H-Germanistik TAGB: „Spielzeichen II – Raumspiele / Spielräume", Passau (09.12. – 11.12.2016) Discussion published by Anja Labandowsky on Friday, January 27, 2017 „Spielzeichen II – Raumspiele / Spielräume“ (Passau, 09. bis 11. Dezember 2016) Organisiert von: Dr. Martin Hennig und Prof. Dr. Hans Krah von Anja Labandowsky (Passau) Das Computerspiel ist mittlerweile interdisziplinär beheimatet. So schenken Medien-, Kultur-, Literatur-, Sprach- und Sozialwissenschaften dem Computerspiel als komplexem Konstrukt, basierend auf verschiedenen ineinandergreifenden Zeichensystemen – audiovisuell, spielmechanisch, narrativ wie sozial –, ihre Aufmerksamkeit. Das spannende, weiterhin verhältnismäßig neue Forschungsfeld Computerspiel bietet vielfältige Anknüpfungspunkte, Aspekte und Perspektiven, um bestehendes, etabliertes wissenschaftliches Handwerkszeug am Gegenstand zu erproben, weiterzuentwickeln, neue Theorien abzuleiten und mögliche Forschungslücken zu schließen. Das interdisziplinäre Interesse an diesem Gegenstand schlug sich auch im Programm einer nun schon zum zweiten Mal in Passau durchgeführten Tagung unter dem Titel „Spielzeichen“ nieder. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit textanalytischem und medienkulturwissenschaftlichem Schwerpunkt aus Disziplinen wie der Literaturwissenschaft, Medien- und Kultursemiotik, Theater-, Medienund Filmwissenschaft oder auch den Sprach- und Sozialwissenschaften widmeten sich dem Thema „Raumspiele / Spielräume“. Im Rahmen der dreitägigen Veranstaltung wurden insgesamt 15 Beiträge präsentiert, strukturiert in sechs thematisch unterschiedlich gewichtete Panels. Gemeinsamer Konsens war die Auffassung, Levelarchitektur im Computerspiel nur bedingt als direkte Raumrepräsentation zu begreifen. Schließlich, so eine Grundannahme der Computerspielforschung, konstituieren sich dargestellte Räume auch durch spielmechanische, narrative und soziale Faktoren. Demzufolge war es Ziel der Tagung, Computerspielräume unter probaten raumtheoretischen Gesichtspunkten zu beleuchten und die Perspektive weg von der rein räumlichen Darstellung hin zu einer umfassenden Betrachtung dargestellter Computerspielräume zu bewegen, die eine exakte Beschreibung und Analyse des komplexen Zeichensystems Computerspiel zulässt. Nach der Begrüßung durch Organisator Dr. MARTIN HENNIG (Passau) legte Prof. Dr. HANS KRAH (Passau) in seiner thematischen Einführung den Fokus auf das basale Thema der Tagung: den Raum. An erster Stelle hielt Krah unterschiedliche Bedeutungsdimensionen des Begriffs fest: Die einen sprechen vom physikalischen oder mathematischen Raum. Die Kulturwissenschaften begreifen den Raum als semantische Basis: Räume konstituieren eine Weltstruktur, definieren Grenzen und schaffen eine symbolische Ordnung. Dieses Citation: Anja Labandowsky. TAGB: „Spielzeichen II – Raumspiele / Spielräume", Passau (09.12. – 11.12.2016) . H-Germanistik. 01-2-2017. https://networks.h-net.org/node/79435/discussions/163441/tagb-%E2%80%9Espielzeichen-ii-%E2%80%93-raumsiele-spielr%C3%A4ume-passau-0912-%E2%80%93 Licensed under a Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 3.0 United States License. 1 H-Germanistik kulturwissenschaftliche Verständnis von Räumen führte Krah zur Raumtheorie des estnischen Kultursemiotikers Jurij M. Lotman. In diesem Zusammenhang betonte Krah die Relevanz Lotmans wissenschaftlichen Erbes für einen kulturwissenschaftlichen Zugang zum Computerspiel. Dabei spezifizierte er unter anderem den Ansatz, Kunst als sekundäres, modellbildendes semiotisches System zu verstehen, Lotmans Raumsemantik sowie seine Theorie der Semiosphäre. Krah beendete seinen Vortrag mit der Aussage, das Computerspiel in seiner Vielfalt als Integration verschiedenartiger Räume anzuerkennen, als einen Ort, wo audiovisuelle Räume auf soziale Räume treffen und es im Sinne der Semiosphäre zu Kontaktphänomenen komme, die der Wissenschaft ein fruchtbares Betätigungsfeld bieten. Dr. MARTIN HENNIG (Passau) führte Krahs Überlegungen mit Bezug auf das Computerspiel weiter und demonstrierte an Computerspiel-Klassikern wie SPACE INVADERS (1978) und zeitgenössischen Spielen wie THE AMAZING SPIDER-MAN (2012) oder HOTLINE MIAMI (2012) deren raumsemantische Eigenheiten. Räume im Computerspiel definieren sich laut Hennig in Grundzügen über die Spielstruktur. Während des Spielens eignen sich die Spieler den Raum an und haben dadurch die Möglichkeit, den Raum zu transformieren: Die Diegese ist im Rahmen kontinuierlicher Avatarbewegung zu durchqueren und zeichenhaft in Besitz zu nehmen, bis sich im Idealfall kein Teil der dargestellten Welt mehr dem Zugriff der Spieler entzieht. Räume werden dabei mit auf die Spielfigur verweisenden Zeichen versehen und insofern subjektiviert. Am Ende ihres Raumdurchlaufs obliegt der Spielfigur die vollständige Kontrolle über den vormaligen Fremdraum bzw. der Raum passt sich abschließend vollständig den Merkmalen der Spielfigur an. Auf der Basis von derartigen übergreifenden Strukturäquivalenzen wird im Rahmen der konkreten Aneignungsfantasien jeweils an kulturelles Wissen und kulturelle Semantiken angeschlossen, was sich auch im weiteren Verlauf der Tagung zeigte. Das erste Panel „Räumliche Grundformen des Computerspiels“ eröffnete KERIM DOGRUEL (Frankfurt) mit einem Vortrag, der abstrakte Computerspiele wie TANDIS (2016), Rom Check Fail (2008) und KETTLE (2010) ins Visier nahm. In den abstrakten Rasterstrukturen des Metamathematik-Spiels TANDIS erkannte Dogruel einen strukturell-selbstreflexiven Bezug, den er als zentrale Spielart des Games ableitete. Am Beispiel ROM CHECK FAIL legte Dogruel anhand der Kombination expliziter Zitate von Texturen, Formen, Strukturen und Figuren anderer Computerspiele dessen MetaspielCharakter dar. KETTLE wiederum bediene sich einer Schachbrett-Struktur, die zum Spielerfolg dezidiert räumlich-geometrisches Verständnis benötige. In allen drei Fällen zeige sich, so Dogruel, dass das räumliche Spielen durch das Computerspiel selbst reflektiert würde. Mit seinem Beitrag „Schleifen spielen. Der Loop als räumliche Basisform von Games“ stellte PETER PODREZ (Erlangen) basale Überlegungen zum Loop als einer Grundform des Computerspiels an. Dabei handele es sich nach Podrez allerdings nicht um eine reine Wiederholung, sondern um eine Rekursion mit Variation. Seine schlüssige Argumentation begann bei Lessings „Laokoon“ (1766) und führte über Lotmans „Die Struktur literarischer Texte“ (1972) und Lew Manowitschs „The Language of New Media“ (2001) zu den Citation: Anja Labandowsky. TAGB: „Spielzeichen II – Raumspiele / Spielräume", Passau (09.12. – 11.12.2016) . H-Germanistik. 01-2-2017. https://networks.h-net.org/node/79435/discussions/163441/tagb-%E2%80%9Espielzeichen-ii-%E2%80%93-raumsiele-spielr%C3%A4ume-passau-0912-%E2%80%93 Licensed under a Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 3.0 United States License. 2 H-Germanistik aktuellen Arbeiten von William Uricchio. Der Loop bzw. die Schleife sei im Computerspiel auf fünf Ebenen anzutreffen: Programmierung, Spielprozess, Spielräume/-topographien, Bewegungsmuster und Spielfortschritt. In der anschließenden Diskussion machte sich die essenzielle Relevanz seiner These bemerkbar: Das Publikum stellte frühe Computerspiele, deren Spielmechanik deutlich auf Schleifen aufbaue, und neuere Spiele gegenüber, wobei angemerkt wurde, dass letztere zumindest auf der Oberfläche jegliche Art von Wiederholung vermeiden würden, um die Spieler nicht zu langweilen oder zu frustrieren. Gemeinsames Fazit war Podrez‘ Plädoyer, das In-Schleifen-Denken und Über-Schleifen-Nachdenken zu vertiefen. Der letzte Beitrag zum ersten Panel kam von Dr. TIM RAUPACH (Marburg), der bereits auf der ersten „Spielzeichen“-Tagung am Rednerpult stand. Sein Vortrag beschäftigte sich mit der Darstellung der Räume im Computerspiel hinsichtlich der zentralen Frage: ikonischer oder spektakulärer Realismus? Dabei illustrierte Raupach sein Konzept des ikonischen Realismus am Game-Klassiker PONG (1972). Die optische Analogie zum Tennisspiel induziere hier lediglich durch die Vorstellungskraft der Spieler eine räumliche Wirkung. Diese Ähnlichkeitsbeziehung, je nach Ausprägung, sei bezeichnend für den ikonischen Realismus. Der spektakuläre Realismus dagegen ziele auf eine mehr als deutliche Aufmerksamkeitssteigerung für und über die Spielästhetik ab. Hier nannte Raupach BATTLEFIELD 1 (2016) als Beispiel, da es für die Nutzer unmöglich sei, den Raum mit all seinen Details in seiner Gänze überhaupt wahrzunehmen. Den Begriff „Hyperrealismus“ habe Raupach dabei bewusst ausgeklammert, da er dem Konzept der Referenzlosigkeit von Zeichen und Bildern nach Baudrillard nicht zustimme. Den Abschluss des Konferenztages bildete die Keynote von Dr. BRITTA NEITZEL (Braunschweig). Sie wendete das Konzept der Heterotopie nach Foucault auf Spielhallen und Spielotheken im Kontext der 1970er-Jahre an. Diese seien als „Orte außerhalb aller Orte“ zu verstehen, insofern sich an ihnen gesellschaftliche Diskurse entfalten. An der Dokumentation „Macht Flippern frei?“ aus dem Jahr 1973 demonstrierte Neitzel deutlich die Marginalisierung des Spielens und der Spieler zu den Hochzeiten der Spielhallen. Dabei schlug sie den Bogen zu den heutigen Spielotheken, deren Dispositiv sich wie damals aus gesetzlichen, unternehmerischen sowie gesellschaftlichen Faktoren zusammensetzt. Neitzel verwies auch auf das bis heute andauernde Stigma des (Computer-)Spielens, dessen Ursprünge sich in den 1970er-Jahren manifestierten. Den zweiten Konferenztag eröffnete Dr. JAN-NOËL THON (Tübingen) mit einer Keynote zum Thema „Computerspielwelten. Zur intersubjektiven (In-)Stabilität von Spielräumen und Spielgeschehen“. Computerspiele seien dazu fähig, in Raum und Zeit verortete, durch Figuren bevölkerte Welten darzustellen und (auch) narrativ zu sein. Spezifische Formen der Narrativität würden erzeugt im Rahmen der obligatorischen Interaktivität und fakultativen Nonlinearität des jeweiligen Spiels. Von grundlegender Wichtigkeit erachtete Thon in seinem Vortrag die Differenzierung zwischen narrativen und ludischen Ereignisdarstellungen, wobei narrative durch die Produzenten des Spiels vor Spielbeginn bereits festgelegt und prädeterminiert sind und ludische durch den Spieler selbst ausgelöst werden. Aus diesem Zusammenspiel von berechenbaren (Spiel) und unberechenbaren Citation: Anja Labandowsky. TAGB: „Spielzeichen II – Raumspiele / Spielräume", Passau (09.12. – 11.12.2016) . H-Germanistik. 01-2-2017. https://networks.h-net.org/node/79435/discussions/163441/tagb-%E2%80%9Espielzeichen-ii-%E2%80%93-raumsiele-spielr%C3%A4ume-passau-0912-%E2%80%93 Licensed under a Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 3.0 United States License. 3 H-Germanistik Faktoren (Spieler) resultiere nach Thon eine Instabilität der Spielräume, was zu Inkonsistenzen führen könnte. Diese Beobachtung gliederte Thon dann in das Konzept der „Storyworlds“ (David Herman) ein. Sein Fazit: Viele Inkonsistenzen – wie etwa ein anderes Waffeninventar innerhalb einer Cutscene – hätten spielintern keinerlei Relevanz. Thon verneinte daher die Tendenz, hinter jeder minimalen Abweichung die Konstruktion einer neuen Storyworld zu vermuten, vehement. Das zweite Panel der Tagung richteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der medienkulturwissenschaftlichen Plattform PAIDIA (München) aus. Sie präsentierten vier Kurzvorträge rund um das Thema „Der Raum des Computerspiels als Wissensformation“. TOBIAS UNTERHUBER (München) eröffnete das Panel und plädierte dafür, das Computerspiel vor der Folie eines „Tableaus des Wissens“ nach Foucault zu betrachten. Den Raum verstand Unterhuber dabei als Ordnung von Wissen und Repräsentation dieser Wissensordnung. Mit seiner These, das Spiel als Prozess der Aneignung des Computerspielraums und damit auch des Wissenserwerbs zu begreifen, schuf Unterhuber die Basis für die folgenden Fallanalysen des Panels. FRANZISKA ASCHER (München) fokussierte in ihrem Beitrag „Lost in Lordran“ die An- oder Abwesenheit von (Land-)Karten im Computerspiel, sofern Spiele und ihre Spielmechanik auf der Notwendigkeit einer solchen Karte aufbauen. Diese verstand Ascher als Darstellung des Raums, welche für Spieler als Tableau des Wissens diene. Die vollständige Abwesenheit einer solchen Map, obwohl deren Anwesenheit eigentlich erforderlich wäre, proklamierte Ascher als Statut des maximalen Nicht-Wissens. Sie trete als Spielart gerade in Genres wie Horror auf. So entziehe die abwesende Karte den Spielern jede Orientierungsmöglichkeit und jedes Gefühl der Sicherheit. Dies veranschaulichte Ascher am Beispiel von DARK SOULS (2011): Die Implementierung einer Karte störe die empfindliche Atmosphäre des Erhabenen und mache positive sowie negative Überwältigungsmomente sukzessive unmöglich. JOHANNA LINDNER (München) thematisierte in ihrem Vortrag den Traum als räumliche und narrative Ordnungsstruktur im Computerspiel. Zunächst ging Lindner auf die Darstellungskonventionen des (Alp-)Traums in unterschiedlichen Medien ein, um dann in einem nächsten Schritt die Computerspiele VIRGINIA (2016) und THAT DRAGON, CANCER (2016) einander gegenüberzustellen. So stellte sie fest, dass das bruchstückhafte Erzählen in VIRGINIA, das von Traumsequenzen und Metalepsen durchzogen sei, Träume nutze, um Vorstellungswelten räumlich abzubilden. Im Gegensatz dazu habe der Traum in THAT DRAGON, CANCER die Funktion, als sinnlos wahrgenommene Ereignisse wie den Tod eines Kindes mit Sinn aufzuladen und den inneren Kampf mit der Akzeptanz derartiger Ereignisse darstellbar zu machen. Das zweite Panel beschloss Dr. MARCEL SCHELLONG (München) und widmete sich THE STANLEY PARABLE (2011). Schellongs These: Das Spiel zeige sich als Reflexionsort seiner eigenen medialen Verfasstheit und fungiere als Parabel über die Mündigkeit von Computerspielern. Schellong machte deutlich, dass THE STANLEY PARABLE als „performative Computerspieltheorie“ zu begreifen sei. Dadurch handele es sich um ein Metaspiel, das auch wissenschaftliche Diskurse über Computerspiele thematisiere und mit Citation: Anja Labandowsky. TAGB: „Spielzeichen II – Raumspiele / Spielräume", Passau (09.12. – 11.12.2016) . H-Germanistik. 01-2-2017. https://networks.h-net.org/node/79435/discussions/163441/tagb-%E2%80%9Espielzeichen-ii-%E2%80%93-raumsiele-spielr%C3%A4ume-passau-0912-%E2%80%93 Licensed under a Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 3.0 United States License. 4 H-Germanistik ironischem Unterton aufarbeite. Gerade das Wissen der Spieler um den Metacharakter des Spiels eröffne die Möglichkeit, Anweisungen der intradiegetischen Erzählerstimme im Spiel eben gerade nicht zu befolgen. Das dritte Panel der Tagung mit dem Titel „Raum als Handlungsträger“ eröffnete Dr. CHRISTIAN NIBLER (München) mit einem Beitrag zum Raum als Handlungselement in postapokalyptischen Dystopien. Davon ausgehend, dass es in diesen Dystopien zwei Grundnarrative gibt, nämlich die Geschichte des Helden und die Geschichte der Katastrophe, leitete er anhand verschiedener Beispiele aus Literatur, Film und Computerspiel zwei elementare, konstitutive Raumoppositionen ab: ‹neue vs. alte Welt› und ‹außen vs. innen›. Seine Argumentation führte schließlich zu zwei Schlussfolgerungen: 1) Als Handlungsträger ist der Raum des Computerspiels zu großen Teilen mit der Schnittmenge der Eigenschaften gleichzusetzen, welche die Spieler zur Interaktion befähigen; 2) Handlung entsteht durch die Interaktion mit dem Raum, wobei sich Vergangenheit durch irreversible Raumänderungen manifestiert. MARIA KUTSCHEROW (München) führte ebenfalls (post-)apokalyptische und katastrophische Computerspiele einer näheren Betrachtung zu. Dabei sprach sie von „glatten“ und „gekerbten“ Räumen nach Deleuze und Gauttari, womit sie auf Aneignungen und Transformationen von Raum abzielte. Kutscherow demonstrierte dies an FALLOUT 4 (2015), EIDOLON (2014), THE LAST OF US (2013) und PLAGUE INC. (2012). EIDOLON beispielsweise spiele in einem ehemals gekerbten Kulturraum, der durch die Natur zurückerobert und ‚geglättet‘ wurde. Durch die Positionierung von Hinweisen, Gegenständen und Karten wird der glatte Raum allerdings wieder zu einem gekerbten Raum. Den Spielern komme so die Aufgabe zu, durch Erkundung des Raums und Sammeln dieser Relikte das apokalyptische Ereignis zu rekonstruieren und den Raum erneut zu transformieren. Das letzte Panel des zweiten Konferenztags behandelte das Thema „Grenzen des Raums“. BERNHARD RUNZHEIMER (Marburg) widmete sich dem Inventar im Computerspiel. So entwickelte er eine Taxonomie, um verschiedene Inventarsysteme und semantische Strategien zu deren Rahmung beschreiben und einordnen zu können. Runzheimer unterschied dabei grundlegend statistikfreie, statistikbasierte und unendliche Systeme wie den „Nimmervollen Beutel“. Er hinterfragte vor allem die logische Relation zwischen Inventar und Raum, denn schließlich sei der Spielraum ein sichtbarer Raum und das Inventar tendenziell unsichtbar. In diesem Spannungsfeld käme es oft zu logischen Brüchen und Inkohärenzen. Deren Relevanz für Spiel und Spieler wurde in der anschließenden Diskussion in den Vordergrund gestellt. PATRICK JAHNKE (Greifswald) zielte in seinem Beitrag auf die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Games-Kultur ab. Dazu klärte er vorweg den Begriff der Kultur und stellte heraus, Sprache als verbindendes Mittel innerhalb einer Kultur zu verstehen. Als zentrale Theorie widmete er sich dann dem Semiosphärenmodell nach Jurij Lotman. Das Computerspiel verstand Jahnke dabei als semiotischen Raum, der sich aus Regeln, Codes, Grafik und Mechanik Citation: Anja Labandowsky. TAGB: „Spielzeichen II – Raumspiele / Spielräume", Passau (09.12. – 11.12.2016) . H-Germanistik. 01-2-2017. https://networks.h-net.org/node/79435/discussions/163441/tagb-%E2%80%9Espielzeichen-ii-%E2%80%93-raumsiele-spielr%C3%A4ume-passau-0912-%E2%80%93 Licensed under a Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 3.0 United States License. 5 H-Germanistik zusammensetze. Hieran anknüpfend entwickelte Jahnke ein Modell, welches sowohl das einzelne Spiel als auch das Spielgenre und deren Einbettung in die Games-Community abbildete. Den Abschluss des zweiten Konferenztages bildete der Beitrag „Raum | Zeit | Raumzeit? Narratologische Betrachtung von Raum-Zeit-Korrelationen im Videospiel“ von NILS GELKER (Hannover). Am Beispiel von SUPER MARIO BROS. (1985) erläuterte Gelker das spezifische Raum-Zeit-Verhältnis des Spiels: Raum und Zeit seien, unterstützt durch die Levelarchitektur des Spiels, deutlich auf dem Bildschirm markiert; durch die Raumbewegung von Super Mario ergebe sich ein Tag-Nacht-Zyklus, wodurch die diegetische Zeit raumgebunden sei. Durch die Besprechung dreier weiterer Beispiele kam Gelker schließlich zu vier möglichen Raum-Zeit-Modellen, wobei sich der raumzeitliche Zusammenhang direkt proportional zur narrativen Wirklichkeit verhalte: Je näher Raum und Zeit aneinandergebunden seien, desto „realistischer“ wirke das Game. Gelker leistete eine dezidierte Analyse und Schematisierung raumzeitlicher Korrelationen, ergo der Narration, in Computerspielen. Die Eröffnung des dritten Tages der „Spielzeichen II“-Konferenz bestritt MICHAEL MOSEL (Gießen) mit einem Beitrag zum Panel „Raum als Paradigma des Game Designs“. Dabei konzentrierte er sich auf Leveldesign-Patterns nach Christopher Alexander et al. mit dem Leitsatz: „Wieso wir mehr über Leveldesign reden sollten“. Die Basis bildeten zwei Grundaussagen: 1) Das Bild bringt den Raum hervor; 2) Räumliche Bewegung/Interaktion bringt die Spielerfahrung hervor. Mosel unterstellte den Game Studies eine gewisse Leveldesign-Blindheit, die mit einer Genre-Blindheit einherginge. An mehreren Beispielen – etwa Scharfschützenverstecken, die jeweils unterschiedlich kontextualisiert und funktionalisiert sein können – illustrierte er die Anwendung von Leveldesign-Patterns und deren Relevanz für die eingehende Analyse von Computerspielräumen. Abschließend plädierte Mosel für die Pattern-Sprache als gemeinsame Sprache zur wissenschaftlich fundierten Analyse von Computerspielen. KERSTIN RAUDONAT (Heilbronn) eröffnete das letzte Panel der Tagung und stellte unter dem Titel „Von definierten Spielräumen zur Entstehung kommunikativer Räume in OnlineRollenspielen“ Ergebnisse aus ihrer Dissertation vor. Mittels der Methode der Grounded Theory (Strauss/Corbin, 1996) hatte Raudonat zwischen 2010 und 2015 unterschiedliche Gilden, Gruppen und Server von WORLD OF WARCRAFT (seit 2004) untersucht. Am Beispiel des Online-Rollenspiels demonstrierte die Diplom-Pädagogin, wie sich definierte Spielräume zu Handlungsräumen mit bestimmten Handlungsmöglichkeiten, Akteuren und Zielen und schließlich zu kommunikativen Räumen entwickeln, in denen Individuen miteinander kommunikativ interagieren, wobei sich wiederum bestimmte Kommunikationskonventionen herausbilden. WORLD OF WARCRAFT nahmen auch Dr. LARS BÜLOW und SVEN STEPHAN (Passau) unter die Lupe. Die beiden Sprachwissenschaftler fokussierten in ihrer quantitativen linguistischen Untersuchung die Pragmatik der Kommunikation am Beispiel von WOW. Ihre Datenbasis: 2.144.622 Token aus einer Erhebung der MMORPG-Chats zwischen Juli 2016 und Oktober 2016. Bülow und Stephan untersuchten Citation: Anja Labandowsky. TAGB: „Spielzeichen II – Raumspiele / Spielräume", Passau (09.12. – 11.12.2016) . H-Germanistik. 01-2-2017. https://networks.h-net.org/node/79435/discussions/163441/tagb-%E2%80%9Espielzeichen-ii-%E2%80%93-raumsiele-spielr%C3%A4ume-passau-0912-%E2%80%93 Licensed under a Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 3.0 United States License. 6 H-Germanistik systematisch Synsemantika (Funktionswörter wie Pronomen, Präpositionen und Artikel) sowie Autosemantika (Inhaltswörter wie Nomen, Verben und Adjektive), um Rückschlüsse auf die Pragmatik der Chatsprache im Sinne einer „community of practice“ ziehen zu können. Ihre vorläufigen Ergebnisse zeigten interchatspezifische Sprachvariationen sowie einen auffällig hohen Gebrauch von Pluralpronomina, was deutlich auf die Formierung sozialer Gruppen, sozialer Zugehörigkeit und einer eigenen „community of practice“ hinweise. Insgesamt offenbarten sich bei „Spielzeichen II“ aufbauend auf der raumtheoretischen Fokussierung erneut die interdisziplinäre Relevanz und die Vielschichtigkeit des Computerspiels. So ließen sich im Lauf der Tagung immer wieder gemeinsame Ansätze und Denkmuster bei den vertretenen Disziplinen erkennen, deren Wahrnehmung notwendig ist, um das Computerspiel als mediales Phänomen in seiner Gänze beschreibbar zu machen. Rückblickend auf beide „Spielzeichen“-Konferenzen ließe sich sogar ein Kanon aus wissenschaftlich als besonders fruchtbar geltenden Computerspielen ableiten, beispielsweise die vielzitierte FALLOUT-Reihe. Organisator Dr. MARTIN HENNIG beschloss die Konferenz mit einem überaus positiven Fazit und verwies zur großen Freude der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf die Planungen für „Spielzeichen III“. Tagungsprogramm von Spielzeichen II: Freitag, 09. Dezember 2016 ab 14.45 Uhr Registrierung 15.15 – 15.45 Uhr Begrüßung und Einführung: Spiel und Raum Prof. Dr. Hans Krah und Dr. Martin Hennig (Passau) 15.45 – 16.45 Uhr Keynote Dr. Britta Neitzel (Braunschweig) Andere Orte. Zum Heterotopischen von Spielhallen und Videogame Arcades 16.45 – 17.15 Uhr Kaffeepause Panel I: Räumliche Grundformen des Computerspiels 17.15 – 18.00 Uhr Dr. Tim Raupach (Marburg) Computerspielräume zwischen spektakulärem und ikonischem Realismus 18.00 – 18.45 Uhr Peter Podrez (Erlangen-Nürnberg) Schleifen spielen. Der Loop als räumliche Basisform von Games 18.45 – 19.30 Uhr Kerim Dogruel (Frankfurt) Der Spielraum und seine Dekonstruktion. Autoreflexive Computerspiele um Raster, Würfel und Viereck Samstag, 10. Dezember 2016 09.15 – 10.15 Uhr Keynote Dr. Jan-Noël Thon (Tübingen) Citation: Anja Labandowsky. TAGB: „Spielzeichen II – Raumspiele / Spielräume", Passau (09.12. – 11.12.2016) . H-Germanistik. 01-2-2017. https://networks.h-net.org/node/79435/discussions/163441/tagb-%E2%80%9Espielzeichen-ii-%E2%80%93-raumsiele-spielr%C3%A4ume-passau-0912-%E2%80%93 Licensed under a Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 3.0 United States License. 7 H-Germanistik Computerspielwelten. Zur intersubjektiven (In-)Stabilität von Spielräumen und Spielgeschehen 10.15 – 10.45 Uhr Kaffeepause Panel II: Der Raum des Computerspiels als Wissensformation 10.45 – 12.15 Uhr PAIDIA: Franziska Ascher, Robert Baumgartner, Johanna Lindner, Dr. Marcel Schellong, Tobias Unterhuber (München) 12.15 – 14.00 Uhr Mittagspause Panel III: Raum als Handlungsträger 14.00 – 14.45 Uhr Adrian Froschauer (Saarland) „The gap in the door…it’s a separate reality.“ Horrible Räume im Computerspiel 14.45 – 15.30 Uhr Dr. Christian Nibler (München) War Never Changes…but Space – Der Raum als zentrales Handlungsmotiv postapokalyptischer Dystopien in Literatur, Film und Computerspiel 15.30 – 16.15 Uhr Maria Kutscherow (München) Glatte und gekerbte Räume in (post-)apokalyptischen Computerspielen 16.15 – 16.45 Uhr Kaffeepause Panel IV: Grenzen des Raums 16.45 – 17.30 Uhr Bernhard Runzheimer (Marburg) „Unendlich Munition im nimmervollen Beutel“ Die Auswirkungen unendlicher Raumstrukturen auf die diegetische Logik digitaler Spiele 17.30 – 18.15 Uhr Patrick Jahnke (Greifswald) Press F to pay respect. Produktive Abgrenzungsstrategien der Gameskultur 18.15 – 19.00 Uhr Nils Gelker (Hannover) Raum | Zeit | Zeit-Raum? Narratologische Betrachtung von Raum-Zei-Korrelationen im Videospiel Sonntag, 11. Dezember 2016 Panel V: Raum als Paradigma des Game Designs 09.00 – 09.45 Uhr Michael Mosel (Gießen) Formationen von Leveldesign-Patterns als Brücke zwischen Spezifität und Beliebigkeit 09.45 – 10.30 Uhr Dr. des Hiloko Kato, René Bauer (Berlin/Zürich) Der spektakuläre Raum – Herausforderung für Leitsysteme Citation: Anja Labandowsky. TAGB: „Spielzeichen II – Raumspiele / Spielräume", Passau (09.12. – 11.12.2016) . H-Germanistik. 01-2-2017. https://networks.h-net.org/node/79435/discussions/163441/tagb-%E2%80%9Espielzeichen-ii-%E2%80%93-raumsiele-spielr%C3%A4ume-passau-0912-%E2%80%93 Licensed under a Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 3.0 United States License. 8 H-Germanistik 10.30 – 11.00 Uhr Kaffeepause Panel VI: Soziale Spielräume 11.00 – 11.45 Uhr Kerstin Raudonat (Heilbronn) Von definierten Spielräumen zur Entstehung kommunikativer Räume in Online-Rollenspielen 11.45 – 12.30 Uhr Dr. Lars Bülow, Sven Stephan (Passau) Der Spielraum als Sprachraum – Die Pragmatik der Kommunikation in MMORPGs Copyright (c) 2017 by H-Net, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial, educational use if proper credit is given to the author and to the list. For other permission, please contact [email protected] Citation: Anja Labandowsky. TAGB: „Spielzeichen II – Raumspiele / Spielräume", Passau (09.12. – 11.12.2016) . 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