Teufelskerle - Wie das Böse in der Literatur leibhaftig wird

Glaubenssachen
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Sonntag, 29. Januar 2017, 08.40 Uhr
Teufelskerle
Wie das Böse in der Literatur leibhaftig wird
Von Bruno Preisendörfer
Redaktion: Dr. Claus Röck
Norddeutscher Rundfunk
Religion und Gesellschaft
Rudolf-von-Bennigsen-Ufer 22
30169 Hannover
Tel.: 0511/988-2395
www.ndr.de/ndrkultur
- Unkorrigiertes Manuskript Zur Verfügung gestellt vom NDR
Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt
und darf nur für private Zwecke des Empfängers
benutzt werden. Jede andere Verwendung (z.B.
Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der
Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung,
Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors
zulässig. Die Verwendung für Rundfunkzwecke bedarf
der Genehmigung des NDR.
2
Sprecherin:
Einst hielt sich der Teufel nicht nur in der Hölle auf, sondern trieb sich überall in der
Weltgeschichte herum. Er schlich sogar in Luthers Studierstube, wo ihm beinahe ein
Tintenfass an die Hörner flog. Das Grandiose an Luthers tätlichem Angriff lag darin,
dass er nicht etwa sinnbildlich gemeint war oder dem Schemen in einer dunklen Ecke
galt, sondern wirklich dem Leibhaftigen. Der evangelische Reformator glaubte an die
Existenz Satans wie inzwischen bloß noch die katholischen Exorzisten. Ansonsten
steckt heutzutage der Teufel nur noch im Detail. Oder er liegt in einem italienischen
Restaurant auf dem Teller – „Pizza diavolo“, Vorsicht scharf! In Berlin freilich ist er auch
in Kirchen up to date.
Zitator:
„Die Herz-Jesu-Priester laden Singles zu einem Gottesdienst in die Kirche Mater
Dolorosa in Berlin-Prenzlauer Berg ein. Im Anschluss an den Gottesdienst, der unter
dem Motto ‚Lieber Gott, wo zum Teufel bleibt mein Prinz?’ steht, gibt es Gelegenheit
zum Gespräch und zur Begegnung bei einem Glas Wein.“
Sprecherin:
Als ob der ‚liebe Gott’ Inhaber einer Partnervermittlung wäre, die noch dazu schlecht
funktioniert. Der Teufel, falls es ihn gäbe, würde sich über diese Unverschämtheit des
Geschöpfes gegenüber seinem Schöpfer die Hände reiben. Schon einmal hatte Gott
sich die Finger mit Lehm schmutzig gemacht, als er seinem Geschöpf eine Geschöpfin
knetete. Und schon damals dauerte es nicht lange, bis auch der Teufel ins Geschehen
kroch, Eva in den Apfel biss und die menschliche Unsterblichkeit ins Gras – sozusagen.
Zitator:
„Da ließ Gott der Herr einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen. Und er nahm eine
seiner Rippen und schloß die Stelle mit Fleisch. Und Gott der Herr baute ein Weib aus
der Rippe, die er von dem Menschen nahm, und brachte sie zu ihm.“
Sprecherin:
Bereits in den unmittelbar folgenden Bibelversen beginnt das Werk Satans, des im
Schlangenleib verkörperten Prinzips des Bösen. Er verführt Eva ausgerechnet mit dem
Versprechen, nach dem Essen vom Baum der Erkenntnis zwischen Gut und Böse
unterscheiden zu können:
Zitator:
„Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan, und ihr
werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.“
Sprecherin:
Mit diesem falschen Versprechen beginnt dem biblischen Mythos zufolge die
Unheilsgeschichte des Menschengeschlechts. Eva und Adam werden aus dem
Paradies vertrieben, Kain erschlägt seinen Bruder Abel, und seitdem sind die
Menschen, schließlich allesamt Abkömmlinge des Mörders Kain, dem Kampf zwischen
Gut und Böse ausgeliefert. Sie nehmen Teil an diesem Kampf, werden manchmal zu
3
Überwindern des Bösen, manchmal zu seiner Beute; und manchmal rückt ihnen der
Teufel nicht nur auf den Leib, sondern fährt buchstäblich hinein. Auch heute noch.
Im Jahr 2012 wurden in Neapel drei neue Exorzisten in ihr Amt eingeführt, in Mailand
waren es sechs, in den italienischen Diözesen insgesamt rund 250. Sie haben viel zu
tun. Pater Francesco Bamonte, seit 2012 Vorsitzender der „Italienischen Vereinigung
der Exorzisten“, erklärt:
Zitator:
„Ein typisches Verhalten des Teufels ist es, während der Exorzismen häufig über
Vernichtung und Zerstörung zu sprechen.“
Sprecherin:
Das tut er seit jeher auch in der Literatur. Von dem im Eissee der Hölle festgefrorenen
Ungeheuer in Dantes Göttlicher Komödie über den Zyniker Mephisto, der dem
deutschen Gelehrten Faust helfen muss, eine Jungfrau zu verführen, bis zum
Zauberkünstler Woland in dem Roman Der Meister und Margarita des russischen
Schriftstellers Michail Bulgakow. Oder dem dubiosen „Kapitalbeschaffer“ Immelmann
in dem Roman Liebe in Ruinen des amerikanischen Schriftstellers Walker Percy:
Zitator:
„’Mein Name ist Art Immelmann’, sagte er und streckte seine Hand über den
Schreibtisch. ‚Ich mach’ in Kapitalbeschaffung.’ Um ihn besser zu sehen, versuche ich,
das Licht anzumachen, aber der Strom ist weg. Die Blitze allerdings sind fast
ununterbrochen.“
Sprecherin:
Es blitzt und donnert häufig, wenn das Böse in der Literatur leibhaftig wird. In der
Schauerromantik des frühen 19ten Jahrhunderts mit ihren Gewitternächten und vom
Sturm plötzlich ausgeblasenen Kerzen machte das noch Gänsehaut, mag es auf uns
heute auch komisch oder kitschig wirken. In einer Zeit, in der man das Licht nicht mit
einem Schalter anknipste, sondern mühsam jede einzelne Kerze 'aufstecken' und
anzünden musste, in einer solchen Zeit war ein Salon, der plötzlich im Dunkel versank,
recht beunruhigend.
Donner und Blitz waren quasi die 'natürlichen Begleiterscheinungen' beim übernatürlichen Erscheinen des Teufels. Und wegen des Odeurs der Unterwelt musste es
auch bei seinen irdischen Auftritten ein wenig verbrannt riechen. In der modernen
Literatur würde solches Höllenspektakel nur als Budenzauber wirken. Der Teufel hat
sich die Hörner abgestoßen und ist verdammt menschlich geworden.
Dementsprechend ironisiert Walker Percy in seinem Roman von 1971 das klassische
Schwefelaroma:
Zitator:
„Wie er sich zum Händeschütteln über den Schreibtisch lehnt, schiebt er einen
Luftstrom vor sich her, der einen schweren komplexen Luftstrom in meine Nüstern
trägt, den komplizierten zugedeckten Geruch von Schweiß, der durch ein starkes
4
Deodorant neutralisiert ist.“
Sprecherin:
Während bei Walker Percy der Verführer betont durchschnittlich als mittlerer
amerikanischer Geschäftsmann auftritt, zeigt er in Michail Bulgakows Roman Der
Meister und Marguerita aus den 1930ern ein eher bizarres Aussehen:
Zitator:
„Er trug einen teuren grauen Anzug und ausländische Pantoletten von exakt gleicher
Farbe. Das graue Barett war keck auf die Seite gezogen, der Spazierstock mit
schwarzer Pudelschnauze unter den Arm geklemmt.“
Sprecherin:
Seit sich in Goethes Faust Mephisto als des Pudels Kern entpuppte, ist die Assoziation
Teufel/Pudel ein running gag in der Literatur – bis hin zum Teufel als schwarzer Pudel
der Operndiva Maria Callas in Helmut Kraussers Roman Der große Bagarozy. Bei
Bulgakow ist dieser gag indessen nur ein Wink mit dem – Spazierstock. Dann folgt die
Beschreibung des disharmonischen Gesichts:
Zitator:
„Das rechte Auge schwarz, das linke kurioserweise grün. Die Brauen dunkel, doch die
eine saß höher als die andere.“
Sprecherin:
Dem Teufel sind die unharmonischen Absichten, die er im Moskau der gefährlichen
30er Jahre dann auch turbulent verwirklicht, gewissermaßen ins Gesicht geschrieben.
Auch das hat Tradition. Schon das Tier des Untergangs in der Apokalypse, der
„Offenbarung des Johannes“, zeigt schauerliche Vielgestaltigkeit:
Zitator:
„Und ich sah aus dem Meere ein Tier auftauchen; das hatte zehn Hörner und sieben
Köpfe und auf seinen Hörnern zehn Kronen und auf seinen Köpfen Lästernamen. Und
das Tier, das ich sah, glich einem Panther; seine Füße waren wie Bärenfüße und sein
Maul wie ein Löwenmaul.“
Sprecherin:
In Dantes Inferno taucht das verkörperte Böse nicht aus dem Meer, sondern steckt fest
in einem zugefrorenen See, riesig und von dreigesichtiger Abscheulichkeit:
Zitator:
„Der Kaiser des gequälten Schattenreiches
ragte mit halber Brust über das Eis.“
„Was war mir das ein großes Wunder, als
ich drei Gesichter sah an seinem Kopf:
das eine vorn, und dies war rot wie Blut,
die andern zwei an dieses angelehnt,
5
über der Mitte jeder Schulter stehend,
vereinigten sich auf des Scheitels Höhe.
Das rechte Angesicht war weißlich-gelblich,
das linke negerhaft wie eines Menschen
von dort, wo sich der Nil zu Tale wälzt.
Zwei mächtige Flügel ragten unter jedem
Gesicht hervor wie eines Riesenvogels.“
Sprecherin:
Der Unterschied zwischen den infernalischen Visionen eines Dante und der modernen
Teufelsliteratur besteht darin, dass Dante an den Herrn der Hölle glaubte und die
Unterwelt zu seiner Kosmologie gehörte wie das Fegefeuer und der Himmel. In der
modernen Literatur wird der Teufel ans Tageslicht des Alltags gezerrt, vermenschlicht
oder gleich ganz ins Gleichnis aufgelöst. Dies ist etwa in Thomas Manns Komponistenroman Doktor Faustus der Fall. Dort wird der Teufel zum Wahn eines Syphilitikers
naturalisiert. Mephisto hätte sich bedankt für diese Schmach.
In Goethes Faust indessen hat der Teufel noch etwas zu sagen – und wie er es sagt, ist
so hinreißend höhnisch, dass im Vergleich dazu der Stubengelehrte Faust mit den zwei
Seelen in seiner Brust als gravitätischer Langweiler dasteht. Sogar über Gott spottet
der Teufel wie über einen leutseligen Chef. Im „Prolog im Himmel“ schwatzt er dem
Schöpfer die Preisgabe seines Geschöpfes ab und erklärt dann dem Publikum:
Zitator:
„Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern
Und hüte mich, mit ihm zu brechen.
Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,
So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.“
Sprecherin:
Goethes Mephisto ist ein Zyniker, heil-, aber nicht mitleidlos. Dass er Gretchen dem
Faust ins Bett legen muss, macht ihm zu schaffen. Außerdem will er sich an dem
frommen Mädchen nicht die Finger verbrennen:
Zitator:
„Über die hab ich keine Gewalt!“
Sprecherin:
Aber Faust erinnert den Teufel an den Pakt:
Zitator:
„Wenn nicht das süße junge Blut
Heut nacht in meinen Armen ruht,
So sind wir um Mitternacht geschieden.“
6
Sprecherin:
Mit Müh’ und Not kann Mephisto den brünstigen Faust überzeugen, dass „mit Sturm",
wie er sich ausdrückt, „da nichts einzunehmen“ ist.
Eine der Vorlagen, aus denen Goethe schöpfte, war neben der Historia von Johann
Fausten aus dem Jahr 1587 eine Tragödie von Christopher Marlowe, einem
Zeitgenossen Shakespeares. Der Mephisto Marlowes, ebenfalls auf die Historia von
Johann Fausten zurück gehend, macht sich noch nicht lustig über den „Alten“ im
Himmel. Vielmehr leidet Marlowes Teufel an seiner Gottesferne, wie er Faust bekennt:
Zitator:
„Denkst du, daß ich, der Gott schon selbst gesehn
Und von des Himmels Freudenkelch genippt,
Nicht tausendfach der Hölle Qual empfinde,
Da ich des ewigen Heils verlustig bin?“
Sprecherin:
Faust wundert sich über so viel Bangigkeit und trumpft auf in typisch menschlicher
Selbstüberschätzung:
Zitator:
„Hätt’ Seelen ich so viel, wie Sterne sind,
Ich gäb sie alle für Mephisto hin!
Durch ihn will werden ich zum Herrn der Welt.“
Sprecherin:
Christopher Marlowe, der als Spion der Londoner Polizei selbst eine Art Teufelspakt
geschlossen hatte, wurde 1593 in einer Londoner Spelunke erstochen. Der Dolch
drang ihm schräg durchs Auge ins Gehirn. Veranlasst durch den vierhundertsten
Jahrestag dieses schrecklichen Todes erschien 1993 ein historischer Roman von
Anthony Burgess mit dem Titel Der Teufelspoet. In diesem Buch setzte der berühmte
Verfasser von Clockwork Orange dem elisabethanischen Faust-Dichter ein ganz
eigenes Denkmal. In einer „Anmerkung des Autors“ schreibt Burgess über Marlowe:
Zitator:
„Noch immer ist er nicht im esoterischen Wissen der Literaturhistoriker
verschwunden, sondern kann uns weiterhin befremden und manchmal begeistern. Ben
Jonson wusste, wovon er sprach, als er den mächtigen Zug seiner Verse rühmte.“
Sprecherin:
Dieser Ben Jonson war neben Marlowe und Shakespeare der dritte Riese des
elisabethanischen Theaters. Und auch er hat den Leibhaftigen auf die Bühne gebracht
- in Gestalt eines kleinen Unterdämons namens Pug. Dieser arme Teufel ist von den
menschlichen Zuständen in London dermaßen entsetzt, dass er wieder nach Hause
will, zurück in die Hölle. Er wird von seinem ‚Opfer’, einem aufgeblasenen,
abergläubischen und geldgierigen Londoner ‚Gentleman’, als Teufel nicht einmal
7
akzeptiert, mag er seine höllische Herkunft noch so beteuern.
Dass der Teufel der Gier und Bösartigkeit des Menschen auf Dauer nicht gewachsen
ist, schränkt bei vielen seiner modernen literarischen Verkörperungen seine Macht
erheblich ein. Seit der Mensch das Böse in eigene Regie genommen hat, ist der Teufel
in der irdischen Unheilsgeschichte überflüssig geworden. Allenfalls ‚hinterher’, wenn
nach den menschlichen Taten und Untaten die Welt in Trümmern liegt, wird er an den
Haaren herbeigezerrt, um ihm aufzubürden, was der Mensch verbrochen hat. So
beschrieb beispielsweise Albert Speer, Hitlers Architekt und von 1943 bis 1945 auch
Rüstungsminister, in seinen Erinnerungen seine nationalsozialistische Karriere als
faustische Verirrung:
Zitator:
„Für einen großen Bau hätte ich wie Faust meine Seele verkauft. Nun hatte ich meinen
Mephisto gefunden. Er schien nicht weniger einnehmend als der von Goethe.“
Sprecherin:
Ein bizarrer Versuch der Selbstentlastung. Ein anderer Karrierist des ‚Dritten Reiches’
verkörperte sich nicht als Faust, sondern als Mephisto, und zwar überaus eindrucksvoll
auf der Bühne. Gustav Gründgens ist sicher eine der faszinierendsten und verführerischsten schauspielerischen Inkarnationen des Teufels. Er selbst wurde in dieser
Rolle wiederum zur literarischen Darstellung eines über Leichen gehenden Mitläufers
in Klaus Manns Buch Mephisto. Roman einer Karriere, entstanden 1936 im Exil.
Was aber die Haare angeht, an denen der Teufel vom Menschen gern ins Geschehen
gezerrt wird, um von der eigenen Bösartigkeit abzulenken, so hilft dabei manchmal
sogar des Teufels Großmutter. In Grimms Märchen Der Teufel mit den drei goldenen
Haaren reißt die gutmütige Alte ihrem Enkel während des Schlafs die drei Haare aus,
entlockt ihm zusätzlich noch drei Geheimnisse und verhilft auf diese Weise einem
armen, aber hübschen Jüngling zur Königstochter. In der Hölle dieses Märchens geht
es recht gemütlich zu:
Zitator:
„Es war schwarz und rußig darin, und der Teufel war nicht zu Hause, aber seine Großmutter saß da in einem breiten Sorgenstuhl.“
Sprecherin:
Erst als der Teufel abends von der Arbeit nach Hause kommt, wird es unangenehm. Er
schnüffelt herum, und weil es nach Mensch riecht, fängt er an, die ganze Bude auf den
Kopf zu stellen.
Zitator:
„Die Großmutter schalt ihn aus, ‚eben erst gekehrt’, sprach sie, ‚und alles in Ordnung
gebracht, nun wirfst du mirs wieder untereinander; immer hast du Menschenfleisch in
der Nase! Setze dich nieder und iß dein Abendbrot.’“
8
Sprecherin:
Auch in anderen der von den Brüdern Grimm gesammelten Volksmärchen kommt der
Teufel vor. In der nur eine Seite langen Geschichte mit dem Titel Des Herrn und des
Teufels Getier wird sogar eine Art Schöpfungsgeschichte erzählt. Gott erschafft alle
Tiere, nur die Ziege vergißt er. Die macht dann der Teufel. Deshalb verkörpert er sich
so gern als Ziegenbock und schwingt auf dem Blocksberg, wenn er mit den Hexen
tanzt, das Bocksbein.
In Hans Christian Andersens Kunstmärchen Die Schneekönigin ist der Teufel ein sehr
viel raffinierterer Geselle als in den Volksmärchen der Brüder Grimm. Er macht einen
Spiegel, der die Eigenschaft hatte Zitator:
- „dass alles Gute und Schöne, was sich darin spiegelte, fast zu Nichts zusammenschwand.“
Sprecherin:
Mit diesem Spiegel fliegen die Schüler des Teufels zum Himmel hinauf, um Gott und
die Engel zu ärgern. Da geschieht die Katastrophe. Der Spiegel rutscht ihnen aus den
Händen, stürzt zur Erde hinunter und zerspringt in Millionen und Abermillionen
Splitter:
Zitator:
„Und wo sie den Leuten ins Auge kamen, da blieben sie sitzen, und da sahen die
Menschen alles verkehrt oder hatten nur Augen für das, was an einer Sache verkehrt
war. Einige Menschen bekamen sogar eine kleine Spiegelscherbe ins Herz, und dann
war es ganz entsetzlich, das Herz wurde wie ein Klumpen Eis.“
Sprecherin:
Aus Andersens Teufelsscherben setzt sich der Spiegel des Nihilismus zusammen, der
das Gute als das Böse zeigt, als etwas, das es besser nicht gäbe. Kein Dichter hat
diesen teuflischen Zug besser formuliert als Goethe, der seinem Mephisto das
Unglaubensbekenntnis in den Mund legt:
Zitator:
„Ich bin der Geist, der stets verneint!
Und das mit Recht; denn alles, was entsteht,
Ist wert, dass es zugrunde geht;
Drum besser wär’s, dass nichts entstünde.
So ist denn alles, was ihr Sünde,
Zerstörung, kurz, das Böse nennt,
Mein eigentliches Element.“
Sprecherin:
Unverhohlener kann die Ablehnung von Gottes Schöpfung nicht sein. Und wenn diese
Ablehnung nicht vom Teufel, sondern von einem Menschen zum Ausdruck gebracht
9
wird, noch dazu die eigene Existenz mit einbeziehend, dann zieht ein Grauen durch die
Seele. In Jenseits von Eden von John Steinbeck, einer amerikanischen Variante der
Geschichte vom verlorenen Paradies, in diesem gewaltigen Epos der Schuld, erklärt
die weibliche Hauptfigur Cathy Ames:
„Ja, am allerschönsten war, dass sie, wenn sie zu sein aufhörte, niemals gewesen sein
würde. Das war ihr höchster Schatz und Schutz.“
Ein menschliches Leben mit dieser Ich- und zugleich Nichtsbezogenheit verläuft
„jenseits von Eden“, aber auch jenseits der Hölle. Es ist eine menschliche
Verkörperung des Bösen, der es auf nichts und niemanden mehr ankommt, nicht
einmal mehr auf den Teufel.
***
Zum Autor:
Bruno Preisendörfer, Schriftsteller und Journalist in Berlin;
zuletzt erschienen: „Als unser Deutsch erfunden wurde“, NDR Kultur Sachbuchpreis 2016