MAS Automation Management Lineare Regelung

MAS Automation Management
Modul: A-NLE
Winterthur, 27.1./ 3.2.2017
Ruprecht Altenburger,
[email protected]
Lineare Regelung
an einem einfachen Beispiel
erstellt für das Frühlingssemester 2015;
Version vom 12. Januar 2017
Inhaltsverzeichnis
1 Lineare Systeme
1.1
4
Lineares System (die Regelstrecke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
1.1.1
Differentialgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
1.1.2
Übertragungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
1.1.3
Frequenzgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
1.2.1
Beispiel PI-Regler am RCRC-Glied . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
1.3
Vereinfachtes Nyquistkriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
1.4
Auslegungsverfahren nach Ziegler–Nichols . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1.2
1.4.1
Verfahren I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Kapitel 1
Lineare Regelung - am Beispiel eines
Systems 2ter Ordnung
1.1
Lineares System (die Regelstrecke)
Ein Netzwerk ist gegeben durch folgende Schaltung:
Abbildung 1.1: RCRC - Glied
1.1.1
Differentialgleichung
Dies ist ein lineares dynamisches System mit einem Eingang (u(t)) und einem Ausgang
(y(t)). Mit Hilfe von Maschengleichungen und Bilanzieren der Ströme an den Knoten,
sowie dem dynamischen Verhalten eines Kondensators i = C u̇ (der Strom über dem Kondensator ist die Spannungsänderung multipliziert mit der Kapazität des Kondensators)
lässt sich die Differentialgleichung dieses Systems aufstellen:
DGL:
R1 C1 R2 C2 ÿ + (R1 C1 + R2 C2 + R1 C2 )ẏ + y(t) = u(t)
Dies ist eine
• lineare Differentialgleichung - y(t) und deren Ableitungen kommen nicht innerhalb
von Funktionen vor (z.B. sin(y))
• mit konstanten Koeffizienten - die Faktoren vor y(t), u(t) usw. sind alles Konstanten
(und keine Funktionen der Zeit)
• zweiter Ordnung - die höchste Ableitung ist vom Grad zwei
1.1
5
Lineares System (die Regelstrecke)
1.1.2
Übertragungsfunktion
Für lineare Systeme kann aus der DGL direkt die Übertragungsfunktion abgelesen werden
Übertragungsfunktion:
G(s) =
1
R1 C1 R2 C2 s2 + (R1 C1 + R2 C2 + R1 C2 ) s + 1
s muss man sich als komplexwertige Variabel vorstellen. Die Übertragungsfunktion wird
z.B. verwendet, um Pol- und Nullstellen des Systems zu berechnen.
1.1.3
Frequenzgang
Wenn man den Wertebereich für s einschränkt und nur noch die imaginäre Achse zulässt,
so ergibt sich die Substitution s = i ω (oder s = j ω) und man gelangt zum Frequenzgang.
Frequenzgang:
G(i ω) =
1
−R1 C1 R2 C2
ω2
+ (R1 C1 + R2 C2 + R1 C2 ) iω + 1
Der Frequenzgang hat messtechnisch eine ganz anschauliche Bedeutung. Generell gilt:
Wenn in ein lineares System ein harmonisches Signal (Sinusfunktion) eingespeist wird,
dann liegt am Systemausgang wiederum ein harmonisches Signal an (nachdem das System
eine gewisse Einschwingphase“ absolviert hat). Dieses harmonische Ausgangssignal hat
”
folgende Eigenschaften:
• Die Frequenz des Signals ist gleich der Eingangsfrequenz
• Die Amplitude des Ausgangs hat sich gegenüber dem Eingangssignal erhöht oder
abgeschwächt. Es wird das Amplitudenverhältnis gebildet A = AAusgang / AEingang
• Das Ausgangssignal ist gegenüber dem Eingangssignal um eine Phase ϕ verschoben.
Es gilt nun:
Die Amplitudenveränderung und die Phasenverschiebung hängen ab von der Eingangsfrequenz ω
Amplitudenverhältnis A und Phasenverschiebung ϕ sind also jeweils Funktionen der Frequenz! A = A(ω), ϕ = ϕ(ω)
Diese beiden Funktionen werden nun gerade durch den Frequenzgang abgebildet. Wenn
man den Frequenzgang an einer konkreten Frequenz ω auswertet, so ergibt das Resultat
eine komplexe Zahl. Komplexe Zahlen lassen sich als Betrag und Phase darstellen. Der
Betrag ist nun gerade das Amplitudenverältnis und die Phase ist die Phasenverschiebung.
Am Beispiel oben: Verwende Zahlenwerte C1 = C2 = 470nF, R1 = R2 = 4700Ω
1
+ 0.006627i ω + 1
1
G(jω) =
−4.88E −6 ω 2 + 0.006627i ω + 1
G(s) =
4.88E −6 s2
1.2
6
Regelung
Es ergeben sich folgende Werte für verschiedene Frequenzen.
ω
1
10
100
1000
10000
G
|G|
arg(G)
1− 0.0066i
1
−0.3797
0.996−0.066i
0.9983
−3.7933
0.708−0.493i
0.8626
−34.8648
−0.066−0.112i
0.1302
−120.346
−0.002−0.0003i
0.0020
−172.250
Die Funktionen A(ω) und ϕ(ω) lassen sich als Grafiken auftragen. Dies ergibt das so genannte Bodediagramm.
0
Amplitude [ dB ]
−20
−40
−60
−80
Phase [ ° ]
−100
0
−90
−180 1
10
2
10
3
10
Kreisfrequenz [ rad/s ]
4
10
5
10
Abbildung 1.2: Bodediagramm des RCRC - Gliedes.
Dabei ist es sehr üblich, die Frequenzen in logarithmischer Darstellung und die Amplituden in dB aufzutragen. (dB: 20 log10 ( ) )
1.2
Regelung
Die Grundlage der Regelung ist stets, dass (mindestens) eine Systemgrösse des dynamischen Prozesses erfasst, zurückgeführt und mit einer Sollgrösse verglichen wird. Die
resultierende Regeldifferenz e(t) wird in einen Regler gegeben, welcher im allgemeinen
wiederum ein dynamisches System darstellt.
Vereinfacht ist dies in folgendem Blockschaltbild dargestellt.
1.2
7
Regelung
w(t)
y(t)
e(t)
GR (s)
GRS(s)
Regler
Strecke
Abbildung 1.3: Vereinfachtes Blockschaltbild eines Regelkreises
Für eine Dimensionierung des Reglers wird sehr oft die so genannte offene Kette G0 (s)
betrachtet. Dies ist die Verkettung von Regler und Strecke.
Es gilt nun für lineare Systeme, dass die Übertragungsfunktionen bzw. Frequenzgänge
von in Reihe geschalteten dynamischen Gliedern einfach miteinander multipliziert werden
dürfen. Es ist also:
G0 (s) = GR (s) · GRS (s)
Für die resultierende Amplitudengänge gilt:
• die Amplituden der beiden Einzelsysteme multiplizieren sich bzw. addieren sich in
der dB-Darstellung (log a · b = log a + log b).
• die Phasengänge der Einzelsysteme addieren sich.
Mit dieser Erkenntnis ist es nun möglich, für viele Regelstrecken mit grafischen Methoden
die Regelparameter zu bestimmen. Frequenzgänge der Regelstrecken kann man sehr oft
recht einfach messen, Die Frequenzgänge des Reglers kann man in gewissem Masse selbst
gestalten.
1.2.1
Beispiel PI-Regler am RCRC-Glied
Die Übertragungsfunktion und Frequenzgang des PI-Reglers sind gegeben durch:
G(s) = k
Tn s + 1
Tn s
bzw.
G(i ω) = k
Tn i ω + 1
Tn i ω
Durch Verändern der Regelparameter (hier k und Tn ) lässt sich der Amplitudengang nach
links und rechts, sowie nach oben und unten schieben.
1.2
8
Regelung
60
RC−Glied
k = 1, Tn = 1/170
40
k = 5, T = 1/1000
n
Amplitude [ dB ]
20
0
−20
−40
−60
−80
Phase [ ° ]
−100
0
−90
−180 1
10
2
10
3
10
Kreisfrequenz [ rad/s ]
4
5
10
10
In obiger Grafik sind (neben dem Diagramm des RCRC-Gliedes) die Bodediagramme von
PI-Reglern mit zwei verschiedenen Parametrierungen dargestellt.
40
G
PI
G*PI
Amplitude [ dB ]
20
0
−20
−40
−60
−80
Phase [ ° ]
−100
0
−90
−180 1
10
2
10
3
10
Kreisfrequenz [ rad/s ]
4
10
5
10
In obiger Grafik wurde die Nachstellzeit Tn = 1/173 gewählt. Der resultierende Amplitudenund Phasengang ergibt sich durch Addition der jeweiligen einzelnen Amplituden- und
Phasengängen.
1.3
9
Vereinfachtes Nyquistkriterium
20
RC−Glied
RC−Glied mit PI−Regler
Amplitude [ dB ]
0
−20
−40
−60
−80
Phase [ ° ]
−100
0
−90
−180 1
10
2
10
3
10
Kreisfrequenz [ rad/s ]
4
10
5
10
Vom rückgekoppelten (also geregelten) System kann wiederum ein Frequenzgang berechnet (oder gemessen) werden. Die Berechnung erfolgt aus der offenen Kette mit:
Ggeregelt (s) =
G0 (s)
1 + G0 (s)
Für stabile Systeme kann dieses grafische Vorgehen in der Regel sehr gut genutzt werden. Bei instabilen oder schwach gedämpften Strecken muss mitunter eine detailliertere
Modellbildung erfolgen - bzw. es ergeben sich andere Entwurfsverfahren.
1.3
Vereinfachtes Nyquistkriterium
Es sei folgendes System nach Abbildung 1.4 betrachtet: Dieses rückgekoppelte System
w(t)
y(t)
e(t)
GR (s)
GRS(s)
Regler
Strecke
Abbildung 1.4: Regler, Strecke und Rückführung.
werde gerade knapp an der Stabilitätsgrenze betrieben, führe also Schwingungen aus der
Form:
y(t) = A sin ωkrit t
Wenn die Eingangsgrösse verschwindet, (w(t) = 0) folgt aber:
e(t) = −A sin ωkrit t
Dann folgt jedoch, dass bei dieser Frequenz auf dem Übertragungsweg von e(t) nach y(t)
lediglich eine Vorzeichenumkehr stattfindet. Es gilt somit für den Frequenzgang:
GR (jωkrit ) · GRS (jωkrit ) = G0 (jωkrit ) =
Y (jωkrit )
= −1
E(jωkrit )
1.3
10
Vereinfachtes Nyquistkriterium
Das System ist offenbar gerade dann an der Stabilitätsgrenze, wenn es eine Frequenz ωkrit
gibt, bei der der Frequenzgang GR · GRS , also der aufgeschnittene Regelkreis = −1 wird.
Demzufolge nimmt der Punkt -1“ bei der Darstellung der Ortskurve in der komple”
xen Ebene eine ganz besondere Rolle ein. Wenn die Ortskurve durch diesen Punkt hindurchläuft (G0 (ωkrit ) = −1), dann ist das System offenbar gerade an der Stabilitätsgrenze.
Es stellt sich nun die Frage, was passiert, wenn die Ortskurve von G0 gerade knapp auf
der einen oder auf der anderen Seite dieses Punktes entlangläuft. Für den Fall, dass G0
selbst stabil ist, macht das folgende Kriterium Aussagen darüber und es gilt:
Vereinfachtes Nyquistkriterium (für G0 (s) stabil):
Ein geschlossener Regelkreis ist genau dann stabil, wenn der Punkt (−1; 0 j) in der
Ortskurvendarstellung des offenen Regelkreises G0 mit ansteigendem ω links von der
Ortskurve liegt.
I
ω
R
−1
Abbildung 1.5: Ortskurve zweier offenen Ketten G0 .
Abbildung 1.5 zeigt beispielhaft zwei Ortskurven. Wenn diese Systeme rückgekoppelt werden, so ergibt sich für das schwarze“ System ein stabiles System, da bei der gezeigten
”
Ortskurve der Punkt -1 links liegt. Für die grau skizzierte Ortskurve, wird es im rückgekoppelten Fall zu einem instabilen System kommen, da der Punkt -1 rechts von der Kurve
liegt.
Dieses vereinfachte Nyquistkriterium wird zur Reglerdimensionierung verwendet (Stichwort: Frequenzkennlinienverfahren, Amplitudenreserve, Phasenreserve). Im nächsten Abschnitt wird es in seiner allgemeinen Form formuliert werden. Dort wird ein ausführlicherer
Beweis für das Kriterium gegeben.
Anmerkung: Oben wurde etwas salopp formuliert, dass die offene Kette G0 selbst stabil
sein muss, dies ist nicht ganz korrekt. Die genauen Kriterien für die Anwendbarkeit des
vereinfachten Nyquistkriteriums sind im folgenden gegeben.
Bedingungen für die Anwendbarkeit des vereinfachten Nyquistkriteriums:
• das System G0 (s) hat keinen Pol in der rechten Halbebene
• es gibt maximal 2 Polstellen im Ursprung
• das System ist nicht sprungfähig
1.4
11
Auslegungsverfahren nach Ziegler–Nichols
1.4
Auslegungsverfahren nach Ziegler–Nichols
Ist die Regelstrecke selbst stabil, so kann ein einfaches Einstellverfahren für die Regelparameter angewendet werden. Es sind empirisch gefundene Werte und das Verfahren kann
angewendet werden, wenn keine sehr grossen Anforderungen an die Regelgüte gestellt
werden. Bei Regelungsexperten mit eher theoretischem Hintergrund mag das Verfahren
ob seiner Einfachheit und der prinzipiellen Herangehensweise etwas verpönt sein. Dennoch
gibt es dem Praktiker ein einfaches Schema zur Reglereinstellung an die Hand und wird
in der Praxis sehr häufig angewendet.
Bei dem Verfahren sind zwei verschiedene Herangehensweisen möglich. Bei beiden resultieren schliesslich Regelparameter für P–, PI– oder PID–Regler.
1.4.1
Verfahren I
Das erste Verfahren arbeitet mit der offenen Regelstrecke.
Voraussetzungen:
• die Regelstrecke ist stabil
• die Sprungantwort der Strecke ist ermittelt worden
• die Sprungantwort kann durch ein PT1 -TT –Glied angenähert werden.
Bei diesem Verfahren werden die Parameter k (statische Verstärkung), TT (Totzeit) und
τ1 (Zeitkonstante) als Zahlenwerte aus der Sprungantwort abgelesen, bzw. angenähert.
Es ist also eigentlich nur für Strecken anwendbar, die auch etwa ein solches Verhalten
aufweisen.
k
0.63 k
t
TT
τ1
Abbildung 1.6: Sprungantwort eines PT1 TT -Gliedes mit drei charakteristischen
Parametern.
Für die Regelparameter ergeben sich für die drei Reglertypen: P–, PI– bzw. PID–Regler
die Werte nach folgender Tabelle 1.1. Dabei haben PI– und PID–Regler die Schreibweise:
GPI (s) = KP
TN s + 1
,
TN s
GPID (s) = KP 1 +
1
TN s
+ TD s
(additive Form)
1.4
Auslegungsverfahren nach Ziegler–Nichols
Regler
KP
TN
TD
P–Regler
τ1
k TT
–
–
PI–Regler
0.9
τ1
k TT
3.33 TT
–
PID–Regler
1.2
τ1
k TT
2 TT
0.5 TT
12
Tabelle 1.1: Einstellregeln für Regelparameter nach Ziegler–Nichols mit Verfahren I.
Hier ist mitunter Vorsicht geboten: Die Totzeit TT tritt bei der Reglerverstärkung im Nenner auf. Diese kann mitunter aus Messungen nicht sehr präzise abgelesen werden, woraus
– wenn die Zeit sehr klein abgeschätzt wurde – deutlich zu grosse Reglerverstärkungen
resultieren.