Du führst mich hinaus ins Weite

Du führst mich
hinaus ins Weite
Das Alte Testament
in ausgewählten Texten
mit Erläuterungen
und Kommentaren
1
Meiner Frau, meinen Kindern und
Enkelkindern und ihren Lieben gewidmet
Zum Buchtitel
„Du führst mich hinaus ins Weite“
Biblische Bezugsstellen sind
„Er [Gott, der Herr] führt mich hinaus ins Weite“
Psalm 18,20 [Einheitsübersetzung]
und
„Du [Gott, der Herr] stellst meine Füße
auf weiten Raum“
Psalm 31,9 [Lutherbibel]
2
Franz-Josef Lütke Schelhowe
Du führst mich
hinaus ins Weite
Das Alte Testament
in ausgewählten Texten mit
Erläuterungen und Kommentaren
Westfälische Reihe
3
© 2014 Franz-Josef Lütke Schelhowe
Umschlagmotiv: Landschaft in Schottland
Foto von Christian Albiker, Münster
Als Bibeltext ist zugrunde gelegt
Die Bibel: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift
Gesamtausgabe
© Katholische Bibelanstalt Stuttgart, 1993
Verlag: Westfälische Reihe, Münster
ISBN 978-3-95627-270-7 (Paperback)
ISBN 978-3-95627-271-4 (Hardvover)
Printed in Germany
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig.
Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und
öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese
Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.
4
I)HALT
13 Vorwort
15 Einführung in das Alte Testament
17 Zur Einstimmung: Exodus 3,13f; Deuteronomium 6,4-7
und Psalm 104
GLIEDERU)G U)D THEME)
DES ALTE) TESTAME)TS
19
Die fünf Bücher des Mose
19 Das Buch Genesis (1. Buch Mose)
20 ● Die Urgeschichten Genesis 1 - 11
20
21
25
26
28
29
37
41
49
Weltbilder zur Zeit der Bibel
Genesis 1,1 - 2,4a Die hymnische Schöpfungsdarstellung
Anmerkungen zum Schöpfungshymnus
Die Erschaffung des Menschen nach Genesis 1
Psalm 8
Genesis 2,4b - 3,24 Die erzählende Schöpfungsdarstellung
Genesis 4 Kain und Abel
Genesis 6 - 9 Die Sintflut
Genesis 11,1-9 Der Turmbau zu Babel u. die Sprachverwirrung
52 ● Die Erzvätererzählungen Genesis 11 - 36
53
53
55
56
Abraham und Isaak Genesis 11ff
Genesis 11,10-32 Abraham. Abstammung und Herkunft
Genesis 12,1-10 Verheißung und Aufbruch
Genesis 13,1-19 Teilen
5
57
60
61
62
64
66
69
72
Genesis 14,10-24 Das Treffen bei Salem
Genesis 15,1 - 6.18 Erwählung eines Einzelnen durch Gott
Genesis 17,1-11 Erwählung des Volkes durch Gott
Genesis 18,1-16 u. 21,1.6 Gastfreundschaft und Verheißung
Genesis 18,23-33 u. 19,15-26 Sodom und Gomorra
Genesis 16 u. 21 Hagar und Ismael, Sara und Isaak
Genesis 22,1-13 Abrahams Erprobung
Genesis 24 Rebekka wird Isaaks Frau
75
76
77
78
81
82
83
85
86
86
88
Jakob Genesis 25ff
Genesis 25,19-26 Geburt Esaus und Jakobs
Genesis 25,27-34 Esau verkauft sein Erstgeburtsrecht
Genesis 27,1-40 Der Erstgeburtssegen
Genesis 27,41-45 Jakobs Flucht nach Haran
Genesis 28,10-22 Jakobs Traum von der Himmelstreppe
Genesis 29,1-30 Jakobs Familiengründung
Genesis 30 u. 31 Jakobs Exodus
Genesis 32,4-6 Versöhnungsangebot
Genesis 32,23-33 Jakobs Kampf
Genesis 32,10-22; 33,1-17 Versöhnte Brüder
91 ● Die Josefsnovelle Genesis 37 - 50
92
96
102
110
112
Genesis 37 Der Konflikt zwischen den Brüdern
Genesis 39 - 41 Der Aufstieg Josefs in Ägypten
Genesis 42 - 46 Zusammenführung der Familie des Jakob
Genesis 48f Vermächtnis, Tod und Begräbnis Jakobs
Genesis 50 Die endgültige Lösung des Bruderkonflikts
115 Das Buch Exodus (2. Buch Mose)
115 Bedeutung des M o s e
117 Rollen des M o s e
118 Exodus 1,1-12 Die Nachkommen Jakobs als unterdrückte
Immigranten in Ägypten
120 Exodus 1,15-22; 2,1-10 Kindheitslegende des Mose
122 Exodus 2,11-22 Einsatz für Misshandelte bzw. Bedrängte
124 Exodus 2,23 - 3,9 Berufung des Mose
6
126
129
131
135
137
137
140
142
144
145
146
147
148
153
Exodus 3,10-15; 4,10-16 Vier Bedenken des Mose
Exodus 3,14f Namen Gottes
Exodus 5,1 - 6,1 Verhandlungen und Plagen
Exodus 11,1-6 Ankündigung der letzten Plage
Exodus 12,1-51 Gedenken an den Auszug aus Ägypten
Exodus 14,5-31 Exodus
Exodus 15,1-21 Der Jubel über die Befreiung
Exodus 15,22 - 17,6 Not, Murren und Hilfe
Exodus 17,8-13 Die Kraft des Gebets
Exodus 19,1f Die Bedeutung der Sinaiüberlieferung
Exodus 19,3-8; 34,3-8 Der Bundesgott
Exodus 19,16-20 Offenbarung auf dem Sinai
Exodus 20,2-17; Deuteronomium 5,6-21 Der Dekalog
Exodus 32 u. 34 Das goldene Kalb
155 Das Buch Levitikus (3. Buch Mose)
155 Lev 16, 23 u. 25; Dtn 15 Versöhnung und Schuldenerlass
157
158
160
161
Das Buch )umeri (4. Buch Mose)
9umeri 22-24 Der Seher Bileam
9umeri 21 Die kupferne Schlange
9umeri 13 Die Kundschafter
162
162
163
164
Das Buch Deuteronomium (5. Buch Mose)
Deuteronomium 6,4-9 Schema Israel
Deuteronomium 6,20-24; 26,5-10 Heilsgeschichtliches Credo
Deuteronomium 34,1-12 Abschied des Mose
167
Die Bücher der Geschichte
des Volkes Gottes
167 Das Buch Josua
167 Niederlassung im Gelobten Land
169 Josua 3 - 6 Durchzug durch den Jordan und Eroberung Jerichos
7
172 Das Buch der Richter
172 Richter 4 – 8 Debora und Gideon
174 Richter 13 - 16 Simson
176 Das Buch Rut
178 Die Bücher Samuel und Könige
178 Königtum in Israel
180 1 Samuel 1ff S a m u e l
182 1 Samuel 9ff S a u l s Aufstieg und Fall
184
186
187
188
189
191
194
196
1 Samuel 16f Der junge D a v i d
1 Samuel 17 David und Goliat
1 Samuel 16 u. 18 David - der Musiker und Konkurrent
1 Samuel 18-20; 2 Samuel 1 David - der Freund
1 Samuel 18f ; 2 Samuel 5 Vom Flüchtling zum Herrscher
2 Samuel 5f Jerusalem als politischer und religiöser Mittelpunkt
2 Samuel 11 David, Batseba und Urija
2 Samuel 12 / Psalm 51 Davids Schulderkenntnis und Sühne
198
200
202
204
205
206
208
209
1 Könige 3 u. 5 S a l o m o , der dritte König Israels
1 Könige 3 Das salomonische Urteil
Der erste Tempel von Jerusalem
1 Könige 10 Die Königin von Saba
1 Könige 11 Ausländische Nebenfrauen
1 Könige 12 Reichsteilung nach Salomos Tod
Könige nach der Reichsteilung
Jahweglaube contra Baalskult
210
211
213
215
216
217
219
221
E l i j a (Elia)
1 Könige 17 Elija als Warner, Hilfsbedürftiger und Helfer
1 Könige 18 Machtprobe zwischen Baal und Jahwe
1 Könige 19,1-8 Elija in der Wüste
1 Könige 19,9-13 Elija am Horeb
1 Könige 21 Nabots Weinberg
1 Könige 19; 2 Kön 2 Elijas Nachfolgeregelung u. Himmelfahrt
2 Könige 2,12-15 E l i s c h a s Bevollmächtigung und Wirken
8
222
222
222
223
Israels Weg durch die Zeit in weiteren biblischen Büchern
Erstes und zweites Buch der Chronik
Die Bücher Esra und )ehemia
Erstes und zweites Buch der Makkabäer
224 Das Buch Tobit
225 Tobit 2 u. 3 Unverschuldetes Leid
226 Tobit 10-13 Himmlischer Beistand und Rettungen
228 Das Buch Judit
228 Judit 12f Die Bedrohung und Rettung des Gottesvolkes
231 Judit 13 u. 15 Die Flucht der Feinde, das Lob Gottes
und die Verehrung Judits
233
233
235
237
Das Buch Ester
Ester 1 Die Verstoßung der Königin Waschti
Ester 2 Ester wird persische Königin
Ester 3-7 Hamans geplanter Anschlag auf die Juden.
Esters Gegenstrategie und Hamans Ende
239 Ester 8-10 Der Aufstieg Mordechais. Die Rettung und Rache
der Juden
241 Erinnerung an die Rettung. Das jüdische Purimfest
242
Die Bücher der Lehrweisheit
und Psalmen
242 Das Buch Ijob
243 Ijob 1; 2; 42 Der leidensfähige, gottergebene Ijob
246 Ijob 2-42 Der sich rechtfertigende, klagende Ijob
254 Die Psalmen
Verweise: Ps 104 (S. 17) // Ps 8 (S. 28) // Ps 51 (S. 197),
Ps 137 (S. 326) // Ps 18 u. 23 (S. 366)
256 Jesus Sirach 47 David als Psalmist
256 Eröffnung des Psalters: Psalmen 1 und 2
258 Lob und Geborgenheit: Psalmen 148 und 139
9
260 Klage und Vertrauen in großer Not:
269
270
271
Psalmen 13, 77, 102 u. 142
Weitere Psalmen in Auswahl:
Psalmen 22, 42, 43, 103, 117, 118, , 126, 127 und 146
Psalm und Kirchenlied
Psalm 130 und Martin Luther: Aus tiefer Not
Psalm 46 und Martin Luther: Ein(e) feste Burg ist unser Gott
273
274
275
278
280
Biblische Weisheit
Das Buch der Sprichwörter
Das Buch Kohelet
Das Buch der Weisheit
Das Buch Jesus Sirach
262
283 Das Hohelied
287
Die Bücher der Propheten
290 ● Prophetie im 8. Jh. vor dem Untergang
des ordreiches im Jahr 722 v. Chr.
266
291
294
294
295
297
298
299
301
302
304
306
309
309
10
Das Buch Amos
Amos passim Kritik und Wirkung
Das Buch Hosea
Hosea passim Soziale und Kultkritik
Hosea 1; 3 u. 11 Die unerschütterliche Liebe Jahwes
Das Buch Jesaja
Jesaja 6 Die Berufung des Propheten
Jesaja passim Klagen
Jesaja 5 Vergleich zwischen einem unfruchtbaren Weinberg
und dem abtrünnigen Volk
Jesaja 2 u. 25 Heil vom Zion
Jesaja passim Das rettende Kind
Jesaja passim Das verheißene Friedensreich
Das Buch Micha
Micha passim Drohreden und Verheißungen
311 ● Prophetie im 7. Jh. nach dem Untergang
des ordreiches Israel im Jahr 722 v. Chr. und
vor dem Untergang des Südreiches Juda 586 v. Chr.
312
312
314
316
318
320
321
321
321
322
322
323
323
324
324
Das Buch Jeremia
Jeremia 1 u. 15 Jeremias Berufung
Jeremia passim Soziale und religiöse Kritik
Jeremia passim Bildsprache und Zeichenhandlungen
Jeremia passim Leiden und Klage
Die Klagelieder
Klagelieder 5 Trauer um den verwüsteten Zionsberg
Das Buch Baruch
Baruch 5 Trostworte
Das Buch )ahum
9ahum 1 u. 3 Das Ende Ninives
Das Buch Zefanja
Zefanja 1 u. 3 Kritik an Unrecht, Gerichtstag
Das Buch Habakuk
Habakuk passim Ruf nach dem Eingreifen Gottes
325
● Prophetie vom sechsten bis zum zweiten Jahrhundert v. Chr.
325
327
327
328
330
331
332
332
334
Das Babylonische Exil / Psalm 137
Das Buch Ezechiel
Ezechiel 1 Vision der vier Lebewesen
Ezechiel 2 u. 3 Berufung, Sendung und Botschaft
Ezechiel passim Jahwe, der Freund des Lebens
Ezechiel 37 Vision von der Auferweckung Israels
(Deutero)-Jesaja
Jesaja passim Glaubens- und Hoffnungsbotschaft
Jesaja 52 u. 53 Leiden als stellvertretende Sühne.
Das vierte Lied vom Gottesknecht
Die Rückkehr aus dem Exil
Exkurs: Der Tempel in Jerusalem. Geschichtlicher Überblick
Das Buch Obadja passim Warnung an Edom
Das Buch Haggai passim Erneuerung des Lebens in Israel
Das Buch Sacharja passim Eine neue Heilszeit
336
337
338
339
339
11
341 Das Buch Maleachi passim Dialog mit Skeptikern
342 Das Buch Joel passim Der Tag Jahwes / Geistausgießung
343 ● Alternative prophetische Bücher
344
344
346
348
350
352
353
354
356
358
361
362
366
Das Buch Jona
Jona 1 Jonas Flucht
Jona 1 u. 2 Jonas Tiefenerfahrung
Jona 3 Verkündigung des Jona und Umkehr Ninives
Jona 4 Die begrenzte Einsicht des Jona
Das Buch Daniel
Daniel 3 Die drei Jünglinge im Feuerofen
Daniel 5 Das Gastmahl des Königs Belsazar
Daniel 6 Daniel in der Löwengrube
Daniel 13 Die Rettung der Susanna
Apokalyptik
Daniel 7 Danielapokalypse
Epilog
366 Psalm 18 Ich will dich rühmen
366 Psalm 23 Der Herr ist mein Hirte
369
370
371
374
375
376
377
12
A)HA)G
Abkürzungen der biblischen Bücher
Epochen des biblischen Israel
Physikalische Karte Palästinas
Karte: Das Reich Davids
Karte: Das persische Reich
Literaturhinweise
Vorwort
In den bekannten Handausgaben der BIBEL umfasst das Alte Testament in
der Regel über 1000 Seiten. Sie alle zu lesen, wird den meisten Zeitgenossen schwer fallen. Unbestritten ist aber, dass das Alte Testament, der
jüdische (und zugleich christliche) Teil der Heiligen Schrift, zahlreiche
Aussagen enthält, die zu kennen für jeden Juden und Christen und für
weitere kulturell interessierte Menschen unverzichtbar ist. So stellt sich
dieses Buch der Herausforderung, möglichst viele der Perikopen aus dem
Alten Testament zu präsentieren, die für ein heutiges Glaubens- und Kulturverständnis bedeutsam erscheinen. Biblische Passagen, die sich vorwiegend mit kriegerischen und machtpolitischen Auseinandersetzungen in
biblischer Zeit, mit Genealogieregistern und mit speziellen Gesetzesvorschriften und Kultregeln, die nur für Juden gelten, befassen, blieben zumeist unbeachtet.
Das Prinzip der Auswahlbibel zwang zu einer Begrenzung auf die
Wiedergabe nur eines Teils der Heiligen Schrift. So wird der kundige
Leser vielleicht einige Abschnitte aus der Bibel vermissen, die für ihn
persönlich wichtig sind. Es ist zu wünschen, dass die Lektüre dieses Buches dazu motiviert, auch weitere Teile des Alten Testaments zu lesen.
Da es sich um sehr alte Texte aus einem uns fremden kulturellen Hintergrund handelt, schien es notwendig, die ausgewählten Perikopen zumindest knapp zu erläutern und Hilfestellungen für eine mögliche Auslegung anzubieten. Wegen des beschränkten Raumes kam es gelegentlich zu
Kürzungen des Bibeltextes, wobei aber stets darauf geachtet wurde, dass
der Sinnzusammenhang erkennbar blieb.
Als Textbasis diente – von wenigen Ausnahmen abgesehen – die sogenannte „Einheitsübersetzung“ der Heiligen Schrift (EÜ), die 1978 für den
kirchlichen Gebrauch im Gottesdienst und in der Schule herausgegeben
worden ist. Selbstverständlich ist die dort vorgenommene Übertragung
aus den alten Originalsprachen der Bibel (Hebräisch und Griechisch) mit
Einschränkungen verbunden, da der ursprüngliche Wortsinn oft nicht voll
wiedergegeben werden konnte. Das betrifft besonders die hebräischen
13
Gottesbezeichnungen (u. a. Jahwe, Elohim), die in der Einheitsübersetzung mit den vieldeutigen Begriffen „Gott“ bzw. „der Herr“ wiedergegeben werden.
Die Erläuterungen und Kommentare basieren einerseits auf persönlichen Analysen und Einschätzungen und andererseits auf zahlreichen Ergebnissen der Bibelforschung, soweit sie in den zusammenfassenden exegetischen Orientierungshilfen zugänglich war. Dabei erwiesen sich die in
der Literaturliste genannten Bücher und Zeitschriften als besonders wertvoll. Darüber hinaus wurden viele andere bibelkundliche Texte, die im
Laufe einer langen Tätigkeit als Religionslehrer gesammelt worden sind,
zu Rate gezogen. Auf den Nachweis der Anregungen durch Quellenangaben wurde in der Regel, außer in den Fällen von längeren wörtlichen Zitaten, verzichtet, da der Lesefluss erleichtert werden sollte und die Darstellung keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt. Der Verfasser
möchte lediglich einen bescheidenen und überschaubaren Beitrag zur
Verbreitung des biblischen Gedankenguts im Rahmen einer kommentierten Auswahlbibel leisten.
Die Reihenfolge der vorgestellten 46 biblischen Bücher entspricht im
Wesentlichen der Gliederung des christlichen biblischen Kanons (Fünf
Bücher Mose und Bücher der Geschichte des Volkes Gottes, Bücher der
Lehrweisheit und Psalmen sowie die Bücher der Propheten). Bei den prophetischen Schriften erfolgt die Ordnung allerdings im Hinblick auf die
wahrscheinliche Entstehungszeit (vorexilisch, exilisch, nachexilisch) bzw.
nach literarischen Gesichtspunkten (zunächst die Bücher mit Prophetenreden, dann die Erzählungen über Propheten). Jüdische und protestantische Bibeln klammern teilweise die ursprünglich griechisch-sprachigen
Bücher des AT aus, die aber hier in Auszügen erfasst sind; es sind die
sogenannten deuterokanonischen Schriften Tobit, Judit, 1 u. 2 Makkabäer,
Weisheit, Jesus Sirach und Baruch.
Möge dieses Buch ein größeres Verständnis für die jüdisch-christliche
Schriftüberlieferung wecken und auch bei der persönlichen Sinnsuche und
Glaubensfindung von Gewinn sein.
Franz-Josef Lütke Schelhowe, 2014
14
Einführung in das Alte Testament
Der Titel „Altes Testament“ (AT) gibt den gängigen Sprachgebrauch
wieder und soll nur auf die ältere Entstehungszeit im Vergleich zum
„Neuen Testament“ hinweisen (vgl. ähnlich die Rede vom „Ersten Testament“), er ist also keinesfalls abwertend gemeint. Weitere Bezeichnungen stellen andere Charakteristika heraus, z. B. „Jüdische Bibel“ (= Heilige Schrift der Juden), Hebräische Bibel (= ursprüngliche Sprache der
meisten Bücher des AT).
Das Alte Testament ist in erster Linie die Grundlage der jüdischen
Religion. Über den Juden Jesus und seine Anhänger ist es dann auch die
Heilige Schrift der Christen geworden, wobei im Verlauf des 1./2. Jahrhunderts nach Christus die Schriften des Neue Testaments (NT) hinzugekommen sind. Die Verknüpfung der beiden Testamente zeigt sich u. a.
daran, dass die Evangelisten und die Verfasser der Briefe immer wieder
aus dem Alten Testament zitieren. So verbindet die Gesamt-Bibel die
beiden Offenbarungsreligionen, das Judentum und das Christentum; die
Juden sind gleichsam die „älteren Brüder und Schwestern“ der Christen.
Entstanden sind die biblischen Schriften des AT zu verschiedenen
Zeiten im ersten Jahrtausend vor Christus. Vorangegangen ist allerdings in
der Regel eine längere mündliche Tradition. Wer, was, in welcher Zeit und
wo ursprünglich gesprochen oder geschrieben bzw. später überliefert hat,
ist zu einem großen Teil unbekannt oder unsicher. Allerdings ist davon
auszugehen, dass anerkannte charismatische Worte stets mit viel Sorgfalt
und großem Respekt weitergegeben worden sind, was eine spätere Bearbeitung nicht ausschließt.
Bei den prophetischen Schriften ist im Kernbestand der Texte anzunehmen, dass überwiegend die im Titel genannten Propheten als ursprüngliche Redner/Autoren in Frage kommen (vgl. die Anmerkungen zu den
einzelnen Büchern). Schwieriger ist die Urheberschaft anderer biblischer
Werke zu bestimmen. Für den Pentateuch (von den Schöpfungserzählungen bis zum Ende der Sinaiwanderung) wird zum Beispiel angenommen,
dass einzelne Erzählstränge bzw. Textsammlungen von unterschiedlichen
15
Autoren(gruppen) stammen. Als Verfasser/Quellen gelten u. a. der „Jahwist, der Gott als „Jahwe“ bezeichnet (etwa 10. Jh. v. Chr.), der „Elohist“,
der für das neutrale Wort Gott die Bezeichnung „Elohim“ bevorzugt (etwa
9./8. Jh. v. Chr.), das Buch Deuteronomium (etwa 7./6. Jh. v. Chr.) und
eine von Priestern erstellte Schrift (frühestens seit dem 6. Jh. Chr.). Einige
neuere Forschungen unterscheiden drei große Überlieferungsströme: das
Jerusalemer und das Exilische Geschichtswerk, die Priesterliche Grundschrift und das Deuteronomium.
Bei der sprachlich-formalen Vermittlung der biblischen Botschaft beachteten die Autoren zumeist die Kriterien spezieller Textgattungen, z. B.
sind zu unterscheiden Mythen, Genealogien, Lebensläufe, Familien- und
Stammeserinnerungen, Heldenlegenden, Erzählungen von Heiligtümern,
Gotteserscheinungen, Geschichtsberichte, Listen, Reden, Gleichnisse,
Wunder, Lieder, Gesetzestexte usw. Kleine Erzähleinheiten wurden dann
später zu Büchern zusammengefasst. Deren Titel verweisen zumeist auf
Themen, z. B. Exodus (Auszug aus Ägypten), Hauptfiguren, z. B. Josua,
Samuel, Gattungen, z. B. Psalmen, Sprichwörter, und andere Eigenheiten,
z. B. Deuteronomium (Wiederholung des Gesetzes).
In einem weiteren Schritt sind die einzelnen Bücher der Bibel zu größeren Gruppen zusammengefasst und als heilige Schriften anerkannt worden, so wahrscheinlich der „Pentateuch“ (bis etwa 400 v. Chr.), die „Prophetischen Bücher“ (bis etwa 200 v. Chr.) und weitere „Schriften“, u. a.
Psalmen, Ijob usw. (bis etwa 100 v. Chr.). Schließlich wurde der alttestamentliche Kanon (die Auswahl und die Ordnung aller Schriften) von den
Glaubensgemeinschaften der Juden sowie der katholischen und der protestantischen Christen im ersten und zweiten Jahrtausend n. Chr. mit je eigenen Abweichungen endgültig festgelegt.
Einige Angaben nach: S. Herrmann: Einführung in das Alte Testament, 1986; E. Zenger (Hrsg.): Stuttgarter Altes Testament 1980;
H. Halbfas: Die Bibel 2001.
16
Zur Einstimmung
Da sagte Mose zu Gott: Gut, ich werde also zu den Israeliten kommen
und ihnen sagen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt. Da
werden sie mich fragen: Wie heißt er? Was soll ich ihnen darauf
antworten? Da antwortete Gott dem Mose: Ich bin ‚Jahwe‘ (Ich bin
der ‚Ich-bin-da‘).
Exodus 3,13f
Höre, Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig. Darum sollst du den
Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und
mit ganzer Kraft. Diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte,
sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen. Du sollst sie deinen
Kindern wiederholen. Du sollst von ihnen reden, wenn du zu Hause
sitzt und wenn du auf der Straße gehst, wenn du dich schlafen legst
und wenn du aufstehst.
Deuteronomium 6,4-7
1 Lobe den Herrn, meine Seele!
Herr, mein Gott, wie groß bist du!
Du bist mit Hoheit und Pracht bekleidet.
2 Du hüllst dich in Licht wie in ein Kleid,
du spannst den Himmel aus wie ein Zelt.
3 Du verankerst die Balken deiner Wohnung im Wasser,
du nimmst dir die Wolken zum Wagen,
du fährst daher mit den Flügeln des Sturmes.
4 Du machst dir die Winde zu Boten
und lodernde Feuer zu deinen Dienern.
5 Du hast die Erde auf Pfeiler gegründet;
in alle Ewigkeit wird sie nicht wanken.
6 Einst hat die Urflut sie bedeckt wie ein Kleid,
die Wasser standen über den Bergen.
7 Sie wichen vor deinem Drohen zurück,
sie flohen vor der Stimme deines Donners.
8 Da erhoben sich die Berge und senkten sich die Täler
an den Ort, den du für sie bestimmt hast.
9 Du hast den Wassern eine Grenze gesetzt,
17
die dürfen sie nicht überschreiten;
nie wieder sollen sie die Erde bedecken.
10 Du lässt die Quellen hervorsprudeln in den Tälern,
sie eilen zwischen den Bergen dahin.
11 Allen Tieren des Feldes spenden sie Trank,
die Wildesel stillen ihren Durst daraus. […]
14 Du lässt Gras wachsen für das Vieh,
auch Pflanzen für den Menschen, die er anbaut,
damit er Brot gewinnt von der Erde
15 und Wein, der das Herz des Menschen erfreut,
damit sein Gesicht von Öl erglänzt
und Brot das Menschenherz stärkt.
16 Die Bäume des Herrn trinken sich satt,
die Zedern des Libanon, die er gepflanzt hat.
17 In ihnen bauen die Vögel ihr )est,
auf den Zypressen nistet der Storch.
18 Die hohen Berge gehören dem Steinbock,
dem Klippdachs bieten die Felsen Zuflucht.
19 Du hast den Mond gemacht als Maß für die Zeiten,
die Sonne weiß, wann sie untergeht.
20 Du sendest Finsternis und es wird )acht,
dann regen sich alle Tiere des Waldes.
21 Die jungen Löwen brüllen nach Beute,
sie verlangen von Gott ihre )ahrung.
22 Strahlt die Sonne dann auf, so schleichen sie heim
und lagern sich in ihren Verstecken.
23 )un geht der Mensch hinaus an sein Tagwerk,
an seine Arbeit bis zum Abend.
24 Herr, wie zahlreich sind deine Werke!
Mit Weisheit hast du sie alle gemacht,
die Erde ist voll von deinen Geschöpfen. […]
33 Ich will dem Herrn singen, solange ich lebe,
will meinem Gott spielen, solange ich da bin.
34 Möge ihm mein Dichten gefallen.
Ich will mich freuen am Herrn.
35 Lobe den Herrn, meine Seele!
Halleluja!
Psalm 104
18
Die fünf Bücher des Mose
Mit dem Buch Genesis beginnt in der Bibel eine Sammlung von fünf
Schriften, für die es drei zusammenfassende Namen gibt: „Fünf Bücher
Mose“, „Pentateuch“ (griech. Fünf-Buch) oder „Tora“ (hebr. Weisung,
Gesetz). Neben dem Buch Genesis sind es die Bücher Exodus, Levitikus,
Numeri und Deuteronomium. Die Erzählungen dieser Schriften reichen
von der Erschaffung der Welt über die Stammväter-Geschichten und das
Werden des Volkes Israel in Ägypten bis zum Ende der von Mose geführten Wanderung durch die Sinai-Wüste.
DAS BUCH GE)ESIS
Erstes Buch Mose
Das Buch Genesis enthält die Urgeschichten (Gen 1-11), die Erzvätererzählungen mit Abraham, Isaak und Jakob (Gen 11-36) und die Josefsnovelle (Gen 37-50).
Der Titel des ersten Buches „Genesis“ bedeutet „Entstehung“ und
weist darauf hin, dass in den ersten Kapiteln (in mythischer Weise) von
der Entstehung der Welt und des Menschen berichtet wird.
Viele Aussagen der Bibel sind zeitbedingt (z. B. die Darstellung mancher Lebensweisen und Sitten) oder vorwissenschaftlich (z. B. das geozentrische Weltbild, der Zeitrahmen der Schöpfungswerke oder die nichtevolutionäre Erschaffung der Lebewesen).
Dennoch bleibt die Bibel bedeutsam, und zwar als Sammlung exemplarischer Zeugnisse des Lebens von Menschen (von Abraham bis Paulus),
die offen waren für die religiöse Tiefendimension ihrer Wirklichkeit und
die Halt fanden im Glauben an den Gott der Väter bzw. des Exodus (Jahwe) im AT und an Jesus, den Christus (Messias), im NT, ferner als unverzichtbare Grundschrift der Juden (AT) und der Christen (AT und NT).
19
Die Urgeschichten
G e n e s i s 1 - 11
Die Urgeschichten umfassen die Schöpfungs- bzw. Ursprungsmythen der
Israeliten. Es handelt sich nicht um historische Berichte, sondern um Erzählungen, die Grundfragen des Menschen beantworten, indem sie aus
religiöser Sicht das Sein des Menschen und das zwiespältige Leben auf
der Erde deuten. Themen sind die Erschaffung der Welt durch das Wort
Gottes, die Gottebenbildlichkeit des Menschen, die Erzählung von Paradies und Sündenfall, der Zwist zwischen Kain und Abel, die Katastrophe
der Sintflut, der Bund Gottes mit Noach und der Turmbau zu Babel und
der Sprachverwirrung.
Weltbilder zur Zeit der Bibel
Wer die Schöpfungserzählungen des Judentums, die zunächst in mündlicher und dann in schriftlicher Überlieferung in einem viele Jahrhunderte
dauernden Prozess verkündet und schließlich fixiert worden sind, verstehen will, sollte die andersartigen Anschauungen über das Leben und die
Welt und insbesondere über den Aufbau des Kosmos beachten.
Die biblischen Autoren übernahmen teilweise Vorstellungen verschiedener orientalischer Weltbilder (z. B. den dreistufigen kosmischen Aufbau
der Babylonier) oder sie hoben sie auf (z. B. distanzierten sie sich von den
Personifikationen einzelner Weltelemente als Götter bei den Ägyptern und
den Griechen).
Das geozentrische ptolemäische Weltbild
In alten Zeiten gingen die Menschen unmittelbar von dem aus, was sie
sahen. So nahmen sie an, dass die Sonne die Erde in 24 Stunden umrundet
und dass uns auch die weiteren Gestirne (Mond und Sterne) in großen
Bahnen umkreisen. Entsprechend diesen Beobachtungen stellte noch Ptolemäus, ein berühmter Astronom des Altertums, um 140 n. Chr. die Erdkugel in den Mittelpunkt des Weltsystems. Hiernach galten der Mensch
und die von ihm bewohnte Erde als das Zentrum der Schöpfung.
20