Ethische Aspekte der tiefen Hirnstimulation

Eingriffe in das menschliche Gehirn bei neuropsychiatrischen Erkrankungen:
Ethische Aspekte der tiefen Hirnstimulation (THS,DBS)
Abschlussarbeit zur Erlangung des Grades „Master of Arts“ im weiterbildenden
Masterstudiengang Medizinethik am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der
Medizin der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Eingereicht von:
Dr.med. Dr.rer.nat. Reiner Christoph Beck
Studierendennummer: 1259164
Robert-Schuman-Str.14
51109 Köln
Eingereicht bei:
Frau Dr. phil. Lara Huber
(Erstgutachterin)
Herrn Univ.-Prof.Dr. rer. med. Norbert W. Paul
(Zweitgutachter)
Köln, 06.02.2015
Eingriffe in das menschliche Gehirn bei neuropsychiatrischen Erkrankungen:
Ethische Aspekte der Tiefen Hirnstimulation (THS,DBS)
Inhaltsverzeichnis
Seite
I.
II.
Einleitung
Chirurgische Eingriffe als therapeutische Verfahren in der
Neurologie und Psychiatrie
1.
Historischer Überblick zur Neurowissenschaft
1.1 Von der Psychochirurgie zur Neuromodulation:
Elimination versus Neuro-Modulation
1.2. Das Gehirn als Forschungsgegenstand
1.3. Chirurgische Eingriffe in das Gehirn: Historischer
Überblick zur Psychochirurgie und Hirnmodulation
1.3.1 Die Tiefe Hirnstimulation (DBS)
1.3.2 Ethische und anthropologische Aspekte zur Neurotechnik:
Akteure und Institutionen, Technikfolgen
1.3.3 Spezifische medizinethische Fragestellungen bei
neurochirurgischen Eingriffen in das Gehirn
1.3.4 Wie lassen sich Persönlichkeitsmerkmale bei chirurgischen
Eingriffen in das Gehirn erfassen?
2.
Zur Leitlinientherapie und dem Stellenwert der THS bei
Neuropsychiatrischen Erkrankungen
2.1. Einige grundsätzliche Überlegungen zur Diagnose und
Therapie bei Neuropsychiatrischen Erkrankungen
2.2. Die THS beim idiopathischen Morbus Parkinson (iPS)
2.3. Die THS beim Tourette-Syndrom
2.4. Die THS bei der schweren Zwangserkrankung (OCD)
2.5. Die THS bei therapieresistenten depressiven Erkrankungen
2,6. Die THS bei Abhängigkeitserkrankungen (SUD)
2.7. Die THS bei Morbus Alzheimer
2.8. Zusammenfassung der empirischen Befunde zur THS bei
Neuropsychiatrischen Erkrankungen
III. Ethische Problemstellungen bei chirurgischen Eingriffen in
das Gehirn
1. Einige grundlegende medizinische Aspekte
Orientierungspunkte ärztlichen Handelns (BenefizienzNonmaleficence)
3. Der Respekt vor der Autonomie der Patienten und
Informed Consent
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Eingriffe in das menschliche Gehirn bei neuropsychiatrischen Erkrankungen:
Ethische Aspekte der Tiefen Hirnstimulation (THS,DBS)
Inhaltsverzeichnis
Seite
4.
4.1.
4.2.
4.3.
IV.
Zum Konzept der Vulnerabilität
Einige theoretischen Hintergründe zum Vulnerabilitätskonzept
Zur Vulnerabilität bei neurochirurgischen Eingriffen
Zur Vulnerabilität neurochirurgischer Eingriffe in das Gehirn
Spezifische ethische Herausforderungen bei der
Neuromodulation (THS) bei Neurochirurgischen Erkrankungen
1.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen
2.
Die partizipative Behandlungsgestaltung
3.
Zur kontextualisierten Bewertung der THS
3.1 Die ethischen Richtlinien zur innovativen THS-Forschung
3.2 Die Umsetzung ethischer Leitlinien zur THS im therapeutischen
Kontext
3.2.1 Die Umsetzung ethischer Leitlinien zur THS beim Morbus
Parkinson (iPS)
3.2.2 Die Umsetzung ethischer Leitlinien zur THS beim TouretteSyndrom
3.2.3 Die Umsetzung ethischer Leitlinien zur THS bei der schweren
Zwangserkrankung (OCD)
3.2.4 Die Umsetzung ethischer Leitlinien zur THS bei therapieresistenten depressiven Erkrankungen
3.2.5 Die Umsetzung ethischer Leitlinien zur THS bei Abhängigkeitserkrankungen (SUD)
3.2.6 Die Umsetzung ethischer Leitlinien zur THS bei Morbus
Alzheimer
3.2.7 Die Schutzpflichten gegenüber neuropsychiatrisch Kranken:
Zur Public Health Ethik - Geht es gerecht zu?
V. Spezifische neuroethische Kriterien bei chirurgischen Eingriffen
in das Gehirn mit der THS bei neuropsychiatrischen Erkrankungen
VI. Zusammenfassung und Ausblick
VII. Literaturangaben
VIII. Abkürzungen
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Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
1
Eingriffe in das menschliche Gehirn bei neuropsychiatrischen
Erkrankungen: Ethische Aspekte der tiefen Hirnstimulation (THS, DBS).
I.
Einleitung
Das öffentliche Interesse an der Neurowissenschaft ist in den letzten vierzig
Jahren durch neuere wissenschaftlich technische Erkenntnisse und breite
finanzielle Unterstützungen gestiegen. Von dem Kongress der USA wurde
von 1990-2000 die „decade of the brain“ ausgeboten, und eine
Stiftungsinitiative in Deutschland erklärte das nachfolgende Jahrzehnt als
die „Dekade des menschlichen Gehirns“. (Synofzik, 2004) 2013 wurde von
der Europäischen Kommission das „HBP“ (Human Brain Project) mit einer
Milliarde Euro Unterstützung finanziert, was inzwischen auf heftige Kritik
gestoßen ist wegen des „schlechten Managements, undemokratischer
Strukturen und falscher Prioritätensetzung.1
Neurowissenschaftliche Fragestellungen (Kandel, 1996, Kolb, 1993,
Birbaumer, 2011 S.40f, Dudel, 2001) wurden inzwischen von den
Lebenswissenschaften aufgegriffen und in einen breiteren Diskurs
eingebunden. Ethische, juristische und soziale Implikationen bei der
Erforschung von Eingriffen in das Gehirn erfordern ein wissenschaftliches
Zusammenwirken von Technik und Lebenswissenschaften (Medizin,
Psychologie, Philosophie, Soziologie, Theologie u.a.) um „die erwünschten
Vorteile (benefits) gegenüber den schädlichen Auswirkungen von
Innovationen zu maximieren“ (Greely, 2007 S.40f, Metzinger, 2005b,
Greely, 2012) Für Eingriffe in das Gehirn wurde dies von der „Europäischen
Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich –technischer
Entwicklungen“ interdisziplinär bereits dargelegt. (Merkel, 2007)
Weiterhin stellt sich aus anthropologisch-ethischer Sicht vordringlich auch
die Frage einer veränderten Konzeption der menschlichen Natur (Bora,
2005, Clausen, 2008, Huber, 2009a, Janich, 2009, Mainzer, 2010) und
eines „Menschenbilds der Hirnforschung“ (Janich, 2009).
Die „Neurophilosophie“ (Synofzik, 2004) 2 als eine „epistemisch – ethisch“
orientierte Disziplin“ soll einen
fächerübergreifenden Diskurs mit
„erkenntnistheoretischer und ethisch-praktischer Absicht“ anregen.
Die „Neuroethik“3 (Glannon, 2006, Jox, 2013) befasst sich mit der
„ethischen Einordnung bestimmter Verfahren in konkreten Anwendungskontexten“, mit der „Entwicklung von Handlungsregeln“, und einer
1 Schnabel,U.: Flagschiff in schwerer See. Hirnforscher üben massive Kritik an European Human Brain Project.
Die Zeit No 29/2014; Open message to the European Commission concerning the Human Brain Project
neurofuture.eu aufgerufen 20.7.2014
2 der Begriff „Neurophilosophie wird Patricia Churchland 1986 CHURCHLAND, P. 1986. Neurophilosophiy:
Toward a unified science of the Mind-Brain., Cambridge, Bradford. zugeschrieben.
3 der Begriff wird dem Journalisten William Safire (2002) zugeschrieben. „Neuro-ethics of „walking“ in the
newborn“,which appeared in August 1973 in the journal Perceptual and Motor Skills“ siehe dazu Buniak et al.
Philosophy,Ethics, and Humanities in Medicine 1014,9:9,S.2
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
2
„angemessenen Deutung der Erkenntnisse aus Einblicken und Eingriffen in
das menschliche Gehirn.“ (S. 8) (Woopen, 2009).
Es wird nach Roskies zwischen der „neuroscience of ethics“ und der „ethics
of neuroscience“ unterschieden. (Roskies, 2002) Im Sinne einer
„informierten Ethik“ (Huber, 2009a) müssen die spezifischen Entstehungsbedingungen neurowissenschaftlicher Forschungserkenntnisse und
Handlungsregulierungen einer empirischen und normativen Bewertung
unterzogen werden, um naturalistische Fehlschlüsse zu vermeiden, und die
Deutung der empirischen Daten spezifizierter, und hinsichtlich einer
normativen Argumentation diskursfähig zu machen.(Shook, 2014)
Eingriffe in das Gehirn werden seit den 50er Jahren (Einführung des
Psychopharmakons Chlorpromazin) überwiegend als psycho,-neuropharmakologische Eingriffe verstanden, was zu einer einschneidenden
Veränderung der psychiatrischen Behandlung geführt hat. (Schramme,
2004, Slaby, 2011, Stier, 2013, Stoecker, 2014)Inzwischen hat sich eine
gewisse Ernüchterung breit gemacht, was die Effizienz und NichtSchädigung von Langzeitbehandlungen von schweren chronischen
psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen (idio-pathischer Morbus
Parkinson, Bewegungsstörungen, Demenzerkrankungen, Depressionen,
schwere Zwangserkrankungen, Abhängig-keitserkrankungen) mit Psycho,Neuropharmaka betrifft. (Nutt, 2011, Hasler, 2012)
Bei der Suche nach einer Verbesserung der Eingriffstiefe und der
Eingriffsgenauigkeit bei schweren neuropsychiatrischen Erkrankungen
haben die technischen Verbesserung der bildgebenden Verfahren
(Neuroimaging) (Goldberg, 2013) und der neurochirurgischen Interventionsmöglichkeiten (Huber, 2008), eine Zusammenarbeit von
Psychiatern (Habel, 2002), Neurologen, Neurochirurgen, Neuropsychologen und Neurotechniker forciert, woraus die Erforschung von
„Electroceuticals“ (Reardon, 2014) möglich wurde. Neurostimulation mit
der Nanotechnik und Molekulargenetik zu verbinden hat zu einem neuen
industriellen (Glaxo Smith Welcome) und universitären Forschungsinteresse geführt. Insbesondere durch den erweiterten Einsatz neuromodulierender Verfahren (DBS, THS) bei Bewegungsstörungen, und bei
psychiatrischen Erkrankungen, sowie im Bereich des
Neuroenhancements (Lipsman, 2009, Zimermann, 2010), entstehen neue
neuroethische Herausforderungen.
Hirnforschung und Eingriffe in das Gehirn müssen medizinethische
Argumente berücksichtigen um die medizinischen Studien und Indikationen
zu rechtfertigen (Adorno, 2009, Hasler, 2012, Hilgendorf, 2013).
„Wichtig ist vor allem die Frage, ob Hirngewebe als materielles Substrat für
menschlichen Geist und für die Persönlichkeit eines Menschen interpretiert
werden.“ (Schneider, 1995, S.79) Grenzfragen der menschlichen Existenz,
insbesondere
im
Bereich
neurologischer
und
psychiatrischer
Erkrankungen,
müssen einem normativen Diskurs unter-zogen
werden.(Fuchs, 2008, Fuchs, 2013) Dafür geben insbesondere Fragen zur
Leib-Seele Problematik, zur Mensch-Maschine Problematik, zur
Biologismus – Kontroverse in der Psychiatrie, und nicht zuletzt die
historischen Fehlentwicklungen der Hirnforschung und ,-elimination im
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
3
Bereich der Psychiatrie, während und nach dem zweiten Weltkrieg
(Johnson, 2009, Levy, 2008, Mashour, 2005, Meier, 2009, Schmuhl, 2001)
Anlass zu einer differenzierteren Darstellung.
Eingriffe in das Gehirn bedürfen neben sorgfältig abgewogenen
medizinischen (neuropsychiatrischen/neurochirurgischen) Indikationsstellungen in einem Arbeitsteam, vordringlich einer Rechtfertigung, auf dem
Hintergrund normativer Handlungsregeln.(Singer, 2002, Müller, 2009,
Merkel, 2007, Linke, 2000 ,140f, Hilgendorf, 2013, Clausen, 2009,
Goodman, 1991, Ford, 2009)
Thesenbildung:
Wie lässt sich der
Einsatz operativer Gehirninterventionen bei
neuropsychiatrischen Erkrankungen rechtfertigen?
Welche neuroethischen Problemfelder ergeben sich bei Eingriffen in das
menschliche Gehirn bei der tiefen Hirnstimulation (THS, DBS)?
Können mit einer medizinethischen normativen Analyse Kriterien zur
Verbesserung der Handlungsregeln bei THS (DBS) gewonnen werden?
II. Chirurgische Eingriffe als therapeutische Verfahren in der Neurologie
und Psychiatrie
1. Historischer Überblick zur Neurowissenschaft
1.1 Von der Psychochirurgie zur Neurostimulation: Elimination versus
Neuro-Modulation
1.2 Das Gehirn als Forschungsgegenstand
Der Gegenstand der Hirnforschung ist das Hirn, „was sich unter der
Schädeldecke befindet“ ... und das Hirn als Organ „mit funktionaler
Bedeutung.“ Janich gibt zu bedenken, dass „weder das Hirn noch seine
Teile Naturgegenstände, sondern hochkomplexe Konstrukte technischer
und begrifflicher Bemühungen zu bestimmten wissenschaftlichen Zwecken“
sind.“ (Janich, 2009, S. 40 f)
Aus Sicht des Medizinhistorikers wird die Seele seit dem 17. Jahrhundert
„mit festen Strukturen des Gehirns in Verbindung gebracht.“ (Schott, 2002)
Descartes (1596 – 1650) sah die Zirbeldrüse (Corpus pineale) als den Sitz
der Seele an, und Th. Willis (1621 bis 1675) „verlegte das Seelenorgan
noch eindeutiger in die festen Hirnsubstanzen (Schott, 2002, S. 1420) Der
Gemeinsinn wird in die Streifenkörperchen, die Einbildungskraft in den
Balken, und das Gedächtnis in der Hirnrinde lokalisiert („DreikammerModell“). Ende des 18. Jahrhunderts publizierte T. Soemmerring (1755-
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
4
1839) „Über das Organ der Seele“ eine Wiederauflage der Ventrikellehre,
und wurde von I. Kant kritisiert mit dem Argument, dass sich „die Seele nicht
selbst im Raum „anschaulich machen“ (könne), da sie sich hierzu selber
zum Gegenstand ihrer äußeren Anschauung machen müsste, was sich
widerspreche.“(zitiert in Schott, 2002, S. 1421). Große publizistische
Erfolge gingen zur selben Zeit von dem Wiener Arzt Joseph Gall aus (1758
– 1828), der eine „Organologie“ des Gehirns entwickelte und postulierte,
dass sich der „Schädelknochen seiner Form nach der Hirnoberfläche
anpasst“, und somit lokalisatorische Passungen zwischen Fähigkeiten und
Schädelformung („Kranioskopie“) bestehen. Von Johann Kaspar
Spurzheim (1776 – 1832) wurde die „Schädellehre“ als „Phrenologie“
bezeichnet und erfreute sich zur damaligen Zeit eines gesellschaftlichen
Amüsements. Die Bedeutung der „Phrenologie“ wird von Schott in deren
Einarbeitung in die „physische Anthropologie“ des 19. Jahrhunderts mit der
„Rassenbiologie und späteren Rassenhygiene“ gesehen, und „erstmals
wurde die hirnphysiologische beziehungsweise anthropologische
Bedeutung der Hirnrinde grundsätzlich anerkannt ... (was) “den Weg für
die Lokalisation von Gehirnfunktionen bahnte ... und die hirnanatomische
Ausrichtung
psychiatrischer
Forschung
(„Hirnpsy-chiatrie“)
im
ausgehenden 19. Jahrhundert einleitete.“ (Schott, 2002,S.1422) Zur
gleichen Zeit wurde die Tiefenpsychologie, hervorge-gangen aus der
„romantischen Naturphilosophie“ mit der Beschreibung des „Unbewussten“
(C.G. Carus) als Baustein der Psychoanalyse und der Psychosomatik
begründet.
Die „Gehirnhypothese“ (Platon, Hippokrates) war mindestens bis zur
Renaissance (Vesalius 1514 – 1564) in Konkurrenz mit der
„Herzhypothese“ (Aristoteles) bestimmende, und die Ventrikelhypothese
von Galen (1. Jhd. N. Chr.) dominierte bis zu Descartes (1596 – 1650)
(lokalisiert den Geist in die Epiphyse, die den Fluß der animalischen Geister
in den Ventrikeln kontrollieren) die „Geist – Seele“ Vorstellungen. Tier –
Mensch – Vergleiche und systematische Vergleiche von klinischen
Anamnesen und Hirnbefunden (Wepfer 1620-1695) ermöglichten Spekulationen zu funktionell lokalisatorischen Bestimmungen. Insbesondere von
den schottischen Philosophen Reid (1710-1796) und Steward (1753-1828),
und von den Anatomen Gall (1758–1828) und Spurzheim (1776-1832),
wurden die funktionellen anatomischen Strukturen, von denen nur die
Sprachregion weiterhin ernsthaft beachtete wurde, beschrieben. Mit
Lokalisationsstudien (Flourens 1794-1867) mit Gehirneliminationsstudien
an Vögeln) wurden die Gehirnstrukturen funktionell ausdifferenziert, und
das Großhirn als der Sitz der Intelligenz, das Cerebellum mit der
Koordinationsfunktion und die Medulla oblongata als Grundprinzip des
Lebens definiert (bei dessen Elimination der Tod eintritt). Von Bouillard
(1796-1881) wurde der Frontallappen mit der Sprachfunktion korreliert, und
M. Dax (1836) hielt einen Vortrag über die Sprachbewegung der linken
dominanten Hemisphäre. P.Broca (1824-1880) betonte die linksseitige
Hemisphärendominanz, zusammen mit Wernicke (1848-1904), sodass
anatomische Studien mit klinischen Fallstudien korreliert wurden (Dejerine,
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
5
1892 definiert die Dyslexie; Liepmann, 1900 die Apraxie).4
Anfang des 20. Jahrhunderts, mit zunehmender akademischer Etablierung
der „Neuropsychologie“ (der Begriff wird W.Osler (1913) zugeschrieben,
H. Klüwer (1933), D.O. Hebb (1949) , kam es zu einer Relativierung der
„Lokalisations–Theorie“ durch die „Äquipotenz–Theorie“ (H. Head, K.
Goldstein, I. Pawlow, K. Lashley), welche mit Hilfe psychologischer
Experimente mit Labyrinthversuchen die Unterteilung in Gehirnareale als
bedeutungslos postulierte. Der „zelluläre Konnektionismus (J. HughlingsJackson,1835-1911) systematisierte das Nervensystem und etablierte
dessen hierarchisch funktionell geschichtete Organisationsstruktur. (Kolb,
1993, Kandel, 1996, Dudel, 2001) Inzwischen wurden die lokalisatorischen
Ansätze durch Netzwerkstruktur Hypothesen ersetzt, wobei je nach
Problembewältigung und Input – Output Erfordernis synchronisierte
Hirnaktivitätsmuster in wechselnder Arealbeteiligung aktiviert werden.
(Singer, 2002)
Parallel hierzu haben die technischen Entwicklungen zur „elektrischen
Theorie“, zur „Neuronenhypothese“, zu den „Färbetechniken der
Nervenzellen“, sowie die Entwicklung der „bildgebenden Verfahren“, sowie
die Differenzierung der „Analyseebenen der Neurobiologie“, einschließlich
der Computertechniken, entscheidend zum Erkenntnis-fortschritt
beigetragen. Bereits S. Gray (1731) erkannte, dass der menschliche Körper
elektrisch geladen werden kann, wobei A. von Humboldt (1769-1859) über
die „animalische“ Elektrizität der Nerven publizierte. L.Galvani (1791) wird
der Begriff der Bioelektrizität zuge-schrieben. Die elektrischen GehirnExperimente an Tieren (R. Caton, 1857), und die Studie „Über die
elektrische Erregbarkeit des Cerebrum“ von G.T. Fritsch (1839-1929), E.
Hitz (1838-1907), wurden 1929 klinisch von Hans Berger nutzbar gemacht
(„Über das Elektroencephalogramm des Menschen“). Seit 1936 wurden
„elektromechanische Dualrechner“ von Louis Couffignal und dem
deutschen Ingenieur Konrad Zuse (1910-1995) entwickelt, und im Interesse
der Industrie und der Militärforschung weiterentwickelt. In der
Nachrichtentechnik wird auf die „mathematische Theorie der Information“
von Claude Shannon und Warren Weaver (1949) Bezug genommen
(Janich,2009, S.66) Insbesondere das „Konzept der programmgesteuerten
Universalrechner“ (Alan M. Tuning (1912-1954) und die Weiterentwicklung
zum „von-Neumann-Computer“ führte zur „Forschungsrichtung des
„künstlichen Lebens“ im Sinne eines Computermodells des Lebens, wobei
die
enorme
Entwicklung
der
Rechnerkapazitäten
und
der
Rechnergeschwindigkeit zur Entwicklung „virtueller Welten“ beigetragen
haben. (Mainzer,2010, S. 31 ff) Die Verbindung der Neuronentheorie des
Gehirns
mit
der
Kognitionswissenschaft
basiert
auf
der
„Neuronenhypothese“ von F. Fontana (1781), der die Nervenfasern aus der
Gehirnmasse heraus-differenzierte, und Camillo Golgi (1875) gelang mit
4 Die bisherigen Ausführungen sind der Darstellung von DRÜHE-WIENHOLT, C. 1997. Geschichte und
Entwicklung der Neuropsychologie. Neurol Rehabil, 76-81. entnommen.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
6
der Silbernitratfärbung die histologische Darstellbarkeit der Nervenzellen,
woraus sich die Neuronentheorie (Ramon y Cajal (1852-1934) anatomisch
etablierte (der Begriff des Neuron wird W. Waldayer (1891) zugeschrieben.
Die Technik des Mikroskopierens, die Herstellung und Beschreibung
anatomischer und histologischer Präparate, bestimmten die Deutung und
die medizinische Verwertung der Erkenntnisse vom menschlichen Gehirn.
Bahnbrechend war die „Netzwerktheorie“ von Hebb (1949), der eine
assoziative Lerntheorie einzelner Zellen, die gleichzeitig aktiviert werden,
und hiermit ein funktionelle Netzwerk bilden, im visuellen System
beschreiben konnte. W.McCullogh und W. Pitts (1943) führten den Begriff
der „Informationsverarbeitung“ in Verbänden von Nervenzellen ein, wobei
Rumelhart und McClelland (1986) „neuronale Netzwerke mit
neurobiologischen und neuroinformationellen Aspekten“ in der neurowissenschaftlichen Diskussion weiterentwickelten.
„Robotik und KIForschung bauen die ersten „Maschinen“ nach dem Design dieser
Netzwerke.“ (Mainzer, 2010,S.238) Ca.1950 führte W. Penfield die
Elektrostimulationen am Cortex von Epilepsiepatienten systematisch bei
Operationen durch, und konnte das Modell eines sensomotorischen
Homunculus beschreiben, was das funktionelle „Bild vom Gehirn“ in der
neurologischen Praxis befruchtet hat. Der Schritt von der histologisch
anatomischen cytoarchitektonischen Methode von Korbinian Brodmann
(1908) (52 Areale oder Felder des menschlichen Gehirns) (Kandel, 1996)
bis zu dem „Gehirn-Atlas im Internet“ zeigt den technischen und
methodischen Fortschritt, ermöglicht durch die anwachsenden Speicherkapazitäten und Rechnergeschwindigkeiten der nun folgenden Computer
Generationen. „The BrainSpan Reference Atlases are full-color, highresolution, Web-based digital brain atlases accompanied by a systematic,
hierarchically organized taxonomy of developing human structures.“(www.brain-map.org) Die gewählten Visualisierungsverfahren, die
experimentell gewonnenen Daten der kognitiven Neurowissenschaften und
deren Generalisierbarkeit, sowie die Anwendung der Forschungserkenntnisse in der medizinischen Praxis bedürfen einer eingehenden
kritischen erkenntniswissenschaftlichen Bearbeitung, zur Vermeidung von
Fehlschlüssen. (Huber, 2009b)
Molekurlarbiologische, genetische, anatomische und Verhaltens,Entwicklungsaspekte werden zusammengeführt und sind für wissenschaftliche Fragestellungen zugänglich. Die Kombination bildgebender
Verfahren (MRT, fMRTI, PET) mit moderner Computertechnik (Algorithmen) soll es ermöglichen mit Hilfe der Hirnaktivität („Brain Reading“) die
Gedanken von Probanden zu lesen. Die finanziellen Ressourcen und
Interessen sind vorwiegend außerhalb der Universitäten. Aufschlüsse für
bestimmte Krankheitsdispositionen, aber auch die Abdeckung versicherungswirtschaftlicher und militärischer Interessen sind möglich. (Haynes,
2007, Clausen, 2009) Die funktionelle Bildgebung des Gehirns (fNMRI, PET
u.a.) ist inzwischen zum Standardverfahren der neurokognitiven Forschung
in der Psychiatrie (Spitzer, 1998) geworden, in Kombination mit der Genetik
(„imaging genetics“) und der Informatik („computational neuroscience“), um
psychopathologische
Zusammenhänge
bei
neuro-psychiatrischen
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
7
Krankheiten besser erklären und behandeln zu können. (Walter, 2013) Zur
Frage der Menschenwürde und den anthropologischen Herausforderungen
ergeben sich hieraus neue kritische Analysen. (Goldberg, 2013)
„Komplexe Netzwerke und Cyberphysic Systems durchdringen bereits
unseren Alltag und unser Leben. Sie sind die Maschinen, mit denen die
Menschheit in einem Superorganismus zusammenwächst.“ (Mainzer, 2010,
S. 235) Rheinberger lässt in seiner „Epistemiologie des Konkreten. Studien
zur Geschichte der modernen Biologie“ das Zusammenspiel von
„wissenschaftlichen
Instrumenten“
und
den
„wissenschaftlichen
Gegenständen“ eindrucksvoll nachvollziehen. (Rheinberger, 2006)
Gedanklich wurde im „Substanzdualismus“ Descartes (1596 – 1650)
(ontologischer Dualismus mit einer unsterblichen Seele) der menschliche
Körper und mit ihm das Hirn frei gegeben für eine beobachtende
analytische Zugehensweise, wie sie von dem französischen Arzt und
Philosoph Julien Offray de La Mettrie („Die Maschine Mensch“, 1751)
theoretisch gegründet auf Mechanik (Physik), Chemie, Anatomie und
Physiologie ausformuliert wurde (monistischer Materialismus). Somit
wurden Maschinen und Automaten („ein Apparat, der selbständig
Leistungen vollbringen kann“ ebd., S. 19) im 17. Und 18. Jahrhundert „ein
bekanntes Deutungsmuster der Natur.“ (Mainzer, 2010, S.18) Eine
Reduktion des Lebendigen auf die Mathematisierung ist mit der
traditionellen Anschauung von Aristoteles (384-322 vor Chr.) und einer
Betrachtung des Lebens unter der Selbstorganisation (Teleologie) nicht zu
vereinbaren, was für die medizinischen Konzepte bis zur Renaissance
bestimmend war. Die Kritik von Imanuel Kant (1724 – 1804) sieht in der
Determiniertheit des mechanistischen Weltbildes keinen Platz für die
menschliche Willensfreiheit und für autonom verantwortetes Handeln mit
Pflichten, im Sinne einer Urheberschaft in Willensfreiheit, mit der Gefahr
einer Instrumentalisierung des Menschen. Anfang des 19. Jahrhunderts
wurde dies von den „romantischen Naturphilosophen“ (Friedrich Wilhelm
Schelling (1775 – 1854) aufgegriffen, die „Organisation und Reproduktion
als Kennzeichen des Lebendigen herausstellen.“ (Mainzer, 2010,S.27) Die
Evolutionstheorie von Charles Darwin (1809–1882), der die Idee von
Herbert Spencer (1820-1903) und Jean-Baptist de Lamarck (1744-1829)
vom Durchsetzungsvorteil einer Art durch biologische Fitness (Selektionsvorteil) aufgriff, passte sich in die Zeit des Frühkapitalismus und der
massenhaften Verelendung der unterprivilegiert Schwachen der Gesellschaft ein (Sozialdarwinismus nach Ernst Haeckel (1834-1919). Eine
Brutalisierung durch die „Trias von Therapie, Eugenik und Euthanasie“ bei
der Hirnforschung (Hugo Spatz, Julius Hallervorden, Wilhelm Tönnis, u.a.)
und die Anstaltsverwahrung psychiatrischer und neurologischer Patienten
bereitete die Vernichtung „unwerten Lebens“ in der NS–Zeit vor. Bereits
von Benedict-Augustine Morel wurde das „Konzept der Degeneration“
(1857) aus der Zoologie mit der „Sozialhygiene“ verbunden, und später von
den „Eugenikern“ aufgegriffen. „Von Sozialhygienikern, die ent-schlossen
waren, „Schwachsinn“ durch Sterilisation auszurotten, und von
faschistischen politischen Kräften, die darin eine Chance sahen, ihren
gewaltigen Haß gegen „entartete“ Gruppen wie Juden und Homosexuelle
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
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auszuleben.“ (Shorter, 1999,S.155) Von dem Mediziner Alfred Ploetz (1860
– 1940) wurde der Begriff „Rassenhygiene“ gebraucht, „um das Vorhaben,
die gesunde „Vitalrasse“ zu erhalten und durch Selektionsmaßnahmen im
Sinne der „natürlichen Auslese“ das „Rassenwohl“ zu fördern.“ (Schott,
Tölle, 2006, S.110).Über 260 000 Patienten fielen einer industriellen
Vernichtung unter Mithilfe der Ärzte zum Opfer. Besondere Möglichkeiten
eröffneten sich für die an der typologischen Untersuchung von Hirnen
interessierten Forscher (Vergleich von kranken und „Elitegehirnen“) durch
den Zugang zu Drittmittel-förderungen (Militär). Ursprünglich war das
Forscherehepaar Oskar und Cécile Vogt an der
Zuordnung von
Rindenfeldern zu bestimmten Hirnfunktionen mit dem Ziel einer
„Feinanalyse der individuellen Physiognomie der Hirnrinde“ interessiert. Die
Auslese und Vernichtung „unwerten Lebens“
nach klinischen
Beobachtungen gab den beteiligten Ärzten die Möglichkeit die Hirne der
getöteten zu untersuchen. „Dies setzte voraus, dass sich die beteiligten
Forscher
über elementare allgemein- und berufsethische Normen
hinwegsetzten.“ (Schmuhl, 2001, S. 1240)5 Nach dem zweiten Weltkrieg
fanden bioethische Prinzipien (Beauchamp, 2009) und die Leitidee der
Menschenwürde (Joerden, 2013) und das bioethische Prinzip der
Autonomie (informed consent)(Breitsameter, 2011) in der biologischen
Forschung und in der medizinischen Praxis zunehmende Bedeutung.
(Synofzik, 2004, Birnbacher, 2006, Beauchamp, 2009, Schulz, 2006,
Wiesing, 2010, Paul, 2013)
Mit dem Eindringen der Neurowissenschaften in wissenschaftliche Bereiche
der
Philosophie,
Jurisprudenz,
Soziologie,
Psychologie,
Wirtschaftswissenschaften, und der öffentlichen Präsentation der
empirischen Befunde als Evidenzen, wächst die Verwobenheit und
Überlagerung mit individuellen (partikularen) Interessen. Bewusstsein,
Kognition, Willensfreiheit, Schuldfähigkeit, Autonomie und Determiniertheit, das Menschenbild,
werden zur Disposition gestellt.
(Metzinger, 2005a, Pauen, 2004, Herrmann, 2005, Singer, 2002, Searle,
2004, Damasio, 2006, Dennett, 2010, Roth, 2007, Nagel, 2013, Janich,
2009)
Eine wissenschaftstheoretische Einordnung der Hirnforschung kann hier
nicht geleistet werden. Soweit nachvollziehbar waren bereits Mitte des 19.
Jahrhunderts die „Erfahrungswissenschaften neben ihren eindrucksvollen
Erfolgen in eine Vielzahl von Grundlagenkrisen geraten ... (und) „haben
die Aufmerksamkeit der Fachwissenschaften auf ihre eigenen begrifflichen
Grundlagen und empirischen Methoden gerichtet.“ (Janich, 2009 , S.140f)
Von dem Labormediziner Ludwik Fleck (1935) wurde eine Begriffsanalyse
der „wissenschaftlichen Tatsache“ mit deren historischer und
5 Kölner Stadt Anzeiger vom 02.09.2014: Gedenkort in Berlin . Denkmal für Euthanasie- Opfer enthüllt (Katja
Tichomirowa): „In Berlin erinnert seit Dienstag ein Denkmal an die Opfer der Euthanasie im Nationalsozialismus
... Denn von Berlin-Tiergarten ging die Ermordung von mehr als 200.000 Menschen aus ... Die Überlebenden
der Aktion T4 wurden nach 1945 ein weiteres Mal zu Opfern, diesmal der bundesdeutschen Nachkriegsjustiz, die
bei Entschädigungsregelungen das „Erbgesundheitsgesetzt“ der Nationalsozialisten noch als Rechtsgrundlage
betrachtete.“(http://www.ksta.de/politik/-dedenkort-in-berlin-denkmal-fuer-ehthanasie-opfereingeweiht,15187246,28293762.html, aufgerufen 07.09.14 09:21);
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
9
gesellschaftlicher Bedingtheit für die Wissensproduktion empirischer
(naturwissenschaftlicher) Befunde beschrieben, und von Thomas S. Kuhn
(1962) in einer „Historisierung und Soziologisierung der
Wissenschaftsgeschichte als Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen
und der Paradigmenwechsel“ aufgegriffen. (Janich, 2009, S.142)6
Dem „tief greifenden Wandel in Forschungspraktiken“ seit dem 20.
Jahrhundert geht Paul für die Biomedizin und Lebenswissenschaften nach,
indem er die Rationalitäten der Wissenschaftsproduktion (Gegen-stände,
Hypothesen, technologische Rationalitäten, informationelle Realitäten,
Rationalitäten des Interesses) einer kritischen Analyse unter-zieht, und
insbesondere auf die „wachsende Entfernung der Forschungs-praxis von
der Alltagswelt, die zunehmende Virtualisierung aber auch die wachsende
Selbstreferenzialtiät“ und die „extern, sozial und politisch eingebetteten
Verfahren“ empirisch biologischer Befundgewinnung, und deren
„Nützlichkeit und Relevanz“, hinweist. Hierdurch ergeben sich
Veränderungen der Konzepte Gesundheit, Krankheit und Lebensqualität
und der medizinischen Praxis auf die Schramme ebenso hinweist. Auf die
Perpetuierung naturalistischer Fehlschlüsse wird eingegangen. (Paul,
2006, Paul, 2009, Schramme, 2012)
Die „empirischen Befunde“ zur Hirnforschung lassen sich entsprechend den
historisch–gesellschaftlich
bedingten methodisch-technischen Möglichkeiten von einem tastbaren, schneidbaren, tragbaren und beobachtbaren „natürlichen“ Hirn im Sinne eines anatomisch – klinischen Blicks,
zu einem zunehmend unter Laborbedingungen kontrollierten, gesteuerten
und für bestimmte Zwecke (insbesondere mit vorwiegender
Anwendungsorientierung) „technisch hergerichteten“ Gehirn nachvollziehen. („Biofakt“, Karafyllis, 2005). (Müller, 2009, Huber, 2009a)
1.3 Chirurgische Eingriffe in das Gehirn: Historischer Überblick zur
Psychochirurgie und Hirnmodulation
Historisch sind Eingriffe in das Gehirn seit 2500 bis 3000 v.Chr. auf
Papyrusrollen aus Ägypten mit 48 Fallstudien von traumatischen
Hirnläsionen dokumentiert, und Trapanationen wurden von Schamanen
ritualisiert ausgeführt. (Kolb, 1993, Robinson, 2013). „Since the beginning
of human existence, the desire to modify human behavior and consciousness through indirect or direct physical intervention has been a „holy grail.“
(Robison,R.A.u.a., 2013, S.2)
Läsionsstudien im 18. Und 19. Jahrhundert (Flourens, 1794, Bouilland,
1796, Dax, 1836) sowie das zusammenbringen „fester Strukturen des
Gehirns“ mit der „Seele“ seit dem 17. Jahrhundert (Schott, 2002),
„phrenologischen Studien“ von F.J.Gall (1819), und die programmatische
6 1Ludwik Fleck, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom
Denkstil und Denkkollektiv. Basel: B. Schwabe 1995; Thomas S. Kuhn, Historical Structure of Scientific Discovery,
Science 136 (1962), 760-764.)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
10
Aussage „Geisteskrankheiten sind Gehirnkrankheiten“ (Wilhelm Griesinger
(1817-1868)7 bilden u.a. den historischen Hintergründe für
die
experimentelle klinische hirnchirurgische Forschung an psychiatrisch
Kranken. (Griesinger, 1845) Die Sozialgeschichte der Psychiatrie (Dörner,
1969) lässt die Einbettung der Behandlung von seelischen Krankheiten in
die sozio–ökonomischen Lebensbedingungen und die vorherrschenden
gesellschaftlich akzeptierten Normen im zeitlichen Wandel nachvollziehen.
Insbesondere die Befreiung der Kranken aus den Ketten und die Forderung
nach einem „traitement moral“ oder auch „regime moral“ (aus heutiger Sicht
weiterhin brutal anmutende Methoden) von Pinel (1745-1826) und dessen
Schüler Esquirol werden als Landmarken eines „humaneren Umgangs“ mit
den seelisch Kranken angeführt. Die Psychiatrie ging seit Anbeginn in zwei
Richtungen. Einerseits die biologische Ausrichtung mit der Erforschung der
Anatomie, Chemie und der Medikation und der biologischen Behandlungen
im
Sinne
einer
Neurowissenschaft,
und
andererseits
die
sozialpsychiatrische Ausrichtung, die sich
den psychosozialen
Zusammenhängen, den persönlichen Geschichten, und den „seelischen
Nöten“ der Patienten widmeten (Johann Christian Heinroth als erster
psychiatrischer Lehrstuhlinhaber in Leipzig 1811). „Die psychosoziale
Sichtweise entwickelte Heinroth aus seiner Fixierung auf Moral und Sünde.“
(Shorter, 1999, S.57) Anderseits befasste sich der Neurologe Paul Flechsig
(1877) als dessen Nachfolger in Leipzig insbesondere mit der
Gehirnoberfläche und der Einteilung in die Sinnes- und Assoziationsfelder.
Um 1800 gab es noch wenige Asyle für Geisteskranke („IrrenHeilanstalten“), und diese waren meist in ländlichen Gebieten angesiedelt,
weit weg von den Universitätskliniken, was sich in der folgenden Zeit
änderte, und diese sollten „als Schauplatz der angewandten Psychiatrie“
eine „zentrale Rolle“ spielen. (Shorter, 1999, S.61). „Wo die
neurowissenschaftliche Psychiatrie immer mehr pathologische Zustände
entdeckte, sieht die sozial-psychiatrische ein gesellschaftliches Universum,
das Abweichungen immer weniger toleriert.“ (Shorter, 1999,S.59) Die
„empirische naturwissenschaftlich-medizinische Fundierung der Psychiatrie
setzte um 1800 mit der französischen Schule ein. Antoine Bayle erhob die
ersten Befunde zur Klärung einer Hirnkrankheit ... später progressive
Paralyse genannt wurde.“ (Schott, Tölle, 2006, S.80)
Der Begriff Neurologie geht auf Thomas Willis (1621-1675) zurück. In
Deutschland wurde die Fachbezeichnung von Moritz Romberg (1795-1873)
und Hermann Oppenheim (1858-1919) (Neurologie, Nervenheilkunde)
eingeführt, und die Bezeichnung „Nervenarzt“ entstand um 1900. Die
akademischen Fächer Neurologie und Psychiatrie entwickelten sich in der
folgenden Zeit in Deutschland je nach schulischer Ausrichtung mit einer
oder getrennter Professur mit Vorteilen (fachlich verwandte Fächer arbeiten
7 „Der biologischen Ausrichtung der Psychiatrie hat Griesinger zum Durchbruch verholfen und dem
somatischen Faktor in Ätiologie und Diagnostik psychischer Krankheiten seinen Stellenwert zugewiesen. Die
biologisch-psychiatrischen Thesen Griesingers werden im Allgemeinen als seine größte, wenn nicht gar einzige
Leistung hingestellt. Der dabei häufig zitierte Satz „Geisteskrankheiten sind Gehirnkrankheiten“ kommt jedoch
in Griesingers Schriften nicht vor. „ (Schott, Tölle, 2006, S. 70)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
11
zusammen) und Nachteilen (Anwachsen des spezifischen Fachwissens).
(Schott, Tölle, 2006, S. 91ff)
Die technischen Fortschritte neurochirurgischer Methoden, die Etablierung
der Psychiatrie und Neurologie als medizinische Wissenschaften, die
gesellschaftlichen
Forderungen
einer
gesundheits-ökonomischen
Ausrichtung der Krankenbehandlung, ermöglichten (Übergang zum 19.
Jahrhundert) in Europa und in
Amerika die Erforschung des
Zusammenhangs zwischen anatomischen Hirnstrukturen und deren
Funktion.(Mashour, 2005)
In den Anfängen wurde die Psychiatrie auf die Neurologie begründet und
biologische Ansätze dominierten. Mit Hilfe klinischer – anatomischer
Studien versuchte u.a. Carl Wernicke (1881) die Symptome psychiatrischer
Patienten bestimmten Regionen des Gehirns ohne hinreichende
Aussagekraft zuzuordnen.
Im sozioökonomischen Kontext einer
ansteigenden Zahl von asylierten Patienten (1937 in den USA 450.000
Patienten in 477 Anstalten) und den damit verbundenen finanziellen
Belastungen, so wird von Shorter (1999) und
Robison u.a. (2013)
argumentiert, werden neben den funktionellen Ansätzen im Anschluss an
S. Freud (1856-1939), insbesondere die somatisch therapeutischen
Ansätze im Anschluss an Emil Kraepelin (1856 – 1926) (Insulinschock,
Metrazol induziertes Koma, Malaria Kuren, Elektroschocktherapie) wegen
deren relativ einfachen und kostengünstigen Handhabung breit eingesetzt.
Auf das Schicksal der Asylinsassen und die soziologischen und
sozialpsychologischen Hintergründe (Stigmatisierungen), sowie die damit
verbundene Beschä-digung der „Identität“ der Patienten wird zu einem
späteren Zeitpunkt in den Darstellungen von Goffman kritisch eingegangen.
(Goffman, 1973, Goffman, 2010)
Die Entfernung von
„spezifischen Cortexarealen“ wurde von dem
schweizer Psychiater Gottlieb Burckhardt (1888) als „Psychochirurgie“ an
sechs „unbehandelbaren“ (aggressiven) psychiatrischen Patienten als
„topectomie“ (Temporal, und Parietallappen) durchgeführt. Es wurde
lediglich von drei erfolgreich operierten Patienten berichtet, zwei mit
teilweisem Erfolg, und einem tödlichen Ausgang. 1910 publizierte der
estische Neurochirurg Lodovicus Puusepp drei Eingriffe an manischen
Patienten mit einer Durchtrennung der Hirnstrukturen zwischen dem
frontalen und parietalen Hirnlappen. Alle drei Patienten verstarben. Die
Berichte stießen auf heftige Kritik nach deren Präsentation auf Kongressen
(von einer Publikation wurde abgesehen) und das Vorgehen wurde
angeblich nicht weiter fortgeführt. (Robinson, 2013)
Der Wegbereiter der „frontalen Lobotomie“ John Farquhar Fulton und sein
Mitarbeiter Carlyle Jacobson (1930) erforschten die „Landkarte des
Primatenhirns“ und stellten die Ergebnisse auf dem zweiten Internationalen
Neurologen Kongress 1935 in London vor. Sie entfernten unilateral und
dann bilateral den frontalen Cortex an zwei Schimpansen und notierten als
Resultat, dass die Primaten kein emotionales Verhalten mehr zeigten und
keine Frustration zeigten, wenn ihnen Nahrung vorenthalten wurde.
(Robison, 2013, S.6) Der portugiesische Neurologe Antonio Egas Moniz
(„leucotomy“) (Nobelpreis 1949), und der Neurochirurg Almeida Lima
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
12
initiierten, zusammen mit dem amerikanischen Neuropsychiater Walter
Freeman und dem Neurochirurgen James Watt (1936) („lobotomy“), in den
dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts die frontale Lobotomie an
psychiatrischen Patienten. Freeman praktizierte bis in die siebziger Jahre
mit spektakulären Auftritten (prominenten Patientinnen) ohne Beachtung
hygienischer Bedingungen, mit brachialen „Eispickeln“ („ice-pick
orbitoclast“) ohne Narkose, teilweise in Motels, indem er transorbitale
Zugänge („transorbital lobotomy“) wählte, und dies für jeden
praktizierenden Arzt zugänglich machen wollte.
Freeman unternahm postmortale Studien und stellte fest, dass es bei den
behandelten Patienten zu einer „retrograden Degeneration „in spezifischen
Thalamuszentren gekommen ist, sodass die „white matter tracts distributed
between the frontal lobes and projecting to the thalamus and other areas of
the cortex“ die spezifischen Eingriffsziele darstellen.“ (Robison, 2013, S.7)
Zwischen 1936 bis 1956 wurden geschätzte 60.000 Eingriffe in den USA
und ca 10.000 in Great Britain durchgeführt. „Even John Fulton, on whose
original work the procedure was based, acknowledged the potential
benefits, arguing that appropriate use of psychosurgery could save
American taxpayers $ 1 million per day...asking (Freeman) at one point,
„Why not use a shot gun?“ (Robison u.a., 2013, S. 8f) Adler definiert die
„Psychochirurgie“ als „chirurgische Eingriffe am Gehirn zum Zweck der
therapeutischen Beeinflussung von Erleben/Verhalten.“ (Adler, 1979, Adler,
2004) Die läsionellen lokalisatorischen Eingriffe wurden bei „nahezu allen
psychischen Krankheiten“ ... „in den Mutterländern der Demokratie“
(Adler, 2004) eingesetzt. Neben der Lobotomie, der Ausschaltung des
frontalen Hirnteils, wurde die Amygdala entfernt. Es wurden drei
verschiedene Formen von Lobotomien durchgeführt, die Minimale, die
Standard, und die Radikale. Die minimale Lobotomie wurde bei Patienten
mit „affektiven Symptomen“, und die radikale Lobotomie (posterior und
medial) bei schizophrenen Patienten und „treatment failures“ indiziert.
Häufig kam es zu unkontrollierten Blutungen, insbesondere bei den
medialen und posterioren Lobotomien, die häufig einen tödlichen Ausgang
nahmen, „as well as a constellation of associated neuropsychiatric changes,
including seizures and what was described as the „frontal lobe syndrom,“
consisting of apathy, inattention and socially inappropriate behavior.“
(Robison, 2013, S.8) 1942 publizierten Freeman und Watts bei 200
behandelten Patienten 63% postoperative Verbesserungen, 23% ohne
Veränderungen, und 14% mit negativem Ausgang. „Psychochirurgie“ wird
somit verstanden als ein chirurgischer Eingriff in das „gesunde (intakte)
Gehirn, die das Ziel verfolgte, psychische Symptome zu bessern.“(Meier,
2009, S.67) Die Indikationen zur Lobotomie wurden von Moniz bei
Zwangskranken und agitierten Depressionen gestellt (ursprünglich bei
Privatpatienten für die keine Hospitalisierung erforderlich war), wobei die
Methode dann in staatlichen psychiatrischen Insitutionen bei chronischen
schizophrenen Patienten eingesetzt wurde. Im Unterschied zu den
amerikanischen Indikationsstellungen im frühen Stadium der psychotischen
Erkrankung, wurde im deutschsprachigen Raum, wegen der hohen
Eingriffsrisiken, der relativ hohen Mortalitätsrate , sowie den
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
13
Persönlichkeitsveränderungen, „nur“ bei chronischen Kranken operiert.
(Meier, 2009, S.72) Ausgang zur Indikationsstellung war allerdings nicht die
Diagnose, sondern das Krankheitssymptom der „affektiven Spannung“,
einhergehend mit einer „Anpassungsstörung“ an die institutionellen und
sozialen Umwelt-erfordernisse.8 „Primäres Ziel des psychochirurgischen
Eingriffs war, psychisch Kranke wieder an die Ordnung inner- und
außerhalb der Anstalt anzupassen und sie zu integrieren, wobei Arbeit und
Erwerbsfähigkeit, aber auch Pflegeaufwand und Zusammenleben in der
Klinik eine zentrale Rolle spielten.“(Meier, 2009, S.76) Seit dem Ende des
zweiten Weltkriegs, so argumentiert M. Meier,(2009), setzte sich ein neuer
„Denkstil“ mit einem veränderten „Selbstkonzept“ in der Psychiatrie durch,
wobei nicht mehr von „abstrakten Krankheitsbildern“ sondern von
„Einzelschicksalen“ ausgegangen wurde.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurden technische Neuerungen in die
„Psychochirurgie“ eingeführt. Insbesondere wegen der ungünstigen
Nebeneffekte der läsionellen Eingriffe in das Gehirn (hirnorganische
Anfälle, Gewichtszunahme, Inkontinenz, Persönlichkeitsveränderungen),
sowie der Unzufriedenheit mit der Wirkung der ersten Neuroleptika
(Chlorpromazins, Resperpin) kam es zu einem häufigeren Einsatz neuerer
weniger zerstörender Eingriffe. Die „stereotaktische Lokalisation“ von
Hirnstrukturen und die Thermokoagulation des anvisierten Gehirngewebes
war aufgrund der verbesserten bildgebenden Verfahren und der
verbesserten neurochirurgischen Techniken (Stereotaxie) möglich. 9 Diese
konnte an die Stelle der Leukotomie seit 1964 die Subcaudatus-Tractotomie, die Cingulotomie (1951), die anteriore Capsulotomie (1949) und als
deren Kombination die „limbische Leukotomie“ (1973) treten. Anhaltende
Müdigkeit, Verwirrtheitszustände werden als Nebenwirkungen der Eingriffe
weiterhin dokumentiert. Insbesondere die Irreversibilität der Hirnzerstörung, sowie die unbefriedigende und unzureichende Transparenz der
Studien,- und Behandlungsberichte, das reduktionistisch eindimensional
organische Erklärungsmodell psychischer Erkrankungen limitieren die
Rechtfertigung der neurochirurgischen Hirnoperationen. „Diese psychochirurgischen Methoden haben gegenwärtig noch ein begrenztes
Indikationsgebiet ... bei schweren affektiven Störungen, Zwangsstörungen und auch Angststörungen, wenn alle somatotherapeutischen und
psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten ergebnislos angewandt
8 „Anpassung (engl. adaption, adjustment) ... mit dem allgemein der Prozeß der Erreichung von
Störungsfreiheit und den Verhältnissen von Lebewesen zu ihrer natürlichen bzw. sozialen Umwelt beschrieben
wird.“(Mittelstrass, J (Hrsg.) Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie 1, 1995, BdI, S. 119)
9 „Das Wort Stereotaxie beschreibt eine minimal invasive operative Behandlungsmethode, die es dem
Neurochirurgen erlaubt, nach bildgesteuerter, computerassistierter Berechnung mit Hilfe eines Zielgerätes
jeden beliebigen Punkt innerhalb des Gehirns hochpräzise zu erreichen.“ Es wird zwischen der onkologischen
und der funktionellen Stereotaxie, die „sich im wesentlichen der hochfrequenten Tiefenstimulation (DBS) nach
Implantation geeigneter Stimulationssysteme (bedient), unterschieden. (Http://neurochirurgie.ukkoeln.de/de/stereotaxie/operationsbereich aufgerufen 12.09.2014)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
14
worden sind.“ (Schott, Tölle, 2006, S.479)10 Angesichts der weiterhin
unbefriedigenden Versorgungsangebote für psychiatrische Patienten muss
das Kriterium der Therapieresistenz weiterhin kritisch bewertet werden.
„Vor allem in Deutschland wurde die Psychochirurgie gezielt bei
abweichendem Sexualverhalten durchgeführt, so etwa (auf eigenen
Wunsch) bei Homosexuellen oder bei strafgefangenen pädophilen
Triebtätern, die damit einer Sicherheitsverwahrung entgingen.“ (Stier,
2006,S.223f.) Lassen sich derartige medizinische Interventionen aus
heutiger Sicht noch legitimieren?
Verbesserungen der sozialpsychiatrischen Interventionsmöglichkeiten und
Auflösung der Heilanstalten und psychiatrischen Großkliniken, sowie das
Engagement zur Verbesserung des Schutz der Patienten vor
ungerechtfertigten Übergriffen in deren Bedürfnisse und deren Integrität
(Psychiatrie-Enquete) führten seit den 1960iger Jahren zu einer
Diskreditierung somatisch verstümmelnder medizinischer Interventionen
bei psychisch Kranken.
Auf den ersten Lehrstuhl für Stereotaxie und Funktionelle Neurochirurgie
wurde 1980 Herr Professor Dr. K. Nittner an der Neurochirurgischen Klinik
der Universität zu Köln berufen, nachdem die Abteilung für Sterotaxie und
Funktionelle Neurochirurgie 1970 gegründet wurde, zusammen mit der
Arbeitsgruppe „Medizinische Physik.“
Während sich die stereotaktischen Eingriffe bei onkologischen
Erkrankungen, bei neurologischen Bewegungsstörungen, Schmerzstörungen, Epilepsieerkrankungen in verschiedenen Zentren zunehmend
etablierten, ist die Indikationsstellung bei psychiatrischen Erkrankungen
weiterhin im innovativen Forschungsstadium angesiedelt.
Mit der verbesserten neurochirurgischen Technik (Minimalisierung,
Verbesserung der Zielgenauigkeit) ist die Forderung nach einer
Reversibilität der Intervention eher realisierbar geworden.
1.3.1 Die Tiefe Hirnstimulation (DBS)
Bei der tiefen Hirnstimulation (Deep brain stimulation, DBS) werden die
Elektroden (internes Interface) in der Regel beidseitig (bilateral) im Bereich
der Basalganglien stereotaktisch gezielt bei dem wachen Patienten
lokalisiert. Es wird ein eng umgrenzter Hirnbereich stimuliert (moduliert) um
„die pathologisch veränderten Erregungsmuster zu beeinflussen“ (Clausen,
2011, S. 15), und damit „zentrale neurologische Kreisläufe durch elektrische
Stimulation moduliert“ (Schläpfer u.a., 2014, S.135). Über vier getrennt
ansteuerbare Elektrodenkontakte werden Hirnstrukturen angesteuert,
deren Frequenz - Einstellung über einen Impulsgenerator (Implantation im
Brust- oder Bauchbereich) erfolgt. In der Diskussion sind die Zielpunkte
ventraler intermediärer Kern (VIM) des Thalamus, der Globus pallidus
10 Psychiatrische Chirurgie- auch funktionale Neurochirurgie-bezeichnet operative Eingriffe in das
Gehirn zur BBeeinflussung der Psyche. Beide Begriffe werden heute in Abgrenzung gegen die ältere und
vorbelastete Psychochirurgie verwendet, die mit eher groben Verfahren wie der Lobotomie oder der
frontalen Leukotomie operierte.“(Stier, 2006, S.220)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
15
internus (GPI), der subthalamische Kern (STN), sowie die Anzahl der
Elektroden und die Stimulationsfrequenz (Hochfrequenz > 100 Hz;
niedrigfrequent 60 Hz. (Benabid, 2007) „Die Rationale der THS beruht auf
der zunehmenden Erkenntnis, dass eine reine neurologische oder
psychiatrische Symptombildung auf Netzwerkstörungen der normalen
Informationsvermittlung beruht, die durch eine Neuromodulation korrigiert
werden können. Wegweisend war die Aufklärung der neuronalen
Dysfunktion der Basalganglien-Kortex-Schleife ... im Sinne von
„Rhythmusstörungen“ des Gehirns, die ganz ohne morphologischstrukturelle Veränderungen auftreten können ... deren „elektrochemische
Natur der Informationsverarbeitung im Nervensystem lange bekannt ist.“
(Schläpfer u.a., 2014, S.135)
Die „constant voltage“ Technik wird seit über 25 Jahren eingesetzt, mit den
Anfangen in der Schmerztherapie als rückenmarksnahe Stimulation, und
trotz des frühen Entwicklungsstadiums wurden bereits über 100.000
Patienten
weltweit mit der TSH behandelt. Vermittelt wird der
„therapeutische Effekt“ im Zielgebiet durch den fließenden Strom. „Der
hierbei wesentliche Parameter für die Messung des Therapieefektes ist das
aktivierte Gewebsvolumen. Das sog. „volume of tissue activated“, VTA) ...
noch nicht messbar, kann aber durch mathematische Verfahren
näherungsweise bestimmt werden.“ (Vesper, Slotty, 2014, S. 171) Es bildet
sich in den ersten Wochen der Elektrodenimplantation eine
Mikrogliaaktivierung und ein Flüssigkeitsfilm mit einer anschließenden
Gliose, sodass sich die Impedanz verändert mit dem Problem der
„Überstimulation“, was durch entsprechende einzelne Ansteuerung der
Elektroden und eine Impedanzkompensation (cave Ausfall einzelner
Kontakte) weitestgehend vermieden werden kann, damit der Stromfluss
über die Zeit konstant erfolgen kann. Forschungsgegenstand sind die
Prognostizierung
des
THS
Effektes
als
Funktion
der
Stimulationseinstellungen (direktionale, segmentierte Elektrodenvarianten)
um die räumliche Ausrichtung und verbesserte elektrische Feldmodulation
zu erreichen. Hierdurch soll eine verbesserte Kontrolle der
„Nebenwirkungen durch Beeinflussung benachbarter Strukturen“ erreicht
werden, da bekanntlich die ventrale Ausbreitung des elektrischen Feldes im
Nucleus subthalamicus (STN) limbische Fasern aktiviert und damit zu
„Stimmungsveränderungen und Impulskontrollstörungen“ führt, bei lateraler
Ausbreitung (kortikobulbärer Trakt) Dysarthrien und Gang-störungen
stimuliert werden, sowie bei medialer Ausbreitung (Lemniscus medialis,
N.occulomotoris
Kerne)
Mißempfindungen
und
Augenbewegungsstörungen induziert werden.
Bei allen heute verfügbaren technischen Systemen ist die „Präzision und
Stabilität der Therapie in unterschiedlichem Maße beschränkt“:
Elektrodenabstand (0,5mm; 1,5 mm); Elektrodenkontakte von einer
einzigen Stromquelle gespeist; Programmierung starrer Parameter.
(Vesper, Slotty, 2014, S.169f) Durch die Ausweitung der
Indikationsstellungen auf psychiatrische Erkrankungen und Epilepsien
sowie jüngere Patienten, Veränderung der Zielstrukturen („Faserbündel als
funktionelle Zielstrukturen“) ergeben sich bisher ungelöste Anforderungen
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
16
an die neuen Techniken (längere Laufzeiten der Generatoren und längere
Haltbarkeit der Hardware) mit Verbesserungen des Entladungsschutzes,
Einsatz wiederaufladbarer Systeme, Verbesserung der Datenerfassung
und der Programmierbarkeit, der Datenspeicherung. Bei der traditionellen
Programmierung wird mit dem Versuch-Irrtums–Vorgehen die individuelle
postoperative Einstellung zu erreichen versucht. Neuere Systeme
(visualisierte Programmierung) fusionieren die präoperative MRT – und
postoperative CCT Bildgebung mit „integrierten Atlasdaten („digitaler
standardisierter Stereotaxieatlas - Morel-Atlas“) und sollen eine
Verbesserung der Prognose der THS und einen konstanteren Stromfluss
ermöglichen. Sieh hierzu die kritischen Ausführungen. (Huber, 2009a,
Bennett, 2010a, Böhme, 2008) Durch eine „Interleaving-Stimulation“
(hochfrequent wechselnde Stimulation, zwei alternierende Programme;
differenzierte
Elektrodenkontaktansteuerung
mit
differenzierten
Impulsbreiten,- und Amplituden und Spannungen), einer Verbesserung der
Zielansteuerung (bis zu 8-poligen Elektroden) wird eine Individualisierung
und „Verbesserung des klinischen Outcomes“ technisch angestrebt.
Entscheidenden Beitrag zur stereotaktischen Ziel-regionsbestimmung hat
die Bildgebung (MRT, CCT, PET,fNMRI)11 erbracht, so dass die
Komplikationen durch das Verfahren wie Blutungen und Verletzungen von
Hirnstrukturen reduziert werden konnten. Zusätzlich spielt die Bildgebung
bei der „postoperativen Verifizierung der Elektrodenlage“ eine
„zunehmende Rolle,“ wobei die MRT- Gängigkeit der TSH–Systeme
(Reduzierung ferromagnetischer Elemente) und die Entwicklung
sogenannter „closed-loop-systeme“12 in die Zukunft weisen. (Vesper,
Slotty, 2014,S.173f) Die sicherheitstechnischen Anforderungen des
Gesetzgebers (Medizinproduktegesetz mit der höchsten Risikoklasse III,
Europäische Richtlinien) an Neuroimplantate werden bezüglich der
„Zielsetzung
ingenieurwissenschaftlichen
Handelns,
mit
den
Anforderungen an Material, „bioinertes Verhalten des Körpers“, technischer
Funktionalität und zukünftiger Möglichkeiten (Nanotechniken) von Stieglitz
eingehend diskutiert. (Stieglitz, 2009)13
Es drängen sich bei der Darstellung der technischen Möglichkeiten der TSH
anthropologisch–ethische Fragen auf. Angesprochen werden müssen
somit die Fragen zur Mensch–Maschine Kopplung, zur infor-mationellen
11 Neuroimaging-Bilder vom Gehirn und das Bild des Menschen. Öffentliche Tagung der NordrheinWestfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste 27.11.2013 in Düsseldorf. Aktuelle
Thematisierung des neurowissenschaftlichen, anthropologischen, ethsichen, medizinischen und rechtlichen
Kenntnisstandes (http:///www.ethikrat.org/veranstaltungen/weitere-veranstaltungen/neuroimaging aufgerufen
17.09.2014;
12 „Im September 2013 wurde weltweit das erste TSH System im Rahmen eines Forschungsprojektes in
Patienten implantiert, welches neben der „klassischen“ Hirnstimulation neurophysiologische Signale bzw.
Aktivitäten aufzeichnen und speichern kann (Brain Radio Project, Medtronic, Dr. J.Mehrkens, Munich). Das
neuartige THS-System genannt AC-TIVA PC + S dokumentiert die während alltäglicher Aktivitäten (z.B.
Gehen, Sprechen) auftretenden „local-field-potentials“ (LFP) in dem Areal, in dem die
TSH.Stimulationselektrode implantiert wurde.“ (Vesper, Slotty, 2014,S.175)
13 „Neuroimplantate stellen den Kontakt zum Nervensystem her und stimulieren Nervenzellen, um sensorische
und motorische Funktionen wieder herzustellen, Krankheiten neurologischen Ursprungs im Sinne einer
Therapie zu beeinflussen oder Nervensignale zur Steuerung technischer Hilfsmittel aufzunehmen ...
Patienten, die sich für ein Neuroimplantat entscheiden, erwarten einen deutlichen Nutzen im Rahmen ihrer
Lebensqualität und in der Verrichtung ihrer Tätigkeiten des Alltagslebens ... sowie minimale
Nebenwirkungen.“(Stieglitz, 2009, S.24)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
17
Selbstbestimmung, zur Verwertung der gespeicherten Daten, zur „totalen
Überwachung“
und
Steuerung
der
Patienten
(Willensfreiheit,
Verantwortlichkeit), zur Privatsphäre, zu Abbruchkriterien, zu Erfolgskriterien, zur Authentizität, zum gerechten Zugang, sowie Fragen zur
Schuldfähigkeit und Testierfähigkeit.
1.3.2 Ethische und anthropologische Aspekte zur Neurotechnik:
Akteure und Institutionen, Technikfolgen
Chirurgische Eingriffe in das Gehirn sind somit hochriskante,
hochtechnisierte Interventionen in ein vulnerables Organ das zentrale
Steuerungsfunktionen für den Gesamtorganismus besitzt, und als die
materielle Grundlage zur Ermöglichung einer personalen Lebensgestaltung gilt.(Quante, 2002) Wahrnehmung, Erkenntnis, Bewusstsein und
Gestaltung eines individuellen Lebensentwurfs in leib – seelischer
Auseinandersetzung mit den „Widerfahrnissen“ der Natur (Kamlah, 1972)
als diachron erlebtes „Ich“ (Schmidt, 2008, Rager, 2000) sind mit einem
aktiven Gehirn denkbar, und ohne dieses nicht.
Eine empirische Analyse (naturwissenschaftlich) und Deskription neurowissenschaftlicher Erkenntnisse und Eingriffe
kann die spezifisch
menschlichen Dimension nur in einem sehr begrenzten Umfang erfassen,
und bedarf notwendigerweise eines medizinethischen, anthropologischethisch-rechtlichen Rechtfertigungsdiskurses (Beck, 1976, Sander, 1999,
Stier, 2006, Sturma, 2006, Synofzik, 2004, Spitzer, 2008, Bennett, 2010b,
Clausen, 2008, Paul, 2013, Habermas, 2012)
Ausgehend von der anthropologischen Konzeption (Plessner)14 der
menschlichen „Natur“ in seinem „Doppelcharakter“ („Dem Mensch ist seine
Natur nicht nur vorgegeben, sondern er ist von „Natur„ ein Kulturwesen,
dem seine Natur gleichzeitig aufgegeben ist“ nach Clausen, 2006, S. 31)
müssen bei Eingriffen in das Gehirn, mit einer drohenden Gefährdung der
Persönlichkeit und der Person, ethisch–anthropologische Fragestellungen
notwendigerweise aufgegriffen werden. „Als Naturwesen auf Natur
angewiesen, kann er ohne eine Nutzung ihrer konstruktiven Funktionen
nicht einmal schlicht leben. Legitimationstheoretisch gesehen liegt ein
paradigmatischer Imperativ vor; dass der Mensch überhaupt in die Natur
eingreift, ist ein Klugheitsgebot, diktiert von dem Prinzip Selbstinteresse,
wobei sich das Selbst, zunächst bescheiden, mit dem Überleben zufrieden
gibt.“ (Höffe, 1993, S. 118)
Eine philosophisch historische Betrachtung der „Natur“, geht von den
Konzepten von Aristoteles und Platon, über die Scholastik zur modernen
Bioethik.15 Die Herausforderung der modernen Bioethik wird von
14 Plessner,H, Die Stufen des Organischen und der Mensch. Frankfurt a.M., 1981
15 „Die Kraft, welche das Phänomen der Welt hervorbringt, mithin die Beschaffenhei derselben bestimmt, in
Verbindung zu setzten mit der Moralität der Gesinnung, und dadurch eine moralische Weltordnung als
Grundlage der physischen nachzuweisen,-dies ist seit Sokrates das Problem der Philosophie gewesen.“
Schopenhauer,A, Die Welt als Wille und Vorstellung. Gold Collection, Jazzybee Verlag, J. Beck, e-book, 2012,
4679 von 4958 Seiten)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
18
Honnefelder (2011) mit der Frage nach der Übernahme verantwortlichen
Handelns verbunden - „Welche Natur sollen wir schützen?“ - und einem
normativen Diskurs in Auseinandersetzung mit Habermas (Habermas,
2012) geführt. Weitere Ausführungen finden sich hierzu bei Höffe mit
deontologischer Perspektive (Höffe, 2007). Die Diskussion mündet ein in
eine philosophische Naturalismusdebatte (Keil, 2000, Janich, 2009) die zur
Verdeutlichung naturalistischer Fehlschlüsse und Aufweisung der Grenzen
und
Möglichkeiten
naturwissenschaftlicher
Erkenntnisgewinnung
erforderlich ist. (Honnefelder, 2007, Honnefelder, 2011, Paul, 2013)
Thematisch ist in dem hier dargestellten Zusammenhang von
neurochirurgischen Eingriffen in das menschliche Hirn
auf die
„Technikfolgenabschätzung“16 „in einer fragilen Welt“ (Bora, 2005)
einzugehen. Von Karafyllis wird hierzu eine Bestimmung des „Menschen
als Mischwesen zwischen Techniknutzer und Naturwesen“ (S.112) im
Zusammenhang mit der „Biofakteforschung“ postuliert, und dies auf dem
Hintergrund von Medizintechnik Innovationen, womit humane Lebensgestaltungen perspektivischen Veränderungen unterworfen werden.
(Karafyllis, 2005)
Höffe (1993) unterscheidet drei Bedeutungen des Technik–Begriffs.
Einerseits die „Gesamtheit kognitiver Hilfestellungen ... als Teilsystem der
Gesellschaft ... (als) eine Zivilisationsform.“ (S.119).
Anlass zu Befürchtungen geben im Allgemeinen nicht die indizierten
Eingriffstechniken zur Behandlung
definierter neuropsychiatrischer
Krankheiten17, sondern die Neurotechniken, welche zur Steigerung
„normaler“ Hirnfunktionen eingesetzt werden sollen, oder eine manipulative
Fremdsteuerung
bezwecken.
Im
Zusammenhang
eines
Forschungsprojektes „Eingriffe in die Psyche. Neue Interventionsmöglichkeiten als gesellschaftliche Herausforderungen“ der Europäischen
Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer
Entwicklungen GmbH“ (Merkel, 2007) geht Galert (2005) auf die Frage ein
“Inwiefern können Eingriffe in das Gehirn die personale Identität
bedrohen?“. Er weist darauf hin, „in welchem Maße empirische
Technikfolgenabschätzung von vorgängiger, philosophisch reflektierter
Begriffsanalyse abhängig ist.“ Es gilt zu klären unter „welchen
Bedingungen“ die Eingriffe stattfinden, wie „groß“ das Risiko abzuschätzen
ist, und „worin“ das Risiko besteht.
Um den Zusammenhag zwischen Ethik und Technik zu verdeutlichen
schreibt Boldt (2009): „In der Kritik der praktischen Vernunft und der
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten betont Kant, dass ethische
Forderungen nicht reduzierbar sind auf technische Anweisungen zur
angemessenen Mittelwahl bei gegebenem Ziel ... dass für ihn mit der
16 Mittelstraß,J (Hrsg.) Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Bd 4, J.Metzler Verlag, Stuttgart,
1996, S. 214- 217
17 „Vielmehr sind Indikationen zu verstehen als „rechtsnormativ mögliche pragmatisch-gute Gründe für
kunstgerechte Körperidentitätseingriffe unter dem Gesichtspunkt der autonomen Selbstverfügung“(Köhler
1997,S.275) ) “Kollek,R From chance to choice? Selbstverhältnis und Verantwortung im Kontext
biomedizinischer Körpertechniken. In Bora,A u.a. (Hrsg.) Technik in einer fragilen Welt.edition sigma, erlin,
2005, S. 81 f.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
19
Vorstellung der Selbstzweckhaftigkeit des Menschen die Idee verbunden
ist, eine Eigenschaft von Vernunftwesen zu erfassen, mit der gerechtfertigt
werden kann, dass man im Handeln, das zunächst eigenen Zwecken folgt,
immer auch die Ansprüche anderer mitbedenken kann und soll.“(S.236)
Auf diesem Hintergrund sollen nunmehr die spezifischen medizinethischen
Aspekte bei neurochirurgischen Eingriffen in das Gehirn bei
neuropsychiatrischen Krankheiten einem Diskurs unterzogen werden.
Werden die Darstellungen zur Gesichte der „Psychochirurgie“ kritisch
beleuchtet, so fällt generell auf, dass die ärztlichen Dokumentationen zu
den neurochirurgischen Eingriffen in das Gehirn, keine statistischen
Auswertungen, keine kontrollierten Studiendesigns, keine dokumentierten
kritischen Erfolgskontrollen, keine Einwilligungen der Patienten, u.a.
beachtet haben. Es fehlt
an Transparenz, Operationalisierung,
Interdisziplinarität und öffentlicher Rechtfertigung der Indikationsstellungen. Verschulung und Abschottung der jeweiligen psychiatrischen
Krankheitseinteilungen trugen zu einem groben Missverhältnis zwischen
den ärztlichen Handlungsweisen, dem tradierten ärztlichen Ethos, und den
legitimen Bedürfnissen der Patienten, wesentlich bei. Das akademische
(„bürgerliche“) oder politische Ansehen der Ärzte (Moniz war
portugiesischer Außenminister, Freeman behandelte Familienangehörige
der high society) legitimierte in diesem System weitestgehend das
therapeutische
Handeln.
Angesichts
der
nicht
vorhandenen
therapeutischen Möglichkeiten (erbärmliche Lebensumstände in den
Anstalten), den Anforderungen an die Ärzte nach einer akademischen
Karriere, zogen es Nervenärzte/Psychiater vor, sich insbesondere mit der
Neuroanatomie und den neurowissenschaftlichen Laborwissenschaften zu
beschäftigen. Die neurologischen Kliniken und Heilanstalten waren nach
den Weltkriegen mit an Syphilis erkrankten Patienten überfüllt, die
Kommunen und Länder sahen sich mit der Finanzierung überfordert.
Therapeutisches Ziel war die Anpassung der Patienten an die
Anstaltsregeln und deren Ruhigstellung, die Suche nach somatischen, breit
einsetzbaren Therapien, ohne Berücksichtigung der Interessen und der
physischen und psychischen Integrität der Patienten. Die „Dark History“
(Johnson, 2009) der chirurgischen Eingriffe in das Gehirn wurde bis in die
sechziger und siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts fortgeführt,
und hat das „collective memory“ (M.Halbwachs, 1980) bezüglich
chirurgischer Eingriffe in das Gehirn, wesentlich bestimmt. „Lobotomy is
remembered as one of the most spectacular failures in the history of
medicine.“(Johnson, 2009, S.367) „Der Trend, Patienten aus der
Psychiatrie wieder in „die Gemeinschaft einzugliedern“- jener
„Deinstitutionalisierung“ genannte Prozeß -, begann mit der Einführung der
Neurolepika 1954, in jenem Jahr, als in den USA die Nahrungsmittel- und
Medikamentenbehörde das Chlorpromazin freigab.“(Shorter, 1999, S.418)
Zur gleichen Zeit etwa entwickelten sich die Methoden der
„Elektroimplantation in das Gehirn von Patienten zum Zweck der
experimentell-therapeutischen Verhaltens-/Erlebensbeeinflussung“, wobei
als Pionier (50er- bis 60-/70er Jahre) insbesondere Delgado, J.M.R, der den
telemetrischen elektrischen Zugang entwickelte und den Begriff
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
20
„Hirnschrittmacher“ prägte (Delgado, 1968), zu nennen ist. (Benabid, 2007)
Der Übergang zu einer Minimalisierung der chirurgischen Eingriffe
(Stereotaxie, THS) in das Gehirn basierte nicht nur auf den neuen
wissenschaftlichen Erkenntnissen, den neuen Technologien, sondern auf
dem „ethical environment“. Um die Last der Vergangenheit zu bewältigen
wurden neue Begriffe eingeführt „Neurosyurgery for Mental Disorder
(NMD); Limbic System Surgery“ (Johnson, 2009), und Forderungen an die
neue Art der „Psychochirurgie“ (kontrollierte Studien, Verbesserung der
Theorien zu psychiatrischen Krankheiten, Verbesserungen der
Transparenz, weniger destruktive Eingriffe mit Reversibilität, und
Präzisierung der Eingriffe) gestellt. (Johnson, 2009)
Nach dem zweiten Weltkrieg, so sieht es M. Meier (2009), wurde die
„Persönlichkeit“ im Kranken wahrgenommen, der psychoanalytischen
Behandlung Beachtung geschenkt, und der Integrität der Person eine
zunehmende Bedeutung zugemessen.18 Meier (2009) sieht bei der Analyse
der „psychochirurgischen Praxis der 1940er und 1950er Jahre“ nicht die
Sachzwänge, und nicht nur die wissenschaftlichen, institutionellen und
gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen
(„Es
gab
immer
Handlungsspielräume“,
ebd.
S.81)
als
bestimmend
für
die
Indikationsstellungen an, sondern plädiert für eine „Historisierung“ bei der
Beurteilung des „Umgangs mit schwierigen Patienten.“ (ebd. S.81) Die
breite Anerkennung der Psychochirurgie in der Nachkriegszeit wäre nicht
zustande gekommen, „hätte man psychische Krankheiten nicht (in erster
Linie) auf somatische Prozesse zurückgeführt und schwer psychotische
Patienten nicht als „unmenschliche Menschen“ wahrgenommen. Darüber
hinaus dominierten in dieser Zeit Normalitätsvorstellungen, denen zufolge
sich ein Individuum anpassen, gesamtgesellschaftlichen Zielen
unterordnen und im Interesse des Kollektivs funktionieren sollte.“ (Meier,
2009, S.82) Hieraus stellt sich die allgemeine Frage, „in welchem
historischen) Kontext aktuelle Neurotechnologien stehen.“(ebd. S. 82)
Autokratische Strukturen in den psychiatrischen und neurologischen
Institutionen (Universitätskliniken, Nervenheilanstalten) bestimmten und
bestimmen teilweise heute noch den Umgang der Akteure untereinander
(Ärzte, Wissenschaftler), und das Arzt-Patienten-Verhältnis, so dass eine
öffentliche Diskussion und Kritik zwingend notwendig ist.
Es ist sicher nicht ausreichend die Brutalität der NS – Ärzte - Verbrechen
retrospektiv zu beleuchten und den Bedingungen und den institutionellen
und individuellen Bedingungen nachzugehen. Vielmehr sollten die heutigen
Arbeits,- und Rahmenbedingungen der Ärzte und Wissen-schaftler in den
Neurowissenschaften, deren Einstellungen und Handlungsweisen, kritisch
18 Die abnehmende Bedeutung der Psychochirurgie hängt also nicht nur – wie meist behauptet wurde – mit der
Einführung der Neuroleptika zusammen, zumal die Zahl der Lobotomien bereits vor 1953 zurückging und die
neuen Psychopharmaka zunächst sehr teuer waren, häufig nicht wirkten oder so schwere Nebenwirkungen
hatten, dass sie erst allmählich bei einer großen Zahl von Patienten und Patientinnen angewandt wurden.
Vielmehr führte der neue Denkstil dazu, dass Hirnoperationen, die psychisch Kranke wieder an die Ordnung
inner- und außerhalb der Anstalt anpassen sollten, gleichzeitig aber deren Persönlichkeit veränderten,
zunehmend abgelehnt wurden. Der Eingriuff in die Persönlichkeit wog nun in den Augen der meisten Psychiater
auch bei Patientinnen und Patienten mit der Diagnose chronische Schizophrenie zu schwer.“ (Meier, 2009,
S.77f)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
21
einem
Diskurs
unterzogen
werden,
um
Transparenz
und
Entscheidungsfindungen einer normativen Klärung unterziehen zu können.
(Gethmann, 1982, Habermas, 2009, Beauchamp, 2009)
Die gesellschaftliche Rolle des Nervenarztes, der Nervenärztin, des
Neurochirurgen der Neurochirurgin, des Neurowissenschaftlers, der
Neurowissenschaftlerin und das ärztliche Ethos stehen auf dem Prüfstand.
„Die Psychiatrie im Zeitalter von Erbbiologie und Rassenhygiene war
besonders an der Erhaltung und Verbesserung der Volksgesundheit
interessiert und verstand sich weithin als Sachwalter sozialpolitischer bzw.
politökonomischer Zielsetzungen.“ (Schott, Tölle, 2006, S. 505) Nach dem
zweiten Weltkrieg entwickelte sich ein internationaler ethischer Diskurs über
die ethischen Grundlagen ärztlichen Handelns (u.a. Formulierung des
Nürnberger Kodex im Anschluss an den Nürnberger Ärzteprozess 1947),
und bis zur ethischen und juristischen Gewährleistung von
Patientenrechten in der Psychiatrie dauerte es mindestens bis zur
„Psychiatrie-Enquête“ bis 1975, „in der im Interesse einer adäquaten
Behandlung des einzelnen Patienten eine grundlegende Reform des
Anstaltswesens empfohlen wurde.“ (Schott, Tölle, 2006, S. 506)
Das Dilemma den gesellschaftlichen Interessen (Drittgefährdung) und dem
Wohl des Patienten gerecht zu werden bestimmt die Praxis der Psychiatrie,
insbesondere wenn es um die Frage geht, für nicht-einwilligungsfähige
Patienten („therapie-resistente Patienten“) innovative Therapien
(Heilversuche) zu indizieren. Der Patient sieht die Therapien
(Zwangsbehandlung, Medikation, Chirurgischer Eingriff in das Gehirn) als
ein vorsätzliches „Quälen“ und als Destruktion der körperlichen und
seelischen Integrität, die mit der oft einseitigen Erwartung verbunden ist,
nachträglich, nach Überwindung der akuten Krankheitsepisode oder der
„Therapieresistenz“, gut geheißen oder gerechtfertigt zu werden.
Das Gehirn als menschliches Organ und notwendige organische Grundlage
leib–seelischer Existenz ist
im Zusammenhang mit Krankheit und
Gesundheit somit einer anthropologisch–ethischen Diskussion zu
unterziehen, hier eingebettet in das „Paradigma des Naturalismus“
(Honnefelder, 2007), insbesondere den „biologischen Naturalismus“ (Keil,
2007, S.28ff), speziell die „biologische Psychiatrie“ (Andreasen, 1990) und
„biologische Psychologie“ betreffend (Birbaumer, 2011).
In der modernen biologischen Psychiatrie geht es insbesondere darum die
Fortschritte des Neuroimaging, der Molekularbiologie und Neurogenetik für
die kausale Erklärung und Behandlung von neuropsychiatrischen
Krankheiten anzuwenden, was zu einer Kritik wegen der wissenschaftlichen
Einengung auf die Neurobiologie führt. Die hiermit zusammenhängenden
„ethischen Implikationen für die Psychiatrie“ werden von Stier u.a. (2013)
auf dem Hintergrund der „Biologismus-Kontroversen“ kritisch diskutiert.
Hierzu ist „Biologismus“ in einem „neutralen Sinn“ ... als Teil eines
größeren Gesamtprojekts zu charakterisieren, das sich als philosophischer
Naturalismus bezeichnen lässt.“(Stier u.a., 2013,S.1165) „Um den
Naturalismus wird in der Philosophie heftiger gestritten als um jede andere
These, und das liegt daran, dass ein konsequenter Naturalismus das
überkommene philosophische Selbstverständnis in Frage stellt.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
22
Konsequenter Naturalismus bedeutet nämlich nichts weniger als das
restlose Aufgehen der Philosophie in naturwissenschaftlicher Forschung.“
(Hartmann, 2000, S.158) Als „Kerngedanke des Naturalismus“ wird vom
Naturalismus das Ziel darin gesehen,eine „Metatheorie für einen
umgrenzten Problembereich zu entwickeln, die mit den ontologischen und
erkenntnistheoretischen Prämissen der Naturwissenschaften vereinbar ist.“
(Stier u.a., 2013, S. 1166) Die Kritik setzt innerhalb der
neuropsychiatrischen Krankheitslehre dort an, wo die Individualität des
Erlebens in ihrem Sosein und hinsichtlich dessen kausaler Erklärbarkeit ins
Spiel kommt. Es gilt demnach sowohl die Vernachlässigung der Erste –
Person Sicht, die Minimierung oder Eliminierung sozialpsychiatrischer und
sozialpolitischer, neben der biologisch naturwissenschaftlichen Perspektive
(Dritte–Person-Sicht) insbesondere im Bereich der praktischen Neurologie
und Psychiatrie zu beachten, um Fehlentwicklungen entgegen zu wirken.
„Ohne Berücksichtigung der in der Erste-Person-Perspektive subjektiv
erlebten mentalen Zustände und Akte könnte man vor allem in der
Psychiatrie kaum eine klinische Diagnose stellen und erst recht natürlich
auch keinen Patienten behandeln.“ (Klosterkötter, 2005, S.128)
Der veränderte Blickwinkel von der Krankheit zum kranken Menschen
bestimmt die medizinethische Betrachtung und Diskussion bei technischen
Innovationen. Während Persönlichkeitsveränderungen in den Studien bis
zu den 70-iger Jahren des 20.Jahrhunderts als hinzunehmende
„Nebenwirkungen“ angeführt wurden, oder als „therapeutische Effekte“
gewollt wurden, gibt es erst in den neueren Studien Ansätze zur
systematischen
Mitbeachtung
und
Bewertung
von
Persönlichkeitsmerkmalen als Folgewirkungen beim Risikomanagement.
(Kuhn, 2009)
1.3.3 Spezifische
medizinethische
Fragestellungen
neurochirurgischen Eingriffen in das Gehirn
bei
Das Gehirn als „Organ über allen Organen“ mit seiner zentralen
Steuerungsfunktion, und die Zusammenhänge des Gehirns mit „der
Bewusstseinsfähigkeit, der Persönlichkeit und der Identität eines
Individuums“ geben Anlass dafür, neurochirurgische Interventionen in das
Gehirn, einer spezifischen medizinethischen Diskussion zu unterziehen.
(Birnbacher, 2006, S. 274) Worum es in den folgenden Ausführungen geht,
wird von Fuchs (2013) formuliert. „Das Gehirn verfügt nicht über geistige
Zustände oder über Bewusstsein, denn das Gehirn lebt nicht – es ist nur
das Organ eines Lebewesens, einer lebendigen Person. Nicht
Neuronenverbände, nicht Gehirne, sondern nur Personen fühlen, denken,
nehmen wahr und handeln.“ (S.296)
Die Patientinnen/Patienten sprechen in Foren oder in Buchform (Dubiel,
2008)die Befürchtung aus, nach einem chirurgischen Eingriff in das Gehirn
„nicht mehr die/der gleiche Mensch wie vorher zu sein.“ Mit dieser Frage ist
die Sorge verbunden, nach dem Gehirneingriff wie ein „alien“ zu leben,
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
23
„irgendwie fremd gesteuert“ zu sein, trotz der Verbesserungen motorischer
Symptome (Parkinson – Patienten). Bisherige Studien haben
die
systematische Erfassung dieser Variable nicht beachtet, oder mit
Messinstrumenten zu erfassen versucht, die zu wenig sensibel sind. Erste
Ansätze zur Verbesserung der Studiendesigns finden sich in der Literatur.
(Witt, 2013a)
Die besondere Herausforderung liegt darin, dass sich philosophische
Konzepte und psychologisch, psychiatrische, neurologische, rechtliche
Konzepte in einem Forschungsfeld mit unterschiedlichen Begrifflichkeiten
begegnen.(Friedrich, 2014)
Es geht um die Intuition unter Rückgriff auf die Begriffe der Person, der
personalen Identität, Persönlichkeit in der medizinethischen Debatte bei
chirurgischen Eingriffen in das Gehirn, medizinethische Kriterien zur
rechtfertigenden Beurteilung chirurgischer Eingriffe in das Gehirn gewinnen
zu können.
Es ist allgemein anerkannt, dass der Begriff Charakter (Charakter wird
ethymologisch von dem griechischen Begriff des ethos i.S. von
Gewohnheiten abgeleitet) in der psychologischen und psychiatrischen
Praxis durch den der Persönlichkeit (Roracher, 1969) ersetzt wurde.
„Charakter ist die Eigenart des Erlebens und Verhaltens des einzelnen
Menschen.“ (Roracher, 1969, S. 4) „Schon Kant in der Anthropologie
unterscheidet einen moralischen (sein sollenden) und einen
physischen (schlechthin seienden) Charakter, was Lersch wieder
aufgreift und als ethischen Charakterbegriff einerseits, als
psychologischen
andererseits neu fasst.“ (Wellek, 1955,S.82)
Schopenhauer ergänzt die von Kant gebrauchte Unterscheidung eines
intelligiblen Charakters von einem empirischen Charakter mit dem eines
erworbenen Charakters, um auf die auf einen Charakter in seiner Zeit
einwirkenden sozial–kulturellen Faktoren und die je individuellen
Stellungnahmen mit den
hierauf sich beziehenden individuellen
Lebensentscheidungen, herauszustellen.19
Es geht um die Frage, welche neuroethischen Kriterien Veränderungen
der personalen Identität oder den Wechselns einer Person durch
neurobionische Eingriffe (TSH) bewerten können?
Im Zusammenhang mit der Hirntod Debatte wird von Birnbacher (2007)20
der „anthropologische Dualismus mit seiner Aufteilung des Menschen in
einen physisch-leiblichen und einen psychisch-seelischen Aspekt“ kritisch
analysiert. Der „Begriff des Menschen“ mit einem generischen (Potential der
Gattung) und individuellen Potential im Sinne einer „bewußtseinsbegabten
Existenzweise“ wird als eine „Einheit“ ... „dann nicht im Sinn, dass er eine
in sich homogene und einheitliche Substanz wäre, sondern in dem Sinne,
dass er Verschiedenes in sich vereint“ (ebd.S.79) gefasst (Substanz19 „Das erkennende Subjekt ist eben durch diese besondere Beziehung auf den eigenen Leib, der ihm außer
derselben betrachtet, nur eine Vorstellung, gleich allen übrigen ist, Individuum.“ (Schopenhauer,A Die Welt als
Wille und Vorstellung. Gold Collection, e-book, 2012, 1271 von 4958)
20 Birnbacher,D: Ist das Hirntodkriterium“ dualistisch“? in Studienbrief Anthropologische und Ethische
Grundlagen der Diskussion um das Hirntodkriterium. Medizinethischer Weiterbildender Studiengang 00207145
(04/07)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
24
Dualismus nach Descartes versus Attribut-Dualismus). Das mind-brain
Problem wird philosophisch unterschiedlich gedeutet. „Für die Dualisten
sind
Bewusstseinsereignisse
und
Gehirnereignisse
numerisch
verschiedene Ereignisse, für die Identitisten fallen sie zusammen; für die
Interaktionisten
vermögen Bewusstseinsereignisse auf andere
Bewußtseinsereignisse und auf das physische Gehirn zurückzuwirken, für
die Epiphänomenalisten sind sie kausale Sackgassen, bei denen die
Kausalkette endet.“ (Birnbacher, 2006, S.279) Dem Konzept des
Bewußteins wird hier nicht weiter nachgegangen und auf die Darstellungen
bei Zeman (2001) und (Herrmann, 2005) verwiesen. Die spezifischen
anthropologischen und ethischen Fragen „neurobionischer Eingriffe“ stellen
sich im Hinblick auf die Bewertung der induzierten „Identitäts-, und
Personstörungen“ („Wie viel von einem Gehirn muss erhalten bleiben, damit
es dasselbe Gehirn bleibt?“, ebd. S.280). (Birnbacher, 2006)
„Identitätsprobleme ... ergeben sich, wenn wir uns vorstellen, dass ein
biotisches menschliches Gehirn nach und nach durch nicht-biotische
Prothesen ersetzt würde und diese- auf einem utopischen Stand der
Technik – so passgenau, flexibel und fein abgestimmt sind, dass sie die
Leistungen des Gehirns perfekt übernehmen ... ein reines Siliziumgehirn,
ein Minicomputer höchster Leistungsfähigkeit, der den Restorganismus ...
ebenso steuert und reguliert, wie es ein biotisches menschliches Gehirn tun
würde.“ (Birnbacher, 2006, S.282)21 Die Frage nach der Anzahl und der
Platzierung von Hirnelektroden bei der TSH stellt sich somit präziser, wenn
der funktionell kompensierte Gehirnanteil und dessen „Bedeutung“ für die
Identität der „Persönlichkeit“ und somit für die „Identität der Person“
gemeint ist.
Der Personbegriff ist als Grundbegriff der Erkenntnistheorie für das LeibSeele – Problem bedeutsam. Von Quante (2010) werden vier Arten der
Verwendung des Begriffs Person unterschieden. Der Begriff des
„menschlichen Individuums“ wird als zu wenig präzise verworfen. Die „rein
deskriptive Verwendung“, der „rein normative“ Gebrauch um „den
spezifischen ethischen Status einer Entität anzuzeigen,“ und eine
„Kombination der ersten beiden“, um „dann deskriptiv einer Entität einen
bestimmten Set von Eigenschaften und Fähigkeiten sowie gleichzeitig“
einen ausgezeichneten ethischen Status zuzuschreiben, womit eine Ethik
unterstellt wird, „welche die Personalität ausmachen.“ Quante definiert die
Personalität wie folgt: „Personalität ist eine komplexe Eigenschaft, die
einem Individuum dann zukommt, wenn es über bestimmte Eigenschaften
und Fähigkeiten verfügt ... Subjekt mentaler Episoden zu sein“, persönlich
auf sich Bezug nehmen zu können, ein „(rudimentäres) Zeitbewußtsein und
21 „So arbeitet der israelische Hirnforscher Henry Markram derzeit an seinem Human Brain Project das darauf
abzielt, mithilfe von Simulationen und Modellen eine exakte Nachbildung des menschlichen Gehirns zu erschaffen
– nicht als Implantat, sondern um dadurch zu neuen Erkenntnissen über die Arbeitsweise des Denkorgans zu
gelangen und diese wiederum etwa in die Entwicklung hocheffizienter Computersysteme einfließen zu lassen. So
ist das menschliche Gehirn in der Bionik das Vorbild für zukünftige Computer, so wie Gliedmaßen und Organe
des Menschen als Vorbilder für den Körper von Rex fungierten. Dieser 'lebt' noch bis zum 11. März im Londoner
Science
Museum.
(“http://uni.de/redaktion/der-bionische-mensch-wie-die-natur-nachgebaut-werden-kann
aufgerufen 17.09.2014)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
25
ein (zumindest rudimentäres) Wissen von der eigenen Existenz über die
Zeit hinweg zu haben“ ... über logische und instrumentelle Rationalität
verfügen, zur Kommunikation (im weiten Sinne) fähig zu sein sowie andere
Individuen als Personen anerkennen können.“ (Quante, 2010, S.17 ff)
Hiermit ist einerseits eine Graduierung der Fähigkeiten verbunden und eine
Exklusion von Lebewesen verbunden, die nicht im Besitz dieser Fähigkeiten
oder diese unterhalb eines Schwellenwertes besitzen. Das kritische
Probleme einer sozialen Person besteht darin, dass diese „als Mittel zu
anderen Nutzen gebraucht werden dürfen“ (Mittelstraß, 1995,S.91), was in
der utilitaristischen Konzeption einer „praktischen Ethik“ (Singer, 1994)
nachvollzogen werden kann.
Es werden von Quante vier Fragestellungen zur „Identität der Person“
unterschieden. Die bereits aufgeführten „Bedingungen der Personalität, die
(synchrone) Einheit der Person, die (diachrone) Persistenz, und die
Persönlichkeit. (Quante, 2010) Die Fragen zur (numerischen) „Einheit der
Person zu einem Zeitpunkt“ als Individuum, als „psychophysische Einheit“
werden von Strawson aufgegriffen. Zur Verdeutlichung der „Primitivität“ des
Begriffs der Person schlägt er vor zwei Arten von Prädikaten (M-Prädikate
die wir auf materielle Körper anwenden, und P-Prädikate die wir auf
Personen anwenden) zu unterscheiden, bei einer Entität. (Strawson, 2003,
S. 134) In der Diskussion wird von P.F. Strawson herausgestellt, dass
„Personen Körper haben ... zu einer begrifflichen, nicht-empirischen
Wahrheit“ gehören. (Mittelstraß, 1995, S.89) In der begreifenden
Wahrnehmung anderer Lebewesen und der körperlichen Begegnung
nehmen sich Individuen selbst wahr. „Eine Person, die infolge einer
Ersetzung von Gehirngewebe in ihrer Persönlichkeit, aber auch in ihrem
Identitätsbewußtsein und ihren Erinnerungen durchgreifend und umfassend
verändert ist, wird kaum noch als dieselbe Person aufgefasst werden
können.“ (Birnbacher, 2006, S.280f)
Werden die „Persistenzbedingungen“ der „Identität der Person über die Zeit
hinweg“ (Quante, 2010, S. 12 ff) hinterfragt, dann geht es um die
„materialen Bedingungen die erfüllt sein müssen, damit man von einer
Person sagen kann, sie existiere zu zwei verschiedenen Zeitpunkten.“
Antworten (Rationalisten / Empiristen) hierzu werden einerseits in der
Annahme einer „substantiellen Seele“ (Platon, Descartes) und der Gehirn –
Kontinuität als ausreichende Bedingung gesehen. Im psychologischen
Sinne wurde von J. Locke die Kontinuität durch das Selbstbewusstsein und
die Erinnerungsfähigkeit bestimmt.
Immanuel Kant kritisiert die „Quasi-Objekt“ (Mittelstraß, 1995, S.89)
Konzepte und unterscheidet ein „transzendentales Subjekt“, welches er
dahingehend bestimmt, dass es „als „personales Subjekt nicht Gegenstand
einer irgendwie gearteten Wahrnehmung“ sein (kann), „da das Ich, das die
Identität des Bewusstseins ausmacht, eine inhaltlich leere, formale
Vorstellung, eine bloße Bedingung des Erkennens“ ist. (Mittelstraß,
1995,Bd 3, S. 89) Hiervon unterschieden wird von I. Kant die „konkrete
Person die sich aus dem Kontext bestimmter Handlungsmöglichkeiten
ergibt.“ (Höffe, 2008,S.239). Die Selbst-zwecklichkeit („Handle so, dass du
die Menschhait, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
26
anderen, jederzeit uzgleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst“)
(Instrumentalisierungsverbot), die Respektierung der Person in dem
Anderen, sowie die Selbstbe-stimmung in Freiheit mit Rechten und
Pflichten, die normative Bestimmung der Person, lassen sich dem
kantischen Denken zuordnen. (Kant, 1974)
In der Kritik der praktischen Philosophie von I. Kant setzt G.W.F.Hegel
(1770-1831) bei der Bildung einer moralischen Person an, die er nicht
formal, abstrakt sieht, sondern „im Rahmen bestimmter materialer
historisch gewonnener gesellschaftlicher Institutionen.“ (Rechtssystem)
Zum Begriff der Person gehört bei Hegel somit die Rechtsfähigkeit.
(Mittelstraß, 1995, S.90)
Der Rückgriff auf das theologische Person Konzept im Sinne einer
Gottähnlichkeit des Menschen ist in einer auf Pluralität ausgelegten
Gesellschaft mit deliberativer Diskurstradition nicht konsensfähig, wobei der
wertschöpfende Stellenwert (Habermas, 2012) religiöser und theologischer
Institutionen eine
Bereicherung gesellschaftlichen Zusammenlebens
ergeben.
Die Gleichsetzung des Person-Begriffs mit Mensch (Äquivalenz-Theorie)
(homo sapiens sapiens) schließt als kontingentes Faktum von vornherein
die Existenz konstruierbarer intelligenter Maschinen aus. Der Begriff
Mensch bezieht sich auf Rechte und nicht auf Pflichten, was für eine Person
entscheidender ist. Notwendig wäre es, ein davon unabhängiges Kriterium
unter Bezug auf das Leib-Seele–Problem, für die medizin-ethische und
psychiatrische Praxis zu formulieren. (siehe hierzu die kritische
Auseinandersetzung bei Birnbacher, 2006)
Das historische Konzepte von John C. Eccles, der sich mit K. Popper
auseinandersetzt, und ein inzwischen wenig plausibles Gehirn und Seele
Konzept vertritt, soll hier nur erwähnt werden. (Eccles, 1987)
Die „philosophy of mind“ versucht den Zusammenhang zwischen mind
(mental domain) und body/brain (physical domain) zu analysieren. Die
analytische Philosophie (Van Oudenhove, 2010) bezieht sich nicht
ausschließlich auf die Introspektion (Erst-Person-Perspektive) und die
Begriffsanalyse, „but also draws upon the empirical methods und findings
of the sciences,“ (S.545) im Sinne einer erklärenden (Dritte-PersonPerspektive) neurowissenschaftlichen, quantitativ raumzeitlichen, kausalen
Analyse. Van Oudenhove u.a. setzten sich mit dem Artikel „A New
Intellectual Framework of Psychiatry“ von Kandell 1998 auseinander, der
durch die neuen Erkenntnisse der Neurowissenschaften das Leib-Seele
Problem einer Analyse unterzieht. Die Autoren kommen zu dem Fazit: „As
a result, most research in psychiatry tries to ground clinical practice almost
exclusively in neurobiology, although strikingly little of the massive amount
of neuroscientific insight gained over the past 20 years have been able to
truly change clinical psychiatric practice.“ (Van Oudenhove, 2010, S. 555)
Die abstrakte Darstellung der Gehirne mit Hilfe mathematischer
Algorithmen und deren Deutung als „Bildgebung von menschlichen
Gehirnen,“ an denen abstrakte mentale Funktionen und psychologische
Funktionen im Labor analysiert werden, zeigt die Diskrepanz zwischen der
Forschungsrealität und der klinischen Handlungsrealität. (Paul, 2009)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
27
Während die empirischen Neurowissenschaftler (Roth, 2007)22 von einem
reduktionistischen Konzept (eliminativer Materialismus) und einer
„Verankerung der Persönlichkeit im Gehirn“ sprechen (Roth, 2007, S. 88 ff),
wird auf dem Hintergrund anthropologisch–ethischer Konzepte im
philosophisch–psychiatrischen Bereich (Fuchs, 2013) das „Gehirn als
Beziehungsorgan“ (Leib-Person) im Sinne einer
phänomenologisch ökologischen Konzeption erweitert.
Dementsprechend geht Roth von einem „Vier-Ebenen-Modell der
Persönlichkeit“ aus. „Die untere limbische Ebene des vegetativ-affektiven
Verhaltens und die mittlere limbische Ebene der emotionalen
Konditionierung, Bewertung und Motivation bilden zusammen das
unbewusste Selbst. Auf bewusster Eben bildet die obere limbische
Ebene in der rechten Hemisphäre das individuell-soziale Ich, dem das
kognitiv-kommunikative Ich in der linken Hemisphäre gegenübergestellt
wird.“(Roth,2007, S.91) Es wird eine „funktionelle Multi-Zentralität des
Gehirns“ mit einer „großen funktionellen Plastizität, d.h. der Veränderbarkeit des Gehirns“ postuliert. (Roth,2007, S.89) Die funktionelle Plastizität
des Gehirns wird mit klinischen Beispielen von Birnbaumer,N und Zittlau,J
(2014) unter dem Titel „Dein Gehirn weiss mehr, als du denkst. Neueste
Erkenntnisse aus der Hirnforschung“ populärwissen-schaftlich dargestellt.
Kritisch ist anzusetzen, wenn „jump to conclusion“ Interpretationen aus
Neuroimaging (fNMRI, PET) Ergebnissen in die psychiatrische
Einzelfalldiagnostik gemacht werden. Im Rahmen des „translational BrainModelling“ Ansatzes wird von Stephan,KE (2014) herausgestellt, dass
aufgrund des bisher vorliegenden Studienmaterials keine prädiktive
Validität (der gleiche Phänotyp kann einen völlig anderen Verlauf haben)
möglich ist. Bei der neuromedizinsichen Theorienbildung geht es um ein
inverses Problemlösungsverhalten, wie es aus de Physik bekannt ist, und
auf dem probalisitischen Modell beruht. Mithilfe von Algorithmen wird eine
Approximation an ein bisher plausibles Gehirnmodell zu erreichen versucht,
um damit statistische Gesetz-mäßigkeiten erkennen zu können, ohne
direkten Bezug auf klinische Relevanz. Mit der Kombination von
mathematischen Verfahren und dem Neuroengeneering wird somit ein
„nonlinear dynamic causal model“ für fMRI-Studien designs (bold-Studien)
entwickelt und ein sehr grobes biologisches Model entwickelt. Es wird von
der Annahme ausgegangen, dass das „Gehirn daran interessiert“ ist,
Belohnungen zu induzieren und die Präzision der Verhaltens,Erlebnisereignisse ständig zu verbessern, basierend auf der „Bayesian
brain hypothesis“ und einem hierarchischen neurologisch konzipierten
Gehirnmodell, welches sicher nicht unangefochten ist. Es handelt sich somit
um eine Reduktion der Wirklichkeit auf ein mathematisches Modell, das von
seiner Anlage her gesehen „immer falsch“ sein muss. Die zukünftige
Erwartung ist, dass sich über Clusteranalysen von klinischen Befunden, und
aus dem Modell generierte pathophysiologische Aussagen zur
22 „Die Hirnforschung geht – gemeinsam mit dem überwiegenden Teil der Persönlichkeitspsychologie – davon
aus, dass die Persönlichkeit im Gehirn und im weitesten Sinne im peripheren Nervensystem verankert ist, das
wiederum mit dem Körper und seinen Funktionen eng zusammenhängt.“ (Roth, 2007,S.88)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
28
Gehirnaktivität
(compu-tational
assays),
individuelle
Aussagen
(Verhaltensvorhersagen) gewinnen lassen. (Sie Ausführungen sind
angelehnt an den Vortrag von Stephan,KE „Konsequenzen für die
Diagnostik psychiatrischer Erkrankungen der Neuromodellierung auf dem
4. Symposium Bildgebung und Therapie in der Psychiatrie, 24.und 25. Okt.
2014, UKE – Hamburg).
Dieses Modell geht von der allgemeinen Annahme eines hochkomplexen
selbstreferrenziellen Systems aus, welches aufgrund eines „overengeneering effects“ - als evolutionär hochspezialisiertes biologisches
System - mit einer erhöhten Störanfälligkeit, bei einem gleichzeitigen Trend
zur besseren Leistungserbringung und Überlebensverbesserung,
ausgestattet ist.
Fuchs (2008, 2013) weist auf drei Fehlschlüsse hin, welche die
neurowissenschaftlichen Ergebnisse und deren Übertragung in die reale
Welt („Nach dieser neurokontruktivistischen Konzeption ist die reale Welt
also in dramatischer Weise verschieden von der, die wir erleben. Was wir
wahrnehmen, sind nicht die Dinge selbst, sondern nur Bilder, die sie in uns
hervorrufen...“) (ebd., 2013, S.26) kritisch beleuchten. Als ersten
Fehlschluss (erkenntnistheoretisch gesehen kann Subjektivität und
Intentionalität nicht vollständig auf physikalische Beschreibungen reduziert“
werden (ebd.,2013,S.77) nennt Fuchs, dass bei einer empirischen
Neurokonzeption „die verkörperte Wahrnehmung“, die „Leib und
Lebenswelt“(„Mein Leib ist da, wo er etwas zu tun hat“ (Merlaeu-Ponty,
1966, 291)“ (zitiert nach Fuchs,2013, S.36) vernachlässigt wird. Das Gehirn
in seiner Einbettung in den lebendigen Körper ist das „Beziehungsorgan“
und „notwendige Bedingung dieses Subjekterlebens“, im Sinne einer
„Konzeption des im Organismus verkörperten Subjekts.“(Fuchs, 2013,
S.40) Entscheidend ist demnach kausale und intentionale Aspekte der
Wahrnehmung voneinander zu differenzieren. Die zweite Kritik setzt sich
mit den Fehlschüssen aufgrund der Kategorienfehler (merologischer
Fehlschluss und lokalisatorischer Fehlschluss) auseinander. Der
„merologische Fehlschluss“ (Verhältnis von Teil und Ganzem) (Bennet,
Hacker, Searle, 2010) wird von den Autoren auf dem Hintergrund der
Philosophie von Wittgenstein in der Person-alisierung des Gehirns
verhaftet gesehen. Fuchs (2013) benennt die „Grundproblematik der
neurobiologischen Bewusstseinsforschung letztlich in der Verdinglichung
des Bewusstseins selbst.“ (ebd.,S.68)
Der „lokalisatorische Fehlschluss“ basiert auf der neurowissenschaftlichen
Beobachtung, dass Ausfälle von spezifischen Funktionen mit lokalen
Hirnläsionen verbunden werden können, dass die modernen bildgebenden
Verfahren (fMRTI) invivo Beobachtungen ermöglichen mit Hinweisen auf
spezifische Hirnarealfunktionszusammenhänge mit neuropsychologischen
Funktionen, wobei die Interpretation der Befunde (Labor versus
Lebenswelt) nur durch zusätzliche Annahmen möglich ist. Die Beobachtung, dass die Stimulation spezieller Hirnareale bestimmten
Bewusstseinsphänomenen (Penfields Homunkulus) zugeordnet werden,
vernachlässigt, dass der gesamte Mensch mit seinem Erleben reagiert, und
die Gleichsetzung neuronaler Abläufe mit dem Bewusstsein nicht identisch
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
29
ist. Die dritte Kritik befasst sich mit der „Debatte der Willens-freiheit“, den
Libet (1985) Experimenten mit motorischen Bereitschafts-potentialen, und
der Frage Determinismus versus „Gehirn als Organ der Freiheit“ (Fuchs) in
der Begrenztheit der Interpretation und Genera-lisierung. Zur weiteren
kritischen Diskussion wird auf die analytisch philosophischen und
neurowissenschaftlichen Argumente verwiesen. (Searle, 2004, Singer,
2002, Sturma, 2006, Walde, 2006, Pauen, 2004) Fuchs weist auf die
„implizit dualistischen Voraussetzungen der neurobiologischen Position“ hin
(ebd.,2013,S.79) und vertritt die These „Will man daher die Ursache für eine
Handlung als Handlung angeben, so kann sie weder in einem Ich oder
Willen noch im Gehirn liegen, sondern nur im Menschen insgesamt mit all
seinen seelischen und körperlichen Zuständen.“ (ebd.,2013, S.81) Fuchs
argumentiert,
zur
Überwindung
einer
cartesianischen
und
reduktionistischen Sichtweise, für eine „überge-ordnete Bestimmung oder
Formierung der neuronalen Prozesse durch erlebte Bedeutungen.“ (ebd.,
2013,S.86) Und „was eine Person wesentlich ausmacht, ist ihr Sein-in
Beziehungen, und diese intentionalen und sozialen Beziehungen zur Welt
sind weder Erzeugnisse des Gehirns noch in ihm aufzufinden.“ (ebd.,
S.296)
Von Hartmann und Galert (Merkel, 2007) wird eine handlungsorientierte
konstruktivistisch philosophische Klärung der Begriffe Person, personale
Identität und Persönlichkeit, mit (ethisch politisch) praktischer Intention und
Herausarbeitung von Kriterien bei Hirneingriffen dargestellt. Aus-gehend
von der Person–Konzeption von Locke, für den diese eine moralische und
weniger eine deskriptive Kategorie beinhaltet, kann ein Lebewesen dann
als Person bestimmt werden, wenn es für seine Hand-lungen verantwortlich
gemacht werden kann (Rechte, Pflichten, Gesetze) (wurde schon bei
Boethius Person Konzeption dargelegt). Eine Person muss deshalb ein
Selbstbewusstsein besitzen, mit den Fähigkeiten zu denken,
Erfahrungswissen
zu
generieren
und
ein Teilnehmer
einer
Sprachgemeinschaft sein, in einer speziellen Umwelt, mit einem freien
Willen. „Locke´s famous definition of a person as „a thinking intelligent
Being, that has reason and reflection, and can consider it self as it self, the
same thinking thing in different times and places.“ (Merkel, 2007,S.275)
Marya Schechtman (2010) setzt sich kritisch mit dem Locke´schen Konzept
wegen seiner Engstellung auf die rationalen und moralischen Fähigkeiten
bei Personen und deren Interaktion, insbesondere wegen der implizierten
Diskriminierung und Eliminierung (mit den einschlägigen historischen
Erfahrungen) auseinander, und weitet den Blick auf den „person-life view.“
„Human persons exist as enculturated biological beings.“ (280) Die
Begegnungen der Menschen sind vielschichtig und am Beispiel von
dementen und behinderten Menschen stellt sie die Tiefe der menschlichen
Personalität heraus.
Hartmann und Galert (2007) arbeiten heraus, dass durch Interventionen in
das Gehirn direkt oder indirekt die folgenden Person–Fähigkeiten
geschädigt werden: - diskriminative Fähigkeiten (Wahrnehmung und
Erkennen); - episodisches Gedächtnis; - Fähigkeit zu Lernen; - Sprache; Fähigkeit zum moralischen Urteilen; - Fähigkeit zu zielgerichtetem Handeln;
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
30
- Disposition um die natürlichen Bedürfnisse zu befriedigen; Empfindungsfähigkeit; - Leiblichkeit.
Das psychische Kriterium für die personale Identität ist das von der Person
kreierte Selbstkonzept. Es handelt sich somit um die Leistung eines selbstreferenziellen Wesens, das in der Lage ist seine eigene Lebensgeschichte
(Narrativ) kontinuierlich, unter der Voraussetzung einer kontinuierlichen
Leiblichkeit, dem Gehirn, als Träger der relevanten kognitiven Fähigkeiten
und Persönlichkeitszüge, zu gestalten. Die Autoren sehen hierin eine
Möglichkeit an Hand der „stories“ qualitative Kriterien zur Beurteilung der
personalen Identität, i.S. einer Kontinuität des Selbst-konzeptes, zu
gewinnen.
Eine praktische Umsetzung des narrativen Ansatzes wird von F. Baylis
(2013) dargestellt. Er setzt sich mit den Schilderungen (self-narratives) von
H. Dubil (Parkinson Patient, Akademiker, mit DBS behandelt, „Tief im Hirn,
2008“) auseinander auf dem Hintergrund der
Unterscheidung von
Persönlichkeit und persönlicher Identität. Baylis geht der Frage nach dem
„dislocated self“ („ich bin nicht mehr ich selbst“,„ich bin wie ein Roboter“,
„ich bin wie ferngesteuert“) in Folge einer DBS bei Parkinsonpatienten, aus
philosophischer Sicht, nach. Die Behauptung, dass die THS eine
Bedrohung der personalen Identität bewirkt sieht er als falsch an, da die
dynamische Natur der Identitätsbildung hierbei nicht bedacht wird.
Lebensereignisse werden üblicherweise in das Selbstkonzept dynamisch
integriert. Die Bedrohung geht bei den neuropsychiatrisch Kranken von der
Diskriminierung durch die Gesellschaft aus, und die Perspektive der
Bedrohung geht somit in die falsche Richtung. Die entscheidende
Bedrohung der personalen Identität besteht darin, dass die Fähigkeit zu
informierten und rationalen Entscheidungen bedroht werden kann, was am
Beispiel der Auslösung von pathologischem Spielen, Süchten als
Nebenwirkungen deutlich wird. Der narrativ medizinischethische Ansatz
bietet sicher Ansatzpunkte zu einer Konvergenz mit den psychologischen
klinischen Ansätzen der Humanpsychologie von Carl Rogers (1902-1987).
Eine praktische Bedeutung im Rahmen des öffentlichen Gesundheitswesens hat diese Konzeption, aus psychiatrischer Sicht, bisher nicht
erreichen können.
Mit dem Begriff der personalen Identität (in amerikanischen Publikationen
mit Selbst synonym gebraucht) wird der Begriff des „Selbst als Form des
Indikators Ich“ (Mittelstraß, 1995, S.752) angesprochen. (Schmidt, 2008)
Von I.Kant wird ein „bestimmendes Selbst (Denken)“ von
einem
„bestimmbaren Selbst (denkendes Subjekt)“ unterschieden, und er wendet
sich gegen eine Vergegenständlichung des Selbst. Ein interessanter Ansatz
wird von P. Picoeur erarbeitet, der eine „Hermeneutik des ich bin, dessen
Aufgabe es ist, die Konstitution des authentischen Ego (Selbst) zu
untersuchen ist, das dem Cogito noch vorausgeht und dieses allererst
fundiert“ (präsentiert). ... Als authentisches Ego konstituiert sich das
Selbst durch die Frage nach seinem eigenen Sein (Dasein).“ (Mittelstraß,
1995,S.753) Eine sozialpsychologische Konzeption der Persönlichkeit wird
von G.H.Mead mit der Unterscheidung der Instanzen „I“ und „Me“ geliefert.
Das „I“ als „spontane, impulsive und kreative Triebkonstitution“ wird dem
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
31
„Me“ als „Internalisierung der Erwartungen einer relevanten Bezugsperson
bzw. die Antizipation des Bildes, das der andere von mir hat“
entgegengesetzt. (Mittelstraß, 1995, S. 754)
Birnbacher (2006) setzt sich kritisch mit dem Personbegriff auseinander und
sieht den besondern Vorteil in einem Verzicht auf den „Person – Begriff“
darin, dass sich hierdurch die Chance biete eine „feinkörnige Analyse und
Begründung moralischer Rechte zu ermöglichen. Man braucht Wesen, die
Person sind, nicht alle möglichen Rechte zuzu-schreiben, und man braucht
Wesen, die keine Person sind, nicht bestimmte oder alle moralischen
Rechte abzusprechen.“ (S.53 f)
Aus den vorhergehenden Ausführungen ergibt sich, dass der Begriff der
„Menschenwürde“ bei der Diskussion der Konzepte zur Person und dem
Schutz der personalen Identität (Selbst, Ich), und der Persönlichkeit (als
empirisch psychologischer Begriff) implizit mitgedacht wurde. Eine
Annäherung an den „Würde-Begriff“, wie er für medizinethischen Belange
fruchtbar gemacht werden kann, rekurriert auf eine Differenzierung in die
Aspekte der ontischen, phänomenologischen, reflexiven, und relationalen
Würde. Die ontische Würde ist unveräußerbar und an die Existenz des
Menschen gebunden und ergibt sich aus dem „Dasein und Wesen des
Menschen.“ Niederschlag findet dies
in Artikel 1 des deutschen
Grundgesetzes, sowie dem Konzept der Heiligkeit des Lebens.(Kuhse,
1994) (Hilgendorf, 2013) Ein aktuelles und rationales Bewusstsein ist an die
Bedingung der Möglichkeit des Subjekts zum Bewusstsein gebunden und
ermöglicht damit eine Zuschreibung von Würde, wie es sich in den
deskriptiv normativen Ethikkonzepten niederschlägt. Die rationale Würde
erlischt mit dem Verschwinden von Fähigkeiten und Interessen. Die
reflexive Würde ist mit der moralischen Fähigkeit des Menschen (Kant)
verbunden, wird in der Sozialisation erworben und kann jederzeit verloren
gehen. Sie stellt einen starken Impetus dar, die moralischen Werte zur
Geltung zu bringen, zumal die relationale Würde, die sich aus der
gegenseitigen Anerkennung von Subjektiven ergibt, jederzeit verloren
gehen kann. (Nussbaum, 2000, Nussbaum, 2012) Die Würde als „Eine Art
zu leben“ formuliert Bieri in dem lesenswerten Buch. (Bieri, 2013) „Die
Würde des Menschen ... ist eine bestimmte Art und Weise, ein menschliches Leben zu leben ... wie ich von den anderen Menschen behandelt
werde ... was für eine Einstellung ich zu ihnen habe ... wie ich zu mir
selbst stehe.“ (ebd.,S.12f)
Bei chirurgischen Eingriffen in das Gehirn geht es aus medizinethischer
Sicht um die Frage, ob es institutionell gewährleistet werden kann, dass die
medizinische Indikation zur THS, trotz einer nicht vorhersehbaren
Bedrohung
der
personalen
Identität,
der
Gefährdung
der
Selbstbestimmung (agent control) zu rechtfertigen ist.
Fazit: Das ethische Prinzip der Person ist bei chirurgischen Eingriffen in das
Gehirn zu vage, offen und unbestimmt, und bedarf notwendig der
Ergänzung und Einbettung in Abwägungsprozesse (Überlegungsgleichgewicht) vor allem mit dem „Prinzip der Autonomiewahrung (die
Respektierung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten), dem Prinzip
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
32
der Fürsorge (die Behandlung des Patienten in seinem besten
Interesse)“(Birnbacher, 2006,S.288), dem Schutz der Person unter
Wahrung seiner „Menschwürde“ (Quante, 2010, Joerden, 2013), und dem
Schutz der Öffentlichkeit vor antisozialen Persönlichkeiten.(Stoecker, 2014)
Neben dem Schutz der körperlichen Integrität muss somit , wegen der
Möglichkeit eines Personenwechsels, dem authentischen (personalen)
weiter leben können, nach einer THS Rechnung getragen werden.
Vorsorgende Maßnahmen (Stellvertreter, Vorausverfügung) unter
Einschluss der Angehörigen und nächsten Bekannten sind deshalb
geboten.
1.3.4 Wie lassen sich Persönlichkeitsmerkmale bei chirurgischen
Eingriffen in das Gehirn erfassen?
Die bisherigen Ausführungen haben eine philosophisch ausgerichtete
Aufarbeitung der personalen Dimension thematisiert. Die Erfassung von
psychologischen
Persönlichkeitsmerkmalen
muss
eine
Operationalisierung (reliabel,valide) ermöglichen um die Therapie–Outcomes
vergleichbar zu machen. Gleichzeitig bedeutet dies eine Beschränkung auf
mit inhaltlichem, formalen Bezug auf die eingesetzten Instrumente
(Persönlichkeit ist das, was der Persönlichkeitstest misst). Zu einer
sorgfältigen Bestimmung der Persönlichkeitsanteile sind psychiatrische und
psychologische valide Test-Verfahren erforderlich um eine transparente
und sensitive Studien,- und Behandlungsplanung zu ermöglichen, und nach
gültigen fachärztlich-psychologischen Standards zu legitimieren.
Vorweg ist an die „Kritik an den Psychopathentypen“ von Kurt Schneider
(1980) zu erinnern. Er weist darauf hin, dass diese wie Diagnosen
aussehen, aber „Persönlichkeiten kann man nicht diagnostisch etikettieren
wie Krankheiten und seelische Folgen von Krankheiten. Man kann eben
höchstens Eigenschaften an ihnen aufzeigen, unterstreichen,
herausheben, die sie in auffallendem Maße kennzeichnen....“(S.31) Der
normative Anteil des Persönlichkeitsbegriffs ist zusammen mit dem
Autonomieprinzip, sowie dem Schutz der Privatsphäre, immer mit zu
bedenken.
Neben einer testpsychologischen Erfassung kognitiver Funktionen, ist die
Testung emotionaler und motivationaler Anteile der Persönlichkeit
Schwerpunkt einer neuropsychologischen Begutachtungssituation. Die den
Tests zugrunde liegenden Persönlichkeitskonzepte entscheiden die
Beurteilung und Interpretation der gewonnen Daten.
Bei der Aufarbeitung der Literatur zur THS fand Witt (2013) lediglich zwei
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
33
Studien (von 30), die der Erfassung von Persönlichkeitsmerkmalen
hinreichend Beachtung schenkten. (S. 507)23
Es lassen sich kategoriale von dimensionalen Persönlichkeitstests
unterscheiden. Viele der psychometrischen Persönlichkeitstests24, wie z.B.
der NEO-FFI, beruhen auf dem lexikalischen Persönlichkeitsansatz mit den
fünf
grundlegende
Persönlichkeitsdimensionen
(Neurotizismus,
Introversion/Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit,
Gewissenhaftigkeit). Erste „molekulare Persönlichkeitsskalen“ zum „FiveFactor–Model“ versuchen „single polymorphisms“ zu entdecken. Die
Forschung steckt hierzu noch in den Anfängen. Zukünftig könnte eine
Spezifizierung der Eingrifftiefe mit einer Präzisierung der Zielstrukturen von
electroceuticals (McCrae, 2010) entwickelt werden. Die Molekular-genetik
spielt zum jetzigen Zeitpunkt im Rahmen der praktischen psychiatrischen
Anwendung keine Rolle (siehe hierzu Kapur,S.u.a. (Molecular Psychiatry,
2012,17, 1174-1194).
Zu bedenken ist, dass mit der TSH behandelte neurologische Patienten
nicht per se „psychiatrische Patienten“ sind. Folgewirkungen (side-effects)
der THS mit der Auslösung manischer Störungen, Suchtverhalten oder
schweren depressiven Zuständen werden bei der THS Behandlung von
neurologischen Patienten beobachtet. Das Gehirn fungiert als
gemeinsames Eingriffsorgan der THS. Die Forschung muss sich somit um
eine sensiblere Erfassung von Persönlichkeitsmerkmalen bemühen, die
einer statistischen Aufarbeitung und vergleichbaren Interpretation möglich
machen.
Das TIPI (Trierer integriertes Persönlichkeitsinventar) von Becker und das
HPI (Hamburger Persönlichkeitsinventar) sowie der Gießen-Test von
Beckmann sind die am weitesten verbreiteten Persönlichkeits- Instrumente
im
deutschsprachigen
Raum,
und
haben
die
„projektiven
Verfahren“(Rorschach-Test,TAT) abgelöst. Das Trierer Persönlichkeitsinventar (englische Fassung liegt vor) „basiert auf einer systematischen
Aufarbeitung und Weiterentwicklung von Theorien und diagnostischen
23 Die Klassifikationssysteme DSM-IV und ICD-10 sprechen von einer Persönlichkeitsstörung, wenn bei einer
Person bestimmte Verhaltens-, Gefühls- und Denkmuster vorhanden sind, die merklich von den Erwartungen
der soziokulturellen Umgebung abweichen und sich in einem breiten Spektrum sozialer und persönlicher
Situationen bemerkbar machen. Dabei sind die Persönlichkeitszüge überdauernd vorhanden, unflexibel und
wenig angepasst und führen in klinisch bedeutsamer Weise zu Leiden oder Beeinträchtigung in sozialen,
beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. Andere Konzeptionen von Persönlichkeitsstörungen
umgehen den auch heute noch zum Teil pejorativ erlebten Störungsbegriff und sprechen von dysfunktionalen
Persönlichkeits- und Verhaltensstilen (Schmitz et al., 2001). Wiederholt im Leben unter verschiedenen
Umständen auftretende maladaptive zwischenmenschliche Verhaltensmuster, die das soziale Funktionsniveau
und die Lebensqualität der Person beeinträchtigen, sollten an eine Persönlichkeitsstörung denken lassen und
die entsprechende Diagnostik veranlassen. Die sozialen Folgen können vielfältig sein, sich in mangelnder
Beziehungsfähigkeit und Isolation oder in konflikthaft und instabil verlaufenden Beziehungen ausdrücken oder
aber die Balance zwischen Nähe und Autonomie stören. Dabei kann die Person selbst dieses Muster
problematisch und veränderungswürdig erleben oder nicht. Die Bewertung von Persönlichkeitsmerkmalen als
maladaptiv unterliegt gesellschaftlichen und kulturellen Einflüssen und Veränderungen; so können
beispielsweise narzisstische Persönlichkeitszüge in einem hoch-kompetitiven gesellschaftlichen Kontext von
der sozialen Gruppe als wenig störend erlebt oder histrionische Persönlichkeitszüge bei Künstlern geradezu als
Ausdruck der Kreativität aufgefasst werden. Es handelt sich um eine heterogene Störungsgruppe, so dass mit
der allgemeinen Diagnose einer Persönlichkeitsstörung die Symptomatik noch nicht ausreichend beschrieben
ist. Erforderlich ist eine genauere Festlegung, die anhand der spezifischen Subtypen von
Persönlichkeitsstörungen erfolgen muss, deren Merkmale in der ICD-10 und im DSM-IV jeweils aufgelistet sind.
www.AWMF online - S2-Leitlinie Psychiatrie: Persönlichkeitsstörungen.de pdf aufgerufen 14.09.2014
24 siehe hierzu das Testangebot des Hogrefe- Verlag Stuttgart.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
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Instrumenten zur seelischen Gesundheit von Becker und Minsel, sowie auf
faktorenanaytischen Studien zu den varianzstärksten und unabhäng-igen
Faktoren der Persönlichkeit.“ Dem Testverfahren ist eingebunden in eine
Systemtheorie und in das Circumplexmodell der Persönlichkeit, wobei die
Hauptkonstrukte „Seelische Gesundheit“ und „Verhaltens-kontrolle“ als
Ankerfaktoren gelten. „Seelische Gesundheit wird nach Becker als
Fähigkeit zur Bewältigung externer und interner psychischer
Anforderungen“ definiert.
Die Testkriterien zum Einsatz bei einer normalen Persönlichkeiten und
Persönlichkeitsstörungen sind teststatistisch und testtheoretisch
geklärt(http://www.psychdata.de/index.php?main=search&sub=brose&id=
brpr88pe99 aufgerufen am 20.07.2014).
Eine praktische Umsetzung mit der Erfassung der personalen Identität, dem
„agent“ Konzept, sowie einer sensitiven, validen und reliablen Erfassung
von Persönlichkeitsmerkmalen könnte hier ansetzten. Das state-traitKonzept, welches mit einer Operationalisierbarkeit bei Angst-störungen
(STAI) international Anerkennung gefunden hat, eignet sich ebenfalls zu
einer Operationalisierung von Persönlichkeitsmerkmalen, findet aber bisher
kaum Beachtung. (L. Laux, P. Glanzmann, P. Schaffner, C.D. Spielberger
seit 1981 im Einsatz). Die Forschung steht noch ganz am Anfang.
(Friedrich, 2014)
Von Witt (2013) wird zur Bestimmung des psychologischen Persönlichkeitskonzepts das „Core-periphery-Model“, das „Activity-Model“ und
insbesondere das „Foundational-Function-Model“ zur Erfassung der
Persönlichkeit und der personalen Identität (als philosophischen Begriff)
herausgestellt: „If we interpret „centrality to identity“ in terms of „foundational
function“, it becomes clear why a change in her central attitudes changes
the person. A change in one of her core attitudes resounds through the
chain(s) of more peripheral attitudes that depend on them.“ (S.507) Das
Konzept stellt einen Kompromiss von philosophischen und psychologischen
Dimensionen dar, scheint aber noch nicht hinrejchend durchdacht zu sein.
In der von Witt angesprochenen Studie werden das DAPP-BQ -Dimesional
Assessment of Personality - und der revidierte NEO PI-R als Instrumente
zur Persönlichkeitserfassung ange-führt. Es wird eine longitudinal
angelegte Studie vorgestellt, welche das philosophische Konzept der
„personal identity“ mit semi-strukturierten Interviews bei den Patienten und
Angehörigen erfassen soll, in Kombination mit validierten quantitativen
Persönlichkeitstests. Die psychiatrischen Persönlichkeitsdiagnosen werden
mit den IDCL (Internationale Diagnosen Checklisten für ICD–
Persönlichkeitsstörungen), und nach dem DSM – IV, bzw. DSM-V ((Falkai,
2015)) fachärztlich eingesetzt. Hiermit sollen die Dimensionen der „personal
identity“ miterfasst werden, was sicher kritisch gesehen werden sollte, da
es sich hier um klinisch deskriptive Skalen zur Erfassung
von
Störungsbildern handelt, was bei dem THS–Outcome nicht per se im
Vordergrund steht.24
24 ICDL der WHO mit den Subtypen: paranoide, schizoide, dissoziale, emotional instabile, histrionische,
anakastische, selbstunsichere, abhängige narzisstische, passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung; Saß,H ,
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
35
Kritisch anzumerken ist, dass sich Persönlichkeits- (Charakter-) Modelle
wie Zwiebelmodelle (Wellek) oder hierarchische Modelle in der
psychiatrischen und psychologischen Praxis nicht bewährt haben, da sie
wegen der Vermischung von dekriptiven und normativen Begrifflichkeiten
zu einer validen Erfassung nicht geeignet sind. Hiermit ließen sich
Konvergenzen zu einem in der Neurologie und der biologischen
Psychologie anerkannten Krankheitskonzept herstellen. Die Diskussion
hierzu kann hier nur angedeutet werden, wobei auf die neurowissenschaftliche und neurophilosophischen Darstellungen bei Friedrich,O,
Zichy,M (2014) verwiesen wird.
Fazit: Gegenwärtig lassen sich zum Bereich der Erfassung von personaler
Identität und von Persönlichkeitsmerkmalen die Grenzen und Fragestellungen aufzeigen und auf weiteren interdisziplinären Forschungsbedarf
hinweisen.
2. Zur Leitlinientherapie und dem Stellenwert der THS bei
Neuropsychiatrischen Erkrankungen
2.1 Einige grundsätzliche Überlegungen zu Diagnose und Therapie
bei neuropsychiatrischen Erkrankungen
Von Birnbacher u. Birnbacher (2012) wird bei der Erörterung der „ethischen
Aspekte bei der Setzung von Therapiezielen“ festgestellt. „Eine allseits
verbindliche Definition von seelischer Gesundheit, richtigem Leben und
psychischer Lebensqualität ist bei dem in unserer Gesellschaft
herrschenden Wert- und Normpluralismus kaum möglich, noch weniger als
entsprechende Definitionen von körperlicher Gesundheit, gesunder
Lebensführung und körperlichem Wohlbefinden.“ (in: Wiesing, 2012,S. 222)
Als „Schlüsselbegriffe der Medizin“ (Paul, 2006, S.131) sind Gesundheit
und Krankheit einem fortwährenden gesellschaftlichen Einfluss unterworfen und nur auf dem Hintergrund einer medizinhistorischen Einordnung zu fassen. Während die „ontologischen Krankheitskonzepte“ im 19.
Jahrhundert keinen Trennung zwischen „Krankheitsbeschreibung“ und
„Krankheitswert“ vorgenommen haben, und nach dem Modell der
„Seuchenmedizin“ Krankheiten bekämpft wurden, hat sich im 20. und 21.
Jahrhundert der
„analytisch-naturwissenschaftliche Krankheitsbegriff“
durchgesetzt, und Krankheiten wurden „zunehmend als natürliche
Prozesse im menschlichen Organismus“ beschrieben. (Paul, 2006, S.
133f.) Die Unterscheidung von Krankheitsdeskription und Krankheitswerten nimmt darauf Bezug, dass der Begriff Krankheit untrennbar einen
deskriptiven und askriptiv, normativen Bedeutungsbereich umfasst. „...nur
Wittchen,HM, Zaudig,M,: Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen. Hogrefe-Verlag,
Göttingen, 1998
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
36
das Anerkennen von Krankheitswerten rechtfertigt den Anspruch auf den
helfenden oder heilenden Eingriff der Medizin.“ (Paul, 2006, S.135) Die
Grenze zwischen pathologischen und gesunden Lebensprozessen wird
aktuell durchlässiger, wenn die Diskussion um den Bereich des
„Neuroenhancements“ erweitert wird. (Schöne.-Seifert, 2009)
Bei der Unterscheidung gesunder und pathologischer Anteile bei
neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen muss sich
der
theoretisch und praktisch tätige Arzt auf ein probabilistisches
neurofunktionelles Krankheitsmodell beziehen. Das der THS zugrunde
liegende Krankheitsmodell wird folgendermaßen beschrieben. „The brain
operates through complex interactions in the flow of information and signal
processing with neural networks. The „wiring“ of such networks, being
neural or glial, can physically and/or functionally go rogue in various
pathological states. Neuromodulation, as a multidisciplinary venture,
attempts to correct such faulty nets.“ (Parpura, 2013,S.436)
Der Krankheitsbegriff kann sich im neurologischen und psychiatrischen
Fachgebiet nicht alleine auf dieses Hirn-Konzept beziehen. Neuropsychiatrische Krankheiten sollten vielmehr, aus guten Gründen, in einen
lebensweltlichen Kontext gestellt werden. „Wie schon Karl E.Rotschuh
aufgezeigt hat, gibt es nicht nur den Krankheitsbegriff der Medizin, sondern
man muss zusätzlich in Rechnung stellen, dass die Bezeichnung krank
und Krankheit a) auch in der alltäglichen Lebenswelt gebraucht werden
... das sich nicht mit dem der (wissenschaftlichen) Medizin deckt; b) in der
Arbeitswelt, im Sozialrecht und im Versicherungs-wesen einen bestimmten
sozialen status bezeichnen ... c) sowohl in der Geschichte der
abendländischen Medizin als auch in außereuropäischen Kulturen und
Medizinsystemen der Vergangenheit und Gegenwart mit anderen
theoretischen Vorstellungen und praktischen Konsequenzen verbunden
wurden beziehungsweise werden...“ (Hucklenbroich, 2012,S. 138f)
Psychiatrische Diagnosen25 sind definitorisch als soziale Konstrukte
einzuordnen. (Schramme, 2004) Während im 19. und Anfang des 20.
Jahrhunderts idiosynkratische diagnostische Einteilungen eine Vergleichbarkeit seelischer Störungen nicht möglich machte, wurde mit dem
Anspruch einer weltweiten Erfassung von Gesundheit und Krankheit nach
einem Konsens gesucht, im amerikanischen Bereich in dem Diagnostic and
Statistical Manual of Diseases dargestellt, und sich im deutschen
öffentlichen Gesundheitsweisen auf das international classification of
deases (ICD – 10) der WHO bezieht.
Unter den gegenwärtigen gesundheitsökonomischen Arbeitsbedingungen
der Ärzte ist es ratsam, wenn verwertbare Aussagen zur Schwere einer
Krankheit gemacht werden, genau zu wissen, ob es sich um Aussagen auf
der Makroebene (Politische, institutionelle finanzielle Verteilungsstrategien) oder um die Mikroebene (Arzt-Patienten-Ebene) handelt. Auf
25 „Unter einer Diagnose ist – grob gefasst – die durch Bezug auf medizinisches Wissen und pathologische
Befunde gesicherte Aussage über den gegenwärtigen Zustand eines Patienten zu verstehen. Eine Prognose
stellt hingegen im Idealfall eine plausible, aber auf den ersten Blick weitaus weniger sichere Aussage über die
zukünftige Entwicklung des Gesundheitszustandes des Patienten dar.“ (Paul, 2006, S. 143) siehe hierzu
insbesondere Wolfgang Wieland (2004)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
37
den systematischen Zusammenhang „zwischen Verteilungsdebatte und
dem zugrunde liegenden Krankheitsbegriff“ (Schramme, 2004,S. 178) soll
unter dem Aspekt der „Gerechtigkeit im Gesundheitswesen“ hier nur
hingewiesen werden (Schöne-Seifert, 2007, Schramme, 2012)
Bereits 2001 hat sich im Sozialgesetzbuch (SGB IX) die von der WHO
empfohlene ICF, International Classification of Functioning, Disability and
Health) niedergeschlagen. „Neben dem diagnosebezogenen medizinischen
Dokumentationssystem ICD (International Statistical Classification of
Deseases and Related Health Problems) wurde damit eine neue
Klassifikation eingeführt, der das bio-psycho-soziale Modell von Krankheit
und Gesundheit zu Grunde liegt.“26 Die Kernaussage dieses Modells ist
eine stärkere Betonung des „empowerments“ bei den erkrankten Personen.
Nicht die Defizite, sonder die Aktivitäten und Partizipationen stehen im
Focus. Nicht die Diagnose, sondern das „Krankheitsbild,“ unter Beachtung
der lebensweltlichen Rahmen-bedingungen, sollen zu einer besseren, weil
individuelleren
Operationalisierbarkeit
und
Vergleichbarkeit
sozialmedizinischer Aussagen, beitragen.
Dies setzt allerdings einen
hohen internationalen Aufwand an deliberativen Aktivitäten von Experten
des globalen Gesundheitswesens voraus, dessen Niederschlag in der
Praxis zurzeit noch sehr unterschiedlich bewertet werden muss.
Ausfluss dieses Diskurses, insbesondere angeregt durch die evidenced
basierten Medizinansätze, ist die Formulierung von „Leitlinien“, die
inzwischen einen festen Bestandteil zur Beurteilung von legitimen
medizinischen Indikationen und Behandlungen gefunden hat. „Leitlinien
sind Handlungsanweisungen für die Diagnostik und Therapie einer
Erkrankung oder eines Symptomkomplexes.“ (Diener, 2008, Vorwort zur
1.Auflage). Im Laufe einer Dekade werden dabei von einer „Kommission“
mit sehr unterschiedlichen Interessen, ein Konsenspapier im Sinne von
Leitlinien konzipiert, die als Anweisungen fachärztlichen Handelns
beachtet werden sollen.27 Die Leitlinien werden auf der Webbseite der
Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zu Verfügung gestellt. Der 1962 gegründete Gesellschaft
sind 168 Fachgesellschaften angeschlossen.
„Die "Leitlinien" der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
sind systematisch entwickelte Hilfen für Ärzte zur Entscheidungsfindung in
spezifischen Situationen. Sie beruhen auf aktuellen wissenschaftlichen
Erkenntnissen und in der Praxis bewährten Verfahren und sorgen für mehr
Sicherheit in der Medizin, sollen aber auch ökonomische Aspekte
berücksichtigen. Die "Leitlinien" sind für Ärzte rechtlich nicht bindend und
26 siehe hierzu: „Leitlinien für die sozialmedizinische Begutachtung- Sozialmedizinische Begutachtung
neurologischer Krankheiten. Juli 2010. Deutsche Rentenversicherung. Bereich 0440. , S. 16 ff
27
„Die Einstufung der Empfehlungsstärke kann neben der Evidenzstärke die Größe des Effekts, die Abwägung
von bekannten und möglichen Risiken, Aufwand, Verhältnismäßigkeit, Wirtschaftlichkeit oder ethische
Gesichtspunkte berücksichtigen.“ Es werden Evidenzklassen vorgegeben (positive Aussage gut belegt; Positive
Aussage belegt, negative Aussage gut belegt, keine sicheren Studienergebnisse), sowie „Empfehlungsstärken
A: Hohe Empfehlungsstärke aufgrund starker Evidenz oder bei schwächerer Evidenz aufgrund besonders hoher
Versorgungsrelevanz; B Mittlere Empfehlungsstärke aufgrund mittlerer Evidenz oder bei schwacher Evidenz mit
hoher Versorgungsrelevanz oder bei starker Evidenz und Einschränkungen der Versorgungsrelevanz. C Niedrige
Empfehlungsstärke aufgrund schwächerer Evidenz oder bei höherer Evidenz mit Einschränkungen der
Versorgungsrelevanz.(Diener, 2008, Vorwort zur 4. Auflage)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
38
haben daher weder haftungsbegründende noch haftungsbefreiende
Wirkung.“(www.awmf.org. aufgerufen am 01.11.2014)
Leitlinien werden als Orientierungshilfen bei der Diagnostik und der
Therapieauswahl bei speziellen neuropsychiatrischen Krankheitsbildern
betrachtet. 28
Die folgende Übersicht soll auf ausgewählte neuropsychiatrische
Krankheitsbilder eingehen, bei denen die TSH bereits „routinemässig
eingesetzt wird“, oder bei denen „Ausweitungen des Einsatzes“ zu erwarten
sind, sowie solche Krankheitsbilder bei denen die THS in Studien bereits
eingesetzt wird.
Weltweit wurden seit 1995 über 100.000 Patienten mit der THS (DBS)
behandelt.(medtronic.de,
aufgerufen
13.11.2014).
Europäische
Zulassungen gibt es für die folgenden Indikationen. Idiopathisches
Parkinsonsyndrom (IPS), Tremor, Dystonie, Zwangsstörung (OCD),
Epilepsie.
Zum technischen Vorgehen werden stereotaktisch zwei Elektroden
(bilaterale Stimulation) in das Gehirn implantiert (beim essentiellen Tremor
unilaterral). Die Stimulation erfolgt über einen Neurostimulator (Batterie
betrieben, ähnlich einem Herzschrittmacher), der unter die Haut unterhalb
des Schlüsselbeins implantiert wird, und die Abgabe von elektrischen
Impulsen erfolgt über einen programmierbaren Computerchip. Die
Implantation ist jederzeit wieder zu entfernen, die Programmierung erfolgt
durch den behandelnden Facharzt und muss individuell erfolgen. Die
biologische Anpassung der Elektroden im Gehirn dauert einige Tage,
sodass die Stimulation danach begonnen werden kann.
(Vesper, 2014)
Das Störungsmodell beruht auf der Arbeitshypothese, dass es sich bei den
zu behandelnden Krankheiten um „Netzwerkstörungen der neuronalen
Informationsübertragung“ im Sinne „neuronaler Dysfunktionen der
Basalganglien-Kortex-Schleife“ handelt, „die durch eine Neuro-modulation
korrigiert werden können.“ (Schläpfer, 2014) Es wird erwartet, dass
Netzwerkstörungen durch „electroceuticals“ (Famm, 2013) gezielter
behandelt werden können als mit chemischen Pharmazeutika.
Neuroanatomisch und neurophysiologisch handelt es sich bei den
Basalganglien um die Strukturen Substantia nigra, das Striatum, das
Pallidum, den Nucleus subthalamicus, den Nucleus pedunculopontinus.
Diese Strukturen sind mit Faserverbindungen über den Thalamus mit dem
Cortex und über die Substantia nigra pars reticularis und den pedunculopontinen Kern mit dem Hirnstamm verbunden. Beteiligt sind vor allem die
Neurotransmitter Dopamin und Gammaaminobuttersäure (GABA). Das
Zwischenhirn ist unterhalb des Cortex lokalisiert (Striatum). Fast alle
Neurone des Pallidums sind Projektionsneurone mit GABA Transmission.
„Der Nucleus subthalamicus (STN) ist der einzige ausschließlich erregende
28 Leitlinien-Glossar AWMF : Klassifizierung von Leitlinien: S1: von einer Expertengruppe im informellen
Konsens erarbeitet (Ergebis: Empfehlungen); S2: eine formale Konsensfindung („S2k“) und/oder eine formale
„Evidenz-Recherche („S2e“) hat stattgefunden; S3: Leitlinie mit allen Elementen einer systematischen
Entwicklung („Logik-, Entscheindungs-, outcome“-Analyse); Nationale Versorgungsleitlinien entsprechen
methodisch der Klasse S3.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
39
Kern der Basalganglien, seine Neurone verwenden den Transmitter
Glutamat und er projiziert zum Globus pallidus internus (GPi), zum Nucelus
pedunculopontinus (PPN) und in geringerem Umfang zurück zum Globus
pallidus externus.“ (Oertel, 2012,S.5) Der GPi hemmt den Thalamus
(Ausgangsstation der Basalganglien) und hat Einfluss auf die Aktivität der
kortikalen Strukturen. Die Eingangsstation der Basalganglien ist das
Striatum. Wichtig für den hier angesprochenen Zusammenhang ist, dass
der Cortex eine direkte erregende Einflussmöglichkeit auf den Nucleus
subthalamicus (STN) hat, somit auf den wichtigsten Ausgangs-kern (GPi)
der Basalganglien. Damit können motorische Programme ausgewählt
werden. Zusammenfassend haben die Basalganglien eine selektive
Funktion auf die Expression motorischer automatischer Bewegungen. Es
werden Bewegungsfolgen gesteuert und die gelernten motorischen
Aufgaben werden ausgeführt (gewohntes Verhalten). Gleichzeitig werden
konkurrierende motorische Abläufe selektiv unterdrückt. Der Verlust von
Neurotransmittern (Dopamin) führt damit zu einer Störung gewohnter
motorischer Abläufe. Die Aufmerksamkeit, die emotionale Beteiligung (über
limbische Mitbeteiligung) und Erregbarkeit einer speziellen motorischen
Performance wird von den Basalganglien wesentlich mitgesteuert. Das
funktionelle Modell der Basalganglien wurde in den 80-iger Jahren
insbesondere von Alexander u.a. beschrieben. (Alexander, 1986, Oertel,
2012) Suszeptibilitätsgene (SLITRK1-Gen), SLIT-, und NTRK-Proteine sind
an der Entwicklung der Corticostriatalen-thalamocorticalen Schaltkreise
beteiligt.(Ludolph, 2012)
2.2 Die THS beim idiopathischen M. Parkinson (iPS)
Wann und worüber sollten Patienten/ Patientinnen und Angehörige
informiert werden, wenn im Verlauf einer Parkinson-Erkrankung die
Behandlung mit der THS fachärztlich indiziert werden kann?
Historisch gesehen erfolgte die Erstbeschreibung der ParkinsonErkrankung 1817, die ersten klinischen medikamentösen Behandlungsansätze sind 1961 mit L-Dopa beschrieben, neben den läsionellen
Interventionen seit den 1950-iger Jahren. Seit 1993 wurde das
Behandlungsspektrum mit der Tiefen Hirnstimulation (1993 STN-THS
Erstbeschreibung durch Pollak,P, Benabid,AL, Gross,C. Efffects of the
stimulation of the subthalamic nucleus in Parkinson´s desease. RevNeurol
1993:149:175-176) ergänzt. 1998 erfolgte die Europäische Zulassung der
beidseitigen STN-Stimulation, 2002 die US-amerikanische Zulassung der
beidseitigen STN-Stimulation.29
Die Auswahl der Stimulationsorte wird in der Fachliteratur kontrovers
diskutiert, wobei sich allerdings im Überblick folgendes formulieren lässt.
Die Basalganglien (Nervenknoten im unteren Gehirnbereich) spielen bei der
29 Abkürzungen: THS Tiefe Hirnstimulation; iPS idiopathisches Parkinson-Syndrom; snonymer Gebrauch
Morbus Parkinson, primäres Parkinson-Syndrom; GPi Globus pallidus internus; GPe Globus pallidus externus;
SNr Substantia nigra, pars reticulata; STN Nucleus subthalamicus; VIM Nucleus ventralis internus des
Thalamus; GAN Gamma-amina-Nutyrat; STN-THS Tiefe irnstimulation im Zielort Nucleus subthalamicus
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
40
Kontrolle kognitiver, emotionale, motorischer und sensorischer Funktionen
eine wichtige Rolle, da sie im Austausch miteinander und mit dem
Thalamus und dem Neocortex stehen („ganglio-thalamokortikale
Organisation“ nach dem Modell von Alexander) (Alexander, 1986), und die
als „kortiko-striato-thalamo-kortikale Schleifen“ Zielorte bei der Neuromodulation sind. „Es wird ferner angenommen, dass sowohl STN als auch
GPi regulierend in assoziative und limbisch-kortiko-subkortikale Netzwerke
eingreifen“, und hierdurch auch in Zusammenhang mit den psychiat-rischen
Nebenwirkungen stehen. „An den STN angrenzende Zellverbände
projizieren zudem in anterior-zinguläre, ventral-striatale und frontale
Hirnregionen.“ (Skuban, 2011,S.704)
Eine europäische Zulassung hat die THS (DBS) bei der Indikation iPS für
den fortgeschrittenen Levodopa responsiven Morbus Parkinson als
„Begleitbehandlung“ zur symptomatischen Besserung von motorischen
Einschränkungen, die durch medikamentöse Behandlung nicht adäquat
gelindert werden können. Die Medtronic DBS-Therapie ist für die
Zielgebiete zur Stimulation STN oder GPi zugelassen.
„Der STN ist mit einem Volumen von durchschnittlich 158 mm3 weniger als
halb so groß wie der GPi, der ein Volumen von etwa 478 mm 3 besitzt,
außerdem beinhaltet der STN auch zahlreiche Neuronen, die nicht in
motorische Funktionen eingebunden sind.“ (Skuban, 2011a) Die technisch
anspruchsvollere und erwartungsgemäß auch riskantere (nebenwirkungsreichere) Zielstruktur ist somit der STN.
Das iPS (ICD-10:G20) ist die häufigste neurologische Erkrankung
(Prävalenz 100-200/100.000 Einwohner in Deutschland; > 65 Jahre
1.800/100.000) (Oertel, 2012)
Die fachärztliche Behandlung des Morbus Parkinson erfordert „individuelle
Therapiestrategien“(Reichmann, 2014), wobei die ParkinsonpatientenParkinsonpatientinnen in sogenannte „biologisch junge Patienten“
(Behandlungsbeginn mit Non-Ergot Dopamin-Agonisten) und „biologisch
ältere Patienten“ (Behandlung mit Levodopa) eingeteilt werden, und die
Dosierung sich nach dem klinischen Effekt und den Nebenwirkungen
richtet. Bei Erkrankungen vor dem 50. Lebensjahr muss ein Morbus Wilson
ausgeschlossen werden. (Kupferstoffwechselstörung). Es werden vier
Verlaufsformen unterschieden: Akinetisch – rigider Typ; Äquivalenz-Typ;
Tremordominanz-Typ; Monosymptomatischer Ruhetremor.
Die apparativen Zusatzuntersuchungen, einschließlich der bildgebenden
Verfahren (CCT,SPECT,PET, NMR), dienen dem Ausschluss der anderen
neurodegenerativen Erkrankungen (atypische Parkinson-Syndrom:
MSA,DLK,PSB,CBD), und der symptomatischen, sekundären ParkinsonSyndrome. Weiterhin ist eine genetische Form des Parkinson-Syndroms zu
berücksichtigen. Die Klassifizierung der iPS und der atypischen ParkinsonSyndrome erfolgt nach den pathologischen Kriterien in Synukleinopathien
und Tauopathien.30
30 Abkürzungen: MSA Multisystematrtophie; DLK Demenz vom Lewy-Körper-Typ; PSP Progressive
supranukleäre Blickparese; CBD Kortikobasale Degeneration;
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
41
Die klinische Diagnose eines iPS (UK Brain Bank Kriterien 1990) umfasst
die Bradykinese mit einer Verlangsamung willkürlicher Bewegungen,
Verlangsamung und Amplitudenreduzierung bei wiederholten Bewegungen, und mindestens ein weiteres Symptom (muskulären Rigor,
Ruhetremor von 4-6 Hz, posturale Instabilität). Differentialdiagnostisch
müssen im Vordergrund stehende Gangstörungen beachtet, und ausgeschlossen werden. Die Absicherung eines iPS erfolgt mit unterstützenden
Kriterien des einseitigen Beginns und der Asymmetrie der Symptomatik im
Krankheitsverlauf, dem Ruhetremor, und dem eindeutigen positiven
motorischen Ansprechen auf die Medikation mit L-Dopa (>30% in der
Unified Parkinson´s Disease Rating Scale, UPDRS Teil III), und durch einen
nicht durch zentrale neurologische Zusatzsymptome komplizierten
klinischen Verlauf von 10 oder mehr Jahren.
Die Beurteilung der klinischen Schwere der Erkrankung erfolgt nach dem
Hoehn & Yahr Stadium31 und der Differenz zwischen dem On- und OffZustand nach der UPDRS, sowie der Skala zur Erfassung nichtmotorischer Symptome bei der Parkinson – Erkrankung (NMSQuest, NonMotor- Symptoms Assessment Scale for Parkinson´s disease). Bei der
klinischen Stadieneinteilung (H&Y) werden ab Stadium 3 die axialen
Symptome berücksichtigt (Gleichgewicht, Gangstörungen, Stürze), wobei
diese motorischen Symptome nicht von einer L-Dopamedikation, und somit
auch nicht von einer TSH (DBS) beeinflusst werden. Auf die Progredienz
der neurodegenerativen iPS haben die Medikamente (Levodopa) und die
THS keinen Effekt.
Die besondere Gefährdung der Parkinsonkranken wird durch die Klärung
von Gefäßerkrankungen, und insbesondere der kognitiven Störungen
(neuropsychologische Störungen: Arbeitsgedächtnis, Konzentrationsfähigkeit, Exekutivfunktionen) ermöglicht. „Patienten mit Morbus Parkinson
(MP) zeigen häufig Defizite in der Wortflüssigkeit, bei Entscheidungsprozessen, in der kognitiven Flexibilität und beim planerischen Denken.
Entsprechende Defizite treten bei der Erstdiagnose des MP bereits mit einer
Häufigkeit von 18% auf, wie eine gemeindebasierte Studie gezeigt
hat...“(S2e Leitlinie: Diagnostik und Therapie von exekutiven Dysfunktionen
bei neurologischen Erkrankungen aktueller Stand 11/2011, AWMF-Register
Nr. 030/125, publiziert bei AWMF online) Bei Schädigungen des
präfrontalen oder orbitofrontalen Kortex oder subkortikaler Strukuren (
Nucleus caudatus oder Thalamus), die bei einer STN-Stimulation mit
beeinflusst werden können, treten dysexekutive Störungen gehäuft auf.
Dies hat für die berufliche Teilhabe, die Selbständigkeit, die
Alltagsbewältigung, und die Belastung der Angehörigen entscheidendes
Gewicht. Eine positive Wirkung auf diese Einschränkungen kann somit von
der THS wahrscheinlich nicht erwartet werden. Vielmehr sprechen die
31 Stadium 0: keine Anzeichen der Erkrankung; Stadium 1 einseitige Erkrankung; Stadium 1.5 Einseitige
Erkrankung und axiale Beteiligung; Stadium 2 beidseitige Erkrankung ohne Gleichgewichtsstörungen Stadium
2.5 leichte beidseitige Erkrankung mit Ausgleich beim Zugstest, Stadium 3 leichte bis mäßige beidseitige
Erkrankung: leichte Haltungsinstabilität; körperlich unabhängig; Stadium 4 starke Behinderung, kann noch ohne
Hilfe laufen und stehen; Stadium 5 ohne Hilfe an den Rollstuhl gefesselt oder bettlägerig.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
42
bisher vorliegenden Studien dafür, dass „there ist a significant decline of
both sementic and phonetic verbal fluency and a mild trend für a
deterioration of verbal memory after DBS. Mood, general cognitive
screening, and visospatial abilities remained unchanged.“ (Harati, 2013).
Auf den Krankheitsverlauf der neurodegenerativen Erkrankung haben die
Behandlungsmethoden keinen Einfluss. Dazu gehören die sich
verschlechternden
Gangstörungen,
die
Sprechstörungen
(Dysarthrophonie) und die Demenz.
Nach den Leitlinien Parkinson-Syndrome gelten als Therapieziele:
 Therapie von motorischen, autonomen, kognitiven und
kommunikativen sowie psychiatrischen Symptomen der Erkrankung
 Erhaltung der Selbständigkeit in den Aktivitätten des täglichen
Lebens (ADL)
 Verhinderung/Verminderung von Pflegebedürftigkeit
 Erhaltung der Selbständigkeit in Familie und Gesellschaft (soziale
Kompetenz)
 Erhaltung der Berufsfähigkeit
 Erhalt/Wiedergewinnen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität
 Vermeidung von sekundären orthopädischen und internistischen
Begleiterkrankungen
 Verhinderung/Behandlung von motorischen und nicht motorischen
Komplikationen
 Vermeidung von medikamentösen Nebenwirkungen
 Weiterhin sollte die körperliche und vor allem psychische Belastung
der Lebenspartner und der Familie der Patienten berücksichtigt
werden.
Die zur Verfügung stehenden Medikamente:


L-Dopa (4:1 mit Decarboxylase-Inhibitor)
überlegener
motorischer Effekt
o Therapiekomplikationen
 Dyskinesien, Wirkfluktuation
o Nebenwirkungen
 Orthostatische Hypotonie
 Übelkeit, Brechreiz
 Exzessive Tagesmüdigkeit
 dopaminerg erzeugte Psychose
 Punding – stereotype, komplexe, entspannende
ziellose Handlungen (Zwangsstörungen)
 Impulskontrollstörungen (Spielsucht, Promiskuität)
 dopaminerges Dysregulationssyndrom
Dopa-Agonisten
weniger Dyskinesien, Fluktuationen verbessert
o Therapiekomplikationen
 Halluzinationen
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn




43
o Nebenwirkungen
 Orthostatische Hypotonie
 Übelkeit, Brechreiz
 Beinödeme
 dopaminerge Psychosen
 Impulskontrollstörungen (Spielsucht, Promiskuität)
 Punding
 Dopaminerges Dysregulationssyndrom
 vermehrte Tagesmüdigkeit (cave: Fahrtüchtigkeit)
 Fibrose der Lunge (Ergot-Derivate)
 Herzklappenfibrosen
COMT-Inhibitoren mit L-Dopa bei motorischen Fluktuationen
o Therapiekomplikationen (L-Dopa/Carbidopa/Entacapon)
 Dyskinesien
o Nebenwirkungen
 Schwere Hepatotoxizität (Tolcapon)
 Diarrhoen
 Dunkler Urin
MAO-B-Hemmer Frühstadium als Mono oder Kombi Therapie
o Reduktion der Off-Zeit und Gewinn von On-Zeit
o Verbesserung der Wirkfluktuationen
o krankheitsmodifizierende Wirkung (nicht konsistent)
 Nebenwirkungen
 Kardiovaskulär, zentralnervös
NMDA-Antagonisten
reduziert L-Dopa Dyskinesien, Akinese
o Nebenwirkungen
 Verwirrtheit
 Ödeme
 Livedo reticularis
 Nach Präparat – cave bei Dialyse
Anticholinergica
Tremorwirksamkeit
o Nebenwirkungen
 Kognitionsstörungen
Operative Behandlungsverfahren
1. Läsionelle neurochirurgische Intervention
a. Sonderindikation (einseitig)
Tremor
i. Nebenwirkung
Sprechstörung
ii. Komplikation
Irreversibilität
2. Tiefe Hirnstimulation
„potente Behandlungsmethode des
fortgeschrittenen Stadiums der iPS“
a. Indikation (zweiseitig)
Akinese, Rigor, Tremor
b. Besondere Indikationen
i. Medikamentös nicht behandelbare hypokinetische
oder hyperkinetische Fluktuationen
ii. Medikamentös nicht einstellbarer Tremor
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
44
iii. Dopaminerg-induzierte Psychosen wenn motorische
Symptome nicht ausreichend mit L-Dopa therapierbar
(cave: kognitives Defizit)
iv. Medikamentös induzierte Impulskontrollstörrungen als
Sonderindikation
c. Effektivität
i. Besserung der Off-Symptome 50-70%, entsprechend
der Wirkungsstärke von L-Dopa
ii. Wirkdauer 24 Stunden
iii. Nachlassen
bis
Verschwinden
der
Wirkungsfluktuationen
iv. Minderung der L-Dopa induzierten Dyskinesien nach
Reduktion der L-Dopa Medikation
v. Anhaltende Wirkung bei Stimulation des STN (8Jahres Studie vorliegend)
vi. Bei STN kann dopamimetische Therapie (akinetischrigides Syndrom) reduziert werden
vii. STN und GPi als Stimulationsorte (Differenz unklar)
viii. Stimulationsort Nucleus ventralis intermedius des
Thalamus – Sonderindikation: therapieresistenter
Ruhetremor bei Älteren
d. Schlechter
Effekt
oder
Verschlechterung
durch
Krankheitsverlauf
i. Gangstörung
ii. Parkinson Sprechstörung
iii. Frontales dysexekutives Syndrom
e. Perioperative Komplikationen (Skoban, 2011, Erasmi, 2014)
1. 10% intrakranielle Blutung (Skoban, 2011); 1,65% (Erasmi, 2014) abh. Von der Anzahl der
Elektroden
2. Infektionen 4,5 % (Erasmi, 2014)
3. bis
15
%
Elektrodenbrüche,
19%
Elektrodendislokation; Stimulationsassoziierte
Komplikationen: Dysarthrie, Gangstörungen mit
Freezing, Lidöffnungsapraxie, Dyskinesien
4. Krampfanfälle (keine Angaben)
5. Komplikationsrate bei STN-Stimulation > GPi
(Skoban, 2011, S.705) insbesondere bei Ältere
und höherer L-Dopa Medikation (Erasmi, 2014)
6. Letalität oder schwere Morbidität zwischen 0,5 –
3 % (Leitlinien 2012, S.21); Gesamtmortalität
0,1%- 0,4% (Erasmi, 2014)
7. Reversible perioperative Komplikationen < 5 %
(Leitlinien 2012, S. 21)
f. Verbesserungen der Lebensqualität
i. Größter messbarer Effekt in den motorischen
Dimensionen (Mobilität, ADL, Stigmata,
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
45
körperliches Unbehagen gemessen mit dem
PDQ-39); keine Verbesserung in den nichtmotorischen
Dimensionen
(Emotionales
Wohlbefinden,
soziale
Unterstützung,
Kognition, Kommunikation gemessen mit dem
PDQ-39) (Erasmi, 2014)
g. Postoperative psychosoziale Anpassungsstörungen und
psychiatrische Nebenwirkungen (Skuban, 2011)
i. Hypothesen zur Genese: Elektrodenplazierung;
Neurotransmitterirritationen,
Demaskierung
prämorbider psychiatrischer Erkrankungen
ii. Apathie,
emotionale
Verflachung,
„SelbstAktivierungsdefizit“32
Prädiktoren: Ausmaß nichtmotorischer Fluktuationen
iii. Suizidalität und Depression: 75 % der Suizide und
Suizidversuche ereignen sich postoperativ in den
ersten 17 Monaten; 0,41 bis 2% (bei iPS im Vergleich
zur Normalbevölkerung 10-fach verringerte Suizidrate
(Skuban, 2011,S.706))
Erklärungsansätze
zu
den
psychiatrischen
Nebenwirkungen
1. Enttäuschung über Therapieeffekte (Maier,
2013)
2. Anforderungen zur Resozialisierung
3. Singlestatus
4. Soziale familiäre Schwierigkeiten
5. Dopamin-Depletion des limbischen Systems
6. Neuropsychologische Auswirkungen der THS:
Verlangsamung von Entscheidungsprozessen,
Impulskontrollstörungen(Florin, 2013)
7. Interventionsimmanente
Nebenwirkungen:
Irritation limbischer Strukturen des neuronalen
Basalgangliennetzwerkes
/inkonsistente
Studienergebnisse (eher bei STN Stimulation)
8. Prämorbide und präoperative depressive
Episoden
9. Postoperative
Veränderung
der
Parkinsonmedikation
iv. Psychosoziale Anpassungsstörungen und social
burden
1. Nicht ausreichende Therapie möglich nach Op.
32 „Unter Apathie versteht man einen Mangel an Motivation und Interesse, der sich klinisch druch eine
Reduktion willentlich zielgerichteten Verhaltens, verminderter emotionaler beteiligung und ausbleibenden bzw.
quantitativ oder qualitativ verminderten Reaktionen in Bezug auf Umgebungsreize äußert und der nicht einer
Bewusstseinstrübung oder einer anderen Erkrankung kognitiver oder emotionaler Art geschuldet
ist.“(Skuban,2011,S.705) Messung mit der Starkstein Apathy Scale, SAS.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
46
2. Hyomanie und Manie in 4 % (Skuban, 2011,
S.707) mit Erklärungsansätzen:
a. Prächirurgische
bipolare
affektive
Störung
b. Stimulation anatomischer Strukturen
(medialer Anteil des STN)
3. Hoher „social burden“ für die Angehörigen und
das öffentliche Gesundheitswesen (Prospektive
Studie mit Hinweis auf Langzeiteffekte vs.
Kurzzeiteffekte bzgl. des „social burden“ und der
persönlichen Bewertung von Patienten und
caregivers werden im Rahmen des ELSA-DBS
erarbeitet. (Ethical, Legal and Social Aspects of
Deep Brain Stimulation) Timmermann,L. u.a.
„Parkinsons disease patients with subthalamic
stimulation and carers judge quality of life
differently.“ (Druckfahne übermittelt an den
Verfasser
e-mail:
[email protected])
v. Persönlichkeitsveränderungen33
1. Personwechsel
oder
Persönlichkeitsänderung(Schüpbach, 2006) möglich.
2. „derzeit kann diesbezüglich noch keine konkrete
Aussage getroffen werden.“ (Skuban, 2011,
S.708), Studien werden zu diesem Bereich
vorbereitet (Witt, 2013a),
3. Erklärungsversuch: Stimulationsziel ventral
(STN, GPi) nicht motorische Areale
4. Veränderung von Persönlichkeitszügen (risk
seeking behavior), Aggressivität, Apathie,
Stimmungsänderung,
Sexualverhalten,
Ängstlichkeit in einer Metaanalyse in weniger
als 0,5% bei TSH (Skuban, 2011), wobei die
Messinstrumente hierfür nicht sensibel sind.
(Witt, 2013)
vi. Absolute Kontraindikationen zur THS bei iPS (Hilker,
2009, Erasmi, 2014)
1. Schwere Allgemeinerkrankungen
2. Erhöhte Blutungsneigung
3. Maligne Grunderkrankungen
4. Chronische Theapie mit Immunsuppressiva
5. Außgeprägte
innere
und/oder
äußere
Hirnatrophie
6. Relevante strukturelle Hirnläsionen
33 „Nach E.J. Phares versteht man unter dem Terminus „Persönlichkeit“ ein Muster von chrakteristischen
Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen, die eine Person von einer andern unterscheiden und die über Zeit
und Situation fortdauern.“ (Skuban, 2011, S. 707)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
47
7. Schweres frontales dysexekutives Syndrom
8. Manifeste
psychiatrische
Erkrankung
(medikamentös
schwer
einstellbare
Depression)
9. Klinisch relevante Störungen von Affekt
(Depression, Manie) und/oder Verhalten
(Substanzmissbrauch,
Dopamindysregulationssyndrom) und/oder Persönlichkeit
10. Latente
oder
manifeste
Suizidalität
(Suizidgedanken, Suizidhandlungen n der
Vorgeschichte)
11. Neurochirurgische Kontraindikationen
Insgesamt werden demnach die Haupteffekte der THS (iPS) in einer
Verbesserung der Motorik und der damit verbundenen Lebensqualität
signifikant nachgewiesen. Es werden zwar positive Wirkungen auf
nichtmotorische Symptome durch die THS in ausgewiesenen Studien
belegt
(Schlafdauerverbesserung,
Blasenkontrolle,
Schmerzen,
Hypersalivation, Hyperhidrosis), wobei sich meistens zusätzlich eine
Gewichtszunahme in den ersten Tagen nach der THS-STN zeigt, diese sind
aber nicht als Zielsymptome zu bewerten und inkonsistent, meistens
vorübergehend. (Erasmi, 2014, S. 140 f)
Reichmann (2014) sieht eine Indikation für die THS bei Patienten, die nicht
älter als 70 Jahre sind, keine psychiatrische Vorgeschichte haben, keine
kognitiven Einschränkungen (MMST > 24) zeigen, und bereit sind, die
technischen Einstellungen durch den Arzt vornehmen zu lassen. (S. 28)
Alternative therapeutische Interventionen bei Dyskinesien und motorischen
Fluktuationen sind abzuwägen. Die Behandlung mit der Apomorphinpumpe
und der Duodopa-Pumpe haben keine Alterslimitation, keine
Einschränkungen für psychiatrische Erkrankungen und kognitive
Einschränkungen, und die Behandlung kann von Pflegern und
Angehörigen, bei regelmäßigen Arztkontrollen, mit assistierend
übernommen werden. (Reichmann 2014, S.28)
„Die tiefe Hirnstimulation ist fester Bestandteil der Therapie und gilt als eine
potente Behandlungsmethode der Parkinson-Krankheit im fortgeschrittenen Stadium mit Dopa-sensitiven Fluktuationen ... und Dyskinesien, die Nucleus subthalamicus Stimulation der oralen medikamentösen
Therapie (ist) in Hinblick auf die Verbesserung der Lebensqualität, der
Krankheitssymptome und der Alltagsaktivität signifi-kant überlegen. Erste
8-Jahres-Verlaufsbeobachtungen mit positi-vem Ergebnis liegen vor ...
Für den Einsatz der Tiefen Hirn-stimulation in frühen oder mittleren Krankheitsstadien gibt es derzeit keine hinreichenden Daten.“ (Leitlinien:Parkinson-Syndrome-Diagnostik und Therapie: AWMF-Register Nr.
030/010, Klasse S2k, S. 2) (Hilker, 2009)
Die besten Effekte in einer multicenter, doppel blind randomisierten Studie
(Veteran´s Administration study) zeigte eine Überlegenheit der DBS plus
„best medication therapy“ über eine ausschließliche medikamentöse
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
48
Therapie. „Patients treated with surgery were found to have, on average,
4.5 more hours per day of relief of the Parkinson´s symptoms (in time) than
patients treated with the best medication therapie alone ... DBS patients
experienced significant improvements in quality of life measures.“
(Germain, 2014)
Aufgrund dieser und vergleichbarer Beobachtungen wird nunmehr eine
Ausweitung der Indikation auf frühen und mittlere Krankheitsstadien vorgeschlagen.34
Die hierdurch enstandenen ethischen, medizinischen, sowie rechtlichen
Probleme führen zu ersten Vorschlägen, wann der Einsatz der THS im
frühen Verlauf fachärztlich indiziert und mit Betroffenen angesprochen
werden sollte. (Woopen, 2013) Es wird eine Erkrankungszeit von > 4 Jahren
bei einem definitiven iPS mit einem exzellenten Ansprechen auf Levodopa,
mit mindestens leichten Wirkfluktuationen, ohne relevante kognitive Defizite
und andere Komorbiditäten, gefordert. Insbesondere muss eine Depression
(Beck Depression Inventar II < 25) ausgeschlossen werden, es dürfen keine
strukturellen Veränderungen im NMR des Schädels vorliegen, und eine
stabile soziale Situation mit „realistischen Erwartungen an die Operation“
sollte exploriert werden. Der Zugang zu einem Zentrum mit einem
erfahrenen multidizsziplinären Team (Patientenselektion, Operation,
Programmierung, Nachsorge) muss gewährleistet sein. (Erasmi, 2014)
Fazit: Die THS ist eine alternative Behandlungsmöglichkeit bei schweren
motorischen
Einschränkungen
der
motorischen
Alltagsroutinen
(Dyskinesien, Fluktuationen) bei dem iPS, für einen umgrenzten
Personenkreis (<70 Jahre), keine psychiatrische Vorgeschichte, keinen
kognitiven Einschränkungen), die sich auf eine Behandlung in einem
Behandlungszentrum einlassen wollen. Eine Transparenz hinsichtlich der
möglichen und wahrscheinlichen Komplikationen (Qualtitätsmanagement,
informed consent) sollte gewährleistet sein, sowie eine multidisziplinäre
Nachsorge. Insbesondere ist wegen einer wahrscheinlich wesentlichen
Veränderung der psychosozialen Situation (Rollenänderung in der
familiären Situation, berufliche Teilhabeklärung, Suizidalität, u.a.) über
einen längeren postoperativen Zeitraum (mindestens 17 Monate) eine
psychosoziale Fachbetreuung notwendig.
34 Deuschl,G Agid,Y (2013) Subthalamic neurostimulation for Parkinson´s disease with early fluctuations:
balancing the risks and benefits. Lancet Neurol 12:1025-1034; Schuepach,WMM, Rau,J, Knudsen,J,
Volkmann,P u.a. Neuromodulation for Parkinson`s disease with early motor complications. The New England
Journal of Medicine, Febr. 14, 2013, S.610-622
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
49
2.3 Die THS beim Tourette Syndrom
Eine relativ häufige neuropsychiatrische Erkrankung (extrapyramidale
Systemerkrankung), die in der Kinder,- und Jugendzeit beginnt, ist die Tic
Störung.
Tics 35 treten bei ca 10-15 % der Kinder (meist transient unter einem Jahr
am häufigsten 10-12 Jahre) relativ häufig auf, wobei für die Kombination
aus motorischen und vokalen Tics (ICD-10 - F95.2: kombinierte vokale und
multiple motorische Tics als Gilles de la Tourette-Syndrom - Georges Albert
Édouard Brutus Gilles de la Tourette (1857–1904) eine Häufigkeit von 1%
angenommen wird (3-4:1- Jungen : Mädchen). Bei 90 % der Tics kommt es
zu einer wesentlichen Besserung bis zum Erwachsenenalter, ca 25%
perpetuieren bis in das Erwachsenenalter mit starken Fluktuationen. Bei
schweren Ausprägungen von Tics ist die Beteiligung von mehreren
Muskelgruppen (außer der Gesichtsmuskulatur) mit scheinbar absichtsvollen Bewegungen (Hüpfen, Kreiseln) zu beobachten. Komplexe Tics sind
die Kopropraxie und die Echopraxie, die Koprolalie (19-32%) und Echolalie
und Pallilalie, meist in Kombination. Den Tics geht häufig ein „Vorgefühl,
premonitoring urge“) voraus, was bei Erwachsenen oft dazu führt, dass
diese willentlich unterdrückt werden können (abh. vom Alter).
Kennzeichnend ist, dass die Tics suggestibel sind („Echophänomene“).
Eine besondere Stigmatisierungsproblematik besteht wegen der langen
Latenz (5-10 Jahre) bis zur Diagnose und Behandlung einher. (Ludolph,
2012)
Die Diagnosekriterien sind für das Tourette-Syndrom: die Kombination von
mindestens zwei motorischen und einem vokalen Tics, der Beginn im
Kindes,- und Jugendalter, und eine Erkrankungsdauer von mindestens
einem Jahr (möglich sind mehrmonatige Unterbrechungen) und
Fluktuationen im Verlauf. Ein Schweregrad der Ticstörung ist nicht
gefordert.
Genetische Faktoren und Umweltfaktoren sind an der
Vulnerabilität zur Entwicklung von Tic-Störungen mit beteiligt.
Ätiologisch werden strukturelle und funktionelle Auffälligkeiten im
motorischen und somatosensorischen Anteil der corticostriatalenthalamocorticalen
Anteile
der
corticostriatalen-thalamocorticalen
Schaltkreise, sowie insbesondere des limbischen Systems angenommen.
Pathophysiologisch
wird
dem
präsynaptischen
dopaminergen
Neurotransmittersystem (guter Effekt der Dopaminrezeptor-Antagonisten)
eine wesentliche Rolle zugeteilt, wobei das serotonerge System mitbeteiligt
ist. (Ludolph, 2012, Oertel, 2012)
Differentialgnostisch
schwierig
ist
die
Abgrenzung
der
neuropsychiatrischen Erkrankung von dissoziativen Bewegungs-störungen,
Zwangshandlungen, allgemeine Hyperaktivität, Manierismen, Stereotypien
und Dystonien und Myoklonien. Insbesondere die anderen
35 „Motorische Tics sind unwillkürliche, abrupt einsetzende, nicht rhythmische, in Art, Intensität, Häufigkeit und
Lokalisation über die Zeit wechselnd auftretende Bewegungen, die nicht zweckgebunden sind. ... Vokale Tics
sind durch das willkürliche Hervorbringen von Lauten und Geräuschen gekennzeichnet (häufig Räuspern und
Schniefen, selten laute Schreie).“ Müller-Vahl,R (federführend bei der Erstellung) S1 Leitlinien für Diagnostik
und Therapie in der Neurologie. Kapitel Extrapyramidalmotorische Störungen. AWMF-Registernr 030/012. Sept.
2012
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
50
hyperkinetischen Störungen (Chorea, Dyskinesien), Spasmus hemifacialis,
Restless-Legs-Syndrom,
fokale
epileptische
Anfälle)
müssen
fachneurologisch ausgeschlossen werden.36
Eine weitere fachärztliche Problematik liegt in der hohen Komorbiditätsrate
von 80 – 90 % mit Zwängen und Ängsten, Impulskontrollstörungen, emotionale Dysregulation, Störungen des Sozialverhaltens, Autismusspektrumstörungen, Teilleistungsstörungen – was im Erwachsenenalter
insbesondere mit Zwangsstörungen und Depressionen, Schlafstörungen
sowie Suchterkrankungen und Autoaggressionen. (Ludolph, 2012, S.3)
Pränatale, perinatale und postnatale (betahämolysierende Streptokokken
der Gruppe A Infektionen, PANDAS) Risikofaktoren wurden identifiziert.
Die besondere Beeinträchtigung der Lebensqualität wird im
Erwachsenenalter durch die psychiatrischen Erkrankungen bewirkt. Die
Behandlung setzt bei der komorbiden Störung an.
Eine ursächliche oder heilende Behandlung ist bei Tic Störungen nicht
möglich.
Der Algorithmus zur Behandlung von Ticstörungen setzt bei der
Psychoedukation an. Entlastende Funktion wird schon der Mitteilung der
Diagnose zugesprochen (Entstigmatisierung).
Gleichwertig mit der medikamentösen Behandlung wird die
Verhaltenstherapie (tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie ist
unwirksam) eingesetzt als „Habit-reversal-Training“ oder „Exposure and
response Prevention.“
Die medikamentöse Behandlung zeigt lediglich bei 30 % der Tic-Störungen
eine lindernde Wirkung, wobei der Beginn dann sein sollte, wenn sich
wesentliche Beeinträchtigungen der Lebenssituation eingestellt haben.
Nur Haloperidol, ein Antipsychotikum, ist bei Tic – Störungen zugelassen.
Tiaprid wird bei Erwachsenen am meisten eingesetzt. Sie Studienlage ist
insgesamt für die medikamentöse Behandlung sehr dürftig.
Medikamentöse Behandlung von Tics: (siehe S1 Leitlinie 2012, S. 5 u.a.)




Tiaprid
effektiv gegen Tics
o Nebenwirkungen Müdigkeit, Appetit,- Gewichtszunahme,
Hyperprolaktinämie
Sulpirid
antidepressiv und gegen Zwänge wirksam
o Nebenwirkungen wie bei Tiaprid
Risperidon gegen Aggressionen wirksam
o Nebenwirkungen
Sedierung
,
Gewichtszunahme,
Hyperprolaktinämie
Aripirazol
gute Verträglichkeit
o Nebenwirkungen Unruhe, Schlafstörungen, Müdigkeit,
Gewichtszunahme
36 Sekundäre Tics : M.Wilson, Neuroakanthozytose, fragiles X-Syndrom, Chorea Sydenham, M.Huntington
(Ludolph, 2012)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn





51
Pimozid
o Nebenwirkungen QTc-Verlängerung mit Sertralin und
Makroliden,
Müdigkeit,
Gewichtszunahme,
Sexualfunktionsstörungen, Parkinsonismus
Tetrabenazid
o Nebenwirkungen Depression,
Müdigkeit,
keine
Kombination mit MAO-Hemmern
Tetrahydrocanabinol
o Nebenwirkungen nicht bei Kindern, nicht bei Psychosen
Clonidin
geringer wirksam wie die Antipsychotika
o Nebenwirkung
Müdigkeit, Schwindel, Hypotonie
Haloperidol Tic Reduzierung, antipsychotische Wirkung,
analgetisch
o Nebenwirkung
Sedierung,
Gewichtszunahme,
Hypersalivation, Akathisie, tardive Dyskinesie
Medizinische Indikation der THS bei Tic – Störungen:
 Ausgewählte
erwachsene
TS-Patienten/Patientinnen
mit
therapierefraktären, schweren Tics (Oertel, 2012)
 Offene unkontrollierte Studien, kleine kontrollierte Studien(Ludolph,
2012)
 Zielorte sind strittig (nur Einzelfallberichte)
o GPi, zentrale thalamische Kerne (Hochfrequenzstimulation
mittel Tiefenhirnelektroden)
o Bilaterale Stimulation intralaminärer Thalamuskerne
o GPi, Nucleus accumbens


Effekte
o Tic – Reduktion
o Reduktion psychiatrischer Komorbidität
 Zwang, Depression, Angst, Autoaggression
Nebenwirkungen
o Perioperativ Infektionen, Blutungen
o Stimulationsbedingt
Müdigkeit,
Energieverlust,
Sehstörungen, Schwindel
Es liegt keine Zulassung zur Behandlung mit THS vor. „Neurochirurgische
Eingriffe sollten nur in spezialisierten Zentren mit einem interdisziplinären
Team von in der Behandlung des TS versierten Neurologen/Psychiatern
und in der Tiefen Hirnstimulation erfahrener Neurochirurgen vorgenommen
werden.“(Oertel, 2012, S.323)
In der Übersichtsarbeit zur tiefen Hirnstimulation bei psychiatrischen
Erkrankungen von Kuhn u.a. (2010) wird darauf hingewiesen, dass das TS
nahzu regelhaft mit Zwangsstörungen, ADHS, Depressionen verbunden ist.
Mittlerweile gilt bei dieser neuropsychiatrsichen Erkrankung eine
neurobiologische Grundlage als gesichert, während früher eine
Psychogenese im Vordergrund stand.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
52
Fazit: Bei Tic-Störungen (TS) ist die Effektabschätzung der THS und der
anderen Therapien insgesamt sehr dürftig. Individuelle Heilversuche sind,
am Ende des Therapiealgorithmus (Psychoedukation, Verhaltenstherapie,
Medikamente überwiegend off lable use bis auf Haloperidol,
Selbsthilfegruppe) bei schweren, therapierefraktären erwachsenen TS
Betroffenen, in speziellen Behandlungszentren, personenbezogen, zu
empfehlen.
2.4 Die THS bei der schweren Zwangserkrankung (OCD)
Während die bisher dargestellten Krankheitsbilder überwiegend
neurologisch-somatische
Ätiopathogenesen
und
Therapieansätze
verständlich nachvollziehen lassen, schließen sich neuropsychiatrische
Erkrankungen an, die sich nicht so leicht einer somatischen Therapieoption
erschließen, da diese mehr dem Bereich der psychiatrischen Erkrankungen
zugeordnet werden.
Sind chirurgische Eingriffe in das Gehirn bei psychiatrischen Erkrankungen,
nach den Erfahrungen der Psychochirurgie Ära, auf dem Hintergrund der
technologischen,
neurowissenschaftlichen
und
medizinethischen
Erkenntnisfortschritte zu rechtfertigen. Misstrauen ist angebracht wegen
der gegenwärtigen weltpolitischen Situation und dem „...misuse of
psychiatric somatic therapies as an instrument of social control, based on
fears of mind control by the government amidst the prevailing social
climate.“ (Sedak,M u.a. 2013, S.47)
Im Hinblick auf die einzelnen Krankheitsbilder geht es um die Frage, ob sich
rationale medizinische Therapieziele und Therapieoptionen (vertretbares
Risiko bei akzeptablem Nutzen) formulieren lassen, die den Einsatz
chirurgischer Hirneingriffe rechtfertigen können?
Zwangsstörungen haben global Lebenszeitprävalenzraten von 1 – 3 %
(subklinisch 2%) der Bevölkerung (auch in unterschiedlichen kulturellen
Kreisen) und gehören sozialmedizinisch zu den schwersten Erkrankungen,
entsprechend der individuellen und sozioökonomischen Belastung. In
Deutschland ist die Ein-Jahresprävelenz von Zwangsstörungen mit 3,8%
(4,2% Frauen, 3,5% Männer) beziffert. Bis zur professionellen Hilfesuche
dauert es im Durchschnitt 10 Jahre (wegen Scham, Leugnung, mangelnder
Informiertheit), wobei sich lediglich Geschlechtsunterschiede für den
Krankheitsbeginn (Frauen Anfang 20 Jahre; Männer später Adoleszenz)
finden, und sich in (50 – 70 %) kritische Lebensereignisse) angeben
lassen.37 10% bis 27% der OCD Patienten berichten über einen
Suizidversuch in ihrem Leben. (Sedrak, 2013) Die Lebensqualität von
37 S3-Leitlinie Zwangsstörungen publiziert bei AWMF online Register Nr. 038/017 aktueller Stand 14.05.2013
im Auftrag der DGPPN; NHS National Institute for Health and Clinical Excellence, Obsessive-compulsive
disorder. Core interventions in the treatment of obsessive –compulsive disorder and body dysmorphic disorder.
November 2005, NICE clinical guideline 31 www.nice.org.uk/cg31
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
53
schwer an Zwangsstörungen erkrankten Personen ist mit der an
Schizophrenie erkrankten Personen zu vergleichen. Eine multifaktorielle
Genese der OCD mit interagierenden biologischen, psychologischen und
externen Faktoren wird schulmedizinisch favorisiert.
„Typischerweise berichten Patienten über unangenehme Gedanken,
Vorstellungen und Handlungsimpulse (Intrusionen), die sich dem
Bewusstsein aufdrängen (englisch: obsessions), sowie über ritualisierte
Gedanken- und Handlungsketten (compulsions), die meist mit dem Ziel
ausgeführt werden, die aversiven Intrusionen abzuwehren oder zu
neutralisieren (Saß et al., 2003).“ (S3-Leitlinien, 2013, S. 20) Intrusionen
sind in der Bevölkerung sehr verbreitet, was das spezifische der
Zwangsstörungen ausmacht ist, dass die Gedanken bizarre und rational
schwer oder gar nicht nachvollziehbar sind. Typisch und interkulturell
identisch sind die Themen: Ansteckung 50%), Vergiftung, Verschmutzung,
Krankheit (33%), Streben nach Symmetrie (32%), Ordnung, Aggression,
Sexualität und Religion. Entscheidend ist, dass die Gedanken als
aufdringlich, lästig und abstoßend, sinnlos erlebt werden, und schwer zu
beseitigen sind. Wichtig ist, dass die Handlungsimpulse der
Zwangsgedanken nicht konkret ausgeführt werden. Zwangshandlungen
führen kurzfristig zu einer Erleichterung und Angstreduktion, sind aber
langfristig mit einem erheblichen Zeitaufwand (und inneren Kraftaufwand,
teilweise rund um die Uhr) verbunden, und eine soziale Teilhabe ist nicht
mehr möglich. (Kontrollrituale 60%; Waschrituale 50%; Zählzwang 36%,
zwanghaftes Fragen 34%; meistens mehrere Symptome) Das Denken wird
verlangsamt („osessional slowness“), eingeengt, grüblerisch, und mit
affektiven Symptomen verbunden, mit pathologischem Zweifeln (42%).
Die Diagnosestellung erfolgt nach DSM-IV (V) oder ICD – 10 Kriterien
(F42.0: vorwiegend Zwangsgedanken oder Grübelzwang; F42.1:
Vorwiegend
Zwangshandlungen;
F42.2:
Zwangsgedanken
und
Zwangshandlungen, gemischt). Es wurden Untergruppen (Typen, Cluster,
Dimensionen) herausgearbeitet aufgrund der Symptomatik und anderer
Kriterien (z.B. mit Tics vergesellschaftet, familiärer Häufung und frühem
Krankheitsbeginn, fehlender Krankheitseinsicht, Komorbidität), welche zu
differenzierten Therapievorgehensweisen nötigen.38
Häufigste
Ausschlusskriterien sind schizophrene Störungen, oder affektive
Störungen, sowie anankastische Persönlichkeiten (Zwänge werden synton
erlebt) oder dysmorphophobe Störungen (body dysmorphic disorders) bei
denen die Gedanken nicht als bizarr ohne Intrusionen angegeben werden.
Das diagnostische Vorgehen ist mit besonderen Herausforderungen und
einem hohen zeitlichen Aufwand verbunden, um die „Zwangsspektrumerkrankungen“ (DSM-V) (depressive Störungen 35-78%, Panikstörungen
12-48%, soziale Phobien 18-46%) zu erfassen (TS – Syndrom als genetisch
distinkter Subtyp), die dermatologischen Komorbiditäten (Trichotillomanie,
Onychotillomanie,-phagie, Akne excoriée, Dermatitiden in Folge der
Waschungen), neurologische Erkrankungen (M.Parkinson, Chorea
38 ICD-10 F42: Zwangsstörungen Forschungskriterien nach Dilling, Freyberger in S3 – Leitlinien
Zwangsstörungen , 2013, S. 21
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
54
Huntington,
toxische
oder
vaskuläre
Basalganglienläsionen),
differentialdiagnostisch zu berücksichtigen.
Der in den S3-Leitlinien 2013 empfohlene diagnostische Stufenplan (S. 33
f) ist deshalb eine praktische Hilfe, und könnte zu einer verbesserten
Versorgungssituation Zwangserkrankter beitragen. Ausgehend von einem
Verdacht (20% der dermatologischen Patienten) sind die 5 Fragen zu
stellen (NICE clinical guidline31)39 , die ICD – 10 Kriterien F42 und die
Komorbiditäten sind zu prüfen, und bei einem positiven Verdacht
diagnostische Instrumente einzusetzen (Y-BOCS-Selbstbeurteilungsskala,40 Hamburger Zwangsinventar). Die Erstdiagnose umfasst auch eine
Beurteilung der Auswirkungen der Erkrankung auf die Aktivität und soziale
Teilhabe (Partizipation), und die Lebensqualität, wobei die Bezugspersonen mit deren Alltags-, Lebensqualität mitzuerfassen sind. (cave: bei
Krankheitsbeginn > 50.Lebensjahr muss eine hirnorganische Klärung
erfolgen). Nur eine Diagnosestellung auf Augenhöhe unter Einbeziehung
der caregivers und insbesondere unter Einbindung in eine
Selbsthilfegruppe kann wahrscheinlich eine Behandlungsbereitschaft und
Adherence ermöglichen.
Die therapeutischen Alternativen beinhalten, neben den psychotherapeutischen Ansätzen, Medikamente, sozialtherapeutische und ergotherapeutische und arbeitstherapeutische Interventionen, sowie neuro-chirurgische Eingriffe.
Obwohl von Sigmund Freund (1907) ausführliche psychoanalytische
Beschreibungen von Therapieinterventionen vorliegen, liegen erst seit dem
Einsatz lerntherapeutisch basierter Verhaltenstherapien, insbesondere
nach der kognitiven Wende in den siebziger und achtziger Jahre des letzten
Jahrhunderts, kontrollierte Studien vor, welche die Exposition mit
Reaktionsverhinderung
und
Reaktionsmanagement
(KVT)
zum
Goldstandard bei Zwangsstörungen machen. (Leitlinien des NICE 2005,
S3-Leitlinien
Zwangsstörungen
der
DGPPN,
2013).
Die
„störungsspezifische Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) einschließlich
Exposition und Reaktionsmanagement (sollte) als Psychotherapie der
ersten Wahl angeboten werden.“
Von einer Psychopharmakotherapie der Zwangsstörungen kann erst seit
den 1990-iger Jahren mit dem Einsatz von Clomipramin, besonders jedoch
erst seit der Entwicklung der selektiven Serotoninwieder-aufnahmehemmer
(SSRI; serotonerge Antidepressiva) gesprochen werden.
Es haben sich Spezifika bei der Behandlung von Zwangsstörungen
gegenüber anderen affektiven Erkrankungen mit SSRI herausgestellt, die
beachtet werden müssen (Dosisabhängigkeit, verzögerter Wirkeintritt nach
mehreren Wochen) wenn von einer fachärztlichen Standardtherapie lege
artis gesprochen werden kann. „Clomipramin und SSRI sind vergleichbar
wirksam bei der Behandlung von Patienten mit Zwangsstörungen. Aufgrund
39 „1.Waschen und putzen Sie sehr viel?; 2. Kontrollieren Sie sehr viel?; 3. Haben Sie qüälende Gedanken, die
Sie loswerden möchten, aber nicht können?; 4. Brauchen Sie für Alltagstätigkeiten sehr lange?; 5. Machen Sie
sich Gedanken um Ordnung und Symmetrie?.“ (S3-Leitlinien Zwangsstörungen, 2013, S. 33)
40 Die Yale-Brown Obsessive Compulsive Scale in deutscher Fassung von Hand,I u. Büttner-Westphal,H zitiert
nach http://www.zwaenge.de/experten/artikel_zwangsstoerungen_07.htm aufgerufen am 21.11.14
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
55
der höheren Rate an Nebenwirkungen von Clomipramin, die häufiger zu
Therapieabbrüchen führen, stellt Clomipramin nach den SSRI die Zweite –
Wahl-Medikation dar.“ (S3-Leitlinien Zwangsstörungen, 2013, S. 59)41
Nebenwirkungen der SSRI:
 Vorsicht bei der Kombination mit nichtsteroidalen Antirheumatika
wegen Blutungsneigung
 Hyponatriämie bei älteren Patienten
 Diarrhöe
 Suizidgedanken
 Sexuelle Funktionsstörungen
 Erhöhtes Frakturrisiko
 Zunahme von motorischer Unruhe, Angst, Agitiertheit
 Serotoninsyndrom (Verwirrtheit, Delir, Zittern/Frösteln, Schwitzen,
Blutdruckveränderung, Myoklonus und Mydriasis
(Clomipramin mit anticholinergen NW, insbesondere kardiale NW)
Es sind hohe Dosen der SSRI über einen Zeitraum von mindestens 6 – 12
Wochen erforderlich bis eine Änderung des Präparates und/oder eine
Augmentation (Lithium, atypische Neuroleptika), Kombination mit
Clomipramin in Frage kommen.
Nur in der akuten Phase ist die Kombination von Medikation und KVT einer
Monotherapie überlegen. Eine Monotherapie mit Medikation ist nur dann
indiziert, wenn die Zwangsstörung zu schwer ist für eine
Verhaltenstherapie, keine Möglichkeit zur Behandlung mit einer
Verhaltenstherapie besteht und /oder keine Motivation zu einer
Verhaltenstherapie besteht. (NICE)
In den Effekt - Studien wird eine Responserate als 25% - 35 % Reduktion
im Y-BOSC-Gesamtscore definiert, eine Remission als Y-BOCS –
Gesamtscore < 8; Y-BOCS-Gesamtscore < 16 (subklinische Symptome).
Remissionen sind mit den SSRI trotz einer hohen Dosis und einer langen
Behandlungsdauer alleine nicht zu erwarten.
Eine Erhaltungstherapie sollte mit der zuletzt wirksamen Dosis
weitergeführt werden, eine Mitbehandlung der Angehörigen, Teilnahme an
einer Selbsthilfegruppe, eventuell auch eine Ergotherapie, zur
Rückfallprophylaxe, mit eingesetzt werden.
Unwirksame Behandlungen bei Zwangsstörungen sind:
 Antidepressiva (TZA)
 Benzodiazepine
 Monotherapie mit Neuroleptika
 Transkranielle Magnetstimulation (TMS)
 Vagusnervstimulation
 Elektrokonvulsionstherapie (EKT)
41 Beachtung der „off label use“ Kriterien ist angezeigt mit nachgewiesener Wirksamkeit, günstiges NutzenRisiko-Verhältnis, fehlender Alternativ-Heilversuch. „Nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse
muss die begründete Aussicht bestehen, dass die Behandlung zu einem Erfolg führt. Darüber hinaus besteht
eine besondere Aufklärungsverpflichtung“ mit der Notwendigkeit einer gemeinsamen Entscheidungsfindung.
(S3-Leitlinien Zwangsstörungen, 2013, S. 57)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn

56
für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und/oder
psychoanalytische Psychotherapie liegen keine Studien vor
70-80% der Patienten mit Zwangserkrankungen reagieren gut auf
Verhaltenstherapie und die medikamentöse Behandlung. (Kuhn, 2010b)
Die fachärztliche/fachpsychologische Versorgungspraxis sieht allerdings
weniger optimistisch aus, da es nur wenige spezialisierte
Therapeutinnen/Therapeuten für Zwangsstörungen gibt, und insbesondere
die effektivste Behandlungsform (Exposition mit Reaktionsverhinderung
und Reaktionsmanagement) nicht von allen Verhaltenstherapeuten lege
artis durchgeführt wird. Selbstmanagement Programme werden eingesetzt,
es fehlen allerdings entsprechende Studienergebnisse.42
Umso dringlicher ist es, bei Therapieresistenz bei einer Standardtherapie
(mindestens 12 – 24 Monate) nach alternativen Behandlungsmethoden zu
suchen, die ein rationales Genese- und Therapie-Modell
bei
Zwangsstörungen verfolgen.
Das kognitiv-behaviorale Modell basiert auf lerntheoretischen
Überlegungen mit Störungen der Informationsverarbeitung. Die
Grundannahme besteht darin, dass aufdringliche Gedanken (Intrusionen)
weit verbreitet sind, sich inhaltlich nicht von normalen Befürchtungen
unterscheiden, diese aber von Zwangskranken als bedrohlich und
unakzeptabel interpretiert werden (Rachman, Salkovskis). Die Betroffenen
übernehmen Verantwortung für die Bedrohung und deren Abwendung. Es
wird alles versucht um die mit den Intrusionen verbundenen negativen
Emotionen zu beseitigen. Dysfunktionale Kognitionen und Metakognitionen
(Konsequenzen der intrusiven Gedanken, Aufrecht-erhaltung der Rituale)
verhindern eine langfristige Entlastung. Hierauf aufbauend lassen sich
lerntheoretisch konzipierte Therapieverfahren entwickeln, deren Effizienz
inzwischen akzeptiert ist.
„Das neurobiologische Modell der Zwangsstörung geht von einer Imbalance
kortiko-striatothalamokortikaler
Schaltkreise
aus.“
(S3-Leitlinien
Zwangsstörungen, 2013, S. 16)
Die topische Diagnostik des zentralen Nervensystems (Robert Bing, 1930)
wurde durch neue Erkenntnisse der Hirnphysiologie und ,-anatomie, sowie
der Neurotransmitterforschung (Duus, 1980), und der Molekularbiologie,
durch Funktionsstudien mit bildgebenden Verfahren (PET, fNMRI,
Diffussionstraktotomie) weiterentwickelt. In der klinischen Psychologie und
Psychiatrie haben diese Verfahren inzwischen einen festen Platz (Spitzer,
1998, Habel, 2002, Bennett, 2010a).
So konnten bei erfolgreichen psychologischen Behandlungsverfahren
(Verhaltenstherapie) in den gleichen Hirnzentren Veränderungen im fNMRI
nachgewiesen werden (S3-Leitlinien Verhaltenstherapie, 2013), wie sie
sich bei erfolgreicher medikamentöser Behandlung ergeben haben (Grawe,
42 Wölk,C, Seebeck,A. Brainy, das Anti-Zwangs-Training. Ein computergestütztes Übungsprogramm zur
Überwindung von Zwangshandlungen und Zwangsgedanken. Pabst Science Publishers, Lengerich, 2002
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
57
2004)
Die Behandlungserfolge mit SSRI Medikation lassen eine
Beteiligung serotonerger Transmittersysteme und dopaminerger Systeme
(Neurolepktika), aber auch GABAerger Transmittersystem vermuten.
Aus den Ergebnissen der Arbeitsgruppe von Baxter (1987) und andere
Forschungsgruppen zeigte sich übereinstimmend, dass bei „Zwangsstörungen ein bestimmter neuronaler Schaltkreis, an dem der orbitofrontale
Cortex, die Basalganglien und der Thalamus43 beteilt sind, hyperaktiv ist.“
(Grawe, 2004, S.172) Emotionale Bewertungen aus dem orbitofrontalen
Kortex werden verstärkt aktiv, der Einfluss des dorsolateralen präfrontalen
Kortex nimmt ab. Die Befürchtungen bestimmen somit die dysfunktionalen
Kognitionen (Überaktivität in temporalen und frontalen Gehirnbereichen).
Hirnstrukturell wurden dorsale präfrontale kortikale und bilaterale
Abnormalitäten der grauen Substanz (verkleinert bei Zwangsstörungen)
beobachtet. Neuropsychologische Untersuchungen haben konsistent
exekutive Defizite und nonverbale Gedächtnisleistungsstörungen, Defizite
der psychomotorischen Geschwindigkeit und der selektiven und geteilten
Aufmerksamkeit, und dem visuellen Arbeitsgedächtnis nachgewiesen, die
teilweise nach erfolgreicher Therapie reversibel waren. (Lautenbacher,
2004)
Insgesamt gesehen laufen die neurobiologischen und lerntheoretischen
Erklärungsversuche aufeinander zu und können eine hypothesengeleitete
Therapiestrategie inzwischen hinreichend begründen, welche die
psychiatrische Erkrankung (hier die Zwangsstörung) als ein overengineering Gehirn - Problem interdisziplinär zu fassen versucht.
Dementsprechend können begründete Arbeitshypothesen zu somatischen
Eingriffen im Gehirn (Medikation,THS) bei Zwangsstörungen formuliert
werden, und mit modernem technischen Know How in ein gezieltes
ärztliches Handlungskonzept umgesetzt werden.
Chirurgische Verfahren:
 Ablative Verfahren
Bilaterale Cingulotomie, bilaterale vordere Capsulotomie (60%
Verbesserung berichtet, Kuhn, 2010), Leukotomie (limbisches
System)44 mit Einzelfallstudien ohne kontrollierte Studiendesigns;
als ultima ratio;
Nach den S3-Leitlinien Zwangsstörungen besteht keine Indikation
43 Der Thalamus nimmt ca 4/5 des Zwischenhirn ein (3x1,5 cm Durchmesser) mit drei größeren Zellgruppen
mit 120 Untergruppen (lateral, medial, rostral), lateral wird der Kern zur Capsula interna (laminae medullares
externae) abgegrenzt. „Der Thalamus ist aber nicht nur eine einfache Umschaltstation für alle ankommenden
Impulse, sondern auch ein wichtiges Integrations- und Koordinationsorgan, in dem die unterschiedlichen
Afferenzen aus den verschiedenen Körperteilen miteinander integriert und affektiv gefärbt (Schmerz, Unlust,
Wohlbefinden) werden...und der Hirnrinde zugeleitet“(Duus, 1980, S.246) Es sind Verbindungen zum
extrapyramidalen Synstem, (Koordinationszentrum), steht doppelläufig mit der Hirnrinde in Verbindung und
aktiviert die ganze Hirnrinde. Der Subthalamus (Luys-Lörper) gehört zum extrapyramidalen System.
44 Von MacLean wird (Papezscher Regelkreis) das limbische System als „Ring von Hirnwindungen, der Balken,
Zwischenhirn, und Basalganglien umrandet und gewissermaßen eine Übergangsone zwischen Nokortex und
Hirnstamm darstellt.“ (Hippokampus, Indusium griseum,Area entorhinalis, Gyrus cinguli, Area septalis, Corpus
amygdaloideum) (Duus, 1980, S.270 ff)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
58
wegen der Irreversibilität und den Auswirkungen des Eingriffs
(Gesichtszunahme, Apathie, oder Manie)

THS bei Zwangsstörungen mindestens seit 1999 berichtete Fallstudien,
seit 2009 Zulassung (FDA, Europa) mit Effekt auf Zwangssymptome
(bis zu 38,7% Responserate)
o Zielregionen Nucleus subthalamicus, Capsula interna, Nucelus
accumbens,45 Nucleus caudatus, unterer Thalamusstiel (Kuhn,J.
u.a. 2010)
o
Es werden mindestens fünf Doppelblindstudien mit Cross-over
Design mit 50 Patienten berichtet, sowie Fallstudien (Kuhn,
2010b, Schlaepfer, 2011, Sedrak, 2013)46
o Indikation zur THS bei Zwangsstörungen
 Kein Therapieerfolg bei der Leitlinientherapie (KVT, SSRI,
einschließlich Augmentation)
 Zeitpunkt des Eingriffs kann nur individuell bestimmt
werden
o Unterschiedliche Raten an „transienten Nebenwirkungen“ in
Studien:
Blutungen,
Infektionen,
Halbseitensyndrom,
Gewichtszunahme, Apathie, Manie; NW – Rate nicht hinreichend
abzuschätzen
o Weiterführung der Medikation unklar
o Hypothese zum Wirkmechanismus: „ However, the most likely
explanation of DBS-efficacy is a stimulation-induced modulation
of impaired network activity, may be by enhancing rhythmic and
synchronous inhibition within and between afferent structures.“
(Kuhn,L u.a.2009,S.137) Die Ausbreitung der Stimulation entlang
der neuronalen Strukturen ist bisher nur bedingt beherrschbar,
sodass eine individuelle Anpassung ärztlich gehandhabt werden
muss, und ein ärztliches follow up erforderlich.
o Empfehlungen der S3-Leitlinien Zwangsstörungen, 2013 (S. 86f
): „ Die beidseitige tiefe Hirnstimulation kann unter kritischer
Nutzen/Risikenabwägung bei schwerstbetroffenen Patienten mit
therapierefraktärer Zwangsstörung erwogen werden. Die
beidseitige tiefe Hirnstimulation bei schwerstbetroffenen
Patienten mit therapierefraktärer Zwangsstörung soll nur im
Rahmen kontrollierter Studien durchgeführt werden.“
Fazit: Das Erreichen des Therapieziels einer Verbesserung der
Zwangssymptomatik bei Therapieresistenz muss individuell gegenüber den
Risiken eines neurochirurgischen Eingriffs, ohne klare Kenntnis des
45 Der Nucleus accumbens ist ein Kern in den Basalganglien (auf Dopanin reagierend). Er wird mit Belohnung
und Aufmerksamkeit, aber auch mit Sucht in Verbindung gebracht.
46 „..a multicenter DBS trial conducted by Medtronic Deep brain stimulation leads were implanted in a total of 29
patients, with a 38,7% decrease in Y-BOCS scores at 12 months ... These data were used to obtain a
Humanitarian Device Exemption from the Federal Drug Administration that was approved in 2009.“(Sedrak,M
u.a., 2013, S.4)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
59
Wirkmechanismus, mit noch wesentlichen experimentellen methodischen
Anteilen, abgewogen werden.
Verbesserungen
der Aktivität
(Selbständigkeit, frei für selbstbestimmtes Handeln), und der sozialen
Teilhabe, sowie der Lebensqualität sollten im Focus des therapeutischen
Handelns stehen. THS bei Zwangsstörungen sollte in speziellen
Therapiezentren (in Studien) mit der Möglichkeit zur psychosozialen
Nachsorge durchgeführt werden.
2.5 Die THS bei therapieresistenten depressiven Erkrankungen
Zu einer historischen Einordnung der affektiven Störungen finden sich
Ausführungen bei Tellenbach (1976) und Berger (2011), wobei
übereinstimmend dokumentiert wird, dass die Erkrankungen bereits bei
Hippokrates (4.Jhd vor Chr.) als Melancholie und Manie beschrieben
wurde. Die Humorallehre unterschied u.a. die schwarze Galle und die gelbe
Galle
und deren unterschiedliche Mischungsverhältniss als
Entstehungshintergrund der affektiven Störungen. Eine Trennung von
Soma und Seele wurde dabei nicht präzise vorgenommen. Das hin und her
schwingen zwischen depressiven und manischen Stimmungen wurde als
Charakteristikum der affektiven Störungen im 19. Jahrhundert unter dem
Krankheitsbilder der Zyklothymie (Kahlbaum, 1880; Jules Falret „folie
circulaire“) gefasst, als Zustände eines Krankheitsbildes. Von Kraepelin
(Ende des 19. Jahrhunderts) wurde dies mit dem Begriff des „manischdepressiven Irreseins“ belegt, und die monopolaren Depressionen wurden
auch hierunter gefasst. Die affektiven Krankheiten, die im Unterschied zu
den schizophrenen Erkrankungen immer ad integrum remittieren sollen,
wurden als Krankheitseinheiten gefasst, und als sogenannte endogene
Psychosen benannt.(Tellenbach, 1976) „Durch den Endogenitätsbegriff
wurde eine körperliche, d.h. auf heredo-konstitutionelle Faktoren
beruhende Ursache unterstellt, die zumindest bis heute jedoch noch nicht
nachgewiesen werden konnte.“ (Berger, 2011, S. 542) 47 Der Begriff der
depressiven Neurose (psychoanalytisch gesehen) wurde in der deutschen
Psychiatrie nur am Rande aufgenommen, vielmehr standen divergierende
Vertreter
von
Schulmeinungen
der
universitären
Psychiatrie,
Anstaltspsychiater
aus den überbelegten und unterfinanzierten
Heilanstalten, und ambulant praktizierende Irrenärzte (Nervenärzte)
gegenüber, ohne dass auf ein rationales praktisch umsetzbares
psychiatrisches Krankheitskonzept Bezug genommen werden konnte. In
47 Anfang des 20. Jahrhunderts wurden von der Psychoanalyse und von den universitätspsychologischen
Schulrichtungen Beitrage zu affektiven Störungen auf dem Hintergrund von Fallstudien und literarischen
Ausarbeitungen herausgearbeitet, die zu einem besseren Verständnis der Erkrankten beitrugen. „Struktural
gesehen ist deshalb auch die melancholische Psychose nichts „Neues“. Sie ist das Bisherige in einer anderen
Qualität einer nivellierten und verzerrten Dominanz. Sie ist ein Übermächtigwerden der habituellen Neigung zur
Inkludenz – dass der Typus sich in die Grenze seines ordo einschließt – und zur Remanenz – daß er sich in
diesen Grenzen festhalten lässt und hinter sich zurückbleibt ... Die Vitalstörungen sind Phänomene des
Eingeschlossenseins in die Bedrückung und Bedrängnis des Leibes, da s im melancholischen Stupor am
stärkten ausgeprägt ist. Das Nicht-mehr-schaffen-können ist der Bankrott ... die Irregularität der
biopsychischen Rhythmen ... dies ist die Katastrophe, in der diese gliederungssüchtige, so sehr auf die
Regelmäßigkeit ihrer Lebensvollzüge angelegte Persönlichkeit in der Melancholie angelangt ist.“ (Tellenbach,
1976, S. 175)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
60
den 60er Jahren wurden empirische Studien vermehrt wahrgenommen, und
die unipolaren endogenen Depressionen oder Melancholien von bipolaren
endogenen Psychosen unterschieden. Es wurden zwischen den reaktiven
neurotischen Depressionen und den endogenen Depressionen
dichotomisiert, was in den letzten 10 Jahren völlig aufgegeben wurde, da
sich in „Genetik, Symptomatologie, Epidemiologie, Verlauf und Ansprechen
auf
unterschiedliche
Therapieverfahren
keine
entscheidenden
Unterschiede
„
nachweisen
ließen
(Berger,
2011,
S.542)
Ätiopathogenetische Vorstellungen wurden zur besseren internationalen
Vergleichbarkeit der psychiatrischen Nomenklatur aufgegeben. Es wird auf
eine deskriptive Typisierung entsprechend der Symptome, der Schwere der
Erkrankung, der Dauer der Erkrankung, sowie dem Rückfallrisiko, Bezug
genommen, um eine systematisch rationale, von Studien begleitende
wissenschaftliche Diskussion zu ermöglichen. Die Klassifikationssystem
des DSM-IV (V) (APA), der ICD – 10 (WHO) versuchen dies zu realisieren.
(Berger, 2011)
Die depressiven Erkrankungen sind, zusammen mit den Angststörungen
die häufigsten psychiatrischen Krankheiten und belasten herausragend die
öffentlichen Gesundheitssysteme. Die Lebenszeitprävalenz für depressive
Störungen ist ca 15 % (Kuhn, 2010, S.4). Die 12-Monats-Prävalenz der
Depression wird mit etwa 7% bis 10 % angegeben, bei 5-25 % der
Erkrankten ist der Verlauf chronisch. Berger (2011) gibt eine
Chronifizierungsrate von 10% an (S.546). Die unterschiedlichen Angaben
beruhen auf einer Neufassung des diagnostischen Manuals 2013 (DSM-V),
wo eine neue Klassifizierung, unter Zusammenlegung der Dysthymien und
der chronischen Depressionen als anhaltende depressive Störungen
eingeordnet werden. Bei einem Drittel bis zur Hälfte (50%) der
medikamentös behandelten Depressionen spricht die Therapie nicht an.
(Berger, 2011, Bschor, 2014) Ein Anstieg der Depressionen im letzten Jahr
konnte nicht belegt werden. „In einer Langzeitstudie waren 50% der
depressiven Patienten nach einem halben Jahr gesundet, 7% befanden
sich aber nach zehn Jahren immer noch in der Depression.“ (Bschor, 2014,
S. 766) Depressionen gehören zu den schweren und gefährlichen
Erkrankungen. „Depressionen stellen mit ca. 50% die häufigste Ursache für
Suizide dar. Abhängig von den Behandlungsmodalitäten sterben 10-15%
der Patienten mit wiederkehrenden Erkrankungen auf diese Art.“ (Berger,
2011, S.554) Psychotische Depressionen gehen einher mit
Realitätswahrnehmungsstörungen (hypochondrischer Wahn, nihilistischer
Wahn, Verarmungswahn, Versündigungs,-Verschuldungs und Skrupulantenwahn, Verkleinerungswahn), ohne Krankheitseinsicht, auch mit
akustischen Halluzinationen bei 30% der schweren Depressionen. 80% der
Depressionen haben komorbide Angststörungen, was die hohe Irritabilität
begründet. Eine beeindruckende Schilderung einer schweren depressiven
Episode findet sich bei Kuiper, der als Psychiater/Psychoanalytiker lange
Jahre auf der anderen Seite gearbeitet hat. (Kuiper, 1988)
Die S3-Leitlinien/Nationale Versorgungsleitlinie (AWMF-Register – Nr.:nvl005), und die S3-Praxisleitlinie in Psychiatrie und Psychotherapie in der
Fassung als Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen
61
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
Erkrankungen (AWMF-Register Nr. 038-020) versuchen auf die
Optimierung der Versorgungsvernetzung einzuwirken, und die Diagnostik
und Therapie mit Algorithmen vergleichbarer zu machen unter Berücksichtigung der Kriterien der Evidenzbasierten Medizin. Es werden die
unipolaren depressiven Störungen (depressive Episoden (F32),
rezidivierende depressive Störungen (F33), anhaltende depressive
Störungen (F34, DSM-V) und sonstige affektive Störungen (F38.1) ab
einem Lebensalter von 18 Jahren erfasst.
Nach den ICD -10 Kriterien für depressive Episoden (Major Depression,
MD) werden die Symptome in Haupt und Zusatzsymptome unterteilt. (ICDL
– Checkliste für ICD-10, Hiller,W,Zaudig,M, Mombour,W., 1995)
Hauptsymptome
Depressionssymptome



Gedrückte, depressive Stimmung
Interessenverlust, Freudlosigkeit
Antriebsmangel, erhöhte Ermüdbarkeit
2
2
3

Zusatzsymptome
+
+
+







Defizite Konzentration-Aufmerksamkeit
Vermindert Selbstwert, Selbstvertrauen
Schuldgefühl, Wertlosigkeit
Negative, pessimist.Zukungsperspektive
Suizidgedanken, /-handlungen
Schlafstörungen
Verminderter Appetit
2
3-4
>4
Symptome > 2 Wochen
Depressive Episode
leicht
mittel
schwer
Die Diagnose wird mit einer eingehenden psychiatrischen Exploration und
Anamneseerhebung, sowie den Skalen der WHO-5-Fragebogen zum
Wohlbefinden, dem Gesundheitsfragebogen für Patienten (PHQ-D), sowie
der Allgemeinen Depressionsskala (ADS), Beck-Depressions-Test II,
ermöglicht.48
Ohne erneut auf die Medikation mit den Nebenwirkungen einzelner
Substanzen (30 Medikamente sind in Deutschland für die Depressionen
zugelassen) einzugehen (siehe dazu das Kapitel zu den Zwangsstörungen)
ist festzustellen, dass der „Schlüssel für eine erfolgreiche
Depressionsbehandlung ein Vorgehen nach einem klaren Konzept, ein
angemessener Zeitraum der Behandlung, sowie eine wirksame
Überprüfung der Wirksamkeit zu vorher festgelegten Zeitpunkten
48 Zwei-Fragen-Test: 1. Fühlen Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig bedrückt oder
hoffnungslos? 2. Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, sie Sie sonst gerne
tun? S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie, 2009, gültig bis 2015 S.11)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
62
erfordert.“(Bschor, 2014,S.767) Es wird ein gestuftes Behandlungskonzept
(Behandlungsalgorithmen) empfohlen mit Monotherapie für 4 – 6 Wochen
und einer Eskalation mit Dosiserhöhung (nicht bei SSRI), sowie bei
Nichtansprechen eine Augmentation (Lithium, atypische Neuroleptika). Die
Kombination mit einer effektiven Psychotherapie (KVT, IPT,tpPT, GPT,
CBASP)49 ist angezeigt. Eine Erhaltungstherapie ist bei Wirksamkeit
erforderlich, und sollte, je nach der Anzahl von vorausgegangenen
Rezidiven individuell durchgeführt werden.
„Mit einer Responserate zwischen 50 und 85 % und von immer noch 50%
bis 75 % bei Patienten, die zuvor auf eine Antidepressivabehandlung nicht
angesprochen hatten, ist die Elektrokrampfbehandlung das wirksamste
antidepressive Behandlungsverfahren.“(Bschor, 2014, S. 772) 50 Das
Problem der EKT stellt die Frührezidivrate von 80% dar, so dass eine
Pharmakotherapie
angeschlossen
werden
muss
(NortriptylinLithiumbehandlung), die Kurzzeitgedächtnisstörungen sind meist
vorübergehend. (Baghai, 2012)
Zu unterscheiden ist eine Pseudotherapieresistenz, die auf einer inadäquat
durchgeführten antidepressiven Behandlung, einer Non-Com-pliance des
Patienten, psychosozialen Faktoren (Rentenbegehrung u.a., unbekannten
Komorbiditäten (Demenz, Sucht) oder einer nicht bekannten
Begleitmedikation beruhen kann, von einer „Therapieresistenz“.
„Therapieresistenz“ bedeutet nicht unbehandelbare Depression, sondern
eine auf Standardtherapieverfahren nicht unmittelbar ansprechende
Depression.“(Bschor, 2014, S. 767) Hierzu muss auf die S3-Praxisleitlinie
in Psychiatrie und Psychotherapie in der Fassung als Psychosoziale
Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen (AWMF-Register Nr.
038-020) verwiesen werden, wo eine Vielzahl von therapeutischen
Hilfestellungen aufgeführt werden, die neben den fachärztlichen und
fachpsychologischen Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt
werden können.
Risikofaktoren für ein erhöhtes Risiko (Vulnerabilität) für eine ungünstige
Prognose:
 ein früher Krankheitsbeginn,
 eine unvollständige Remission bei der ersten Episode,
 ausgeprägte familiäre genetische Belastung,
 fehlende soziale Unterstützung,
 Defizite sozialer Anpassung,
 chronische psychosoziale ungelöste Konfliktkonstellationen, Stress
 Komorbidität mit somatischen Erkrankungen,
 Komorbidität mit seelischen Erkrankungen. (Berger, 2011, S. 546f)
49 KVT-Kognitive Verhaltenstherapie, IPT-interpresonelle Psychotherapie, tpPT-tiefenpsychologisch fundierte
Pth, GPT-Gesprächtstherapie, CBASP-cognitive behavioral analysis system of psychotherapy; Das Prinzip
einer effektiven Psychotherapie besteht in einer Aktivierung und Verbesserung der Ressourcen, so dass die
unterschiedlichen Psychotherapieformen differentielle Möglichkeiten bei unterschiedlichen Depressionsformen
haben. (Grave, 2004)
50 Die EKT wird in Vollnarkose mit medikamentöser Muskelrelaxation und mit Sauerstoffbeatmung
durchgeführt, mit anästhesistischer Mitbehandlung, durch elektrische Auslösung eines generalisierten
zerebralen Krampfanfalles (Behandlungsserie) zu therapeutischen Zwecken. (Baghai, 2012, S.720)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
63
Neurobiologische Untersuchungen bei Depressionen betonen sowohl
strukturelle, als auch funktionelle Veränderungen. Morphologisch werden
bei Major Depressionen ein verringertes Frontallappenvolumen
(subgenuale präfrontale Anteile, orbitofrontale Region) , eine verringerte
cerebrale Asymmetrie, eine Vergrößerung der Liquorräume bei Patienten
mit psychotischen Symptomen, sowie vermehrte white matter lesions
frontal periventrikulär bei spätem Beginn gefunden. Es werden
Korrelationen zwischen läsionellen Veränderungen der Basalganglien mit
einem erhöhten Suizidrisiko postuliert. Weiter Auffälligkeiten werden in den
für die Emotionsregulation relevanten Bereichen der HippokampusAmygdala-Formation beschrieben. Weiterhin werden eine verminderte
ATP-Konzentration im Frontallappen, Auffälligkeiten in der CholinKonzentration, als Hinweis auf eine gestörte Neuroplastizität (Normalisierung unter antidepressiver Medikation) nachgewiesen. Die Untersuchungsmethoden mit PET, SPECT, fMRT, MR-Spektroskopie,
Diffusionstraktotomie sind mit kleinen Studiengruppen, mit und erheblichen Artefaktproblemen erhoben, mit einer sehr begrenzten Generalisierbarkeit. Die Frage ob die strukturellen Veränderungen vor oder unter
der Krankheit aufgetreten sind, bleibt offen.
Neuropsychologisch findet sich weitgehend übereinstimmend eine
wesentliche Beeinträchtigung der kognitiven Flexibilität (fluency)
Leistungen bei Depressiven, was mit den klinischen Beobachtungen der
Entscheidungserschwerung bis ,-unfähigkeit korreliert. (Vollmert, 2005)
Grawe (2004) weist daraufhin, dass „solche prädisponierenden Merkmale
immer schon Ergebnis einer zuvor erfolgten Genexpression (sind), und bei
dieser haben wiederum Lebenserfahrungen eine gewichtige Rolle gespielt
... (wobei) spezifische Lebenserfahrungen auch das potenteste Mittel sind,
um das Gehirn von Depressiven aus seinem geschädigten Zustand wieder
in einen gesünderen Zustand zu überführen.“(S.155)
Eine medikamentöse Behandlung depressiver Störungen erfolgt in der
Praxis unter syndromalen Aspekten, wobei die serotoninerg und noradrenerg sowie die melatoninergen wirkenden Substanzen, individuell fachärztlich eingesetzt werden. Die Behandlung depressiver Patienten ist in der
Praxis weitestgehend polypragmatisch, wobei die S3 – Leitlinen (NationalLeitlinien) unipolarer Depressionen, und zur Behandlung schwerer
psychischer Erkrankungen ein evidenzbasiertes Behandlungskonzept
favorisieren. Die Beurteilung einer Therapie -Effektivität ist oft durch
fehlende Operationalisierung und Transparenz erschwert, bei sehr unterschiedlichen Versorgungsstrukturen und ,-Angeboten (u.a. Stadt/Land)
Insbesondere muss die Lebensqualität und die soziale Teilhabe beachtet
werden.
Die Bestimmung einer Therapieresistenz setzt
eine individuelle
fachärztliche Abwägung, unter Berücksichtigung des subjektiven Leidens
depressiv Erkrankter, den Belastungsfaktoren der Angehörigen, und der
Therapiebeteiligten, im jeweiligen psychosozialen Kontext, mit den in
Anspruch genommenen Versorgungsangeboten, und der vitalen
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
64
Gefährdung, voraus.51 Eine empathisch gewirkte Mitwirkung der Patienten
und deren caregiveres bei der Diagnose und der Auswahl der
Therapiealternativen ist dabei Grundvoraussetzung.
In den Nationalen VersorgungsLeitlinien Unipolare Depression, und in den
Behandlungsempfehlungen für Ärzte für chronische und therapieresistente
Depression (Bschor, 2014) wird die Therapieoption einer THS nicht
erwähnt.
Die Behandlung therapieresistenter Depressionen mit chirurgischen
Eingriffen in das Gehirn ist in einem experimentellen (Forschungsstudien)
Stadium und basiert auf kleinen Studiengruppen, Fallstudien, die Basalganglienregion und deren Unterteilungen sind klein und kompakt, und trotz
der „sophisticated imaging and electrophysiology techniques, localizations
often remain less than exact.“ (Lakhan, 2010)
Eine Zusammenstellung von sieben DBS – Studien (Kohortengröße 1
Patient bis 21 Patienten) mit einem Beobachtungszeitraum von sechs bis
24 Monaten, drei mit PET Kontrolle, zeigten keine „adverse effects“ mit 35%
bis 66% „recovered patients“ bei Therapieresistenz.52
Das bisher überzeugendste neuronale Netzwerk–Erklärungsmodell von
Depressionen (biochemisch, elektrophysiologisch, neuroimaging, Tierstudien) von Mayberg (1997) und von Drevets u. Raichle (1992) basiert auf
der Annahmen, dass den Depressionen eine Dysregulation limbischer und
corticaler Netzwerkstrukturen unter Kontrolle des rostralen cingulären
Cortex (BA24a) zugrunde liegt.
Funktionell neuroanatomische Veränderungen bei Depressionen:
 dorsale Hirnregionen (dorsolateraler präfrontaler Cortex, inferiorer
parietaler Cortex, Striatum)
o mit kognitiven Störungen (Apathie, Anhedonismus,
Hoffnungslosigkeit,
Aufmerkamkeitsstörungen,
dysexekutiven Störungen) korreliert;
 ventrale Hirnregionen (Hypothalamus-Epiphyse-Adreale – Achse;
Inselregion, das subgenuale Cingulum, Hirnstamm)
o mit vegetativen Störungen (Schlafstörungen, Appetit,
endokrine Dysregulation) korreliert;
 das subgenuale Cingulum (Brodmann Area cg25) mit
dysfunktionalen Verbindungen zum dorsal und ventralen
Kompartment,
o Emotionsregulation bei negativen Gefühlen – Traurigkeit
o Zielregion
zur
Bestimmung
der
Therapieeffekte
(Verhaltenstherapie, Antidepressiva identisch);
51 Zur Beurteilung die beiden Skalen: GAF (Global Assessment of Functioning aus Schäfer, S. Immer öfter
eine gute Wahl. Lizenzfreie Testverfahren. Psychotherapie Aktuell 3/2010, S. 12-16); Mini-ICF-Rating für
Aktivität – und Partizipationsstörungen bei psychischen Erkrankungen in Anlehnung an die Internationale
Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der WHO von Linden,M, Baron,S,
Muschalla,B. Hans Huber Hogrefe Verlag, Bern, 2009,
52 „As more studies are done, and if DBS becomes covered by insurance, then random selction oft subjects for
alternative DBS targets may become practical and parametric statistical power calculations will be
feasiable.“LAKHAN, S., CALLAWAY,E 2010. Deep brain stimulation for obsessive-compulsive disorder and
treatment-resistant depression: systematic review. BMC Reswearch Notes http://www.biomedcentral.com/17560500/3/60, 3:60, 1-9.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
65

Nucleus accumbens
o zentrale Schaltstelle zwischen emotionalen, limbischen und
motorischen Regelkreisen
o Erfahrung von Belohnung und hedonistischen Reizen
 der rostrale cingulären Cortex (BA24a)
o Schlüsselstellung bei der Modulation des neuronalen
Depressionsnetzwerks
(Grawe, 2004, Lakhan, 2010, Kuhn, 2010, Schläpfer, 2011)
Weiterhin werden der Hippocampus (Gedächtnisdefizite); Nucleus
accumbens (Anhedonie, Motivationsdefizit); Amygdala (Processierung
aversiver Stimuli und Vermeidung) bei der neuronalen Netzwerkstörung bei
Depressionen berücksichtigt. (Schlaepfer, 2011)
„Alle Hirnregionen, die bei einer Depression negativ betroffen sind, haben
zentrale Funktionen bei der Auseinandersetzung mit der Umgebung. Weil
sie so stark betroffen sind, ist es angemessen, bei der Depression von einer
schweren Krankheit zu sprechen ... (weiterhin) kann ihr Zustand nicht
losgelöst von den Interaktionen dieses spezifischen Gehirns mit seiner
spezifischen Lebensumgebung betrachtet werden.“ (Grawe, 2004, S. 154)
Die Behandlung mit TSH (DBS) bei Depressionen ist bisher in keinen
Therapiealgorithmus eingebunden und ohne Zulassung, ist demnach in
einem experimentellen, vorwiegend Forschungsinteressen folgenden
Stadium, und bedarf eines sehr verantwortungsvollen Nutzen/Risiko –
Abwägungsprozesses.
Von Schläpfer (2011) werden als Nebenwirkungen der THS bei
Depressionen lokale Blutungen und Infektionen, und als Stimulationseffekte
eine Stimmungsaufhellung, Angst, motorische Verlangsamung, aufgeführt.
Nähere Beschreibungen sind der Studie nicht zu entnehmen.
Die positiven Effekte der DBS: (Schlaepfer, 2011)
 Reversibilität, Elektrodenentfernung jederzeit möglich,
 Hirnaktivitätsänderungen können direkt und kontrolliert gesteuert
werden,
 Stimulationparameter können kontinuierlich individuell angepasst
werden,
 Patienten
können
die
Stimulation
ausschalten
wenn
Nebenwirkungen auftreten,
 keine extrapyramidalen Nebenwirkungen,
 keine Gewichtszunahme,
 keine Langzeitnebenwirkungen wie bei Antidepressiva Medikation.
Von der Kölner Arbeitsgruppe (Sturm und Schläpfer) wurde bei einer
bilateralen Stimulation des Nucleus accumbens (zentrale Schaltstelle
zwischen emotionalen, limbischen und motorischen Regelkreisen –
Erfahrung von Belohnung und hedonistischen Reizen) bei drei Patienten
(mit doppelblinder Unterbrechung) eine Reduktion der HAM-D-Punktwerte
von 42 % und bei der Hälfte von 10 Patienten konnte eine Reduktion der
HAM-D-Punktwerte um 50 % (nach einjähriger Beobachtung eine Anxiolyse
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
66
- Hamilton Anxiety Scales)53 beobachtet werden. Mit einer Kontroll – PET
Untersuchung wurde eine Modulation fronto-striataler Netzwerke unter der
THS dokumentiert. Nebenwirkungen fanden sich nicht. (Kuhn, 2010)
Fazit: Trotz einer evidenzbasierten Leitlinientherapie bei depressiven
Störungen mit Antidepressiva und Psychotherapie, EKT, Soziotherapie,
wird bei (ca 10%) Patienten Therapieresistenz beobachtet. Als alternative
somatische Behandlung ist die THS in den NationalLeitlinien (gültig bis
2015) nicht aufgeführt. Als plausible neuronale Netzwerkstörung bei
Depressionen wird eine Dysregulation limbischer und corticaler
Netzwerkstrukturen unter Kontrolle des rostralen cingulären Cortex (BA24a)
angenommen, ohne dass die theoretischen und nachweisbaren
funktionellen und strukturellen Gehirnparameter durch Studien bereits
hinreichend belegt sind. Die Studienlage ist nicht geeignet eine vertretbar
kommunizierbare Effektstärke der THS bei Depressionen zu ermitteln. Eine
Zulassung für die Behandlung von Depressionen mit der THS gibt es nicht.
Eine psychiatrische Indikation zur THS bei therapieresistenter Depression
kann nur individuell mit dem Betroffenen und den Angehörigen, unter
Berücksichtigung der sozialen Situation, und dem Zugang zu einem
Stereotaxie - Zentrum mit interdisziplinärem Team und Erfahrungen mit
zentrenübergreifenden Studien, sowie der Gewährleistung
einer
langjährigen Nachsorge, gestellt werden. Forschungsinteressen stehen bei
der neurochirurgischen Intervention in das Gehirn bei Depressiven im
Vordergrund.
53 Hamilton Depressions und Angstskalen sind Sceening Skalen zur Beurteilung von Therapie Verlauf und
Gruppenunterschieden. http://www.psy-world.com/online_hamd.htm
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
67
2.6 Die THS bei Abhängigkeitserkrankungen (SUD )54
Wie bereits ausgeführt werden bei der Behandlung von neurologischen
Bewegungsstörungen mit der THS, und bei der Behandlung mit
dopaminergen
Substanzen
Suchtverhalten
(Substanzmissbrauch,
Impulskontrollstörungen) als „stimulationsbedingte“ Nebenwirkungen
beobachtet. Kuhn (2010) schreibt unter der Überschrift „Ausblick“ von
„bemerkenswerten Veränderungen im Suchtverhalten bei stoffgebundenen
Abhängigkeiten im Rahmen der THS des Nucleus accumbens.“ (S. 5) Er
bezieht sich dabei auf eine Kasuistik aus dem Kölner Arbeitskreis. (Kuhn,
2007) Als Nebeneffekt wurde bei einem an Panikattacken und
Depressionen erkrankten 54-jährigen Patienten, der mit THS behandelt
wurde,
ohne das motivationsverstärkende Interventionen eingesetzt
wurden, ein signifikanter Effekt auf die Alkoholabhängigkeit, erreicht.
„Subjectively speaking, the patient claims to have lost the desire to drink
and further professes that the pressing need to consume alcohol hat almost
completely disappeared unter stimulation.“ (Kuhn, 2007, S. 1153)
In den westlichen Industrieländern stehen ca 25% der Todesfälle in
direktem oder indirektem Zusammenhang mit der Einnahme von
psychotropen
Substanzen.(Kuhn,2007)
Der
volkswirtschaftliche
Gesamtschaden durch alkoholassoziierte Krankheiten, die den größten Teil
der Ausgaben ausmachen, wurde 2002 vom Robert-Koch-Institut auf ca 5080 Mrd. DM geschätzt.55
Die DG-Sucht (Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und
Suchttherapie e.V.) publiziert zu folgenden Substanzen Leitlinien (S2Leitlinien): Alkohol, Opioide, Cannabis, Kokain, Amphetamine, Ecstasy und
Halluzinogene, Tabak, Medikamentenabhängigkeit. (Schmidt, 2006)
Am Beispiel der Alkoholabhängigkeit sollen die für SUDs grundlegenden
Begriffe dargestellt werden. (zitiert wird aus der S2-Leitlinie Riskanter
schädlicher und abhängiger Alkoholkonsum: Screening, Diagnostik,
Kurzintervention. AWMF-Leitlinien-Register Nr.076/003, 04.05.2005)
Ein „riskanter Alkoholkonsum (hazardous trinking) erhöht die
Wahrscheinlichkeit , aufgrund eines fortgesetzten exzessiven Konsums
künftig Schaden zu nehmen. ( > Tageskonsum von 60g reinen Alkohol bei
Männern, >30 g bei Frauen)
Ein „schädlicher Konsum von Alkohol (harmful alcohol use)“ geht mit
nachweisbaren Schädigungen der körperlichen oder psychischen
54 Substance use disorders im Unterschied zu Impulskontrollstörungen (Esssucht, Spielsucht etc.) Moum,SJ,
Price,CC, Limotai,N. u.a. Effects of STN and GPi Deep Brain Stimulation on Impulse Control Disorders and
Dopamine Dysregulation Syndrom. PLoS One Jan 2012, www.plosone.org. Der Begriff „Sucht“ wird
etymologisch aus dem Altgermanischen („suht“= Krankheit; „siech“ ) abgeleitet, ursprünglich auf körperliche
Krankheiten bezogen. (Berger, 2011)
55
https://www.gbe-bund.de/pdf/alkoholassoziierte_krankheiten.pdf#SEARCH=%22Suchterkrankungen%22
aufgerufen Nov.2014
Zu den Prävalenzraten werden folgende Angaben gemacht: Kokain 0,5-3% der europ Erw., Amphetamine 1-4%
der europ. Erw., Ecstasy 0,5-4% der europ.Erw., LSD 1-2% der europ.Erw.; meist polyvalenter Konsum;
abhängige Tabakraucher in Deutschland 8,2% (ca. 22% der Raucher) (= 3,8-5,8 Mill. Abhängige Raucher in
Deutschland , siehe S2-Leitlinien dg-sucht.de, suchtbeauftragte.de). Entscheidend sind die präventiven
Maßnahmen da in der Pubertät erste Kontakte mit den illegalen Drogen und dem Tabak,-Alkoholkonsum
erfolgen.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
68
Gesundheit einher. (z.B.Leberzirrhose, Depressionen, Eheprobleme,
berufliche Probleme)
Ein „Alkoholmissbrauch (alcohol abuse) nach DSM-IV-TR geht mit der
Vernachlässigung bedeutender Verpflichtungen, rechtlichen und sozialen
Problemen sowie einer Gefährdung der physischen Gesundheit bzw.
Unversehrtheit einher.“ (entspricht dem dysfunktionalen Konsum)
„Eine Abhängigkeit von Alkohol oder einer anderen psychotropen Substanz
ist ein hinsichtlich der Ausprägung des klinischen Bildes variierendes
Syndrom, das durch den Vorgang des Substanzkonsums gegenüber
anderen Verhaltensweisen sowie die Fortsetzung des Konsums trotz
schädlicher Folgen gekennzeichnet ist.“ (S2-Leitlinie, 2005, S.4)
Die DSM-IV und ICD-10 Kriterien des Kapitels F 10 – 19) als „Psychische
und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen“ gefasst
orientieren sich an den folgenden diagnostischen Leitlinien:
Die Diagnose Abhängigkeit sollte nur gestellt werden bei
 einem starken Wunsche oder Zwang die Substanz zu konsumieren
 einer verminderten Kontrollfähigkeit bzg. Beginn, Beendigung und
Menge des Substanzkonsums
 einem körperlichen Entzugssyndrom
 beim Nachweis einer Toleranz. Zunehmend höhere Dosen zur
Wirkungserreichung notwendig.
 Einer fortschreitenden Vernachlässigung anderer Interessen
zugunsten des Substanzkonsums
 Anhaltender Substanzkonsum trägt zum Nachweis eindeutiger
schädlicher Folgen körperlicher, sozialer, psychischer Art bei.
(Berger, 2011)
Somit sind entscheidenden Charakteristika von SUDs die Entwicklung von
Toleranz (Gewöhnung), die physische und psychische Abhängigkeit
(craving). Als biologische Hintergründe der Gewöhnung wird ein verstärkter Abbau der Substanz, oder ein neuronaler Anpassungsprozess auf der
Übertragungsebene (Synapsen) der beeinflussten Hirnbotenstoffe (Transmitter) oder der nachgeschalteten Netzwerkverbindungen gesehen. Die
körperliche Abhängigkeit ist an dem Entzugssyndrom zu erkennen
(Schwitzen, Angst, Herzbeschleunigung etc.) infolge eines neuronalen
Anpassungsprozesses bei chronischer Substanzzufuhr und einer
Fehlfunktion nach Absetzen der Substanz, unter Mitreaktion anderer
Organsysteme. Das „starke, unwiderstehliche Verlangen nach einer Droge“
(craving) entwickelt sich wenn aktiv zur Droge gegriffen wird. „Wird bei
fortgesetztem Substanzkonsum ein „point of no return“ überschritten,
kommt es zu einem Verlust der Eigenkontrolle und über die
Substanzzufuhr, einem wesentlichen Merkmal für die Diagnose „Abhängigkeit.“ (Berger, 2011, S.391) Insbesondere klassisches und operantes
Lernen (Konditionieren) spielen beim „drug seeking“ und „drug taking“ eine
entscheidende Rolle. Am Belohnungssysteme wirken die suchterzeugenden Substanzen, wobei sich substanzspezifische Aktivierungen
in Tierversuchen nachweisen lassen. Alkohol führt zu einem Anstieg des 
-Endorphinsystems, wobei das dopaminerge System des ventralen
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
69
Tegmentums des Mittelhirns zum Nucleus accumbens des Vorderhirns
projezierend in der Transmission gesteigert wird. („gemeinsame Endstrecke
von Drogenwirkungen“ Berger, 2011, S.392) Die Frage nach der
Vulnaribilität zur Suchtentwicklung wird mit der Dopamindefizit-Hypothese,
einer verminderten Ansprechbarkeit der zum Belohnungssystem
gehörenden mesolimbischen dopaminergen Neurone postuliert. Der
Beitrag genetischer Faktoren bei der Entstehung von Abhängigkeit wird
gleichwertig mit den individuellen sozialökonomischen Faktoren gewichtet.
Zum Screening werden Skalen wie der Lübecker Alkoholabhängigkeits,und missbrauchs –Screening-Test (LAST, Rumpf u.a., 1997), das AUDIT
und AUDITC zu dem es keinen deutschen cut-off-Werte gibt, eingesetzt.
(S2-Leitlinien, 2005, S. 6); Laborindikatoren stehen zur Verfügung zur
Nachweisbestimmung.
Zur Therapie der einzelnen Substanzabhängigkeiten stehen für die
Intervention
bei
Entgiftungsbehandlung
und
Stabilisierung
(Entwöhnungsbehandlung, Adaption) Psychopharmaka zur Verfügung, die
sowohl ambulant, wie auch unter stationären Bedingungen eingesetzt
werden,
wobei diese
Behandlung nur im Rahmen eines
Gesamtbehandlungsplanes erfolgen sollte, der unter suchttherapeutischen
Aspekten multiprofessionell individualisiert erstellt werden muss. (dgsucht.de,
Leitlinien
für
sozialmedizinische
Begutachtung,
Sozialmedizinische Beurteilung bei Abhängigkeitserkrankungen, April
2010, Deutsche Rentenversicherung)(Burucker, 2012)
Es liegt nahe, dass bei der Therapie von substanzinduzierten Erkrankungen mit einem Ansprechen der beteiligten Hirnbereiche und den veränderten biochemischem Prozessen
in den neuronalen Netwerken,
Gehirneingriffe versucht werden. Die Wirkung suchterzeugender Substanzen wird allgemein darin gesehen, dass sie große und vorübergehende Aktivitätsverstärkungen im dopamnergen System des ventralen
Tegmentum - Bereichs auslösen, der primär mit dem Nucleus accumbens,
als Anteil des ventralen Striatums verbunden ist, aber auch mit dem
dorsalen Striatum, der Amygdala, dem Hippokampus und dem präfrontalen
Kortex. Die chronische Einnahme suchterzeugender Sub-stanzen führt zu
einer morphologischen Gehirnveränderung in den Netzwerkstrukturen,
andererseits finden sich auch bei gefährdeten Personengruppen bereits
Modulationen in den angesprochenen Hirnare-alen, ohne dass hiermit ein
ursächlicher Zusammenhang impliziert werden kann. Erklärungsversuche
für die Phänomenologie abhängigen Verhaltens wurden vielfältiger Art
versucht, wobei Volkow einen interessantes Modell zur Erklärung von
Verhaltensabweichungen
bei
SUDs
beschreibt,
und
die
Gleichgewichtsstörung in den beteiligten neuronalen Netzwerkstrukturen in
Zusammenhang mit Selbststeuerungsdefiziten setzt.(Volkow, 2013) „The
evidence suggests that the observable behavior that characterize the
addiction phenotype (compulsive drug consumptopn, impaired self-control
and behavioral inflexibility) represent unbalanced interactions between
complex networks (that form functional circuits) implicated in goal directed
behavior.“(ebd.,S.639)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
70
Dabei sind durch Tierversuche und durch die verbesserten bildgebenden
Verfahren, sowie durch die molekularbiologischen Analysen, inzwischen
Forschungsbeiträge vorhanden, die ein besseres Verständnis der
neuronalen Netzwerkstörung im Gehirn bei Abhängigkeitserkrankungen
ermöglichen.
Eine Literaturübersicht zur DBS bei Suchterkrankungen mit deiner
Diskussion
der
neuropsychologischen
und
neurofunktionellen
Zusammenhänge findet bei Bauer. (Bauer, 2008).
Zusammenfassend wird angenommen, dass die Langzeiteffekte wie
Toleranzentwicklung, craving, Abhängigkeit und Entzugssymptomatik auf
zellularer Ebene auf einer modifizierten Genexpression und eine
Rezeptordownregulation beruhen. (Kuhn, 2007)
Neuropathophysiologisch handelt es sich bei der Abhängigkeits-erkrankung
um ein chronisch wiederkehrendes Krankheitsbild, welches auf einer
Dysregulation neuronaler Netzwerkstrukturen im Gehirn beruht, an der die
neuronalen Verbindungen der mesocorticolimbischen Struk-turen,
einschließlich des Nucleus accumbens, einem Teil des Vorderhirns,
beteiligt sind. Unbekannt sind die spezifischen Wirkorte (cellulär) der
Substanzen, und wie ein stabilisierender Effekt durch Stimulation oder
Medikation hergestellt werden kann.
Aus den bisherigen Stimulationsinterventionen (DBS) wird angenommen,
dass insbesondere die Modulation der dopaminergen Transmission (D1
Rezeptoren als Plastizitätsinduktoren, NMDA Rezeptoren) eine
entscheidende Rolle spielt, und sich die Wirkung auf die D2 Rezeptoren im
präfrontalen Cortex bei Abhängigkeitserkrankungen (Dopamindysregulations-Syndrom) balancierend auswirkt, so dass damit eine Normalisierung der synaptischen Transmission, und damit eine günstige
Beeinflussung des eingeengten Verhaltensrepertoirs bei den Erkrankten
erreicht werden kann. Pharmakologische Einflussmöglichkeiten sind zurzeit
wenig effektiv. (Kuhn, 2012, S.1)
Der Nucleus accumbens ist der ventrale Teil des Striatums, wo die
Information aus dem limbischen System prozessiert wird, und damit in das
Belohnungssystem bei SUDs eingrieft. Der Nucleus accumbens wird
anatomisch in den Kern,- und den Mantel-Bereich unterteilt mit
unterschiedlichen funktionellen Bedeutungen, was sich bei Untersuchungen mit Cocain,- und Alkohol,- Heroinabhängigen zeigte (Pierce,
2013)56
Volkov (2013) spricht demzufolge von aus dem Gleichgewicht geratenen
neuronalen Netzwerken bei der Abhängigkeitserkrankung, die gezielt über
die Zeit ausbalanciert werden sollten. (Volkow, 2013)
Eine Spezifizierung der neuronalen Zielstrukturen bei Gehirninterven-tionen
lässt sich aus tierexperimentellen Studien und aufgrund der bildgebenden
Verfahren gewinnen(Kienast, 2008), mit einem weiteren Forschungsbedarf.
Dementsprechend wird zu neuronalen Netzwerkstörungen bei Abhängigkeitserkrankungen zusammenfassend formuliert: (Volkow, 2013, S. 14):
56 „Surprisingly, the mechanism of action of DBS that is responsible for ist therapeutic effects remains unclear.“
(Pierce, 2013,S.4)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn




71
Addiction is a spectrum disorder that pertubs the balance within a
network of circuits
Addiction entails a progressive dysfunction that erodes the
foundations of selfcontrol
Addiction circuits overlap with the circuits of other impulsivity
disorders (e.g.,obesity)
Better understanding of these circuits ist he key to better prevention
and treatment.“
Fallstudien zur Alkoholabhängigkeit, Tabakabhängigkeit, sind publiziert
(Kuhn, 2010a), wobei die „vielversprechenden Ergebnisse, die unter
anderem auf eine Modulation des „Craving“ zurückgeführt werden und es
den Betroffenen offensichtlich erleichtern, abstinent zu bleiben, allerdings
bislang nicht durch Studien untermauert (sind).“ (ebd. S.5)
Über Nebenwirkungen liegen keine hinreichenden Berichte vor. Das Risiko
des chirurgischen Eingriffs muss gegenüber dem zu erwartenden Erfolg
abgewogen werden.
Zu den Therapiezielen werden bei den SUDs übergeordnet in den S2Leitlinien der DG-Sucht formuliert, „den Patienten darin zu unterstützen,
eine seinen Fähigkeiten angemessene, nicht durch Drogenkonsum gekennzeichnete, eine möglichst autonom, kompetent und handlungsfähige
Lebensführung zu erreichen.“ (S.18)
Vordringlich geht es um die Sicherung des Überlebens, die Abwendung
langfristiger Gesundheitsschäden, und die Abstinenz von illegalen Drogen.
Neben der Entgiftung und Entwöhnungsbehandlung (craving, Suchtdruck,
Triggerkontrolle, Motivation), steht die Rückfallprophylaxe mit einer
Adaptionsphase in einem Gesamtplan, flankiert von Psychotherapie und
Soziotherapie, im Vordergrund der Interventionsstrategien.
Der zeitliche Rahmen liegt bei der Rehabilitation bei 18–20 Monaten als
Minimum, wobei mit wiederholten Rückfällen zu rechnen ist.
Bei der Behandlung mit DBS handelt es sich im Vergleich zu den bisherigen
Erkrankten um durchschnittlich jüngere Patienten,57 so dass eine Therapie
immer mit einer Langzeitbegleitung und Nachsorge verbunden sein muss.
Fazit: Zur TSH bei Abhängigkeitserkrankungen liegen erste Fallberichte
vor, wobei eine Beurteilung der Effektivität und der Langzeiteffekte bisher
nicht möglich ist. Ein plausibles neurofunktionelles und neurobiochemisches Netzwerk-Dysbalance–Modell bei SUDs kann die Zielstrukturen im Gehirn besser definieren. Die Einbindung therapeutischer Interventionen in einen individuellen Gesamtbehandlungs-plan mit einer Langzeitnachsorgemöglichkeit (manualisierte Programme zur Rückfallprophylaxe) ist zwingend notwendig. Da der Erstkontakt mit den Drogen in
einer frühen Lebensspanne erfolgt sind Präventionsprogramme erforderlich. Die Finanzierung der institutionellen Interventionsmöglichkeiten mit
gleichberechtigten Zugangsmöglichkeiten zu den medizinischen und
suchttherapeutischen Angeboten stellt die Therapie der substanzgebunden Abhängigkeitserkrankungen in einen gesundheitspolitischen
57 siehe hierzu das Epidemiologische Suchtsurvey (ESA) 2009 auf der homepage dogenbeauftragte.de
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
72
Zusammenhang. Die Behandlung von SUDs mit THS (DBS) ist einzelnen
Spezialtherapiezentren vorbehalten.
2.7 Die THS bei Morbus Alzheimer58
Die Demenzen werden den körperlichen Psychosen (Schneider, 1946;
Lipowski, 1975) (Berger, 2011)zugeordnet, und nach den DSM-IV, ICD-10
Kriterien klassifiziert. Unterschieden werden die Demenzen bei Alzheimer
Krankeit (F00, G30,-), vaskuläre Demenz (F01), Demenz bei andernorts
klassifizierten Erkrankungen z.B. fokale kortikale Degeneration, Chorea
Huntington, Morbus Parkinson, HIV-induzierte Demenz, u.a.).
Demenzen sind neurodegenerative Erkrankungen mit Störungen des
Gedächtnisses,
Beeinträchtigungen
zumindest
eines
weiteren
neuropsychologischen Teilbereichs, und einer damit verbundenen
alltagsrelevanten Einschränkung der Lebensführung. Differentialdiagnostisch kommt es im Vergleich zu den Minderbegabungen bei den
Demenzen zu einem Verlust bereits erworbener kognitiver Fähigkeiten,
ohne Veränderung des Bewusstseins. Bei ca. 10% der Demenzen liegt eine
behandelbare, reversibel Ursache vor. Die exakte Erfassung einer
progredienten neurodegenerativen Erkrankung ist deshalb von entscheidender praktischer Bedeutung, sodass entsprechende Kriterien
erarbeitet werden.(Berger, 2011,S.302) Mischformen stellen die häufigsten
klinischen Krankheitsbilder dar. Eine syndromale und ätiologische
Diagnostik ist im Praxisalltag vor einer Therapieeinleitung erforderlich. Eine
prognostische Aussage kann nicht gestellt werden.
Epidemiologisch werden die Demenzerkrankungen mit steigender
Lebenserwartung der Bevölkerung einen zunehmend größeren Anteil
einnehmen. Die Prävalenzrate „nimmt von etwas mehr als 1% in der
Altersgruppe der 65- bis 69-Jährigen auf rund 40% unter den über 90Jährigen zu ... In Deutschland muss man von knapp 300.000 Neuerkrankungen pro Jahr ausgehen.“(Gutzmann, 2014,S.54)
Neuropathologisch werden interneurale Amyloidplaques und intraneurale
neurofibrilläre Tangels (Alois Alzheimer, 1907) nachgewiesen.(Lyketsos,
2012) „Mit der Kombination des beta-Amyloid-1-42-Wertes und Gesamt–
Tau-Wertes bzw. des beta-Amyloid-1-42-Wertes und Phospho-Tau-Werts
gelingt eine Abgrenzung von Demenzkranken mit Alzheimer-Demenz
gegenüber gesunden Personen mit einer Sensitivität 86-92% und einer
Spezifität von 89%“.“(S3-Leitlinien Demenzen, 2009,S.17) Diese
Liquorbefunde eignen sich nicht zu einer Verlaufskontrolle. Es wird eine
Bildgebung mit einem CCT, MRT zur Differentialdiagnose empfohlen. Eine
FDG-PET, und SPECT, EEG, dienen der weiteren Ausdifferenzierung der
Demenzformen. Familiäre Alzheimer – Krankheiten liegen unter 5%, 5-10%
58 S3-Leitlinie „Demenzen“ (Kurzversion) AWMF-Registrier-Nr. 053-021 November 2009 – Neufassung
angemeldet zur Überarbeitung – awmf.org
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
73
der frontotemporalen Demenzen (Förstl, 2003)haben eine positive
Familienanamnese (früher Beginn und molekulargenetische Beratung).
Die isolierte Bestimmung des Apolipoprotein-E-Genotyps als genetischer
Risikofaktor wird nach den Leitlinien aufgrund der mangelnden
Trennschärfe und dem geringen prädigtieven Wert nicht empfohlen.
In Studien und zum Screening wird der Mini-Mental-State-Test (Folstein,
1975) eingesetzt, womit eine Einteilung der Schweregrade der Demenzen
bei Alzheimer-Demenz, als Orientierungshilfen erfolgt.
 MMST 20 bis 26 Punkte: leichte Alzheimer-Erkrankung
 MMST 10 bis 19 Punkte: moderate/mittelschwere AlzheimerErkrankung
 MMST weniger als 10 Punkte. Schwere Alzheimer-Erkrankung
(S3-Leitlinien Demenzen, 2009, S. 12)
Die Einteilung ist beim Einsatz von zugelassenen Antidementiva wichtig.
 Acetylcholinesterase-Hemmer
(Donezepil, Galantamin, Rivastigmin) leichte bis mittelschwere AD
o Nebenwirkungen
 Gastrointestinal
 Bronchial
 Kardial
 Erhöhte Mortalität wegen bradykardisierendem
Anti-Atropin-Effekt)
 Memantine (NMDA –Antagonist)
mittelschwere bis schwere
AD
o Nebenwirkungen
 Agitiertheit
 Halluzinationen
 Kontraindikationen: zerebrale Anfälle, Hypertonuns,
Myokardinfarkt, dekompensierte Herzinsuffizienz
(Guthmann, 2014)
Die allgemeinen Therapieziele bei progredient verlaufenden Demenzen
umfassen eine Linderung der kognitiven Leistungseinbußen und eine
Verbesserung der Lebensqualität der Patienten und ihrer Angehörigen.
Kognitive Verschlimmerungen und pflegerische Interventionen können nur
bei ca 25% der Alzheimer Erkrankten mit den zugelassenen Medikamenten
für 1-2 Jahre erreicht werden. Im Vordergrund stehen individualisierte
Gesamtbehandlungsansätze, wobei die medizinische Rehabilitation zu
einer Verbesserung des Krankheitsverständnises, zu einer Entlastung der
Angehörigen, und zu einer besseren Alltagsadaption beitragen kann.
Die Behandlung mit der THS als ein „circuitry-based treatment“ (Lyketsos,
2012, S. 11) stellt bisher eine auf wenige Studienergebnisse und Tiermodelle Bezug nehmende experimentelle Therapieoption dar.
(Hardenacke, 2013) (Pereira, 2014)
Neuroanatomisch wird bei der Alzheimer Erkrankung das limbische System
(Papez-Kreis) am deutlichsten mit Amyloidablagerungen und molekularen
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
74
Abnormalitäten betroffen. Die neurodegenerativen Prozesse schädigen
neuronale Netzwerkaktivitäten, synaptische Überträger-aktivitäten mit den
neuronalen Abbau.59
Als Zielstrukturen werden der Fornix (nervale Verbindungen zum
Hippokampus), Entorinaler Cortex, Nucleus basalis Meynert in den Studien
angegeben, wobei es sich um Einzelfallbeobachtungen oder Phase I
Studien (off-lable, ohne Kontrollgruppe) handelt. Der Nucleus basalis
Meynert wurde von der Kölner Arbeitsgruppe (2009) bei einem ParkinsonDemenz Kranken als Zielort publiziert.60 Dabei wurde der Nucleus
subthalamicus und der Nucleus basalis Meynert (STN Stimulation alleine,
kombinierte Stimulation STN und NBM, STN Stimulation mit NBM
Scheinstimulation) verglichen, wobei lediglich die kombinierte Stimulation
einen deutlichen kognitiven Verbesserungseffekt zeigte. Verbesserungen
zeigten sich auch bei der Aufmerksamkeit, Konzentration, Wachheit,
Antrieb, Spontaneität, sowie bei apraktischen Störungen. Nebenwirkungen
wurden lediglich in der Studie von Laxton u.a. (2010) mit 6 Alzheimerpatienten mit mildem bis moderatem Schweregrad (Verbesserungen des
Glucosemetabolismus, kein Abfall der kognitiven Funktionsniveaus)
angegeben, mit Wärmesensationen, flushing, Herzschlaganstieg und
Blutdruckanstieg.
Eine Generalisierung der Ergebnisse i.S. einer verbessernden
Beeinflussung kognitiver Funktionen bei der Alzheimer Erkrankung ist
wegen der geringen Patientenzahl, dem open-lable-design, ohne Kontrollgruppe, nicht möglich. (Hardenacke, 2013,S.3) Die bisher vorliegenden
Publikationen umfassen eine Verlaufskontrolle bis 52 Monate.
Fazit: Während die medikamentösen Therapien (Immuntherapien bisher
ohne Effekt) bei nur ca ¼ der Alzheimer–Kranken einen kurzfristigen, mit
teilweise schweren Nebenwirkungen behafteten, den Verlauf verzögernden Effekt, nachweisen konnten, richtet sich die THS auf eine
Modulation des neuronalen Gedächtnis–Netwerks. Der Wirkmechanismus
ist nicht bekannt. Eine allgemeine Aussage zu einer symptomatischen
Verbesserung neuropsychologischer Funktionen oder Verbesserung der
Lebensqualität bei Alzheimer Erkrankung mit der THS kann nicht gemacht
werden. Die Mitbehandlung kognitiver Störungen bei schweren
Bewegungsstörungen (M.Parkinson) ist mit einer Zunahme der operativen
Komplikationen (Anstieg der Blutungsgefahr mit der Anazahl der
implantierten Elektroden) verbunden. Die Behandlung von Alzheimerkranken in einem schweren Stadium mit THS ist nach einer
Literaturrecherche (Pubmed) bisher nicht publiziert worden.
59 Der im „Ruhezustand“ aktive Gehirnbereich wird als „default mode network“(Raichle, 2001) bezeichnet:
medialer temporaler Bereich – Gedächtnisfunktion; medial präfrontaler Bereich – Therory of mind; posterior
cingulate cortex, inferiorer parietales precunium - Informationsintegration ; LYKETSOS, C., TARGUM,S,
PENDERGRASS,JC, LOZANO,AM, 2012. Deep Brain Stimulation: A Novel Strategy for Treating Alzheimer´s Disease.
Innov Clin Neurosci, 9, 10-17.
60 „A unique feature in the course of both AD and Parkinson´s dementia (PDD) is basal forebrain degeneration
includiung the latter´s chiolinergic projections to the cortex ... The relevance of the cholinergic forbrain for brain
plasticity has. For instance, been illustrated by the reshaping of auditory receptive fields during and after
stimulation of the NBM in the adualt brain.“(Hardenacke, 2013,S.4)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
75
2.8 Zusammenfassung der empirischen Befunde zur THS bei
neuropsychiatrischen Erkrankungen
Zusammenfassend lässt sich zum Wirkmechanismus der THS festhalten,
dass durch die Implantation von Elektroden in bestimmte Gehirnregionen
verschiedenartige neuronale Komponenten beeinflusst werden (Zellkörper,
Axone, Nervenfaserbündel) mit einem inhibitorischen synaptischen Effekt
auf Zellstrukturen und einem wechselweisen Hochfrequenz - Effekt auf
efferente Axone und Faserverbindungen. Ein nachgewiesener Effekt ist die
Beeinflussung der „firing rate and pattern of individual neurons in the basal
ganglia.“ (Chen, 2012, S. 201) Weiterhin werden durch die elektrische
Stimulation eine Ausschüttung von Calcium (Astrozyten) mit einer
Neurotransmitter - Freisetzung (Glutamat, Adenosin)
erreicht. Der
allgemeine Effekt der DBS wird mit einem globalen Anstieg des cerebralen
Blutflusses, einer Stimulation der Neurogenese, abhängig von der
Amplitude und den zeitlichen Stimulationsparametern, den physiologischen
Verhältnissen und den Zielstrukturen, der geometrischen Konfiguration der
Elektroden und dem umgebenden Gewebe, beschrieben. „However, it still
remains unclear exactly how these influences lead to changes in the
symptoms of a certain neurological disease. Therefore, the foundation of
this therapy has been more or less empirical.“ (Chen, 2012, Williams, 2014)
Seit den späten 1980iger Jahren wird die Sterotaxie als neurochirurgischer
Eingriff bei neurodegenerativen Erkrankungen mit Zulassung der Technik
für schwere Bewegungsstörungen (DBS) (M. Parkinson, Tremor,
Dystonien) erfolgversprechend bei inzwischen ca. 100.000 Patienten
eingesetzt.
Seit
den
1990iger
Jahren
wurden
schwerste
neuropsychiatrische Erkrankungen (Zwangserkrankung
mit einer
europäischen technischen Zulassung, Tourette-Syndrom mit Einzelfallstudien) mit THS behandelt, ohne dass bereits eine globale Effektstärke
angegeben werden kann. Einzelfallstudien mit THS wurden für schwere
Depressionen, substanzgebundene Abhängigkeitserkrankungen, und erste
Fallstudien für Alzheimer Erkrankungen (leichte bis moderate Schwere),
aus
Universitätskliniken
mit
Stereotaxie-Zentren
publiziert.
Langzeituntersuchungen über ein bis zwei Jahre hinausgehend gibt es
nicht. Die Auswahl der Zielstrukturen bei den speziellen Erkrankungen ist
weiterhin in der Diskussion, wobei Fortschritte der physikalischen Medizin
(Bildgebende Verfahren, Neurophysiologische Techniken, Nanotechnik,
Gentechniken) zu erwarten sind.
Der Vorteil der THS gegenüber den läsionellen neurochirurgischen
Eingriffen besteht in deren Reversibilität, der minimaleren Invasivität, der
Durchführung in wachem Zustand, der individuellen Steuerung (Abbruch,
Nebenwirkungskontrolle), der gezielten krankheitsspezifischen Gehirnintervention (im Vergleich zur Psychopharmakotherapie), wobei die
Programmierung und die Nachkontrolle eine kontinuierliche ärztliche
Überwachung erfordert.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
76
Die Hauptnebenwirkung des neurochirurgischen Eingriffs stellt die
intrakranielle Blutung dar. Bei ca 5% der Interventionen (DBS) kommt es
zu Blutungen, mit symptomatischen Blutungen von 2,1% und einem
permanenten neurologischen Defizit infolge der Blutung oder einem
tödlichen Ausgang von 1,1%. Die Gefahr von intrakraniellen Blutungen
steigt mit der Anzahl der implantierten Elektroden. Hirnorganische Anfälle
treten bei der THS in ca 2,4% auf (innerhalb von 48 Stunden nach dem
Eingriff). Hardware Probleme mit Infektionen (am häufigsten),
Elektrodenmigration und -,Fehlplatzierung, Elektrodenbrüche, Hautveränderungen, Regelungsprobleme werden mit 4,3% bis 17,8% berichtet.
(Chen, 2012)
Stimulus bedingte Nebenwirkungen sind Muskelkontraktionen, Dysarthrie
(Sprechstörungen, Artikulationsprobleme), Augenbewegungen Zittern,
Dyskinesien
(unwillkürliche
Bewegungsabläufe),
Kopfschmerzen,
Schmerzen,
Parästhesien
(Kribbelmissempfindungen),
Wärmeempfindungen, flushs, Blutdruckanstieg.
Persönlichkeitsbezogene Nebenwirkungen der THS betreffen vorwiegend
die verbale Flüssigkeit (verbal fluency) bei der Stimulation des Nucleus
subthalamicus (STN) aufgrund der Elektrodenplazierung, sowie eine
Exacerbation suizidaler Tendenzen.
Chronische Persönlichkeitsänderungen können als postinterventionelle
(THS) Folgewirkungen auch zeitverzögert auftreten. Beobachtet wurden
manische Syndrome, Depression, Apathie, Panik, Angst, Halluzinationen
und Impulskontrollstörungen, sowie
dramatische sozial-familiäre
Anpassungsschwierigkeiten. Die Gewährleistung einer institutionalisierten
interdisziplinären Nachsorge über einen langjährigen Zeitraum ist deshalb
bei der THS erforderlich.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
77
III. Ethische Problemstellungen bei chirurgischen Eingriffen in das Gehirn
1. Einige grundlegende medizinethische Aspekte
Neuropsychiatrische Erkrankungen (MNSD)61 gehören weltweit zu den
häufigsten und global das Gesundheitswesen am meisten belastenden
Erkrankungen. Die Erkrankungen stellen eine enorme Belastung für die
Betroffenen (Stigmatisierung, Institutionalisierung), die
Angehörigen
(Pflege, verfügter Wille), sowie das öffentliche Gesundheitswesen dar. Die
Prävalenzraten liegen weltweit für die MNSDs für Erwachsene bei 12.248.6%, und die 12-Monatsprävalenz bei 8.4-29.1%, wobei ¾ der
Erkrankten zu den Ärmsten der Gesellschaft gehören. Sie umfassen 30%
der „non-communicable diseases“62 weltweit. Die depressiven Erkrankungen, als Risikofaktor für Schlaganfälle, Herzinfarkte und Diabetes Typ 2,
haben eine herausragende Bedeutung. Die Möglichkeiten zur Teilhabe an
den gesundheitsmedizinischen Versorgungsangeboten sind für diese
Erkrankungen im ländlichen und städtischen Bereich ungleich verteilt,
wobei eine zweckmäßige psychiatrische Behandlung in der Gruppe mit
sehr hohem und hohem Einkommen von 60%, gegenüber 10% in den
unteren Einkommensbereichen wahrgenommen wird.
Die Behandlung neuropsychiatrischer Erkrankungen mit neurochirurgischen Eingriffen, als somatische Behandlungsform, steht wegen des
menschenverachtend brutalen und massenhaften Einsatzes zur Zeit der
„Psychochirurgie“ (Moniz, Freemann u.a.) weiterhin in der öffentlichen
Diskussion. Dass eine „biologistisch-asoziale Krankheitsideologie mit der
bereitgestellten Technik der Medizin umstandslos zur Deckung kommt“
(Sigusch, 1977), und eine Ausweitung der Indikationen auf Sexualstörungen und seelische Reaktionen, (Adler, 1979), Essstörungen,
Abhängigkeitserkrankungen, Demenz (Chen, 2012)) bis hin zu Eingriffen
bei frühen Krankheitsstadien (M. Parkinson) (Erasmi, 2014), welche mit
einer Verbesserung der „sozialen Anpassung“(Meier, 2009) begründet
werden kann, widerspricht den medizinethischen Prinzipien.63
Was hat sich seit den 1970iger Jahren bei der Behandlung von
neuropsychiatrischen
Erkrankungen
(MNSDs)
mit
chirurgischen
Gehirninterventionen verändert?
61 Mental, Neurological, Substance use Disorders - siehe hierzu insbesondere mhGAP: WHO Library
(Satyanand,T (Hrsg.): Mental Health Gap Action Programme: scaling up care for mental, neurological and
substance use disorders. Genf, 2008: „14% of the global burden of disease, measured in disability-adjusted life
years (DALYs), can be attributed to MNS disorders. The stima and violations of human rights directed towards
people with these disorders compounds the problem.“ (S.4) ... „The resources that have been provided to
tackle the huge burden of MNS disorders are insufficient, inequitably distributed, and inefficiently used, which
leads to a treatment gab of more than 75% in many countries with low and lower middle incomes.“
62 chronische Erkrankungen, nicht übertragbar, nicht infektiös (nicht unbedingt korrekt, wenn HIV zu den
chronischen Erkrankungen hinzugerechnet wird), die 60% aller Todesursachen weltweit beinhalten.
63 Zur medizinrechtlichen und einer neuroethischen Diskussion im Fach Psychiatrie wird auf die Ausführungen
in HILGENDORF, E. 2013. Menschwürde und Neuromodulation. In: JOERDEN, J. C., HILGENDORF, E.,
THIELE, F. (ed.) Menschenwürde und Medizin. Ein interdisziplinäres Handbuch. . Berlin: Duncker &
HumblotGmbH, JOX, R., SCHÖNE-SEIFERT,B, BRUKAMP,K 2013. Aktuelle Kontroversen der Neuroethik. Der
Nervenarzt, 10, 1163-1164. verwiesen.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
78
Welche medizinethischen Kriterien sollten für neurochirurgische Eingriffe in
das Gehirn bei neuropsychiatrischen Erkrankungen zum Schutz der
Patienten und zur Rechtfertigung der medizinischen Behandlungen
berücksichtigt werden?
Welche praktischen Konsequenzen ergeben sich für die Handlungsregulierung bei der Aufklärung der Kranken, bei der Indikationsstellung,
und bei der Durchführung der THS bei neuro-psychiatrischen
Erkrankungen?
Seit den 1970iger Jahren kam es zu einem bemerkenswerten technischen
Innovationsschub im Bereich der Neurowissenschaften,
der
Neurophysiologie, dem funktionellen Neuroimaging (physikalische
Medizin)(Williams, 2014) und im Bereich der Neurochirurgischen
Behandlungstechniken (Stereotaxie), so dass sich Verbesserungen der
Lokalisation von Gehirnstrukturen, mit reversiblen Stimulationstechniken,
minimal läsionellen Eingriffen, sowie Verbesserungen der neuronalen
Netzwerk - Theorienbildung, erreichen ließen. (Schläpfer, 2014)
Forderungen nach mehr Transparenz und Infragestellung hierarchisch
organisierter gesellschaftlicher Strukturen, einschließlich gesellschaftlich
hochfinanzierter akademischer Insitutionen mit Verfügungsgewalt über die
Bereitstellung technisch hoch spezialisierter Therapieoptionen, sowie eine
Solidarisierung mit der Stärkung der Patientenrechte, haben seit den
1970iger Jahren zur „Humanisierung“ (Stärkung der Menschrechte) bei
dem Umgang mit Behinderten und neuropsychiatrisch Kranken geweckt.
(Dörner, 1969, Klee, 1983)
Zusammenfassend
werden
von
Schöne-Seifert
(2005)64
als
65
Voraussetzungen der gegenwärtigen „westlichen“ Medizinethik“ drei
Bereiche angeführt: „erstens die Verfügbarkeit zunehmend vieler medizinischer Eingriffsmöglichkeiten; zweitens eine wachsende Pluralität der
Lebensstile und Moralauffassungen innerhalb der Gesellschaften; drittens
der Verlust moralischer Autoritäten und Unanfechtbarkeit von Ärzten und
Forschern allein kraft ihrer Profession.“ (S.5) Zur Entwicklung der
Medizinethik in den USA und in Europa findet sich bei der Autorin ein
ausführlicher Überblick. (Schöne-Seifert, 2007)
Höffe (2008) stellt für die medizinische Ethik die Aufgabe heraus „gegen
die Neigung zu einer vorschnellen Moralisierung oder aber Entmoralisierung ... gewisse Grundregeln zu bekräftigen: (a) das Prinzip der
Unverletzlichkeit fremden Lebens ... (b) das (freilich nachgeordnete)
Recht des Menschen auf Entscheidungsfreiheit; sowie (c) das (noch weiter
nachgeordnete) Recht auf Forschung. Auch sollte die Medizin (d) weder die
wirtschaftlichen Möglichkeiten noch das Ordnungsgefüge einer
64 Schöne-Seifert,B . Arbeitsheft Medizinethik im Weitebildenden Masterstudiengang Medizinethik
Universitätsmedizin Mainz, 10/2005
65 Die Medizinethik ist ein Teilbereich der angewandten Ethik. „Ethik (gr.éthos: gewohnter Ort des Lebens,
Sitte, Cahrakter) geht als philosophische Disziplin u. als Disziplintitel auf Aristoteles zurpück, der freilich ältere
Ansätze (Sophisten, Sokrates,Platon= aufgreift. Dort, wo überkommene Lebensweisen u. Institutionen ihre
selbstverständliche Geltung verlieren, sucht die philosophische E, von der Idee eines sinnvollen menschlichen
Lebens geleitet, auf methodischem Weg u. ohne letzte Berufung auf politische u. religiöse Autoritäten oder auf
das von alters her Gewohnte u. Bewärte allgemeingültige Aussagen über das gute u. gerechte Handeln.“
(Höffe,2008, S. 71f)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
79
Gesellschaft überbeanspruchen ..., weiterhin hat die medizinische Ethik
„die Aufgabe, den Begriff menschlichen Lebens zu präzisieren und zu
differenzieren“ mit dem Blick auf neue Problemfelder. „Auf einer mittleren
Ebene“ sollen hiermit „normative Gesichtspunkte, vielleicht sogar praktische Regeln“ (ebd. S.194f) gewonnen werden, welche die Einzelfallbeurteilung leiten können. (Höffe, 2008) Die einflussreichste Ausarbeitung medizinethischer Prinzipien im Bereich der Biomedizin wurde in den
1970iger Jahren von Beauchamp und Childress u.a. geleistet. (Beauchamp,
2009)
Unter dem Eindruck zunehmend beanspruchter Deutungsgewalt von
Neurowissenschaftlern66 in allen Gesellschaftsbereichen etablierte sich zu
Beginn des 21.Jahrunderts die „Neuroethik“ (Glannon, 2006, Jox, 2013) zur
ethischen Einordnung von Forschungs,- und Behandlungsfeldern (Woopen,
2009). Roskies unterscheidet zwischen der „neuroscience of ethics“ und der
„ethics of neuroscience.“ (Roskies, 2002) Im Sinne einer „informierten Ethik“
(Huber, 2009a) geht es um die Ermöglichung eines interdisziplinären
Diskurses um naturalistische Fehlschlüsse zu vermeiden, und die Deutung
der empirischen Daten hinsichtlich einer normativen Argumentation
diskursfähig zu machen. (Shook, 2014)
Technikfolgenabschätzungen (Galert, 2005) in einer „fragilen Welt,“ (Bora,
2005) im Sinne eines besseren Verständnisses und gesellschaftlich
verantwortbaren Risikomanagements hochriskanter Techniken(Taleb,
2013), müssen in den interdisziplinären Diskurs eingebracht werden
(Karafyllis, 2005).
Bei chirurgischen Eingriffen in das Gehirn werden die Vorannahmen zum
Leib-Seele-Konzept (mind-body-interface) und, zur Gehirnkonzeption
(Fuchs, 2013) dargelegt, um medizinethische Rahmenbedingungen zu
konzipieren. Der Besitz eines Gehirns ist eine notwendige aber nicht
hinreichende Bedingung um ein vernünftiges und ein zu moralischen
Urteilen fähiges Leben zu führen. Das Gehirn repräsentiert den speziell
Status menschlicher Wesen in der Natur, sodass Eingriffe spezielle bei
psychiatrischen Störungen, intuitiv die Identität und die „Seele“ des
Menschen betreffen. Hieraus ergeben sich bei den psychiatrischen
Erkrankungen für die THS besonders zu beachtenden Herausforderungen
der Therapiezielbestimmung (Persönlichkeitsänderungen), wenn die
Krankheiten nicht nur als Dysfunktionen gestörter Gehirn-Netzwerke
betrachtet werden, sondern als Störungen des erkrankten Menschen mit
seinen individuellen geistigen, emotionalen und sozialen Einbettungen.
(Woopen, 2012, Woopen, 2013)
Die THS ist eine riskante Behandlungstechnik wobei die Effekte bei
neurologischen Bewegungsstörungen zwar inzwischen überzeugend
66 „Das Gehirn scheint, wenn es um Narrationen geht, die letzte Provinz des Theoretiker-Scharlartans zu sein.
Wenn man Neuro-Wasauchimmer mit einem beliebigen Thema zusammenbringt, wird es plötzlich ungleich viel
respektabler und überzeugender - den Leuten wird die Illusion einer schlüssigen kausalen Verknüpfung
vermittelt, dabei ist das Gehirn für so etwas viel zu komplex; es ist einerseits der komplexeste Bestandteil der
menschlichen Anatomie, andererseits derjenige, der für Dummkopf-Kausalitäten am anfälligsten ist.“ (Taleb,
2013, S.479); Einen Begriff von Jaspers hat Hasler aufgegriffen in dem Buch HASLER, F. 2012.
Neuromythologie. Eine Streitschrift gegen die Deutungsmacht der Hirnforschung. Bielefeld: transcript Verlag.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
80
anerkannt werden müssen, wobei aber weder die Wirkungs-mechanismen,
noch die Langzeiteffekte noch nicht hinreichend bekannt sind, und die
Effekte bei psychiatrischen Erkrankungen bisher weitestgehend unerforscht
sind. Es können krankheitsspezifische neuronale Arbeitshypothesen für die
Gehirneingriffe dargestellt werden, welche die
noch strittigen
Lokalisationsziele bestimmen können. Die THS muss weiterhin mit einem
nicht hinreichend bestimmbaren individuellen Gehirn-Modulations–Risiko
behaftet beurteilt werden, mit teilweise unerwarteten kurz,- und langfristigen
Folgewirkungen auf der Verhaltens,– und Erlebens,- Persönlichkeits,- und
sozialen Beziehungsebene.
„Even when the FDA approved DBS for OCD patients under the HDE
67program, DBS is still an investigational therapeutic approach in severe
mental disorders.“ (Kuhn, 2009, S. 140)
Während die THS für die neurologische Erkrankung M. Parkinson als
alternative Therapieoption im schweren Krankheitsstadium mit
Fluktuationen und Dyskinesien (neben der Dopadurapumpe, Apomorphinpumpe) inzwischen international anerkannt ist (Neurological Disorders
public health chalanges, WHO, 2006, S.40ff) (Oertel, 2012) wird die THS
bei psychiatrischen Erkrankungen vorerst in innovativen kontrollierten
Studien erforscht.
Hans Jonas (1989) stellt zu dem Themenbereich „Humanexperimente“ den
Unterschied zwischen der naturwissenschaftlichen experimentellen
Methode, die sich mit „leblosen Objekten“ beschäftigt, und der
medizinischen Forschung, bei der diese „bei der Suche nach Erkenntnis
diese Unschuld (verliert) und Gewissensfragen ergeben sich.“(S.232) Es
geht um den superlativen Zweck Gesundheit als individuelles und soziales
Gut, dessen Erforschung an Normalen und Kranken den Prinzipien
Identifikation (das Forschungsziel wird von dem Forscher und den
Betroffenen geteilt), der Motivation („bona fides“ des Arztes) und dem
„Verständnis seitens des Subjekts“ unterworfen werden sollten. Das
„Prinzip der Präferenzordnung“ für die Aufnahme der Teilnehmer wird von
Jonas als eine absteigende Skala der Zulässigkeit vorangestellt: „je
ärmer an Wissen, Motivation und Entscheidungsfreiheit der Subjektgruppe
(und das bedeutet leider auch der immer breitere und verfügbarerer), desto
bedeutsamer, ja widerstrebender sollte das Reservoir benutzt werden, und
„Humanitarian Device Exemption. An Humanitarian Use Device (HUD) is a device that is intended to benefit
patients by treating or diagnosing a disease or condition that affects or is manifested in fewer than 4,000
individuals in the United States per year. A device manufacturer`s research and development costs could exceed
its market returns for diseases or conditions affecting small patient populations. The HUD provision of the
regulation provides an incentive for the development of devices for use in the treatment or diagnosis of diseases
affecting these populations. To obtain approval for an HUD, an humanitarian device exemption (HDE) application
is submitted to FDA. An HDE is similar in both form and content to a premarket approval (PMA) application, but
is exempt from the effectiveness requirements of a PMA. An HDE application is not required to contain the results
of scientifically valid clinical investigations demonstrating that the device is effective for its intended purpose. The
application, however, must contain sufficient information for FDA to determine that the device does not pose an
unreasonable or significant risk of illness or injury, and that the probable benefit to health outweighs the risk of
injury or illness from its use, taking into account the probable risks and benefits of currently available devices or
alternative forms of treatment. Additionally, the applicant must demonstrate that no comparable devices are
available to treat or diagnose the disease or condition, and that they could not otherwise bring the device to
market.“
http://www.fda.gov/MedicalDevices/DeviceRegulationandGuidance/HowtoMarketYourDevice/PremarketSubmissions/HumanitarianDeviceExemption/
aufgerufen am 14.11.2014
67
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
81
desto zwingender muß deshalb die aufwiegende Recht-fertigung durch den
Zweck sein.“(Jonas, 1989,S.245) Versuche an Patienten rührt an den „Kern
des Arzt-Patienten-Verhältnis,“ das nach dem „einfachen Gesetz des
bilateralen Vertrages“ zu regeln ist, mit der Ausnahme bei der Isolierung
des ansteckenden Kranken (Schutz des Individuums und der
Gemeinschaft). Jonas stellt das Instrumentali-sierungsverbot in den
Mittelpunkt seiner Argumentation und formuliert für den sogenannten
„hoffnungslosen Fall,“ das der Arzt immer zu „seinem erhofften Besten“ zu
handelt hat, „war es doch ein Versuch für den Patienten und nicht bloß an
ihm.“ (S.251) Eine hierdurch bewirkte Verlangsamung des Fortschritts der
Krankheitserforschung stelle keine Bedrohung für die Gesellschaft dar.
(Jonas, 1989)68
Zur Ethik der medizinischen Forschung werden die Begriffe
„Standardbehandlung als state of the art,“ von dem „Heilversuch“
abgegrenzt, wobei die Grenzen fließend sind. Bei dem Heilversuch, der
gesetzlich nicht definiert ist, handelt es sich um die Erprobung einer
Behandlungsmethode, die nicht gänzlich neuartig ist, „und bei der
zumindest die Wahrscheinlichkeit der Wirksamkeit besteht.“ (Fangerau,
2006,S.287) Mit einem Studiendesign (Protokoll, Studienplan) werden viele
Heilversuche zusammenarrangiert und als „klinischer Versuch“ oder
„klinische
Studie“ ein Nutzen für die Allgemeinheit oder für eine
Patientengruppe verfolgt, „denn das Ziel der Erkenntnis steht mindestens
gleichrangig neben dem Ziel des Heilerfolgs.“ (Fangerau, 2006, S.287) Es
gilt zwischen dem individuellen, wissenschaftlichen und sozialen Wert einer
Studie abzuwägen. Der „Goldstandard“ ist die kontrollierte randomisierte
Doppelblindstudie, mit den in der Deklaration von Helsinki (2000) zum
Schutz der Patienten dargelegten Kriterien. Insbesondere bei der
„Forschung mit nicht einwilligungsfähigen Probanden“ ist eine Abwägung
zwischen
der
Beachtung
der
Selbstzwecklichkeit
(Instrumentalisierungsverbot) und dem Prinzip der Freiheit der Forschung, sowie der
Risikoabschätzung mit differenzierten und speziellen Einschluss-, oder
Ausschlusskriterien (minimaler Schaden) zu beachten. Es wird unterschieden zwischen „1.Studien, von denen die Probanden selbst profitieren
könnten, 2. Studien, von denen der Proband nicht selbst, aber seine
Altersgruppe (Kinder) oder ähnlich erkrankte bzw. betroffene Patienten
einen Nutzen haben können, und 3. ausschließlich fremdnütziger
Forschung.“ (Fangerau, 2006, S.289f) Bei der Studiendurchführung wird
das Votum einer Ethikkommission eingeholt, die beratende Funktion bei
Risiko-Nutzen-Abwägungen, und bei der Aufklärung der potentiellen
Probanden, sowie bei der Interessenkonfliktabwägung der beteiligten Ärzte
haben sollten. Eine besondere Bedeutung kommt der Transparenz der
Studiendarstellung und der Veröffentlichung, sowie der Generalisierbarkeit
der Ergebnisse zu. (Fangerau, 2006)
Die ethischen und rechtlichen Grundpfleiler bei klinischen Studien mit der
THS bei neuropsychiatrischen Patienten sind die Gesundheit, die Lebens68 siehe hierzu auch in Wiesing,U(Hrsg.) Ethik in der Medizin. Ein Studienbuch, Stuttgart, 2012 die Kapitel
Brandt,K. Menschversuche (S.68 ff, und das Kapitel 8 Ethik in der Psychiatrie und Psychotherapie.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
82
qualität, und die Persönlichkeitsrechte der Patienten. (Schmitz-Luhn, 2012)
Hieraus ergeben sich spezielle Anforderungen an die Operationalisierung
und Vergleichbarkeit der Ergebnisdarstellung , wobei die empirische
Datengewinnung in normativ ethische Rahmen-bedingungen einbezogen
werden muss.
Medizinethische Prinzipienbestimmungen bei neurochirurgischen Eingriffen
in das Gehirn lassen sich traditionell in zwei Ansätze einteilen. Einerseits
handelt es sich um den europäisch medizinethischen Ansatz, mit dem
„Ausgang bei verfassungsimplementierten Normen und auf den Gedanken
einer unverletzlichen und unverlierbaren Menschenwürde“ (Joerden, 2013)
verweisend, und andererseits den angloamerikanischen Ansatz des
Principlism („Four-principle-way“) nach Beauchamp und Childress.
(Schmidt, 2008, S.81). Bezug nehmen beide Ansätze auf den
Medizinmissbrauch während der NS-Zeit (Nürnberger Kodex (1947) und die
hieraus entwickelten Kriterien der Selbstbestimmung des Patienten und des
informed consent als prägende und leitende Forderung bei der Gestaltung
der Arzt-Patienten-Interaktion.
Unter Berücksichtigung der Interdisziplinarität der Neurowissenschaften
und des Wertepluralismus in der medizinischen Forschung und der
Therapie besitzt eine Prinzipienethik auf einer „mittleren Ebene“ eine hohe
Plausibilität und Praxisrelevanz. (Raupich, 2005)
„Diese vier Prinzipienkomplexe gelten als Prima-facie- Pflichte sie spiegeln
Kernaussagen der gesellschaftlich allgemein akzeptierten Moral wieder, sie
unterliegen keiner strengen hierarchischen Ordnung. Beim Transfer auf
konkrete
Entscheidungsfragen
erfahren
die
Prinzipien
eine
kontextbezogene inhaltliche Spezifizierung; Prinzipien und Normen, die im
konkreten Fall miteinander konfligieren, müssen gegeneinander
abgewogen werden.“ (Hildt, 2005, S.315)69
69 Zur Kritik des Beauchamp und Childress Ansatzes werden von Schmidt,MC, 2008 vier F ragen genannt: 1.
Wie können die Prinzipien im Konflikt miteinander abgewogen werden? 2. Wie ist die Geltung der Prinzipien zu
beurteilen? 3. Wie ist der Status des Ansatzes als ethische Theorie zu begründen? 4. Welche Methoden sind
bei der Anwendung der Prinzipien auf den Einzelfall einzusetzen? (S.129) Schmidt versucht dieser Kritik zu
begegnen indem er auf das Prinzip der Menschwürde und den Personbegriff Bezug nimmt und auf die Natur
des Menschen bezieht. Die Problematik eines moralistischen Fehlschlusses, sowie einer perspektivischen
Einengung mit derart unbestimmten Begrifflichkeiten kann nur erwähnt werden.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
83
2. Orientierungspunkte ärztlichen Handelns (BeneficiensNonmaleficiens)
Das Prinzip des Wohltuns wird als das Fürsorgeprinzip (beneficiens) von
dem Prinzip der Schadensvermeidung (Nichtschaden) unterschieden. In
anderen Konzepten wird das Prinzip des Wohltuns und das Prinzip des
Nicht-Schadens unter das Fürsorgeprinzip subsumiert um die Abwägungsproblematik an der medizinischen Praxis zu erleichtern.(Hildt, 2005)
Zusammengefasst werden die beiden Prinzipien ärztlichen Handelns als
Orientierungspunkte vorangestellt. Beneficiens als Akte der Nächstenliebe, Barmherzigkeit, wird von Beauchamp und Childress mit der Parabel
des guten Samariters (Neues Testament) unterlegt, um zu verdeutlichen,
dass Einstellung (Motivation) und Handlungsumsetzung pflichtentheoretisch zu unterscheiden sind. Die Hilfspflicht (Fürsorgepflicht) stellt als
positive Tugendpflicht eine unvollkommene Pflicht dar mit einer in der Regel
geringen Bindungskraft. Lediglich die Rettung von Menschenleben stellt
eine allgemeine Rechtspflicht dar, wobei keine Verpflichtung zur
Aufopferung oder zum Altruismus als Ideale besteht. Der Fürsorgepflicht
wird im Allgemeinen auf Anforderung nachgekommen oder angesichts
eines menschlichen Elends (Armut) einer Gruppe gegenüber mittelbar
erledigt. Bei der Hilfspflicht wird von dem Handelnden eine Abwägung
gefordert zwischen Risiken, einzusetzenden Kosten und Mitteln, und dem
zu erwartenden Wohl, um das beste Resultat zu erreichen. Kann man in
einem schlechten Kontext Gutes tun? (Theodor W. Adorno 1903-1969)
Kann man mit dem Guten schlechtes Tun? (siehe Paul Watzlawiks
Kommunikationsparadoxe, 1967)
Das Wohltun im medizinischen Kontext kann nicht allein pflichtenethisch
und tugendethisch bestimmt werden, es bedarf vielmehr einer Einbindung
in ein solidarisches Gesundheitssystem oder in eine kommunitaristische
Ethik und eine mitfühlende Professionalität (Care–Ethik). Die Versorgung
der schwer verlaufenden neuropsychiatrischen Erkrankungen kann nicht
nur mit einer hochtechnisierten Medizin erreicht werden, sondern bedarf
einer sozialmedizinischen und sozialethischen Einbettung, die über die
Versorgung durch medizinische Fachkräfte hinausgeht.
Die Kontextabhängigkeit und die Richtung der Fürsorge (auf Person oder
alle Personen), sowie die einzusetzenden Ressourcen (Kosten) um einen
Benefit (den zu erwartenden Nutzen) zu erreichen, müssen von dem Risiko
(bezieht sich auf den Schaden und dessen Ausmaß als probabilistische
Aussage) abgegrenzt werden. Ein Benefit ist nur dann zu erwarten, wenn
durch eine Reduzierung der Kosten und der Schadens-Risiken ein positiver
Wert (Leben, Gesundheit) zu erreichen ist (risk-benefit – ratio).
Bei hochkomplexen medizinischen Entscheidungssituation sollten durch
vorsorgende Maßnahmen unerwartete Risiken und Schäden erfasst
werden können. Dazu gehören die Gewährleistung von Transparenz,
Öffentlichkeit, und die Beteiligung eines Expertenteams. (principle of
process: precaution, „anti-catastrophy principle“).
Die Operationalisierung und Bestimmung von Lebensqualitätsparametern
ist bei chronischen Erkrankungen von entscheidender Bedeutung. Außer
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
84
bei der Notfallrettung werden in den Kennziffern zur Lebensqualität
(QUALYS) die Verlängerung der gewonnenen Lebensjahre über die der
individuellen Lebensqualität gestellt, was sich ethisch nicht rechtfertigen
lässt. Die individuelle Lebensqualität umfasst insbesondere die physische
Mobilität, die Schmerzfreiheit, die Stressfreiheit, die Vitalität zur
Alltagserledigung, sowie die soziale Teilhabe. Die vorherigen Ausführungen
sind an die Darstellung bei (Beauchamp, 2009) angelehnt.
Die Pflicht nicht zu schaden muss bei chirurgischen Eingriffen in das Gehirn
besondere Beachtung finden, da eine Schädigung der körperlichen
Integrität in Kauf genommen werden muss um die Elektroden und die
Programmierungseinheit platzieren zu können, und die Stimulation
durchzuführen. Bei der TSH bei neuropsychiatrischen Erkrankungen wird in
anatomisch intakte Gehirne eingegriffen, außer bei der Alzheimer Demenz.
Das Prinzip des Nicht-Schadens unterscheidet sich wesentlich von der
Hilfspflicht. Es handelt sich um eine negative Pflicht (Anerkennungspflicht)
mit einer hohen Bindungskraft. Von Beachamp und Childress (2009) wurde
die folgende Unterscheidungsklassifikation vorgeschalgen: „I. Nicht –
Schaden: Man soll niemandem Übel oder Schaden zufügen. II. Fürsorge:
Man soll Übel und Schaden verhindern; Man soll Übel und Schaden
beseitigen; Man soll Gutes tun und Gutes fordern.“ (Maio, 2012, S. 127)
Es geht darum keinen Schaden (harm) zu setzten, was auch die Rechte
von jemand nicht zu beschädigen (wronging) beinhaltet, und keine
Schädigung (injury) durch einen medizinischen Eingriff zu bewirkten. Die
medizinische Indikationsstellung muss mit Sorgfalt (standard of due care)
gestellt werden, um fahrlässiges Handeln auszuschließen. Diagnose und
Indikation können bei den neuropsychiatrischen Erkrankungen nur von
einem interdisziplinären Fachärzteteam gestellt werden, um eine
Abwägung zwischen alternativen Behandlungen vornehmen zu können.
Eine alternative Behandlung, die technisch möglich ist, nicht zu starten, ist
moralisch mit einem höheren Rechtfertigungsdruck verbunden, als wenn
eine einmal begonnene Behandlung beendet werden soll. Bei chronisch
schwer Kranken bedeutet dies, dass eine Therapie grundsätzlich reversibel
sein sollte. Dies gilt insbesondere für Heilbehandlungen, bei denen die
Vorteile für die Lebensqualität gegen die Belastungen abgewogen werden
müssen. Entscheidend ist, ob es sich um eine relative Indikation (optional)
mit Behandlungsalternativen, oder um eine zwingend notwendige
Behandlungsindikation
als
Notfalleingriff,
oder
als
mögliche
Therapiealternative
bei
einer
schweren
Beeinträchtigung
der
Lebensqualität handelt. Bei der letzteren Option werden zwei Übel (das
Stigma der Erkrankung und die Lebensqualitätsbeeinträchtigung
gegenüber
der
physisch-psychisch
schädigenden
Behandlung)
gegeneinander abgewogen (minus-malum–Regel) und nicht ein relativer
Nutzen gegenüber einem möglichen Übel. Hier wird eine Gesamtbilanz
(Belastungen
durch
die
Therapie,
Belastungen
durch
den
Krankheitsprogress, Belastungen für die Familie, für die Angehörigen, für
die Pflege) zu bestimmen sein, in dem der therapeutische Eingriff
gerechtfertigt oder nicht gerechtfertigt werden kann. (Schmidt, 2008, S.
332)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
85
Sind bei komplexen riskanten Eingriffen beabsichtige Wirkungen
(Bewegungsverbesserungen) und nicht beabsichtigte (merely foreseen
effects)
Wirkungen (Apathie, Impulskontrollstörungen, Manie,
Authentizitätsstörungen) eines Eingriffs voneinander zu unterscheiden, so
könnte das Prinzip der Doppelwirkung (Thoma von Aquin 1251-1274) in
Ansatz kommen, um den Eingriff moralisch nicht zu verbieten. Bei einer
beabsichtigten Handlung ist eine Anleitung, ein Plan, hier die Verbesserung
der L-Dopa abhängigen Motorik, vorher ausgearbeitet worden, der Eintritt
von Wesensänderungen kann aber nicht wahrscheinlich vorhergesagt
werden, und wird deshalb in Kauf genommen. Nur bei einer Reversibilität
des Stimulationseffektes und der Neurochirurgischen Einwirkung, sowie
bei einer vor- und nachsorgenden fachärztlichen und psychosozialen
Mitbehandlung, läßt sich der Eingriff in das Gehirn (TSH) rechtfertigen.
Medizinethisch sollte das Prinzip der Autonomie (informed consent), das
Fürsorgeprinzip, und das Nicht-Schadens Prinzip, in einen wohlüberlegten
Abwägungsprozess einbezogen werden. (Hildt, 2005)
Die je aktuelle Situation bei der fachärztlichen Indikationsstellung zur THS
macht die asymmetrische Rollenverteilung von Arzt und Patient deutlich.
Der Arzt ist in Kenntnis eines technisch schwer durchschaubaren und
entsprechend schwierig zu beschreibenden know hows. Die Folgenbelastung liegt auf Seiten des Patienten und der Angehörigen und des
Pflegepersonals, wobei die Operationalisierung des individuellen outcomes
nur vage bestimmt werden kann (bei Bewegungsstörungen noch am
ehesten). Das Therapieziel ist bei neurologischen und psychiatrischen
Erkrankungen unterschiedlich. Bei einer Bewegungsverbesserung ist die
Verbesserung der Lebensqualität entscheidend, bei psychiatrischen
Erkrankungen ist das Therapieziel
die Gewinnung einer
Psychotherapiefähigkeit, entscheidungsfähig zu werden, die Identität
wieder zu gewinnen oder zu verändern. Das Wissen über die eigenen
Werte und Lebensziele (Präferenzen) liegt ganz beim Kranken oder dessen
Stellvertreter. Das Stimulationsrisiko der TSH besteht in einer möglichen
Identitätsänderung, die nur ex post beurteilt werden kann. Die Entscheidung
über einen eventuellen Abbruch der Stimulation bei einer nicht akzeptierten
Identitätsänderung, oder über die Fortsetzung der Stimulation bei
veränderter Identität, bedarf einer Vorwegregelung. Eine Beeinflussung des
Krankheitsverlaufs ist mit der symptomatischen Behandlung nicht möglich.
Während die THS Interventionen bei den neurologischen Erkrankungen im
schweren Stadium (M. Parkinson) anerkennenswerte positive Effekte bei
ausgeschöpfter Medikamentenbehandlung (ca 50 – 70 %), bei einem
standard of due care, bei der Mobilität und der Lebensqualität nachweislich
erreichen können, liegen für eine Abschätzung der generellen Effektstärke
bei den neuropsychiatrischen (TS) und psychiatrischen Erkrankungen
(OCD, Depression, AD) bisher keine hinreichenden Daten vor.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
86
Immerhin wurde in Europa 2012 eine 7 – Tage - Mortalität von 4% bei
chirurgischen Eingriffen dokumentiert.70 Wie bereits weiter oben in der
Arbeit aufgelistet wird die Letalität oder schwere Morbidität bei der THS bei
Bewegungsstörungen zwischen 0,5–3 % (Leitlinien M. Parkinson, 2012)
mit einer Gesamtmortalität von 0,1%-0,4% (Erasmi, 2014) dokumentiert.
Intraoperativ werden die Komplikationen mit ca 5 % (Blutung 1,3-4%,
Infektionen 2,8-6.1%, Elektrodenkomplikationen 5,1%) dokumentiert. Die
neuropsychologischen Komplikationen werden ange-geben mit bis zu 33%
(Sprachdefizite, Gedächtnisdefizite), und die Stimuluskomplikationen
(Fehlplatzierung, Spreading-Effekte) als Impuls-kontrollstörungen (0,8-2%),
manische Störungen (2-8%), depressive Störungen (1,5-25%), mit einem
signifikant erhöhten Suizidrisiko während des ersten postoperativen Jahres,
belegt. (Schermer, 2011) Insbesondere werden
nichterfüllte
Heilserwartungen angeschuldigt, was Anlass zur Etablierung eines
verbesserten Qualitätsmanagements bei der Aufklärung der Kranken gibt.
(Maier, 2013)
Die Stimulations-Reversibilität ist bei der TSH gegeben, wobei hinsichtlich
der nicht unmittelbar vorhersehbar induzierten Veränderungen der Identität
(Authentizität, Persönlichkeit) die institutionelle Einrichtung spezieller
Vorsichtsmaßnahmen notwendig ist. Von Woopen werden fünf Aspekte
angeführt, denen besondere Beachtung geschenkt werden sollte. Es sollte
die Art der Veränderung (Persönlichkeitszug, Selbst-Wahrnehmung), das
Ausmaß der Veränderung, der Progress der Verän-derung, das
Hervortreten von neuen ggf. verdeckten Verhaltens-änderungen, und deren
Kontrollierbarkeit, bei der TSH bei psychiatrischen Erkrankungen erfasst
werden. (Woopen, 2012)
3. Der Respekt vor der Autonomie der Patienten und Informed Consent
Unter dem Eindruck der Nürnberger Prozesse (1947) erhielt in den folgen
Jahrzehnten die Förderung der Selbstbestimmung des Patienten im
weitgehend paternalistisch geprägten Arzt-Patienten-Verhältnis, in den
westlichen Ländern, zunehmendes Gewicht, und der informed consent
wurde zum Goldstandard der Interaktion im medizinischen Bereich.
In der klinischen Psychologie wurde die „humanistische Bewegung“ (Karl
Rogers 1902 -1987), in Deutschland für die Erziehungswissenschaften von
Anne Marie Tausch und Reinhard Tausch (1971) und viele andere
Mitstreiter (Ruth Cohen), in verschiedenen Lebensbereichen etabliert, um
70
Mortality after surgery in Europe: a 7 day cohort study Rupert M Pearse, Rui P Moreno, Peter Bauer, Paolo
Pelosi, Philipp Metnitz, Claudia Spies, Benoit Vallet, Jean-Louis Vincent, Andreas Hoeft, Andrew Rhodes, for the
European Surgical Outcomes Study (EuSOS) group for the Trials groups of the European Society of Intensive
Care Medicine and the European Society of Anaesthesiology* Lancet 2012, 380 S. 59-65
Findings We included 46 539 patients, of whom 1855 (4%) died before hospital discharge. Interpretation
The mortality rate for patients undergoing inpatient non-cardiac surgery was higher than anticipated.
Variations in mortality between countries suggest the need for national and international strategies to
improve care for this group of patients.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
87
die Beziehung zwischen Therapeut und Klient mit
Empathie und
Reversibilität, sowie Echtheit zu gestalten, und zum empowernment der
Patienten beizutragen. Im psychosomatisch orientierten ärztlichen Bereich
werden die Balint–Gruppen (Michael Balint 1896-1970) als
„Persönlichkeitsarbeit des Arztes“ in der Ausbildung etabliert.
Den allgemeingesellschaftlichen Bezugsrahmen stellen die amerikanische
Bürgerrechtsbewegung, die europäische Bewegung der 68er Jahre, sowie
die Feminismusbewegung, dar.
Es wird auf ein verändert gestaltetes Arzt-Patienten-Interaktions Modell hin
gearbeitet bei dem die Kenntnisse über die Mittel (Arzt) und die Werte und
Ziele (Patient) zwischen den Akteuren auf gleicher Augenhöhe
ausgehandelt werden sollen.
„Die ethischen Leitprinzipien für Behandlungen mit dem Ziel oder dem
Risiko von Persönlichkeitsveränderungen können dabei keine anderen sein
als die, die auch für Behandlungen mit dem Risiko oder dem Ziel
schwerwiegender physischer Veränderungen gelten, nämlich das Prinzip
der Autonomiewahrung (die Respektierung des Selbstbestimmungsrechts
des Patienten), das Prinzip der Fürsorge (die Behandlung des Patienten in
seinem besten Interesse), in dem Sonderfall der Behandlung von Trieb- und
Gewalttätern zusätzlich noch das Prinzip der Schadensverhinderung (der
Schutz der Öffentlichkeit vor antisozialen Persönlichkeitsanteilen). Das
Prinzip der Autonomiewahrung hat dabei einen klaren Primat...“
(Birnbacher, 2006, S.288)
Der normative Begründungshintergrund des Respekts vor dem
Autonomieprinzip71 ist in den westlichen Ländern in die utilitaristische Ethik
(Mills – 1806 -1873 eingebunden. Zusammen mit der kantischen
Pflichtenethik (Kant,I Grundlegung der Metaphysik der Sitten, 1788) bildet
sich hieraus die Grundlage des in der Medizin geltenden Respekts vor der
grundsätzlichen Freiheit des Menschen (Selbstbestimmung, Selbstgesetzgebung) und dem Instrumentalisierungsverbot. Zur Geltung gebracht wird
dies paradigmatisch in der (aufgeklärten, wirksamen) Einwilligung des
Patienten, ohne die eine ärztliche Handlung nicht legitimiert werden kann.
Von Beauchamp und Childress (2009) werden zwei Bedingungen für eine
autonome Handlung als Ideal (natural autonomy) angeführt. Liberty als
Unabhängigkeit von kontrollierendem Einfluss oder Zwang, und agency als
Fähigkeit zur Intentionalität. Die Autoren unterscheiden diese von einer
relationalen Autonomie bei der eine Graduierung abhängig vom Kontext
erfolgt (S.103)72
was für die Beurteilung der Kompetenz (als
Schwellenkonzept) bei Kranken entscheidend ist, und von Müller und
71 In der Antike war mit Autonomie die Selbstgesetzgebung des Staates gemeint (auo= Selbst; nomos=
Gesetz), was in dem „mündigen Bürger“ Ausdruck findet. (Maio, 2012, S. 120) ; Mill stellt die Freiheit zur
individuellen Lebensgestaltung heraus, wenn damit nicht die Freiheit eines anderen eingeengt wird; Kant stellt
die Selbstgesetzlichkeit heraus, die Anerkennung des Menschen als sittliches Subjekt, die Unverfügbarkeit des
Menschen (Instrumentalisierungsverbot), die Universalisierbarkeit der Maximen (Kategorischer Imperativ) ist die
Richtlinie, die bei der Ausgestaltung der Menschenwürde als Ensemble der Menschrechte grundgelegt werden.
72 „Beauchamp and Childress analyze autonomous actions in terms of normal chossers who act (1)
intentionally, (2) with understandign, and (3) without controlling influences (coercion, persuasion, and
manipulation) that determine their actions.“ (Müller,S, Walter,H, 2010, S. 1)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
88
Walter (2010) im Rahmen deren neurowissenschaftlichen Implikationen zur
Willensfreiheit dargestellt wird. (Müller, 2010)
Von Huber (2011) wird ein kontextsensibles „aktuales Autonomiekonzept“
mit der „systematischen Trias“ Unabhängigkeit, Intelligibiliät und
Urheberschaft
bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens
herausbearbeitet (S.89), welches für die ethische Beurteilung des
mutmaßlichen Willens dienlich. Die Zuerkennung von aktualer Autonomie
ist unter Beachtung des sozialen Kontexts, und die hierin stattfindenden
Anerkennungsprozesse (relationale Autonomie) zu betrachten. (Quante,
2002)
Als „einflussreichstes Modell von Autonomie“ in der Medizinethik wird von
Thiele (2012) das „sogenannte hierarchische Modell“ von Harry Frankfurt
(1988) angeführt, da es neben einer deskriptiven Bestimmung eine
handlungsorientierte normative Bewertung ergänzend ermöglicht. Dies
lässt sich entwickeln, je nach dem „welches Maß an Wunsch-Kohärenz eine
Person aufweisen soll, damit man sie als autonom bezeichnen darf...“(S.89)
Von Frankfurter werden Wünsche erster Ordnung als Wille bezeichnet,
wenn sie realisiert werden, in Abgrenzung von Wünschen, die „bloß
Wünsche bleiben.“ Wünsche erster Ordnung, die in eine Handlung
umgesetzt werden sind „second-order volitions“ und für eine Person
charakterisierend. Hierdurch wird es möglich die zeitliche Dimension bei der
Bestimmung
von
Autonomie
(„diachroner“
oder
„synchroner“
Zusammenhang“ von Wünschen erster
und zweiter Ordnung) zu
berücksichtigen. Wenn die Wünsche erster Ordnung durch eine THS sich
zu einer völlig anderen Ordnung zusammenordnen (Entscheidungen
vorsichtig
und
abwägend
zu
fällen
zu
einem
riskanten
Entscheidungsverhalten bei finanziellen Engagements), dann wird der
biographische Zusammenhalt (Lebensplan) über die Zeit in Frage gestellt.
Die Praxistauglichkeit des Konzeptes wird von Thiele (2012) mangels
praktischer
Anwendbarkeit
in
Frage
gestellt.
(S.90)
Aus
handlungstheoretischer Sicht wird der Begriff der Kohärenz durch den der
Stimmigkeit bei Thiele ersetzt um den normativen Anteil bei „synchronen
und diachronen Defiziten in der Stimmigkeit einer Präfenzordnung“ zu
betonen (S.94), und somit die „Autonomie mit Hilfe des Modells stimmiger
Präferenzordnung (zu) definieren.“ (S.94)73 Um eine Beurteilung der
autonomen Handlungsfähigkeit vorzunehmen muss es gute Gründe dafür
geben, dass der Akteur diese nicht besitzt. Dies kann mit seiner geistig–
seelisch-emotionalen defizitären Fähigkeit in Zusammenhang gebracht
werden, Präferenzen nicht in eine Ordnung bringen zu können.
Von Müller und Walter (2010) wird bei der klinisch psychiatrischen
Anwendung des Autonomiebegriffs auf den inneren Widerstand
(Zwangsimpuls, Sucht) bei psychiatrischen Krankheiten hingewiesen, im
Gegensatz zum äußeren Zwang (Nötigung, Täusch, Manipulation). Sie
versucht dies bei einer Körperidentitätsstörung oder einer Zwangsstörung,
bei denen die Wahlfreiheit zwischen alternativen Handlungen, und bei
Depressionen mit schweren Entscheidungsdefiziten (kognitiv, Antrieb)
„Ein Akteur soll autonom heißen, wenn er die Fähigkeit besitzt, seine Zwecke in eine stimmige
Präfenzordnung zu ordnen und diese Ordnung über die Zeit aufrecht zu erhalten.“ (Thiele, 2012, S.95)
73
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
89
eingeschränkt ist, zu verdeutlichen. Bei den Fähigkeiten, die eine
autonome Handlung ermöglichen können, sind es die kognitiven und die
emotiven Fähigkeiten, die
mehr oder weniger ausgebildet, zur
Handlungsregulierung und zum informed consent beitragen (Supady,
2011) Die von Beauchamp und Childress vorgegebene Norm ist, dass es
nicht nur um den Respekt der Autonomie geht, sondern es geht darum
diese durch entsprechende Interventionen zu fördern. Bei der Formulierung
eines Therapieziels bei chronischen neuropsychiatrischen Krankheiten
geht es somit insbesondere um die Wiedergewinnung oder die Gewinnung,
bzw. den Erhalt der Steuerungs,- und Entscheidungsfähigkeit.
Der informed consent dient vor allem als „Schutzwall für das Recht des
Patienten auf Selbstbestimmung.“ Aufbauend auf den vertraglichen und
medizinethischen Grundlagen geht es bei der aufgeklärten Einwilligung um
die Bestimmung einer Kooperation („Verteilung von Verantwortlichkeiten“)
zwischen Arzt und Patient. Es werden die Berechtigungen und
Verpflichtungen der beteiligten Akteure festgelegt. „Durch die Einwilligung
werden nicht nur einseitig die Berechtigung des Patienten geschützt,
sondern die Berechtigungen und Verpflichtungen des Patienten und die
Berechtigung und Verpflichtung des Arztes festgelegt.“ (Thiele, 2012, S.
120) Die Verrechtlichung der Arzt-Patienten-Interaktion trägt zu einer
Standardisierung und Verbesserung der Nachprüfbarkeit wesentlich bei.
Als Standardinstrument zur Bestimmung des informed consent wird in
Studien das „MacArthur Competence Assessment Tool-Treatment (Mac
CAT-T)“ eingesetzt. (Appelbaum, 1995)
Die Pflicht das Prinzip der Autonomie zu respektieren soll nach Beauchamp
und Childress nicht auf Personen angewendet werden, die nur
eingeschränkt autonom handeln können. Dazu werden aufgelistet: unreife
Personen, nicht geschäftsfähige Personen, Minderbegabte, genötigte,
ausgebeutete
Personen,
Kinder,
Personen
mit
irrationalen
Suizidtendenzen, drogenabhängige Personen. (Beauchamp, 2009)
Dies bezieht sich auf die Autonomie als Fähigkeit (deskriptiv) und deren
Relativierung im Kontext einer komplexen Entscheidungssituation
(medizinische Situationen). Von besonderer praktischer Bedeutung ist
hierbei die stellvertretende Ermittlung des (mutmaßlichen) Willens, als
Entscheidung im besten Interesse der Kranken mit eingeschränkter,
aufgehobener, oder nicht vorhandener Einwilligungsfähigkeit. (Steger,
2014)
Zu differenzieren ist dabei eine diachrone Relativierung der Autonomie
„bezogen auf die Bestimmung der Fähigkeit eines Individuums zur
autonomen Entscheidungsfindung in einer bestimmten Situation/zu einem
bestimmten Zeitpunkt,“ von einer synchronen bzw. systematischen
Relativierung „bezogen auf die Bestimmung essenzieller Parameter
personaler Autonomie.“ (Huber, 2011,S.83)
Hieraus ergeben sich in der Praxis Dilemmata wenn eine Vorausverfügung
abgefasst
wird,
die
sich
auf
die
TSH
induzierten
Persönlichkeitsveränderungen (Manie, Suchtverhalten, Aggressionen,
Partnerschaftskonflikte) beziehen soll, bei deren Eintritt stellvertretend im
als mutmaßlicher Wille im besten Interesse zu entscheiden ist („Ullyses–
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
90
Pakt“). Die Anfälligkeit derartiger Entscheidungen für konventionelle
Regelungen oder adaptive Zwangsbehandlungen muss dabei jeweils
mitbeachtet werden. Die „autonome Lebensgestaltung von Individuen
gegenüber jeglicher Form gesellschaftlicher Rationalität“ durch sogenannte
Sachzwänge (Pflege, Gesundheitssystem) zu verteidigen sollte als eine der
Forderungen aus den normativen Authentizitäts-konzepten zur Autonomie
aktualisiert zur Geltung gebracht werden. (Huber, 2011)
Es geht aus medizinethischer Sicht nicht um die Frage der
Geschäftfähigkeit (Schwellenfestlegung), sondern um die Frage ob eine
Einwilligungsfähigkeit, auch Einsichts- und Steuerungsfähigkeit besteht,
(rechtlicher Begriff) der die Fähigkeit eines Betroffenen beschreibt in die
Verletzung eines ihm zuzurechnenden Rechtsgutes einzuwilligen
(bundesanzeiger-verlag.de). Kann der Betroffene in
eine spezielle
Diagnostik oder Therapie einwilligen, unter Beachtung der empirischnormativen Eingriffstiefe (,-schwere), auf der Grundlage einer
medizinischen Indikation und unter Bezug auf den je individuellen
Lebensplan. Bei der THS entspricht dies der praktischen Frage, wie viel
Veränderung (Stimulation) der Gehirnfunktion mit dem „authentischen
Selbst“74 vereinbar ist, oder welche neuropsychologischen (kognitiv,
emotional) Funktionen, in welchem Ausmaß verändert werden dürfen, und
ob es zulässig und gerechtfertigt ist hierdurch die Identität (Person) zu
verändern. Verliert die Einwilligung nach einer THS mit Veränderung des
authentischen Selbst seine Gültigkeit und rechtfertigende Wirkung?
Eine gültige Einwilligung muss folgendes beinhalten: 1. Eine ausreichende
hinreichende und angemessene Sachaufklärung und Informationsvermittlung über die eingesetzten Mittel; 2. Ein ausreichendes
Informationsverständnis; 3. Eine freiwillige (frei von äußeren und inneren
Zwängen) Entscheidungsfindung; 4. Eine Einwilligungsfähigkeit des
Patienten. (Vollmann, 2000, Bauer, 2002) Vernachlässigt wird bei dieser
Aufzählung die Verbundenheit mit Angehörigen, Bekannten, und
professionellen Helfern, die eine Einwilligung mittragen müssen.
Die Einwilligungsunfähigkeit wird bei psychisch Kranken gefasst als: „1. Der
Patient verhält sich so, als könne er die Wahlmöglichkeit nicht nutzen. Der
Patient versteht nicht wirklich die gegebenen Informationen. 3. Der Patient
versteht zwar die gegebene Information, kann sie aber für eine
angemessene Entscheidung nicht nutzen. 4. Der Patient hat keine Einsicht
in die Natur seiner Erkrankung. 5. Der Patient ist nicht mehr authentisch,
also nicht mehr in Übereinstimmung mit seinen Werten, Zielen etc., die er
vor seiner Erkrankung hatte.“ (Bauer, 2002, S. 1031f) Bei einer
formalisierten Einwilligung können sich nur 30% der Patienten daran
erinnern ein Formular ausgefüllt zu haben. Nur 8% einer großen
Untersuchungsstichprobe psychiatrischer Patienten in der Klinik konnten
den Nutzen, den Namen oder die Dosierung der eingenommenen
Medikation angeben. „Die meisten Studien zeigen übereinstimmend, dass
74 „normativ-empirische Ambiguität des Authentizitätskonzeptes“ ...die Echtheit einer Entscheidung bzw.
Handlung“...“Die Orientierung am individuellen Wertesystem“ ... als normatives Ideal des modernen
Individualismus einerseits sowie als empirische Ermessensgrundlage des individuellen ... Lebensentwurfs
andererseits...“ (Huber, 2011, S.85)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
91
psychisch kranke Patienten, vor allem diejenigen mit akuten Psychosen und
demenziellen Erkrankungen, überdurchschnittlich häufig Defizite in ihrer
Einwilligungsfähigkeit ausweisen.“(Bauer, 2002, S.1033)
Die besondere ärztliche Verantwortung bei der medizinischen
Indikationsstellung („als Vermittlung zwischen einer Erkrankung und dem
zu Heilung führenden Verfahren“) liegt somit darin, dass (Salloch, 2011)
die Autonomie des Kranken respektiert und gefördert wird, damit ein
„shared-decision-making“ überhaupt erst möglich ist. Bei der
Indikationsstellung zur TSH werden chronische neuropsychiatrische
Erkrankungen berücksichtigt bei denen die Beeinträchtigung der Kognition
und Emotion
störungsspezifische Symptome sind und die
Einwilligungsfähigkeit (Verständnis, Verarbeitung, Bewertung, Bestimmbarkeit des Willens) aufgehoben ist. Demnach kommt der Vorsorgevollmacht, bei der ein Dritter ermächtigt wird
an der Stelle des
Einwilligungsunfähigen zu entscheiden, eine praktische Bedeutung
zu.(Breitsameter, 2011)
Medizinethisch bedeutet dies, dass das Beziehungsverhältnis von
Fürsorgeprinzip und dem Respekt vor der Autonomie des Patienten sowie
der Forschungsfreiheit abzuwägen ist, da es bei den chronischen
neuropsychiatrischen Krankheit zu einem Verlust der Einwilligungsfähigkeit gekommen ist. Die Alzheimer Kranken können die Implikationen
und die Handlungszusammenhänge nicht verstehen. Schwer depressiv
Kranke leiden unter kognitiven Defiziten mit Aufmerksamkeitsstörungen,
Wahrnehmungsstörungen,
Konzentrations-störungen
und
Gedächtnisstörungen, wodurch die Entscheidungsfähigkeit aufgehoben ist,
auf dem Hintergrund einer postulierten Dysfunktion der Interaktion
zwischen präfrontalem Cortex und subcortikaler Strukturen. Bei
substanzabhängig Kranke (SUD) ist das zielgerichtete Verhalten defizitär
oder aufgehoben und somit die freie Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt,
infolge eine eines dysfunktionalen postulierten Hypokretin Systems im
lateralen Thalamus. (Skuban, 2011b)Bei den schwer Zwangskranken ist die
selbstbestimmte Handlungsfähigkeit durch die Zwangsimpulse und deren
Abwehr mit völliger kognitiver und behavioraler Eingeengtheit, und der
Zweifelsucht, auf dem Hintergrund einer neuronaler Schaltkreisstörung, mit
Beteiligung des orbitofrontalen Cortex, der Basalganglien und des
Thalamus, aufgehoben.
Es ist somit geboten eine „partizipative Behandlungsgestaltung“ mit den
Instrumenten einer Vorsorgevollmacht, einem Krisenplan, einem
psychiatrischen Testament, mit der medizinischen Indikationstellung zu
verbinden, um der Vulnerabilität der Kranken gerecht werden zu können.
(Borbe´, 2012)
Bekanntlich werden die wohnortnahen Therapiemöglichkeiten bei
neuropsychiatrischen und psychiatrischen Erkrankungen bei bis zu der
Hälfte der Erkrankten, oder sogar bei noch mehr, nicht hinreichend
wahrgenommen, bzw. durch die behandelnden Ärzte nicht angeboten.
(Medikation, sozialpsychiatrische Angebote, Psychotherapie, Selbsthilfegruppe). Die Aufklärung durch den Therapeuten/die Therapeutin bestimmt
den Informationsstand und die Entscheidung des Kranken. Je nach der Art
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
92
und Weise der Aufklärung kann es zu Heilsversprechungen kommen, die
nicht eingehalten werden können, oder auch dazu, dass Kranke die
alternativen Therapiemöglichkeiten zu ihrem Besten nicht wahrnehmen.
Dazu wird von Breitsamer (2011, S.65ff) auf die manipulativen
Möglichkeiten ärztlicher Aufklärung eingehend hingewiesen, wobei auf eine
Missachtung der Autonomie der Betroffenen besonders aufmerksam
gemacht wird. (Breitsameter, 2011)
Fazit: Bei neuropsychiatrisch schwer Kranken ist die Einwilligungsfähigkeit
störungsbedingt aufgehoben, so dass eine partizipative Indikations,- und
Behandlungsgestaltung erforderlich ist. Das Fürsorgeprinzip (Hilfsprinzip)
und das Nicht-Schadens Prinzip muss mit dem Respekt vor der Autonomie,
und ggf der Forschungsfreiheit, abgewogen werden. Neben der Förderung
der Steuerungs,- und Entscheidungsfähigkeit der Kranken (informed
consent) ist die Einbeziehung der Angehörigen und der care givers bei der
Aufklärung zwingend geboten. Die Grenzen der Forschungsfreiheit werden
durch die spezifische Vulnerabilität der schwer Kranken gesetzt. Die
Abwägung von Forschungsinteressen mit dem zu erwartenden
aggregierten Nutzen für zukünftig Kranke, mit dem individuellen
Heilsversprechen, erfordert die Etablierung von medizinethischen
Rahmenbedingungen
und
Handlungsregulierungen
(klinische
Ethikkommission mit beratender Aufgabe).
Die institutionalisierte
Einrichtung einer Ethikkommission ein Expertengremium ohne unmittelbare
Beteiligung an der zu beurteilenden THS Studie, sowie die
institutionalisierte Zweitmeinungsbildung, sind zur Gewährleistung der
Transparenz bei der Studienplanung und Durchführung zum Schutz der
Akteure zwingend geboten.
4. Zum Konzept der Vulnerabilität
4.1 Einige Theoretische Hintergründe zum Vulnerabilitätskonzept
Da die Verwirklichung des informed consent auf der Annahme eines
Competence Konzepts75 als kontextualisierte Realisierung des Respekts
vor der Achtung der Autonomie des Kranken basiert, könnte nur ein sehr
begrenzter Personenkreis von Kranken in THS Studien und in
therapeutische Interventionen mit der THS eingeschlossen werden. Die
Erweiterung des idealen Autonomiekonzeptes, welches die Beachtung des
jeweiligen Kontextes (aktuale Autonomie) beinhaltet, und somit eine
diachrone und synchrone Relativierung ermöglicht, kann eine
stellvertretenden (mutmaßlichen) Willensbekundung triftig rechtfertigend
begründen, und zu einer gerechteren Praxis beitragen.
75 Als Kompetenz wird bei Beauchamp und Childress (2009) die Kompetenz als eine Fähigkeit verstanden,
relativ zu einer jeweiligen Entscheidungs-situation die materiellen Informationen zu verstehen, sich ein Urteil auf
dem Hintergrund der Werte bilden zu können, ein Ziel erreichen zu können, die Wünsche gegenüber den Beratern
und caregivern frei äußern zu können. Im medizinischen Kontext beinhaltet dies dien therapeutischen Ablauf oder
den Studienablauf verstehen zu können, die größten Risiken und Vorteile (Nutzen) gegeneinander abwägen zu
können, und anschließend eine Entscheidung fällen zu könne.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
93
Beim Einschluss von Kindern oder Minderjährigen muss das Schutzprinzip
vor Ausbeutung und Manipulation auf dem Hintergrund einer relationalen
Autonomiekonzeption erweitert werden. Dies ist bei an einem Tourette
Syndrom (TS) von praktischer Relevanz, da die Erkrankung meistens sehr
früh auftritt und im Einzelfall zur Indikationsstellung führen kann.
Die vulnerable Position von Kindern ist durch die Abhängigkeit vom Kontext
der
Eltern-(Erziehungsberechtigten)–Kind–Interaktion
wesens-mäßig
gekennzeichnet.
Die Abwägung zwischen dem größtmöglichen
Interesseschutz des Kindes „ohne die Freiheit unnötig einzuengen“ und
dem Wohl des Kindes muss die besondere „Verletzlichkeit“ einschließen,
d.h. deren Manipulierbarkeit, Verführbarkeit, und Ausnutzungsmöglichkeit
(Schutz vor Ausbeutung). Besonders zu beachten ist dies bei den Entscheidungen, die mit hohem Risiko behaftetet sind, bei Interventionen, die
nicht in den Krankeitsverlauf eingreifen könnne, und bei denen die
individuelle Prognose nicht gestellt werden kann. Eine stellvertretende
Willensbildung erfordert, dass eine Vorsorgevollmacht nur dann gültig sein
kann, wenn der Krankheitsverlauf bereits absehbar ist. Bei den
neurologischen, degenerativen Erkrankungen (M. Parkinson, Morbus
Alzheimer) ist im Vergleich zu den funktionellen Erkrankungen (TS, OCD,
Depression, Substanzabhängigkeit) eine prognostische Aussage mit
größerer Wahrscheinlichkeit möglich. Je jünger die Kranken sind, umso
mehr müssen entwicklungsbedingte Veränderungsmöglichkeiten mit
berücksichtigt werden, so dass die Vagheit einer Prognose steigt.
Am Beispiel von experimentellen Hirnstamm Implantaten bei gehörlosen
Kindern verdeutlicht Maio (2012) die Abwägung zwischen dem Risikoprofil des gehirnchirurgischen Eingriffs und der zu erwartenden Lebensform als gehörloser Mensch in der Gesellschaft. Im Hinblick auf eine
Kinderethik formuliert Maio, dass die „Achtung der Vulnerabilität nur
(gewahrt) werden kann, wenn das Kind in seinem sozialen Gefüge wahrgenommen, und sein Umfeld als Teil seiner eigenen Identität und seines
Wohlergehens, betrachtet wird. (Maio, 2012, S.273)
Bei der Bestimmung des Autonomieprinzips und des Fürsorgeprinzips,
unter Beachtung der speziellen Vulnerabilität neuropsychiatrisch schwer
Kranker, bei denen die Therapieoptionen ausgeschöpft sind, ergibt sich die
Notwendigkeit, auf ethisch-anthropologische Merkmale menschlichen
Lebens Bezug zu nehmen. Die heraus zu begründenen Anrechte auf einen
fairen, gerechten Umgang (Schutz vor Ausbeutung), und auf fürsorgende
Hilfe, mit Respekt vor der Autonomie, stellen eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe dar.
Das Konzept der Vulnerabilität umfasst neben dem universalen
(ontologischen) Aspekt (Leiblichkeit), den situativen Bereich menschlicher
Wesensbestimmung. „Vulnerability is seen both as an ontological feature of
embodied existence (universal vulnerability) and a chracteristic that arises
in specific contexts, affecting some more than others. (Rogers, 2014, S.64)
Dass der Mensch endlich und verletzlich den „Widerfahrnissen“ (Kamlah,
1972) des Lebens körperlich, seelisch und geistig ausgesetzt wird gehört
zu den unausweichlichen Bedingungen des (menschlichen) Lebens. Der
Mythos eines unabhängigen, selbstbestimmten und selbstgesetz-
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
94
gebenden
menschlichen
Lebensvollzugs
vernachlässigt
die
Hilfsbedürftigkeit und die Unfertigkeit des Menschen bei der Geburt
(Portmann) und bei Krankheiten, bei Behinderungen, beim Sterben und die
Angewiesenheit auf den Dienst des Mitmenschen unter Achtung der
Autonomie des Anderen. Die philosophische Anthropologie von Kamlah
lässt einer deskriptiven Anthropologie eine normative und eudämonistische
Anthropologie folgen, und kann damit einen ganz-heitlichen Ansatz
darstellen. Die Deutungshoheit über eigenes Handeln und Wollen bleibt bei
dem
Menschen in seiner
je eigenen „Bedürftigkeit“ und den
„Widerfahrnissen“, wobei diese in einer >praktischen Grundnorm<
formuliert wird. „Beachte, dass die Anderen bedürftige Menschen sind wie
du selbst, und handle demgemäß.“ (ebd.,S.95) „Es ist jedermann jederzeit
geboten zu beachten, dass seine Mitmenschen bedürftig sind wie er, und
demgemäß zu handeln.“
(ebd.,S.96) Kamlah
benennt als
„Lebensbedingungen“ „unentbehrliche Güter“ (Nahrung, Kleidung,
Wohnung), weiterhin die Vitalität, eine Aufgabe, und „die Geborgenheit im
Miteinanderleben mit anderen“, Achtung und Vertrauen, „mit denen wir
insbesondere durch die Institutionen der Familie, der Arbeitsorganisation
und dergleichen verbunden sind.“ (Kamlah, 1972,S.174)
Die Rolle der Vulnerabilität in I.Kants Ethik wird von Paul Formosa (2014)
mit Verweis auf die Würde und die Achtung der Autonomie des Anderen
beleuchtet. Er unterscheidet zwischen einem breiten Vulnerabilitäts–
Konzept (alle Personen sind vulnerabel) „refer to the general fragility of
human life,“ und einem engen Vulnerabilitäts–Konzept „that we count as a
vulnerable person or group only if we are more or much more susceptible
than others to certain harms, injuries, failures, or misuses.“ (ebd.,S.91) Das
breite Konzept ist unpraktisch, da die speziellen Schutzbedürfnisse nicht
identifiziert werden können, und das enge Konzept trägt die Gefahr einer
Pathologisierung der vulnerablen Personen in sich, übersieht, dass einige
Personen der Gruppe nicht vulnerabel sind, und macht die Gruppe als
Ganzes zu bemitleidenswerten Opfern. Die Würde des Menschen, die auf
der moralischen Urteilsfähigkeit beruht, ist eingebunden in die Leiblichkeit,
beim Erwerb dieser Fähigkeit,
bei deren Ausübung und deren
Aufrechterhaltung. Sie ist damit fragil, kann jederzeit verloren gehen
(relationale Würde). Die Achtung der Selbstzwecklichkeit des Menschen
(Instrumentalisierungsverbot) gebietet die Beachtung von besonderen
Gegebenheiten bei der freien und aufgeklärten Einwilligung bei besonders
vulnerablen Personen. (Formosa, 2014)
Die „Mitleidsethik“ von Schopenhauer (1788-1860) geht einen Schritt
weiter und gründet ethisches Handeln in der Leiblichkeit und der
Identifikation mit dem Anderen, und stellt die Rationalität zur Klärung
ethischer Herausforderungen in Frage. Die Intuition zum mitmenschlichen
Handeln gründet im Mitleid, „etwas, wovon die diskursive Vernunft keine
unmittelbare Rechenschaft gegen kann.“ Die Mitleidshandlung schließt alle
Lebewesen mit ein. „Aus der unmittelbaren und intuitiven Erkenntniss der
metaphysischen Identität aller Wesen geht ... alle ächte Tugend hervor
... Auf dieser metaphysischen Identität des Willens, als des Dinges an
sich, bei der zahllosen Vielheit seiner Erscheinungen, beruhen überhaupt
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
95
drei Phänomene, welche man unter den gemeinsamen Begriff der
Sympathie bringen kann: 1) das Mitleid, welches, wie ich dargethan habe,
die Basis der Gerechtigkeit und Menschenliebe, caritas, ist; 2) die
Geschlechtsliebe mit eigensinniger Auswahl, amor, welche das Leben der
Gattung ist, das seinen Vorrang vor dem der Individuen geltend macht; 3)
die Magie...“ Als Prinzip aller Moral wird von Schopenhauer angeführt.
„Verletze niemanden, vielmehr hilf allen, soweit du kannst.“ (Schopenhauer,
2012) Quietismus und Asketismus führen zum „Bewußt-sein der Identität
des eigenen Wesens mit dem aller Dinge.“ (siehe hierzu Wolfgang
Schirmacher (New York) Tägliche Ethik: Schopenhauers Mystik aus
Erfahrung
http://www.egs.edu/faculty/wolfgangschirmacher/articles/taegliche-ethik-schopenhauers-mystik-aus-erfahrung/
aufgerufen am 28.12.2014). Schopenhauer setzt sich polemisierend mit
Georg Wilhelm Friedrich Hegels „Phänomenologie des Geistes“ (1807)
auseinander, insbesondere mit dessen „Weltgeist“-Konzeption. Neben die
Marterialismus Konzeptionen von La Mettrie (1750) und d´Holbach (1770)
mit deren mechanistischen und determinstischen Weltbildern, wird von
Jean-Jaques Rousseau (1712-1778), auch im Gegensatz zu Thomas
Hobbes (1588-1679), der ursprünglich gute und freie, unverbildete Mensch,
mit der Forderung nach einer natürlichen, der Natur des Menschen
entsprechenden Erziehung, gesetzt.
Das bürgerlich subjektivistisch
idealisierte Weltbild zeigte sich zunehmend in seiner Unfähigkeit auf die
anstehenden gesellschaftlichen Fragen wirklichkeits-bezogen Antworten zu
finden. Der Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert war jedoch von einer
bisher nicht gekannten gesellschaft-lichen Entwicklung, mit der
Ansammlung von Kapital in wenigen Händen, und einer massenhaften
Verelendung der Arbeiter, bestimmt. In der Enzyklika Deus Caritas Est von
Papst Benedikt XVI. (2006, Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls;
171) wird auf die Begriffe Nächstenliebe (agape) und Caritas (das
Liebestun, der Liebesdienst) unter der Konzeption des Menschen als
Ebenbild Gottes
(Schöpfungs-gedanke) formuliert: „Die Frage der
gerechten Ordnung des Gemein-wesens ist – historisch betrachtet – mit der
Ausbildung der Industrie-gesellschaft im 19. Jahrhundert in eine neue
Situation eingetreten. Das Entstehen der modernen Industrie hat die alte
Gesellschaftsstruktur aufgelöst und mit der Masse der lohnabhängigen
Arbeiter eine radikale Veränderung im Aufbau der Gesellschaft bewirkt, in
der das Verhältnis von Kapital und Arbeit zur bestimmenden Frage wurde.“(
S. 35) „Gegen die kirchliche Liebestätigkeit erhebt sich seit dem 19.
Jahrhundert ein Einwand der dann vor allem vom marxistischen Denken
nachdrücklich entwickelt wurde. Die Armen, heißt es bräuchten nicht
Liebeswerke, sonder Gerechtigkeit.“ (S. 34)
Unter kritischer Sicht ist anzumerken, dass es bei dem Konzept der
Vulnerabilität in guter Absicht darum geht, die spezifische Vulnerabilität
einer Personengruppe im Hinblick auf deren Schutzwürdigkeit, besser
bestimmen zu können. Gleichzeitig bedeutet dies aber, dass damit zur
Pathologisierung dieser Gruppe beigetragen wird. Wer vor wem geschützt
werden soll mut durch zusätzliche Annahmen bestimmt werden. Soll mit
dem Konzept der Vulnerabilität die „bürgerliche Wertegemeinschaft“ vor
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
96
den „Außenseitern“ besser geschützt werden? Ist das Konzept zu breit und
zu vage, und mit dem der „Sünde“ („Erbsünde“) begrifflich nur schwer zu
trennen?
Das Konzept der menschlichen Vulnerabilität kann nur unter Bezug auf die
unterschiedlichen Suppositionen zur „Natur des Menschen“ und dem
hieraus entstehenden Anspruch auf eine mitmenschliche Grundhaltung zu
verstehen. Die Gefahr moralistischer Fehlschlüsse und begrifflicher
Unschärfen sollte dabei beachtete und vermieden werden.
Mit Bezug auf die philosophische Anthropologie von Helmuth Plessner
(1892-1985), und dessen Werk „Die Stufen des Organischen und der
Mensch“ wird von Honnefelder (2009, 2011) auf die Analyse der „exzentrischen Positionalität“ und der hieraus abgeleiteten „anthropologischen
Gesetze“ eingegangen, und die ethische Dimension der Hirnforschung, im
Verhältnis von „Ich“ und organischem Leib, bestimmt. Plessners
anthropologische Gesetze umfassen das Gesetz von der natürlichen
Künstlichkeit, das Gesetz von der vermittelten Unmittelbarkeit, das Gesetz
vom utopischen Standort. Die Rechtfertigung von Eingriffen in das
menschliche Gehirn, als höchstes Gut, „geht von einem Selbstverständnis
des Menschen aus, das den Menschen als das Wesen versteht, das sein
Leib ist und ihn zugleich als Körper hat.“ ... „Eine Natur, die sich so zu sich
selbst verhalten kann, ist von Natur aus künstlich.“ (Honnefelder, 2009) Die
Natur ist dem Menschen nicht vorgegeben sondern aufgegeben. Die Natur
wird von dem Menschen bewertet, interpretiert und sie erkennt den anderen
Menschen in seiner Vorstellung als gleich und Hilfsbedürftig an, woraus sich
die Forderungen nach Gerechtigkeit und die Hilfspflicht ergeben. Der
Mensch „macht seine geistig–seelische Seite gleichzeitig zugänglich und er
verbirgt diese“, was sein Selbstverständnis, seine Authentizität ausmacht,
und ihn dadurch verletzlich macht, da die Grenzen immer neu zu bestimmen
sind. An dieser Grenze bemisst sich auch die Grenze eines GehirnEingriffs. Die Grenzziehung wird durch den Zugriff auf die je eigenen
Gedanken und Wünsche, auf die personale Identität, (Schutz der
Privatsphäre,
Recht
auf
informationelle
Selbst-bestimmung),
unverhandelbar bestimmt. (Honnefelder, 2011)
Die aus der menschlichen Vulnerabilität erwachsenen Ansprüche und
Rechte nach institutionell zu gewährender Bereitstellung von Fördermitteln
zur Ermöglichung eines gelingenden (guten) Lebens, unter Einsatz der
individuellen Fähigkeiten („cababilities“) wird in den moral-philosophischen
Darstellungen (bezugnehmend auf Aristoteles und Marx) von Nussbaum
(Nussbaum, 2000, Nussbaum, 2012) überzeugend dargestellt. Nussbaum
(2012) formuliert aus einer „Enttäuschung über die unzulängliche
Kontextsensitivität grundsatzorientierter Moraltheorien“ (ebd.,S.15) eine
ethisch-politische Tugendethik (Eudämonismus, aristotelischer Sozialdemokratismus), und geht auf die These ein, dass „eine für partikulare
Besonderheiten offene Ethik nicht ohne Einbeziehung der Gefühle (Achtung
und Mitgefühl) auskommt.“(ebd.,S.22) Nussbaum stellt unter der „Priorität
des Guten“ eine Liste von zehn „miteinander zusammen-hängenden
Fähigkeiten (cababilities) als gesetzgeberische Ziele auf, zur Etablierung
von institutionellen Rahmenbedingungen, damit diese in einem erfüllten,
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
97
guten Leben, individuell verwirklicht werden können. Die typisch
menschliche Ausformung der Fähigkeiten und Tätigkeiten wird durch die
„praktische Vernunft und die Verbundenheit mit anderen Menschen“
organisiert und strukturiert. (ebd.,S.59) Die Biologie fordert uns auf die
Komponenten menschlichen Lebens zu bewerten. Die gebotenen
Tätigkeiten sind nicht die gesollten Tätigkeiten, gesollt ist nur deren Achtung
und die mitmenschliche Anteilnahme. Die selbstbestimmte Verwirklichung
der Grundbedürfnisse des Menschen („needs“) durch das ins Spiel bringen
können der eigenen Fähigkeiten, bedarf der Anerkenn-ung des anderen als
autonome Person, und einer solidarischen Unter-stützung bei der
Ermöglichung einer erfüllenden sozialen Teilhabe. Solidarität als
Bürgertugend zwischen der geschuldeten Moral, der Gerechtigkeit und der
freiwilligen Mehrleistung, der Wohltätigkeit wird dabei als verbindende Kraft
vorausgesetzt. (Höffe, 2008)
Die kommunitaristischen Ethikansätze, die Fürsorge (Care)–Ethik und die
„Feminist Philosophy“ geht den praktisch ethischen Belangen bei medizinethischen Entscheidungssituationen nach, wobei ein sozialpolitischer
Bereich folgerichtig mitbedacht wird. (Mackenzie, 2014)
Es geht in einer pluralistischen Gesellschaft darum, die Moralphilosophie
für individuelle und kollektive Moralen in der jeweiligen Kontingenz sensibler
zu machen.(Huster, 2011)
Hieraus folgt auch, dass das Selbstbestimmungsrecht auch das Recht Hilfe
ohne Begründung abzulehnen umfasst, auch wenn diese Entscheidung
unvernünftig erscheint. Es ist vielmehr Aufgabe der ärztlichen Fürsorge und
mitmenschlicher Empathie und Solidarität die soziale Zuwendung so zu
gestalten, dass das Selbstbestimmungsrecht des Kranken sich frei entfalten
kann, ohne dass hierdurch Dritte in ihrer Freiheit eingeschränkt werden.
(Sen, 2009) Die Charakterisierung von vulnerablen gesellschaftlichen
Gruppen und Kranken aus der Beobachterperspektive ist mit dem Paradox
verbunden, dass ein verbessertes Labeling mit einer vermehrten Gefahr für
die Betroffenen verbunden ist, unzulässiger paternalistischer76 Fürsorge
ausgeliefert zu sein. Die Gefahren des Labeling - Ansatzes bestehen in
einer Vernachlässigung der spezifischen Belange der Betroffenen, und dies
führt zur Diskriminierung und Stereotypbildung.
Rogers versucht eine Verbindung zwischen dem Principlism von
Beauchamp und Childress, dem Fürsorgeprinzip (Beneficience und
76 „Grundlage der Definition des ärztlichen Paternalismus ist – kurz gesagt – die Vorstellung, dass der Arzt
besser wisse, was für den Patienten gut ist, als dieser selbst. So bedeutet Paternalismus, das absichtliche
Hinweggehen über die Präferenzen einer Person, mit dem Ziel, zum Wohle dieser Person zu handeln. ... Beim
milden Paternalismus wird mit Sanktionen, Überredungen oder Warnungen umzustimmen versucht; beim
harten Paternalismus ergreift der Arzt direkte Maßnahmen, die den Patienten bei der Ausführung seiner
Entscheidungen hindern. Beim schwachen Paternalismus setzt sich der Arzt über den Willen eines nicht
urteilsfähigen Patienten hinweg. Ein starker Paternalismus liegt vor, wenn sich der Arzt über den Willen eines
einsichtfähigen Patienten hinwegsetzt. (Maio, 2012,S. 156ff) Nach Beaucham und Childress gibt es Situationen,
in denen ein „starker Paternalismus gerechtfertigt ist: „1. Es besteht keine Alternative zur Abwendung des
Schadens. 2. Es handelt sich um einen ernsthaften abzuwendenden Schaden. 3. Durch den paternalistischen
Akt entsteht kein ernsthafter Schaden. 4. Die zu erwartenden positiven Folgen des paternalistischen Aktes sind
gewichtiger als der durch den paternalistischen Akt auferlegten Schaden. 5. Die Einschränkung des Respekts
vor der Freiheit des anderen ist minimal.“ (Beauchamp and Childress, 2009, S. 212f, Maio, 2012, S. 159f) Als
Kritik ist anzumerken, dass bei dieser Aufzählung das Prinzip der Achtung der Autonomie und das
Fürsorgeprinzip abgewogen werden, der Norm zur Rücksichtnahme auf dem Schutz der Vulnerabilität von
schwer Kranken und deren Anspruch auf Förderung der Autonomie zu wenig Beachtung geschenkt wird.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
98
Nonmaleficience), und dem Respekt vor der Autonomie, sowie der
Gerechtigkeit (public health) (Rogers, 2014) herzustellen. Die Gruppe von
vulnerablen Personen wird von ihr gefasst als: „the vulnerable are those
who are at increased risk of harms, either because they are in hazardous
situations or because they have a decreased capacity, for whatever reason,
to safeguard their own interests ... premature babies in intensive care
units, adults with dementia, patients on the operating table, disempowered
research populations such als prisoners or refugees, or those desperate for
medical care. (S. 62)
Anhand des Nürnberger Codex (1947)77 und des Belmont Reports (1979)
werden die Kriterien zur Bestimmung von vulnerablen Personen
herausgearbeitet, mit deren begrenzten Fähigkeit (Kompetenz) zu einer
wirksamen Einwilligung, wodurch sich ein besonderes Schutzbedürfnis vor
möglicher Ausbeutung ableitet. Bei diesem Konzept wird der „Würde –
Begriff“ supponiert, wobei hierzu auf die kritischen Ausarbeitungen bei Frey
(Frey, 2012) und Birnbacher (Birnbacher, 2006), sowie Paul (Paul, 2013)78
und Mittelstraß (Mittelstrass, 1996) verwiesen wird.
Dieser Personenkreis bedarf in klinischen Studien eines besonderen
Schutzes gegenüber unzulässigen Anreizen (Ausbeutung), bedarf ein
günstigeren Nutzen-Risiko–Verhältnises, und diese Personengruppe sollte
aus
experimentellen Forschungsstudien ausgeschlossen werden.
(Beauchamp, 2009)
Wenn nur der informed consent bei klinischen Studien beachtet wird,
werden die „gefährlichen“ Studienprotokolle, die Interessenkonflikte der
forschenden Ärzte und anderer beteiligter Berufsgruppen, die
dysfunktionalen Institutionen (hierarchische Strukturen mit autokratischer
Führung; Karriereschmiede versus Haus für kranke Menschen in Not) nicht
berücksichtigt, wobei diese Kontexte alle Studienteilnehmer vulnerabel für
ein erhöhtes Schadensrisiko machen.
77 Die Problematik der Begründung der normativen Kraft des kantischen Würdebegriffs liegt in der Ansiedelung
des Modells in der "Zwischenebene zwischen der deskriptiven Eigenschaft der rationalen Handlungsfähigkeit und
der normativen Eigenschaft, Rechtssubjekt zu sein".(Mittelstraß, 1996, Bd 4, S.786) Die Gefahr von Sein-Sollen
Fehlschlüssen (naturalistischer Fehlschluss) sowie der Einwand, den Begriff als "conversation stopps"
(Birnbacher) zu verwenden, einschließlich einer ungebührlichen inhaltlichen Ausweitung, ist zu beachten. Frey
unterscheidet beim Würdebegriff zwischen einem „Begriffskern“, dem “fundamentalen Sinngehalt” als
unantastbarem Schutzbereich der Menschenwürde, und einem „Begriffshof“, d.h. den für Abwägungen
zugänglichen weiteren Schutzbereich, der insbesondere beim Lebensende auf den Freiheitsgedanken, den
Gleichheitsgedanken und den Schutzaspekt (Achtung des Selbstzwecks, Schutz des Lebens) rekurriert. Die
ethische Bedeutung stellt den Begriff der Menschenwürde als das Fundament der Menschenrechte heraus. Der
Kerngedanke, dass Normen einer Moral triftig begründet sind, wenn sie dazu dienen, bestimmte Werte –
anthropologische Konstanten – zu schützen und zu befördern, wird inhaltlich darin gesehen, dem Begriff
„Menschenwürde“ einen „eigenen Gehalt zuzuschreiben, und zwar einen, der einem Ensembel bestimmter
grundlegender Rechte gleichgesetzt werden kann.“ An Bedeutungskomponenten werden „im starken Sinn“
(Birnbacher, 2006) impliziert, dass ihr Träger eine Reihe von moralischen Rechten besitzt, die anderen bestimmte
negative (Unterlassungs-) und positive (Handlungs-) Pflichten auferlegt.“ Dazu gehören die Rechte von
Demütigung und Verachtung verschont zu werden, das Recht auf ein Minimum an Handlungs- und
Entscheidungsfreiheit, das Recht auf mitmenschliche Hilfe in Notlagen, das Recht auf ein „Minimum an
Lebensqualität im Sinne von Leidensfreiheit und das Recht, nicht ohne Einwilligung und in schwerwiegender
Weise zu fremden Zwecken instrumentalisiert zu werden.“ (S. 86f.)
78 Eine Annäherung an den Würdebegriff, wie er für medizinethischen Belage fruchtbar gemacht werden kann,
rekurriert auf eine Differenzierung in die Aspekte der ontischen, phänomenologischen, reflexiven, und relationalen
Verwendung. Die relationale Würde, die sich aus der gegenseitigen Anerkennung von Subjektiven ergibt, kann
jederzeit verloren gehen. (Paul, 2013)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
99
Es werden zwei Gesichtspunkte für die Vulnerabilität von Personen als
Patienten von Rogers herausgestellt. Die allgemein geteilte biologische
Fragilität, die Lebewesen verletzlich macht (Schmerz, Krankheit, Tod).
Diese macht uns Menschen inhärent vulnerabel und potentiell
schadensgefährdet durch die medizinische Praxis, sodass Schutz
geboten ist. Zweitens ist diese biologische Vulnerabilität eingebunden in die
je andere kontextualisierte
Vulnerabiltät
(Diskriminierung, Armut,
Abhängigkeit, Bildungsmangel). Rogers stellt die aufgeklärte Einwilligung
als Grundlage für die Realisierung des Respekts für die Autonomie heraus,
wobei dieser Ansatz eine ganze Reihe von Patienten ausschließt und
diskriminiert,
die dazu nicht in der Lage sind. Ein relationales
Autonomiekonzept stellt demgegenüber die Förderung von individueller
Autonomie in den Focus und vermeidet ein alles – oder – nichts
Schwellenkonzept des informed consent. In dem europäischen „Basic
Ethical Principles in Bioethics and Biolaw project“ (Rendtorff, 2002)“ wird
die Vulnerabilität (als Ausdruck der Fragilität des Lebens und als
adressiertes Objekt moralischer Prinzipien) zusammen mit der Autonomie,
der Würde und der Integrität gefasst und mit den Idealen der Solidarität,
dem Diskriminierungsverbot und der Gemeinschaft verbunden.
Vulnerabilität begründet die negative Pflicht der Schadensverhinderung und
der Unterlassung einer Intervention, und die positive Pflicht die sozialen
Bedingungen zu verbessern, sowie die
Pflicht zur Förderung der
menschlichen Fähigkeiten. (Rogers, 2014, S.74f) Ein vielversprechender
Ansatz, der in eine gesamtgesellschaftliche public health Konzeption
eingebunden werden muss, um die Chance zur Realisierung zu bekommen.
4.2 Zur Vulnerabilität bei neurochirurgischen Eingriffen
Auf diesem Hintergrund sind chirurgische Eingriffe in das Gehirn bei
neuropsychiatrischen Krankheiten nur dann zu rechtfertigen, wenn sie die
Bedingung erfüllen können die krankheitsbedingte Einschränkung der
Autonomie zu verbessern, und die Beschädigungen der personalen
Identität durch die schwere neuropsychiatrische Krankheit zu lindern oder
zu beseitigen. Gibt es eine prämorbide personale Identität, auf die bei einem
schwer psychisch Kranken (Depression, COD, SUD, Demenz)
lebensgeschichtlich authentisch Bezug genommen werden kann? Wie lässt
sich diese bestimmen? „Authentizität“ bezieht sich auf die Orientierung des
Einzelnen an einer sich selbst verständlichen und erzählbaren
Lebensgeschichte und an der fühlbaren Kongruenz mit sich selbst.“
(Honnefelder,2009,S.93)
Glannon (2014) sieht die THS als „a form of extended or expended
embodiment.“(S.2). „By modulating dysfunctional neural circuits associated
with neurological and psychiatric disorders, DBS can restore the motor and
mental functions necessary for autonomous agency and the mental states
with which ohne would want to identify.“(S.2) Glannon sieht hierin einen
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
100
Beweis dafür, dass die höheren Bewußtseinszustände geändert werden
können „by a millivolt of electrical current.“ Weiterhin sieht Glannon es damit
als bewiesen an, dass „neurological and psychiatric disorders are disorders
of neurological circuits.“ (Glannon, 2014) Mentale Prozesse werden
identisch mit neuralen Prozessen gesetzt (Kategorienfehler) und nicht
weiter problematisiert. Neben dem (naturalistisch, merologisch)
Fehlschluss, der bei derartigen Argumenten, wie von Glannon (2014)
vorgetragen, transportiert wird (Fuchs, 2013), ergeben sich durch
Falschinformationen (u.a. auch durch die Massenmedien) für die Patienten
Heilserwartungen, die einen schwerwiegenden Schaden (erhöhte
Suizidalität, Destruktion sozialer Bindungen, Verlust der Glaubwürdigkeit
des Neurochirurgen) bewirken können.
Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Problem der Urheberschaft von
Handlungen und den sich hieraus ergebenden Konsequenzen für die
Verantwortungszusprechung für eine Handlung in „human-interfaceinteractions“ (Limerick, 2014) muss auf den Unterschied zwischen dem
Gefühl für die Urheberschaft und dessen Bewertung eingehen.(Walde,
2006) Wenn die beiden epistemischen Perspektiven (Akteurskausalität/
verantwortliches Subjekt) „sich als unhintergehbar erweisen und der
epistemischen Perspektive der Akteurskausalität die Priorität zukommt,
kann auch die „ethische Dimension“ und mit ihr die Verantwortung nicht zur
Disposition stehen, die dem Menschen als Urheber seiner Taten
zukommt.“(Honnefelder,2009,S.86)
Bei
Mensch-Maschine-Interface
Systemen muss die Frage neu gestellt werden: Wer ist verantwortlich und
wer handelt eigentlich, wenn das Hybrid-System zu nicht vorhersehbaren
Erlebens- und Verhaltensweisen führt. Von klinischer Bedeutung ist das
Auftreten von Manie oder Impulskontrollstörungen bei der THS mit
Parkinsonkranken. Die Diskussion führt zum „Transhumanismus“ und der
„Cyborg“ Debatte (cybernetic organism), was hier nicht intendiert ist, da die
Arbeit sich auf die klinischen Aspekte der THS begrenzt. (siehe dazu das
18. Berliner Kolloquium der Daimler und Benz Stiftung am 4.6.2014)
Einige Patienten, die mit THS behandelt wurden haben nach längerer Zeit
der Stimulation das „Gefühl gesteuert zu werden,“ was mit dem spreading
der Stimulation in benachbarte Hirnstrukturen zusammen hängen soll.
(Clausen, 2009) Insbesondere bei jüngeren Kranken (Tourette Syndrom)
oder bei einer Ausweitung der Indikation auf frühere Krankheitsstadien beim
M. Parkinson dürfte dies für die ärztliche Begleitung wichtig werden. Von
Limerick wird darauf hingewiesen, dass „the potential reduction in human
responsibility as a consequence of increased interaction with intelligent
interfaces is an important subjekt for further investigation.“(S.9)
Eine Ausweitung der THS Indikation auf sogenannte leichtere
Krankheitsstadien erhöht das Risiko einer beeinträchtigten personalen
Identität, da die Behandlung unter der Bedingung des informed consent
begonnen wurde, durch den degenerativen Krankheitsverlauf aber neue
ethische und rechtliche Herausforderungen entstehen. Die Vulnerabilität
erfährt durch die Stimulation im zeitlichen Ablauf (Persönlichkeitsänderung, Personänderung) eine Bedingungsänderung, deren Operationalisierung und Erfassung mangels sensitiver Messinstrumente zurzeit nur
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
101
begrenzt möglich ist.(Witt, 2013b) Die daraufhin anstehende Entscheidung
zur
Beibehaltung
der
THS
trotz
eines
Identitätswechsels
(Persönlichkeitsänderungen), oder deren Revision, stellen eine besondere
Herausforderung dar, da ggf. eine zivilrechtliche und strafrechtliche
Bewertung der entstandenen Schäden (finanziell, schädliche Übergriffe)
erfolgen muss. Eine besondere Herausforderung bei der THS ergibt sich,
da die neurochirurgischen Eingriffe in wachem Zustand durchgeführt
werden, sodass eine Revision des informed Consent, somit auch ein
Abbruch der Intervention durch den Kranken, jederzeit möglich ist.
Die THS ist eine symptomatische und keine ursächlich wirkende
Behandlung, kann den Verlauf der Grunderkrankung nicht beeinflussen,
und muss bei der Schwere der Erkrankung dem veränderten sozialen
Gefüge des Patienten Rechnung tragen.
4.3 Zur Vulnerabilität neurochirurgischer Eingriffe in das Gehirn
Neuropsychiatrische Krankheiten verändern die Plastizität der
Hirnfunktionen und heben bei schwerer Ausprägung die Kompetenz zur
Abgabe einer informierten Einwilligung auf. Die Not der Kranken, und deren
Hoffnung auf eine Leidensminderung nach Ausschöpfung aller
Therapiemöglichkeiten durch den neurochirurgischen Eingriff stellen den
Arzt vor besondere ethische Herausforderungen. Mit den Psychopharmaka
werden schrotschussartige Hirnwirkungen in Kauf genommen, wobei der
neurochirurgische Eingriff eine gezieltere Einwirkung auf gestörte
Hirnregionen verspricht. Andererseits werden durch die chirurgischen
Eingriffe in das Gehirn unbeteiligte Strukturen zerstört um an die Zielregion
zu gelangen. Wenn die Standardtherapie nicht ausreichende Effekte liefern
kann werden innovative oder forschungsbezogene Interventionen erwogen.
Zum Schutz der Vulnerabilität des Kranken und um die Reputation des
Neurochirurgen nicht zu gefährden ist die Etablierung von praktikablen
ethischen Rahmenbedingungen angezeigt. (Ford, 2009)
Es geht dabei um die Abwägung von Schutzbarrieren, Fortschritt der
Technik der Begrenzung von und heroischen Eingriffen bei
neurochirurgischen Interventionen.
Ford (2009) listet sieben Richtlinien als ethische Rahmenbedingung bei
neurochirurgischen Interventionen auf:
I. Achtung vor der Vulnerabilität
und multidisziplinäre Behandlungsteams.
Neurochirurgische Eingriffe als „non-standard“ Therapien mit
möglichen Schädigungen bei psychiatrisch Kranken.
Multidisziplinäre Teams können die Unsicherheiten der
Kranken besser ins Spiel bringen und vor heroischen
Eingriffen schützen.
II. Achtung vor der Vulnerabilität
und die Einholung von Zweitmeinungen.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
102
Das Neurochirurgische Team sollte die Initiative ergreifen und
eine Zweitmeinung einholen bei einem ungewöhnlichen
Vorgehen.
Schutzbarriere um die Unsicherheit des Kranken zu
achten und Schutz vor Kompetenzüberschreitungen.
Förderung der Argumentation auf Augenhöhe.
III. Situationale Vulnerabilität und die Behandlungsbedingungen.
Berücksichtigung des Lebensstils, der sozialen Situation und
der Wohnumgebung des Kranken. Die Inkaufnahme einer
funktionellen Schädigung um das Leiden zu mindern oder das
Sterberisiko zu vermindern. a) bekanntes Risiko – z.B. THS
beim M.Parkinson – Beschädigung kognitiver Funktionen, die
den Bewegungsgewinn nicht mehr rechtfertigen; b)
nichtvorhersehbares Risiko – Beschädigung der personalen
Identität.
Zum Schutz des Kranken (Forschung und Therapie) ist
eine vorsorgende Kontrolle der neuropsycho-logischen
Fähigkeiten und eine multidisziplinäre Nachsorge
transparent und verpflichtend zu vereinbaren.
IV. Medizinische Vulnerabilität und hoffnungslose Patienten.
Kranke ohne Standardtherapiemöglichkeiten für Studien zu
rekrutieren ist unklug und unethisch. a) Symptome sind
sowohl bei
der Standardtherapie als auch bei der
experimentellen (innovativen) Therapie refraktär; Phase I
neurochirurgische Studien sollten nur mit Kranken
durchgeführt werden, die noch eine andere chirurgische oder
medikamentöse Therapieoption haben. b) Kranke sollten nicht
gering effektiven Therapien ausgesetzt werden nur um
Zugang zu neurochirurgisch innovativen Behandlungen zu
erhalten.
Die
Forderung
nach
Ausschöpfung
der
Standardtherapien vor einem neurochirurgischen
Eingriff in das Gehirn als „last line therapy“ richtet sich
nach deren Zumutbarkeit.
V. Medizinische/Kognitive Vulnerabilität und vorsorgende
Therapieplanung
Schwer Kranke mit einer lebensbedrohlichen Krankheit haben
die Erfahrung der Therapieresistenz und sind eher bereit sich
einer innovativen neurochirurgischen Behandlung zu
unterziehen.
Bei neurodegenerativen Krankheiten ist das Risiko
einer Verschlimmerung der Erkrankung und
Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten durch
Gehirneingriffe erhöht. Vorausbestimmung durch
Vorsorgevollmacht
und
Patientenverfügung
ist
verpflichtend.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
103
Therapiezieländerungen
sollten
vorausbestimmt
werden, die Nachsorge vor dem Eingriff geregelt
werden.
VI. Situationale Vulnerabilität und Intraoperativer Widerruf der
Einwilligung
Neurochirurgischer Eingriff mit Kraniotomie mit funktionellem
Mapping bei wachem interaktivem Patienten (das Gehirn ist
der Umgebung unmittelbar ausgesetzt, der Schädel in dem
Stereotaxie-Rahmen fixiert) - THS.
Therapieplanung
(Studienprotokoll)
muss
Unterscheidung zwischen Forschungsinteresse und
unmittelbar
therapeutischem
Interesse
vorher
festlegen. a) Zu jedem Zeitpunkt Widerruf der
Einwilligung möglich; b) Widerruf der vorher
gegebenen Einwilligung vereinbart.
Sorgfaltspflichtverletzung wenn über das
therapeutische Privileg („im besten Interesse
des Kranken“)
nicht
aufgeklärt
wurde
(Ausweitung der Operation; zum Unterschied
zwischen Innovation, Forschung, Therapie
aufklären).
Intraoperative Stopps zur Überprüfung
der Einwilligung müssen einplant werden.
Schutz vor Ausbeutung des Altruismus,
vor ungerechtfertigtem Respekt vor der
Arzt – Autorität.
VII. Edukative Vulnerabilität und Medien/Industrie –
Einflussnahme
Die Massenmedien und die Industrieinformationen sind an
den unrealistisch hohen Heilserwartungen mitbeteiligt.
a) Verpflichtend sollen neben den „Wunder“ Heilungen
auch suboptimale Verläufe von neurochirurgischen
Eingriffen von dem Operationsteam präsentiert
werden; b) bei der Aufklärung müssen die
wahrscheinlichsten Risiken und die schlechten
Ergebnisse aufgezeigt werden.
Die eingehende Darstellung zur Gewichtung und Interpretation der
medizinethischen Prinzipien Nicht-Schaden, Respekt vor der Autonomie,
verantwortungsvoller Respekt vor der Vulnerabilität schwer Kranker (Schutz
der Privatsphäre), verdeutlicht, dass bei einer deliberativen Aufklärung die
Gestaltung der Arzt-Patienten-Interaktion.
Hinzu kommt, bei einer Ausweitung der Indikation (Enhancement) und bei
einer zu erwartenden Verbesserung des brain-recording (Speicherung der
Modulationen und der Verhaltensänderungen als „brain-radio“), dass dem
Recht auf Schutz der informationellen Selbstbestimmung stärkeres Gewicht
beigelegt werden muss.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
104
Fazit: Die medizinethische Abwägung des Autonomieprinzips mit dem
Fürsorgeprinzip und Nicht-Schadens-Prinzip, mit Gewichtung der
Vulnerabilität von schwer neuropsychiatrisch kranken Menschen als
principle of precaution, stellt die Akteure sowohl bei der Auswahl von
Teilnehmern an klinischen THS – Studien, wie auch bei der medizinischen
Indikation
zur
Therapie,
vor
kontextspezifische
ethische
Herausforderungen.
Während die deontologische Begründung der informierten Einwilligung das
Autonomie-Prinzip mit der Selbstbestimmung über die zu erfolgenden
Maßnahmen als unverhandelbar betrachtet, betont die konsequentialistische Begründung die Förderung des Wohls des Patienten, unter
Berücksichtigung der Wertungen des Patienten.
Mit der Etablierung von ethischen Rahmenbedingungen bei
neurochirurgischen Eingriffen in das Gehirn wird die Vulnerabilität der
schwer kranken Menschen vor nicht zu rechtfertigenden Übergriffen
geschützt, und der Ausbeutung des Altruismus der Kranken in jeder Phase
der Intervention entgegen gewirkt.
IV. Spezifische ethische Herausforderungen bei der Neuromodulation
(TSH) bei Neuropsychiatrischen Erkrankungen
1. Die rechtlichen Rahmenbedingungen
Die Charta der Patientenrechte steht unter dem Motto „Wer seine Rechte
als Patient kennt, kann sie auch nutzen.“79
Die ärztliche Behandlung mit der THS muß nach dem Stand der
Wissenschaft und der lex artis im Allgemeinen geeignet sein und
angewendet werden um Krankheiten oder Leiden zu verhüten, zu
79 Die Charta der Patientenrechte – „Eine gesetzliche Regelung, die die Rechte des Patienten normiert, gibt es
in Deutschland nicht ... eine vom Bundesgesundheitsministerium und Bundesjustizministerium eingerichtete
Arbeitsgruppe im Oktober 2003 ... soll den Patienten einen Überblick über die wesentlichen Rechte und Pflichten
im Rahmen der ärztlichen Behandlung (geben). ... Der Patient hat Anspruch auf eine qualifizierte und sorgfältige
medizinische Behandlung nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst ... Der Patient hat das Recht, Art
und Umfang der medizinischen Behandlung selbst zu bestimmen ...Alle medizinischen Maßnahmen setzten
eine wirksame Einwilligung des Patienten voraus ... wer die nötige Einsichtsfähigkeit besitzt (bei Minderjährigen
und Betreuten wird die Zustimmung eines gesetzlichen Vertreters, insbesondere bei schweren Eingriffen
eingesetzt um den mutmaßlichen Willen zu bestimmen) ... Die Bestellung eines Betreuers ist entbehrlich, wenn
der Patient rechtzeitig eine Person seines Vertrauens für die Zustimmung in Gesundheitsangelegenheiten
bevollmächtigt hat (Vorsorgevollmacht). Bei besonders schwerwiegenden Eingriffen bedarf die Einwilligung durch
den Betreuer oder Bevollmächtigten der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts ... Eine wirksame
Einwilligung setzt eine so umfassende und rechtzeitige Aufklärung des Patienten voraus, dass dieser aufgrund
seiner persönlichen Fähigkeiten in der Lage ist, Art, Umfang und Tragweite der Maßnahme und der damit
verbundenen gesundheitlichen Risiken ohne psychischen Druck zu ermessen und sich entsprechend zu
entscheiden. Zu unterrichten ist auch über Art und Wahrscheinlichkeit der verschiedenen Risiken im Verhältnis
zu den Heilungschancen und über alternative Behandlungsmöglichkeiten ... Der Patient hat das Recht, auf die
ärztliche Aufklärung zu verzichten und zu bestimmen, wen der Arzt außer ihm oder statt seiner informieren darf
oder soll ... Vor einer möglichen Teilnahme an sog. Versuchsbedingungen, deren Wirksamkeit und Sicherheit
wissenschaftlich noch nicht abgesichert sind, muss der Patient umfassend über die Durchführungsbedingungen,
über Nutzen und Risiken sowie über Behandlungsalternativen aufgeklärt werden ... In Fällen einer fehlerhaften
Behandlung oder unzureichenden Aufklärung stehen dem Patienten Schadensersartz- und
Schmerzensgeldansprüche zu. „http://www.krankenkassen.de/gesundheit/arzt-patient/TODO-29/ aufgerufen am
30.12.2014
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
105
erkennen, zu heilen oder zu lindern. Unter strafrechtlichem Blickwinkel
werden die Straftatbestände der vorsätzlichen und fahrlässigen
Körperverletzung oder Tötung als Anknüpfungspunkt strafrechtlicher
Haftung relevant (§223,§224,§226,§212 StGB). Schadenersatz und
Schmerzensgeldregelungen (§823 Abs. 2 BGB) werden hierdurch
regelmäßig
begründet.
„Der
Patient
kann
kraft
seiner
Entscheidungsautonomie das vorläufig als Unrecht bewertete Verhalten
des Arztes mit Hilfe des Rechtfertigungsgrundes der Einwilligung wieder
ausgleichen. Subsidiär kommt zudem der sog. mutmaßlichen Einwilligung
Relevanz zu.“ „Die vorsätzliche Missachtung des Patientenwillens wird
unter dem Aspekt der Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit oder Ehre
geprüft..“ „Unabhängig davon, ob die Einhaltung der lex artis und die
Beachtung des Selbststimmungsrechtes bereits den Tatbestand oder erst
die Rechtswidrigkeit der Körperverletzung ausschließen, kann festgehalten
werden, dass der lege artis durchgeführte und von der wirksamen
Einwilligung des Patienten getragene ärztliche Eingriff nicht strafbar ist- und
zwar
unabhängig
vom
tatsächlichen
Gelingen
des
Eingriffs.“(Bundesärztekammer, 2010,S.109f) Der Dokumentation zur
Mitarbeit des Patienten ist somit eine besondere Aufmerksamkeit zu
widmen. (Prütting, 2014)
„Für die THS ist juristisch-normativ die Anforderungen des §10 Abs.2
MPBetriebVA zu beachten, da es sich bei der Elektrode und deren
Kontrollierbarkeit um aktiv implantierbare Medizinprodukte im Sinne des §3
Nr.1 MPG handelt.“ (Prütting,2014,S.45)
Die rechtlichen Rahmenbedingungen berücksichtigen zwei Themenkreise:
Die Anwendung der THS im Rahmen rein therapeutischer Situationen (als
Heilbehandlung, ultima ratio Behandlung) und der Einsatz der THS im
Rahmen der Forschung.
Forschungsinteressen und therapeutisches Interessen überschneiden sich
im Rahmen von Wirksamkeitsstudien wenn die Ergebnisse von
Heilbehandlungen im Hinblick auf den Gesamtnutzen (Wirksamkeitsvergleich, Nebenwirkungsabschätzung) im Nachhinein zusammengefasst
werden. Gehören Heilverfahren nicht zum Standard (TS, Depression,
Substanzabhängigkeit, Demenz), und die herkömmlichen Therapien
versagen, dürfen diese als ultima ratio zum Einsatz kommen, wenn die Art
oder Schwere der Erkrankung dies erfordern. Eine Zulassung wird nur
erteilt, wenn eine therapeutische Wirksamkeitsüberlegenheit (Zusatznutzen
entsprechend §5 Arzneimittelgesetzt) nach dem Stand der
wissenschaftlichen
Erkenntnisse
(evidenzbasierte
Auswertung)
nachgewiesen werden kann. Es werden Evidenzstufen Ia-V berücksichtigt,
je nach Studienlage. Einzelfallberichte, pathophysiologische Überlegungen,
Expertenkommitees (V) als unterste Evidenzstufe, und systematische
Übersichtsarbeiten von randomisierten klinischen Studien (Ia) als
Bewertungs - Eckpunkte.
Der Zusatznutzen wird quantifiziert mit:
a) erheblicher Zusatznutzen, bei nachhaltiger und gegenüber der
zweckmäßigen Vergleichstherapie bisher nicht erreichter großen
Verbesserung des therapierelevanten Nutzens (Heilung, Lebenszeit-
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
106
verlängerung, langfristige Freiheit von schwerwiegenden Symptome,
Vermeidung schwerwiegender Nebenwirkungen);
b) ein beträchtlicher Zusatznutzen, bei einer deutlichen Verbesserung des
therapierelevanten
Nutzens
gegenüber
der
zweckmäßigen
Vergleichstherapie
(Abschwächung
schwerwiegender
Symptome,
moderate Lebenszeitverlängerung, spürbare Linderung der Erkrankung,
relevante Vermeidung schwerwiegender Nebenwirkungen, bedeutsame
Vermeidung anderer Nebenwirkungen);
c) geringer Zusatznutzen, wenn eine bisher nicht erreichte moderate und
nicht nur geringfügige Verbesserung des therapierelevanten Nutzens im
zweckmäßigen Therapie-Vergleich erreicht wird (Verringerung von nicht
schwerwiegenden
Symptomen,
relevante
Vermeidung
von
Nebenwirkungen);
d) ein nicht quantifizierbarere Zusatznutzen (wissenschaftliche Datenlage
lässt dies nicht zu);
e) es liegt kein Zusatznutzen vor;
f) der Nutzen ist geringer als der Nutzen der vergleichbaren zweckmäßigen
Vergleichstherapie.
(analog
AM-Nutzen
–
Einzelnormen,
http://www.gesetzte-im-internet.de/am-nutzenv/_5.html
aufgerufen
30.12.2014)
Die Garantenpflicht des Arztes verpflichtet zur Einhaltung der lex artis und
das Vorliegen der wirksamen Einwilligung bei der Diagnose, der
Therapieentscheidung und der Nachsorge. Dies ist bei einer
interdisziplinären Zusammenarbeit mit Technikern, Sozialberufen aus
verschiedenen Sparten (Suchttherapie, Sozialarbeit, Ergotherapie,
Krankengymnastik, Ethikberater) von praktischer Bedeutung, unter
Berücksichtigung des Rechts des Patienten auf informationelle
Selbstbestimmung und auf Wahrung der Privatsphäre bei der Einrichtung
von Datenbanken im Rahmen von Multizenterstudien.
2. Die partizipative Behandlungsgestaltung
Die Aufklärung muss
demnach die Diagnose, die Behandlungsmöglichkeiten, einschließlich der alternativen Therapieoptionen, die
Chancen und die Risiken in einer angemessenen Informationsmenge,
verständlich und anschaulich transportieren, wobei der Kranke den
Informationsfluss selbst bestimmen sollte.
Die Rolle des Arztes trägt zu einer partizipativen Entscheidungssituation
wesentlich bei, in der die Pluralisierung der Lebensstile und die
Wertüberzeugungen zur Geltung kommen können, und insbesondere bei
chronischen Erkrankungen die Bedeutung des Eingriffs für die individuelle
Lebensgestaltung herausgearbeitet werden kann. (Wiesing, 2010)
Die beiden Prinzipen Autonomie und Fürsorge müssen bei der Aufklärung,
bei der nicht nur um das worüber aufgeklärt wird, sondern auch über das
wie aufgeklärt wird, geht, gegeneinander abgewogen werden.
Bei komplexen Eingriffen mit hohen Risiken und Nebenwirkungen, die
unbeabsichtigt auftreten können, muss die Aufklärung besonders sorgfältig
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
107
gestaltet werden. „Gerechtfertigt ist ein Eingriff in eine Maßnahme oder
deren Unterlassung dann, wenn sich eine Person durch deren nicht
gewusste bzw. nicht beabsichtigte Folgen selbst schädigt.“ (Breitsamer,
2011, S. 67)
Sowohl die Ziele, wie auch die Mittel, und die Werte des Patienten gilt es
zu berücksichtigen, damit die Kranken (oder Stellvertreter) nicht nur wohl
informiert sind, sondern auch eine wohlbegründete Entscheidung
authentisch treffen können.(Breitsamer, 2011)
In der Regel handelt es sich bei den schwer neuropsychiatrisch Kranken
um nichteinwilligungsfähige Patienten, sodass die Einrichtung einer
Vorsorgevollmacht
oder Patientenverfügung zur Begleitung
des
diagnostischen und therapeutischen Entscheidungsprozesses, im besten
Interesse der Kranken, zwingend erforderlich ist.
Da es zu einem Persönlichkeitswechsel infolge einer THS kommen kann,
gebietet es die Sorgfaltspflicht eine Vorsorgevollmacht abzufassen (mit den
Angehörigen, Betreuer, Bevollmächtigten, BetrRÄG seit 01.09.09 in Kraft).
Diese dient dem Schutz vor „unfreien Willensäußerungen“ nach einer
Persönlichkeitsänderung (Manie, Sucht) zur Abwehr schädigender Folgen
(Ulysses Pakt). (Vollmann, 2000)
Die partizipative Entscheidungsfindung beinhaltet die Rollenklärung und
die Formulierung der Gleichberechtigung der Partner (auf gleicher
Augenhöhe), mit dem Angebot, eine partizipative Entscheidung für die
medizinische Intervention zu finden. Hierzu sollte institutionell durch eine
multidisziplinäre Expertenbeteiligung Sorge getragen werden. Weiterhin
werden Aussagen über das Vorliegen verschiedener Therapieoptionen,
unter deutlicher Relativierung der THS als „letzte Chance“, zu treffen sein.
Die Informationen zu den Wahlmöglichkeiten beinhalten Aussagen zu den
Vor- und Nachteilen evtl. mit Entscheidungshilfen. Zum Umgang mit
Irrtumsmöglichkeiten und die Art der Aufklärung werden von Breitsamer
detaillierte, praxisnahe Darstellungen vorgelegt. (ebd.,2011, S. 64ff)
Dabei ist es wichtig wiederholt Rückmeldungen über das Verständnis und
die Sicht der Kranken einzuholen. Hierbei sollten die Bedenken,
Erwartungen, Vorinformationen und Präferenzen von beiden Seiten (Arzt
und Patient) auf den Tisch kommen. Das Aushandeln sollte in einem fairen
Miteinander, unter Berücksichtigung der situativen und medizinischen
Vulnerabilität der Kranken, erfolgen. Die partizipative (gemeinsame)
Entscheidung sollte schriftlich dokumentiert werden. Rechtlich ist eine
Unterschrift unter eine formalisierte Einwilligung notwendig, aber nicht
hinreichend, da die Sorgfaltspflicht ein Gespräch gebietet. (Wiesing, 2012)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
108
3. Zur kontextualiserten Bewertung der THS
Unterstellt wird, dass eine Güterabwägung von Zwecken, Zielen und Mitteln
für medizinische Handlungen mit Verfahren möglich ist, die nach
allgemeinen Regeln eine Graduierung der Schutzansprüche (geboten,
verboten, erlaubt) schwer kranker Menschen ermöglichen. Die allgemeinen
Regeln werden von den ethischen Paradigmen (Tugendethik: Klugheit,
Maßhalten, Tapferkeit, Gerechtigkeit; Verpflichtungsethik: nicht alles ist
abwägbar; Nutzenethik: alle Zwecke sind abwägbar) vorgegeben, und
situationsabhängig nach den medizinethischen Handlungskontexten
rekonstruiert.
Bei der THS werden in wachem Zustand Elektroden (ca 1,27 mm
Durchmesser)
durch die geöffnete Schädeldecke, assistiert durch
bildgebende und neurophysiologische Verfahren, in anatomisch vernetzte
Zielstrukturen platziert, die nach einer Eingewöhnungsphase elektrischer
Stimulation ausgesetzt werden. Die individuelle Programmierung der
Hirnstimulation erfolgt über einen externen Generator, der unter die Haut
eingepflanzt wird.
Die gezielte Modulation tief im Gehirn liegender vernetzter Hirnstrukturen
wird an einem veränderten Funktionsmuster im Gehirn nachvollzogen,
sowie an einem veränderten Bewegungsmuster, an verändertem Denken,
Erleben und Empfinden, ablesbar.
Die Gehirn – Modulation kann jederzeit angepasst und beendet werden, ist
demnach reversibel. Die Regelungshoheit liegt bei dem Träger des THS –
Systems, wobei die Programmierung und Revision nur durch den Arzt
erfolgen kann.
Bei einer Langzeitbehandlung ist eine Einpassung in die Lebensspanne
anzustreben. Die Hybridisierungseffekte (Empfinden und Bewerten der
Mitsteuerung der Person durch die THS, Fehlplatzierung der Elektroden,
Ausbreitungseffekte der Stimulation im Gehirn) bedürfen einer sorgfältigen
interdisziplinären Erfassung und Bewertung, unter Beachtung der
personalen Identität.
Mit der Stimulation wird eine symptomatische Wirkung erzielt. Auf den
ursprünglichen Krankheitsverlauf hat die THS keinen Einfluss. Der
Wirkmechanismus der THS ist nicht bekannt. Arbeitshypothesen zu den
pathophysiologischen Grundlagen und Wirkmechanismen liegen auf dem
Niveau der funktionellen neuronalen Netzwerkkonzeption und daran
beteiligter Neurotransmittersysteme.
Der Einsatz der THS erfolgt bei schweren neuropsychiatrischen
Erkrankungen nach zumutbarer Ausschöpfung der zweckmäßigen
Standardtherapien.
Es lassen sich keine triftigen Gründe dafür finden, die THS unter den
derzeitig vorhandenen technischen und fachärztlichen Einsatzmöglichkeiten, zu verbieten. Vielmehr geht es darum, die Grenzen der THS,
die spezifischen Risiken und die zu erwartenden und nicht vorhersehbaren
Nebenwirkungen, insbesondere die Risiken und Chancen
für
Lebensqualität und die der sozialen Teilhabe, in die Entscheidungsfindungsprozesse mit einzubeziehen.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
109
3.1 Die ethischen Richtlinien zur innovativen THS - Forschung
Die Ethischen Richtlinien zur klinischen Forschung mit der THS werden im
Überblick bei Schermer (2011), Woopen (2012), Witt (2013), dargestellt,
wobei auf die THS als innovative Therapieoption bei psychiatrischen
Krankheiten und bei deren Erweiterung auf „leichtere neurologische
Erkrankungen“ besonders eingegangen wird.
A: Schutz der Studieneilnehmer:
 Forschungsziel ist die Lebensqualität der Patienten zu
verbessern.
 Zur Gewährleistung der Kontrolle über das Studiendesign und zur
Einbindung der Patienten auf Augenhöhe ist ein multidisziplinäres
Expertenteam erforderlich.
 Langzeitige Nachsorge muss gewährleistet sein
 Strikte Beachtung von Einschlusskriterien
B: Schutz der Autonomie der Studienteilnehmer
 Kompetenz – Assesssment
 Nachweis wirksamer Einwilligungen unter Beachtung der
Vulnerabilität
 Regularien zum Schutz der Privatsphähre der Studienteilnehmer
 Keine unfairen Anreize zur Studienteilnahme
 Achtung des Schutzes vor Ausbeutung des Altruismus
C: Forschungsqualitätsmanagement
 Mit der THS erfahrene Studienorte
 Unabhängige Begutachtung der Studienprotokolle
 Gewährleistung einer Langzeitnachsorge
 Nachvollziehbare Outcome – Messungen: Lebensqualität,
psychosoziale Parameter; sensitive, reliable, valide Bestimmung
von Persönlichkeitsmerkmalen und von neuropsychologischen
Merkmalen
 Langzeitmessungen (>48 Monate) zur Erfassung von
Hybridisierungseffekten
 Erfassung
der
Nebenwirkungen
(intraoperativ,
stimulationsbedingt) und Wechselwirkungen mit vergleichbaren
zweckmäßigen Therapien
 Einbindung
rechtlicher
und
ethischer
Beratung
der
Studienteilnehmer und der Studienleitung
D: Transparenz
 Nachvollziehbare Rekrutierung der einzelnen Studienteilnehmer
 Darlegung von Interessenkonflikten und Interessen
 Intraoperative Trennung von Forschungsinteresse und
therapeutischem Vorgehen muss nachvollziehbar sein
 Verbot von Schein – THS - Operationen
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
110

Schutz der informationellen Freiheit der Studienteilnehmer
(Unantastbarkeit der Selbstbestimmung über die persönlichen
Daten) bei der Einrichtung von Studienregistern
E: Nutzen für spätere Patienten
 Alle Heilversuche müssen in klinische Studien inkludiert werden
 Vergleichbarkeit der Studiendesigns sollte hergestellt werden
F: Schutzbarrieren für vulnerable Patientengruppen
 Ausschluss von Heimbewohnern, Gefängnisinsassen, Minderjährigen, Langzeitbehandelten in Kliniken, Ausschluss von
schweren Hirnatrophien.
3.2 Die Umsetzung ethischer Leitlinien zur THS im therapeutischen
Kontext
3.2.1 Die Umsetzung ethischer Leitlinien zur THS beim M.
Parkinson (iPS)
Nach den vorliegenden Studien kann der THS ein beträchtlicher
Zusatznutzen beim fortgeschrittenen idiopathischen Morbus Parkinson als
potente Behandlungsmethode bei Fluktuationen, Dyskinesien, Tremor, auf
die Bewegungsverbesserung und die Lebensqualität, zugesprochen
werden.
Zu den alternativen Behandlungsmethoden in dem fortgeschrittenen
Stadium des iPS (Duodopapumpe, Apomorphinpumpe) sind eingehende
Informationen mit Risiken und Nebenwirkungen, sowie Vorteilen (kann von
Angehörigen und Pflegepersonal oder selbständig appliziert werden)
darzulegen.
Das biologische Alter sollte nicht über 70 Jahre liegen (Beachtung der
Plastizität).
Bildgebende Verfahren (NMR, PET, CCT) sind präoperativ und
postoperativ obligat. Fortgeschrittene Hirnatrophie als Kontraindikation.
Es sollte eine partizipative Behandlungsplanung (Angehörige,
medizinisches Fachpersonal) angestrebt werden.
Die Erstellung einer Vorausverfügung (Odysseus Pakt) im Hinblick auf nicht
vorhersehbare personale Änderungen (Manie, Impulskontrollstörung,
Depression), mögliche Verschlimmerungen der Erkrankung mit einer
höherstufigen Pflegebedürftigkeit, sollten berücksichtigt werden, und bei
einer eingeschränkten oder Einwilligungsunfähigkeit eine Pflegschaft mit
dem Wirkungsbereich der Gesundheitsfürsorge eingerichtet werden.
Die Risiken der THS sind eingehend darzulegen und Vorinformationen
(Medien, Internet) berücksichtigt werden um realistische Erwartungen zu
erarbeiten. Die THS ist beim idiopathischen Morbus Parkinson als ultima
ratio den Kranken und den caregivers vorzustellen.
Wegen der postoperativen psychosozialen Anpassungsstörungen und der
psychiatrischen Nebenwirkungen ist die Auswahl der Patienten sorgfältig zu
treffen. Anamnestisch bekannte Suizidversuche, schwere depressive
Episoden, bipolare Störungen sind Ausschlusskriterien.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
111
Mit Narrationen (Erfassung des Wertesystems) und psychologischen
Testverfahren in der voroperativen Phase soll die Authentizität der
Lebensführung, und die spezifischen Persönlichkeitsmerkmale erfasst
werden. Die Erfassung der Lebensqualität ist obligat.
Morphometrische und funktionelle Bildgebung des Gehirns ist vor und nach
dem Eingriff zur Zielortbestimmung und Folgenabschätzung, sowie zur
Therapieziel-bestimmung durchzuführen.
Ein eingehendes neuropsychologisches Assessment sollte zur Erfassung
der Kognition und der Emotionalität erfolgen.
Der im wachen Zustand durchgeführte neurochirurgische Eingriff sollte
wiederholte Prüfungen zum informed consent vorsehen.
Intraoperatives Mapping sollte mit Abgrenzung von therapeutischem,
innovativem/forschungsbedingtem Interesse vor der Operation festgelegt
werden.
Die Anzahl und der Ort der eingepflanzten Elektroden sollte vorher
festgelegt werden, eine Minimalisierung ist anzustreben, da die
Komplikationsrate (Blutungen, Infektionen) mit der Anzahl der implantierten
Elektroden signifikant ansteigt, und die Nebenwirkungen von der
Lokalisation abhängt.
Eine aktive interdisziplinäre Nachsorge (mindestens 24 Monate) mit festen
Konsultationsintervallen in der neurochirurgischen Klinik (THS-SystemTechnikprüfung,
bildgebende
Verfahren)
mit
einer
psychiatrischen/psychologischen Konsultation (Partnerschaftssituation
aktiv ansprechen) sollte verpflichtend sein.
Notfallkonsultationen sind voraus zu indizieren
mit konkreten
Verhaltensaufforderungen.
Die Aufnahme in ein Studienregister ist zu empfehlen.
Ab
Elektrodenimplantation
bestimmt
der/die
Kranke
das
Abschalten/Aufrechterhalten der THS (off/on-Phasen).
Beachtung der Revidierbarkeit:
Der Kranke schädigt andere oder sich selbst.
Therapieziel konnte nicht erreicht werden; Schaden überwiegt signifikant
die Vorteile.
Es wird entsprechend der Vorausverfügung verfahren oder eine Pflegschaft
(Vormundschaftsgericht) eingerichtet falls keine Entscheidung möglich ist.
3.2.2 Die Umsetzung ethischer Leitlinien zur THS beim Tourette
Syndrom
Bei der Behandlung des TS kann ein quantifizierbarerer Zusatznutzen mit
der THS nicht angegeben werden.
Die THS wird an einem anatomisch nicht veränderten (normalen) Gehirn
vorgenommen.
Die Schwere der Erkrankung ist nicht standardisiert festzulegen. Häufigkeit
und Intensität der Symptome, sowie Stigmatisierung und Defiziten der
sozialen Teilhabe mit Lebensqualitätsdefiziten, Beeinträchtigungen der
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
112
selbständigen Lebensführung, sind zu bestimmen. Die Erfassung der
personalen Identität vor dem Krankheitsbeginn ist meistens nicht
hinreichend möglich.
Die medikamentösen Behandlungsalternativen haben teilweise schwere
Nebenwirkungen, und sind nicht grundsätzlich zumutbar (Klärung der
Therapieresistenz).
Die neuronale Netzwerkbestimmung, die THS Zielorte, sind für das TS
strittig.
Eine hohe Komorbiditätsrate (Zwang, Depression, Angst, Autoaggression)
mit psychiatrischen Erkrankungen ist die Regel, eine Mitbehandlung ist
anzustreben.
Prognostische Aussagen zum Verlauf bis zur späten Pubertät sind nur vage
zu treffen.
Die Durchführung eines Therapiealgorithmus mit Psychoedukation,
Verhaltenstherapie,
zumutbarer
Psychopharmaka
Behandlung,
Selbsthilfeteilnahme, ist vor einer THS zumutbar.
Bei schwerer therapierefraktärer TS Krankheit ist die partizipative
Behandlungsplanung in einem multidisziplinären Behandlungsteam mit
Therapie - Erfahrung obligat.
Videodokumentation der Störung vor und nach dem THS Eingriff ist zu
empfehlen.
Stimulationsbedingte Nebenwirkungen mit Müdigkeit, Energieverlust und
Schwindel, Sehstörungen, sind darzulegen.
Die Aufnahme in ein Studienregister ist zu empfehlen.
Intraoperatives Mapping, Ausweitung der Zielorte (Komorbidität mit Zwang)
vorauszuplanen, einschließlich intraoperativem Stopp zum informed
consent rating.
Eine Langzeit - Nachsorge (meist junge Patienten) ist obligat wegen der
Gewebe-Elektroden-Interaktion, einer komplexen Neurorehabilitation zur
Ermöglichung einer selbständigen Lebensführung.
Ab
Elektrodenimplantation
bestimmt
der/die
Kranke
das
Abschalten/Aufrechterhalten der THS (off/on-Phasen).
Beachtung der Revidierbarkeit:
Der Kranke schädigt andere oder sich selbst. Das Therapiezil wurde nicht
erreicht.
Es wird entsprechend der Vorausverfügung verfahren oder eine Pflegschaft
(Vormundschaftsgericht) eingerichtet falls keine Entscheidung möglich ist.
Die Richtlinien wie unter 3.1. dargestellt sind zu beachten.
3.2.3 Umsetzung ethischer Leitlinien zur THS bei der schweren
Zwangserkrankung (OCD)
Zur Behandlung von Zwangsstörungen stehen effektive Behandlungsoptionen (Medikation, Verhaltenstherapie) zur Verfügung, deren
neurobiologische Zielstrukturen zu einem besseren Verständnis der
pathophysiologischen Veränderungen beigetragen haben.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
113
Trotzdem dauert es im Durchschnitt mehr als 10 Jahren bis eine
zweckmäßige Therapie aufgenommen wird. Dazu tragen einerseits
krankheitsbedingte Abwehr (Scham, Zweifel) und Diskriminierungsbefürchtungen bei, andererseits ist die Unkenntnis der Ärzte und die
ungenügende Versorgung mit ausgebildeten Verhaltenstherapeuten zu
beklagen.
Die globale Effektivität einer kombinierten Behandlung von
Zwangserkrankungen mit Medikation (SSRI) und Verhaltensexposition von
70-80% bei einer Standardtherapie wird somit nur von relativ wenigen
Kranken erreicht. Die Behandlungsdauer von mindestens 12-24 Monaten,
die Einbindung der Angehörigen in die Zwangsrituale, tragen meistens zu
einer insuffizienten Behandlung bei.
Die Bestimmung der Therapieresistenz muss deshalb die individuelle
Belastung und die Belastung der Angehörigen, sowie die Einschränkungen
der sozialen Teilhabe (ICF) mit einbeziehen.
Seit knapp 20 Jahren wird die TSH bei schwersten Krankheitsstadien der
OCD mit einer Responserate von fast 40% mit beträchtlichem Zusatznutzen
(seit 2009 europäische Zulassung) als innovative Methode eingesetzt.
Die routinemäßige Implementierung der THS bei neuropsychiatrischen
Erkrankungen sollte in dem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem,
neben einer technischen Sicherheitsprüfung, die Hinzuziehung einer
multidisziplinären Expertenkommission (bei der Indikationsstellung und der
Verlaufskontrolle), mit der Begutachtung durch unabhängige Fachvertreter,
analog der Richtlinienpsychotherapie, zur obligaten Voraussetzung
machen.
Die THS wird an einem anatomisch nicht veränderten (normalen) Gehirn
vorgenommen.
Therapieziel ist die Verbesserung der sozialen Teilhabe (ICF) und die
Ermöglichung einer selbstbestimmten Lebensplanung, neben einer
Reduzierung der Symptomatik.
Der meist langjährige Verlust einer selbstbestimmten Lebensführung durch
die Zwänge, die Stigmatisierung und Diskriminierung, erfordert eine
partizipative Behandlungsplanung. Eine individuelle Therapiezielbestimmung ist geboten, da der Stimulationsort verfehlt werden kann und
unbeabsichtigte Wirkungen induziert werden können.
Vor und nach einer THS und im weiteren Verlauf der Nachsorge sind PET
Untersuchen, CCT–Kontrollen, nach einem festen Zeitplan, und im Notfall,
einzuplanen.
Transiente neurologische Nebenwirkungen durch Blutungen, Infektionen
mit einem Halbseitensyndrom, sowie Wesenänderungen mit Apathie
(Manie), lassen sich nicht individuell vorhersagen, sind Bestandteil der
Aufklärung.
Die Aufnahme in ein Studienregister ist zu empfehlen.
Intraoperatives Mapping, Ausweitung der Zielorte (Komorbidität mit Zwang)
ist vorauszuplanen, einschließlich intraoperativen Stopps zum informed
consent rating.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
114
Eine Langzeit - Nachsorge ist wegen der Ausbreitungseffekte der
Dauerstimulation, und der Förderung der selbständigen Lebensführung,
bei veränderten Beziehungsstrukturen, obligat.
Ab
Elektrodenimplantation
bestimmt
der/die
Kranke
das
Abschalten/Aufrechterhalten der THS (off/on-Phasen).
Beachtung der Revidierbarkeit:
Der Kranke schädigt andere oder sich selbst. Es wird entsprechend der
Vorausverfügung verfahren oder eine Pflegschaft (Vormundschaftsgericht)
eingerichtet falls keine Entscheidung möglich ist.
Therapiezielverfehlung und Revision der THS. Hierzu diskutiert Schermer
(2013) die Problematik von Gesundheitskonzeptionen und dem Human
Enhancement
(Schöne.-Seifert, 2009)am Beispiel einer schweren
Zwangsbehandlung mit THS (Humanitarian Device Exemption program) bei
der es zu einem dissoziativen Erleben (Parathymie) von „Glücksgefühl“
ohne
Veränderung der Zwangssymptomatik gekommen ist. Der
behandelnde Psychiater hat zum Entfernen der Elektroden geraten, dem
die Patientin nicht zugestimmt hat („To treat, not to Enhance“). Schermer
diskutiert ob das induzierte Glücksgefühl, da es nicht stimmig mit der
Lebenswelt der Patientin ist, und ein Induktionseffekt der THS ist, nicht als
autonome Entscheidung zu bewerten ist. Andererseits wird das Argument
angeführt, dass die Entscheidung der Kranken für den veränderten
Persönlichkeitszug unter rationaler Abwägung zu deren Genese und den
Konsequenzen für die weitere Lebensführung durchaus als autonom und
authentisch bewertet werden könnte. Letztlich ist es die Frage ob der
behandelnde Arzt bereit ist die Entscheidung dafür mit zu übernehmen,
oder ob er sich entsprechend seinem ärztlichen Auftrag anders
entscheidet.80(Schermer, 2013)
Die Richtlinien wie unter 3.1. dargestellt sind zu beachten.
3.2.4 Die Umsetzung ethischer Leitlinien zur THS bei
therapieresistenten depressiven Erkrankungen
Bei depressiven Erkrankungen stehen die Behandlungsalgorithmen in Form
von nationalen Versorgungsleitlinien,
einschließlich der schweren
Verlaufsformen, als psychosoziale multidisziplinäre Intervention zur
Verfügung.
Die Versorgungsstrukturen und die Kenntnis diagnostischer und
therapeutischer Behandlungsoptionen werden nur von knapp der Hälfte der
Kranken zweckmäßig (leitliniengerecht) wahrgenommen.
80 Moreover, the goals of medicine do not function as a static set of aims and limits, but as a normative
framework for discussing what we as a society want and expect doctors to do ... but there are some good
reasons for limiting the kind of things doctors are required or allowed to do. Zhese include moral reasons such
as the best interest of the patient, and justice with regard to the use of scarce medical resources, but also more
pragmatic reasons such as the limits of medical knowledge and expertise.“(Schermer,2013,S.444)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
115
Die Bestimmung der Therapieresistenz richtet sich somit nach den
zumutbaren Interventionsangeboten in der Region und muss individuell
erfolgen. Die depressive Erkrankung sollte mindestens 2 Jahre als schwere
Form anhalten, und eine EKT (falls akzeptiert) ohne Effekt durchgeführt
worden sein.
Die THS wird an einem anatomisch nicht veränderten (normalen) Gehirn
vorgenommen. Ein positiver Effekt wurde zufällig bei der Anwendung der
THS gefunden.
Bei der Bestimmung der Therapieziele ist die partizipative
Behandlungsplanung (multidisziplinär) obligat um die selbstbestimmte
Kontrolle über jeden Therapieabschnitt für die Kranken zu garantieren. Dem
Druck nach Anpassung des Kranken an „vorgegebene Verhaltensnormen“
(Familie, Klinik, Heim) muss besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden,
insbesondere ist auf die Förderung einer autonomen Lebensführung mit
authentischen Präferenzstrukturen zu achten. Bei Therapieresistenz ist der
Einsatz der THS mit den Kranken und den caregivers als ultima ratio zu
besprechen.
Therapieziel bei therapieresistenten depressiven Erkrankungen ist die
Förderung der selbstbestimmten Lebensführung (Ermöglichung einer
personalen Identität), und die Förderung der sozialen Teilhabe (ICF), sowie
eine signifikante Reduzierung der Kardinalsymptome (Antrieb, Interesse,
Stimmung). Die Orientierung an den Präferenzen und Werten der Kranken
sollte bei der Graduierung der Autonomie und der Authentizität normativ
bestimmend sein, was nur in einem interdisziplinären Expertenteam erreicht
werden kann.
Die Bildgebung (fNMRI, PET Kontrollen) soll bei der Therapiezielklärung die
anteriore cinguläre Cortexfunktion (Verbesserung der Selbstkontrolle)
berücksichtigen. (Schenhav, 2013) Entscheidungs-fähigkeit als Basis der
Kompetenz zu einer gültigen Einwilligung ist als Therapieziel voran zu
stellen.
Bei der Langzeitnachsorge steht die nachreifende Entwicklung der
Persönlichkeit, das empowerment zur sozialen Teilhabe, im Vordergrund,
so dass ein Zeitraum von 2 – 5 Jahren einzuplanen ist.
Die Aufnahme in ein Studienregister ist zu empfehlen.
Ein intraoperatives Mapping, eine Ausweitung der Zielorte (Komorbidität mit
Zwang, Beeinflussung der Kognition) ist vorauszuplanen, einschließlich
intraoperativem Stopp zum informed consent rating.
Vor und nach einer THS und im weiteren Verlauf der Nachsorge sind PET
Kontrollen, CCT Kontrollen, ggf. fNMRI, nach einem festen Zeitplan, und im
Notfall, einzuplanen.
Eine Langzeit - Nachsorge ist wegen der Ausbreitungseffekte bei der
Dauerstimulation, wegen
der
Förderung der
selbstbestimmten
Lebensführung, bei veränderten sozialen Beziehungsstrukturen, obligat.
Ab
Elektrodenimplantation
bestimmt
der/die
Kranke
das
Abschalten/Aufrechterhalten der THS (off/on-Phasen).
Beachtung:
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
116
Der Kranke schädigt andere oder sich selbst. Es wird entsprechend der
Vorausverfügung verfahren oder eine Pflegschaft (Vormundschaftsgericht)
eingerichtet falls keine Entscheidung (mutmaßlicher Wille) möglich ist.
Bei einer Indikationsausweitung auf leichtere depressive Syndrome sind die
Ziele und Risiken eines Neuroenhancements gegenüber therapeutischen
Zielen zur Gesundheitsverbesserung, unter Berücksich-tigung des
ärztlichen Ethos der Behandler, abzuwägen.
Die Richtlinien wie unter 3.1. dargestellt sind zu beachten.
3.2.5 Die Umsetzung ethischer Leitlinien zur THS bei
Abhängigkeitserkrankungen Erkrankungen (SUD)
Bei langjähriger Substanzabhängigkeit kommt es zu einer funktionellen
Veränderung der Gehirnfunktionen mit einer Einengung der Lebensführung
(Verlust der Steuerungsfähigkeit) und einem Verlust der sozialen Teilhabe.
Der Beginn der Abhängigkeit liegt regelmäßig in frühen Lebensspannen
(Pubertät), wobei die individuelle Gesamtbehandlungsplanung eine
suchtherapeutische Konzeption (Motivationsphase, Therapiephase,
Adaptionsphase, Rehabilitationsphase) beinhaltet, und sozialmedizinisch
(gesundheitspolitisch) von einer Präventionshaltung getragen werden
muss.
Eine positive Wirkung auf die Substanzabhängigkeit wurde zufällig
festgestellt (Alkohol, Tabak) wobei eine längere Latenzzeit bis zur
Änderung der Sucht.
Eine Sucht-Therapie, die auf
motivationsfördernde Interventionen
verzichtet stellt eine besondere ethische Herausforderung dar, da die
Beachtung volitionaler Anteile anders bewertet werden muss (Birbaumer,
2014), und die Selbststeuerung nicht bewusst in einem authentischen
Lebensplan (Präferenzstruktur) erfolgt. Von Glannon werden keine
theoretischen Probleme darin gesehen ob die Steuerung durch eine THS
unbewußt erfolgt oder durch einen bewussten Akteur. (Glannon, 2014)
Hierzu wird bei der Diskussion zum
pharmakologischen
Neuroenhancement von Kipke u.a. (2010) vermerkt, dass „die abrupte
Veränderung von Persönlichkeitsmerkmalen durch Neuroenhancement, die
biographische Kohärenz zu beschädigen (droht), die bei allmählichen
Selbstformungsprozessen eher gewahrt bleibt. Schließlich verhindert die
pharmakologische Stärkung von Eigenschaften die Erfahrung der
Selbstwirksamkeit, die bei der mentalen Arbeit an sich selbst in
besonderem Maße auftritt.“(ebd.,S.4) Die für pharmakologisches
Neuroenhancement angeführten ethischen Argumente lassen sich
problemlos auf die THS Einwirkungen bei Substanzabhängigkeit
übertragen.
Bei einer Unbestimmtheit des Akteurs verstärkt sich die Gefahr einer
Anpassung an externe Verhaltensnormen, so dass eine multidisziplinäre
Expertenkommission wiederholt die Erlebens,- und Verhaltensänderungen
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
117
begutachten sollte. „Es sind empirisch überprüfbare Kriterien dafür zu
entwickeln, wann der Patient als autonom anzusehen ist und wann
nicht.“(Breitsamer,2011,S. 74)
Wegen der Gefahr der Kontrolle durch gesundheitspolitische (juristische)
Instanzen mit externen Therapiezielen (Anpassung, Anreiz zur
Strafmilderung) verbietet sich der Einsatz der THS bei Gefängnisinsassen
(Forensische Kliniken).81
Völlig offen ist bisher der Zeitpunkt der Indikationsstellung
(Krankheitsschwere, Folgekrankheiten)
für eine THS. Die zu
stimulierenden Zielstrukturen sind strittig. Die notwendige Dauer der
Stimulation zur Veränderung suchtrelevanter Erlebens,- Verhaltensmerkmale ist ungeklärt. Die Aufrechterhaltung einer medikamentösen
Begleittherapie ist ungeklärt.
Langjährige Substanz-Abhängigkeitserkrankungen induzieren regelmäßig
morphologische Hirnveränderungen und redzieren die Plastizität der
Hirnfunktion. Die Auswirkung der Veränderungen auf die Effektivität der
THS ist ungeklärt.
Therapiezielbestimmungen sind in einem Gesamtbehandlungsplan
individuell und substanzspezifisch festzulegen. Eine nicht durch Drogen
bestimmte Lebensgestaltung ist anzustreben.
Die Förderung einer
selbstbestimmten Lebensführung (Ermöglichung einer personalen
Identität), und die Förderung der sozialen Teilhabe (ICF), sowie eine
signifikante Reduzierung der psychologischen Suchtmerkmale ist
anzustreben. Die Orientierung an den Präferenzen und Werten der Kranken
sollte bei der Graduierung der Autonomie und der Authentizität normativ
bestimmend sein.
Bei der Langzeitnachsorge steht die nachreifende Entwicklung der
Persönlichkeit, das empowerment zur sozialen Teilhabe im Vordergrund, so
dass ein Zeitraum von mindestens 5 Jahren einzuplanen ist.
Die Aufnahme in ein Studienregister ist zu empfehlen.
Ein intraoperatives Mapping, eine Ausweitung der Zielorte (Komorbidität mit
Zwang, Beeinflussung der Kognition) ist vorauszuplanen, einschließlich
intraoperativen Stopps zum informed consent rating.
Vor und nach einer THS und im weiteren Verlauf der Nachsorge sind PET
Untersuchen, CCT–Kontrollen, nach einem festen Zeitplan, und im Notfall,
einzuplanen.
Nach der Elektrodenimplantation sollte der/die Kranke das Abschalten/Aufrechterhalten der THS (off/on-Phasen) bis zur Konsolidierungsphase
(ca einem Jahr) in Abstimmung mit mindestens zwei nichtoperativ tätigen
Experten zu festgelegten Zeitpunkten, abstimmen; es sei denn es ist eine
neurochirurgisch bedingte und zu klärende Komplikation zu beachten.
Beachtung der Reversibilität:
Der Kranke schädigt andere oder sich selbst. Es wird entsprechend der
Vorausverfügung verfahren oder eine Pflegschaft (Vormundschaftsgericht)
eingerichtet falls keine Entscheidung möglich ist.
81 Siehe auch die Diskussion zur Therapie psychopathischer Persönlichkeiten mit neurotherapeutischen
Interventionen bei Birbaumer,N, Zittlau,J Dein Gehirn weiss mehr, als du denkst. Neuste Erkenntnisse aus der
Gehirnforschung. Ullstein Buchverlage, Berlin, 2014
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
118
Die Richtlinien wie unter 3.1. dargestellt sind zu beachten.
3.2.6 Die Umsetzung ethischer Leitlinien zur THS bei Morbus
Alzheimer
Demenzielle Erkrankungen bedrohen die Rationalität und die
Unabhängigkeit von Menschen und stellen uns vor spezielle Herausforderungen für die Bewertung der Lebensqualität.
Mit einem verlängerten Leben erhöht sich die Wahrscheinlichkeit an Morbus
Alzheimer zu erkranken. Die Hoffnungen der molekularen Genetik und der
Medikation haben sich nicht erfüllt um notwendige Hilfen zur Bewältigung
der Krankheitslasten zu verbessern. Der Verbesserung der Pflege von
Demenzkranken gilt somit die erste gesundheitspolitische Priorität.
Ethische Herausforderungen ergeben sich entsprechend der Schwere der
Demenz für die klinische Forschung und die Therapie, unter
Berücksichtigung der Prinzipen der Autonomie, der Fürsorge, des NichtSchadens, und der Gerechtigkeit (Fairness bei gesundheitspolitischen
Entscheidungen). Kasuistische und narrativ ethische Konzeptionen müssen
ergänzend berücksichtigt werden um der Komplexität der medizinethischen
Aufgabe gerecht werden zu können. (Whitehouse, 2000)
Die Diagnose Aufklärung von Menschen mit einer „leichten kognitiven
Funktionsstörung“ (ICD-10:F06.7) (Mild Cognitive Impairment, MCI) bedarf
besonderer Sorgfalt wenn prädiktive Tests eingeschlossen werden sollen.
Die psychologischen Testverfahren ergeben in diesem Stadium normale
Werte, ein subjektiver Leidensdruck ist bestimmend. Ausschluss der
autosomal dominanten Form der Erkrankung (Mutationen der
Chromosomen 1,14,21),
Testung mit apo E, und die Bildgebung
(Hippocampus- NMR, PET-Amyloid). Die Übermittlung der Information und
die sich hieraus ergebenden psycho-sozialen (Suizidalität, Diskriminierung,
kulturspezifische
Informationsübermittlung,
familiäre
Belastungen)
Handlungsspezifitäten sind individuell im Dialog zu bedenken. Ebenso ist
die Frage einer Prävention (Vitamin E, Nonsteroidale Antientzündliche
Medikamente, Neuroenhancement–Medikation) zu besprechen. Die
Einrichtung einer Vorsorgevollmacht, eines Patiententestaments, die
Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe sind zu bedenken. Standardtherapien
für die MCI gibt es nicht.
Einschränkungen der Kompetenz für eine wirksame Einwilligung sind in
diesem Stadium nicht zu begründen.
Wegen der Unsicherheit der Prognose, dem Risiko eines
neurochirurgischen Eingriffs, sowie fehlender neuronaler Konzepte und
fehlendem Rationale für eine neuronale Stimulierungsindikation, lässt sich
die THS in diesem Stadium (MCI) nicht rechtfertigen.
Das Konsensuspapier europäischer und amerikanischer Medizinethiker
fasst die Herausforderungen für die zukünftige öffentliche Debatte in Form
von Schlüsselfragen für die „late onset Alzheimer´s Forschung“ nach
Stadien der Erkrankung zusammen. (Schicktanz, 2014) Dazu wird in dem
folgenden Kapitel ausführlicher Stellung bezogen.
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
119
Bei der Auseinandersetzung mit den ethischen und psychiatrischen
Implikationen des „Hirn-Doping“,(„Cognitiven Enhancement“, „Brainbuster“) (Galert, 2009, Soyka, 2009, Hinterhuber, 2010) wird von Galert,T
u.a. (2009) argumentiert, dass dies „im Sinne eines zum Menschen
gehörenden geistigen Optimierungsstrebens mit anderen Mitteln“ zu
rechtfertigen ist. Aus suchtmedizinischer und psychiatrischer Sicht wird
angeführt, dass einige der Substanzen nicht die „Denkleistung“ steigern,
sondern „zu einer Überschätzung der kognitiven Fähigkeiten“ führen.
(Soyka, 2009) Kipke u.a. (2010) weisen in diesem Zusammenhang auf das
revidierte neurobiologische Suchtkonzept hin, und problematisieren die
Abhängigkeitsgefährdung aus psychiatrischer und ethischer Sicht. Es stellt
sich unter anderem auch die Frage, “warum das Sport-Doping weiterhin
verboten bleibt, während das „Hirn-Doping“ unter dem Namen „Cognitives
Enhancement“ oder „Brainbuster“ liberalisiert werden sollte,“ zumal
suchtmedizinische Risiken und Fragen zur Chancengleichheit die
öffentliche Debatte zu wenig berührt haben. (Hinterhuber,2010,S.277)
Fragen zum Neuroenhancement sind somit weiterhin strittig. (Kipke, 2010)
Zum jetzigen Zeitpunkt sind die Risiken einer THS zum Neuroinhancement
sicher noch zu riskant, wobei zukünftige technische Entwicklungen mit
neurophysiologischen Minimalisierungstechniken und Nanostrukturen
(„Elektoceuticals“) neue Herausforderungen in diesem Bereich erwarten
lassen.
Im moderaten (mittleren) Stadium einer Demenzerkrankung ist bei der
Diagnose Aufklärung sorgfältig die Frage zu klären ob die Kompetenz zur
wirksamen Einwilligung eingeschränkt oder aufgehoben ist (hypothetische
Vignetten). Die psychologischen Tests und die Alltagsbewältigung lassen
signifikante Defizite konstant nachweisen. Bildgebende Verfahren sind
signifikant verändert.
Die für dieses Demenzstadium zugelassenen Medikamente (Donepezin als
Referenz) sind mit vertretbaren Nebenwirkungen verbunden, müssen
individuell indiziert werden, haben nur geringen Nutzen.
Therapieziel ist der Erhalt und die Förderung sowie die Rehabilitation der
Selbstständigkeit, die Verhinderung von schädigenden Handlungen, die
Stabilisierung der Lebensqualität.
Im moderaten Stadium stellen sich komplexe ethische Herausforderungen
der Teilnahme an klinischer Forschung, sodass die Beteiligung einer
klinischen Ethikkomission beratend notwendig ist.
Die Entnahme von Blut und die molekulargenetische Analyse, die
Bildgebung, die Teilnahme an riskanten invasiven Eingriffen (THS)
betreffen das Recht auf Privatheit, auf informationelle Selbstbestimmung,
den Schutz vor Ausbeutung des Altruismus, die Forschungsfreiheit und das
Recht auf Schutz der Autonomie und den Anspruch auf eine
menschenwürdige Teilhabe (Wohnung, Ernährung, Kommunikation,
Pflege, Therapie).
Ein intraoperatives Mapping, eine Ausweitung der Zielorte (Komorbidität mit
Zwang, Beeinflussung der Kognition) ist vorauszuplanen, einschließlich
intraoperativen
Stopps
zum
informed
consent
rating
(Stellvertreterentscheidung berücksichtigen).
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
120
Vor und nach einer THS und im weiteren Verlauf der Nachsorge sind PET
Untersuchen, CCT–Kontrollen, psychologische Testungen, nach einem
festen Zeitplan, und im Notfall, einzuplanen.
Beachtung der Reversibilität:
Die Krankheit verschlechtert sich signifikant. Der Kranke schädigt andere
oder sich selbst. Es wird entsprechend der Vorausverfügung verfahren oder
eine Pflegschaft (Vormundschaftsgericht) eingerichtet falls keine
Entscheidung möglich ist.
Die Richtlinien wie unter 3.1. dargestellt sind zu beachten.
Im schweren (end-stage) Stadium der Demenz werden die ethischen
Herausforderungen
der
Langzeitpflege,
der
Behandlung
von
Akutkrankheiten (Familien, -Gemeindezentriert), dem Anspruch auf
solidarische Finanzierung von Wohnung und Pflegeassistenz zur Geltung
zu verhelfen, die Regelung von Sterbehilfe, vorrangig.
Die Durchführung einer THS ist (aufgehobene Plastizität) schweren und
individuell beurteilt im moderaten Demenzkrankenstadium verboten.
3.2.7 Die Schutzpflichten gegenüber den Neuropsychiatrisch
Kranken: Zur Public Health Ethik - Geht es gerecht zu?
Als Bereich der angewandten Ethik ist die Public Health Ethik mit dem
Gegenstand der Gesundheit von Bevölkerungsgruppen, insbesondere
vulnerablen Personengruppen befasst.
In der Ottawa Charta der WHO zur Gesundheitsförderung (1986) wurde
bereits
die
„Bedeutung
der
Gesundheit
für
Wohlergehen,
Selbstbestimmung und Chancengleichheit der Menschen“ betont, und dass
„die Verantwortung für Gesundheitsförderung nicht nur beim
Gesundheitssektor,
sondern
bei
allen
Politikbereichen“
liegt.
(Wiesing,2012,S.509)
Die ethischen Konzeptionen und die Rahmenbedingungen der Public
Health Ethik werden von Petrini (2010) überblickartig dargestellt. Er definiert
die Zukunft des Public health Konzepts „in which public health is defined as
„what we, as a society, do collectively to assure the conditions for people to
be healthy.“(ebd., S.189) Es wird auf den Public Health Code of Ethics
(American Public Health Association, Euro Public Health Ethic Network)
Bezug genommen und die hieraus entwickelten zwölf Prinzipien dargestellt,
insbesondere die „lighthouse values“ nach Raymond Massé aufgelistet als:
„respect for life, beneficience, the common good, responsibility, solidarity,
nonmaleficience, autonomy, privacy, utility, and precaution,“ welche die
Grundlage einer Legalisierung des Public Health Ansatzes ermöglichen.
(Petrini, 2010)
Das biopsychosoziale Gesundheitskonzept betont die Bedeutung von
sozialen Gesundheitsbedingungen und die Vulnerabilitäten von denjenigen,
die Diskriminierung und Stigmatisierung in verstärktem Ausmaß erfahren.
Wenn Gesundheit die „Grundvoraussetzung für die Verwirklichung von
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
121
Lebenszielen und damit für eine Chancengleichheit in der Gesellschaft“
bedeutet, (Wiesinger,2012,S.511) dann ist es aus sozialstaatlichen
Grundsätzen geboten den Zugang zur medizinischen Versorgung ohne
diskriminierende Einschränkungen allgemein zu gewährleisten.
Die einschlägigen WHO Studien weisen bei den chronischen
neuropsychiatrischen Erkrankungen (NMSD) auf eine hohe Vulnerabilität
hin, und dass diese bei der Allokation von Gesundheitsausgaben
unverhältnismäßig geringe Beachtung erfahren. Während primärpräventive
Maßnahmen hier nicht zur Diskussion stehen
(Frühförderung der
Selbstwirksamkeit, Konfliktverarbeitung, Stress-bewältigung) werden den
somatischen Behandlungsverfahren (kurative Medizin) ein nicht zu
rechtfertigendes Gewicht beigemessen.
Der soziale Gradient bei der Morbidität (Krankenlast) und Mortalität
(Depression
als
Risikofaktor
für
Herz-Kreislauf-Erkrankungen,
Substanzabhängigkeit und Kriminalität), der schichtenspezifisch graduierte
Zugang
zu
den
Versorgungsstrukturen
stellen
überzeugende
gerechtigkeitsethische Argumente für eine Verbesserung der Ermöglichung
des Zugangs für neuropsychiatrische Standardtherapien dar. Die
solidarische Finanzierung von sozialpsychiatrischen Interventionen mit
einer kohärenten Einbindung der individuellen Lebensplanungen in
institutionelle Maßnahmen zum Schutz vor Diskriminierung und Verarmung
(Wohnung, Grundfinanzierung, Zugang zu medizinischer Versorgung,
soziale Kommunikation) schwer Kranker ist in einem Sozialstaat zum
Schutz der Menschenwürde nicht verhandelbar.
Wenn in Deutschland Depressionen nur in ca 50-60% eine
Leitlinientherapie erhalten, wenn es bei Zwangskranken bis 10 Jahre und
länger dauert bis zweckmäßige Therapien erfolgen, wenn zweckmäßige
Suchttherapien nicht in ausreichendem Maße wahrgenommen werden
können, und das Abgleiten in die Illegalität vorprogrammiert ist, dann muss
vor einer Implementierung einer somatischen Behandlung für diese
Erkrankungen, die nur in wenigen Spezialzentren, mit einem hohen
finanziellen Aufwand, nur wenigen Patienten zugänglich sind, eine
sozialethische Bewertung, neben der medizinischen Indikation, zwingend
implementiert werden.82 Die Identifizierung und Priorisierung von Kranken,
deren beschädigte Gesundheit mit ein Resultat systematischer sozialer
Diskriminierung ist (the worse off), ist ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit.
(Kersting, 2000, Schmücker, 2002, Sen, 2009) Der Focus liegt somit nicht
auf der Gesundheit, sondern auf der
Gesundheitsförderung als
Gegenstand einer sozialen Gerechtigkeitstheorie. (Rogers,2014,S.77)
Public Health orientiert sich an „Wertsetzungen und Grundordnungen der
freiheitlich demokratisch verfassten Gesellschaften.“ (Wiesing,2012,S.510)
Bei den Substanzabhängigkeitserkrankungen ist die Frage der
Eigenverantwortung zu diskutieren. Unterschieden wird die prospektive
(Gesundheitsvorsorge) von der retrospektiven Perspektive (Eigenver82 „The pojnt of identifying vulnerable groups in public health practice is because vulnerability tracks increased
risk of ill health ... distinguish two different ways vulnerability to ill health is understood.“ Social vulnarbility –
economic, educational, financial, pccupational, social; medical vulnarability – chronic illness, dependence on
medication, increased need for health care, greater risk of morbidity (Rogers,2014, S.79)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
122
schulden) der Eigenverantwortung. Bei der ethischen Abwägung werden
die Problembereich der kausalen Verursachung, der Entscheidungsautonomie, sowie der normativen Standards, berücksichtigt, wobei deren
Anwendung, unter Beachtung der neurobiologischen Kenntnisse zur
Substanzabhängigkeit, auf nicht zu lösende Anwendungsschwierigkeiten
trifft. „Anstatt Menschen retrospektiv für gesundheitsschädliches Verhalten
zu bestrafen, sollte man prospektiv die Gesundheitsmündigkeit der
Versicherten stärken – nicht nur der Solidargemeinschaft zuliebe, sondern
auch zum wohlverstandenen Eigeninteresse des Einzelnen.“
(Wiesing,2012,S.515)
Während der idiopathische Morbus Parkinson sich zwanglos als
neurologische Erkrankung mit einer Fehlsteuerung subcorticaler neuronaler
Netzwerkstrukturen
und
Neurotransmitterfehlregulationen,
sowie
molekularbiologischer Fehlsteuerungen verstehen lässt, ergaben sich erst
durch die neuen Erkenntnisse der Neurowissenschaften für das Tourette–
Syndrom hinreichend plausible neurobiologische Erklärungs-ansätze.
Für das iPS stehen inzwischen für das schwere Stadium alternative
Behandlungsmethoden zur Verfügung, so dass die THS mit einer
wirksamen Einwilligung hinsichtlich Nutzen und Risiken individuell als
Standardtherapie
bei
einer
entsprechenden
medizinischen
Versorgungsstruktur (Stereotaxie), unter Einhaltung der Sorgfaltspflicht
(Psychiatrische Konsultation, Schutz vor nicht zu beeinflussenden
Nebenwirkungen, Nachsorge) indiziert werden kann. Die THS gilt als
ultima ratio und ist bei einer flächendeckenden neurochirurgischen
Versorgung für die Patienten zugänglich zu machen.
Beim Tourette-Syndrom ist, bei unklarer individueller Prognose, bei einem
frühen Krankheitsbeginn, für die Förderung der Selbstbestimmung, den
Schutz vor Diskriminierung und Stigmatisierung, sowie für die Ermöglichung
einer sozialen Teilhabe, einschließlich Hilfen für die Pflege in der Familie,
durch
Bereitstellung
institutioneller
Maßnahmen,
zu
sorgen.
Pharmakologische Behandlungen sind auf Zumutbarkeit und Effektivität zu
prüfen. Bei der Behandlung des TS kann ein
quantifizierbarerer
Zusatznutzen mit der THS nicht angegeben werden, sodass die
Intervention nur einzelnen sehr schwer Kranken als Heilbehandlung
zugänglich zu machen ist.
Die schweren Zwangserkrankungen hindern die Kranken an einer sozialen
Teilhabe und heben die Selbstbestimmung auf, so dass die Förderung der
Selbstwirksamkeit und der Ermöglichung einer authentischen
Lebensplanung oberste Priorität besitzt. Die verbesserte Aufklärung der
Grundversorger (Hausärzte, Hautärzte), die Verbesserung der
Früherkennung, die Zuführung der Kranken zu einer zweckmäßigen
Behandlung (SSRI, Verhaltenstherapie), sind aus ethischer Sicht, dringend
geboten. Effektive, zumutbare Behandlungsoptionen sind vorhanden,
werden nicht hinreichend wahrgenommen, oder stehen regional nicht
ausreichend zur Verfügung. Ein hinreichend plausibles neurobiologisches
Erklärungsmodell zur Pathogenese ist rational nachvollziehbar wobei die
psychologischen und somatischen Behandlungen auf neurobiologischer
Beobachtungsebene konvergieren. Es besteht weiterer Forschungsbedarf
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
123
um die Risiken, Nebenwirkungen und die Langzeitwirkungen bei der THS
besser abschätzen zu können. Analog den Psychotherapierichtlinien sollte
vor einer THS ein Gutachterverfahren etabliert werden.
Die Versorgungsleitlinien zu depressiven Erkrankungen berücksichtigen die
THS nicht. Fast die Hälfte der Kranken wird in Deutschland keiner
zweckmäßigen Behandlung zugeführt. Die psychopharmakologische
Behandlung ist zunehmend einer strittigen Diskussion ausgesetzt.(Bundesärztekammer, 2010, Hasler, 2012) Aus ethischer Sicht fordert
das bio-psycho-soziale Konzept der Depressionserkrankung eine
gesundheitspolitisch gleichwertige Allokation von Forschungsmitteln und
Behandlungsfinanzierungen im weitesten Sinne auf den drei Ebenen.
Primärpräventive Maßnahmen in der Frühförderung, die sozialmedizinischen (arbeitsmedizinischen) Interventionen zur Verhütung
psychosomatischer Krankheitslasten, sowie eine Gesundheitsaufklärung
(Bewegung, Ernährung, soziale Kommunikation) als Risikoprophylaxe
(Herz-Kreislauf-Erkrankungen) sind aus der public health Perspektive
vorrangig zu finanzieren. Die Kranken sind vor unlauteren
Heilsversprechungen zu schützen, sowie vor Diskriminierung und
Ausgrenzung. Eine positive Wirkung der THS wurde bisher nur zufällig
beobachtet, wobei wegen der Komplexität der Erkrankung und der damit
verbundenen Beschädigungen der Selbstwirksamkeit, die Therapiezielbestimmung in einer Ermöglichung der Psycho - Therapiefähigkeit, und der
sozialen Teilhabe besteht. Die Einpassung der THS in einen individuellen
Gesamtbehandlungsplan mit fester Einplanung einer Nachsorge muss an
speziellen Zentren gewährleistet sein. Inwieweit die THS zur Aufklärung
hinsichtlich Therapiealternativen bei schweren depressiven Erkrankungen
lege artis gehört ist strittig. (Garantenpflicht des Arztes).
Bei den schweren Erkrankungen mit Substanzabhängigkeit (SUD) werden
die gesamtgesellschaftlichen Wertsysteme und die Anforderungen an eine
solidarische Finanzierung von präventiven und rehabilitativen Maßnahmen,
sowie einer Verbesserung der Versorgungsstrukturen in einer öffentlichen
Diskussion besonders angesprochen. Die Legalisierung von Drogen, die
Priorisierung von Therapie und Rehabilitation vor Strafverfolgung, das
medizinische Interesse an suchtmedizinischer Forschung sind nur einige
der Themenschwerpunkte der öffentlichen Diskussion. Aus ethischer Sicht
sind insbesondere die neurobiologisch fundierten Suchtkonzepte unter
Berücksichtigung von Autonomie und Authentizität zu bewerten.
Neurowissenschaftliche Konzeptionen zur Dopaminwirkung und
neurostrukturelle sowie neurofunktionelle Veränderungen einschließlich
molekulargenetische Dysregulationen beim „Greifen nach Substanzen“ mit
Suchtwirkung, sollten in ethische Konzeptionen einfließen.
Zufallsbeobachtungen bei der THS haben sowohl bei der SUD, wie auch
bei den Impulskontrollstörungen (Essstörungen, Spielsucht, Sexsucht)
bereits zur Beschreibung von Einzelfallbeobachtungen geführt. Hier
besteht ein weiterer Forschungsbedarf.
Der Schutz der Kranken vor Übergriffen staatlicher Kontrolle und
Ausbeutung steht bei den schwer Kranken neben dem Schutz der
Gesellschaft aus ethischer Sicht im Abwägungsprozess. Hier bedarf es
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
124
insbesondere der Mitarbeit von Experten verschiedener Fachdisziplinen um
im Einzelfall eine medizinische Indikation zur THS rechtfertigen zu können.
Als Therapieziel wäre eine Verbesserung der Therapiefähigkeit, die
Ermöglichung einer Adaption, mit einer langfristig verbesserten sozialen
Teilhabe, individuell zu erwägen. Die Problematik des Neuroenhancements
als gesamtgesellschaftlich politische und als ethische Herausforderung
erhält in diesem Zusammenhang eine verschärfte diskursive Beachtung.
Die gesellschaftliche Aufgabe den zunehmenden Bevölkerungsanteil von
dementen Menschen medizinisch–pflegerisch zu versorgen stellt die Politik
vor große Herausforderungen. Die THS ist im solidarisch finanzierten
Versorgungssystem als alternative Behandlungsoption nicht aufgenommen
worden. Es liegen keine fundierten wissenschaftlichen Befunde vor, die
eine vertretbare Indikation als Routineverfahren bei Demenzerkrankungen
rechtfertigen könnte. Es sind erste Einzelfallbeschreibungen zur THS aus
klinischen Studien bekannt, die als Zufallsbeobachtungen gelten. Eingriffe
in Gehirne deren Plastizitätskapazität nicht zu bestimmen ist, Eingriffe in
gesunde Gehirne bei „prädiagnostizierter“ Demenz sind wegen der damit
verbundenen Risken und der nicht zu bestimmenden Prognose nicht zu
rechtfertigen. Eine hinreichende Rationale zur Bestimmung der
Zielstrukturen ist bisher strittig. Es besteht Forschungsbedarf, bei dem
internationale ethische und (nationale) juristische Standards zu beachten
sind. Nicht zu begründende Heilsversprechungen (Massenmedienberichte)
sind bei der Abwägung mit zu berücksichtigen.
Das Konsensuspapier europäischer und amerikanischer Medizinethiker
(Silke Schicktanz, Mark Schweda, Jesse F. Ballenger, Patrick J. Fox, Jodi
Halpern, Joel H. Kramer, Guy Micco, Stephen G. Post, Charis Thompson,
Robert T. Knight, William J. Jagust) fassen die Herausforderungen für die
zukünftige öffentliche Debatte in Form von Schlüsselfragen für die „late
onset Alzheiner´s Forschung“ „before it is too late“, nach Stadien der
Erkrankung, zusammen. (Schicktanz, 2014) Hier sollen nur einige der
Fragen angeführt werden. Worin besteht die professionelle Verantwortung
eine (nationale) transnationale Strategie zur Pflege und Prävention von
Demenzen zu organisieren? Bei der Komplexität und Unsicherheit an
Information zu Biomarkern zur Diagnose einer zu erwartenden Demenz im
Einzelfall, wie sollte mit den Ängsten der Betroffen umgegangen werden,
und mit welchen Hilfen können diejenigen rechnen? Wie kann der enge
Blickwinkel auf die individuelle Autonomie überwunden werden und die
ethischen und legalen Rollenfunktionen der Angehörigen (Familie) besser
bestimmt werden? Wie kann der interdisziplinäre Diskurs der Experten
(Biomedizin, Pflege, Gerontologie, Ethik, Public Health) gefördert werden?
„How can the dominance of one-sided negative images and metaphors of
dementia (e.g., „threat“, „epidemic“, loss of self“,“public burden“,“living
death“) be overcome?“(Schicktanz,2014,S.5)
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
125
V. Spezifische neuroethische Kriterien bei chirurgischen Eingriffen in
das Gehirn mit der THS bei neuropsychiatrischen Erkrankungen
Zusammenfassend lassen sich die folgenden Kriterien zur ethischen
Beurteilung
der
Implementierung
der
THS
als
innovative
Behandlungsoption bei schweren neuropsychiatrischen Erkrankungen
formulieren:









Transparenz: Kontrolle über jeden Schritt der Entscheidungsfindung: Aufklärung, Vorinformation, Diagnose, Durchführung der
Operation, technisches System, Nachsorge.
Dokumentation: Die Mitarbeit der Kranken, der Angehörigen und
der professionellen Mitarbeiter muss bei der Aufklärung, der
Therapie und Nachsorge dokumentiert nachvollziehbar sein.
Schutz der Privatsphäre bei der Einrichtung von nationalen
(internationalen) Studienregistern: Rechtlicher Schutz der
informationellen Selbstbestimmung der Kranken ist nicht
verhandelbar.
Interdisziplinarität bei der Vorbereitung, der Diagnose und der
Therapie, sowie der Nachsorge: Schutz vor Ausbeutung des
Altruismus der Kranken; Schutz vor externer Kontrolle; Schutz
und Förderung der Autonomie der Kranken.
Partizipative
Behandlungsgestaltung:
Einbeziehung
der
Angehörigen (care givers) in den Entscheidungsprozess muss
legitimiert werden.
Einsatz von sensitiven, reliablen und validen Merkmalsbestimmungen (Neuropsychologische Tests, Lebensqualitätserfassung): Schutz vor nicht vorhersehbaren Neben,- und
Folgewirkungen zur Persönlichkeit und personalen Identität.
Reversibilität der THS zu jedem Zeitpunkt: Obligate intraoperative
Stopps zum Rating des informed consent; Wirksame
Einwilligungen sind jederzeit zu garantieren; Weiterführung oder
Abbruch der THS muss jedem Zeitpunkt durch die Kranken
gewährleistet sein, es sei denn der Kranke schädigt sich selbst
oder andere; ein Expertengremium sollte eingesetzt werden.
Empfehlung zur Einrichtung einer vorsorgenden Stellvertretung:
Risikomanagement der
nicht zu
erwartenden Folge,Nebenwirkungen
im
Persönlichkeitsbereich;
Individuelle
Erarbeitung von Authentizitätskriterien zur Therapiezielbestimmung; Festlegung von Abbruchkriterien bei Therapiezielverfehlung.
Institutionalisierungg einer Expertengruppe (Expert Board), eines
Studienregisters
zur
Institutionalisierung
international
vergleichbarer klinischer Studiendesigns unter Beachtung der
informationellen Selbstbestimmung der Kranken; Expertenteams
zur Begutachtung der Patientenauswahl, der individuellen
Therapiezielbestimmungen,
der
Zielortbestimmung,
der
Folgewirkungen, der Langzeitdurchführung, der Abbruchkriterien.
126
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
VI. Zusammenfassung und Ausblick
Neurochirurgische
Technik
(Stereotaxie)
und
Fortschritte
der
Neurowissenschaft ermöglichten in den vergangenen Jahrzehnten
Eingriffe in das Gehirn bei neuropsychiatrischen Krankheiten mit
elektrischer Stimulation von Hirnregionen mit Hilfe permanent implantierter
Elektroden.
Inzwischen ist die Tiefe Hirnstimulation (DBS) für neurologische Störungen
(z.B. Morbus Parkinson) als vielversprechende Therapieoption etabliert und
für schwere Verlaufsformen von Zwangsstörungen zugelassen.
Die Ausweitung der Indikation auf leichtere Krankheitsstadien mit
Bewegungsstörungen und andere psychiatrische Erkrankungen, sowie die
Möglichkeit die THS jenseits therapeutischer Zwecke zur Optimierung
kognitiver Fähigkeiten und emotionaler Befindlichkeiten einzusetzen,
geben Anlass über ethische Rahmenbedingungen nachzudenken.
In
der
vorliegenden
Studie
werden
die
medizinethischen
Herausforderungen bei chirurgischen Eingriffen in das Gehirn mit der Tiefen
Hirnstimulation aus deskriptiver, theoretischer und normativer Sicht
beleuchtet. Dabei wurde den folgenden Fragestellungen historisierend mit
einer eingehenden Aufarbeitung der neurowissen-schaftlichen und
neurophilosophischen Literatur nachgegangen.
Ist es richtig und gut in das Gehirn eines Menschen chirurgisch einzugreifen
um die
Steuerung zentraler Funktionen durch implantierte
Stimulationssysteme zu verbessern?
Wie lässt sich die Indikation zum Eingriff in
neuropsychiatrischen Erkrankungen rechtfertigen?
das
Gehirn
bei
Finden sich triftige Argumente für eine normativ ethische
Handlungsreglulierung für die Praxis der Tiefen Hirn Stimulation bei
neuropsychiatrischen Erkrankungen?
Die begriffliche Bestimmung des menschlichen Gehirns ist mit den jeweils
vorherrschenden technischen Möglichkeiten und den philosophischen
Konzeptionen der Zeit, sowie den sozialen und politischen Verhältnisse, auf
entscheidende Weise verbunden.
Mit der Einordnung des Gehirns als zentrales Steuerungsorgan, und
Voraussetzung für ein menschliches Leben, werden Fragen zum guten und
gelingenden Leben in die Neurowissenschaften eingebunden.
Bei einer naturwissenschaftlichen Betrachtung des Gehirns werden die
funktionalen neuronalen Strukturen unter experimentellen Bedingungen,
mit speziellen Arbeitshypothesen, morphologisch und funktionell zu
präzisieren versucht. Mathematische Modelle versuchen eine Annäherung
an die Realität zu gewinnen. Mit hieraus entwickelten bild-gebenden
Verfahren (MRT, PET, fMRTI, SPECT u.a.) und elaborierten
psychologischen Experimenten können plausiblere Hirn-Netzwerk-
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
127
Funktionsmodelle für neuropsychiatrische Erkrankungen beschrieben, und
als Erklärungsansätze für die modulierenden Eingriffe in das Gehirn
formuliert werden. Die erkenntnistheoretischen Grenzen der naturwissenschaftlichen Hirnforschung werden in Auseinandersetzung mit dem
Naturalismus und speziell dem Biologismus in Neurologie und Psychiatrie
diskutiert. Die kategorialen, naturalistischen und merologischen
Fehlschlüsse bei dem Anspruch der Neurowissenschaften auf eine
Deutungshoheit für lebensweltlich entscheidende humane Lebens-, und
Grenzsituationsgestaltungen werden historisierend und im Blick auf
Eingriffe in das menschliche Gehirn kritisch dargestellt. Die Neuroethik als
epistemisch-ethische Disziplin unterzieht die neurowissenschaftlichen
Erkenntnisse einer begrifflichen Analyse und ordnet die Forschungsergebnisse im Sinne einer informierten Ethik in den erkenntnistheoretischen Zusammenhang.
Ein verantwortungsvoller Umgang mit der bionischen Technik der THS und
den induzierten Folge-, und Nebenwirkungen sowie den Langzeit-effekten
erfordert eine Präzisierung des Risikomanagements und der
Technikfolgenabschätzung.
In Ermangelung von neuropsychologischen Untersuchungsmethoden bei
der THS, die sensitiv, reliabel und valide Persönlichkeitsmerkmale
erfassen können, ist weiterer interdisziplinärer Forschungsbedarf dringend
geboten, zumal die personale Identität bei dem neurochirurg-ischen Eingriff
jederzeit beschädigt werden kann.
Neben den allgemeinen Risiken und Nebenwirkungen neurochirurgischer
Eingriffe sind mit der THS spezielle stimulusbedingte Risiken und
Nebenwirkungen verbunden, und insbesondere Folgewirkungen die
Selbstbestimmung, die Persönlichkeit, und die personale Identität
betreffend, sodass eine medizinethische Handlungsregulierung zwingend
geboten ist.
Exemplarisch erfolgt in der vorliegenden Studie eine Darstellung der
Leitlinientherapie für die Krankheitsbilder Morbus Parkinson, Tourette
Syndrom, Depression, Substanzabhängigkeit und Demenz, um damit den
Zusatznutzen und den spezifischen Kontext der THS einordnen zu können.
Die Ausarbeitung bewegt sich von der allgemeinen Darstellung der
neuropsychiatrischen Krankheiten (NMSD) zu den Nöten und Bedürfnissen
der Kranken und deren Schutz vor ungerechtfertigten medizinischen
Eingriffen.
Es wird angenommen, dass eine Güterabwägung von Zwecken, Zielen und
Mitteln für die THS möglich ist, die nach allgemeinen Regeln eine
Graduierung der Schutzansprüche (geboten, verboten, erlaubt) schwer
kranker Menschen ermöglicht. Die allgemeinen Regeln werden von den
ethischen Paradigmen vorgegeben, und situationsabhängig nach den
medizinethischen Handlungskontexten rekonstruiert.
Auf einer mittleren Prinzipienebene werden die Grundorientierungen
ärztlichen Handelns (Nicht-Schaden, Fürsorge) mit der Autonomie und
deren Realisierung als informed consent einem Abwägungsprozess
unterworfen, und für eine Erweiterung des Autonomieprinzips mit Betonung
relationaler und aktualer Gesichtspunkte plädiert. Unter Berücksichtigung
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
128
der besonderen Schutzwürdigkeit
schwer Kranker
wird das
Vulnerabilitätskonzept in praktischer Hinsicht zur Formulierung von
ethischen Kriterien zur Handlungsregulierung bei der THS überprüft. Eine
partizipative Aufklärungs- und Behandlungsplanung ist Voraussetzung für
den Respekt vor dem Schutz der Patientenautonomie und zur
Ermöglichung einer Förderung der Patientenselbstbestimmung.
Unter Berücksichtigung der rechtlichen Rahmenbedingungen ergeben sich
für die Praxis des informed consent im Hinblick auf die Förderung der
Selbstbestimmung vorsorgende Handlungsoptionen.
Die ethischen Implikationen der THS als Heilbehandlung und als
Forschungsmethode
beinhalten
Interdisziplinarität,
Transparenz,
Patientenautonomie, Schutz der Privatheit, Schutz vor Ausbeutung des
Altruismus, Reversibilität des Eingriffes, und eine institutionalisierte
Nachsorge, sowie eine Professionalität in demokratisch strukturierten
Therapiezentren. Zur Einhaltung ethischer Standards ist die
Institutionalisierung ethischer Beratung zwingend geboten. Bei der Auswahl
der Patienten ist unter Beachtung der Vulnerabilität und dem Schutz vor
Ausbeutung besondere Sorgfalt geboten.
Bei der Vorbereitung, der Durchführung und der Evaluierung des Outcomes
der THS muss die Patientenautonomie beschützt und gewahrt bleiben. Die
THS wird am wachen Patienten/ an der wachen Patientin durchgeführt.
Wiederholte Kontrollen zur je aktuellen Einwilligung sind zwingend
geboten. Therapeutische und innovative Eingriffe sind klar voneinander zu
trennen und bei der gültigen Einwilligung zu berück-sichtigen.
Die THS ist eine symptomatische Behandlungsmethode. Eine individuelle
Therapiezielbestimmung und Klärung der Therapieerwartungen ist obligat.
Die Förderung der Selbstbestimmung, die Verbesserung der Beweglichkeit
und der Lebensqualität, sowie die Ermöglichung einer Kompetenz für
weitere Therapieoptionen sind bei neuropsychiatrischen Krankheiten
anzustreben.
Bei der Einrichtung von internationalen Studienregistern muss der Schutz
der informationellen Selbstbestimmung gewährleistet sein.
Wie kann die Behandlung neuropsychiatrischer Erkrankungen unter
sozialstaatlichen
Bedingungen
gerechter
geregelt
werden?
Diskriminierungen und Stigmatisierungen bei der medizinischen
Versorgung von psychiatrischen Kranken verhindern oder erschweren den
Zugang zu effektiven Standardtherapien. Die Beurteilung der
Therapieresistenz wird hiervon wesentlich mitbestimmt, so dass die Gefahr
von kontrollierenden und adaptiven Übergriffen auf die Lebens-gestaltung
der Kranken, sowie eine Gefährdung durch vorrangig finanzielle
Entscheidungskriterien bei der Auswahl somatischer Therapieoptionen bei
psychiatrischen Erkrankungen beachtet, und ggf. abgewehrt werden
sollten.
Es gibt triftige Gründe die THS im schweren Krankheitsstadium beim
Morbus Parkinson (iPS) als ultima ratio, bei aufgehobener Lebensqualität
und bei eine therapieresistenten Zwangserkrankung (OCD) als last line
Therapieoption zu erlauben. Die THS ist im Einzelfall bei Fluktuationen und
Dyskinesien beim iPS als ergänzende Therapieoption in einem früheren
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
129
Krankheitsstadium als Heilversuch zu empfehlen. Bei Schwerst-kranken mit
Tourette-Syndrom sollte es im Einzelfall erlaubt sein die THS als
Heilversuch in einen partizipativen Behandlungsplan mit einzube-ziehen.
Bei schwersten depressiven Erkrankungen müssen alle zumutbaren
Therapieoptionen über einen vertretbaren Zeitabschnitt lege artis
ausgeschöpft werden. Es liegt in der Verantwortung des Arztes die THS, im
Einzelfall als Heilversuch bei einem schweren anhaltenden depressiven
Krankheitsverlauf mit umgrenztem Therapieziel (soziale Teilhabe an
Psychotherapie und Soziotherapie), zu empfehlen. Bei schwer
Demenzkranken und im moderaten Krankheitsstadium einer Demenz gibt
es keine Indikation für die THS. Bei einer eingeschränkten oder
aufgehobenen Einwilligungsfähigkeit, insbesondere beim Aufenthalt in
einer Pflegeeinrichtung ist die Durchführung einer THS zu verbieten. Im
Stadium des MCI und in einem sehr leichten Krankheitsstadium der
Demenz können aus ärztlicher Sicht zurzeit keine Empfehlungen zur THS
verantwortet werden.
Ausweitungen der THS im Bereich des Neuroenhancements sind bei den
technischen Fortschritten zu erwarten. Forschungen mit dem "Brain Radio"
beinhalten eine online Registrierung und Speicherung der NetzwerkInformations-Prozesse zur Ermöglichung von Verhaltens-prognosen und
einer gezielten externen Steuerung von "Gedanken" und "Emotionen." Die
Neuroethik steht damit vor neuen Herausforderungen.
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143
VIII. Abkürzungen
AD
AWMF
Bold-Studien
CBD
CCT
DBS
DLK
DSM
ed.
FDG-PET
fNMRI
GABA
GPI
HPI
Hrs.
H&Y
ICD
ICF
iPS
MacCAT-T
MNSD
MRT
MSA
NEO-FFS
NMD
NMSQuest
OCD
PET
PSB
PPN
SPECT
STN
SUD
TAT
THS
TS
TZA
UPDRS
Alzheimer Disease
Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlich
medizinische Fachgesellschaften
Hirndurchblutungs-Studien
Cortico basale Degeneration
Craniale Computer Tomographie
Deep Brain Stimulation
Demenz vom Lewy Körper Typ
Diagnostisches Statistisches Manual
Editor
Fluor – Desoxy – Glucose -PET
funktionel nuclear magnetic resonance
imaging
Gamma Amino Base Acid
Globus pallidus internus
Hamburger Persönlichkeit Inventar
Herausgeber
Höhn & Yahr Stadien
International Classification of Diseases
International Classification of Functioning
idiopathisches Parkinson Syndrom
MAcArthur Competence Assessement
Tool-Treatment
Mental Neurological Substance Use
Disorders
Magnet Resonance Tomography
Multi System Atrophie
Neurotizismus,Extraversion,OffenheitFünf Factor Inventory
Neurosurgery für Mental Disorders
Non-Motor-Symptoms Assessment Scale
Obsession Compulsion Disease
Positronen Emissions Tomographie
Progressive supranucleäre Blickparese
Pedunculo-Pontinus-Nucleus
Single Photon Emission Computed
Tomography
Subthalamischer Nucleus
Substance Use Disease
Thematischer Apperzetions Test
Tiefe Hirnstimulation
Tourette-Syndrom
Trizyklische Antidepressiva
Unified Parkinson´s Disease Rating
Scale
Reiner Dr.Dr.Beck : Eingriffe in das menschliche Gehirn
VIM
VTA
ventraler intermediärer Kern des
Thalamus
Volume of tissue activated
144