Die Fabel von der Grille und der Ameise in der türkischen Literatur Autor(en): Anhegger, Robert Objekttyp: Article Zeitschrift: Asiatische Studien : Zeitschrift der Schweizerischen Asiengesellschaft = Études asiatiques : revue de la Société Suisse - Asie Band (Jahr): 3 (1949) Heft 1-2 PDF erstellt am: 01.02.2017 Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-145337 Nutzungsbedingungen Die ETH-Bibliothek ist Anbieterin der digitalisierten Zeitschriften. Sie besitzt keine Urheberrechte an den Inhalten der Zeitschriften. Die Rechte liegen in der Regel bei den Herausgebern. Die auf der Plattform e-periodica veröffentlichten Dokumente stehen für nicht-kommerzielle Zwecke in Lehre und Forschung sowie für die private Nutzung frei zur Verfügung. Einzelne Dateien oder Ausdrucke aus diesem Angebot können zusammen mit diesen Nutzungsbedingungen und den korrekten Herkunftsbezeichnungen weitergegeben werden. 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Die Beschäftigung mit dem griechischen Urtext und seinen zahlreichen Nachdichtungen in gebun¬ dener und ungebundener Form ist heute im wesentlichen eine Ange¬ legenheit der Spezialisten geworden (wenn wir von Schullektüre und Überarbeitungen für Kinder absehen). Im islamischen Kulturkreis lie¬ als gen die Verhältnisse anders1. Ein großer Teil der Fabeln, die wir äsopische bezeichnen, finden sich mehr oder weniger umgestaltet hier wieder, selbstverständlich ohne mit dem Namen des griechischen Fabel¬ dichters verbunden zu werden2. Dieser ist erst im Zuge der Europäii. Die Beschäftigung mit diesen Fragen würde hier zu weit führen, ganz abgesehen davon, daß die hiesigen Bibliotheken die einschlägige Literatur nur unvollständig enthalten ; ebenso¬ wenig erhebt diese kleine Studie Anspruch auf Vollständigkeit. ß; s in sagen; ss Auf eine wissenschaftliche Transkription ist verzichtet worden; s dumpfes i. Die anderen Umschreibungen verstehen sich von selbst. Moderne türkische y Namen sind in der heutigen türkischen Lateinschrift angeführt. Der Artikel erscheint in - etwas erweiterter Form türkisch in der im Druck befindlichen Türkiyat mecmuasi, wo Originaltexte wiedergegeben sind. die 2. Eine unvollständige Liste bei V.Chauvin: Bibliographie des Ouvrages arabes où relatifs aux Arabes publiés dans VEurope Chrétienne de 18 io à 1885 (Bd. 1-12, Liège 189 2-192 2), Bd. II, 42f., 49fr. und 144. die Fabeln Äsops, wie mich Prof. R. Rahmeti Arat freundlicherweise auf¬ müssen Dagegen merksam machte, den Uiguren bekannt gewesen sein, Belege dafür haben wir in zwei kleinen Bruchstücken aus den Funden von Chotscho. Das eine stammt offensichtlich aus einer Ein¬ leitung, das andere handelt vom Schaf und vom Schwein. Asop erscheint hier als Yosipos. Vgl. A.v. Coq, Türkische Manichaica aus Chotscho HI(Abhd. d. Preuß. Ak. d. Wiss. Nr. 2, Berlin da 1922, S. 33). Für unser Problem freilich ist dieser an sich so bedeutsame Fund belanglos, die Uiguren auch als indirekte Vermittler der Fabeln von Asop zu den Osmanen kaum in Frage kommen können. Dies beweist allein schon der Umstand, daß die uigurische Form «Yosi¬ eine pos» in der osmanisch-türkischen Literatur nicht auftaucht. Eine Ausnahme scheint nur Gruppe von Handschriften äsopischer Fabeln zu bilden, die sich in verschiedenen euro¬ päischen Bibliotheken finden und wo Äsop als «Aesopos, Isapos» und dgl. auftritt. Vgl. z.B. E. Blochet, Catalogue des manuscrits turcs, I, Paris 1932, S. 358, Nr. 453. Diese Hand138 ff., III bes. DIE FABEL VON DER GRILLE UND DER AMEISE 3I in der Türkei, also von der Mitte des 19. Jahrhunderts an, be¬ kannt geworden. Nun läßt sich unter den zahlreichen Geschichten, wie sie in den is¬ lamischen Ländern so beliebt waren, gerade die Fabel der Grille und der Ameise nur ganz vereinzelt nachweisen3. sierung I. DIE ALTEREN FASSUNGEN wir bei unserer Betrachtung zuerst von den handelnden Tie¬ ren aus, so werden wir feststellen können, daß in einer Reihe von Fabeln 1. Gehen auftritt, während ihre Partner wechseln : Vogel (Nachtigall, Schwalbe, Amsel) oder Wespe (senbûr, auch Biene), seltener die Grille. die Ameise schrift enthält u.a. : de la main d'un orientaliste», femer a. a. O., «... les fables d'Esope Nr. 676 : Geschichten von Isopos «Neskhi turc du XIXe siècle». Weiter Supplément, S. 30, H.Ethe, Catalogue of the Persian, Turkish... manuscripts in the Bodleian Library, part II, Oxford 1930, S.1194, Nr.(7i) 2109 «Presented... 17C2». Siehe femer Handlist of Oriental manu- sciiptsofthe Bibliotheca Lindesia 1898, S. 241, 248, 2j2, von ca. 1800. Wenn es auch unmög¬ lich ist, ohne genaues Studium aller in Frage kommenden Handschriften ein Urteil abzu¬ geben, so scheint es doch äußerst unwahrscheinlich, daß wir es hier mit Werken zu tun hätten, die unmittelbar aus der osmanisch-türkischen Literatur bzw. Volksliteratur stam¬ men. Sie werden, soweit sie nicht auf europäische Anregung hin entstanden sind (vgl. dazu w. u. S.41 f.), in die gleiche Kategorie zu stellen sein, wie z.B. die in diesem Aufsatz be¬ von Decourdemanche. Bezeichnend ist, daß der der Form «Jesepoß» aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von einem einzige Beleg in türkisch schreibenden Armenier stammt. (Terdschüme-i Jesepoß, übersetzt von TschelebizÄde Agop, Istanbul 1290/1873, zitiert nach Ismail Habib Sevük, s. S.4o, Anm. 14). 3. Bestätigt auf mündliche Anfrage hin von Prof. H. Ritter für die arabische und persische Literatur und von Professor Pertev Naili Boratav für die türkische Volksliteratur; vgl. noch Chauvin, a.a.O. III. S. c8, Nr. 19. Umeinen unmittelbaren Vergleich zu ermöglichen, folge hier der griechische Text, entnom¬ men Emile Chambrv, Esope, Fables (Coll. des Universités de France), Paris 1927, S. 146 Nr. 33c: handelten Fables Turques, herausgegeben Tévnt, xal ßlop-nxec. Mifiàvoç Sica xóv atxov ßcazevxa ol [iêQiÀ,r)xeç êyjv%ov. TixxiÇ ôé Xtfitciwcov ftxei crôrotfç moifijy. 01 ôé fiéQ/jtrjxeç éinov aûxcp. «Aid xl xô #époç oi> awijyeç xal oti XQoqufjv;» 0 ài stow «Oôx èozóXaCov, âkX' fìoov u,ovoixcoç.» 01 ôé yeXàoavxeç elnov «'AXV el viçovç wpatç îjtUetç, xeiftÂùvoç ôqzov.» 0 nviJoç ônXot öxi oi> ôel xtvà àu,eXelv èv l'Stiog. navxl nçâynact, Iva ixili kvnrfif) xac xtvôv- 32 ROBERT ANHEGGER Hierher gehört die Geschichte der Ameise und der Wespe in dem 1157-60 verfaßten, persischen Ssindbädnäme (uns aus dem Märchenkreis von 1001 Nacht bekannt) und in dem etwas späteren Ilählnäme des per¬ sischen Mystikers Farïdaddïn cAttär4. Leitmotiv ist der Ausspruch des Wiedehopfs (hudhud) : Weißt Du nicht, daß man sich der himmlischen Vorherbestimmung nicht wider¬ setzen kann Als Beispiel und Bekräftigung führt er die Geschichte der Wespe und der Ameise an. Zu ihr, die sich mühselig ihren Lebensunter¬ halt erwirbt, sagt die Wespe : Wozu diese Mühen Komm mit mir zu Speis und Trank. Die Ameise folgt ihr und so kommen sie zu einem Fleischerladen, wo sich die Wespe auf ein Stück Fleisch setzt. Das Schick¬ sal will es, daß gerade in diesem Moment der Metzger mit seinem Beil auf dieses Stück Fleisch einhaut, die Wespe trifft und sie in zwei Stücke zerteilt, die auf den Boden fallen. Die Ameise packt die Füße der Wespe und spricht zu ihr : Vor dem Schicksal gibt es kein Entrinnen. Bei Farïdaddïn cAttär läuft die Fabel im wesentlichen gleich, nur ist die Lehre eine andere : Der Mensch soll sich nicht von seinen Lüsten und Neigungen treiben lassen (Wespe), sondern gottergeben und be¬ scheiden bleiben (Ameise). Der Moral nach stehen sie also außerhalb des uns hier beschäftigenden Fabelkreises ; das gleiche gilt, soweit nicht weiter unten angeführt, von dem, was wir sonst, wenigstens in der türkischen Literatur und Folklore, über Ameise (und Grille) finden5. 4. Muhammed b. cAlT as-Sahìrì ass-SsamarkandÎ, Ssindbädnäme (herausgegeben von Ahmed Ates, Istanbul 1948), S. 3 36 f. : Desstân-i senbur u murtsche, und IlXhÏnXme des Farïd¬ addïn cAttÄr, hrg. von Helmuth Ritter (Bibliotheca Islamica 2), Leipzig-istanbul 1940' S. 211 f. Für den Hinweis auf das Ilählnäme bin ich Herrn Prof. H. Ritter zu Dank verpflichtet. Das Thema der lebenslustigen Wespe (Biene), die durch einen Raubvogel einen vorzeiti¬ versucht gen Tod findet, hat RedschXÏsXde Mahmud Ekrem in einem Gedicht zu gestalten Von (Semseme, Istanbul 130c, S. 26 Lahn Nr. 7). Als Gedicht ist es freilich nicht gelungen. RedschäTsäde Mahmud als Übersetzer La Fontainescher Fabeln werden wir noch sprechen. auch c. Verbreitet ist die Ameise als Ausdruck der Bescheidenheit und Ergebenheit, vgl. Kuran, Sure 27, V. 18, 19 und die Bibel, Sprüche Salomons, 6. Kap. V. 6-11, vgl. dazu et»' D. Sidersky, Les Origines des Légendes Musulmanes dans le Coran et dans les vies de Prophètes, Pans 1933, S.121 f. — Türkische Redensarten über die Ameise gibt es eine Reihe. Das Vergehen der Grille im Winter wird von Emri in einem Schmähgedicht auf Bäki verwendet, s. AgaH 1 DIE FABEL VON DER GRILLE UND DER AMEISE 33 Wir werden daher unser Thema etwas anders fassen und nach Ge¬ schichten mit ähnlicher Moral wie in der Fabel von der Ameise und der 2. Grille suchen. Deren gibt es eine ganze Reihe, wie etwa folgende zwei : Gleichnis des Menschen, der nicht zur rechten Zeit sät, daher nichts erntet und vor Kummer umkommt. Eine Maus entdeckt durch Zufall die Stelle, wo ein Landmann sein Getreide im Hinblick auf eine etwaige Hungersnot versteckt hat und schafft sich einen Zugang. Bei Ausbruch der Hungersnot stellt der Landmann den Schaden fest und bringt das Getreide in Sicherheit. Die Maus aber, die nichts zurückgelegt hatte, gerät in Elend6. Geschichten mit entsprechender Nutzanwendung dürften sich sicher¬ lich noch mehrere anführen lassen, aber für unsere Fragestellung nichts Neues bringen. 3. Dagegen ist hier eine von Decourdemanche aus dem Türkischen ins Französische übersetzte Fabel von der Ameise und der Schwalbe ein¬ zufügen : Tout l'été l'hirondelle s'était abandonnée à sa passion de chanter. Pendant ce même temps, la fourmi, soucieuse des besoins de la mau¬ vaise saison, s'était appliquée, de toute son âme et de tout son zèle, à réunir des provisions d'hiver. Les froids venus, elle se trouva jouir d'un fruits de son labeur. L'hirondelle qui, pendant l'été, s'était adonnée aux plaisirs, se trouva dénuée de toute ressource: elle périt de misère et de faim. doux repos au sein des biens, Pendant la jeunesse, il faut s'appliquer au gain ; qui refuse alors de se donner la moindre peine se trouve dépourvu dans la vieillesse7. Mit dieser auf die notwendigsten Züge beschränkten Fabel (zu ihrer Datierung s.w.u.) kommen wir unserem engeren Thema einen Schritt näher. Die Ameise hat als Handelnde die Bühne betreten, ihr GegenSiRRi Levend: Divan Edebiyati, 2. Auf läge (istanbul 1943) S. ci2. (Emrîund Bäki, osmanischDichter des 16. Jahrh.). 6. Chauvin a.a.O. II, 11c Nr. 90 und 229 Nr. 16. 7- Fables Turques, trad, par J. A. Decourdemanche, (Bibliothèque Orientale Elzévirienne, türkische Paris 1882) S.i jf. Nr. 7. 34 ROBERT ANHEGGER spieler ist freilich nicht die Grille, sondern die Schwalbe, ein Vogel. Damit erinnert sie uns an die Geschichte von der Ameise und der Nach¬ tigall bei dem berühmten persischen Dichter Ssacdï (ca. 1189—1291) in der zweiten Abhandlung seiner Medschälis-i Pendschgäne, mit der sie irgendwie wohl zusammenhängen wird. Die Fassung von Ssacdi freilich weist trotz der Vertretung der Grille durch die Nachtigall nähere Über¬ einstimmungen mit der klassischen Formulierung auf. Die Durchfüh¬ rung ist dem persischen literarischen Stile entsprechend weitschwei¬ figer und romantischer : Unter einem Baum, in dessen Ästen eine Nachtigall ihr Nest gebaut hat, ist die Wohnstätte einer Ameise. Diese müht sich Tag und Nacht ab, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, jene verbringt Tag und Nacht mit herzbetörendem Gesang. Dies veranlaßt die arme Ameise zu der Bemerkung: Was soll's mit der Singerei? Wenn sich die Umstände ändern, wird sich die Angelegenheit schon weisen. — Wie nun die kalte Jahreszeit einsetzt, gerät die Nachtigall in eine schlimme Lage. Sie er¬ innert sich der Ameise, die Vorräte gesammelt hat, begibt sich zu ihr und fleht sie an : Ich habe mein Leben in Gedankenlosigkeit vertan, während du Vorräte sammeltest; was ist schon dabei, wenn du mir Darauf die Ameise : Du warst Tag und heute Barmherzigkeit erweist Nacht mit Gesang, ich aber mit Arbeit beschäftigt. Wußtest du nicht, daß auf jeden Frühling ein Herbst folgt?8 4. Eine weitere Fassung dieser Fabel, die sich ebenfalls in den von J. A. Decourdemanche herausgegebenen Fa blés Turques (S. 277^,Nr. 136) findet, ist für unser Thema von Bedeutung, da sie im gewissen Sinne eine Zwischenstellung einnimmt. Sie lautet: Des fourmis avaient passé l'été à ramasser des provisions d'hiver et faisaient sécher leur ré¬ colte au soleil. - 8. Külliyat-i Ssacdî-i Schiräzi hrg. von Abbas IkbXl, Teheran 1317, S. io. Eine deutsche Zusammenfassung bei J.v. Hammer, Geschichte der schönen Redekünste Persicns mit einer Blüthen- 200 persischen Dichtern (Wien 1818), S. 2o7f. BEUX, La Perse (Paris 1841), S.448f. lese aus ; eine französische bei M. Louis Du- DIE FABEL VON DER GRILLE UND DER AMEISE Un merle s'approche d'elles et les supplie de 3c lui prêter quelque peu de grain. - Eh pourquoi, mon cher, lui répondirent-elles, es-tu resté oisif tout l'été sans songer à t'approvisionner - Dieu me préserve de jamais rester oisif, réplique le merle ; aussitôt le printemps arrivé, je me mets à chanter sur le bord d'un chemin et ainsi j'adoucis, pour les voyageurs, les fatigues de la route. A peine les fourmis l'eurent-elles entendu parler ainsi qu'elles pen¬ sèrent mourir de rire. Puisque tu as ainsi égayé les passants de ton chant, lui dirent-elles, il te faut maintenant apaiser ta faim en dansant, pour réjouir leur cœur, jusqu'à ce que l'été revienne. Qui néglige de faire chaque chose en son temps finit par tomber dans la misère. Wie schon ein erster, flüchtiger Vergleich zeigt, ist die Überein¬ stimmung mit Asop offensichtlich, wenn auch die Amsel die Grille vertritt. (Die Amsel ist im türkisch-islamischen Geschichtenschatz ein seltener Gast8a. Es wäre interessant zu erfahren, welches Wort es gewe¬ sen ist, das Decourdemanche mit Amsel wiedergegeben hat.) Hervor¬ zuheben ist, daß auch hier davon gesprochen wird, daß die Amsel die Reisenden mit ihrem Gesang erfreut, ein Zug, den diese Fassung mit der gleich zu erwähnenden von Ssarydscha Kemäl gemeinsam hat. Woher stammen nun die Fabeln in dieser Sammlung Damit hat sich Decourdemanche in seinem Vorwort ausführlich beschäftigt. Von den vorliegenden 149 Fabeln gehen, wie Decourdemanche nachweist, nicht weniger als 133 mittelbar oder unmittelbar auf italienische Quellen zurück (Abstemius, Rinucio d'Arezzo, Poggio, daneben aber auch auf den noch zu erwähnenden Griechen Planudes). Von den restlichen 16 zeigen weitere ç unverkennbare Gemeinsamkeiten mit äsopischen Fa¬ beln, die sich nicht in einer der oben genannten Quellen fanden. De8a. So wird in dem in Anm. wie eine Amsel j erwähnten Spottgedicht von Emri gesagt: Eine Nachtigall ROBERT ANHEGGER 36 courdemanche kommt daher zum Schluß, daß der anonyme Redaktor dieser Sammlung, der sich nicht mit bloßer Übersetzung begnügt habe, handschriftliche Quellen benutzt haben dürfte. Das türkische Manu¬ skript selber, das von europäischer Hand voraussichtlich auf Grund ver¬ schiedener Vorlagen niedergeschrieben worden sei, trägt das Datum iyc8. Da jedoch die Redaktion auf Werke zurückgehe, die Ende des i r. Jahrhunderts erschienen seien, könne angenommen werden, der Redaktor habe seine Sammlung zu Beginn des 16. Jahrhunderts zusam¬ mengestellt. Über die Sprache der Handschrift (die uns vielleicht zu¬ verlässigere Rückschlüsse gestattet hätte) äußert sich Decourdemanche nicht. — Eine eingehende Diskussion dieser Fragen könnte zwar neue Gesichtspunkte aufwerfen, ohne aber zu sicheren Ergebnissen zu füh¬ ren. Es ist dies ohnehin unnötig, denn die von Decourdemanche in bezug auf die uns hier beschäftigende Fabel vertretene Meinung, daß sie wohl einer der zahlreichen griechischen Fabelsammlungen entnommen wor¬ den seien, deckt sich mit dem Ergebnis der Gedanken, wie wir sie nun kurz darlegen werden : r. Im Osmanischen Reiche lebte eine Volksgruppe, der Asop und seine Fabeln vertraut waren: die Griechen. Aus den Kreisen türkisch sprechender Griechen stammt daher die einzige, bisher zum Teil unter¬ suchte Sammlung äsopischer Fabeln. Mit diesen griechisch-türkischen Sprachproben hat sich Otto Blau während seiner Amtszeit als preußi¬ scher Konsul in Mariupol beschäftigt und darüber in der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft gehandelt9. Danach lebte in und um Mariupol eine Kolonie von Griechen, die in den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts aus der Krim hierher eingewandert waren. Hier fanden sich zwei um 1779 geschriebene Handschriften, die später in den Besitz von O.Blau übergingen. Nach Blau haben wir es hier mit Beispielen des krim-türkischen DiaOtto Blau Tafel) und id.: Über 9. Dr. (Leipzig 1879), S. : Griechisch-türkische Sprachproben ausMariupolerHandschriften (mitlithogr. die griechisch-türkische Mischbevölkerung um Mariupol in ZDMG 28.Bd. 562-76 und i76~83- DIE FABEL VON DER GRILLE UND DER AMEISE 37 tun, allerdings beeinflußt vom Osmanisch-Türkischen. Die zweite dieser Handschriften enthält die Über¬ setzung der bekannten VitaAesopi (Leben Asops samt Fabeln), in der Haupt¬ sache zurückgehend auf Maximos Planudes10, z.T. aber auf andere, wohl seltenere Quellen. Aus dieser Sammlung hat Blau einige Fabeln in Prosa, so z.B. die vom Frosch und der Maus, veröffentlicht, leider aber nicht die von der Grille und der Ameise. Es wäre dies um so interessanter gewe¬ sen, als es eine bisher unbekannte Fassung unserer Fabel in Versen gibt. Diese findet sich in einer gereimten osmanischen Chronik mit dem Titel : Sseläiinnäme-i Al-i cOsmän. Verfasser ist ein gewisser aus Bergama (Pergamon) gebürtiger Kemäl mit dem Beinamen Ssarydscha oder Serd lektes aus dem 17. Jahrhundert zu (der Gelbe). Aus Ssarydscha Kemäls Feder stammen außer diesem am 1490 beendeten Geschichtswerk noch eine Gedichtsammlung und eine Übersetzung aus dem Persischen". Er selber rühmt sich, zwei 20. Juni Werke betitelt Firrässetnäme und Ssüsnäme gedichtet zu haben", die ver¬ loren zu sein scheinen. Während die Gedichte sowohl formell als auch io. Lebte im 14. Jahrhundert in Byzanz, hauptsächlich bekannt durch seine Sammlung der Fabeln von Asop und als Verfasser einer fabulösen Lebensdarstellung des griechischen Fabel¬ dichters. Kitabsarayi, Türkce yazmalar, Nr. 331. Eine Edition ist von Türk Tarih Kurumu vorbereitet. Seine Erzählungen werden in einem Aufsatz über Kemäl, Verfasser des Sselätinnäme (Sselätinnäme müelliß Kemäl) türkisch in der im Druck befindlichen Türkiyat mecmuasi (hrg. vom Turkologischen Institut der Uni¬ versität Istanbul) behandelt werden; seine Gedichte ebenfalls von R. Anhegger als Publika¬ tion der Universität Istanbul. Dort ist auch das wenige zusammengestellt, was über sein Leben bekannt ist. Vorderhand sind über Ssarydscha Kemäl folgende Werke zu vergleichen : Istan¬ bul kitaphklari Türkce yazma divanlar katalogu, 1. eilt, XII—XVI. asir (Istanbul 1947), S. 31 f. und F. Babinger, Die Geschichtsschreiber der Osmanen und ihre Werke (Leipzig 1927), S. 33 f. Nr. 18. Es handelt sich um eine Übersetzung des Ta' r'ih-i mucdschamfl äthär muîïik al-cadscham von FadlallÄh al-HusaynT. Es muß in diesem Zusammenhang gesagt werden, daß die Frage, ob das Sselätinnäme einerseits und die Gedichtsammlung sowie die Übersetzung aus dem Per¬ sischen wirklich das Werk ein und desselbenDichters sind, nicht gelöst ist. Untersuchungen über diese Fragen führten zu dem vorläufigen Ergebnis, daß wir hier zwei verschiedene Kemäl zu unterscheiden haben. Auf der einen Seite den Gasel-Dichter Ssarydscha Kemäl und Ke¬ mäl, den Verfasser des Sselätinnäme. Über sein Leben sind wir kaum orientiert. Näheres darüber in dem eben erwähnten Aufsatz (Nachtrag Oktober 1949). 11. Hs. Istanbul Université R. An hegger im Auftrage des 12. Sselätinnäme, S. 18c V.4. ROBERT ANHEGGER 38 inhaltlich zu dem Besten gehören, was die osmanischen Dichter jener Zeit hervorgebracht haben, läßt sich das vom Sselätinnäme nicht sagen. Auch wenn wir den schlechten Überlieferungsstand der Handschrift berücksichtigen, bleibt bestehen, daß ihm für ein Werk von über 3000 Versen der Atem nicht ausreichte. Das Gelungenste sind einige der eingestreuten Geschichten, wie z.B. die vorliegende13: S. 187 des Manuskriptes berichtet Ssarydscha Kemäl, wie er sein Sselätinnäme einem Freundeskreise zur Beurteilung vorlegt und Lob und Beifall einheimst. Wie sie aber hören, daß er sein türkisch ge¬ schriebenes Werk den Großen vorlegen will, lachen sie ihn aus: Was ist den Gebildeten die türkische Sprache Du weißt doch, daß sie dazu Kopfweh - sagen, und fahren dann fort: 188 3. Deine Lage gleicht der der Grille. Sie war mit dem Ameis Bruder geworden. Diese Geschichte zeigt (wörtlich: ist) einen passenden Zustand. Höre, wie ich sie berichtet habe. r. lebte eine Grille, schlank in den Hüften. Mit ihr war ein Ameis Bruder geworden. Es Jedem, der vorüber ging, spielte sie Musik vor, Niemals enthielt sie einem Vorübergehenden ihre Stimme vor. Für jeden Vorbeigehenden machte sie Gesang und Klang. Mit ihrer Stimme machte sie die Welt eng (d. h. unerträglich). Der Winter kommt, sie sieht's und unterbricht ihren Gesang. Nicht mehr spielt sie den Leuten ihr Gezirp Warum wohl vor, Sie zieht ihre Flügel zusammen und heftet sich an einen Baum, Sie bleibt an einem Baumast hocken. - Die Übersetzung schließt sich eng an die Vorlage an, legt also keinerlei Gewichtaut sprachliche Gestaltung. Es ist noch zu bemerken, daß einzelne Stellen auch etwas abweichend verstanden werden könnten, ohne den Sinn des Ganzen zu ändern («Warum wohl» S. 188, V. 8 b ist interpoliert.) 13. DIE FABEL VON DER GRILLE UND DER AMEISE 39 kommt zu ihrem Bruder, dem Ameis, und sagt: Erbarme Dich meiner, ich sterbe, gib mir etwas zu essen. 10. Sie Mein Zustand ist sehr traurig geworden. Habe Mitleid mit mir, laß mich nicht hilflos. - Ergreife meine Hand, sonst — siehe ist mein Leben dahin. Schau einmal, was aus mir geworden ist. Der Ameis hört von ihr diese Worte. Er wendet sich zur Grille und redet sie an. 189 1. Er sagt: Wenn der Sommer kommt, läßt Du Deine Stimme ertönen, Und jedem spielst du angenehme Musik vor. Mit Deiner Stimme füllt sich diese Welt, Ohne Deine Stimme kann niemand sein (Oder: An Deinem Gezirp kann niemand vorbei), Jedem spielst Du verschiedene Melodien vor, Jedem schmeichelst Du. Infolge Deiner Stimme hält es niemand aus, Kann nicht den angenehmen Schatten aufsuchen und dort ver¬ weilen. r. Wenn Du dem Vorbeigehenden Klang und Gesang ertönen läßt, Wirst Du es erleben : Der Winter wird Dir Mühseligkeit bescheren. He, Armer - der Winter ist gekommen, Du wirst sterben, Der Winter ist lang (wörtlich: weit), wie wirst Du leben Siehe - aus Deiner Musik ist Dir Klage erwachsen, Diese Bedrängnis ist über Dich gekommen. Als die Grille dies von dem Ameis Hörte, wurde sie still. Deine Lage gleicht der der Grille... ROBERT ANHEGGER 40 Mit dieser Zeile kehrt Ssarydscha Kemäl wieder zu seinem eigentli¬ chen Thema zurück. Leider ist die einzige uns bis jetzt bekannte Handschrift eine späte Abschrift, dem Anschein nach aus dem 17. Jahrhundert, in sehr ver¬ wahrlostem Zustand; dies macht sich auch an diesem Passus störend bemerkbar. Die Nachgestaltung durch den Dichter ist trotz einer gewissen Schwerfälligkeit lebhaft und in ihrer Volkstümlichkeit ansprechend und reizvoll. Das Thema wird der beabsichtigten Wirkung entsprechend etwas abgewandelt, ohne irgendwie wesentlich von der Äsopschen Fa¬ bel abzuweichen. Welches die Quelle war, aus der Ssarydscha Kemäl geschöpft hat, läßt sich also beim Stand der Dinge nicht nachweisen, aber alles spricht nach dem Gesagten dafür, daß er mittelbar oder unmittelbar aus der griechischen Überlieferung geschöpft hat. Die Hoffnungen, die der Verfasser aufsein Werk setzte, gingen nicht in Erfüllung, sein Sselätinnäme konnte sich neben den anderen Chroni¬ ken nicht durchsetzen, und seine Fassung der Fabel sich daher auch nicht anregend auswirken. Daß die Fabel noch zu Beginn des 16. Jahr¬ hunderts als bekannt vorausgesetzt wurde, zeigt eine Stelle aus dem Pendnäme-i GüwähT(verfaßt 1^26/27). Dieses in geschriebene «Buch des Rates» verwendet in volkstümlicher Sprache didaktischer Absicht in reichem Maße Sprichwörter, Redensarten u. dgl.I3a Hier wird unsere Geschichte in abgekürzter Form als Grundlage für eine Reihe von lehr¬ haften Sentenzen verwendet : hatte nämlich die Grille in Winterszeit Von der Ameise Nahrung verlangt. Es Die Ameise antwortete: Während jedermann mit seiner Arbeit Beschäftigt war, (verweiltest) Du unter Bäumen. Text, Handschriften und weitere Angaben finden sich in meiner in Anmerkung i zi¬ tierten türkischen Fassung dieses Aufsatzes. Dort wird auch Zeile 4b kommentiert werden, deren Übersetzung hier unvollständig ist. 13a. DIE FABEL VON DER GRILLE UND DER AMEISE 41 Du (denn) gesucht, daß Du jetzt hilflos und bedürftig Geblieben ohne Zweifel hungrig werden wirst Was hast Volkslieder, die Du damals gesungen hast, Lohnen es nicht, daß Du ausgetrocknet und zu einer Vogelscheuche geworden bist. Sehr groß ist die Mühe, wenn es keine gibt, Es kümmert sich niemand um das Notwendige, wenn es nicht notwendig ist. Bemühe Dich, Bruder, verweile nicht, es ist besser Die verschiedenen ist aber auch das letzte bisher bekannt gewordene Vorkommen der Fabel, später scheint dann die Fabel von der Grille und der Ameise in Das Vergessenheit geraten zu sein. Aus ihrem Schlaf weckte sie das Eindringen der französischen die die Bekanntschaft mit Asop und La Fontaine vermittelte. wir auf diese eingehen, Kultur, wir abschließend feststellen, daß es nicht möglich ist, die Zusammenhänge zwischen den uns be¬ kannt gewordenen Fassungen festzustellen. Wohl lassen sich nur be¬ stimmten Versionen eigene Züge nachweisen, z. B. das Erfreuen der Vorübergehenden durch Gesang in der Version von der Amsel und der Grille wie in der von Ssarydscha Kemäl. Aber das sind vereinzelte Er¬ Bevor müssen scheinungen. Erst müßten neue Zwischenglieder gefunden werden, die uns gestatten würden, einen gesicherten Stammbaum aufzustellen. II. DIE NEUEREN FASSUNGEN UND ÜBERSETZUNGEN wohl durchwegs französische Vorlagen von Asop oder auf La Fontaine zurück. Die ersten Übersetzungen in Prosa scheinen keinen, jedenfalls keinen nachhaltigen Widerhall er¬ weckt zu haben. Die älteste, die eine Zwischenstellung einnimmt, dürfte, wenn ich mich nicht irre, folgende sein: Choix de Fables, traduites en turc par un effendi de Constantinople, et publiées avec une version 1. Diese gehen auf europäische, 42 ROBERT ANHEGGER française et un glossaire, par L.Victor Letellier, Paris 1826; unsere Fabel auf S. 4 Nr. II nach einem anonymen, undatierten Manuskript M. Viguiers. Die Ausgabe habe ich selber nicht gesehen, bibliographi¬ sche Angaben und Abschrift der Fabel verdanke ich Dr. A.Tietze. Wenn ich diese Angaben richtig verstehe, so liegt der Ausgabe eine von Viguier stammende Handschrift zugrunde, die aus dem Französischen ins Türkische übersetzte Fabeln enthält. Viguier weilte als Missionar in Istanbul, wo er 1790 seine auf Grund der Volkssprache verfaßten Elé¬ ments de la Langue Turque herausgab. Er veröffentlichte in ihr u.a. auch einen von ihm selbst geschriebenen türkischen Schwank, der solchen Anklang fand, daß er sowohl ins Persische als auch ins Arabische und später ins Deutsche übersetzt wurde14. Es wäre daher nichts natürlicher, als daß er zu Lehrzwecken geeignete Fabeln aus dem Französischen ins Türkische hätte übersetzen lassen. Die Sprache der Fabel mutet für das ausgehende 18. Jahrhundert etwas altertümlich an, doch nicht in dem Maße, daß eine Zuweisung in diese Zeit unmöglich erschiene. Jeden¬ falls könnte erst eine gründliche Durchsicht dieser Handschrift - viel¬ leicht — Klarheit schaffen. Wie dem aber auch sein mag: daß die bei Letellier wiedergegebene Version von La Fontaine beeinflußt ist, kommt klar zum Ausdruck in dem den älteren Fassungen fehlenden Hinweis auf den Geiz und die Hartherzigkeit der Ameise (eine indirekte Kritik, die die Fabel ihres ursprünglichen Charakters wesentlich entkleidet und in einen gewissermaßen «bürgerlich-psychologischen» Raum ver¬ setzt) : Eine Grille hatte den ganzen Sommer mit Singen verbracht, auf den Winter hin nichts gesammelt und war so ohne Vorrat geblieben. Zur Nachbarin hatte sie eine Ameise. Die hatte nicht übersehen, daß auf den Sommer der Winter folgt, mühselig ihren Wintervorrat zusammen¬ getragen und vorbereitet. Die Grille kam zu ihr, um sie um ein paar Körnchen anzuflehen und ward abgewiesen. Die Ameise benahm sich 14. Vgl. Mehmed Tschelebi, Ein ursprünglich Türkisch verfaßter Schwank in neupersisâ« untersucht Übersetzung, hrg. und ins Deutsche übertragen von Leopold Pekotsch und von Dr.Maximilian Bittner (Wien 190c), S.VIf. DIE FABEL VON DER GRILLE UND DER AMEISE 43 He, meine kluge Nachbarin Wie schnell hast Du Deinen Wintervorrat aufgebraucht Welches war denn Deine Arbeit im Som¬ mer Die Grille antwortete : Im Sommer bestand meine ganze Beschäf¬ tigung nur aus Singen. Lachend erwiderte die Ameise : Dann sei Deine Arbeit jetzt nur das Tanzen und schlug ihr die Türe vor der Nase zu. Moral : An die Zukunft denken, den Angelegenheiten dieser Welt nicht zuviel Bedeutung zulegen, Vorräte für die andere Welt sammeln. Die gleiche Fassung, nur in modernisierter Sprache, wurde 1874 in Bulak (Ägypten) in einer «Tier- und Vogelgeschichten» genannten Sammlung noch einmal veröffentlicht15. Bei der Übersetzungstätigkeit dürften schon bald didaktische Erwä¬ gungen über den erzieherischen Wert der Fabeln im Vordergrund ge¬ standen haben, so besonders in den Lehrerkreisen, wie sie sich um die verschiedenen Fachzeitschriften, z. B. die zu Beginn des Jahrhunderts erschienene Tedrlsat-i-iptidal medschmücassy (Zeitschrift für den Volks¬ schulunterricht) oder die Mucallimler medschmücassy (Lehrerzeitschrift) 1922-2C sammelten. Die verschiedenen Übersetzungen und Bearbei¬ tungen dieser Fabeln für Kinder, die meist in den verschiedensten Zeitschriften veröffentlicht worden sind, zu sammeln, wäre eine Auf¬ gabe für sich und für unser Thema unwesentlich. Daher können wir uns auf die Veröffentlichungen beschränken, die entweder literatur¬ historisch oder künstlerisch von Interesse sind. 2. Mit den Übersetzungen von Asop können wir uns kurz fassen: Neben zwei in armenischer Schrift, aber in türkischer Sprache erschie¬ nenen Übersetzungen (1866 bzw. 1873) ist noch das heute kaum auf¬ geizig und "sagte : - zutreibende Menäkib-i hay van beräyl teschhls-i eshän nennen16. (1294/1877) zu Eine ernsthafte Übersetzung erschien erst 194c in der vom Dagegen erscheint die in dem Buch Lucknow 1880, hrg. von DschenÄb-i (Herzerfreuende Geschichte, MewlewÏ-i Muhammed MehdT WÄssif) S. J4f. Nr. 13c herausgegebene persische Prosafas¬ sung auf eine europäische Äsop-Vorlage zurückzugehen. Die Kenntnis beider Versionen ver¬ danke ich Dr. A.Tietze. 16. Eine nützliche, aber unvollständige Zusammenstellung der Übersetzungen und Bear- !f- 33 S. mit Abb., hrg. von Dschelil Mühibna. Héàyat-i dilpessend 44 ROBERT ANHEGGER türkischen Unterrichtsministerium herausgegebenen Serie der WeltKlassiker ; als Text verwendete der Übersetzer Nurullah Ataç die französische Übersetzung von Emile Chambry *7. 3. An Wirkung ungleich nachhaltiger haben sich die Fabeln von La Fontaine erwiesen. Das erste Gedicht, das ins Türkische übersetzt wurde, dürfte wohl die bekannte Geschichte vom Wolf und dem Lamm sein, veröffentlicht zuerst 18 C9 in der kleinen Broschüre Terdscheme-i mansüme von Schinäsl'1 (i824-1888). Durch ihn angeregt, wandte sich RedschäTsäde Mahmud Ekrem (1847-1914) La Fontaine zu. Er versuchte zuerst im Parmak ussülü zu dichten, und als er nach eigener Aussage dabei keinen Erfolg erzielte, ging er wieder auf den cArüs zurück'9. Redschälsäde Mah¬ mud Ekrem ist es, der sich zuerst mit unserer Fabel beschäftigte. Seine Übersetzung erschien im Mai 18 81 im Haslne-i ewräk M : Der Augustkäfer (die Grille) und die Ameise Als Arbeit hatte er sich's vorgesetzt, zu musizieren und sich zu halten, Und den Sommer so müßig hingebracht, der Augustkäfer ; Als dann plötzlich das winterliche Wetter kam, unter¬ beitungen(Tevfik Fikret z.B. ist nicht angeführt) gibt Ìsmail Habib Sevük, Avrupa Edebijati ve biz, i.Bd. Istanbul 1940, 2. Bd. 1941. Zu Asop vgl. i.Bd. 67ff., zu La Fontaine 2. Bd. J4-57. Diese drei erwähnten Veröffentlichungen konnten von mir nicht eingesehen werden; sie sind nach Ismail Habib Sevük a.a.O. zitiert. Das ebenfalls a.a.O. angegebene Büchlein über Äsop : EbusiyÄ Tewfik, Kütübhane-i meschähir Nr. 8 (Istanbul 1300/1884) ist eine Be¬ arbeitung der Biographie Asops nach M. Planudes ohne Fabeln. 17. Vgl. Anmerkung 3. 18. Das ist aber auch die einzige von Schinas" in Terdscheme-i mansume übersetzte Fabel. Silben 19. DascArüs genannte Versmaß baut auf dem Unterschied von langen und kurzen auf, den die türkische Sprache eigentlich nicht kennt. DascArüs-System, obschon es die ganz« klassische türkische Literatur beherrschte, ist somit seinem Wesen nach dem Türkischen lin¬ entgegengesetzt. Das eigentliche türkische Versmaß, wie wir es z.B. in der Volkspoesie den, das sog. Parmak ussülü oder Fingersystem beruht auf einfacher Silbenzählung. 20. Nach Tercüme (Übersetzung), Zeitschrift, hrg. vom türkischen Unterrichtsministe¬ rium, Nr. 34-36 (Ankara März 1946), S.4Ç8. DIE FABEL VON DER GRILLE UND DER AMEISE 4Ç Hunger und Not ihr Schreckensregiment zu führen ; Keine ausgetrocknete Spinne gab es, noch eine Mücke ; Mit einem Wort : es gab auch nicht einen einzigen Bissen zu essen. Vom schrecklichen Hunger wurde der Arme erdrückt und kraftlos, Erging zu seiner Nachbarin, der Ameise, und legte ihr seine Lage dar. Um sich bis zum nächsten Jahr am Leben zu erhalten, Bat er, ihm ein, zwei Bissen zu leihen, und sehr flehend Sagte er «Ja, sogar bevor die Jahreszeit herankommt, Verspreche ich Ihnen die Schuld mit Zinsen zu begleichen». Jemandem etwas vorzustrecken, hatte die Ameise sich nicht zur Ge¬ wohnheit gemacht. Dies war ihr einziger Fehler, wenn es einer ist. Von diesem Gesichtspunkt aus fragte sie den Käfer: «In der heißen Begannen Jahreszeit, war da Ihre Beschäftigung, wenn es zu wissen gestattet ist » Der Käfer : «Sehen Sie es mir wenigstens nach, da Sie schon gefragt haben: Was war meine Beschäftigung, Tag und Nacht.» Die Ameise : «Da ihre Beschäftigung damals Gesang war, mein Herr, So verweilen Sie doch nicht und tanzen Sie jetzt auch.» Mit Freude zu singen Die enge Anlehnung an die Vorlage ist offensichtlich, das Versmaß al¬ lerdings stark abweichend, die Gestaltung schwerfällig und in einer heute veralteten Sprache letzten Endes doch nur in Verse gekleidete Prosa. Ganz anders Tevfik Fikret (1867—191c): er gestaltete das Thema selbständig: in dem kurzen 7-Silben-Maß des türkischen Parmak ussülü nimmt er den Rhythmus des Gedichtes von La Fontaine auf ; Ausdruck und Sprache sind volkstümlich und haben in den 3 r Jahren seit dem Erschei¬ nen des Gedichtes21 nichts von ihrer Frische und Bildhaftigkeit verloren : - - Ji. Zuerst veröffentlicht in Schermln, Istanbul, Kanaat matbaassi 1330/1912, S. 73fr. ROBERT ANHEGGER 46 Der Augustkäfer (die Grille) und die Ameise Sie kennen die Ameise : ist ein winziges Tier, Aber äußerst fleißig. Es Sie ist sehr haushälterisch, nur Sehr egoistisch ; das ist ein Fehler. Denn wer egoistisch ist, wird Tyrann. Eines Tages, wie der Augustkäfer Infolge des so richtig faul Dahinsingens hungrig geblieben, Des von der Ameise zu erwartenden Kühlen Empfangs nicht achtend, hingeht, Spricht er: «Erbarmt euch unser, Die Kinder, die Familie — zuhause sind wir hungrig ; Wir bedürfen Eurer milden Gabe.» Die Ameise mit der einer Herzlosen Würdigen Kälte fragt: « Hungrig seid Ihr — Jaa So viele Lange schöne Tage sind vergangen; Was habt Ihr an diesen Tagen getan » Der Käfer wimmert: «Wir sind hungrig, hungrig. Schaut doch, wie meine Farbe erblichen ist. Ich, der ich an diesen Tagen lachte, sang, Der ich mich mit Musik und Gesang erfreute, ich, Heute, schaut, in welcher Lage ich bin! Bei Gott wir sind hungrig, weiß Gott, wir sind hungrig. Erbarmt Euch unserer Lage » Die Ameise amüsiert sich: «Mein Herr, So tanzt doch jetzt, was gibt's Wer im Sommer aufspielt, der tanzt im Winter » DIE FABEL VON DER GRILLE UND DER AMEISE 47 türkischen Gedichtes leider nicht entsprechend wiedergeben, zeigt jedenfalls, welch gewinnende Geisteshaltung Tevfik Fikret beseelte. Die herzlose Hausbackenheit der Ameise findet eine offene Verurteilung, die La Fontaine fremd war. Aber eine wirkliche Übersetzung, keine selbständige Abwandlung, war noch fällig. Diese hat der türkischen Literatur Orhan Veli Kanik geschenkt, durch den La Fontaine nun auch in der Türkei zu einem lebendigen Dichter geworden ist. Hier den Versuch einer Rücküber¬ setzung zu versuchen, wäre daher nicht am Platze12. Orhan Veli hat als Dichter in der Entwicklung der modernen türkischen Lyrik eine bahn¬ brechende Rolle gespielt, als Übersetzer hat er sich nicht minder be¬ Diese Übersetzung kann den Reiz des deutsam gezeigt. Noch von anderer Seite wurde dieses Thema aufgenommen und in eigenwilliger Art abgewandelt. Der Verfasser dieses Vierzeilers ist der begabte Muzaffer Tayyip Uslu, der im Alter von nur 2 r Jahren 1946 in Zonguldak (einer Hafenstadt am Schwarzen Meer) an Tuberkulose starb, ehe er seinen eigenen Stil voll entfalten konnte. Sabahattin Eyüb- ihm in der inzwischen eingegangenen literarischen Zeitschrift Yenilikler einen verständnisvollen und lesenswerten Nachruf gewidmet23. Dieser Aufsatz aber könnte keinen besseren Abschluß finden als mit den schlichten und eindringlichen Zeilen Muzaffer Tayyip Uslus : oglu hat Geh, gehab Dich nicht so, Bruder Ameis, Erbarme Dich der Grille Liegt die Schuld etwa an ihr, Wenn sie den ganzen Sommer gesungen hat Die Übersetzung von co Fabeln von La Fontaine erschien in 2 Heften 1948 im Ver¬ Dogan Kardes in Istanbul. 1i- Yenilikler, Nr. Istanbul, August 1946 ; hier auch der Vierzeiler. Eine erste Samm¬ lung der Gedichte Muzaffer Tayyip Uslu's erschien 194 c in Zonguldak und ist heute schon 22. lag des 4/j, wum mehr aufzutreiben. nußt: Noch ein weiteres Gedicht ist deutlich von unserer Fabel beeinOrhon M.Ariburnu, Agustos böcegi (Augustkäfer-Grille), erschienen in der Zeit¬ schrift Yücel, Istanbul 1946, Nr. 1 2o, S. 14.
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