wird ein Aufschaukeln der Kabine durch langwellige Anregungen
beim Anfahren und Bremsen ausgeschlossen.
Literatur
[1] Scheffler, M.; Feyrer, K.; Matthias, K.:
Fördermaschinen – Hebezeuge, Aufzüge,
Flurförderzeuge. Braunschweig/Wiesbaden
Vieweg 1998.
[2] Dresig, H: Schwingungen mechanischer
Antriebssysteme: Modellbildung, Berechnung, Analyse, Synthese. 2. Auflage.
Berlin/Heidelberg: Springer 2006.
[3] Meltzer, G.; Kirchberg, S.: Schwingungsund Körperschallabwehr bei Maschinenaufstellungen. 1. Aufl. Berlin: Verlag
Tribüne 1977.
Dipl.-Ing. Mathias Pfaff,
Dipl.-Ing. (FH) Thomas Kießig,
Dipl.-Ing. Alexander Jehn,
Dipl.-Ing. Daniel Gloger,
IFF Engineering & Consulting GmbH, Leipzig
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