Wir Ärzte müssen uns mit dem Thema beschäftigen

Interview auf Facharzt.de vom 28.01.20107
„Wir Ärzte müssen uns mit dem Thema beschäftigen“
In diesem Jahr hat der „Bayerischer Tag der Telemedizin“ am 28. März in München gute Chancen, alle
Besucherrekorde zu brechen: Das Thema ist in aller Munde – und die Entwicklung verläuft rasant.
Während auf Bundesebene erstmals EBM-Ziffern für Videokonsultationen verhandelt werden, melden
auch immer mehr regionale Telematik-Projekte erste Erfolge. Lohnt sich für Ärzte daher der Besuch des
großen Kongresses in der bayerischen Hauptstadt? Der änd (Ärztenachrichtendienst) sprach mit Initiator
Prof. Siegfried Jedamzik, dem Geschäftsführer der „Bayerischen TelemedAllianz“.
Herr Prof. Jedamzik, die Umfragen im änd (Ärztenachrichtendienst)
zeigen die Ärzteschaft nach wie vor gespalten: Manche Ärzte stehen
den neuen Möglichkeiten der Telemedizin sehr offen gegenüber –
andere halten das für Teufelswerk. Welchen Eindruck haben Sie in
der Kommunikation mit Ihren Kollegen?
In der Tat erlebe ich da auch eine sehr große Spannbreite. Manche
Kollegen nutzen bereits eifrig Telemedizin-Sprechstunden und testen
viele neue Möglichkeiten aus – andere sind da extrem skeptisch. Erst
kürzlich war ich zu einer Diskussion im ärztlichen Kreisverband
Kehlheim eingeladen und habe das dort wieder beobachten können.
Haben Sie denn Verständnis für die Skeptiker?
Natürlich verstehe ich diesen Standpunkt. Als niedergelassener Arzt muss man sich immer die Frage stellen:
Bei welchen Patientengruppen macht das Sinn? Kann mich die Technik entlasten? Wie integriere ich das in
meinen Praxisalltag? Was übernimmt das Praxisteam, was der Arzt? Es ist für die Ärzte wichtig, eine
kritische Kosten-Nutzen-Rechnung zu machen. Abhängig von den lokalen Gegebenheiten, der
Patientenzusammensetzung und den medizinischen Schwerpunkten, kommen die Kollegen natürlich zu
unterschiedlichen Resümees. Erfolgreich werden auf lange Sicht nur die Neuerungen sein, die Patienten
und Ärzten helfen und gleichzeitig angemessen Honoriert werden.
Bei welchen Projekten haben Sie bisher erfolgversprechende Ansätze beobachtet?
Das Projekt „GOINakut“ läuft gut an. Ziel ist die effiziente telefonisch-medizinische Beratung der Patienten,
um die Notaufnahmen und ärztliche Bereitschaftsdienste zu entlasten. Das wird von der KV ein wenig
kritisch gesehen, da sie ihre Portalpraxen etablieren möchte. Die bisherige Entwicklung macht uns aber
zuversichtlich, dass das Projekt ein Erfolg werden kann.
Viel Potential sehe ich auch im Projekt „SPeed“. Haus- und Fachärzte können da über gesicherte
Datenleitungen in die Pflegeakten der Altersheime schauen. Auch das Konzept zur Verbindung des
Klinikums Ingolstadt mit den Niedergelassenen vor Ort ist extrem spannend. Interessant auch: In einem
Modellversuch werden derzeit – mit einer sehr teuren Kamera – die Augen von Menschen in Altersheimen
untersucht und die Daten an Fachärzte weitergeleitet. Die Unis Erlangen begleitet das Projekt.
Sie sehen also: Es gibt eine Fülle von innovativen und vielversprechenden Projekten.
Sollten in der Telemedizin eher bundesweite oder regionale Konzepte im Vordergrund stehen?
Viele denken bei Telemedizin ja gleich an die überregionale Vernetzung durch die Telematikinfrastruktur
und die Gesundheitskarte. Aber die regionalen Projekte laufen oft genau da, wo in der medizinischen
Versorgung die Musik spielt: Bei den Ärzten und Kliniken vor Ort. Die Statistiken zeigen, dass die Patienten
im Rahmen der Versorgungswege auch nur äußerst selten die Regionen verlassen. Also sind schon
intelligente lokale Lösungen gefragt.
Auf der andern Seite gibt es natürlich in bestimmten Fachbereichen derart begrenzte Ressourcen, dass die
Telemedizin sich um weitgreifendere Verbindungen der Beteiligten bemühen sollte. So halte ich es für
sinnvoll, dass sich in neuen Strukturen beispielsweise die Schmerzzentren vernetzen. Das läuft gerade als
bayernweites Projekt an. Unter dem Strich muss man also sagen: Ob eine stark lokal begrenzte oder eine
überregionale Lösung Verbesserungen bringen kann, hängt immer vom Inhalt des jeweiligen
Versorgungsproblems ab.
Wie steht die Landesregierung zur Telemedizin?
Glücklicherweise steht sie voll dahinter und fördert die Entwicklung. Was mir besonders wichtig ist: Sie
macht nichts, wo sie nicht die Akzeptanz der Ärzteschaft erkennen kann. Da wirkt sich vielleicht positiv aus,
dass Ministerin Huml selbst Ärztin ist. Natürlich muss man sich auch um die Akzeptanz der Kollegen
bemühen. Es gilt immer zu beweisen, dass eine Lösung Sinn macht – und nicht eine technische Spielerei ist.
Darüber hinaus muss es vernünftig finanziert sein.
Was nicht immer der Fall ist?
Sagen wir so: Ich hoffe, dass Politik und Krankenkassen erkennen, dass Ärzte neue Wege der Telemedizin
erst dann beschreiten können, wenn sich das auch betriebswirtschaftlich rechnet. Wird die nun zu
verhandelnde EBM-Bewertung der Videokonsultation niedrig ausfallen, wenden sich viele Kollegen von
dem Thema ab. Zu Recht, muss man dann sagen.
Was erwartet Ärzte auf dem 5. Bayerischern Tag der Telemedizin?
Spanende Diskussionen und interessante Einblick in die neuesten Projekte. Die Veranstaltung hat sich gut
entwickelt – wir haben schon jetzt 750 Anmeldungen. Es ist der größte Telemedizin-Kongress südlich des
Weißwurstäquators geworden. Mir wäre es wichtig, dass genügend Kollegen kommen. Wir Ärzte müssen
uns mit dem Thema beschäftigen. Es wäre fatal, wenn wir nur jammern und uns irgendwann selbst kritisch
fragen müssen, warum wir und nicht früher eingebracht haben.
Ich freue mich auf spannende Diskussionen und anregenden Informationsaustausch mit den Kollegen vor
Ort.
Quelle: http://www.facharzt.de/ | änd Ärztenachrichtendienst Verlags-AG