SWR2 Wissen

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Wissen
Der Kampf gegen Schimmelgifte
in Entwicklungsländern
Von Thomas Kruchem
Sendung: Dienstag, 7. Februar 2017, 8.30 Uhr
Redaktion: Udo Zindel
Regie: Autorenproduktion
Produktion: SWR 2017
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MANUSKRIPT
Atmo Bauernhof mit Ziegen und Musik
Sprecher:
Mchaiga, ein Dorf im feuchtwarmen Hügelland im Osten Kenias. Die Ziegen der
Bäuerin Sella Wanya tun sich an frischem Maisstroh gütlich; ihr halbwüchsiger Sohn
Samuel hört mit Freunden Musik; der kleine Moses spielt mit einem Fahrradreifen.
Bäuerin Sella hat Besuch von einem Ernährungswissenschaftler. Er spricht mit ihr
über den Umgang mit Mais, dem Hauptnahrungsmittel der Kenianer.
O-Ton Sella Wanya (Kekamba)
Übersetzerin:
Traditionell hängen wir frisch geernteten Mais erstmal zwischen unsere Hütten – mit
den Blättern noch auf den Kolben. Später schälen wir die Kolben und legen die
Körner auf den Erdboden – zum Trocknen unter der Sonne. Bei Regen legen wir
eine Plane über den Mais. Ist der schließlich trocken, füllen wir ihn in Nylonsäcke und
legen die, damit keiner sie klaut, unter unser Bett.
Sprecher:
„Das sind ideale Bedingungen für den Schimmelpilz Aspergillus flavus“, sagt
Ernährungswissenschaftler Claus Aluda. Er arbeitet für das renommierte
International Food Policy Research Institute, kurz IFPRI, in Washington D. C.
Aspergillus flavus produziert Pilzgifte, so genannte Aflatoxine. Die gelten, obwohl sie
hierzulande wenig bekannt sind, als gefährlichste Belastung von Lebensmitteln
überhaupt – noch vor Pestizidrückständen und Schwermetallen. Da sie Milliarden
Menschen mit chronischer Mangelernährung und Krebs bedrohen, zählen die
Pilzgifte zu den größten Gesundheitsproblemen weltweit.
Ansage:
Der Kampf gegen Schimmelgifte in Entwicklungsländern.
Eine Sendung von Thomas Kruchem
Sprecher:
Nach Schätzungen der Welternährungsorganisation FAO ist ein Viertel der
Nahrungspflanzen weltweit mit Aflatoxinen belastet. Die Pilzgifte befallen bevorzugt
Mais und Erdnüsse; aber auch Getreide wie Hirse und Sorghum sind betroffen – und
dazu Milch, Eier und Fleisch von Tieren, die belastete Pflanzen fressen. Immer
wieder kommt es zu akuten Massenvergiftungen mit bisweilen Hunderten von Toten.
Weit häufiger jedoch ist die stille, chronische Aflatoxin-Vergiftung, die sich addiert.
Die Gifte schwächen das Immunsystem und begünstigen so Infektionen mit HIV,
Malaria und Durchfallerregern; sie verändern Körperzellen und das Erbgut;
schädigen Nieren, Darm und vor allem die Leber. Für ein Drittel aller Leberkrebsfälle
weltweit machen Experten Aflatoxine verantwortlich, in Afrika sogar für 40 Prozent. –
In feucht-heißen Regionen der Industrieländer, zum Beispiel im Südosten der USA,
hat man die Gifte einigermaßen unter Kontrolle; in Afrika, Asien und Teilen
2
Mittelamerikas jedoch sind fast fünf Milliarden Menschen unkontrollierten Mengen
von Aflatoxinen ausgesetzt. Bedroht von den Giften sind besonders auch Kinder –
noch vor ihrer Geburt – erklärt Ernährungswissenschaftler Claus Aluda.
O-Ton Claus Aluda (Englisch)
Übersetzer:
Aflatoxine schädigen auch den menschlichen Embryo. Die Gifte gelangen über die
Plazenta in den Organismus des Kindes, das dann weniger Nährstoffe aufnimmt.
Das Geburtsgewicht ist sehr gering und das Kind entwickelt wahrscheinlich
Wachstumsdefekte.
Sprecher:
In Kenia sind knapp ein Drittel der Kleinkinder stunted, chronisch mangelernährt. Sie
sind irreversibel in körperlichem Wachstum und geistiger Entwicklung
zurückgeblieben, weil es ihnen an Proteinen und Mikronährstoffen fehlt. Kleinkinder
im Osten Kenias sind in weit höherem Maße mangelernährt als Kinder im trockenen
Norden Kenias, obwohl Armut und Ernährung ähnlich sind. Doch die AflatoxinBelastung des Grundnahrungsmittels Mais ist im Osten weit höher als im Norden.
Dies legt die Hypothese nahe, dass Aflatoxine, neben anderen Körperschäden, auch
chronische Mangelernährung verursachen; dass sie – bis heute kaum beachtet von
Eltern, Behörden und Entwicklungshilfe – das Leben von Millionen Kindern alljährlich
zerstören. Um diese Hypothese wissenschaftlich sauber zu prüfen, macht das
International Food Policy Research Institute IFPRI seit 2012 eine aufwendige
medizinische Studie. In Dörfern wie Mchaiga haben die Forscher alle Familien mit
Kleinkindern sorgsam über Aflatoxine aufgeklärt und ihnen Mittel an die Hand
gegeben, die Belastung zu reduzieren: Dreschmaschinen für den Mais; schwarze
Planen, auf denen die Körner relativ schnell trocknen; luftdichte Säcke zum
Aufbewahren des Getreides. In etlichen Vergleichsdörfern dagegen ließ man alles
beim Alten.
O-Ton Claus Aluda (Englisch)
Übersetzer:
Wir nahmen Blutproben von den Müttern, maßen deren Größe und Gewicht, das
Geburtsgewicht der Kinder. All dies sowohl in den Dörfern, wo wir intervenierten, als
auch in den Vergleichsdörfern. Wir untersuchten die Kinder nach einem Jahr, nach
zwei Jahren – und verglichen die Daten. Und tatsächlich stellten wir überaus
signifikante Unterschiede bei der Entwicklung der Kinder fest.
Sprecher:
In Familien, denen die Wissenschaftler beim Umgang mit ihren Maisernten geholfen
hatten, stellten sie dann deutlich verringerte Mangelernährung fest: Dort, wo man
Familien besonders intensiv unterstützt hatte, ging das stunting sogar um über ein
Drittel zurück. 2017 soll das Ergebnis des IFPRI-Forschungsprojekts veröffentlicht
werden: Zum ersten Mal weltweit wurde wissenschaftlich bewiesen, dass Aflatoxine
tatsächlich eine Ursache für chronische Mangelernährung bei Kindern sind. Darauf
werden Regierungen und Entwicklungshilfe reagieren müssen – weltweit, wie ein
Blick auf das mittelamerikanische Guatemala zeigt.
3
Dorfatmo
Sprecher:
In Samác, einem Dorf der indigenen Maya im feuchtheißen Bergdschungel WestGuatemalas sind die Bauern arm; ihre traditionellen Grundnahrungsmittel Mais und
Bohnen jedoch sind reich an Energie und Proteinen; auch Obst und Gemüse
gedeihen gut. Trotzdem leiden bis zu 80 Prozent der Maya-Kinder unter chronischer
Mangelernährung. Erwachsene Frauen sind, im Schnitt, gerade einen Meter 45 groß.
Die Maya machten traditionell haarsträubende Fehler beim Umgang mit Mais,
berichtet Olga Maria Alvarez, Anthropologin eines Ernährungsprojekts der USHilfsorganisation Mercy Corps.
O-Ton Olga Maria Alvarez (Englisch)
Übersetzerin:
Ihr Grundnahrungsmittel Mais ist den Maya heilig. Und für den Umgang mit Mais
gelten feste Regeln. Überall in den Dörfern verbieten religiöse Führer den Menschen,
Blätter, die den Maiskolben umhüllen, umzuklappen und den Kolben so der Sonne
auszusetzen. Das sei eine Sünde, sagen sie.
Sprecher:
Die Dorfpriester untersagten auch, Maiskolben gleich nach der Ernte zu entkörnen,
die Körner in der Sonne zu trocknen und dann in Silos aufzubewahren, erzählt
Alvarez und deutet in eine Hütte. Dort hängen in braune Blätter gehüllte Maiskolben
an einer Schnur oder liegen auf feuchtem Lehmboden. Bei Maya-Frauen in
Guatemala ist die Belastung der Muttermilch mit den Pilzgiften 400 mal höher als bei
Frauen in den USA. Deshalb vermuten Experten seit langem, dass Aflatoxine eine
wichtige Ursache sind für den hohen Grad an Mangelernährung bei Maya-Kindern.
Die stunting-Rate bei Kleinbauern Ost-Guatemalas sei viel niedriger als bei den
Maya – berichtet Noel Solomons, ein aus den USA stammender Ernährungsforscher
– dies, obwohl sich ost-guatemaltekische Bauern genauso ernährten wie die Maya.
O-Ton Noel Solomons (Englisch)
Übersetzer:
Das geringe Größenwachstum vieler Menschen in West-Guatemala könnte damit
zusammenhängen, dass ihr wichtigstes Nahrungsmittel Mais mit Aflatoxinen
kontaminiert ist. Vergiftete Kinder erkranken immer wieder an akuten Infekten, auf die
ihr Immunsystem nicht angemessen reagiert. Sie leiden an geistigen Defiziten,
leisten weniger in der Schule und können sich sprachlich nicht so gut ausdrücken.
Sprecher:
Offen bleibt, wie genau Aflatoxine chronische Mangelernährung verursachen.
Wahrscheinlich seien Schäden im Darm die Hauptursache, sagt in Nairobi die
kenianische Agrar- und Ernährungsexpertin Sophie Walker.
4
O-Ton Sophie Walker (Englisch)
Übersetzerin:
Wir haben, vor allem aus Studien mit Tieren, deutliche Hinweise darauf, dass
Aflatoxine die Mikrovilli im Darm schädigen. Das sind fadenförmigen Zellfortsätze
schaffen die große Oberfläche, die der Darm benötigt, um ausreichend Nährstoffe zu
absorbieren. Bei Tieren, die aflatoxinbelastetes Futter bekommen, verkürzen sich die
Mikrovilli. Die Oberfläche zum Absorbieren von Nährstoffen wird also kleiner.
Sprecher:
Ein Mechanismus, dem Kinder in aflatoxinbelasteten Regionen weltweit ausgeliefert
sind. Sie kommen bereits vergiftet zur Welt und werden gestillt mit Muttermilch, die
belastet ist mit M1-Aflatoxin, einer noch kaum erforschten Form der Gifte; später
bekommen die Kinder belasteten Maisbrei und Milch von Kühen, die mit belastetem
Maisstroh gefüttert werden. – Sophie Walker leitet das Projekt Aflastop der
amerikanischen Hilfsorganisation ACDI-VOCA. Das Projekt will dem Schimmelpilz
Aspergillus flavus, soweit möglich, die Lebensgrundlage entziehen – durch
sachgerechtes Trocknen und Lagern von Mais. Traditionelle Maistrocknung sei eine
Katastrophe im wechselhaften Klima Ostkenias, sagt Sophie Walker; auch
Solartrockner funktionierten dort nicht.
Atmo Trocknermotor
Sprecher:
Als Lösung präsentiert ACDI-VOCA einen mobilen Flachbetttrockner.
O-Ton Sophie Walker (Englisch)
Übersetzerin:
Da liegt der Mais auf einem Tisch, dessen Platte besteht aus feinem Drahtgeflecht.
Der Mais kann also von unten erhitzt werden. Hierzu verbrennen wir – das ist am
billigsten – geschälte Maiskolben. Mit einem kleinen Benzinmotor betreiben wir nun
zwei Ventilatoren. Der eine zieht Luft durch die brennenden Maiskolben, über
hitzeleitende Metallplatten darüber und dann durch einen Schornstein. Für den Mais
ist diese Luft mit vier-, fünfhundert Grad natürlich zu heiß; wir wollen ja kein Popcorn
herstellen. Nein, um den Mais zu trocknen zieht ein zweiter Ventilator saubere Luft
auf die erhitzten Metallplatten. Die auf 55 bis 90 Grad erwärmte Luft wird dann unter
das Drahtgeflecht geleitet. So trocknen wir den Mais.
Sprecher:
Der 120 Kilogramm schwere Trockner lässt sich auf zwei Boda-Bodas, Motorrädern,
transportieren; er ist binnen 15 Minuten betriebsbereit. 700 Euro koste das Gerät,
das eine halbe Tonne Mais in drei Stunden trockne, erklärt Walker; ideal für
Kleinunternehmer, die zur Erntezeit über die Dörfer ziehen. – Um den Mais nach dem
Trocknen zu lagern, empfiehlt ACDI-VOCA den Bauern mehrlagige, wasser- und
luftdichte Säcke.
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O-Ton Sophie Walker (Englisch)
Übersetzerin:
Letztes Jahr haben wir festgestellt, dass die luftdichte Lagerung von Mais die
Entstehung zusätzlicher Aflatoxine blockiert. Dieselben Bedingungen also, die
Insekten vernichten, stoppen das Wachstum des Aspergillus-Pilzes. Denn der
braucht, im Gegensatz zu vielen anderen Pilzen, Sauerstoff, um zu gedeihen.
Sprecher:
Schließlich spricht Sophie Walker über eine Waffe gegen Aflatoxine, die bis heute vor
allem in den USA eingesetzt wird: Biotechnologie.
O-Ton Sophie Walker (Englisch)
Übersetzerin:
Es gibt toxische und nicht toxische Linien von Aspergillus flavus. Und nur die
toxischen Linien produzieren Aflatoxine. Wissenschaftler suchen deshalb nach nicht
toxischen Linien des Pilzes, die aber zugleich durchsetzungsstark genug sind,
toxische Linien zu verdrängen. Verstreut der Bauer nun zum richtigen Zeitpunkt ein
mit nicht toxischem Aspergillus versetztes Granulat auf seinem Feld, dann hat er das
Problem für die laufende Erntesaison im Griff.
Sprecher:
Aflasafe heißt das Granulat in Kenia. Es wurde zugeschnitten auf hier vorkommende
Linien des Pilzes Aspergillus flavus. Das Biotech-Produkt reduziere die Belastung
von Mais mit Aflatoxinen um über 90 Prozent, sagt Walker. Und nach einer
Pilotphase hat Kenias Regierung jetzt eine Aflasafe-Fabrik im Osten des Landes
eröffnet. – Aflasafe könne, in der Tat, zu einer Schlüsseltechnologie gegen Aflatoxine
avancieren, sagt in einem Skype-Interview Vivian Hoffmann. Die Aflatoxin-Expertin
des International Food Policy Research Institute IFPRI ist oft in Afrika unterwegs.
Jede Technologie jedoch müsse man erst einmal unter die Leute bringen, sagt
Hoffmann. Und die müssten bereit sein, dafür zu bezahlen. Kenias Bauern jedenfalls
bekommen die Mittel gegen Aflatoxine nicht geschenkt. Die schnelle und komfortable
Maistrocknung mit dem mobilen Trockner kostet acht Prozent des Verkaufserlöses,
luftdichte Säcke kosten doppelt so viel wie einfache Nylonsäcke; und auch das
Biotech-Granulat Aflasafe ist nicht billig.
O-Ton Vivian Hoffmann (Englisch)
Übersetzerin:
Dieses Produkt kostet zwölf bis 16 US-Dollar pro Hektar Maisfeld. In Kenia sind das
80 Cent pro Sack Mais mit einem Verkaufswert von rund 20 Dollar. Aflasafe kostet
die Bauern also viel Geld. Und es ist schwer, arme Bauern davon zu überzeugen,
dieses Geld für den Kampf gegen eine unsichtbare Bedrohung auszugeben. Sie
sehen keinen kurzfristigen Nutzen; und es gibt viele andere Dinge, um die sie sich
sorgen.
6
Sprecher:
Tatsächlich verbreitet sich die Anti-Aflatoxin-Technologie in Afrika nur sehr langsam:
Gerade vier Prozent der kenianischen Maisbauern nutzen luftdichte Maissäcke,
obwohl es die seit vielen Jahren gibt. – Afrikanischen Bauern fehle es an
Problembewusstsein, meint der Leiter des IFPRI-Forschungsprojekts in Kenia,
Suleiman Asman.
O-Ton Suleiman Asman (Englisch)
Übersetzer:
Ich schätze, vielleicht 20 Prozent der Kenianer können sich überhaupt vorstellen, um
was es sich bei Aflatoxinen handelt. 80 Prozent der Menschen sagt der Begriff gar
nichts. Diese Gifte sieht, schmeckt und riecht man ja nicht; und es dauert lange, bis
man die gesundheitlichen Folgen wahrnimmt. Du kannst all das den Menschen
erzählen; trotzdem konsumieren sie ihren kontaminierten Mais weiter.
Sprecher:
Bis heute zahlen nur wenige Mühlen und Händler in Kenia einen Preiseaufschlag für
aflatoxinfreien Mais. Die Nachfrage der Verbraucher wächst nur langsam. Man könne
die Technologie zur Eindämmung der Aflatoxine nicht nur verkaufen, meint Sophie
Walker von der Hilfsorganisation ACDI-VOCA. Man müsse alternative Wege
beschreiten, um sie unter die Bauern zu bringen.
O-Ton Sophie Walker (Englisch)
Übersetzerin:
Der Staat sollte Aflasafe stark subventioniert, oder sogar kostenlos bereitstellen. Und
er sollte Bauern, Händlern und Mühlenbesitzern deutlich sagen: „Wir tolerieren keine
aflatoxin-kontaminierten Produkte mehr auf dem Markt. Wir konfiszieren und
vernichten sie ohne Entschädigung.“ Damit das funktioniert, muss der Staat seine
Kontrolleure so ausrüsten und ausbilden, dass sie streng und unbestechlich Mais
testen und ihn nötigenfalls beschlagnahmen und vernichten.
Sprecher:
IFPRI-Expertin Vivian Hoffmann schüttelt den Kopf. Auf Dauer angelegte
Subventionen seien des Teufels, sagt sie. Kenias Regierung könne nicht Jahr für
Jahr Millionen Bauern Säcke voll Aflasafe schenken. Außerdem würden viele Bauern
solche Geschenke als wertlos ansehen; sie würden sich nicht einmal die Mühe
machen, geschenktes Granulat auf ihrem Feld zu verstreuen. Auch den Vorschlag,
Kenia solle seine strengen Aflatoxin-Grenzwerte quasi mit dem Holzhammer
durchsetzen, hält die IFPRI-Expertin für kontraproduktiv. Und sie erinnert an frühere
Versuche der Regierung, das Giftproblem in den Griff zu bekommen: 2004 waren bei
einer Massenvergiftung im Osten Kenias 125 Menschen ums Leben gekommen.
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O-Ton Vivian Hoffmann (Englisch)
Übersetzerin:
Damals halbierte Kenias Regierung den Grenzwert – von 20 auf zehn Teile pro
Milliarde. Eine höchst kontraproduktive Maßnahme. Denn wer nicht in der Lage ist,
20 Teile pro Milliarde durchzusetzen, wird zehn Teile pro Milliarde bestimmt nicht
schaffen. Er kriminalisiert nur einen Großteil der Nahrungsmittel im Lande. Und das
hilft niemandem.
Sprecher:
2011 überhob sich Kenias Regierung ein weiteres Mal am Problem der Pilzgifte:
Nach erneuten Fällen akuter Massenvergiftung ließ sie die Bevölkerung über
Rundfunk und Presse warnen und kaufte belasteten Mais in großem Stil auf –
zehntausende Tonnen zu hundert US-Dollar die Tonne. Zwei Jahre brauchten die
Behörden dann, um Sack für Sack zu verbrennen – als Sondermüll in
Zementfabriken, was noch einmal 200 Dollar pro Tonne kostete. Seitdem, so Vivian
Hoffmann, lasse Nairobi die Finger von Hauruck-Maßnahmen gegen Aflatoxin. Und
das sei gut so.
O-Ton Vivian Hoffmann (Englisch)
Übersetzerin:
Problembewusstsein in der Bevölkerung hilft nur, wenn man eine Lösung anbieten
kann. Genau das versucht die Regierung Kenias inzwischen. Andere afrikanische
Regierungen dagegen schweigen das Thema tot. Sie wollen weder ihre eigenen
Bürger ängstigen noch in den Ruf geraten, ihre Nahrungsmittel seien unsicher.
Sprecher:
Immerhin gibt es seit 2011 die sogenannte Partnerschaft für Aflatoxinkontrolle in
Afrika, kurz PACA. Das von der Afrikanischen Union gegründete Netzwerk soll
politische Entscheidungsträger beim Umgang mit Aflatoxinen unterstützen. Ein Ziel
ist es, die dramatisch zurückgegangenen Agrarexporte Afrikas in die Europäische
Union wiederzubeleben. Bis 1998 hatte Afrika große Mengen Getreide, Erdnüsse
und Trockenfrüchte in die EU exportiert. Dann verschärfte Brüssel die Grenzwerte für
Aflatoxine drastisch. Nur noch vier Teile pro Milliarde erlaubt die EU für Getreide,
Nüsse und Trockenobst – während die Weltgesundheitsorganisation WHO einen
Grenzwert von 20 Teilen pro Milliarde empfiehlt. Ein gewaltiger Unterschied, der
auch die Unsicherheit in der Aflatoxin-Forschung spiegelt. Man wolle Europas Bürger
vor möglichen Gefahren schützen, sagt die EU; Brüssel terrorisiere Afrika mit
sogenannten nichttarifären Handelshemmnissen, hält die Afrikanische Union
dagegen. Tatsächlich, so hat die Weltbank berechnet, kostet das Aflatoxin-Problem
Afrika bis zu 750 Millionen US-Dollar jährlich.
Atmo Mühle
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Sprecher:
Die Kabansora-Mühle im Osten der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Hoch oben im
achtstöckigen Mühlenturm verarbeitet ein weißmehlverstaubtes Gewirr aus
Förderbändern, Rohren, Elektromotoren, Mahl- und Sortierwerken Milliarden
Maiskörner.
Atmo Packraum Mühle
Sprecher:
Unten im Turm füllen weiß verstaubte Frauen Zwei-Kilo-Beutel mit Mehl und stapeln
verschweißte Pakete auf Paletten. Hundert Tonnen Maismehl verarbeitet die Mühle
pro Tag. Sie gehört zur Cereal Millers Association, in der die 30 größten Mühlen
Kenias organisiert sind. Sie mahlen etwa ein Drittel der 1,6 Millionen Tonnen
Maismehl, die Kenia jährlich produziert; und sie alle haben sich verpflichtet,
angelieferten Mais vor dem Entladen auf Aflatoxine zu prüfen. Immer mehr
Supermärkte in Nairobi verlangten geprüftes Mehl, sagt Anne Muiruri, Sprecherin von
APTECA. Das ist die Initiative einer texanischen Universität, die afrikanischen
Maismühlen hilft, ihr Aflatoxin-Risiko zu reduzieren. Am Tor der Kabansora-Mühle
nehmen Laboranten eine Probe aus jedem ankommenden Lastwagen, mahlen das
Getreide und testen es im Labor. Etwa die Hälfte der Lastwagen wird
zurückgewiesen – wegen zu hoher Aflatoxin-Belastung. Anne Muiruri deutet auf
einen gerade angekommenen LKW, der fünf Meter hoch mit 90 Kilo-Säcken beladen
ist.
O-Ton Anne Muiruri (Englisch)
Übersetzerin:
Weisen wir diesen Lastwagen zum Beispiel zurück, dann fährt er zur nächsten
Mühle. Und wenn er auch dort zurückgewiesen wird, fährt er zu einer kleinen Mühle,
einer „posho mill“, die gibt es in jedem Dorf und jedem Armenviertel hier. Dort kauft
man den Mais, ohne groß Fragen zu stellen. Im Notfall kann der Lastwagen noch
eine Mühle für Tierfutter ansteuern, wo auch sehr viel Mais landet.
Sprecher:
Skeptisch betrachtet Daniel Mutinda den Lastwagen. Die strengen AflatoxinKontrollen machten ihm schon zu schaffen, sagt der Produktionsmanager der
Kabansora-Mühle. Bisweilen sei es schwierig, genug Mais zu bekommen, um die
Kapazitäten auszulasten und alle Aufträge zu erfüllen.
O-Ton Daniel Mutinda (Englisch)
Übersetzer:
Im Moment kaufen wir Mais von der staatlichen Getreidebehörde. Wir haben zwar
Angebote aus Uganda; aber deren Mais enthält das 15- bis 20-Fache des
kenianischen Grenzwerts an Aflatoxinen. Und aus Tansania darf Mais zurzeit gar
nicht eingeführt werden. Da müssen wir schon schauen, wie wir noch an Mais
kommen.
9
Sprecher:
Expertin Sophie Walker begrüßt, dass die großen Mühlen Kenias ihren Mais
neuerdings testen. Zugleich warnt sie vor Illusionen: Auch zurückgewiesener Mais
lande letztlich im Magen von Menschen – im Magen von armen Menschen allerdings,
die ihr Maismehl nicht im Supermarkt kauften.
Die Belastung pflanzlicher Nahrungsmittel mit Aflatoxinen dürfte, infolge des
Klimawandels, weltweit eher zunehmen in den nächsten Jahren. Das Nationale
Zentrum für Biotechnologie-Information der USA zum Beispiel schätzt, dass der
Klimawandel der US-Maisindustrie bis zu 1,7 Milliarden Dollar jährlich kostet. Die
Lage in Ostafrika sei nicht besser, meint Vivian Hoffmann.
O-Ton Vivian Hoffmann (Englisch)
Übersetzerin:
Mehr Hitze- und Trockenheitsstress während des Wachstums der Pflanzen, mehr
Nässe während der Lagerzeit, zunehmende Unberechenbarkeit der Regenfälle – all
diese Folgen des Klimawandels machen es schwieriger, Getreide ordentlich zu
ernten und zu trocknen. Das heißt, die Belastung mit Aflatoxinen wächst. Und wenn,
infolge des Klimawandels, Ernten schlechter ausfallen und die Ernährungssicherheit
sinkt, dann essen die Menschen auch Getreide, von dem sie wissen, dass es keine
gute Qualität hat.
Sprecher:
Dessen ungeachtet könnten und müssten Kleinbauern, zum Beispiel in Kenia, ihre
Aflatoxin-Belastung in den nächsten Jahren drastisch reduzieren, sagt Hoffmann. Die
Bauern müssten bereit sein, zu investieren – in Biotechnologie, in ordentliche
Trocknung und Lagerung ihres Getreides. Außerdem sollten Bauern in stark
aflatoxinbelasteten Regionen darüber nachdenken, ob Mais wirklich das Produkt ist,
mit dem sie wirtschaftlich am besten fahren. Für das in Kenia verbreitete Dogma, ein
Bauer müsse Mais anbauen, um ein Bauer zu sein, hat Vivian Hoffmann kein
Verständnis.
O-Ton Vivian Hoffmann (Englisch)
Übersetzerin:
Praktisch alle Bauern in Kenia bauen überwiegend Mais an, nicht mehr lokale
Getreidesorten wie vor hundert Jahren. Und Mais ist, neben Erdnüssen, die für
Aflatoxine anfälligste Pflanze überhaupt. Mais und Erdnüsse stammen aus
Mittelamerika. Sie entwickelten sich in einer Umwelt, die völlig anders ist als die in
Afrika. Heute aber werden genau diese Pflanzen als Hauptnahrungsmittel
ausgerechnet in Afrika angebaut – wo Aspergillus flavus mehr Aflatoxine produziert
als sonst wo auf der Welt. Dabei könnten Afrikas Bauern, mit gutem Erfolg, ganz
andere Nahrungsmittel anbauen. Und zumindest in den relativ kleinen Regionen
Kenias, wo die Aflatoxin-Belastung extrem hoch ist, müssten die Bauern Anderes
anbauen: Kartoffeln, Sorghum, Bohnen und Gemüse – mit denen sie viel mehr
verdienen könnten als mit Mais. Ich meine, man sollte die Bauern, zum Beispiel in
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der Region Meru, ermutigen, neue Feldfrüchte auszuprobieren; und man sollte ihnen
helfen, deren Vermarktung in Gang zu bringen. Den Bauern attraktive Alternativen
aufzuzeigen, bringt allemal mehr, als sie zu bestrafen, wenn sie die strengen
Aflatoxin-Grenzwerte nicht einhalten.
Sprecher:
Vivian Hoffmanns Kollege Suleiman Asman wirkt, am Ende eines langen Gesprächs,
fast bedrückt angesichts der Tatsache, dass Aflatoxine stunting, chronische
Mangelernährung, verursachen. Wohl Hunderttausende Menschen im Osten Kenias
seien, durch chronische Vergiftung mit Aflatoxinen, körperlich und geistig
zurückgeblieben, resümiert Asman. Millionen Kindern weltweit raubten die Gifte ihre
Chance auf ein gutes Leben – heute, morgen, in zehn Jahren; solange der mühsame
Kampf gegen die Gifte dauere.
O-Ton Suleiman Asman (Englisch)
Übersetzer:
Kinder werden geboren; und sie sind bereits belastet mit Aflatoxinen; ihre
Entwicklung ist von nun an unwiderruflich beeinträchtigt. Diese Kinder werden zu
langsam wachsen und auch geistig zurückbleiben. Und in der Schule werden sie die
Anforderungen nicht erfüllen – nicht weil das ihrer Veranlagung entspricht, sondern
weil sie bereits im Mutterleib geschädigt wurden. Könnte man das rückgängig
machen, wäre ihr Leben einfacher. Aber man kann es nicht rückgängig machen.
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