Du führst mich hinaus ins Weite Das Alte Testament in ausgewählten Texten mit Erläuterungen und Kommentaren 1 Meiner Frau, meinen Kindern und Enkelkindern und ihren Lieben gewidmet Zum Buchtitel „Du führst mich hinaus ins Weite“ Biblische Bezugsstellen sind „Er [Gott, der Herr] führt mich hinaus ins Weite“ Psalm 18,20 [Einheitsübersetzung] und „Du [Gott, der Herr] stellst meine Füße auf weiten Raum“ Psalm 31,9 [Lutherbibel] 2 Franz-Josef Lütke Schelhowe Du führst mich hinaus ins Weite Das Alte Testament in ausgewählten Texten mit Erläuterungen und Kommentaren Westfälische Reihe 3 © 2014 Franz-Josef Lütke Schelhowe Umschlagmotiv: Landschaft in Schottland Foto von Christian Albiker, Münster Als Bibeltext ist zugrunde gelegt Die Bibel: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift Gesamtausgabe © Katholische Bibelanstalt Stuttgart, 1993 Verlag: Westfälische Reihe, Münster ISBN 978-3-95627-270-7 (Paperback) ISBN 978-3-95627-271-4 (Hardvover) Printed in Germany Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 4 I)HALT 13 Vorwort 15 Einführung in das Alte Testament 17 Zur Einstimmung: Exodus 3,13f; Deuteronomium 6,4-7 und Psalm 104 GLIEDERU)G U)D THEME) DES ALTE) TESTAME)TS 19 Die fünf Bücher des Mose 19 Das Buch Genesis (1. Buch Mose) 20 ● Die Urgeschichten Genesis 1 - 11 20 21 25 26 28 29 37 41 49 Weltbilder zur Zeit der Bibel Genesis 1,1 - 2,4a Die hymnische Schöpfungsdarstellung Anmerkungen zum Schöpfungshymnus Die Erschaffung des Menschen nach Genesis 1 Psalm 8 Genesis 2,4b - 3,24 Die erzählende Schöpfungsdarstellung Genesis 4 Kain und Abel Genesis 6 - 9 Die Sintflut Genesis 11,1-9 Der Turmbau zu Babel u. die Sprachverwirrung 52 ● Die Erzvätererzählungen Genesis 11 - 36 53 53 55 56 Abraham und Isaak Genesis 11ff Genesis 11,10-32 Abraham. Abstammung und Herkunft Genesis 12,1-10 Verheißung und Aufbruch Genesis 13,1-19 Teilen 5 57 60 61 62 64 66 69 72 Genesis 14,10-24 Das Treffen bei Salem Genesis 15,1 - 6.18 Erwählung eines Einzelnen durch Gott Genesis 17,1-11 Erwählung des Volkes durch Gott Genesis 18,1-16 u. 21,1.6 Gastfreundschaft und Verheißung Genesis 18,23-33 u. 19,15-26 Sodom und Gomorra Genesis 16 u. 21 Hagar und Ismael, Sara und Isaak Genesis 22,1-13 Abrahams Erprobung Genesis 24 Rebekka wird Isaaks Frau 75 76 77 78 81 82 83 85 86 86 88 Jakob Genesis 25ff Genesis 25,19-26 Geburt Esaus und Jakobs Genesis 25,27-34 Esau verkauft sein Erstgeburtsrecht Genesis 27,1-40 Der Erstgeburtssegen Genesis 27,41-45 Jakobs Flucht nach Haran Genesis 28,10-22 Jakobs Traum von der Himmelstreppe Genesis 29,1-30 Jakobs Familiengründung Genesis 30 u. 31 Jakobs Exodus Genesis 32,4-6 Versöhnungsangebot Genesis 32,23-33 Jakobs Kampf Genesis 32,10-22; 33,1-17 Versöhnte Brüder 91 ● Die Josefsnovelle Genesis 37 - 50 92 96 102 110 112 Genesis 37 Der Konflikt zwischen den Brüdern Genesis 39 - 41 Der Aufstieg Josefs in Ägypten Genesis 42 - 46 Zusammenführung der Familie des Jakob Genesis 48f Vermächtnis, Tod und Begräbnis Jakobs Genesis 50 Die endgültige Lösung des Bruderkonflikts 115 Das Buch Exodus (2. Buch Mose) 115 Bedeutung des M o s e 117 Rollen des M o s e 118 Exodus 1,1-12 Die Nachkommen Jakobs als unterdrückte Immigranten in Ägypten 120 Exodus 1,15-22; 2,1-10 Kindheitslegende des Mose 122 Exodus 2,11-22 Einsatz für Misshandelte bzw. Bedrängte 124 Exodus 2,23 - 3,9 Berufung des Mose 6 126 129 131 135 137 137 140 142 144 145 146 147 148 153 Exodus 3,10-15; 4,10-16 Vier Bedenken des Mose Exodus 3,14f Namen Gottes Exodus 5,1 - 6,1 Verhandlungen und Plagen Exodus 11,1-6 Ankündigung der letzten Plage Exodus 12,1-51 Gedenken an den Auszug aus Ägypten Exodus 14,5-31 Exodus Exodus 15,1-21 Der Jubel über die Befreiung Exodus 15,22 - 17,6 Not, Murren und Hilfe Exodus 17,8-13 Die Kraft des Gebets Exodus 19,1f Die Bedeutung der Sinaiüberlieferung Exodus 19,3-8; 34,3-8 Der Bundesgott Exodus 19,16-20 Offenbarung auf dem Sinai Exodus 20,2-17; Deuteronomium 5,6-21 Der Dekalog Exodus 32 u. 34 Das goldene Kalb 155 Das Buch Levitikus (3. Buch Mose) 155 Lev 16, 23 u. 25; Dtn 15 Versöhnung und Schuldenerlass 157 158 160 161 Das Buch )umeri (4. Buch Mose) 9umeri 22-24 Der Seher Bileam 9umeri 21 Die kupferne Schlange 9umeri 13 Die Kundschafter 162 162 163 164 Das Buch Deuteronomium (5. Buch Mose) Deuteronomium 6,4-9 Schema Israel Deuteronomium 6,20-24; 26,5-10 Heilsgeschichtliches Credo Deuteronomium 34,1-12 Abschied des Mose 167 Die Bücher der Geschichte des Volkes Gottes 167 Das Buch Josua 167 Niederlassung im Gelobten Land 169 Josua 3 - 6 Durchzug durch den Jordan und Eroberung Jerichos 7 172 Das Buch der Richter 172 Richter 4 – 8 Debora und Gideon 174 Richter 13 - 16 Simson 176 Das Buch Rut 178 Die Bücher Samuel und Könige 178 Königtum in Israel 180 1 Samuel 1ff S a m u e l 182 1 Samuel 9ff S a u l s Aufstieg und Fall 184 186 187 188 189 191 194 196 1 Samuel 16f Der junge D a v i d 1 Samuel 17 David und Goliat 1 Samuel 16 u. 18 David - der Musiker und Konkurrent 1 Samuel 18-20; 2 Samuel 1 David - der Freund 1 Samuel 18f ; 2 Samuel 5 Vom Flüchtling zum Herrscher 2 Samuel 5f Jerusalem als politischer und religiöser Mittelpunkt 2 Samuel 11 David, Batseba und Urija 2 Samuel 12 / Psalm 51 Davids Schulderkenntnis und Sühne 198 200 202 204 205 206 208 209 1 Könige 3 u. 5 S a l o m o , der dritte König Israels 1 Könige 3 Das salomonische Urteil Der erste Tempel von Jerusalem 1 Könige 10 Die Königin von Saba 1 Könige 11 Ausländische Nebenfrauen 1 Könige 12 Reichsteilung nach Salomos Tod Könige nach der Reichsteilung Jahweglaube contra Baalskult 210 211 213 215 216 217 219 221 E l i j a (Elia) 1 Könige 17 Elija als Warner, Hilfsbedürftiger und Helfer 1 Könige 18 Machtprobe zwischen Baal und Jahwe 1 Könige 19,1-8 Elija in der Wüste 1 Könige 19,9-13 Elija am Horeb 1 Könige 21 Nabots Weinberg 1 Könige 19; 2 Kön 2 Elijas Nachfolgeregelung u. Himmelfahrt 2 Könige 2,12-15 E l i s c h a s Bevollmächtigung und Wirken 8 222 222 222 223 Israels Weg durch die Zeit in weiteren biblischen Büchern Erstes und zweites Buch der Chronik Die Bücher Esra und )ehemia Erstes und zweites Buch der Makkabäer 224 Das Buch Tobit 225 Tobit 2 u. 3 Unverschuldetes Leid 226 Tobit 10-13 Himmlischer Beistand und Rettungen 228 Das Buch Judit 228 Judit 12f Die Bedrohung und Rettung des Gottesvolkes 231 Judit 13 u. 15 Die Flucht der Feinde, das Lob Gottes und die Verehrung Judits 233 233 235 237 Das Buch Ester Ester 1 Die Verstoßung der Königin Waschti Ester 2 Ester wird persische Königin Ester 3-7 Hamans geplanter Anschlag auf die Juden. Esters Gegenstrategie und Hamans Ende 239 Ester 8-10 Der Aufstieg Mordechais. Die Rettung und Rache der Juden 241 Erinnerung an die Rettung. Das jüdische Purimfest 242 Die Bücher der Lehrweisheit und Psalmen 242 Das Buch Ijob 243 Ijob 1; 2; 42 Der leidensfähige, gottergebene Ijob 246 Ijob 2-42 Der sich rechtfertigende, klagende Ijob 254 Die Psalmen Verweise: Ps 104 (S. 17) // Ps 8 (S. 28) // Ps 51 (S. 197), Ps 137 (S. 326) // Ps 18 u. 23 (S. 366) 256 Jesus Sirach 47 David als Psalmist 256 Eröffnung des Psalters: Psalmen 1 und 2 258 Lob und Geborgenheit: Psalmen 148 und 139 9 260 Klage und Vertrauen in großer Not: 269 270 271 Psalmen 13, 77, 102 u. 142 Weitere Psalmen in Auswahl: Psalmen 22, 42, 43, 103, 117, 118, , 126, 127 und 146 Psalm und Kirchenlied Psalm 130 und Martin Luther: Aus tiefer Not Psalm 46 und Martin Luther: Ein(e) feste Burg ist unser Gott 273 274 275 278 280 Biblische Weisheit Das Buch der Sprichwörter Das Buch Kohelet Das Buch der Weisheit Das Buch Jesus Sirach 262 283 Das Hohelied 287 Die Bücher der Propheten 290 ● Prophetie im 8. Jh. vor dem Untergang des ordreiches im Jahr 722 v. Chr. 266 291 294 294 295 297 298 299 301 302 304 306 309 309 10 Das Buch Amos Amos passim Kritik und Wirkung Das Buch Hosea Hosea passim Soziale und Kultkritik Hosea 1; 3 u. 11 Die unerschütterliche Liebe Jahwes Das Buch Jesaja Jesaja 6 Die Berufung des Propheten Jesaja passim Klagen Jesaja 5 Vergleich zwischen einem unfruchtbaren Weinberg und dem abtrünnigen Volk Jesaja 2 u. 25 Heil vom Zion Jesaja passim Das rettende Kind Jesaja passim Das verheißene Friedensreich Das Buch Micha Micha passim Drohreden und Verheißungen 311 ● Prophetie im 7. Jh. nach dem Untergang des ordreiches Israel im Jahr 722 v. Chr. und vor dem Untergang des Südreiches Juda 586 v. Chr. 312 312 314 316 318 320 321 321 321 322 322 323 323 324 324 Das Buch Jeremia Jeremia 1 u. 15 Jeremias Berufung Jeremia passim Soziale und religiöse Kritik Jeremia passim Bildsprache und Zeichenhandlungen Jeremia passim Leiden und Klage Die Klagelieder Klagelieder 5 Trauer um den verwüsteten Zionsberg Das Buch Baruch Baruch 5 Trostworte Das Buch )ahum 9ahum 1 u. 3 Das Ende Ninives Das Buch Zefanja Zefanja 1 u. 3 Kritik an Unrecht, Gerichtstag Das Buch Habakuk Habakuk passim Ruf nach dem Eingreifen Gottes 325 ● Prophetie vom sechsten bis zum zweiten Jahrhundert v. Chr. 325 327 327 328 330 331 332 332 334 Das Babylonische Exil / Psalm 137 Das Buch Ezechiel Ezechiel 1 Vision der vier Lebewesen Ezechiel 2 u. 3 Berufung, Sendung und Botschaft Ezechiel passim Jahwe, der Freund des Lebens Ezechiel 37 Vision von der Auferweckung Israels (Deutero)-Jesaja Jesaja passim Glaubens- und Hoffnungsbotschaft Jesaja 52 u. 53 Leiden als stellvertretende Sühne. Das vierte Lied vom Gottesknecht Die Rückkehr aus dem Exil Exkurs: Der Tempel in Jerusalem. Geschichtlicher Überblick Das Buch Obadja passim Warnung an Edom Das Buch Haggai passim Erneuerung des Lebens in Israel Das Buch Sacharja passim Eine neue Heilszeit 336 337 338 339 339 11 341 Das Buch Maleachi passim Dialog mit Skeptikern 342 Das Buch Joel passim Der Tag Jahwes / Geistausgießung 343 ● Alternative prophetische Bücher 344 344 346 348 350 352 353 354 356 358 361 362 366 Das Buch Jona Jona 1 Jonas Flucht Jona 1 u. 2 Jonas Tiefenerfahrung Jona 3 Verkündigung des Jona und Umkehr Ninives Jona 4 Die begrenzte Einsicht des Jona Das Buch Daniel Daniel 3 Die drei Jünglinge im Feuerofen Daniel 5 Das Gastmahl des Königs Belsazar Daniel 6 Daniel in der Löwengrube Daniel 13 Die Rettung der Susanna Apokalyptik Daniel 7 Danielapokalypse Epilog 366 Psalm 18 Ich will dich rühmen 366 Psalm 23 Der Herr ist mein Hirte 369 370 371 374 375 376 377 12 A)HA)G Abkürzungen der biblischen Bücher Epochen des biblischen Israel Physikalische Karte Palästinas Karte: Das Reich Davids Karte: Das persische Reich Literaturhinweise Vorwort In den bekannten Handausgaben der BIBEL umfasst das Alte Testament in der Regel über 1000 Seiten. Sie alle zu lesen, wird den meisten Zeitgenossen schwer fallen. Unbestritten ist aber, dass das Alte Testament, der jüdische (und zugleich christliche) Teil der Heiligen Schrift, zahlreiche Aussagen enthält, die zu kennen für jeden Juden und Christen und für weitere kulturell interessierte Menschen unverzichtbar ist. So stellt sich dieses Buch der Herausforderung, möglichst viele der Perikopen aus dem Alten Testament zu präsentieren, die für ein heutiges Glaubens- und Kulturverständnis bedeutsam erscheinen. Biblische Passagen, die sich vorwiegend mit kriegerischen und machtpolitischen Auseinandersetzungen in biblischer Zeit, mit Genealogieregistern und mit speziellen Gesetzesvorschriften und Kultregeln, die nur für Juden gelten, befassen, blieben zumeist unbeachtet. Das Prinzip der Auswahlbibel zwang zu einer Begrenzung auf die Wiedergabe nur eines Teils der Heiligen Schrift. So wird der kundige Leser vielleicht einige Abschnitte aus der Bibel vermissen, die für ihn persönlich wichtig sind. Es ist zu wünschen, dass die Lektüre dieses Buches dazu motiviert, auch weitere Teile des Alten Testaments zu lesen. Da es sich um sehr alte Texte aus einem uns fremden kulturellen Hintergrund handelt, schien es notwendig, die ausgewählten Perikopen zumindest knapp zu erläutern und Hilfestellungen für eine mögliche Auslegung anzubieten. Wegen des beschränkten Raumes kam es gelegentlich zu Kürzungen des Bibeltextes, wobei aber stets darauf geachtet wurde, dass der Sinnzusammenhang erkennbar blieb. Als Textbasis diente – von wenigen Ausnahmen abgesehen – die sogenannte „Einheitsübersetzung“ der Heiligen Schrift (EÜ), die 1978 für den kirchlichen Gebrauch im Gottesdienst und in der Schule herausgegeben worden ist. Selbstverständlich ist die dort vorgenommene Übertragung aus den alten Originalsprachen der Bibel (Hebräisch und Griechisch) mit Einschränkungen verbunden, da der ursprüngliche Wortsinn oft nicht voll wiedergegeben werden konnte. Das betrifft besonders die hebräischen 13 Gottesbezeichnungen (u. a. Jahwe, Elohim), die in der Einheitsübersetzung mit den vieldeutigen Begriffen „Gott“ bzw. „der Herr“ wiedergegeben werden. Die Erläuterungen und Kommentare basieren einerseits auf persönlichen Analysen und Einschätzungen und andererseits auf zahlreichen Ergebnissen der Bibelforschung, soweit sie in den zusammenfassenden exegetischen Orientierungshilfen zugänglich war. Dabei erwiesen sich die in der Literaturliste genannten Bücher und Zeitschriften als besonders wertvoll. Darüber hinaus wurden viele andere bibelkundliche Texte, die im Laufe einer langen Tätigkeit als Religionslehrer gesammelt worden sind, zu Rate gezogen. Auf den Nachweis der Anregungen durch Quellenangaben wurde in der Regel, außer in den Fällen von längeren wörtlichen Zitaten, verzichtet, da der Lesefluss erleichtert werden sollte und die Darstellung keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt. Der Verfasser möchte lediglich einen bescheidenen und überschaubaren Beitrag zur Verbreitung des biblischen Gedankenguts im Rahmen einer kommentierten Auswahlbibel leisten. Die Reihenfolge der vorgestellten 46 biblischen Bücher entspricht im Wesentlichen der Gliederung des christlichen biblischen Kanons (Fünf Bücher Mose und Bücher der Geschichte des Volkes Gottes, Bücher der Lehrweisheit und Psalmen sowie die Bücher der Propheten). Bei den prophetischen Schriften erfolgt die Ordnung allerdings im Hinblick auf die wahrscheinliche Entstehungszeit (vorexilisch, exilisch, nachexilisch) bzw. nach literarischen Gesichtspunkten (zunächst die Bücher mit Prophetenreden, dann die Erzählungen über Propheten). Jüdische und protestantische Bibeln klammern teilweise die ursprünglich griechisch-sprachigen Bücher des AT aus, die aber hier in Auszügen erfasst sind; es sind die sogenannten deuterokanonischen Schriften Tobit, Judit, 1 u. 2 Makkabäer, Weisheit, Jesus Sirach und Baruch. Möge dieses Buch ein größeres Verständnis für die jüdisch-christliche Schriftüberlieferung wecken und auch bei der persönlichen Sinnsuche und Glaubensfindung von Gewinn sein. Franz-Josef Lütke Schelhowe, 2014 14 Einführung in das Alte Testament Der Titel „Altes Testament“ (AT) gibt den gängigen Sprachgebrauch wieder und soll nur auf die ältere Entstehungszeit im Vergleich zum „Neuen Testament“ hinweisen (vgl. ähnlich die Rede vom „Ersten Testament“), er ist also keinesfalls abwertend gemeint. Weitere Bezeichnungen stellen andere Charakteristika heraus, z. B. „Jüdische Bibel“ (= Heilige Schrift der Juden), Hebräische Bibel (= ursprüngliche Sprache der meisten Bücher des AT). Das Alte Testament ist in erster Linie die Grundlage der jüdischen Religion. Über den Juden Jesus und seine Anhänger ist es dann auch die Heilige Schrift der Christen geworden, wobei im Verlauf des 1./2. Jahrhunderts nach Christus die Schriften des Neue Testaments (NT) hinzugekommen sind. Die Verknüpfung der beiden Testamente zeigt sich u. a. daran, dass die Evangelisten und die Verfasser der Briefe immer wieder aus dem Alten Testament zitieren. So verbindet die Gesamt-Bibel die beiden Offenbarungsreligionen, das Judentum und das Christentum; die Juden sind gleichsam die „älteren Brüder und Schwestern“ der Christen. Entstanden sind die biblischen Schriften des AT zu verschiedenen Zeiten im ersten Jahrtausend vor Christus. Vorangegangen ist allerdings in der Regel eine längere mündliche Tradition. Wer, was, in welcher Zeit und wo ursprünglich gesprochen oder geschrieben bzw. später überliefert hat, ist zu einem großen Teil unbekannt oder unsicher. Allerdings ist davon auszugehen, dass anerkannte charismatische Worte stets mit viel Sorgfalt und großem Respekt weitergegeben worden sind, was eine spätere Bearbeitung nicht ausschließt. Bei den prophetischen Schriften ist im Kernbestand der Texte anzunehmen, dass überwiegend die im Titel genannten Propheten als ursprüngliche Redner/Autoren in Frage kommen (vgl. die Anmerkungen zu den einzelnen Büchern). Schwieriger ist die Urheberschaft anderer biblischer Werke zu bestimmen. Für den Pentateuch (von den Schöpfungserzählungen bis zum Ende der Sinaiwanderung) wird zum Beispiel angenommen, dass einzelne Erzählstränge bzw. Textsammlungen von unterschiedlichen 15 Autoren(gruppen) stammen. Als Verfasser/Quellen gelten u. a. der „Jahwist, der Gott als „Jahwe“ bezeichnet (etwa 10. Jh. v. Chr.), der „Elohist“, der für das neutrale Wort Gott die Bezeichnung „Elohim“ bevorzugt (etwa 9./8. Jh. v. Chr.), das Buch Deuteronomium (etwa 7./6. Jh. v. Chr.) und eine von Priestern erstellte Schrift (frühestens seit dem 6. Jh. Chr.). Einige neuere Forschungen unterscheiden drei große Überlieferungsströme: das Jerusalemer und das Exilische Geschichtswerk, die Priesterliche Grundschrift und das Deuteronomium. Bei der sprachlich-formalen Vermittlung der biblischen Botschaft beachteten die Autoren zumeist die Kriterien spezieller Textgattungen, z. B. sind zu unterscheiden Mythen, Genealogien, Lebensläufe, Familien- und Stammeserinnerungen, Heldenlegenden, Erzählungen von Heiligtümern, Gotteserscheinungen, Geschichtsberichte, Listen, Reden, Gleichnisse, Wunder, Lieder, Gesetzestexte usw. Kleine Erzähleinheiten wurden dann später zu Büchern zusammengefasst. Deren Titel verweisen zumeist auf Themen, z. B. Exodus (Auszug aus Ägypten), Hauptfiguren, z. B. Josua, Samuel, Gattungen, z. B. Psalmen, Sprichwörter, und andere Eigenheiten, z. B. Deuteronomium (Wiederholung des Gesetzes). In einem weiteren Schritt sind die einzelnen Bücher der Bibel zu größeren Gruppen zusammengefasst und als heilige Schriften anerkannt worden, so wahrscheinlich der „Pentateuch“ (bis etwa 400 v. Chr.), die „Prophetischen Bücher“ (bis etwa 200 v. Chr.) und weitere „Schriften“, u. a. Psalmen, Ijob usw. (bis etwa 100 v. Chr.). Schließlich wurde der alttestamentliche Kanon (die Auswahl und die Ordnung aller Schriften) von den Glaubensgemeinschaften der Juden sowie der katholischen und der protestantischen Christen im ersten und zweiten Jahrtausend n. Chr. mit je eigenen Abweichungen endgültig festgelegt. Einige Angaben nach: S. Herrmann: Einführung in das Alte Testament, 1986; E. Zenger (Hrsg.): Stuttgarter Altes Testament 1980; H. Halbfas: Die Bibel 2001. 16 Zur Einstimmung Da sagte Mose zu Gott: Gut, ich werde also zu den Israeliten kommen und ihnen sagen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt. Da werden sie mich fragen: Wie heißt er? Was soll ich ihnen darauf antworten? Da antwortete Gott dem Mose: Ich bin ‚Jahwe‘ (Ich bin der ‚Ich-bin-da‘). Exodus 3,13f Höre, Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft. Diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen. Du sollst sie deinen Kindern wiederholen. Du sollst von ihnen reden, wenn du zu Hause sitzt und wenn du auf der Straße gehst, wenn du dich schlafen legst und wenn du aufstehst. Deuteronomium 6,4-7 1 Lobe den Herrn, meine Seele! Herr, mein Gott, wie groß bist du! Du bist mit Hoheit und Pracht bekleidet. 2 Du hüllst dich in Licht wie in ein Kleid, du spannst den Himmel aus wie ein Zelt. 3 Du verankerst die Balken deiner Wohnung im Wasser, du nimmst dir die Wolken zum Wagen, du fährst daher mit den Flügeln des Sturmes. 4 Du machst dir die Winde zu Boten und lodernde Feuer zu deinen Dienern. 5 Du hast die Erde auf Pfeiler gegründet; in alle Ewigkeit wird sie nicht wanken. 6 Einst hat die Urflut sie bedeckt wie ein Kleid, die Wasser standen über den Bergen. 7 Sie wichen vor deinem Drohen zurück, sie flohen vor der Stimme deines Donners. 8 Da erhoben sich die Berge und senkten sich die Täler an den Ort, den du für sie bestimmt hast. 9 Du hast den Wassern eine Grenze gesetzt, 17 die dürfen sie nicht überschreiten; nie wieder sollen sie die Erde bedecken. 10 Du lässt die Quellen hervorsprudeln in den Tälern, sie eilen zwischen den Bergen dahin. 11 Allen Tieren des Feldes spenden sie Trank, die Wildesel stillen ihren Durst daraus. […] 14 Du lässt Gras wachsen für das Vieh, auch Pflanzen für den Menschen, die er anbaut, damit er Brot gewinnt von der Erde 15 und Wein, der das Herz des Menschen erfreut, damit sein Gesicht von Öl erglänzt und Brot das Menschenherz stärkt. 16 Die Bäume des Herrn trinken sich satt, die Zedern des Libanon, die er gepflanzt hat. 17 In ihnen bauen die Vögel ihr )est, auf den Zypressen nistet der Storch. 18 Die hohen Berge gehören dem Steinbock, dem Klippdachs bieten die Felsen Zuflucht. 19 Du hast den Mond gemacht als Maß für die Zeiten, die Sonne weiß, wann sie untergeht. 20 Du sendest Finsternis und es wird )acht, dann regen sich alle Tiere des Waldes. 21 Die jungen Löwen brüllen nach Beute, sie verlangen von Gott ihre )ahrung. 22 Strahlt die Sonne dann auf, so schleichen sie heim und lagern sich in ihren Verstecken. 23 )un geht der Mensch hinaus an sein Tagwerk, an seine Arbeit bis zum Abend. 24 Herr, wie zahlreich sind deine Werke! Mit Weisheit hast du sie alle gemacht, die Erde ist voll von deinen Geschöpfen. […] 33 Ich will dem Herrn singen, solange ich lebe, will meinem Gott spielen, solange ich da bin. 34 Möge ihm mein Dichten gefallen. Ich will mich freuen am Herrn. 35 Lobe den Herrn, meine Seele! Halleluja! Psalm 104 18 Die fünf Bücher des Mose Mit dem Buch Genesis beginnt in der Bibel eine Sammlung von fünf Schriften, für die es drei zusammenfassende Namen gibt: „Fünf Bücher Mose“, „Pentateuch“ (griech. Fünf-Buch) oder „Tora“ (hebr. Weisung, Gesetz). Neben dem Buch Genesis sind es die Bücher Exodus, Levitikus, Numeri und Deuteronomium. Die Erzählungen dieser Schriften reichen von der Erschaffung der Welt über die Stammväter-Geschichten und das Werden des Volkes Israel in Ägypten bis zum Ende der von Mose geführten Wanderung durch die Sinai-Wüste. DAS BUCH GE)ESIS Erstes Buch Mose Das Buch Genesis enthält die Urgeschichten (Gen 1-11), die Erzvätererzählungen mit Abraham, Isaak und Jakob (Gen 11-36) und die Josefsnovelle (Gen 37-50). Der Titel des ersten Buches „Genesis“ bedeutet „Entstehung“ und weist darauf hin, dass in den ersten Kapiteln (in mythischer Weise) von der Entstehung der Welt und des Menschen berichtet wird. Viele Aussagen der Bibel sind zeitbedingt (z. B. die Darstellung mancher Lebensweisen und Sitten) oder vorwissenschaftlich (z. B. das geozentrische Weltbild, der Zeitrahmen der Schöpfungswerke oder die nichtevolutionäre Erschaffung der Lebewesen). Dennoch bleibt die Bibel bedeutsam, und zwar als Sammlung exemplarischer Zeugnisse des Lebens von Menschen (von Abraham bis Paulus), die offen waren für die religiöse Tiefendimension ihrer Wirklichkeit und die Halt fanden im Glauben an den Gott der Väter bzw. des Exodus (Jahwe) im AT und an Jesus, den Christus (Messias), im NT, ferner als unverzichtbare Grundschrift der Juden (AT) und der Christen (AT und NT). 19 Die Urgeschichten G e n e s i s 1 - 11 Die Urgeschichten umfassen die Schöpfungs- bzw. Ursprungsmythen der Israeliten. Es handelt sich nicht um historische Berichte, sondern um Erzählungen, die Grundfragen des Menschen beantworten, indem sie aus religiöser Sicht das Sein des Menschen und das zwiespältige Leben auf der Erde deuten. Themen sind die Erschaffung der Welt durch das Wort Gottes, die Gottebenbildlichkeit des Menschen, die Erzählung von Paradies und Sündenfall, der Zwist zwischen Kain und Abel, die Katastrophe der Sintflut, der Bund Gottes mit Noach und der Turmbau zu Babel und der Sprachverwirrung. Weltbilder zur Zeit der Bibel Wer die Schöpfungserzählungen des Judentums, die zunächst in mündlicher und dann in schriftlicher Überlieferung in einem viele Jahrhunderte dauernden Prozess verkündet und schließlich fixiert worden sind, verstehen will, sollte die andersartigen Anschauungen über das Leben und die Welt und insbesondere über den Aufbau des Kosmos beachten. Die biblischen Autoren übernahmen teilweise Vorstellungen verschiedener orientalischer Weltbilder (z. B. den dreistufigen kosmischen Aufbau der Babylonier) oder sie hoben sie auf (z. B. distanzierten sie sich von den Personifikationen einzelner Weltelemente als Götter bei den Ägyptern und den Griechen). Das geozentrische ptolemäische Weltbild In alten Zeiten gingen die Menschen unmittelbar von dem aus, was sie sahen. So nahmen sie an, dass die Sonne die Erde in 24 Stunden umrundet und dass uns auch die weiteren Gestirne (Mond und Sterne) in großen Bahnen umkreisen. Entsprechend diesen Beobachtungen stellte noch Ptolemäus, ein berühmter Astronom des Altertums, um 140 n. Chr. die Erdkugel in den Mittelpunkt des Weltsystems. Hiernach galten der Mensch und die von ihm bewohnte Erde als das Zentrum der Schöpfung. 20
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