Titel Kreuzchor-Dirigent Peter Kopp sieht sich wegen eines nicht gesungenen Liedes zu Unrecht an den Pranger gestellt präsentanten der Landeshauptstadt gehört, dass man gegebenenfalls auch Dresden, die ja der Träger des Dresd- Kompromisse eingeht. Unsere Konner Kreuzchores ist. zertbesucher in China waren keine Apparatschiks, es waren ganz normaKönnen Sie denn die Argumente le Familien. Ändern kann sich so ein Ihrer Kritiker zumindest inhaltlich System, das ich übrigens keinesfalls nachvollziehen? Nur bedingt. Ich muss mich doch als verharmlosen will, ohnehin nur aus Künstler immer fragen: Welche Mit- sich selbst heraus – das haben wir ja tel habe ich eigentlich, um in dem an der DDR gesehen. Als übrigens Land, das ich bereise, sinnvoll etwas Udo Lindenberg 1983 in Ost-Berlin zu bewegen – falls ich das überhaupt aufgetreten ist, hat er den «Sonderwill. Meiner Meinung nach ist es das zug nach Pankow » auch nicht gesunWichtigste, dass ich dorthin fahre, gen, aber alle wussten, warum er fehlTragen denn Künstler Ihrer Meizu den Menschen Kontakt bekomme, te. Also war er irgendwie doch dabei. nung nach keine gesellschaftliche diesen von unserer Kultur berichte und politische Verantwortung? Haben Sie sich denn gar nichts Aber natürlich haben auch sie eine und sie – bestenfalls – dafür interes- vorzuwerfen? Schließlich kamen politische Verantwortung, aber eben sieren kann. Wir müssen Vertrauen vom Kreuzchor in den ersten Tagen nicht nur sie! Ein Gastspiel in Chi- gewinnen, uns vor Ort ein Bild von der Berichterstattung teilweise sehr na, Israel, Russland oder in den USA den Verhältnissen machen, uns in- unterschiedlich lautende Erklärunhat immer auch eine politische Seite, formieren – und nicht als ideologi- gen zu dem Vorgang, was Sie nicht das kann doch niemand bestreiten. sche Kolonisatoren auftreten. Dazu gerade glaubwürdiger erscheinen Einen Disput darüber, was man als ließ. Künstler im Ausland tun sollte und Das stimmt. Wir haben die Situatiwas nicht, halte ich für sehr intereson anfangs unterschätzt und nicht sant und notwendig und würde gern gleich angemessen reagiert. In guter dazu beitragen. Aber so eine DiskusAbsicht haben sich verschiedene Version kann man nicht mit Leuten fühtreter unseres Hauses mit durchaus ren, deren Auslandserfahrungen die richtigen und zudem guten Argumenvon Touristen sind. Viele sind sich ten zur Sache geäußert. Wir hatten vielleicht auch deshalb der Tragweiuns nicht abgestimmt, da ich anfangs te ihrer Anschuldigungen nicht benoch in China und damit für meine wusst. Sie können sich gar nicht vorKollegen nicht greifbar war. Niestellen, was für ein «Shitstorm » über mand hatte sich vorstellen können, uns hereingebrochen ist: Das Thema dass sich in unserer Medienwelt, von ging landesweit durch alle Zeitungen, der ich meinte, sie würde Informaties gab viele private Zuschriften und onen kritisch überprüfen, eine solche Anrufe, sogar meine Kinder wurden Kampagne entwickeln könnte. Dass am Telefon beschimpft. alle voneinander abschreiben, keine Rückfragen gestellt werden, GegenWaren denn alle, die sich zu Wort darstellungen keinen Raum bekomgemeldelt haben, gegen Sie? men und dass sich fachlich AußenNein, es haben sich auch viele Leute stehende derart massiv moralisch hinter uns gestellt und unsere EntPeter Kopp, geboren 1967 in Wernigeentrüsten würden, war für mich eine scheidung, selbst wenn sie das Errode, hat selbst im Dresdner Kreuzchor ernüchternde Erkenntnis. gebnis einer Einflussnahme gewesen gesungen, seit 1995 ist er dessen Dirigent. wäre, als richtig und sinnvoll bewerGlauben Sie, dass die Geschichte Daneben leitet er unter anderem das von ihm gegründete Vocal Concert Dresden tet. Meist kam dieser Zuspruch von negativ am Kreuzchor haften bleibt? und ist regelmäßig Gastdirigent an der Leuten, die im Ausland gearbeitet haNein. Bach Society Houston. Er wurde mit der ben, auch von Musikern, die diese SiDer Interviewer ist Redakteur der Johann Walter Plakette des Sächsischen tuation aus eigenem Erleben kennen. Chorzeit. Musikrates (2002) und dem Förderpreis Und nicht zuletzt von den Eltern der der Landeshauptstadt Dresden ausgezeichnet (2003). Kruzianer und den führenden Re- ten also auch gegenüber unseren Vertragspartnern gewisse Verpflichtungen. Während der Durchsicht des vorläufigen Programms fragte mich die Dame von der Agentur, ob ich dieses nicht moderieren könne. Dafür mussten jedoch vier Stücke Herr Kopp, deutschlandweit wurde aus Zeitgründen gestrichen werden. darüber berichtet, dass der DresdDa ich den Satz von «Die Gedanken ner Kreuzchor «Die Gedanken sind sind frei » ohnehin nicht besonders frei » aus dem Programm seiner gelungen fand und wir dieses Stück China-Tournee gestrichen hat. Wie auch noch nicht geprobt hatten, haben die Journalisten überhaupt strich ich dieses Lied und drei weivon dem Vorgang erfahren? Von mir selbst. Vor der Reise habe tere. Das war eine rein künstlerische ich sowohl auf einem Elternabend Entscheidung. Erst danach sagte sie, des Chores als auch gegenüber ei- dass es aufgrund des Textes eventuell nem Reporter der BIL D -Zeitung, Probleme hätte geben können. Ich den ich persönlich kannte, am Ran- fand das nicht gravierend, jedoch so de erwähnt, dass es im Vorfeld mit bemerkenswert, dass ich dies geleder chinesischen Konzertagentur gentlich erzählt habe. in Deutschland, die die Tournee für Das klang im BILD-Artikel, der uns organisiert hat, auch Gesprä- als erstes und noch während Ihres che über die Zusammenstellung des Aufenthaltes in China veröffentlicht Programms und dieses Lied gegeben wurde, ganz anders. Dort hieß es hatte. unter der Schlagzeile «Chinesen Und war es so, dass Sie dabei dazu gedrängt wurden, das Lied zu streichen? kehr noch einmal über diese Geschichte sprechen. Stattdessen hat er, noch während wir unterwegs waren, diese Räuberpistole ins Blatt gesetzt. Die BILD hat damit einen Tischtennisball zum Fußball aufgeblasen, den die «Welt » kurz darauf mit einem eigenen Artikel auf die politische Bühne gespielt hat. Dort unterstellte man Ihnen «vorauseilenden Gehorsam » gegenüber der Diktatur und «Feigheit ». Dabei hat die Autorin des Textes überhaupt nicht mit mir gesprochen. Nur vier Journalisten haben sich bei mir danach erkundigt, ob die Sache wirklich so abgelaufen ist. Dann kam die Meldung der dpa ( Deutsche Presseagentur, d. Red.) , und richtig die Runde machte die Geschichte ja erst, nachdem sich der Generalsekretär des Deutschen Musikrates, Christian Höppner, offiziell dazu geäußert hatte – und zwar ebenfalls, ohne mich vorher zu kontaktieren. zensieren Konzert der Kruzianer », es hätte sie seit Tagen «gequält », dass Sie Ihr «schönstes Lied » nicht singen durften… Auch Höppner sprach vom «Kniefall vor der Diktatur ». Sie hätten die gesellschaftspolitische Nicht gedrängt. Als Hintergrund Dimension der Reise geleugnet und muss man wissen, dass es sich um Alles Quatsch! Ich habe niemals be- damit die Musik aus ihrem politieine kommerzielle Tournee handelte, hauptet, dass die Chinesen uns «zen- schen Kontext gerissen. die ohne Fördergeld von deutscher siert » hätten. Der BILD -Reporter Hier kommt eine Scheinmoral zum Seite durchgeführt wurde. Wir hat- wollte mit mir nach unserer Rück- Vorschein, die mich ärgert. Wieso sol- 17 Cho rze it 1~ 2014 «Tischtennisball zum Fußball aufgeblasen » H Interview: Daniel Schalz len denn die Künstler, zumal als Gäste im jeweiligen Land, das erreichen, was Politik, Wirtschaft oder auch der Sport aus Profitstreben gar nicht erst versuchen? Sollen die Künstler allein das Gewissen der Nation beruhigen? Es ist ja auch sehr einfach, aus dem heimischen Sessel heraus die «Fahne der Freiheit » hochzuhalten und mit anonymen Meinungen Internetblogs zu füllen. Die Praxis sieht da ganz anders aus. Foto: Astrid Ackermann 16 C h or zei t 1~2014 Titel
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