GERDSEN

Peter
GERDSEN
Peter
GERDSEN
Gesammelte
Mensch und Transzendenz
Der vorliegende Band artikuliert in besonderer Weise das Motto
der zweiten Abteilung ›Mensch und Transzendenz‹ und rückt
die christliche Weltsicht in den Vordergrund. Die Begegnung
mit dem ›Professoren Forum‹ im Jahre 2000, einem Netzwerk
von Professorinnen und Professoren verschiedener Fachrichtungen, die die christliche Weltsicht nachhaltig und überzeugend im akademischen Raum zur Geltung bringen wollen, führt
zu einer langen Reihe von Veröffentlichungen besonders im
›Journal des Professorenforum‹, die in diesem Band unter dem
Thema ›Aufsätze zur Zeit aus christlicher Sicht‹ zusammengefasst werden. Im Jahre 2011 macht Gerdsen die Bekanntschaft
mit der christlichen Radiosendung ›Treff am Kreuz‹. Als er zu
Interviews mit ›Treff am Kreuz‹ aufgefordert wird, nutzt Gerdsen
die Gelegenheit, zu wichtigen Fragen der Zeit Stellung zu nehmen. In den Jahren 2011 – 2014 kommt es zu 10 Interviews,
deren schriftliche Fassungen unter dem Thema ›Interviews zu
Fragen der Zeit aus christlicher Sicht‹ zusammengefasst werden und den Abschluss dieses Bandes bilden.
Werke
Mensch und Transzendenz
Aufsätze zu Fragen der Zeit
aus christlicher Sicht
Interviews zu Fragen der Zeit
aus christlicher Sicht
ISBN 978-3-95948-211-0
9
2000-2014
bautz
verlag
Hamid Reza Yousefi [Hrsg.]
Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
____
Band 9
Mensch und Transzendenz
Aufsätze zu Fragen der Zeit
aus christlicher Sicht
[2000−2016]
Interviews zu Fragen der Zeit
aus christlicher Sicht
[2011−2014]
herausgegeben und eingeleitet
von
Hamid Reza Yousefi
gefördert durch
Peter-Gerdsen-Stiftung
Traugott Bautz
Nordhausen 2017
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation
in Der Deutschen Nationalbibliographie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Verlag Traugott Bautz GmbH
99734 Nordhausen 2017
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ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere
für Vervielfältigung, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung
und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Printed in Germany
ISBN 978-3-95948-198-4
www.bautz.de
Inhalt
Worum geht es in diesem Band? ................................................................ 7
[2000−2016] Aufsätze zu Fragen der Zeit aus christlicher Sicht ................. 15
[2000] Das Christentum und der Begriff Toleranz
in ihrer Bedeutung für die Gesellschaft .....................................................17
[2001] Der Mensch
in seiner Auseinandersetzung mit dem Bösen ..........................................23
[2001] Das Christentum und die Philosophie Kants
in ihrer Bedeutung für die moderne Naturwissenschaft ...........................35
[2002] Glaube und Erkenntnis,
Offenbarung und Wissenschaft .................................................................44
[2003] Das Christentum und die Schweigespirale .....................................57
[2003] Die Bedeutung von Ehe und Familie
in einer christlichen Kultur .........................................................................66
[2004] Das Christentum in seiner Bedeutung
für die moderne Wissenschaft ...................................................................80
[2004] Fundamente der christlichen Ethik –
Christlicher und antichristlicher Geist......................................................102
[2004] Zur Selbstbestimmung
des Christentums in Deutschland ............................................................127
[2005] Katholizismus, Protestantismus
und die Zukunft des Christentums ...........................................................152
[2005] Der Weg zum Sozialstaat der Gegenwart −
Ursachen und Wirkungen aus christlicher Sicht ......................................166
[2013] Menschenbild und Nächstenliebe −
Christliche Ethik und der handelnde Mensch ..........................................188
Inhalt
[2014] Verteidigung der Religion............................................................. 196
[2015] Die ›Liberale Demokratie‹ aus christlicher Sicht .......................... 209
[2016] Toleranz, Extremismus und das weise Maß ................................. 225
[2011−2014] Interviews zu Fragen der Zeit aus christlicher Sicht ............ 237
[2011] Toleranz –
Schlüsselbegriff unserer Gesellschaft? .................................................... 239
[2011] Von den Folgen und der Unlogik
eines falschen Toleranzbegriffs. .............................................................. 249
[2011] Vom Toleranzgebot
und Diskriminierungsverbot .................................................................... 259
[2012] Gender Mainstreaming –
Treibsatz einer kulturellen Umwälzung? ................................................. 269
[2012] Das moralische Kostüm geistiger Herrschaft ............................... 277
[2013] Das Christentum
und die Schweigespirale .......................................................................... 287
[2014] Ehe und Familie
in einer christlichen Kultur ...................................................................... 297
[2014] Veränderte Denkstrukturen
als Folge des Abfalls von Gott.................................................................. 307
[2014] Christliche Nächstenliebe
und Kategorischer Imperativ ................................................................... 319
[2014] Social Engineering
und ›Gender-Mainstreaming‹ ................................................................. 329
6
Worum geht es in diesem Band?
Eine kurze Inhaltsangabe der bereits erschienenen Bände:
Band 1:
Der erste Band umfasst die erste Sektion der Gesamtausgabe von Peter
Gerdsen mit folgenden Schriften: 13 natur- und ingenieurwissenschaftliche Abhandlungen aus den Jahren 1966-1979 sowie die Monographie
›Hochfrequenzmesstechnik – Messgeräte und Messverfahren‹ aus dem
Jahr 1982. Charakteristisch für diese Periode ist, dass die Aufsätze 19661970 aus der Industriezeit Gerdsens, praktische Anwendungen aus der
Farbfernsehtechnik behandeln, während der Lehrtätigkeit 1971-1982
eine theoretische Vertiefung für das wissenschaftliche Fundament der
studentischen Ausbildung erfahren. Die Hochfrequenzmesstechnik,
die als konstitutives Element der Natur- und Ingenieurwissenschaften
eine verbindende Bedeutung für Gerdsens Schriften hat, dokumentiert
unter dem Paradigma der analogen Nachrichtentechnik eine Kulmination seines Wirkens.
Band 2:
Der zweite Band beschreibt einen vertiefenden Weg des Denkens von
Peter Gerdsen. In den 1980er Jahren vollzieht sich ein allmählicher Paradigmenwechsel von der analogen zur digitalen Nachrichtentechnik,
welche die Gebiete der Signalübertragung und -verarbeitung umfasst.
Dabei tritt an die Stelle der Signaldarstellung durch eine kontinuierliche Spannungszeitfunktion eine solche durch eine Zahlenfolge. Die
Signalverarbeitung wird nicht mehr mit einer Schaltung aus elektrischen und elektronischen Bauelementen durchgeführt, sondern mit einem Zahlenfolgen verarbeitenden Rechenwerk, welches durch einen
Signalprozessor realisiert wird. Damit entsteht die Aufgabe, klassische
Schaltungen der analogen Signalverarbeitung in Algorithmen für Signalprozessoren umzusetzen. Die neue digitale Nachrichtentechnik ist
der analogen, hinsichtlich der Präzision, weit überlegen.
Mit der anschließenden Monographie ›Digitale Signalverarbeitung in
der Nachrichtenübertragung – Elemente, Bausteine, Systeme und ihre
Algorithmen‹ gibt Peter Gerdsen der neuen Situation insbesondere für
Worum geht es in diesem Buch?
die Ausbildung der Studenten ein sicheres Fundament. Die erste Auflage des Buches erscheint 1993; auf Grund des großen Erfolges erfolgt
1997 eine 2. Auflage in wesentlich erweiterter Form, die Gegenstand
des vorliegenden 2. Bandes der Gesamtausgabe ist. Dabei bezieht sich
die Erweiterung hauptsächlich auf die Berücksichtigung von Simulationsprogrammen in der digitalen Signalverarbeitung. Damit wird einem Trend Rechnung getragen, Systeme nach ihrem Entwurf durch Simulation auf einem Computer auf ihre Eigenschaften hin zu überprüfen. Solche Simulationsprogramme, die auch für die Schaltungen der
analogen Nachrichtentechnik entwickelt wurden, sind durch die ständig steigenden Rechenleistungen der Computer möglich geworden.
Die Monographie ist geprägt sowohl durch ihren Lehrbuchcharakter,
der in zahlreichen Übungsaufgaben zum Ausdruck kommt, als auch
von einer gründlichen Darstellung des neuen Gebietes der Nachrichtentechnik.
Band 3:
Der dritte Band enthält eine ›Systemtheorie der Telekommunikation‹.
Eine solche Theorie wurde notwendig, als auf der Grundlage der in den
1980er Jahren des vorigen Jahrhunderts entstandenen digitalen Signalübertragung immer komplexere Telekommunikationsnetze entstanden, um Studenten ein vertiefendes Verständnis der Vorgänge in diesen Netzen unter übergeordneten Gesichtspunkten zu ermöglichen. So
wie zur Beschreibung der Algorithmen in Computern besondere Sprachen erforderlich wurden, war dies auch bei der Formulierung einer
›Systemtheorie der Telekommunikation‹ der Fall. Durchgesetzt hatte
sich zur Beschreibung der Vorgänge in Kommunikationssystemen die
Sprache SDL (Specification and Description Language), die auch wesentlicher Bestandteil des vorliegenden Bandes ist. Bei der Formulierung der Systemtheorie trat zu Tage, dass diese sowohl die ursprünglich dominante Mensch-zu-Mensch-Kommunikation als auch die Maschine-zu-Maschine-Kommunikation erfasste.
Band 4:
Der vierte Band der Gesamtausgabe enthält das Buch ›Kommunikationssysteme 2 – Anleitung zum praktischen Entwurf (SDL)‹, das eine
wichtige Ergänzung zu dem vorigen 3. Band ›Kommunikationssysteme 1 – Theorie, Entwurf, Messtechnik‹ darstellt und damit deren Inhalte voraussetzt. Dabei geht es um eine Anleitung zum praktischen
8
Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
Entwurf von Telekommunikationssystemen am Beispiel einer Dateiübertragung zwischen mehreren Personal Computern. Grundlage für
den Entwurf ist das ›Open System Interconnection‹ Referenzmodell.
Aufbauend auf einer Anforderungsanalyse wird nach einer Analyse
der Schichtenfunktionen eine vollständige SDL-Spezifikation erstellt.
Band 5:
Der letzte 5. Band der ersten Abteilung der Gesamtausgabe ›Digitale
Nachrichtenübertragung – Grundlagen, Systeme, Technik, praktische
Anwendungen‹ stellt eine grundlegende Erweiterung und wesentliche
Vertiefung der bereits 1983 erschienenen ›Digitalen Übertragungstechnik‹ dar. In den folgenden 13 Jahren ereignete sich ein fortschreitender
Wandel von der analogen zur digitalen Nachrichtenübertragung, so
dass eine vertiefte lehrbuchartige Darstellung dieser neuen Technik
notwendig wurde. Das Buch ist modular aufgebaut. Es besteht aus
zwölf einzelnen, im Wesentlichen für sich lesbaren Kapiteln. Die beiden wichtigsten zusammenfassenden Begriffe sind die Quellen- und
die Kanalcodierung, wobei diese auf drei Kapitel verteilt wurden: Leitungscodierung, Fehlersicherung und Modulation. Ausführliche Berücksichtigung finden die Gebiete Messtechnik und Realisierungsprinzipien.
Band 6:
Vorangestellt wird dem vorliegenden Band, der die zweite Abteilung
der Gesamtausgabe eröffnet, der Grundsatzbeitrag ›Mensch und
Transzendenz‹. Dieser Beitrag bildet das Fundament seines geisteswissenschaftlichen Wirkens in Form einer transzendenten Anthropologie.
Gerdsen macht in wenigen Schritten deutlich, wie er die Welt betrachtet und von welchem Menschenbild er ausgeht. Er arbeitet heraus, dass
eine Ursehnsucht im menschlichen Wesen verankert ist, die ihn Zeit
seines Lebens anregt und motiviert, über die Struktur der Welt und die
Zusammenhänge der Natur nachzudenken.
Die erste Monographie analysiert die Gegenwartsverhältnisse und
zeigt auf, wie gegensätzliche Lebensorientierungen Gräben und Fronten in der Gesellschaft aufreißen und in Auseinandersetzungen münden, die den Charakter eines geistigen Bürgerkriegs haben. Die Kommunikationsfähigkeit unter den Menschen nimmt ab und Aggressionen werden freigesetzt. Viele Zeitgenossen geraten in einen Strudel von
Ereignissen, denen sie hilflos gegenüberstehen, weil sie diese nicht
9
Worum geht es in diesem Buch?
durchschauen. Hier setzt nun dieses Buch ein, indem versucht wird,
den Zeitgeist als geschlossenes System darzustellen, dessen innere Gesetzmäßigkeiten aufgezeigt werden können; denn ein echtes Verstehen
aus den inneren Gesetzmäßigkeiten heraus ist eine wichtige Voraussetzung, um Sicherheit in chaotischer Zeit zu gewinnen. Das Nichtdurchschauen der Zeitverhältnisse in ihrer verwirrenden Vielfalt bewirkt bei
den Menschen eine seelische Destabilisierung, die durch das Lesen dieses Buches überwunden werden kann. Das Buch analysiert die Zeitverhältnisse mit dem Ergebnis, dass der sich wissenschaftlich und aufklärerisch gebärdende Zeitgeist den Charakter einer Pseudoreligion angenommen hat, die sich als exaktes Gegenbild zum Christentum erweist.
In der zweiten Monographie geht es um die Fesselung des Landes
durch Ideologien. Historische Entwicklung und Inhalt des Begriffs
›Ideologie‹ werden untersucht. Auf diesem Hintergrund wird das Denken der Menschen analysiert; denn nichts ist so charakteristisch für eine
Zeit wie die Art und Weise des Denkens. Wenn nun dieses Denken in
irgendeiner Weise erkrankt ist, dann entstehen Ideologien, deren Wesen durch Wirklichkeitsfremdheit und Lebensfeindlichkeit gekennzeichnet sind. Krankes Denken bringt Ideologien hervor und macht anfällig für vorhandene Ideologien. Auf Grund ihrer Wirklichkeitsfremdheit und Lebensfeindlichkeit bewirken die Ideologien eine Fesselung
unseres Landes sowohl in wirtschaftlicher und wissenschaftlicher als
auch in kultureller und gesellschaftlicher Hinsicht. Die Symptome sind
bekannt: Arbeitslosigkeit in vielfacher Millionenhöhe, dramatische die
Gesamtheit gefährdende Kinderarmut und gleichzeitig offenbar völlig
fehlende Kraft zu Reformen. Die Monographie beklagt nicht nur die
Zustände, sondern sie zeigt auch Wege zur Befreiung aus den Fesseln
auf, indem sie das Wesen der Ideologien analysiert. Dabei wird deutlich gemacht, dass der christliche Glaube gegen die Verführung durch
Ideologien immunisiert und zur Gesundung des Denkens beiträgt.
Band 7
In dem vorliegenden 7. Band der Gesamtausgabe geht es um das
Thema der Interkulturalität. Im Laufe des Jahres 2004 macht Peter Gerdsen die Bekanntschaft von Hamid Reza Yousefi mit der Folge eines
lange währenden Gedankenaustausches über Probleme der Interkulturalität. Im Jahre 2006 ruft Hamid Reza Yousefi die vom Verlag Traugott
Bautz herausgegebene Reihe ›Interkulturelle Bibliothek‹ ins Leben. Für
10
Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
diese Reihe verfasst Peter Gerdsen die erste Monographie dieses Bandes ›Natur- und Geisteswissenschaft im Kontext des Interkulturellen –
Die Scientific Community als Beispiel kultur- und völkerübergreifender Verständigung‹.
In dieser Monographie verbindet Gerdsen zwei Themenkreise miteinander: Das für die europäisch-westliche Kultur problematische Verhältnis zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften, das bereits
1959 von Charles Percy Snow mit seiner Schrift ›Die zwei Kulturen‹ ins
Bewusstsein gehoben wurde und die im Rahmen der Interkulturalität
entstehende Aufgabe der kulturen- und völkerübergreifenden Verständigung. Dabei untersucht Gerdsen die den Wissenschaften zugrundeliegenden Denkstrukturen und kommt zu dem Ergebnis, dass insbesondere die Naturwissenschaften Kulturen und Völker übergreifend
wirken, in dem sie die in ihnen wirkenden Menschen in einer ›Scientific
Community‹ verbinden.
Im Laufe der Zeit reift angesichts der Aktualität die Idee, den Gedankenaustausch über Probleme der Interkulturalität in Form eines Dialogs zu veröffentlichen. So entsteht 2008 die zweite Monographie dieses Bandes ›Interkulturalität wozu? – Hamid Reza Yousefi und Peter
Gerdsen im Gespräch‹, die von Ina Braun und Hermann-Josef Scheidgen herausgegeben wurde. Interkulturalität als eine grundsätzliche
Überzeugung und Einstellung ist eine unentbehrliche Denknotwendigkeit unserer Zeit mit vielen Facetten und Dimensionen. Die Monographie stellt ein buntes Kaleidoskop von interkulturellen Zugängen vor,
entfaltet von verschiedenen Sachproblemen auf variierenden methodischen Wegen her Fragen und bietet Lösungsansätze an.
Den Abschluss dieses Bandes bilden in ergänzender Weise zwei Beiträge, die um das Thema Interkulturalität kreisen, − ›Die Menschenrechte – Dekonstruktion und Rekonstruktion eines umstrittenen Begriffs‹ aus dem Jahre 2008 und ›Globalisierung und Religion im Widerstreit‹ aus dem Jahre 2013.
Band 8
Der vorliegende 8. Band der Gesamtausgabe enthält zwei Monographien von Peter Gerdsen: ›Eine Erde wird zur Hölle – Zwischen Tradition und Moderne‹, eine Aufsatzsammlung herausgegeben von Hamid
Reza Yousefi aus dem Jahre 2013 und ›Das moralische Kostüm geistiger
Herrschaft – Wie unter dem Deckmantel der Moral Macht ausgeübt
11
Worum geht es in diesem Buch?
wird‹ aus dem Jahre 2014, das bereits 3 Auflagen erlebte. Die erste Monographie geht der Frage nach, ob und inwieweit ein Leben ohne Religion möglich ist und welche Auswirkungen diese auf die Identität des
Menschen und seine Selbstbestimmung hat. Der Mensch bedarf einer
spirituellen Dimension, die ihm Zuversicht, Hoffnung und Seinsgewissheit schenkt. Geht diese abhanden, so bekommt das Leben einen
materiellen Sinn in Form von Religionsersatz.
Peter Gerdsen diskutiert diese virulente Frage in 3 Kapiteln: ›Stellung
und Selbstbild des Menschen‹, ›Licht- und Schatten der Aufklärung‹
sowie ›Wechselverhältnis von Kultur und Wissenschaft‹, die 13 ausgewählte Schriften umfassen. In der zweiten Monographie dieses Bandes
›Das moralische Kostüm geistiger Herrschaft‹ geht es um die Analyse
des Zeitgeistes, die bereits der Hintergrund der beiden Monographien
›Blockiertes Deutschland‹ und ›Deutschland in den Fesseln der Ideologien‹ war. Dieses Werk führt seine Leser auf eine gedankliche Reise
voller Reflexionen durch die verborgenen Gewölbe des Zeitgeistes. Es
werden Mechanismen analysiert, die vor Augen führen, wie die geistige Beherrschung der Menschen funktioniert und inwieweit der Leser
selbst bereits ein Opfer dieser Beherrschung geworden ist. Die eigentlichen Ursachen für die Bedrohung der Freiheit und der moralischen
Verhältnisse sieht der Autor in dem Verlust der Transzendenz, der die
Strukturen des Bewusstseins verändert und das Denken der Wirklichkeit entfremdet.

Der vorliegende 9. Band der Gesamtausgabe bringt in besonderer
Weise das Motto der zweiten Abteilung ›Mensch und Transzendenz‹
zum Ausdruck, indem die christliche Weltsicht in den Vordergrund
rückt. Der zunehmende Säkularismus und der atheistische Materialismus bringen Gerdsen dazu, Entwicklungen in der Gesellschaft aus
christlicher Sicht zu betrachten. ›Kein Volk kann auf die Dauer ohne
Religion leben; denn es bleibt dem Menschen nicht die Wahl zu glauben oder nicht zu glauben, sondern nur an Gott zu glauben oder an
einen Götzen.‹
Die Begegnung mit dem ›Professoren Forum‹ im Jahre 2000, einem
Netzwerk von Professorinnen und Professoren verschiedener Fachrichtungen, die die christliche Weltsicht nachhaltig und überzeugend
im akademischen Raum zur Geltung bringen wollen, führt zu einer lan-
12
Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
gen Reihe von Veröffentlichungen besonders im ›Journal des Professorenforum‹, die in diesem Band unter dem Thema ›Aufsätze zur Zeit aus
christlicher Sicht‹ zusammengefasst werden. Im Jahre 2011 macht Gerdsen die Bekanntschaft mit der christlichen Radiosendung ›Treff am
Kreuz‹.
Diese Sendung berichtet aus dem täglichen Leben von Christen und
bringt Zeugnisse von Menschen, die Gottes Wirken erlebt haben. Darüber hinaus greift sie Probleme der Zeit auf, von denen eine Bedrohung
des Christentums ausgeht. Als er zu Interviews mit ›Treff am Kreuz‹
aufgefordert wird, nutzt Gerdsen die Gelegenheit, zu wichtigen Fragen
der Zeit Stellung zu nehmen. In den Jahren 2011 – 2014 kommt es zu 10
Interviews, deren schriftliche Fassungen unter dem Thema ›Interviews
zu Fragen der Zeit aus christlicher Sicht‹ zusammengefasst werden und
den Abschluss dieses Bandes bilden.
13
[2000−2016]
Aufsätze zu Fragen der Zeit aus christlicher Sicht
[2000] Das Christentum und der Begriff Toleranz
in ihrer Bedeutung für die Gesellschaft
1. Einleitende Gedanken
Jede Zeit wird beherrscht von einem Zeitgeist, dem Geist also, der die
Grundansichten und Lebensorientierungen der Menschen einer Zeit
und die Auswirkungen in der Gesellschaft prägt. Der gegenwärtige
Zeitgeist hat eine in zunehmendem Maße antichristliche Ausrichtung.
Inwiefern ist das der Fall und welche Bedeutung hat das für die Gegenwart?
Im Grundgesetz heißt es in Artikel 3, der die Gleichheit vor dem Gesetz behandelt, im Absatz 3: »Niemand darf wegen seines Geschlechtes,
seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und
Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.« Ergänzend dazu sagt der
Artikel 4, in dem es um die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit geht, im
Absatz 1: »Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit
des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.« und im Absatz 2: »Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.«
Wie müssen diese Sätze aus der Verfassung, die in Deutschland das
Grundgesetz genannt wird, interpretiert werden? Hier muss man sich
in Erinnerung rufen, dass die politische Ordnung eines Landes auf dem
Boden seiner Kultur errichtet wird und dass das Fundament der Kultur
die Religion eines Volkes ist.
Auf dem Hintergrund einer einheitlichen Religion und Kultur sind
die erwähnten Formulierungen des Grundgesetzes sinnvoll; sie bedeuten, dass von außen hereinkommende Minderheiten in ihrem Anderssein geachtet und respektiert werden. Die Religion in Deutschland ist
das Christentum und nur auf dem Boden des Christentums finden Gesetzestexte ihre richtige Interpretation.
2. Fortschreitende Entchristlichung
Nun findet aber gewissermaßen als Kehrseite der historischen Aufklärungsströmung eine fortschreitende Entchristlichung der Gesellschaft
statt. Dabei bedeutet Entchristlichung, dass das Christentum aufhört,
[2000−2016] Aufsätze zu Fragen der Zeit aus christlicher Sicht
eine ernstzunehmende Kraft bei der Bildung des öffentlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Bewusstseins unseres Volkes zu sein. Kennt
aber nun jemand den Zusammenhang zwischen Christentum, deutscher Kultur und politischer Ordnung nicht oder will er diesen Zusammenhang nicht wahrhaben, dann gelangt er zu einer anderen Interpretation der obigen Formulierungen des Grundgesetzes. Danach würde
der Staat Angehörige verschiedener Kulturen, verschiedener Religionen und verschiedener politischer Ausrichtungen in sich vereinen wollen. Danach verstünde sich der Staat als oberhalb von Kulturen und
Religionen stehend; alles wird durch das Prinzip der Toleranz zusammengebunden. Eine Vielfalt von Religionen in einem Land bedeutet
immer auch gleichzeitig eine Vielfalt von Kulturen. Man hat dann eine
multikulturelle Gesellschaft. Kann es in einem solchen Land ein friedliches und konstruktives Miteinander unter den Menschen geben, wobei jeder die Möglichkeit hat, sein eigenes Tun sinnvoll mit dem Tun
anderer zu verbinden? Global gesehen hat es unter den Völkern nie etwas anderes gegeben als Multikultur. Und wo verschiedene Kulturen
aneinandergrenzten, kam es immer leicht zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Die westliche Welt propagiert ein pluralistisches Gesellschaftskonzept, das in manchen Staaten auf Grund einer unkontrollierten Einwanderung zu einer multikulturellen Gesellschaft geführt hat.
Warum kann regional friedlich nebeneinander existieren, was global
immer zu kriegerischen Auseinandersetzungen geführt hat?
Um nun die antichristliche Prägung des Zeitgeistes in den Blick zu
bekommen, soll in wenigen Sätzen der Kern des Christentums in etwas
akzentuierter Weise dargestellt werden. Das Christentum ist eine Religion der Stärke und der Freiheit sowie auch eine Religion der Auferstehung und des Ich, das durch den Glauben soweit gestärkt wird, dass es
den Tod überdauert. Besonders die Auferstehung ist es, die das Christentum von allen anderen Religionen unterscheidet und auch gegenüber allen anderen Religionen hervorhebt.
Für den Zeitgeist ist das Christentum natürlich weiterhin existent;
aber er hat es uminterpretiert in eine Sozialreligion. Die ganze Heilige
Schrift wird reduziert auf die Bergpredigt ; Christsein wird reduziert
auf friedfertiges und soziales Handeln. Hierzu sagt Alexander Solschenizyn : »Wenn es tatsächlich wahr wäre, dass − wie der Humanismus propagiert hat − der Mensch nur für das Glück geboren wäre, so
wäre er nicht auch geboren für den Tod. Aber eben aus der Tatsache,
18
Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
dass er körperlich dem Tod bestimmt ist, ergibt sich seine Aufgabe hier
auf Erden als eine geistige.« Aber solche Aspekte unterdrückt der Zeitgeist; Freiheit, Auferstehung und das Ich verschwinden aus dem Blickfeld. Das Christentum wird unter dem Zeitgeist zu einer Religion der
Ich-Losigkeit . Natürlich geht es hier nicht um das niedere Ich, das Ego,
das unter der Knechtschaft der Bedürfnisnatur des Menschen steht,
sondern um das höhere Ich, das im Geist des Menschen in der Sphäre
der Wahrheit und der Freiheit lebt.
Wenn nun der Staat sagt, dies alles brauche ihn nicht zu berühren, er
sei überkulturell und überreligiös, so ist dies wohl eine gefährliche Täuschung. Man könnte fragen, was denn der Staat mit dem Christentum
zu tun habe; schließlich sei es doch Sache der Bürger, welcher Religion
sie sich anschließen. Leicht lässt sich zeigen, dass dies zu oberflächlich
gedacht ist. Die Geschichte zeigt, dass die Deutschen von ihrer Herkunft her vom Christentum ganz wesentlich geprägt worden sind.
Deutsch und christlich lässt sich nicht mehr ohne weiteres trennen.
Deutschsein lässt sich − jedenfalls in seiner ursprünglichen Bedeutung
− nicht denken ohne das Christentum. Denkt man in diesem Zusammenhang an den Versuch der Nationalsozialisten, die Deutschen von
ihren christlichen Wurzeln abzuschneiden, so hat man vor Augen, welche entsetzlichen Folgen dies haben kann. Bezeichnenderweise enthält
das deutsche Wort ›Ich‹ die Anfangsbuchstaben von ›Jesus Christus‹.
Das Ich, die Mitte der Person, entsteht in dem Maße, wie der Glaube an
Christus wächst. An der Person des Sohnes Gottes, des Christus, des
Herrn der Menschheit und der ganzen Welt scheiden sich die Geister.
3. Zentraler Begriff: Toleranz
Ein sehr zentraler Begriff für die unter dem Einfluss der Entchristlichung pluralistisch gewordene Gesellschaft ist die Toleranz. Solche Begriffe können krank werden und auch krank machen. Eine Gesellschaft
können sie vielleicht sogar ruinieren. Wichtig ist zunächst, dass zwischen Wort und Begriff unterschieden wird. Ein Begriff bedeutet einen
bestimmten Gedankeninhalt und ein Wort ist der Name eines Begriffs.
Überliefert werden in der Sprache die Worte und so auch das Wort Toleranz. Aber der damit verbundene Gedankeninhalt kann sich im Laufe
von Generationen erheblich verändern. Die uneingeschränkte Toleranz
kann eine Gemeinschaft lähmen und kraftlos machen, weil sie eine
Vielzahl gegenläufiger und dadurch sich gegenseitig paralysierenden
Gedankenrichtungen zulässt. Festzustellen, inwieweit dies tendenziell
19
[2000−2016] Aufsätze zu Fragen der Zeit aus christlicher Sicht
auf unsere Gesellschaft bereits zutrifft, dürfte eine interessante Untersuchung sein. Das Toleranzprinzip ist für die Gesellschaft hoch problematisch. Man muss nämlich bedenken, dass die Toleranz ihren positiven Gedankeninhalt zu einer Zeit bekam, als das ganze Volk noch auf
dem Boden des Christentums stand. Das Toleranzprinzip hatte hier
vollkommen andere Grundlagen als in der gegenwärtigen pluralistischen Gesellschaft, in der es überhaupt keine einheitlichen Lebensorientierungen mehr gibt.
In welcher Weise lassen sich aus diesen Überlegungen Schlussfolgerungen ziehen? Auf dem Boden einer durchgängig christlichen Gesellschaft konnte die Toleranz ein gesundes Prinzip sein, das sich in der
Weise äußerte, dass man den anderen in seiner Individualität und in
seinem Anderssein achtete. In der gegenwärtigen pluralistischen Gesellschaft aber, die von sehr weit in die Tiefe reichenden Gräben durchzogen wird, erscheint die in hohem Maße erforderliche Toleranz als
Notprogramm, das Diskordanzen in ethischen Grundfragen als erträglich proklamiert, die in Wirklichkeit fast unerträglich sind. Toleranz
kann zur müden Duldung, zur Gleichgültigkeit und Beliebigkeit verkommen.
4. Etymologie und Semantik
Interessant ist es, einen Blick auf die Etymologie und Semantik des
Wortes Toleranz zu werfen. Man erfährt dann, dass es sich von dem
lateinischen Wort ›tolerare‹ herleitet, was so viel bedeutet wie ›ertragen, aushalten‹. Und dem Wort ›tolerare‹ liegt der Stamm ›toles‹ zugrunde, was so viel wie ›Last‹ bedeutet. Mehr oder weniger neutral
übersetzen die Lexika das Wort ›Toleranz‹ mit Geltenlassen anderer
Weltanschauungen, Religionen, Lebensentwürfe und Überzeugungen.
Aber Etymologie und Semantik weisen mehr darauf hin, dass es sich
bei der Toleranz um ein Notprogramm handelt, das Verhältnisse als
erträglich ausgibt, die in Wirklichkeit unerträglich sind.
5. Pluralistische Gesellschaft
In den Grund- und Menschenrechten der westlichen Welt ist das Toleranzgebot in der Form von Gedanken-, Glaubens- und Gewissensfreiheit normiert. Diese Grundfreiheiten sind, so wird dann gesagt, die unbedingte Voraussetzung für eine demokratische und humane Gesellschaft. Es ist aber zu ergänzen, dass es sich um eine pluralistische Ge-
20
Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
sellschaft handelt. Solche Gesellschaften wollen einer Vielfalt von Entwürfen vom Sinn des Lebens Raum geben. Im Namen der Humanität
soll die Koexistenz verschiedener Leitbilder und Lebensziele gelingen.
Die Freiheit des Einzelnen soll ruhen in der Toleranz; das Dach des Pluralismus soll das breite Spektrum der Ideen und Bekenntnisse abschirmen. Wie entsteht eine pluralistische Gesellschaft mit der Toleranz als
höchster Tugend? Die Beantwortung dieser Frage entlarvt Pluralismus
und Toleranz als Dekadenz-Symptome dieser Gesellschaft. Es gibt in
der Geschichte keine Kulturen ohne religiösen Unterbau; jede Kultur
erwächst auf dem Boden ihrer Religion. Zerfällt nun die Religion eines
Volkes, so zersplittert auch die darauf gewachsene Kultur. Dabei ist
Pluralismus eine beschönigende Bezeichnung für diesen Sachverhalt
und Toleranz erweist sich als Notprogramm, um diese Verhältnisse
halbwegs erträglich zu gestalten.
Pluralismus wird in der heutigen Gesellschaft als besondere Errungenschaft gewertet; in der Vielfalt der Lebensformen müsse eine Bereicherung für alle gesehen werden. Aber ist dies wirklich so? In Wirklichkeit muss der Pluralismus als Schwächeerscheinung einer zerfallenden Gesellschaft gedeutet werden. Der Zerfall ist eine Folge der Entchristlichung der Gesellschaft, die sich damit von ihren Wurzeln abschneidet. Das entstehende religiöse Vakuum hat dann sehr bald das
Hereinströmen fremder Religionen und damit fremder Kulturen zur
Folge. So ergibt sich eine multireligiöse Gesellschaft, für die es letztlich
auch keine einheitliche Interpretation der das Zusammenleben regelnden Gesetzestexte mehr gibt. Die Folge ist ein sich beschleunigender
Zerfall. In Deutschland , das in absoluten Zahlen nach den Vereinigten
Staaten die meisten Einwanderer aufgenommen hat, kann auf das
Christentum als Integrationskraft nicht verzichtet werden. So ist im Interesse der Gesamtgesellschaft der Entchristlichung unseres Landes
entgegenzuwirken; das Christentum muss die prägende Kraft bleiben.
6. Problem der Identität
Was bedeutet es für die christlichen Bürger dieses Landes, wenn in zunehmenden Maße von fremden Religionen geprägte Bereiche entstehen? Hierzu muss ein Blick auf einen Sachverhalt geworfen werden,
der in das Zentrum der menschlichen Existenz führt. Die Mitte einer
Person ist ihre Individualität, das geistige Wesen, das vor der Geburt
bereits existierte und nach dem Tode weiter existieren wird. Individualität bedeutet das Unteilbare, das Unverwechselbare, das Einmalige,
21
[2000−2016] Aufsätze zu Fragen der Zeit aus christlicher Sicht
das wodurch sich eine Individualität von allen anderen unterscheidet.
In diesem Unverwechselbaren ist eine Person nur mit sich selbst identisch. Während des Lebens prägt nun eine Individualität ihr Wesen der
sie umgebenden Welt ein. Fragt nun eine Person »Wer bin ich?«, dann
kann sie in die Umwelt blicken und sagen »Das bin ich!«. So empfindet
eine Person die sie umgebende Welt als ihre Heimat. Die Bürger eines
Landes, das zunehmend multireligiöser wird, werden sich aber in ihrem eigenen Lande mehr und mehr als Fremde fühlen, weil die Welt,
in der sie leben, Prägungen fremder Religionen erhält. Pluralismus als
Zersplitterung einer von einer ehemals einheitlichen Religion geprägten Gesellschaft macht die Bildung christlicher Gemeinden sehr
schwer, wenn nicht gar ganz unmöglich. Verwirklichen kann sich
christlicher Glaube nur in der Gemeinschaft von Christen; als persönliche Angelegenheit behandelt bleibt christlicher Glaube sehr leicht
kraftlos. So entstehen als Folge einer beginnenden Entchristlichung im
Lande Verhältnisse, die den verbliebenen christlichen Bereichen den
Boden entziehen.
22
[2001] Der Mensch in seiner Auseinandersetzung
mit dem Bösen
1. Einleitende Gedanken
Zunächst werde auf einige wichtige Aspekte des Menschenbildes der
Gegenwart verwiesen. Der Mensch ist von Natur aus gut. Das Böse ist
eine Fiktion und eine Erfindung krankhafter Gehirne. Tut der Mensch
Unrecht, indem er gegen die Gesetze der Humanität verstößt, so handelt er aus einem Leidensdruck heraus. Diese Störung der Harmonie
ist hervorgerufen durch Milieueinflüsse, die den Menschen physisch
und seelisch haben krank werden lassen. Wissenschaftler sind aufgerufen, die Harmonie wiederherzustellen: Politologen und Soziologen zur
Korrektur des Milieus und Mediziner sowie Psychologen zur Wiederherstellung der physischen und seelischen Gesundheit.1
Der Glaube an den Menschen und daran, dass er von Natur aus gut
ist, hängt zusammen mit der Schwächung unserer Kraft das Gute vom
Bösen zu unterscheiden. Die dominierende Menschensicht setzt einen
Schwerpunkt beim psychologischen Aspekt. Unter diesem Blickwinkel
gibt es das Böse nicht; jedenfalls ist es irrelevant. Mit dem Bösen haben
wir aus einem ganz besonderen Grunde unüberwindliche Schwierigkeiten: auch wenn wir verstehen, dass unsere Suche nach dem Guten
solange misslingt, wie wir das Böse totschweigen, sind wir bereit, in
dieser verfehlten Haltung zu verharren, weil uns das Böse vor gänzlich
unlösbare Probleme stellt. Wenn wir das Böse als Gegenbild des Guten
ernstlich in unsere Rechnung einbringen, so können wir nicht mehr sicher sein, den Sieg des Guten, den wir schon allenthalben für unsere
Zukunft beschwören, aus eigener Kraft zu erreichen. Darum aber geht
es den zeitgenössischen Glücks- und Heilssuchern: das Gute ohne eine
Teilnahme transzendenter Mächte in Besitz zu nehmen. Bringen wir
das Böse in unsere Rechnung ein, so müssen wir erkennen, dass unsere
Suche nach dem Guten misslingt, weil das Böse überall an den Anfängen des Guten nagt − häufig im Kostüm des Guten selbst, noch öfter in
der Larve des Heilsboten, meistens verkleidet, getarnt, in die Rolle des
1
Vgl. Gerdsen, Peter: Blockiertes Deutschland. Von den geistigen Auseinandersetzungen unserer Zeit, Dresden 2004.
[2000−2016] Aufsätze zu Fragen der Zeit aus christlicher Sicht
Guten schlüpfend.
Natürlich ist dies Menschenbild falsch. Dies zeigt schon folgende einfache Überlegung. Wenn der Mensch von Natur aus gut ist, dann ist er
aus innerer Notwendigkeit zwangsläufig gut und kann dann nicht frei
sein. Aber der Begriff des Menschen lässt sich nur so denken, dass er
frei ist. Freiheit gehört zum Menschen. Somit muss auch die Idee des
Bösen zugelassen werden. Und damit erweist sich der Glaube an das
Gute im Menschen als ein Irrglaube.
2. Menschenbild der Heiligen Schrift
Ganz anders verhält es sich mit dem Menschenbild der Heiligen Schrift.
Schon im 1. Buch Mose, Kapitel 6 heißt es: »Und der Herr sah, dass die
Bosheit des Menschen auf der Erde groß war und alles Sinnen der Gedanken seines Herzens nur böse den ganzen Tag.« Dann ist als nächstes
zu fragen: Was ist das Böse? Wie tritt es dem Menschen gegenüber?
Und: Wie soll er sich gegenüber dem Bösen verhalten? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die folgende Untersuchung, die herausarbeiten
will, welche Antworten die Heilige Schrift zur Verfügung stellt. Dabei
bilden zwei Stellen aus dem Neuen Testament den Einstieg in die Thematik:
 Brief des Paulus an seinen Schüler Timotheus: »Fliehe die
jugendlichen Lüste, jage aber der Gerechtigkeit, dem Glauben, der Liebe, dem Frieden nach samt denen, die den Herrn
aus reinem Herzen anrufen.«
 Brief des Jakobus: »Stellt euch also unter die Führung Gottes,
und widerstehet dem Versucher, dann wird er von euch
weichen.«
Diese beiden Stellen zeigen, dass es in der Heiligen Schrift klare, eindeutige Handlungsanweisungen gibt. Der in der Welt stehende
Mensch soll in dem einen Fall FLIEHEN und in dem anderen Fall soll
er jedoch WIDERSTEHEN. Wodurch sind diese beiden Situationen
charakterisiert? Auf jeden Fall sind diese Handlungsanweisungen Hilfen, die dem Menschen für seine Auseinandersetzung mit dem Bösen
gegeben werden. Der Mensch, so zeigt sich, besteht aus Leib, Seele und
Geist. Damit gilt es diese Fragen zu untersuchen:
1. Was ist der Leib des Menschen?
2. Was ist die Seele des Menschen?
3. Was ist der Geist des Menschen?
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Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
Das Böse, so sagt die Heilige Schrift, tritt uns auf drei Weisen gegenüber: dem Fleisch, der Welt und in der Person des Teufels. Damit tauchen drei weitere Fragen auf:
4. Was ist das Fleisch?
5. Was ist die Welt?
6. Wer ist der Teufel?
Nachdem hierauf eine Antwort gefunden wurde, ist zu fragen:
7. In welcher Form tritt uns der Teufel entgegen?
8. Wie wirken Teufel, Welt und Fleisch auf uns ein?
Die Antworten auf die Fragen sollen sich durch das Studium der Heiligen Schrift ergeben und durch Bibelstellen belegt werden. Natürlich
enthält das verbreitete Verfahren, Bibelstellen aus ihrem Zusammenhang herauszunehmen auch Gefahren. Solche Stellen müssen aus dem
Umfeld heraus beleuchtet werden. Es spricht für die außerordentliche
Qualität der Bibeltexte, dass die Stellen auch bei der Isolation aus dem
Zusammenhang nichts von ihrem Glanz verlieren.
Eine Untersuchung zu dem Thema ›Fliehet und Widerstehet‹ hat
zwei Aspekte: einmal ist es für alle Menschen eine wichtige Frage, wie
sie sich gegenüber dem Bösen verhalten sollen, zum anderen entsteht
dabei auch so etwas wie ein Weltbild der Bibel. Die Texte der Heiligen
Schrift sind auf jeden Fall tiefgründig und vielschichtig. Keinesfalls lassen sie sich wie ein normaler philosophischer Text lesen. Drei Schichten
können gewissermaßen schon beim ersten Hinsehen ausgemacht werden:
Die geistige Ebene:
In dieser Ebene haben die Bibeltexte den Charakter mathematischer
Gleichungen, die es zu lösen gilt, wenn man ihren Inhalt erschließen
will. Ein Beispiel hierfür ist der Prolog des Johannes-Evangeliums: »Im
Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war
Gott. Alles ist durch dasselbe entstanden; und ohne dasselbe ist auch
nicht eines entstanden, was entstanden ist. In ihm war Leben und das
Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht begriffen.«
Die seelische Ebene:
In diese Ebene gehören all die vielen Bibeltexte, von denen Tröstungen
und Stärkungen ausgehen für Menschen, denen viel Leid widerfahren
ist.
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[2000−2016] Aufsätze zu Fragen der Zeit aus christlicher Sicht
Die praktische Ebene:
In dieser Ebene sind die Bibeltexte Handlungsanweisungen für das
praktische Leben.
Die Thematik des ›Fliehen‹ und ›Widerstehen‹ ordnet sich in drei biblische Begriffs-Dreiheiten ein, die im Folgenden hergeleitet werden sollen. Erst in deren Beziehungsgefüge wird erkennbar, in welchen Situationen wir standhaft widerstehen oder fliehen sollen.
Das FLIEHEN bezieht sich
 auf die Begierden der Jugend (2. Timotheus 2,22)
 auf die Lüste des Fleisches, die wider die Seele streiten... (1. Petrus
2,11)
Das WIDERSTEHEN bezieht sich
 auf den Teufel, der wie ein brüllender Löwe einhergeht... (1. Petrus
5,8)
 der dann von uns fliehen wird... (Jakobus 4,7)
Weiter heißt es in der Heiligen Schrift:
»Die Lust des Fleisches ist nicht von dem Vater, sondern von der Welt
und die Welt vergeht ...« (1. Johannes 2,16)
»Die Gesinnung des Fleisches ist der Tod, die Gesinnung des Geistes
aber Leben und Frieden ...« (Römer 8,6)
»... und euch hat er aber nun versöhnt in dem Leibe seines Fleisches
durch den Tod ...« (Kolosser 1,22)
Damit treten drei Begriffs-Dreiheiten vor uns hin, nämlich:
1. Teufel, Welt und Fleisch
2. Geist, Seele und Leib
Diese beiden stehen dem
3. Sohn, Vater und Heiligen Geist gegenüber.
So wie der Teufel die Welt und das Fleisch geprägt hat, so ist es auch
notwendig, dass der Geist des Menschen, über den er mit Gott in Verbindung treten kann, seine Seele und seinen Leib beherrscht.
3. Wesen des Menschen
Die Briefe des Paulus geben so viele Hinweise zum Wesen des Menschen, dass man eigentlich schon von einer paulinischen Menschenkunde sprechen kann. Ein Einstieg findet man im 1. Thessalonicher
Brief:
Thessalonicher 5,23: »Er selbst aber, der Gott des Friedens, heilige
euch völlig; und euer ganzer
 Geist () und
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Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
 Seele () und
 Leib ()
werden tadellos bewahrt bei der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus.« D.h. im Leibe des Menschen wohnt seine Seele und in dieser der
menschliche Geist. Die Seele ist also die Vermittlerin zwischen Leib
und Geist. Weitere interessante Bibelstellen findet man im 1. Korintherbrief:
1. Korinther 2,13: »Der seelische Mensch aber nimmt nicht an, was
vom Geiste Gottes ist; denn es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht
verstehen, weil es geistlich beurteilt werden muss.«
Anm.: Luther hat   mit ›natürlicher Mensch‹ übersetzt.
1. Korinther 3,1: »Und ich meine lieben Brüder konnte nicht mit euch
reden als mit geistlichen, sondern als mit fleischlichen Menschen, als
mit unmündigen in Christus.«
1. Korinther 2,11: »Denn welcher Mensch weiß, was im Menschen ist,
als nur der Geist des Menschen, der in ihm ist?«
Der Apostel Paulus unterscheidet also
 den geistlichen Menschen,
 den seelischen Menschen und
 den fleischlichen Menschen.
In 1. Korinther 15,44 schreibt der Apostel: ».... es wird gesät ein seelischer Leib und es wird auferweckt ein geistlicher Leib. Wenn es einen
seelischen Leib gibt, so gibt es auch einen geistigen.«
Offenbar ist ›Leib‹ für Paulus ein Obergriff. Er unterscheidet hier:
 den geistlichen Leib und
 den seelischen Leib.
4. Wesen des Bösen
Die Heilige Schrift lehrt uns, dass jedem Teil unseren Wesens
GEIST, SEELE und LEIB
ein besonderer Widersacher gegenübersteht: Der Leib steht in ständiger Gefahr unter die Knechtschaft des Fleisches zu geraten. Der Seele
steht die Welt feindlich gegenüber, während der Geist des Menschen
von dem bösen Geist, dem Teufel befehdet wird.
Wer ist der Teufel? In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass
in der Heiligen Schrift nicht vom allgemeinen Bösen gesprochen wird,
sondern von der Person des Teufels. Das Wort Teufel leitet sich von
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[2000−2016] Aufsätze zu Fragen der Zeit aus christlicher Sicht
dem Griechischen ›Diabolos‹ her. Das bedeutet etwa der ›Durcheinanderwerfer‹, eine einleuchtende Bezeichnung, wenn daran erinnert
wird, dass der Teufel Täuschungen, Irrlichter und Trugbilder verbreitet. Außer der Bezeichnung ›Diabolos‹ findet sich im Neuen Testament
das Wort ›Satanas‹, was etwa mit ›Widersacher‹ zu übersetzen ist.
Was bedeutet das Fleisch? Auf keinen Fall darf der biblische Begriff
Fleisch mit dem Leib des Menschen verwechselt werden. Das zeigen
zwei Bibelstellen aus den Paulusbriefen:
1. Korinther 6,19: »Oder wisset ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel
des in euch wohnenden Heiligen Geistes ist, welchen ihr von Gott empfangen habt, und dass nicht euch selbst angehöret. Denn ihr seid teuer
erkauft; darum verherrlicht Gott mit eurem Leibe.«
Römer 8,6: »Die Gesinnung des Fleisches ist der Tod, ist Feindschaft
gegen Gott.«
Das Fleisch ist also die Natur des von Gott abgefallenen Menschen!
Die Befreiung von der Macht des Fleisches erfolgt nicht durch
widerstehen und gegenankämpfen,
sondern durch
abwenden, enthalten, fliehen.
Eine besonders ausführliche Charakterisierung des biblischen Begriffes
Fleisch durch den Apostel Paulus findet sich im Galaterbrief:
Galater 5,16: »Ich sage aber, wandelt im Geist, so werdet ihr die Lüste
des Fleisches nicht vollbringen. Denn das Fleisch gelüstet wider den
Geist und der Geist wider das Fleisch; diese widerstreben einander, so
dass ihr nicht tut, was ihr wollt. Werdet ihr aber vom Geist geleitet, so
seid ihr nicht unter dem Gesetz. Offenbar sind aber die Werke des Fleisches welche sind: Ehebruch, Unzucht, Unreinigkeit, Ausschweifung,
Götzendienst, Zauberei, Feindschaft, Hader, Eifersucht, Zorn, Ehrgeiz,
Zwietracht, Spaltungen, Neid, Mord; Trunkenheit, Gelage und dergleichen, wovon ich euch voraussage, wie ich schon zuvor gesagt habe,
dass die welche solches tun, das Reich Gottes nicht ererben werden.«
5. Wesen der Welt
Was bedeutet die Welt? Der Begriff ist klar zu unterscheiden von der
›Schöpfung Gottes‹, der Natur um uns, deren Schönheit wir in Gemeinschaft mit Gott genießen dürfen.
Matthäus 16,26 »Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze
Welt gewönne und nähme dabei Schaden an seiner Seele?«
1. Johannes 5,4: »Denn alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die
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Peter Gerdsen  Gesammelte Werke
Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Wer
ist es, der die Welt überwindet, wenn nicht der, welcher glaubt, dass
Jesus der Sohn Gottes ist?«
Somit ist die Welt also das,
 was es zu überwinden gilt,
 was uns Schaden an unserer Seele zufügen kann.
Unter Welt ist das gegenwärtige System zu verstehen, das sich auf moralischem, politischem und religiösem Gebiet in Unabhängigkeit von
Gott befindet. Das wiederum heißt, dass Welt der Teil unserer Umgebung ist, der das Brandzeichen des Satan trägt; denn dieser ist der verborgene Drahtzieher der Politik der Welt und ihres sittlichen Verfalls
sowie ihrer Religion.
Johannes 2,15: »Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist!
Wenn jemand die Welt lieb hat, so ist die Liebe des Vaters nicht in ihm.
Denn alles, was in der Welt ist, die Fleischeslust, die Augenlust und das
hoffärtige Leben, kommt nicht vom Vater her, sondern von der Welt,
und die Welt vergeht mit ihrer Lust; wer aber den Willen Gottes tut,
der bleibt in Ewigkeit.«
Das heißt unter anderem: Die Welt ist in ihrem Wesen den Wünschen
des Fleisches vollkommen angepasst.
Lukas 4,5: »Wiederum nimmt ihn der Teufel mit auf einen sehr hohen
Berg und zeigt ihm alle Reiche der Welt in einem Augenblick. Und der
Teufel sprach zu ihm: Dir will ich all diese Herrschaft und ihre Herrlichkeit geben; denn sie ist mir übergeben, und ich gebe sie, wem ich
will. Wenn du nun vor mir anbetest, so soll alles Dein sein.«
Daraus aber geht hervor, dass die Welt in der wir leben, das Reich
des Teufels ist. Sie trägt seine Prägung.
Johannes 3,16: »Denn Gott hat die Welt so geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren
gehe, sondern ewiges Leben habe.«
Was heißt das aber? Gott liebt die von ihm abgefallene Welt und will
sie mit sich versöhnen. Welche Lehre ist für unser Verhältnis zur Welt
daraus zu ziehen?
Wir sollen die WELT
weder FLIEHEN
noch uns in ihr
VERLIEREN,
sondern in sie
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