Inhalt: Die Burg Waldeck und der Wichtelkönig Eck Der Schatz im Edersee Der Zaunkönig Der Küfer von Reinhardshausen Die Hollenkammer Aus der Unterwelt Heimkehr Die Wichtelmänner Der Zaunkönig Die Vögel wollten gern einen König haben. Sie beratschlagten und kamen zu dem Ergebnis, dass derjenige, welcher am höchsten fliegen kann, König werden sollte. Es wurde festgelegt, dass alle an einem bestimmten Tag zusammen kommen sollten, um in den Wettstreit um das Königsamt zu treten. Da kamen die Lülinge (Spatzen, Sperlinge), Schwalben, Schreigänse, Bachstelzen, Tauben, Eulen, Dompfaffen; kurz gesagt, es kamen alle Vögel an einen vorher bestimmten Ort zusammen. Auch der Zaunkönig blieb nicht aus, der aber zu der Zeit Heckenkriecher und nicht Zaunkönig hieß. Der Adler war sich ganz gewiss, dass er König würde, weil er sehr hoch fliegen kon nte. Auch die anderen Vögel hätten es gern gesehen wenn er ihr König würde, weil er so ein großer und stattlicher Vogel war. Als alle versammelt und der Grund und die Bedingung genannt waren fingen sie alle an zu fliegen. Der Heckenkriecher flog nun ganz gewitzt dem Adler unter die Flügel und hielt sich fest. Wie nun der Adler immer höher und höher flog und letztlich viel höher als als die anderen Vögel war, da rief er von oben herab: Ich bin König! Nun kam aber der Heckenkriecher unter dem Flügel des Adlers hervor und flog noch höher, bis dass sie ihn gar nicht mehr sehen konnten. Als das nun die anderen Vögel sahen, da schämten sie sich, das so ein kleines Vögelchen ihr König sein sollte und wollten ihm ans Leder als er wieder herunter kam. 14 „Der junge Bursch muß wandern, Zu seh'n die weite Welt, Von einem Ort zum anderen, Macht Rast, wo's ihm gefällt. Ich hört' die Donau rauschen, Fuhr auf dem stolzen Rhein. Ich sah gar manche Länder und viele Städte fein. Jetzt seh' ich unsere Berge, Die stolze Burg darauf, Die weiten grünen Täler, Der Eder flinken Lauf. Da muß ich feudig rufen: Die ganze Welt ist schön, Doch Waldeck ist das Schönste, Das je mein Aug' gesehn.“ Da auf einmal sah er einen Zwerg neben sich stehen, der so sonderbare Bewegungen machte, dass Wilhelm hell auflachte. Der Wichtelmann machte ein ernstes Gesicht und sagte mit einem strafenden Blick zu Wilhelm: „Alte Leute lacht man nicht aus! Willst du mir aber einen Gefallen erweisen, so hole mein Hütchen von dem Baume 18 19 dort. Der Wind hat es hinaufgeweht, als ich neben dir stand und deinem Gesang, der mir so gut gefiel, zuhörte.“ Der Bursche erwiderte: „Gern hole ich's Dir, aber ich sehe nur eine Spinnwebe an dem Baume.“ „Das ist es ja!“, erklärte der Zwerg. Geschwind kletterte Wilhelm auf den Baum und holte das Gewünschte herunter. „So“, sagte der Wicht, „nun sollst du auch deinen Lohn haben, denn der Eck1 bleibt Niemandem etwas schuldig.“ Mit diesen Worten fasste er in seine Kutte und gab dem Wilhelm einen Becher aus glitzerndem Kristall. „Den vergiß nie, wenn du zum Brunnen gehst, fügte er hinzu. Dann setzte er seine Nebelkappe2 auf und war verschwunden. Wilhelm besah den Becher und dachte: „Wenn du der Eck warst, konntest Du mir eigentlich etwas Kostbareres schenken.“ Er verbarg den Becher aber doch in seinem Felleisen3. Dann machte er sich auf den Weg und kam beim Abendläuten der Kirchenglocken zu Hause in Reinhardshausen an. Als er in die Stube trat und statt seiner Eltern seine entfernten Verwandten sah, sprangen Tränen aus seinen Augen, denn er begriff, dass seine Eltern während seiner langen Abwesenheit gestorben waren und er nun allein in der Welt stände. Da er auch noch merken musste, dass seine Heimkehr keine Freude bei den Verwandten hervorgerufen hatte, fand er in der ersten Nacht in der Heimat keinen Schlaf. Schon am frühen Morgen klopfte sein Onkel an seine Kammertür und sagte, die Tante ____________________ 1 Der oberste der Ederzwerge 2 Tarnkappe 3 Felleisen Satteltasche, Umhängetasche 20 Die Wichtelmänner Vor vielen, vielen Jahren, da lebten in den Schlossfelsen von Waldeck und an der Eder ein Wichtelvolk, auch Hollen genannt. Der oberste der Ederwichtel war der Zwergen könig Eck. Einmal, zur Zeit des Johannisfestes, am 23. auf den 24. Juni klopfte es zur späten eher frühen Stunde an die Tür eines Fährmanns an der Eder. Es ertönte der Ruf "He, Fährmann, aufgemacht!" Es brauchte eine gewisse Zeit bis dass der Fährmann von dem Rufen wach wurde. Er zog sich seinen Morgenmantel an und ging zum Fenster, um nachzuschauen, wer da zur nächtlichen Stunde nach ihm rief. Unten vor seiner Haustür stand eine Gruppe von acht Wichteln. "Was wollt ihr zur nachtschlafenden Zeit" rief er zu ihnen hinunter. "Wir waren bei den Elfen auf dem Johannisfest", riefen sie ihm zu. "Bitte fahr uns sogleich ans andere Ederufer, es soll dir ein guter Lohn werden, wie du ihn noch nie gesehen hast." "Du wirst damit keine Sorgen und Nöte mehr in deinem Leben haben", versicherten ihm die Wichtel. Der Fährmann streckte und reckt sich, zog seine Kleidung an und ging zum Boot. Er nahm die Fährstange in die Hand und rief: "Steigt ein!" Da krabbelten die Wichtel hell kichernd in das Boot. Als er über die linke Schulter schaute, da sach er, dass die Schaar gar kein Ende nehmen wollte. Er sah das Boot schon fast bis zum Rand im Wasser lie gen. Mit der Stange stieß er das Boot vom Ufer ab und brachte es mit der singenden und pfeifenden Wichtelschaar nur schwerlich und mit äußerster Mühe ans andere Ufer. 50 In diesem Buch wurden überlieferte Märchen, Sagen und Geschichten aus dem Waldecker Land zusammengetragen. Die meisten der alten Texte stam men von Louis Curtze. Daneben sind auch Texte von Marie Schmalz, Alex ander Opper, Christian Fleischhauer und Heinrich Schreff in die Nacherzählungen eingeflossen. Im Gegensatz zu den Heften aus dieser Buchreihe im DIN A6Format mit den weitgehend original überlieferten Texten, richtet sich dieses reich bebil derte Buch (DIN A5) an junge Leser. Die Texte, in aktueller Rechtschreibung, sind dazu neusprachlich und kindgerecht angepasst. 15,00 € www.wichtelkönigeck.de
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