Die seit 1962 stattfindende Deutsch-Skandinavische

Themen
Der Berg ruft
Auch für Sängerinnen
und Sänger ist die
Musikwoche ein
besonderes Erlebnis
Foto: Int. Bildungsstätte Jugendhof Scheersberg
Von Daniel Schalz
­D
ie Atmosphäre sei «einzigartig», «beglückend», «von außerordentlicher Intensität»
und «wie eine Droge» – wer mit ehemaligen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der
Deutsch-Skandinavischen Musikwoche in
der Internationalen Bildungsstätte Jugendhof Scheersberg
spricht, merkt schnell: Es muss eine besondere Bewandtnis
mit dieser Veranstaltung haben, zu der Jahr für Jahr mehr als
120 junge OrchestermusikerInnen und ChorsängerInnen aus
ganz Europa ins nördliche Schleswig-Holstein, 20 Kilometer
östlich von Flensburg, pilgern.
Endlos ließen sich die schwärmerischen Kommentare fortsetzen: Bei vielen sorgt allein die Vorfreude auf das Treffen,
das seit 1962 jedes Jahr um Ostern herum stattfindet,
Der Austausch gelinge dabei ganz zwanglos, etwa
für «Schmetterlinge im Bauch», andere sagen, es habe indem jedes Land zu Beginn eine kleine – meist, aber
für immer ihr Leben verändert. «Wie in einem Paral- nicht immer musikalische – Darbietung aufführe,
leluniversum» fühle man sich hier – oder auch einfach vor allem aber im gemeinsamen Volkstanz: «Dieser
wie «zehn Tage im Paradies».
ist schon am ersten Abend der absolute Eisbrecher»,
Was ist das Geheimnis vom Scheersberg? Da muss sagt Siewertsen. Hervorzuheben sei auch der besonJonas Siewertsen, Projektleiter Kulturelle Bildung und dere Umgang aller – Teilnehmenden wie Dozent­
Organisator der Musikwoche, weiter ausholen: «Da ist Innen – miteinander: «Alle begegnen sich mit großem
zunächst mal die geografische Lage: Wir liegen ja weit Respekt, der nicht auf irgendwelchen Hierarchien,
draußen quasi im Nichts, da kann man also die ganze sondern einzig auf der gemeinsamen Leidenschaft für
Nacht nach Herzenslust musizieren und feiern – was die Musik begründet ist.» Hier werde wirklich auf Auausgiebig genutzt wird!». Dann sei es aber vor allem genhöhe miteinander gearbeitet und gelernt.
«etwas Besonderes, sich mit so vielen anderen MenSICH AUSPROBIEREN EIM PROGRAMMschen aus verschiedensten Kulturen auszutauschen».
PUNKT «REPERTOIRESCHLACHT»
Im vergangenen Jahr waren zwölf Nationen vertreten,
2015 waren es sogar 15 .
Aufgelockert werden die intensiven Proben zum Beispiel durch frei von den Teilnehmenden gestaltete
WENN SICH ALLE ZUM VOLKSTANZ
Hauskonzerte – die zuweilen auch dazu dienen, die
TREFFEN, IST DAS EIS GEBROCHEN
Zeit bis zum Sonnenaufgang und zum Spaziergang
Nicht nur sei die Musikwoche 1962 zur Völkerverstän- zum Strand zu überbrücken. «Die Hauskonzerte in
digung gegründet worden, auch sei es gerade in Zeiten kleinen Besetzungen sind eine tolle Möglichkeit sich
von Abgrenzungstendenzen und neu entflammtem ‹auszutoben›», sagt die 22 -jährige Bratschistin KaroliNationalismus in vielen europäischen Ländern wich- na Nielsen, die in diesem Jahr bereits zum siebten Mal
tig, dass sich junge Menschen über nationale und kul- dabei sein wird und die es ohne die Musikwoche verturelle Grenzen hinweg kennenlernen, findet Siewert- mutlich gar nicht gäbe – aber dazu später mehr.
sen: «Hier treffen Menschen mit unterschiedlichsten
Noch amüsanter sind Programmpunkte wie etwa
Weltanschauungen aufeinander, die sich im normalen die «Repertoireschlacht», während der in schneller AbLeben vermutlich nie kennenlernen würden – vom im folge diverse Stücke hintereinander abgespielt werden.
Keller hockenden Pianisten bis zum Hippie, der mit Hier dürfen sich dann zum Beispiel auch die Chorsänseiner Ukulele um die Welt reist.»
gerInnen als InstrumentalistInnen ausprobieren
33 Chor zei t~ F E B 2017
Die seit 1962 stattfindende Deutsch-Skandinavische Musikwoche
auf dem Scheersberg in Schleswig-Holstein hat Kultcharakter.
Für dieses Jahr werden noch Sängerinnen und Sänger gesucht
34
C h or ze i t~ F E B 2017 Themen
Themen
oder sich die OrchestermusikerInnen mal an ihrem musikalisch-qualitätsvoll» wahrgenommen. Als Per
Zweitinstrument betätigen.
Borin, den sie noch aus gemeinsamen Stockholmer
Auf diese Weise entsteht ein einzigartiges Wir-Ge- Studienzeiten kennt, sie nun einlud, zusammen mit
fühl – schließlich stehen auch die DozentInnen abends ihm die diesjährige Musikwoche zu leiten, habe sie
mit an der Bar oder haken sich beim Volkstanz unter. einfach nicht «Nein» sagen können.
«Das Zentrum neben den Proben ist und bleibt die
Noch gibt es einige freie Plätze für ChorsängeBar!», sagt Per Borin, Professor für Orchesterleitung rinnen und -sänger, die Woebcken ausdrücklich zur
an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Anmeldung ermuntert: «Spannend wird vor allem die
Stuttgart, der in diesem Jahr für das Orchester ver- Erarbeitung der Kantate ‹Förklädd gud› (Der verkleiantwortlich zeichnet. Und obwohl der Schwede seit dete Gott) für Chor, Solisten, Rezitator und großes
Mitte der 1980 er Jahre die Musikwoche bereits viele Orchester des schwedischen Komponisten Lars-Erik
Male geleitet hat, wundert er sich immer wieder: «Ei- Larsson», sagt sie. «Larsson ist ein Vertreter des Neogentlich ist es ein Mysterium, dass alle jedes Mal so klassizismus, steht aber noch mit einem Bein in der
gut spielen und singen, trotz der vielen langen Abende Spätromantik.» «Förklädd gud» schrieb er 1940 als Reund Nächte.»
aktion auf den Nationalsozialismus und die Besetzung
der skandinavischen Nachbarstaaten, der Text basiert
DOZENTEN/INNEN KOMMEN
auf einer mythologisch-antiken Erzählung. Die bei
NICHT DES HONOR ARS WEGEN
uns recht unbekannte Kantate ist, so Woebcken, «ein
«Klar freuen sich alle auf die ‹Bar One›, klar wird we- wunderbares Stück, voller Sehnsucht und großer Lininig geschlafen», sagt auch Cornelius Trantow, der seit en – und sehr dankbar zu singen». Darüber hinaus wird
2001 für viele Jahre den Chor der Musikwoche leitete. der Chor ein gemischtes A-cappella-Programm mit
«Aber wenn es nur das wäre, könnte man auch näch- Werken von Johannes Brahms und skandinavischen
telang durch die Discos und Clubs ziehen.» Entschei- und baltischen Komponisten proben.
dend sei für ihn immer gewesen, «dass alle Dozenten
ERGEBNISSE WERDEN IN ZWEI
und Teilnehmer für die Musik brennen». Die musikaliGROSSEN KONZERTEN PR ÄSENTIERT
sche Qualität sei allen Beteiligten ein großes Anliegen.
Letztlich ist es genau diese Kombination aus Spaß Auf die Arbeit mit dem Chor freut sich auch die 21 -jähund Disziplin, die die Musikwoche so einzigartig rige Hannah Morrison, die in Freiburg Musikwissenmacht: «Das unvoreingenommene und lockere Zu- schaft studiert und in diesem Jahr zum vierten Mal
sammentreffen in Verbindung mit konzentrierten und als Altistin auf dem Scheersberg dabei sein wird. «Unzielgerichteten Proben schafft eine unglaublich eu- glaublich interessant finde ich es immer, etwas von den
phorische und kreative Atmosphäre», sagt Friederike Chortraditionen anderer Länder zu erfahren und was
Woebcken, Professorin für Chorleitung in Bremen, die dort für Literatur gesungen wird», sagt sie. So freue sie
in diesem Jahr für die Chorarbeit verantwortlich ist.
sich besonders auf die Mitsängerinnen und -sänger aus
Da man den DozentInnen kein sonderlich
Lettland und Estland, die traditionell auf der
hohes Honorar zahlen könne, komme keineR
Musikwoche stark vertreten sind. «Ich finvon ihnen wegen des Geldes, sagt Jonas Siede es sehr reizvoll, dass aus vielen Sängern
wertsen – das gilt auch für Woebcken: «Die
aus verschiedenen Ländern in knapp zwei
Musikwoche hat eine langjährige TraditiWochen ein sehr homogener Klangkörper
on mit Kultstatus», sagt sie. «Wann immer
werden kann – das macht einfach großen
sie zum Thema wird,
Spaß!», sagt sie. Das
leuchten die Augen
klangliche Ergebder Sängerinnen und
nis gibt es übrigens
Sänger, die an ihr teilauch öffentlich zu
genommen haben.»
bestaunen, denn aufDie Ausstrahlung,
geführt werden die
die vom idyllischen
erarbeiteten Werke
Scheersberg ausgeht,
in zwei Konzerten:
hat Woebcken imam Ostersonntag in
mer als «besonders
der Christkirche in
Friederike Woebcken,
sympathisch und
Rendsburg, einem
diesjährige Leiterin des Chores auf der Musikwoche
wunderschönen Backsteinbau aus dem späten 17 . JahrMindestens ebenso groß wie bei den Teilnehmenhundert, am Ostermontag in der Scheersberghalle auf den ist die Vorfreude jedoch bei den DozentInnen.
dem Scheersberg.
«Ich bin total neugierig und gespannt», sagt Friederike
Den Konzerten wird auch Karolina Nielsen ent- Woebcken. «Es wird spannend, wie die unterschiedligegenfiebern: Mit ihrer siebten Teilnahme in Fol- chen Stimmfarben der verschiedenen Länder sich zuge hebt sie sich zwar noch nicht von der Masse der sammen fügen werden.» Sie sei sich sicher, auch selbst
Teilnehmenden ab – «60 bis 80 Prozent sind Wieder- viel dazuzulernen. Vor allem aber freue sie sich auf die
holungstäter», schätzt Jonas Siewertsen – wohl aber internationale Atmosphäre.
Oder wie es das «Musikwochen-Kind» Karolina
durch ihre Familiengeschichte: «Meine Mutter hat
1985 zum ersten Mal als Cellistin teilgenommen und Nielsen formuliert: «Alle bringen so viel Energie hierauf dem Scheersberg dann drei Jahre später meinen her mit, so viel Freude an der Musik und am MiteinVater kennengelernt, der im Chor Tenor sang», erzählt ander – das macht die ‹Magie› vom Scheersberg aus!»
sie. Weitere neun Jahre später wurde sie geboren und
Der Autor ist Redakteur der Chorzeit.
bereits als Kleinkind hin und wieder von ihren Eltern
zur Musikwoche mitgenommen: «Damals habe ich mir
gedacht: Wenn ich groß bin, machʼ ich da auch mal
mit!», erinnert sie sich – was dann auch einer der Gründe gewesen sei, mit dem Bratschenunterricht anzufanMehr
gen. Sobald sie das Mindestalter von 16 Jahren erreicht
hatte, meldete sie sich zum ersten Mal an – und danach
55. Deutsch-Skandinavische Musikwoche
8. – 18. April 2017
jedes Mal wieder. Man darf sie also mit Fug und Recht
Anmeldeschluss: 8. März
als «Kind der Musikwoche» bezeichnen und als solInformationen und Anmeldung unter
ches freut sie sich natürlich besonders auf das Wiederwww.scheersberg.de/dsm
sehen in diesem Jahr.
«Wann immer Chorsänger von ihrer
Teilnahme an der Musikwoche
erzählen, beginnen ihre Augen
zu leuchten.»
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Joachim Ringelnatz – da denken viele zuerst an
grosteske Unsinnspoesie („Die Schnupftabaksdose“). Diese freilich weicht in späteren Gedichtsammlungen nach und nach parabelhaften Gedichten und philosophischer Gedankenlyrik oft
melancholischen Inhalts: Ein paar dieser sprachlichen Preziosen hat Lothar Kirchbaum nun in eine
sehr adäquate Tonsprache gesetzt – und gibt 4-stimmigen Chören
damit eine kleine Auswahl klangvollster Lebensweisheiten an die Hand.
Und wenn Sie auch zum Reformationsjubiläum glänzen wollen:
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Mit einfach gehaltenen Sätzen für zwei- bis vierstimmig gemischten Chor hat Rudolf Suthoff-Gross eine
Auswahl vorgelegt, mit der Chöre schon nach kurzer
Einstudierungszeit glänzen können. Je nach Möglichkeiten des Chores ist zu einem der Lieder sowohl
ein drei- als auch ein vierstimmiger Satz vorhanden.
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