editorial - Tellmed.ch

EDITORIAL
I
Flüchtlinge in der Psychiatrie –
Herausforderungen und Chancen
n der Schweiz sowie in den meisten anderen
Flüchtlingsproblematik als Herausforderung
westeuropäischen Ländern suchen Flüchtlinge
Um der Flüchtlingsproblematik als einer der ak-
aus unterschiedlichen Gründen Schutz. Sie sind
tuellsten und zentralen Herausforderungen unse-
dabei mit diversen Belastungen im psychosozialen,
rer Zeit aus neurologisch-psychiatrischer Sicht
gesundheitlichen, finanziellen sowie rechtlichen
Rechnung zur tragen, beleuchten wir in dieser
und sprachlichen Bereich konfrontiert. Derartige
Ausgabe die heterogene Gruppe der Migranten
Stressoren im Speziellen sowie die Erfahrung der
aus unterschiedlichen Blickrichtungen.
Migration im Allgemeinen können das Auftreten
Der Psychiater PD Dr. Thomas Maier gibt hierbei
und den Verlauf psychischer Erkrankungen in
vielfältige praktische Hinweise in Bezug auf die
unterschiedlichem Mass beeinflussen, woraus sich
Gesprächsführung und die Settings psychothera-
indirekt die Notwendigkeit einer spezialisierten Ver-
peutischer Behandlungen von Flüchtlingen und
sorgungsstruktur für die Aufnahmeländer ergibt.
betont die Relevanz einer migrationsspezifischen
In Studien konnte nachgewiesen werden, dass
Anamnese (Seite 11).
Flüchtlinge und Asylsuchende in der Schweiz ge-
Welche neuartigen Ansätze im vielfältigen Bereich
häuft unter Symptomen der posttraumatischen
der Behandlung traumatisierter Flüchtlinge not-
Belastungsstörung sowie Angststörungen und
wendig und bereits vorhanden sind, zeigt der Bei-
Depressionen leiden. Für die Behandlung dieser
trag von Prof. Ulrich Schnyder und Dr. Matthis
Erkrankungen existieren evidenzbasierte Thera-
Schick auf Seite 7.
pien, welche jedoch im Kontext der genannten Be-
Die Herausforderungen, aber auch die Erkenntnis-
lastungen oftmals an Grenzen geraten. Hieraus
gewinne im Rahmen der ambulanten psychothe-
entsteht die Aufgabe des jeweiligen Behandlers,
rapeutischen Behandlung von Migranten, welche
migrationsspezifische Therapieelemente mitein-
teilweise im Kontrast zur institutionellen Psychia-
fliessen zu lassen sowie bei unzureichenden
trie stehen, illustriert der Beitrag von Dr. Bernhard
Deutschkenntnissen des Patienten einen profes-
Küchenhoff (Seite 14).
sionellen Dolmetscher hinzuzuziehen.
Wie komplex die Diagnosefindung und die Be-
Der Grossteil der Flüchtlinge kommt aus Teilen der
handlung im breiten Spektrum neurologischer Er-
Erde mit im Vergleich zur Schweiz deutlich abwei-
krankungen ist, schildern Prof. Erich Schmutzhard
chenden soziopolitischen Strukturen, Kulturkon-
und Dr. Bettina Pfausler in eindrücklicher Weise
zepten, Vorstellungen von Krankheit und Gesund-
(Seite 18).
heit sowie den insbesondere in der Psychiatrie
Im Interview mit dem Autor dieses Editorials auf
essenziellen Gewohnheiten oder intuitiven Verein-
Seite 4 finden Sie Informationen zur aktuellen Ver-
barungen der menschlichen Kommunikation. Für
sorgung von Migranten in der Schweiz.
viele Menschen aus Eritrea oder Afghanistan – die
Länder, aus welchen die meisten Asylsuchenden
Wir hoffen, durch diese Artikel Ihr Interesse für das
hierzulande stammen – ist es beispielsweise
mannigfaltige Thema der Migrationspsychiatrie
völlig ungewohnt, allein mit einem Arzt über
zu wecken, und wünschen Ihnen viel Raum zum
persönliche und womöglich intime Inhalte zu
Nachdenken und gemeinsamen Diskutieren.
●
sprechen.
Dr. med. Janis Brakowski
und
Prof. Dr. med. Erich Seifritz
1/2017
PSYCHIATRIE & NEUROLOGIE
1
Stv. Leiter des Zentrums
für Akute Psychische
Erkrankungen (ZAPE)
Psychiatrische Universitätsklinik
Zürich
E-Mail:
[email protected]
www.pukzh.ch
Direktor Klinik für Psychiatrie,
Psychotherapie und
Psychosomatik
Psychiatrische Universitätsklinik
Zürich