Daniil Trifonov - Kölner Philharmonie

Porträt Daniil Trifonov 2
Piano 4
Daniil Trifonov
Samstag
4. Februar 2017
20:00
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Porträt Daniil Trifonov 2
Piano 4
Daniil Trifonov Klavier
Samstag
4. Februar 2017
20:00
Pause gegen 21:00
Ende gegen 22:10
19:00 Einführung in das Konzert durch Christoph Vratz
Gefördert durch die
PROGRAMM
Robert Schumann 1810 – 1856
Kinderszenen op. 15 (1837/38)
Leichte Stücke für das Pianoforte
I. Von fremden Ländern und Menschen
II. Kuriose Geschichte
III. Hasche-Mann
IV. Bittendes Kind
V. Glückes genug
VI. Wichtige Begebenheit
VII. Träumerei
VIII. Am Kamin
IX. Ritter vom Steckenpferd
X. Fast zu ernst
XI. Fürchtenmachen
XII. Kind im Einschlummern
XIII. Der Dichter spricht
Robert Schumann
Toccata C-Dur op. 7 (1829 – 33)
für Klavier
Robert Schumann
Kreisleriana op. 16 (1838)
Acht Fantasien für Klavier
I. Äußerst bewegt
II. Sehr innig und nicht zu rasch – Intermezzo I: Sehr lebhaft
– Tempo I – Intermezzo II: Etwas bewegter – Langsamer
(Tempo I) – Adagio – Tempo I – Adagio
III. Sehr aufgeregt – Etwas langsamer – Tempo I – Noch schneller
IV. Sehr langsam – Bewegter – Tempo I – Adagio
V. Sehr lebhaft
VI. Sehr langsam – Etwas bewegter – Tempo I – Adagio
VII. Sehr rasch – Noch schneller – Etwas langsamer
VIII. Schnell und spielend – Mit aller Kraft
Pause
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Dmitrij Schostakowitsch 1906 – 1975
Nr. 4 e-Moll
Nr. 7 A-Dur
Nr. 2 a-Moll
Nr. 5 D-Dur
Nr. 24 d-Moll
aus: 24 Präludien und Fugen op. 87 (1950/51)
für Klavier
Igor Strawinsky 1882 – 1971
Trois Mouvements de Pétrouchka (1921)
für Klavier
I. Danse russe. Allegro giusto
II. Chez Pétrouchka. Stringendo – Molto meno – Furioso
III. Semaine grasse. Con moto – Allegretto – Tempo giusto
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ZU DEN WERKEN
Klavierwerke von Robert Schumann
Als »Universalgeist der Romantik« oder »letzter Universalist«
nach Beethoven im 19. Jahrhundert wird Robert Schumann
gerne apostrophiert, wenn es um die Besonderheiten seines
Künstlerdaseins geht. Universal war Schumann nicht allein
im Hinblick auf die musikalischen Gattungen, die er sich nach
und nach erschloss, um dann ihre hergebrachten Schemata zu
durchbrechen. Ebenso prägend war sein Interesse an den verschiedenen Künsten, die für ihn untereinander alle durch das
Poetische und schließlich auch mit autobiographischen Aspekten verbunden waren. »Es affiziert mich Alles, was in der Welt
vorgeht«, schrieb er 1838 an Clara Wieck, seine Verlobte, »Politik,
Literatur, Menschen – über Alles denke ich in meiner Weise nach,
was sich dann durch Musik Luft machen, einen Ausweg suchen
will.« Kunst und Leben stehen so bei Schumann – dem Komponisten, dem talentierten aber letztlich verhinderten Klaviervirtuosen, dem literaturbegeisterten Leser, dem Musikschriftsteller und
-kritiker – in vielfältigen und engen Zusammenhängen. In seinem Wirken verschränken sich Kunstkritik und Kunstproduktion.
Ideen aus der Literatur, Philosophie und bildenden Kunst verbinden sich hier mit musikästhetischen und kompositionstheoretischen Aspekten – und auch mit autobiographischen Momenten,
die zuweilen ganz explizit in sein Schaffen eindrangen. Schumann verkörperte einen neuen Künstlertypus, berufen nicht vorrangig durch handwerkliche Meisterschaft – die er ohne Frage
besaß –, sondern durch die Begeisterung für das Poetische, wie
es in der Musik, aber auch in den anderen Künste wie Dichtung
und Sprache seinen Ausdruck findet. Dies lässt sich deutlich an
den Klavierwerken ablesen, die Schumann in dem Jahrzehnt
zwischen 1830 und 1840 schrieb, darunter auch die Kompositionen, die am heutigen Abend auf dem Programm stehen.
Jugendliche Virtuosität mit zarten und tiefgefühlten Schattierungen
– Toccata C-Dur op. 7
Dass Schumann zwischen 1830 und 1840 fast ausschließlich Klaviermusik schrieb, hat verschiedene – persönliche
wie musikhistorisch bedingte – Gründe. Den Beginn dieses
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»Klavierjahrzehnts« prägte sein Entschluss, eine Pianistenlaufbahn anzustreben. Naheliegend, dass er sich auch als Komponist dem Klavier zuwandte, und dabei vor allem jenen Gattungen,
die dafür geeignet erschienen, sich als Virtuose zu profilieren,
also etwa Konzertetüden und Variationszyklen. In diesem Kontext ist auch die Entstehung der Toccata op. 7 zu sehen, deren
spieltechnische Ansprüche sie in den Bereich der Etüde rücken.
Bereits im Winter 1829/30 hatte Schumann in Heidelberg eine
frühe, noch als E
­ xercice pour le Pianoforte bezeichnete Fassung
niedergeschrieben. Nach einer Revision und Erweiterung (1832)
wurde sie schließlich 1834 als Toccata op. 7 gedruckt. Für die
Klavierliteratur der Romantik mag dieser Titel ungewöhnlich
erscheinen. Doch Schumann knüpfte mit ihm weniger an die
barocke Musik als vielmehr an brillante Klavierstücke des frühen
19. Jahrhunderts an, also an zeitgenössische Vorbilder, wie etwa
Carl Czernys T
­ occata ou exercice op. 92, Georges Onslows Caprice
ou Toccata op. 6 oder Charles Mayers Toccata E-Dur.
Auch wenn die Toccata op. 7 als technisch wie musikalisch
anspruchsvolles Konzertstück bekannt geworden ist, dürfte
Schumann sie ganz pragmatisch auch als virtuoses Übungsstück gesehen haben, mit dem er gezielt bestimmte pianistische
Probleme zu lösen gedachte, etwa die Unabhängigkeit der Finger in einer Hand. Zu bewältigen sind hier vor allem Doppelgriffe
in Gegenbewegungen, schnelle Oktav- und Akkordfolgen, eine
komplexe Rhythmik und Synkopierungen bei durchgängigen
Bewegungen in der jeweils anderen Stimme derselben Hand.
Schumann selbst soll die Toccata, die er dem Pianisten Ludwig
Schunke widmete, in einem gemäßigten Tempo gespielt haben,
vielleicht auch, um ihre rhythmischen Finessen stärker zum Tragen kommen zu lassen. Trotz der Widmung an Schunke spielte
schließlich Clara Wieck im September 1834 in Leipzig die Uraufführung. Sie war es auch, wie Ernst Ortleb feststellte, die neben
der brillanten Seite auch die poetische Dimension der Toccata
akzentuierte: »Schumanns Toccata ist so schwer, daß es außer
Schunke und Clara Wieck hier [in Leipzig] wohl niemand gut
spielen kann. Beide spielen es verschieden. Ersterer trägt sie als
Etüde vor mit höchster Meisterschaft, letztere weiß es zugleich
poetisch aufzufassen und ihm durch und durch eine Seele einzuhauchen. Auch diesmal belebte sie es mit so zarten und
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tiefgefühlten Schattierungen, daß das originelle Tonstück […] in
seinem höchsten Glanz erschien.«
»Rückspiegelungen eines älteren und für ältere« –
Kinderszenen op. 15
Eine Entzündung in der rechten Hand zwang Schumann 1831
dazu, von seiner Karriere als Klaviervirtuose Abstand zu nehmen.
Sein Interesse an der Klaviermusik wurde dadurch jedoch nicht
gemindert. Im Gegenteil: Bis 1840 schrieb er weiterhin nahezu
ausschließlich Klavierkompositionen, wobei die wohl produktivste Phase seines Klavierschaffens in die Zeit um 1837/Anfang
1838 fiel, eine wegen des Konflikts mit Claras Vater, der gegen
die Verbindung der beiden opponierte, emotional sehr aufgeladene Zeit.
Mit der Klaviermusik verband Schumann viel mehr als nur virtuoses, extrovertiertes Musizieren. Sie war ihm schon früh ein
Ausdrucksmedium geworden, das der verbalen Sprache vergleichbar erschien oder diese in ihrem poetischen Potential noch
übertraf. Musik, aufgefasst als »Erzählung« – und besonders die
intime Gattung der Klaviermusik schien dafür prädestiniert –, bildete so ein Analogon etwa zu Eintragungen in Tagebüchern, zu
erzählten Geschichten, Dichtungen oder anderen verbalsprachlich mitgeteilten Reflexionen. So bezeichnete Schumann etwa
seine Novelletten op. 21 einmal als »größere zusammenhängende
abenteuerliche Geschichten«. Vor diesem Hintergrund des Narrativen und der Überlagerung literarischer Ideen und autobiographischer Aspekte sind auch die anderen Werkzyklen zu sehen,
die im Winter/Frühjahr 1837/38 nacheinander und teils in enger
gedanklicher Verknüpfung entstanden: die Kinderszenen op. 15,
die großenteils gleichzeitig mit den Novelletten entstanden und
ursprünglich unter dem Titel Kindergeschichten als deren Anhang
erscheinen sollten, sowie die Kreisleriana op. 16.
Die Kinderszenen standen von Beginn an in der Gefahr eines
Missverständnisses. Ihre separate Veröffentlichung im Februar
1839 mit dem Untertitel Leichte Stücke für das Pianoforte konnte
den Eindruck erwecken, dass es sich hier um eine einfache,
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für Kinder und Anfänger geschriebene Musik handele. Dieses
Missverständnis hielt sich zum Teil bis in unsere Tage, obwohl
schon die zeitgenössische Kritik, die dazu neigte, den Zyklus an
der Tradition kindgerechter Klavierliteratur zu messen, durchaus
bemerkte, dass nicht nur die spieltechnischen Hürden in eine
ganz andere Richtung deuteten. So schrieb etwa Ludwig Rellstab
1839 in seiner Besprechung der Kinderszenen: »[…] ein Kind, das
nicht drei Hände hat (und selbst dann würde manches demselben schwerfallen) kann diese kleinen Stückchen nicht spielen
[…] Endlich und hauptsächlich ist aber der geistige Gehalt dieser
Sätzchen durchaus nicht für das Kind; es müßte ein Kind sein,
dessen Geschmack schon durch die schärfsten und anreizendsten Gewürze alle Unschuld verloren hätte«.
Schumann hatte mit den Kinderszenen in der Tat anderes im Sinn
als eine Musik für Kinder. Im März 1838 schrieb er an Clara: »Und
daß ich es nicht vergeße, was ich noch componirt – War es wie
ein Nachklang von Deinen Worten einmal, wo Du mir schriebst,
›ich käme Dir auch manchmal wie ein Kind vor‹ – Kurz, es war
mir ordentlich wie im Flügelkleid, und hab da an die 30 kleine
putzige Dinger geschrieben, von denen ich ihrer zwölf [am Ende
wurden es 13] ausgelesen und ›Kinderscenen‹ genannt habe.
Du wirst Dich daran erfreuen, mußt Dich aber freilich als Virtuosin vergeßen […]«. Keine Virtuosenmusik also, aber eben auch
keine Musik für Kinder, sondern, in Schumanns Worten, »Rückspiegelungen eines Älteren und für Ältere« – so charakterisierte
er die Kinderszenen später einmal gegenüber Carl Reinecke (im
Zusammenhang mit dem Album für die Jugend op. 68, das er tatsächlich für Kinder und Anfänger konzipierte).
»Rückspiegelungen eines Älteren und für Ältere« – dieser
»Ältere«, Schumann, träumte sich musikalisch in die Kindheit zurück, in die Vorstellung vom »ewigen Kind«, wie sie bei
Novalis oder Jean Paul (in dessen Flegeljahren) und in romantischen Kunstmärchen greifbar wurde. Vieles spricht dafür, dass
er gerade in Clara die Verkörperung des »ewigen Kindes« sah,
ja dass er sich erhoffte, über sie die Kindheit zurückzuerlangen
und mit ihr in der gemeinsamen Zukunft eine zweite Kindheit zu
erleben.
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Schumann gestaltete die Kinderszenen auf mehreren Ebenen
als einen Zyklus, der die Stücke zu einem übergeordneten Ganzen verbindet. Dem entspricht die tonale Konzeption, die in den
Stücken 1 bis 5, welche sich in quint- und terzverwandten Tonarten (D-Dur, h-Moll) bewegen, zunächst die Ausgangstonart
G-Dur stabilisiert. Die Stücke 6 bis 10 schweifen harmonisch in
andere Gefilde aus (A-Dur, F-Dur, C-Dur, gis-Moll), bevor dann
die letzten drei Nummern (G-Dur, e-Moll, G-Dur) die Rückkehr
zur Ausgangstonart vollziehen. Neben solchen harmonischen
Beziehungen und den motivischen Verbindungen der Stücke
untereinander ist es auch der große gedankliche Rahmen, der
auf Novalis’ Roman Heinrich von Ofterdingen verweist und die
Kinderszenen zu einem inhaltlich Ganzen werden lässt, wie der
Musikwissenschaftler Arnfried Edler ausführt: »So verweist das
Eröffnungsstück Von fremden Ländern und Menschen auf den
Ofterdingen, an dessen Beginn der jugendliche Protagonist eine
Reise unternimmt, weil er sich den ›Anblick neuer Menschen und
Länder […] nach den Erzählungen seiner Mutter und mancher
Reisenden, wie ein irdisches Paradies sich gedacht, und wohin
er oft vergeblich sich gewünscht hatte‹. Dieses Motiv, das die
Handlung zahlloser Märchen in Gang setzt, ist in der romantischen Literatur ungemein verbreitet; u. a. findet es sich auch im
letzten Stück von E. T. A. Hoffmann Kreisleriana […]. Die von kindlicher Sehnsucht nach der Ferne ausgelöste Reise Heinrich von
Ofterdingens entwickelt sich zur Suche nach der blauen Blume,
an deren Ende das Auffinden der eigenen dichterischen Existenz
steht: Das Kind wird zum Dichter, der Dichter zum Kind.«
»Eine recht ordentlich wilde Liebe liegt darin« – Kreisleriana op. 16
Die Sehnsucht nach der ewigen Kindheit prägte als romantischer
Topos Schumanns Kinderszenen op. 15. Ein anderer Topos war
die Vorstellung vom genialen Künstler, der unter dem Gegensatz zwischen poetischer Kunst und prosaischer Alltagswelt leidet und so in psychische Not und exzentrisches Verhalten verfällt. Mit der Figur des Kapellmeisters Johannes Kreisler hatte
E.T.A Hoffmann diesen Topos literarisch aufgegriffen und die
(Höchst zerstreuten) Gedanken des fiktiven Künstlers – »kleine
größtenteils humoristische Aufsätze in günstigen Augenblicken
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mit Bleistift schnell hingeworfen« (Hoffmann) – in der Leipziger
Allgemeinen Musikalischen Zeitung und dann als Kreisleriana im
Rahmen der Fantasiestücke in Callot’s Manier (1814) veröffentlicht. Man darf annehmen, dass Schumann in der exzentrischen
Gestalt des Johannes Kreisler sein (vorweggenommenes) Alter
ego sah, denn dessen Aufsätze kreisen um Fragen (etwa nach
dem Poetischen in der Musik), wie sie auch Schumann und seinen – ebenfalls fiktiven – Davidsbund umtrieben.
Auf E. T. A. Hoffmanns autobiographische Projektionen in der fiktiven Gestalt des Johannes Kreisler jedenfalls verweisen Schumanns Kreisleriana op. 16, die von März bis Mai 1838 entstanden
und im Untertitel als Fantasien bezeichnet sind. Sie sind keineswegs als Programmmusik zu verstehen. Ganz unabhängig davon,
ob Schumann den Bezug zu Hoffmanns Kreisler schon im Vorhinein im Kopf hatte oder er diesen erst im Nachhinein über den
Titel herstellte – in der Schumann-Literatur gibt es verschiedene
Positionen dazu –, erscheint diese Beziehung durchaus greifbar.
Der Charakter der Musik, ihre formale und ausdruckshafte Vielfalt, ihre rhythmischen und harmonischen Verunklarungen und
die allgemein gesteigerte Subjektivierung scheinen die psychische Befindlichkeit des imaginären Kapellmeisters Kreisler zu
spiegeln.
Von seinen um 1838 entstandenen Klavierkompositionen liebte
Schumann die Kreisleriana am meisten, ja er zählte sie überhaupt
zu dem Besten, das er für das Klavier geschaffen habe. Auch
fünf Jahre nach ihrer Entstehung waren sie ihm noch so etwas
wie eine musikalische Visitenkarte. An Carl Koßmaly schrieb er
1843, dass die Stücke ihm »ein Bild« seines »Charakters«, seines
»Strebens« geben würden. Schumann sah in ihnen aber nicht
nur seine eigene Person widergespiegelt, sondern auch seine
zukünftige Frau, der gegenüber er die Fantasiestücke als Gegensatz zu den Kinderszenen hinstellte: »Meine Kreisleriana spiele
manchmal!«, schrieb er im August 1838. »Eine recht ordentlich
wilde Liebe liegt darin in einigen Sätzen, und Dein Leben und
meines und manche Deiner Blicke. Die Kinderscenen sind der
Gegensatz, sanft und zart und glücklich, wie unsere Zukunft …«.
9
Offenbar wollte Schumann mit den beiden komplementären
Zyklen Clara gegenüber die beiden gegensätzlichen Seiten seiner Persönlichkeit aufzeigen. Nach den introvertierten »Rückspiegelungen eines Älteren« der Kinderszenen scheinen sich
nun im Ausdrucksgehalt der Kreisleriana seine emotionale Aufgewühltheit, sein sehnsüchtig-banges Erwarten, seine Leidenschaft und Verletzlichkeit zu spiegeln. Im September 1838 beteuert er gegenüber Clara, dass die Stücke auch manches »von den
Kämpfen«, die sie ihm »gekostet« habe, enthielten. Das Jahr 1838
hatte ja tatsächlich einen neuen Höhepunkt in der Auseinandersetzung zwischen Schumann und Claras Vater mit sich gebracht.
Friedrich Wieck opponierte so gut er konnte gegen die offizielle
Verbindung der beiden. Aus Furcht vor einer weiteren Eskalation bat Clara ihren Geliebten sogar darum, die ihr zugedachte
Widmung der Kreisleriana zu tilgen, woraufhin dieser den Zyklus
Frédéric Chopin widmete.
In den Kreisleriana erblickte Clara zwar, wie sie selbst bekannte,
erstmals die ganze Genialität und Neuartigkeit der Musik ihres
zukünftigen Mannes, die sie als »humoristisch« und »dann wieder mystisch« beschrieb. So ganz geheuer war ihr das alles aber
wohl nicht. »Erstaunt bin ich«, schrieb sie an Robert, »vor Deinem
Geist, vor all dem Neuen was darin – überhaupt weißt Du, ich
erschrecke manchmal vor Dir, und denke, ist es denn wahr, daß
das Dein Mann werden soll? […] Nun, ich verstehe doch wenigstens Alles und Deine Musik, das ist schon beglückend für mich«.
10
Dmitrij Schostakowitschs
24 Präludien und Fugen op. 87
Präludien und Fugen – mit dieser paarweisen Koppelung von
freieren ›Vorspielen‹ und fugierten Kompositionen hatte einst
Johann Sebastian Bach in seinem Wohltemperierten Klavier
neben seinen kontrapunktischen Fähigkeiten das Potenzial der
24 Tonarten ausgelotet, die mit der gleichschwebenden Temperatur auf dem Klavier realisierbar geworden waren. Bachs
Zyklus beschäftigte bis heute nicht nur Generationen von Klavierschülern – immer wieder wurde das Wohltemperierte Klavier
auch kompositorisch rezipiert: In der Romantik, etwa bei Chopin,
geriet das Prélude – nun losgelöst von der Fuge – zum Charakterstück. Doch auch noch im 20. Jahrhundert war die Idee, sich mit
ähnlichen Satzpaaren zyklisch durch alle Tonarten zu bewegen,
nicht gänzlich ausgereizt, ja vor dem Hintergrund der sich zersetzenden Dur-Moll-Harmonik vielleicht sogar von neuer Aktualität. Hindemiths Ludus tonalis von 1942 sind ein Beispiel dafür.
So befasste sich auch Dmitrij Schostakowitsch immer wieder mit
Bachs Wohltemperierten Klavier. Bereits am Konservatorium in
St. Petersburg hatte er um 1920 zusammen mit Studienkollegen
in Anlehnung an Bach einen Zyklus von 24 Präludien durch alle
Tonarten entworfen und darin einen dichten polyphonen Satz mit
Traditionen russischer Musik verbunden. Einen zweiten Versuch,
an die von Bachs Wohltemperierten Klavier ausgehende Tradition anzuknüpfen, unternahm Schostakowitsch 1932/33 mit den
24 Präludien op. 34, die ebenfalls alle 24 Tonarten durchschreiten
und den Willen zu einer neuen Tonalität offenbaren.
1950/51 schließlich eine erneute Auseinandersetzung mit Bachs
Zyklus, aus der die 24 Präludien und Fugen op. 87 hervorgingen.
Den Anstoß dazu gaben nicht zuletzt äußere Umstände. Im
Jahr 1950 beging man in der noch jungen DDR Johann Sebastian Bachs 200. Todestag – ein nicht nur kulturell, sondern vor
allem auch politisch bedeutendes Ereignis, wollte man sich
doch als die ›wahre‹ deutsche Kulturnation darstellen. In Bachs
Wirkungsstätte Leipzig veranstaltete man einen von Konzerten
umrahmten Kongress, der ein neues, ›sozialistisches‹ Bach-Bild
11
begründen sollte. Zuvor gab es einen Instrumentalwettbewerb,
dessen Jury Dmitrij Schostakowitsch angehörte. Obschon von
der Sowjetunion intern verfemt, sollte Schostakowitsch das
Land als Mitglied der 27-köpfigen sowjetischen Delegation nach
außen repräsentieren. Im Rahmen der Feierlichkeiten, bei denen
der Komponist auch einen Vortrag über Johann Sebastian Bach
hielt, verfestigte sich die Idee, einen Zyklus analog zu Bachs
Wohltemperierten Klavier zu schreiben.
Nach seiner Rückkehr in die Sowjetunion schrieb Schostakowitsch zwischen Oktober 1950 und Februar 1951 die 24 Präludien
und Fugen op. 87, aufgeteilt in zwei Teile von jeweils zwölf Satzpaaren. Schostakowitsch entfaltet in seinen 24 Präludien und
Fugen, deren Tonarten nicht wie bei Bach chromatisch aufsteigend, sondern nach dem Quintenzirkel angelegt sind, ein immenses Spektrum an Stilen, Formen, Charakteren und Ausdrucksgehalten. Archaisch anmutende Einfälle – wie etwa das Thema im
»stile antico« der 5-stimmigen Fuge in Fis-Dur – stehen neben
kühnen harmonischen Konstruktionen wie der Fuge in Des-Dur,
deren Thema ausgehend von einem Zentralton in die chromatische Totale auseinanderstrebt und schließlich alle zwölf Töne
umfasst.
Dass Schostakowitsch kein Interesse an einer naiven Stilkopie
hatte, zeigt auch das Nebeneinander von Stilelementen und
Einflüssen verschiedener Traditionen. So reflektiert er nicht nur
Bachs Musik, sondern ebenso die musikalische Tradition seiner
russischen Heimat und adaptiert neben barocken Elementen
(wie der westlichen Kontrapunktik oder der Passacagliaform)
auch solche etwa des orthodoxen russischen Chorgesangs oder
russischer Volkslieder (teils mit orientalischer Färbung).
Die 24 Präludien und Fugen erweisen sich so über ihre Systematik
hinaus eben auch als Sammlung von individuellen, musiksprachlich eigenständigen Charakterstücken. Schostakowitsch selbst
soll sein Opus 87 auch nicht unbedingt als einen fortlaufenden
(und nur geschlossen aufführbaren) Zyklus gesehen haben, sondern als Sammlung von Einzelstücken. Die Aufführung einer
Auswahl, wie sie Daniil Trifonov heute darbietet, hätte somit das
volle Einverständnis des Komponisten gehabt.
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Mangelndes Einverständnis mit Schostakowitschs Komposition
hingegen zeigte eine ganze Reihe von Musikerkollegen und Funktionären. Obwohl Schostakowitsch mit den Präludien und Fugen
in ganz offensichtlicher Weise an die barocke Tradition anknüpfte
– nach dem berüchtigten Formalismusbeschluss von 1948 waren
noch avanciertere Werke kaum denkbar –, warf man ihm »Formalismus«, »Dekadenz« und den zeitfremden Versuch vor, Bachs
Wohltemperiertes Klavier noch einmal komponieren zu wollen. Erst
die Uraufführung des umfangreichen Zyklus durch die Pianistin
Tatjana Nikolaeva – an zwei Abenden im Dezember 1952 – konnte
so manchen Kritiker von der Aktualität und Eigenständigkeit
dieses Werks, das dann auch in das Repertoire vieler Pianisten
weltweit eingegangen ist, überzeugen.
Igor Strawinskys Trois Mouvements
de Pétrouchka
Zu einer fruchtbaren Verbindung von russischer und westlicher
Tradition fand auch Igor Strawinsky in seinen Werken, die er
für die berühmten Ballets russes von Sergei Diaghilew in Paris
schrieb. 1909 war der Impresario, der seit 1906 in Paris zunächst
Ausstellungen alter und neuerer russischer Kunst veranstaltete,
dann Konzerte und schließlich ab 1908 auch Opern- und Ballett­
aufführungen auf die Bühne brachte, in Sankt Petersburg auf
Strawinsky aufmerksam geworden. In der Seine-Metropole hatte
Diaghilew beim Publikum eine helle Begeisterung für alles Russische hervorgerufen. Strawinsky durfte er als seine wohl bedeutendste Entdeckung verbuchen, und dieser wiederum war nicht
zuletzt durch Diaghilew zum Ballettkomponisten geworden.
Nach L’Oiseau de feu (Der Feuervogel) von 1909/10 hatte Strawinsky zwischen August 1910 und Mai 1911 mit Petrushka, einer
»burlesken Szene« in vier Bildern, sein zweites Ballett für Dia­
ghilews Saisons Russes in Paris geschrieben. Dabei war
­Petrushka zunächst als »eine Art Konzertstück«, als eine konzertante Groteske oder Scherzo für Klavier und Orchester konzipiert, in der das Klavier eine Art belebter Marionette verkörpert,
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die das Orchester mit ihren Späßen neckt. »Bei dieser Arbeit«, so
Strawinsky in seinen Erinnerungen, »hatte ich die hartnäckige
Vorstellung einer Gliederpuppe, die plötzlich Leben gewinnt und
durch das teuflische Arpeggio ihrer Sprünge die Geduld des
Orchesters so sehr erschöpft, daß es sie mit Fanfaren bedroht.
Daraus entwickelt sich ein schrecklicher Wirrwarr, der auf seinem
Höhepunkt mit dem schmerzlich-klagenden Zusammenbruch
des armen Hampelmanns endet.« Aus der konzertanten Groteske
wurde schließlich – Strawinsky arbeitete hier für das Szenario mit
Diaghilew und Alexandre Benois zusammen – ein großes Ballett
in vier Bildern, uraufgeführt am 13. Juni 1911 im Pariser Théâtre du
Châtelet mit einer Choreographie von Michail Fokin.
Das Ballett Petrushka spielt in der Fastnachtswoche 1830 auf dem
Platz der Admiralität in Sankt Petersburg. Den äußeren Rahmen
bilden die beiden großen Straßentanzbilder vom Fastnachtstreiben, sie umrahmen zwei kürzere, intimere Tableaus (»Bei Petruschka« und »Bei dem Mohren«). Inmitten des Jahrmarkttreibens erweckt ein Gaukler drei Puppen zum Leben: Petruschka,
ein Mohr und eine Ballerina. Zwischen Petruschka, dem melancholischen Helden, der stärker noch als seine beiden Mitspieler
zum Mensch geworden ist, und dem lüsternen Mohren entspinnt
sich ein Eifersuchtsdrama um die seelenlose Ballerina, an dessen
Ende Petruschkas gewaltsamer Tod steht. Der Gaukler bemüht
sich, die Menschenmenge davon zu überzeugen, dass es sich
bei Petruschka letztlich doch nicht um einen Menschen, sondern
nur um eine Puppe handelt.
Von Strawinskys Petruschka-Musik gibt es – auch über die große
Revision von 1947 hinaus – mehrere verschiedene – autorisierte
und nicht autorisierte – (Konzert-)Fassungen und Transkriptionen
einzelner Stücke, auf die hier nicht näher eingegangenen werden soll. 1921 schrieb Strawinsky im Auftrag des Pianisten Arthur
Rubinstein als Klaviertranskription die kleine dreiteilige Suite
Trois Mouvements de Pétrouchka mit den Sätzen Danse russe,
Chez Pétrouchka und Semaine grasse, die wegen ihrer enormen
spieltechnischen Herausforderungen seither zu einem Paradestück der Klaviervirtuosen geworden ist.
Andreas Günther
14
WEITERHÖREN
Parfum, Poesie und Porzellan –
Diskographische Anmerkungen zu
Schumanns Kreisleriana
Am Ende löst sich alles in nichts auf. Zwei winzige Staccato-Tönchen in tiefster Lage, in dreifachem »piano« zu spielen. Im Konzertsaal sind sie gelegentlich kaum zu hören, im Studio kann man
elegant nachpegeln. Ein Schluss, der wie ein ironischer Nachschlag wirkt, wie ein dezenter Sprung auf Zehenspitzen, weg von
einer Bühne, auf der sich zuvor kühne Dinge ereignet haben: Mit
der fiktiven Figur des Kapellmeisters Kreisler im Rücken entwirft
Schumann ein fantastisches Tableau mit schnellen, unberechenbaren Szenenwechseln – ein Stück, das auch als Programm der
ganzen romantischen Bewegung verstanden werden könnte.
Kreisleriana ist einer der berauschendsten, poetischsten, verwegensten Klavierzyklen des 19. Jahrhunderts, und verwundert
nimmt man zur Kenntnis, dass ein sonst so Schumann-zugewandter Pianist wie Sviatoslav Richter um dieses Werk zeitlebens
einen Bogen gemacht hat. Doch er ist nicht allein, gleiches gilt
auch für Benedetti-Michelangeli und andere, denen Schumann
sonst nicht fern stand.
Der (vermutlich) erste Pianist, der das Werk komplett auf Schallplatte festgehalten hat, ist Alfred Cortot im Jahr 1935 (EMI/
Warner). Man darf, wie so oft bei Cortot, Fehlerfreiheit nicht als
höchsten Maßstab anlegen. Viel gewichtiger ist, wie er zwischen virtuosem Zugriff und größter Innigkeit hin- und herwechselt. Chopinesk sind seine Verzögerungen, die dem Ganzen
einen Hauch von französischem Duft verleihen, nicht zuletzt als
Zeichen von élégance – selbst inmitten einer so koboldhaften
Umgebung wie im dritten Abschnitt, Sehr aufgeregt.
Von Géza Anda gibt es (mindestens) drei Aufnahmen, eine Studio-Aufnahme von 1955 (Membran), einen Salzburger Live-Mitschnitt von 1956 (Orfeo) und eine Rundfunk-Produktion von 1960
(audite). Wo Cortot mitunter stürmisch los prescht, nimmt Anda,
schon gleich im ersten Satz, eine Art Anlauf, um sich ganz auf
den finalen Höhepunkt zu konzentrieren. Das klingt beim Ungarn
15
Anda nie wirklich sprühend oder überbordend expressiv. Er versteht sich als Anwalt einer antiromantischen Bewegung, deutet
dieses Werk aus einem fast klassischen Geist. Das wirkt aus heutiger Sicht mitunter befremdlich.
Das ist bei einem Pianisten wie Vladimir Horowitz erwartungsgemäß anders. Er hat die Kreisleriana 1969 erstmals im Studio
aufgenommen (RCA/Sony). Er artikuliert schon im ersten Satz
ungleich klarer als bei seinem Berliner Comeback-Konzert im
Mai 1986, wo er in den ersten acht Takten in denkwürdiger Dichte
falsche Tasten anschlägt (Sony). Früher habe er die Kreisleriana
zu schnell gespielt, hat Horowitz einem Journalisten 1985 gestanden, als sich ein Kamerateam bei ihm zuhause einquartierte, um
ihn als »The last romantic« zu porträtieren. Horowitz spielt das
Werk sowohl in dieser 1985er Aufnahme als auch in Berlin 1986
nicht nur langsamer, sondern auch vom Charakter her an einigen Stellen zurückhaltender – dafür weniger spröde, kantilenenreicher, liedhafter. Der über 80-Jährige entfaltet einen größeren
Melodienzauber, es ist eine späte Suche nach einem Mehr an
Lyrik. Auf Knalleffekte muss man jedoch nicht verzichten. Im Sehr
lebhaft etwa lässt er es krachen und poltern, als müsse nun alle
Poesie wie Porzellan zerdeppert werden. Schnell und spielend fordert Schumann im letzten Satz, dazu »Die Bässe durchaus leicht
und frei« – niemand konnte letzteres so überzeugend umsetzen
wie Horowitz, dessen Domäne ohnehin zeitlebens die mal kraftvollen, mal singend-schwebenden Bassoktaven waren.
Im Rahmen seiner zyklischen Schumann-Reise ist Eric Le Sage
zu nennen (Alpha). Er deutet dieses Opus 16 wie eine groß angelegte Fantasie: Florestan und Eusebius, das Schumannsche Doppel-Paar, scheinen hier leidenschaftliche Rede und Widerrede zu
führen, mal trunken, mal in sich versunken, immer unberechenbar und visionär. Le Sages Klavierspiel hat nichts Nuscheliges,
nichts Halbherziges, es klingt nie etüdenhaft trocken, sondern
immer direkt, vital und verständlich – was auch an Le Sages
gekonntem Pedal-Gebrauch liegt.
Es gibt viele gute, durchdachte Einspielungen, die hier nur stellvertretend gestreift werden können: Alfred Brendel etwa – bunt,
wechselhaft, straff – oder Claudio Arrau – capricenhaft, strömend,
16
frei von Titanismus – oder singend Mitsuko Uchida, eindunkelnd
Radu Lupu, glitzernd Evgeny Kissin, anschlagsgeschärft Maurizio Pollini. Doch dürfen in dieser Auswahl zwei Anwälte des Nervösen, zwei auf Kontrastschärfe gepolte Mittler zwischen Geisterreich und Diesseits nicht fehlen: Martha Argerich (DG) und
Michael Korstick (Oehms). Bei Beiden ist vom ersten Takt an klar:
Kreisleriana ist großes Illusionskino für die Ohren. Die souveräne
Beherrschung der Technik ist lediglich Voraussetzung für eine
Intensivierung des Ausdrucks, die sich nicht in Kategorien wie
schön, ästhetisch oder schlüssig einordnen lässt. Die Gegensätze
wirken hier umso größer, wenn man die tiefe Ruhe des sechsten
Satzes mit dem peitschenden Aufruhr des Folge-Satzes in direktem Zusammenhang hört.
Wie sich Argerich in das erste Intermezzo des zweiten Satzes wirft, deutet bereits an, wie schwer ihr der Schluss dieser
Sequenz, die Zurücknahme, fällt, und dass sie erst wirklich wieder zur Ruhe findet, sobald sich das innige Anfangsthema wiederholt. Ähnlich bei Korstick, der den ersten Satz vermutlich so
unerbittlich deutet wie niemand vor ihm (mit bewusstem Stimmungs-Gegengewicht im Mittelteil, ähnlich wie bei Perahia). Korstick gelingt es, darin Horowitz nicht unähnlich, im letzten Satz
die Basstöne klingen, schweben zu lassen, sie orgelpunktartig zu
längen.
Wo andere Pianisten, von Gieseking bis Schmidt, von Anda bis
Koroliov, versuchen, dem Hörer Orientierung im Chaos zu bieten, bilden gerade diese beiden Einspielungen eine existenzielle
Gratwanderung ab, die nicht jedermanns Geschmack entsprechen dürfte; doch Musikmachen versteht sich hier als Versuch
einer Grenzbeschreitung.
Christoph Vratz
17
BIOGRAPHIE
Daniil Trifonov
Daniil Trifonov, der 2011 als Gewinner
des
Internationalen
TschaikowskyWettbewerbs in Moskau auf sich aufmerksam machte, wurde 1991 in Nizhniy
Novgorod geboren. Er begann seine
musikalische Ausbildung als Fünfjähriger und studierte in den Jahren 2000 bis
2009 an der Moskauer Gnessin-Musikakademie in der Klasse von Tatiana
Zelikman, die Künstler wie Konstantin
Lifschitz, Alexander Kobrin und Alexei Volodin unterrichtete. Von 2006 bis 2009 studierte er zudem
Komposition und ab 2009 am Cleveland Institute of Music bei
Sergei Babayan Klavier. 2008 gewann Daniil Trifonov den internationalen Skrjabin-Wettbewerb in Moskau sowie den Ersten
Preis und einen Spezialpreis beim internationalen Klavierwettbewerb in San Marino. Zudem war er Preisträger des Moscow Open
Artobolevskaya Competition for Young Pianists (Erster Preis,
1999), des International Competition Memory of Mendelssohn
(Erster Preis, 2003), des International Television Competition for
Young Musicians (Grand Prize, 2003) sowie beim internationalen
Chopin-Wettbewerb in Beijing (2006). 2009 erhielt er ein Stipendium der Guzik Foundation, das ihm Konzertreisen in die USA
und nach Italien ermöglichte. Daneben konzertierte er in Russland, Deutschland, Österreich, Polen, China, Kanada und Israel.
2010 gewann er die Bronze-Medaille beim Chopin-Wettbewerb
in Warschau und 2011 die Ersten Preise beim Rubinstein-Wettbewerb in Tel Aviv und beim Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau, wo er von Valery Gergiev zusätzlich für seine Gesamtleistung in allen Wettbewerbskategorien ausgezeichnet wurde. 2013
gewann er den prestigeträchtigen Franco-Abbiati-Preis.
Seit diesen Wettbewerbserfolgen reist Daniil Trifonov als gefragter Solist durch die ganze Welt. So gab er bereits Soloabende in
der Carnegie Hall in New York, in der Londoner Wigmore Hall und
der Queen Elizabeth Hall, der Berliner Philharmonie, im Auditorium du Louvre in Paris, in Tokyo, der Züricher Tonhalle, der Kölner Philharmonie und vielen anderen führenden Konzerthäusern.
18
Er konzertierte mit Orchestern wie den Wiener Philharmonikern,
dem London Symphony Orchestra, dem New York Philharmonic, dem Philharmonia Orchestra, dem Orchester des MariinskyTheaters St. Petersburg, dem Boston Symphony Orchestra, dem
Chicago Symphony Orchestra, dem Israel Philharmonic Orchestra, dem Orchestre Philharmonique de Radio France, dem Royal
Philharmonic Orchestra, dem Cleveland Orchestra, dem Los
Angeles Philharmonic, dem Philadelphia Orchestra, dem San
Francisco Symphony Orchestra und dem Moscow Philharmonic. 2014 brachte Daniil Trifonov sein eigenes Klavierkonzert zur
Uraufführung.
In der vergangenen Saison legte Trifonov den Fokus auf das
Schaffen von Rachmaninow, dessen Klavierkonzerte er beim
Rachmaninoff-Festival des New York Philharmonic sowie mit
dem Philharmonia Orchestra, der Staatskapelle Berlin, dem
Royal Stockhom Philharmonic, dem Philadelphia Orchestra, mit
der Tschechischen Philharmonie auf einer Asientournee sowie
mit dem Orchestre National de Lyon und den Münchner Philharmonikern spielte. Des Weiteren konzertierte er mit dem Montreal
Symphony Orchestra im Rahmen von dessen Nordamerikatournee, mit dem Orchestre National de France und dem London
Symphony Orchestra unter der Leitung von Alan Gilbert. Soloabende führten ihn nach Los Angeles sowie auf einer Europatournee nach Wien, Berlin, Paris, Rom und Amsterdam. Trifonov
hatte Residencies in Lugano und in der Londoner Wigmore Hall,
wo er mit Sergei Babayan und Gidon Kremer, mit dem er auch in
der Kölner Philharmonie gastierte, zusammenarbeitete.
Zu den Höhepunkten in dieser Spielzeit zählen Konzerte mit
dem Chicago Symphony Orchestra unter Riccardo Muti, sein
Debüt bei den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Sir
Simon Rattle, Konzerte mit den Sinfonieorchestern von Sydney
und Melbourne, mit dem New York Philharmonic, dem Cleveland Orchestra, der Staatskapelle Dresden, eine Tournee mit dem
Mahler Chamber Orchestra sowie die Tournee mit der Filarmonica della Scala unter Riccardo Chailly, in Rahmen derer er auch
in der Kölner Philharmonie zu Gast war.
19
Im Februar 2013 unterzeichnete Daniil Trifonov einen Exklusivvertrag bei einem der renommiertesten CD-Labels. Sein DebütSoloalbum, ein Live-Mitschnitt eines Konzerts in der Carnegie
Hall mit Liszts h-Moll-Sonate, Skrjabins Klaviersonate Nr. 2 gisMoll op. 19 sowie Chopins Préludes op. 28, erhielt einen ECHO
Klassik und eine Grammy-Nominierung. Aufgenommen hat er
außerdem Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1 sowie die Variationswerke von Rachmaninow mit dem Philadelphia Orchestra unter der Leitung von Yannick Nézet-Séguin. Vor Kurzem
erschien das Doppel-CD-Album Transcendental mit allen Konzertetüden von Franz Liszt.
In der Kölner Philharmonie war Daniil Trifonov zuletzt im September 2016 zu Gast. Im Rahmen des »Porträt Daniil Trifonov« wird er
erneut am 19. Februar bei uns zu hören sein, dann gemeinsam
mit den Münchner Philharmonikern und Valery Gergiev.
20
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KölnMusik-Vorschau
Februar
FR
10
20:00
SO
05
Maurizio Pollini Klavier
Frédéric Chopin
Deux Nocturnes op. 27 (1835/36)
Ballade Nr. 3 As-Dur op. 47 (1841)
Ballade Nr. 4 f-Moll op. 52 (1824/43)
Berceuse Des-Dur op. 57 (1844)
Scherzo h-Moll op. 20 (1835)
Deux Nocturnes op. 55 (1842/44)
Sonate für Klavier h-Moll op. 58 (1844)
18:00
Edgar Moreau Violoncello
Münchener Kammerorchester
Clemens Schuldt Dirigent
Franz Ignaz Beck
Ouvertüre
aus: L’isle déserte
Stefano Gervasoni
Un leggero ritorno di cielo
für 22 Streicher
SA
11
Joseph Haydn
Konzert für Violoncello und
Orchester D-Dur Hob. VIIb:4
20:00
Avaye Doust
Fariba Hedayati Setar
Nazanin Pedarsani Tombak, Daf, Percussion
Mojgan Abolfathi Daf, Udu,
Percussion
Shima Boloukifar Kamancheh
Solmaz Badri Gesang
Wolfgang Amadeus Mozart
Serenade D-Dur KV 320
für Orchester
»Posthorn-Serenade«
A
●
Kölner Sonntagskonzerte 3
Die Liebe zur traditionellen iranischen
Musik bekam Fariba Hedayati quasi in
die Wiege gelegt. Heute zählt sie zu
den furiosesten Virtuosinnen auf der
Langhalslaute Setar. Mit ihrem 1994
gegründeten Ensemble Avaye Doust
tritt sie regelmäßig auf internationalen
Weltmusikfestivals auf. Aber eben auch
in der Heimat Iran begeistert diese aus
fantastischen Musikerinnen bestehende
Formation auf ihren Saiten- und Perkussionsinstrumenten und mit ihren
zumeist selbst komponierten Liedern.
MI
08
20:00
Filmforum
Orchester und ihre Städte: Zürich
Die Zürcher Verlobung
D 1957, 107 Min., FSK 12, OF
Regie: Helmut Käutner
Mit: Liselotte Pulver, Paul
Hubschmid, Bernhard Wicki,
Wolfgang Lukschy uvm.
Die Eintrittskarte hat auch Gültigkeit für
das Konzert um 21:00.
Karten an der Kinokasse
Für Abonnenten der KölnMusik
mit Abo-Ausweis: € 5,–
KölnMusik gemeinsam mit
Kino Gesellschaft Köln
€ 6,50 | ermäßigt: € 6,–
23
SO
SA
12
11
16:00
21:00
Shahrokh Moshkin Ghalam Tanz
Beatrice Rana Klavier
Zarbang Ensemble
Behnam Samani Percussion
Reza Samani Percussion
Javid Afsari Rad Santur
Imamyar Hasanov Kamancheh
Andrea Piccioni Percussion
Zürcher Kammerorchester
Daniel Blendulf Dirigent
Wolfgang Amadeus Mozart
Sinfonie D-Dur KV 181 (162b)
Sinfonie C-Dur KV 551
»Jupiter-Sinfonie«
Magisch meditativ und dann wieder
fulminant ekstatisch – in diesen Ausdruckswelten bewegt sich das einzigartige Perkussionsensemble Zarbang
seit zehn Jahren. Nicht selten lädt man
für die musikalischen Verschmelzungen
von persischer Folklore mit der Tradition der Sufis hochkarätige Gäste ein.
Diesmal ist es der Tänzer Shahrokh
Moshkin Ghalam, der seine internationale Karriere beim legendären »Théâtre
du Soleil« startete und dem persischen
Tanz mit Elementen des Flamenco eine
einzigartig neue Form gegeben hat.
Ludwig van Beethoven
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1
C-Dur op. 15
Béla Bartók / Antal Doráti
Suite für Klavier op. 14 Sz 62
bearbeitet für Kammerorchester
08.02.2017 20:00 Filmforum
Orchester und ihre Städte: Zürich
Helmut Käutner:
»Die Zürcher Verlobung«
A
●
Die Eintrittskarte hat auch Gültigkeit für
das Konzert um 20:00.
Sonntags um vier 3
MO
13
SO
20:00
12
Concerto Italiano
Rinaldo Alessandrini Cembalo und
Leitung
15:00
Filmforum
Werke von Claudio Monteverdi, Marco
Uccellini, Tarquinio Merula und
Adriano Banchieri
Der Lieblingsfilm von Daniil Trifonov
Eyes Wide Shut
USA/GB 1999, 153 Min., FSK 16
Regie: Stanley Kubrick
Drehbuch: Stanley Kubrick, Frederic
Raphael, Musik: Jocelyn Pook
Mit: Tom Cruise, Nicole Kidman, Sydney
Pollack, Todd Field, Sky du Mont
Seit über 30 Jahren garantiert Maestro Rinaldo Alessandrini mit seinem
Ensemble Concerto Italiano musikalisch
mitreißenden Schwung und herzzerreißenden Tiefgang. Die Musiker besitzen
aber auch das nötige komödiantische
Talent, um sich ins bunte Getümmel des
venezianischen Karnevals zu werfen.
Denn neben volkstümlich angehauchten »Scherzi musicali« von Monteverdi
präsentieren sie eine Madrigalkomödie,
die Adriano Banchieri 1608 für den
»fetten Donnerstag«, den traditionellen
Höhepunkt des italienischen Faschings
geschrieben hat.
Medienpartner: choices
Karten an der Kinokasse
KölnMusik gemeinsam mit
Kino Gesellschaft Köln
A
●
24
Baroque … Classique 4
Philharmonie für Einsteiger 4
Foto: Bernhard Musil
Mahan
Esfahani
Cembalo, Orgel
Daniela Lieb Flöte
Petra Müllejans Violine
Hille Perl Viola da Gamba
Mitglieder des Ensemble Modern
Der Cembalist und Organist Mahan Esfahani wird in diesem
Konzert mit befreundeten Musikern Werke unterschiedlicher
Epochen interpretieren, die bei ihren Uraufführungen das
Publikum überrascht, nachdenklich gemacht oder verstört
haben. Musik, die angeregt hat und im Gedächtnis blieb. Dabei
werden u. a. Steve Reichs Kompositionen »Piano Phase« und
»Music for Mallet Instruments, Voices, and Organ« sowie
Johann Sebastian Bachs »Musikalisches Opfer« und Henri
Dutilleux’ »Les Citations« zu entdecken, neu oder wieder zu
hören sein.
Mittwoch
01.03.2017
20:00
Ihre nächsten Abonnement-Konzerte
So
Mi
19
29
Februar
20:00
März
20:00
Daniil Trifonov Klavier
Yuja Wang Klavier
Münchner Philharmoniker
Valery Gergiev Dirigent
Franz Schubert
Nr. 1 es-Moll. Allegro assai
Nr. 2 Es Dur. Allegretto
aus: Drei Klavierstücke D 946 (1828)
Claude Debussy
Prélude à l’après-midi d‹un faune L 86
für Orchester. Nach einem Gedicht von
Stéphane Mallarmé
Johannes Brahms
Variationen und Fuge über ein Thema
von Händel B-Dur op. 24 (1861)
für Klavier
Sergej Rachmaninow
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3
d-Moll op. 30
Frédéric Chopin
24 Préludes op. 28 (1836?/39)
für Klavier
Sinfonische Tänze op. 45
für Orchester
19:00 Einführung in das Konzert
Gefördert durch die Imhoff Stiftung
und das Kuratorium KölnMusik e.V.
A
●
Dieses Konzert wird auch live auf
philharmonie.tv übertragen.
Der Livestream wird unterstützt
durch JTI.
A
●
Porträt Daniil Trifonov 3
Internationale Orchester 4
26
Piano 5
Yuja
Wang
Foto: Deutsche_Grammophon_Nor-
spielt Werke von Franz
Schubert, Johannes Brahms
und Frédéric Chopin
19:00 Einführung in das Konzert
koelner-philharmonie.de
0221 280 280
Mittwoch
29.03.2017
20:00
Philharmonie-Hotline 0221 280 280
­koelner-­philharmonie.de
Informationen & Tickets zu allen Konzerten
in der Kölner ­Philharmonie!
Kulturpartner der Kölner Philharmonie
Herausgeber: KölnMusik GmbH
Louwrens Langevoort
Intendant der Kölner Philharmonie
und Geschäftsführer der
KölnMusik GmbH
Postfach 102163, 50461 Köln
­koelner-­philharmonie.de
Redaktion: Sebastian Loelgen
Corporate Design: hauser lacour
kommunikationsgestaltung GmbH
Textnachweis: Die Texte von Andreas
Günther und Christoph Vratz sind Originalbeiträge für dieses Heft.
Fotonachweise: Daniil Trifonov © Matthias
Baus
Gesamtherstellung:
adHOC ­Printproduktion GmbH
Grigory
Sokolov
spielt Werke von
Foto: Heike_Fische
Wolfgang Amadeus Mozart
und Ludwig van Beethoven
koelner-philharmonie.de
0221 280 280
Samstag
08.04.2017
20:00