Treffen - Deutsches Schriftstellerforum

Geschrieben am 26.01.2017 von d.frank
im Deutschen Schriftstellerforum
Treffen
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Schlüters hatte langsam und mit dem Löffel gegessen. Schlingen war nicht sein Stil. In Schlüters Vorstellung
trennte sich die Welt nicht in gut und böse auf, für ihn gab es nur richtig oder falsch. Etwas konnte nicht richtig
sein, wenn es in Schlüters Vorstellung ganz eindeutig falsch war, und Amanda gehörte ganz eindeutig auf die
Seite der falschen Dinge, weil sie jeden Tag diese grellgelben Gummistiefel an seinem Zaun vorbeitrug.
Es war weniger die Farbe des übergroß bemessenen Schuhwerks -gelbe Regenstiefel waren angemessen,
Regenstiefel hatten schließlich die Aufgabe, bei nassgrauem Wetter für trockene Füße und signalprächtige
Wirkung zu sorgen- die Schlüters daran störte, als der Umstand, dass die Stiefel bis zum Rand mit Ordnern,
Büchern und Heften gefüllt waren, die wie ein wildes Sammelsurium über die Schäfte lappten.
Unerhört hatte Schlüters gedacht, als er andächtig löffelnd über seiner Suppe gesessen und diesem Umstand
nachgesonnen hatte, unerhört so ein Kind, und es dann auch noch auf so unerhörte Weise auf den Weg zu
schicken.
Also überlegte er, wie man die Dinge wohl ins rechte Licht rücken konnte. Zunächst einmal brauchten sie einen
Namen, nur so konnte Schlüters sie in richtig oder falsch einteilen und sie schlussendlich ihrer Bestimmung
zuweisen. Er hatte das Regenstiefel tragende Kind also nach seinem Namen gefragt und war ein bisschen
überrascht gewesen. Amanda wollte ihm nicht so ganz passen. In Schlüters Vorstellung mussten Kinder, die
ihre Schulutensilien in gelben Regenstiefeln herumtrugen eher Claudelle oder doch wenigstens Virginia
heißen. Aber er hatte das hingenommen und vorläufig unter nicht ganz richtig abgespeichert. Auf seiner gut
geplanten Liste stand nun ein bestätigender Regenguss, und um es nicht dem Zufall zu überlassen, verfolgte
er aufmerksam die Wettervorhersage. Trotz seiner minutiösen Berechnung blieb das Kind am favorisierten
Tage aber verschwunden. Erst tags darauf, als die Pfützen schon wieder getrocknet waren, spazierte es
Regenstiefel tragend an Schlüters Zaun vorbei. In seiner plötzlichen Erregung hatte er ihm hinterhergerufen,
aber es hatte nicht reagieren wollen.
Und auch an den nächsten Tagen schenkte es ihm keine Beachtung mehr. So konnte sich Schlüters also
auch weiterhin keinen rechten Reim auf die Sache machen und ihm blieb nichts anderes übrig, als aus
seiner derzeitigen Unwissenheit, aber geleitet vom Wissen um das Richtig oder Falsch, zu agieren. Er
kaufte dem Mädchen einen Schulrucksack. Einen, den er nach gut überlegten Kriterien und hinsichtlich seiner
Richtigkeit ausgesucht hatte, wasserabweisend, geräumig, ergonomisch geformt. Schlüters hatte sich den
Rucksack einiges kosten lassen.
Ein wirklich guter Rucksack! In zartem Rosé und auch in der schlanken Form sehr passend für ein junges
Mädchen. In freudiger Erwartung reichte Schlüters ihn also schon am nächsten Tag über den Zaun, aber das
Mädchen ließ keine Freude darüber erkennen. Es nahm den Rucksack mit einem Ausdruck der zynischen
Wertschätzung entgegen und auch das erschien Schlüters nicht richtig für ein junges und damit erwartungsgemäß
argloses Mädchen. Bevor er seinem Ärgernis darüber jedoch Ausdruck verleihen konnte, war das seltsame
Ding samt Rucksack schon wieder entschwunden.
Ging Schlüters nun davon aus, dass er dem Problem in angemessener Weise beigekommen war, belehrte
Amanda ihn eines Besseren. Nur wenige Tage vergingen, da erschien sie an seinem Zaun, an der rechten
Seite den Rucksack am ergonomischen Griff getragen, und hievte das Geschenk mit einiger Anstrengung in
Höhe der Spitze eines der Schlüters links gelegenen Zaunpfähle.
Den Rucksack dort dann abgehängt und offensichtlich seines Regen abweisenden Deckels beraubt, bekam
Schlüters einen perspektivisch umfassenden Blick auf den Inhalt.
In verschiedenen Brauntönen gehaltene, lockere und saftige Erde, aus deren Masse die jungen Stiele
mehrerer blau blühender Veilchen wuchsen. Gerade als er zum Vortrag ansetzen wollte, stellte Amanda sich
auf die Zehenspitzen, ergriff den über den Zaun nach dem Rucksack ausgestreckten Arm und hielt ihn, fest
und mit sanftem Druck wie etwas Strebendes und Warmes eine glatte Fläche berührt und sah mit den Augen
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Dieser Text stammt aus dem Deutschen Schriftstellerforum / http://www.dsfo.de
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eines Kindes zu ihm auf, offen, in seinem Blick ihm begegnend.
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