Entscheid im ordentlichen Verfahrens-Nr. 16-17/15619/7

SWISS ICE HOCKEY FEDERATION
Disciplinary Court National League
Oliver Krüger / Victor Stancescu
Judge National League / Deputy Judge National League
Swiss Ice Hockey Federation, Flughofstrasse 50, 8152 Glattbrugg, [email protected]
ZLE Betriebs AG
Chris Baltisberger
Entscheid im ordentlichen Verfahrens-Nr. 16-17/15619/7
1) Betrifft:
Meisterschaftsspiel National League A
EHC Kloten (NL) - ZSC Lions (NL), National League A, vom 29.01.2017
2) Fehlbarer
Club:
ZSC Lions; ZLE Betriebs AG
3) Fehlbarer
Spieler:
Chris Baltisberger, c/o ZLE Betriebs AG Beschuldigter
4) Sachverhalt: Am 29. Januar 2017 checkte der Beschuldigte seinen Gegenspieler gegen den Kopf. Die
Situation ist auf dem Eis mit einer SPD geahndet worden. Der PSO hat form- und fristgerecht
mitgeteilt, dass er mehr als eine Spielsperre beantragt.
Der Beschuldigte und der fehlbare Klub haben frist- und formgerecht eine gemeinsame
Stellungnahme eingereicht.
Der EHC Kloten hat frist- und formgerecht ein Arztzeugnis eingereicht, aus dem sich ergibt, dass
der gefoulte Spieler bei der infrage stehenden Aktion eine Gehirnerschütterung erlitten hat.
Der nachfolgende Entscheid beruht auf den folgenden Beweismitteln:
-
PSO-Report
Video’s
Stellungnahme der Parteien
Arztzeugnis
5) Begründung: Tatbestandsmässigkeit:
Einen Check gegen den Kopf oder Nacken begeht ein Spieler, der mit irgendeinem Teil seines
Körpers oder seiner Ausrüstung einen Check irgendeiner Art gegen den Kopf oder Nacken des
Gegenspielers ausführt oder den Kopf eines Gegenspielers gegen das Schutzglas oder die
Bande führt (Regel 124 IIHF). Wird der Gegner verletzt oder rücksichtslos gefährdet, führt dies zu
einer Matchstrafe (Regel 124 III IIHF).
Wie bereits in der Eröffnungsverfügung festgestellt, ist ohne weiteres klar, dass Regel 124 IIHF
verletzt worden ist, indem der Kopf des gefoulten Spielers vom Check des Beschuldigten
getroffen wurde. Den vorliegenden Viedoclips sowie auch den eingereichten Screenshots ist in
keiner Weise zu entnehmen, dass der Check gegen die Schulter gegangen sei.
Auf die verschiedenen Sachverhaltselemente und deren Beurteilung wird – um Wiederholungen
zu vermeiden – nachfolgend in den Erwägungen zur Strafzumessung eingegangen.
Gestützt auf Regel 124 IIHF sowie Artikel 80, 86 Absatz 1, 88 Absatz 1 und 90
Rechtspflegereglement ist gegen den fehlbaren Spieler eine Disziplinarmassnahme zu
verhängen, die Sanktion orientiert sich vorwiegend am Verschulden.
Im Rahmen der rechtlichen Würdigung sowie der Strafzumessung kann folgendes ausgeführt
werden:
Spielsituation / Verhalten des Gegenspielers:
Der gefoulte Spieler Frick verteidigt einen Angriff gegen den Topscorer der ZSC Lions. Diesen
Zweikampf gewinnt er, verliert dabei aber den Stock. Die Scheibe gleitet Richtung Spielfeldecke,
wobei Frick klarerweise als Erster beim Puck sein wird. Er versucht, die Scheibe mit den
Schlittschuhen an der Bande zu blockieren. Es ist zutreffend, dass der gefoulte Spieler in
Scheibenbesitz ist und grundsätzlich gecheckt werden darf.
Der ZSC-Topskorer ist der erste Forechecker in der Spielsituation und setzt Frick zunächst nach.
Der Beschuldigte, der durch die Spielfeldmitte in die Offensivzone preschte, entscheidet sich
zuerst, als zweiter Forechecker zur Bande hinaus zu fahren, um die «Bande zu schliessen».
Offensichtlich entschliesst er sich dann aber doch, in das Forechecking einzugreifen. Er fährt in
der Folge in hohem Tempo gegen Frick und checkt diesen gegen den Kopf. Gleichzeitig
entscheidet sich der ZSC Topskorer sein Forechecking abzubrechen und dreht gegen rechts weg.
Der stocklose gefoulte Spieler versuchte den Puck mit den Schlittschuhen zu blockieren. Dieses
Verhalten ist als üblich und als geboten zu qualifizieren. Er blickt dabei zunächst nach untern und
senkt kurz vor dem Aufprall den Kopf ein wenig. Sein Kopf ist dabei tiefer als gewöhnlich, jedoch
nicht sehr tief positioniert. Diese Position des gefoulten Spielers war für den Beschuldigten
erkennbar, lange bevor er zum Check ansetzte.
Art der Ausführung / Wucht / Vermeidbarkeit:
Die Wucht des Checks ist im obersten Bereich einzuordnen. Der Beschuldigte setzt sein volles
Tempo ein, welches er über einen langen Sprint aus der Mittelzone aufgebaut hat. Er führt den
Check mit dem Stock in beiden Händen aus. Durch diese Checkart kann zusätzliche Wucht in die
Schulter generiert werden. Diese Checkart bringt stets eine gewisse Aufwärtsbewegung mit sich,
eine zusätzliche Auswärtsbewegung im Sinne eines strafschärfenden Qualifikationsmerkmals
(Elevation) ist jedoch nicht gegeben.
Der Check ging vorliegend nicht «durch den Torso» des Gegenspielers, sondern traf diesen
eindeutig und vorwiegend am Kopf. Die Einzelrichter erachten es als erwiesen, dass die
hauptsächliche Energie gegen den Kopf wirkte. Das ergibt sich insbesondere auch dadurch, dass
der Kopf des gefoulten Spielers zwischen der Schulter des Beschuldigten und der Bande
eingequetscht wird und nicht etwa der Kopf – als Folge eines Aufpralles mit dem Körper –
lediglich in die Bande «mitgeworfen» wird. Der Kopf ist somit der «main point of contact».
Das Qualifikationsmerkmal der Bandennähe ist vorliegend ebenso gegeben und entsprechend zu
würdigen.
Besonders schwer wiegt jedoch der Umstand, dass sich Frick ohne Stock an der Bande befand
und es offensichtlich und für den Beschuldigten erkennbar gewesen sein muss, dass er sich auf
das Blockieren der Scheibe an der Bande beschränken würde. Es scheint sogar so, als habe sich
der Beschuldigte entschieden in das Forechecking einzugreifen, als er erkannte, dass Frick den
Stock verloren hatte. Als zweiter Forechecker wäre es grundsätzlich nicht seine Aufgabe gewesen
Frick zu checken. Letzterer hätte vielmehr mit einem Check des Topskorers rechnen müssen.
Nach Ansicht des Gerichts ging dem Beschuldigten vorliegend nicht nur darum, den
Scheibenbesitz zu begründen. Er erkannte vielmehr die Gelegenheit einen Check mit maximaler
Wucht durchzuziehen. Er wollte in erster Linie den Gegner möglichst hart checken und nicht den
Puck erobern. Dieses Vorhaben ist weder unzulässig noch verwerflich. Allerdings sind gerade
diese Checks so auszuführen, dass der Kopf des Gegenspielers nicht gefährdet wird.
Der Treffer gegen den Kopf wäre auch ohne weiteres vermeidbar gewesen. Der Beschuldigte
hätte bspw. den Check mit dem Rumpf mit angelehnten Armen ausführen können, insbesondere
nachdem er erkannt hatte, dass der Gegenspieler ohne Stock war. Ein Spieler ohne Stock, kann
sich in einer derartigen Situation weder wegdrehen noch wegfahren (da er die Scheibe mit den
Schlittschuhen blockieren muss). Insofern ist er – wenn auch nicht «wehrlos» doch zumindest –
exponiert.
Gesamtwürdigung:
Der Check erfolgte mit hohem Tempo und maximaler Wucht. Er ist eindeutig als rücksichtslos und
sehr gefährlich zu qualifizieren. Der Beschuldigte hatte genügend Zeit die konkrete Situation
richtig einzuschätzen. Wer einen Check mit maximaler Wucht ausführt, ist dafür verantwortlich
nicht den Kopf des Gegenspielers zu treffen. Vorliegend endete der Check des Beschuldigten
jedoch voll in den Kopf.
Checks gegen den Kopf, welche unabsichtlich, mit leichter Fahrlässigkeit oder mit geringer
Wucht erfolgen, können gemäss Praxis der Einzelrichter mit 1-2 Spielsperren geahndet
werden. Checks gegen den Kopf, welche bewusst ausgeführt werden eine gewisse
Rücksichtslosigkeit und eine erhöhte Fahrlässigkeit beinhalten, eine erhebliche Wucht
beinhalten, sonstwie als besonders gefährlich beurteilt werden müssen oder weitere
Qualifikationsmerkmale beinhalten, fallen nach der neuen Praxis der Einzelrichter
mindestens in den Strafrahmen von 3-5 Spielsperren. Häufen sich die
Qualifikationsmerkmale, liegen zusätzliche Qualifikationsmerkmale wie direkter Vorsatz,
Eventualvorsatz, besondere Brutalität oder Härte in der Ausführung, besondere
Rücksichtslosigkeit etc. vor, ist der Strafrahmen auf 6-10 Spielsperren anzusetzen.
Der zu beurteilende Check ist wie gesagt, als besonders rücksichtslos zu qualifizieren (das wird
auch durch die tatsächlich erlittene Verletzung von Frick bestätigt). Es liegt jedoch kein
Abspringen oder eine rechtserhebliche Aufwärtsbewegung vor. Eben so wenig wurde der
Ellbogen eingesetzt.
Bei Würdigung aller Elemente ist der Check gerade noch im mittleren Rahmen einzuordnen.
Aufgrund der Wucht, Bandennähe und der Vermeidbarkeit des Kopftreffers ist die Strafe jedoch
im oberen Bereich des mittleren Strafrahmens anzusetzen. Die tiefe Kopfhaltung des
Gegenspielers vermag aber keine Reduktion um eine ganze Spielsperre zu begründen. Dies weil
zwar der Kopf des Gegenspielers seine Position leicht veränderte, seine linke Schulter jedoch
nicht. Die linke Schulter des Gegenspielers hat der Beschuldigte in vorwerfbarer Weise klar
verfehlt. Hätte er diese linke Schulter getroffen, wäre der Check aus disziplinarischer Sicht wohl
als unbedenklich beurteilt werden müssen. Es ist somit von einer Sperre von fünf Spielen
auszugehen.
Persönliche Strafzumessungselemente / Vorstrafen:
Gemäss Rechtspflegereglement können Vorstrafen berücksichtigt werden, welche nicht mehr als
5 Jahre zurückliegen. Der Beschuldigte hat keine einschlägigen Vorstrafen vorzuweisen. Ebenso
sind fehlende Reue und fehlende Einsicht nicht strafschärfend zu berücksichtigen.
Der Beschuldigte wird im Ergebnis mit insgesamt 5 Spielsperren bestraft. Er hat zudem eine
Busse zu bezahlen, welche auf CHF 2'500.00 festgelegt wird. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens haben der Beschuldigte und der fehlbare Klub die Verfahrenskosten zu tragen.
6) Entscheid:
Der Beschuldigte wird für fünf Pflichtspiele gesperrt.
Die Beschuldigten haben eine Busse in der Höhe von CHF 2'500.00 zu bezahlen.
7) Kosten:
Verfahrenskosten
CHF 920.00
Schreib- und Zustellgebühren CHF 0.00
Total
8) Zahlung:
CHF 0.00
Der Betrag von CHF 3’420.00 wird Ihnen durch das Sekretariat der SIHF separat in Rechnung
gestellt.
9) Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann gemäss Art. 61 Rechtspflegereglement innert 5 Tagen an das
Verbandssportgericht des SIHF, c/o Swiss Ice Hockey Federation, Postfach, 8152 Glattbrugg
([email protected]), Berufung eingereicht werden. Die Berufung hat nebst Beilage des vorliegenden
Entscheides einen Antrag und eine Begründung zu enthalten.
Datum:
2. Februar 2017
Disciplinary Court National League
Oliver Krüger / Victor Stancescu
Judge National League / Deputy Judge National League
[email protected]
Disclaimer:
Dieser Entscheid ergeht im Rahmen des vereinsinternen Disziplinarwesens der SIHF gestützt auf deren
Statuten und Reglemente und entfaltet ausschliesslich vereinsinterne Wirkung.
Er basiert auf dem Gedanken, in einer Sportart mit physischem Kontakt als Wesensmerkmal die
Gesundheit der Spieler zu schützen und ist somit auf die Bedürfnisse des Eishockeys ausgerichtet.
Die darin verwendeten Begriffe decken sich nicht mit der juristischen Terminologie des Zivil- und
Strafrechts. Entscheide des Disziplinargerichts ergehen in einem sehr raschen Verfahren mit
eingeschränkten Kompetenzen der Disziplinarrichter und sind somit nicht mit Entscheiden staatlicher
Behörden vergleichbar. Sie sind insbesondere nicht darauf ausgerichtet, präjudizielle Wirkung für
vereinsexterne Verfahren zu entfalten.