Editorial - Randnotizen

EDITORIAL
(Auszüge aus unserer aktuellen Spielplanbroschüre Frühjahr 2017)
Wir überlassen Ihnen aber nach wie
vor die Entscheidung, in welcher
Höhe Sie sich für die Zukunft des
Theaters engagieren.
Noch können Sie bei uns nach der
Vorstellung Ihr bares Geld in unsere
gläserne Kasse geben.
Es ist aber kein Geheimnis mehr,
dass international massiv versucht
wird, die Bedeutung des Bargelds zu
schmälern und dem Giralgeld - einem
von den Banken erzeugten Buchgeld
- den Vorzug zu geben. Die staatlich
verfügte Abschaffung des Bargeld
hätte fatale Folgen, wie weitere
Schritte zur staatlichen Überwachung
des Bürgers, die Enteignung von
Geldbesitzern zugunsten der Banken
...so Durs Grünbein in seinem großen durch Negativzinsen und eine weitere
Poem „Vom Schnee oder Descartes in Verselbständigung des Giralgelds der
Banken gegenüber Zentralbank und
Deutschland“.
Die winterliche Idylle, der auch meine Regierung.
Die Schweizer gehen damit allerSehnsucht in den schneelosen Windings etwas kritischer um. Dort wird
tertagen nachgeht.
es demnächst erst einmal zu einer
Volksabstimmung „Vollgeld-InitiatiLiebe Theaterbesucher,
hoffentlich sind Sie gut ins ueue Jahr ve“
kommen. Diese Initiative setzt sich
gekommen, vielleicht haben einige
u. a. dafür ein, dass das Bargeld nicht
von Ihnen den Jahreswechsel sogar
bei uns im Theater oder in der Rand- „mutwillig“ abgeschafft wird, sondern
der Bürger durch seine Handlungswirtschaft genießen können.
weise entscheidet, was er bevorzugt.
Wir haben für Sie ein hoffentlich
Wer mehr dazu wissen will, kann
ansprechendes Frühjahrsprogramm
sich hier informieren: http://www.
komponiert.
vollgeld-initiative.ch
Neben bekannten Stücken aus unserem Repertoire wird es eine Premiere
mit den Pantomime-Künstlern Bode- Ich stelle mir also vor, wie Sie in
Zukunft als Theaterbesucher Ihre
cker und Neander geben.
speckige paycard in unseren AusSie zählen nun schon fast zum ertrittsautomaten schieben dürfen,
weiterten Ensemble unseres Theaoder wir müssen Sie alle, ähnlich wie
ters. Um auch neuen Produktionen
auf den Flughäfen, durch ein Tor mit
Platz zu machen, geben wir Ihnen
Scanner jagen und ein digitales Abdie Chance, Inszenierungen und
buchungssystem macht sich dann an
Gastspiele ein letztes Mal zu sehen.
Dies betrifft diesmal unser Stück „Im Ihrem Konto zu schaffen. Klingt sehr
poetisch - Herzlich Willkommen in
Spinnhaus – Ein Heimatabend“ und
der „Schönen Neuen Welt“.
das Konzertprogramm „Frau Böwe
Wie singt Wenzel, den Sie am 1. Mai
und Herr Morgenstern“. Nutzen Sie
wieder bei uns erleben können, in
die Chance.
seinem Lied: „Sie kriegen uns doch
Wir verweisen diesmal im Programm- alle, wir sitzen in der Falle!“.
heft auch wieder auf unsere *Autritts- Vielleicht bringt die Abschaffung des
Bargeldes aber auch die Tauschmärkempfehlungen. Die Entwicklung
te stärker in Bewegung oder die
unseres Theaters und vor allem das
Bundesregierung lockert die Gesetze
Wachsen der Personalkosten mafür die Einführung von Regionalgeld.
chen es erforderlich, auch über die
Also, rasante Veränderungen bewewirtschaftliche Seite unseres Untergen die Welt.
nehmens mehr zu reflektieren und
diese nach außen deutlich zu kommu- Aber auch das Landschaftsbild direkt
um das Theater wird sich verändern.
nizieren. Sie sollen wissen, was wir
Leider müssen wir befürchten, dass
brauchen.
Monsieur, wacht auf.
Es hat geschneit die ganze Nacht.
Soweit das Auge reicht auf einer
weißen Fläche, schmückt sich das Land
mit weißen Kegeln.
Es sind Bäume, die mit der Winterhand
der große Arrangeur veredelt hat.
Man sagt, Ihr schätzt ihn, seinen Spieltrieb.
Der Türmen Hauben aufsetzt und
die Dächer deckt mit kalten Daunen.
Sein kristallenes Flanell, gewebt aus
Flicken, polstert faltenlos die Fluren
aus.
Bis alle Welt verzaubert ist
und tief verschneit –
Ein Foliant mit weißen Seiten,
die nur er beschreibt.
die Weidenallee zwischen der Landesstraße, die nach Zollbrücke führt,
und dem Ort Zäckericker Loose restlos gefällt wird.
Man verdächtigt die Weiden links
und rechts der Straße, für die Asphaltaufbrüche und die Zerstörung
der Fahrbahn verantwortlich zu sein.
Trotz gegenteiliger Gutachten und
massiver Bemühungen des NABU um
die Einhaltung des Alleenschutzes
will das Amt diese Allee aus „vorsorglichem Verdacht“, so der Wortlaut im
Amtsschreiben, fällen.
Prima, Gratulation zu dieser Denkart!
Auf einmal handelt man vorsorglich.
Wenn die Ämter und Behörden
einmal so vorsorglich denken und
handeln würden, wenn es um die exzessive
Vergiftung unserer Böden durch die
industrielle Landwirtschaft geht!
Das wäre doch mal was.
Im nächsten Jahr können wir auf 20
Jahre Theater am Rand zurück blicken. Dazu möchten wir unter anderem einen Bildband über das Theater
erstellen. Er soll die Entstehungszeit
des Theaters in möglichst vielen Phasen zeigen. Dafür suchen wir noch
Bilder und Fotos, vor allem aus den
Anfangsjahren 1998 bis ca. 2005.
Sollten Sie also in Ihren privaten Fotoarchiven noch Aufnahmen finden,
wären wir sehr interessiert
daran, wenn Sie uns diese zur Verfügung stellen könnten.
Unser Restaurant, die Randwirtschaft öffnet schon ab dem 9. Februar
wieder. Sie können also bei Ihren
Winterspaziergängen an der Oder
gern bei uns einkehren. Reservierungen sind nicht notwendig, aber gern
erwünscht.
Noch ist das Bewirtschaftungskonzept unserer Klause nicht ganz ideal.
Es galt bislang, dem anspruchsvollen Restaurantbetrieb auf der einen
Seite und der Versorgung der vielen
Theaterbesucher im Kantinen- oder
Imbissstil auf der anderen Seite gleichermaßen gerecht zu werden. Dieser
Spagat erfordert viel Beweglichkeit
und Kompromisse. Hier wird sicher
durch die Erfahrung des letzten Jahres noch einiges verbessert werden
können. Es gibt dazu schon viele
Ideen.
Es ist uns gelungen noch ein Stück
des Feldes hinter der Randwirtschaft
zu pachten. Dieses Feld wollen wir in
eine Wiese verwandeln und variabel
nutzen. Natürlich auch für gastronomische Zwecke. Wir erhalten dadurch
mehr Freifläche um das Theater herum und Sie können von da aus die
herrliche Weite des Oderbruchs noch
besser
genießen.
empfehlen:
Mitte März freuen wir uns auf die
Saatgutbörse und einen neuerlichen
Besuch der Ökofilmtour, zu der Regisseurin
Susanne Isabel Yacoub und der Darsteller Michael Ilg zum Gespräch über
ihren Film „Flussrevival“ kommen
werden. Die Zeiten werden nicht besser und die Beschäftigung mit diesen
Themen umso dringlicher.
Zum Zeitpunkt arbeiten wir energisch
auch am Sommerspielplan. Es wird
eine neue Sommerinszenierung und
einige Überraschungen geben. Aber
zunächst darf ich Ihnen meine persönlichen Favoriten im Frühjahrsplan
Frauen im Jazz - Mit Uschi Brüning
(01.04.) und Pascal von Wroblewsky
(28.04.) kommen im April zwei großartige und bekannte Künstlerinnen
zu uns.
Im Mai erwarten wir Vesna Pisarovic
(07.05.) und Esther Kaiser (21.05.),
zwei Jazz-Sängerinnen der nächsten
Generation.
30 Jahre L’art de passage! Am 24.05.
wird gefeiert! Das Volksliederprogramm gemeinsam mit dem Gewandhauschor bietet zu Pfingsten einen
weiteren Höhepunkt.
Und Sie finden wieder unsere neuen Repertoire-Stücke im Plan: Ein
ganzes Leben nach Robert Seethaler
und Empfänger unbekannt von Kressmann Taylor.
Wir freuen uns auf Ihren Besuch!
Ihr Tobias Morgenstern
RANDNOTIZEN
Wann hat man das schon? Als
Schauspieler. Auf der Bühne treffen
sich 10 Kollegen, die gemeinsam die
Ernst-Busch-Hochschule besucht
haben. Vor gefühlten hundert Jahren.
Von 1979 bis 1982. Vierunddreißig
Jahre später gibt es die „Stunde der
Komödianten“. Im Theater am Rand.
Ein Klassentreffen. Gespielt wurde
zwischen den Jahren. Silvester und
Neujahr. Eine Improvisation. Das
Theater rappelvoll. Alle wurden reingelassen. Keiner sollte die Silvesternacht auf der Straße verbringen. Am
Ende wurde gejubelt,
geklatscht, gerufen. „Bravo!“, riefen
auch die glücklichen Spieler in den
Bühnenboden beim Verbeugen.
Silvester eben. Neujahr.
Eineinhalb Jahre zuvor hatte man
sich unterm Apfelbaum von Zollbrücke getroffen. Drei Tage wurde
erzählt, gelacht, geheult, gestritten.
Durchaus heftig. Alte Rechnungen.
Vergangene Konfliktlinien. Aber vor
allem Lust am Erzählen. Lachen über
sich selbst. Michael Kind ordnete das
Ergebnis. Wie hat alles angefangen?
Wo kommen wir her? Was wurde
geträumt, erträumt, umgesetzt, umbesetzt, gewonnen, verloren, gemeinsam, einsam,
kollektivistisch, solistisch. Man
nennt es auch Anfangen, Losgehen,
Scheitern, Aufstehen, Weitergehen,
Aufhören, neu Anfangen.
Und dann die Zeitenwende von 89.
Wie findet man sich zurecht im neuen
Koordinaten-System? Die gleichen
Dinge, die man tut, sind oftmals sehr
verschieden.
Am meisten wurde gelacht bei den
Niederlagen. „Brauchst du`n Taschentuch?“ Beklatscht wurden die
kleinen und großen Siege. „Am Ende
stand ich da und war wieder ein richtiger Schauspieler.“ Das Verlesen der
Laudatio von Volker Braun auf das
Theater am Rand war nicht einfach
zu händeln. Wenn der zum selbstbestimmen „Globe in den Wiesen“
gewordene Traum am Ort der Selbstbestimmtheit selbst vorgetragen wird.
Da steigt einem schon mal die Träne
ins Künstlerauge. Oder wenn der
Schauspieler Joachim Lätsch seine
sehr eigene Geschichte erzählt. „Und
dann kam - wie ein Hurrikan - Sturm
der Liebe über mich. Der Koch Konopka.“ Am Ende dankt er vor allem
seiner Familie. Ohne die wäre er nicht
durch die Zeiten gekommen. Nicht
nur er. Ein Dank an die, die uns den
Rücken freihalten.
Geprobt wurde im neuen theater
Halle mit seinem Intendanten Matthias Brenner. Die Heim-Spieler Elke
Richter und Peter W. Bachmann sind
seit 34 Jahren am Haus. Sie haben
hier nicht nur gespielt, sondern sie
auch selbst gebaut, die Kulturinsel.
Nach der Probe wurde jahrelang
der Schutt rausgetragen, verputzt,
gemalert. Schauspieler bauen sich ihr
eigenes Theater. Jens-Uwe Bogadtke
ebenso. Er hämmerte, renovierte das
Theater im Palais in Berlin. Genauso
die Gründer des Theaters am Rand
in Zollbrücke. Zufall oder Absicht?
Auch eine Stunde der Komödianten.
Mehr als die Hälfte der Spieler wurde
übrigens in der ersten Inszenierung nach dem Studium - umbesetzt. Die
Ankunft im Alltag der Kunst war hart.
„Brauchst du`n Taschentuch.“
Die intelligente Frechheit des Abends
hat wohl Eindruck gemacht. Die
Spontanität. Die Lust am Fabulieren. Die sympathischen Eitelkeiten
der Personen. Die Selbstironie. Die
Freude, gemeinsam an einer großen
Tafel zu sitzen und sich spielend zu
erinnern. Im Vollbesitz des künstlerischen Handwerks.
Wenn Sie in den neuen Spielplan
schauen: Die Hallenser kommen wieder auf Gastspiel. Peter W. Bachmann
und Elke Richter mit „Szenen einer
Ehe“ am 10. 3., Matthias Brenner am
31. 3. mit „Der Trinker.“ Bogadtke
sowieso. Neue Stunden der Komödianten.
Michael Kind, der Erfinder des
Abends, war über Silvester abwesend.
Freigestellt von seinen Kollegen.
Hochzeitsreise. Wohin? Nach Barcelona. Nein, nach Lissabon! - Egal.
Hauptsache Italien!
Thomas Rühmann