Jo Weigmann ist Pinocchio

Jo Weigmann ist Pinocchio
Mit Rosa und Gerry Kauczor – das deutsch-italienische Duo
nite-n-day – und Vittorio Ventura treffen wir uns bei Jo
Weigmann. Er betreibt
Deutschlands: Pinocchio.
die
kleinste
Kaffeerösterei
Samstag um zehn in Wolfenbüttel. Der Himmel strahlt blau über
der Stadt. Wenn man von Seeliger aus in Richtung Stadtmarkt
geht, grüßen von Weitem schon die Marktstände. Sie sind so so
warm angezogen wie ihre Besucher. Vor den frostigen
Temperaturen schützen die Marktleute ihr Obst und Gemüse mit
kleinen, beheizten Vorzelten. Und auch für sie ist es dann
vielleicht nicht mehr ganz so kalt. Dabei hat die Sonne für
einen Januartag schon richtig Kraft. Als ich über den
Kornmarkt an Balzer vorbei hinter das alte Zollamt gehe,
scheint es fast frühlingshaft. Der rote Anstrich des alten
Gebäudes wirkt warm. Nur der wintergraue Lavendel erinnert an
die Jahreszeit. Obwohl: Sogar der duftet noch nach Sommer,
wenn man das trockene Laub zwischen den Fingern zerreibt.
Gerry Kauczor hatte die Idee, dass Kulinarisch38 endlich mal
über Jo Weigmann berichtet. Wir treffen uns also mit seiner
Frau und Gesangspartnerin Rosa und Vittorio Ventura vom
Restaurant Katané in Braunschweig zum »Frühschoppen«.
Ein Kaffeeröster
Leidenschaft
mit
und
aus
Jo Weigmann ist Kaffeeröster. Er steht in seiner kleinen
Rösterei Pinocchio – es ist die kleinste Deutschlands – hinter
einem Tresen und hantiert konzentriert an seiner Siebträger
Esspressomaschine. Drei Tische stehen in dem kleinen Café im
Herzen der Lessingstadt und warten auf Genussfreunde. Man muss
Glück haben, wenn man einen Platz ergattern möchte.
Andererseits: Bei Jo rückt man gern zusammen. Man sollte also
schon fragen, ob man sich dazu setzen darf, falls es voll ist.
Er spricht zwar unverkennbar fränkischen Dialekt, aber wer mit
ihm auch nur kurz ins Gespräch kommt, hielte ihn für einen
Italiener. Jeder kennt das aus dem Leben. Während mancher
deutsche Gastronom bereits gelangweilt ist, wenn man nach
einem Sonderwunsch fragt, führt der Südländer Daumen,
Zeigefinger und Mittelfinger zu einem Dreieck zusammen, das er
emphatisch nach oben reckt und dabei leidenschaftlich betont,
dass der Gast bestimmt noch nie so einen frischen Fisch
bekommen habe. Wenn es so etwas gäbe: Für Jo wäre Italiener
ehrenhalber der richtige Ausdruck. Wir sitzen gemütlich in der
Ecke und bekommen unseren Cafè, den Espresso serviert. Südlich
des Brenners ist Espresso bekanntermaßen einfach nur Cafè. Der
Tageseröffner und damit eine Instanz. Jeder bekommt eine
unterschiedliche
Geschichte.
Tasse
und
jede
Tasse
hat
eine
andere
Alles hat seine Geschichte
Bei Jo hat alles eine Geschichte. Die alte Lehmwand, das Foto
einer alten Barista, die so klein ist, dass sie gerade auf den
Siebträger schauen kann. Einzelne Fotos, Kaffeesäcke und vor
allem natürlich Jo selbst. Er gehört zu den Menschen, die über
Kurven und Umwege gegangen sind. Immer sie selbst und trotzdem
verwandelt. Alles hat seinen Wert. Kontinuität und
Geradlinigkeit, die Erfahrung und Ruhe hervorbringen kann.
Aber eben auch das stetig im Wandel Begriffene, das immer nach
neuen Ufern sucht. Während Vittorio sein erstes Tässchen
genießt und die Würzigkeit des Getränks lobt – ohne Zucker,
wie er betont – erzählt Jo seine Geschichte. Nach einem
Autounfall im letzten Jahr wollte der fast 60-jährige endlich
sesshaft werden. Seit vielen Jahren ist er auf den
Wochenmärkten in Helmstedt und Wolfenbüttel mit seiner Ape
unterwegs. Und nun wollte er es endlich etwas bequemer haben.
Seine Wohnung liegt direkt über dem kleinen Kaffeeparadies. Da
lag es nahe, sich hier auch beruflich einzurichten.
Der Weg zum Kaffee
Seit 2010 röstet er seinen Kaffee selbst. Eigentlich
interessiert mich zunächst einmal seine Lebensgeschichte. Aber
nur eine Frage zu den braunen Bohnen, machen bei Jo ein Fass
auf, in dem so viel steckt, dass man sich mit ihm vermutlich
tagelang darüber unterhalten könnte. Das ist Leidenschaft pur.
Gerry, Vittorio, Rosa und ich genießen unseren Espresso. Jo
erzählt über den Kaffeemarkt, über den Unterschied zwischen
Industrieröstungen und Handröstungen, über Temperaturen,
Röstungen und Zubereitungsarten, über Aromen und Trends.
»Meine Leidenschaft zum Kaffee begann, als ich das erste Mal
über den Brenner gefahren bin und auf der Raststätte den
ersten richtigen Espresso getrunken habe«, erinnert sich Jo.
Das war 1980. Dass aus der Leidenschaft Passion wurde, lag an
den Wechselfällen des Lebens. Den Schreinermeister und
Parkettleger und früheren Polizisten führte eine tiefe
Lebenskrise in das Land, wo die Zitronen blühen, zu Eva, die
alte Barista, die er mit dem wunderbaren Foto verewigt hat,
und damit zu seiner Erfüllung.
Der Weg nach Italien
Um die Jahrtausendwende ging seine Ehe kaputt. Jo setzte sich
in seinen alten Passat und fuhr nach Italien – mit wenig
Reisegepäck, Geld und einem Schul-Latinum. Dort arbeitete er
bei einer Kunsttischlerei und lernte in einem Alimentari-Laden
Eva kennen. Die Dame ist heute 94 Jahre alt und steht noch
immer hinter ihrer Siebträgermaschine. »Die Frau verkörperte
für mich einen ganz neuen Lebensstil«, erinnert sich Jo. »Das
ganze Leben spielt sich in einer anderen Ruhe ab. Die ganze
Hektik, der Ärger. Das findet in Evas Leben nicht statt. Das
hat mich fasziniert und mich dazu ermutigt, meinen alten Beruf
an den Nagel zu hängen und mich ganz dem Kaffee zu
verschreiben«, erinnert er sich.
Vergangenheit und Zukunft
Wenn man sich das Bild im Café anschaut, ahnt man, was er
meint. Eva sieht aus, als sei sie aus einem italienischen Film
der 50er Jahre entstiegen. Ihr hat Jo einen eigenen Kaffee
gewidmet. »Wenn es Eva nicht gut gehen würde, ich würde sofort
in Richtung Süden fahren«, sagt Jo. Inzwischen ist der Röster
in Wolfenbüttel aber heimisch geworden. Wer auf dem Markt ist,
der schaut noch einmal herein, trinkt, ganz wie bei Eva, einen
Espresso und versorgt sich mit frischen Kaffeebohnen für die
nächste Woche. Ein kleines Schwätzchen mit Jo natürlich
inklusive. Für die Lessingstadt ist der Wahlwolfenbüttler eine
echte Bereicherung. Denn die Leidenschaft zum Kaffee überträgt
er auf seine Kunden und bringt damit ein Stück Italien in
unsere Breiten. Als wir uns verabschieden, steht für mich
fest: Das ist der Beginn einer guten Freundschaft. Kulinarik
verbindet eben.