Arbeitspapier 5

Professor Dr. Klaus Ferdinand Gärditz
Staatsrecht I (Staatsorganisationsrecht)
Wintersemester 2016/17
§4
I.
Bundesstaat
Allgemeines
Die Bundesstaatlichkeit ist in Art. 20 Abs. 1 GG der Bundesrepublik Deutschland
ausdrücklich vorgegeben und gehört zu den tragenden Pfeilern der Staatsstruktur und
ist über Art. 79 Abs. 3 I. V. mit Art. 20 Abs. 1 GG unverbrüchlich vorgegeben.
Konkrete Gestalt erhält der Bundesstaat des Grundgesetzes jedoch erst durch seine
konkrete verfassungsrechtliche Durchbildung, namentlich durch die im Mittelpunkt
stehende Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern.
Einige kompetenzrechtliche Ausprägungen, die gemeinhin dem Bundesstaatsprinzip
zugeordnet werden, sind:
•
Staatlichkeit der Länder: Diese ist einerseits zwar anerkannt, andererseits aber
in ihrer Bedeutung im Einzelnen unklar, da die Kompetenzen der Länder durch
die Bundesrechtsordnung begründet werden, den Ländern kein Sezessionsrecht
zusteht und sie schließlich auch auf völkerrechtlicher Ebene keine Akteure mit
Staatsqualität sind, sondern Länderhandeln der Bundesrepublik zugerechnet
wird.
•
Haushaltsautonomie: Nach Art. 109 Abs. 1 GG zwar grundsätzlich gegeben,
nach Art. 109 Abs. 2-5, 109a GG aber erheblich eingeschränkt.
•
Normenhierarchie: Bundesrecht „bricht“ nach Art. 31 GG Landesrecht.
Hieraus ergibt sich zunächst, dass Bundesrecht gleich welcher Rangstufe
Vorrang vor Landesrecht hat. Die Rechtsfolgenbestimmung „bricht“ soll nach
hM Nichtigkeit bedeuten. Hierbei ist zu beachten, dass Art. 31 GG zwar eine
Kollisionsregelung trifft, aber an die Kollision zweier wirksamer Normen
anknüpft, also allein Konflikte an sich verfassungskonformen
(kompetenzgemäßen)
Landesrechts
mit
verfassungskonformem
(kompetenzgemäßem) Bundesrecht erfasst, mithin einen sehr begrenzten
Anwendungsbereich hat.
•
Verfassungsautonomie der Länder: Die Länder sind berechtigt (streitig, ob
auch verpflichtet, vgl. Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG: „verfassungsmäßige
Ordnung“), sich eine Verfassung (also eine Norm der höchsten Rangstufe
innerhalb der Teilrechtsordnung des Landes über dem Gesetz) zu geben. Alle
Länder haben eine solche Verfassung. Die Kompetenz für das
Landesverfassungsrecht liegt bei den Ländern, und zwar unabhängig von
etwaigen Überschneidungen mit Themen der Bundesgesetzgebung. Hier kann
es also zu Anwendungsfällen des Art. 31 GG kommen.
Vor allem sind die Länder an das bundesstaatliche Homogenitätsgebot
gebunden: Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG legt die Staatsorganisation der Länder auf
republikanische, demokratische, rechtsstaatliche und sozialstaatliche
Grundsätze fest. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG konkretisiert dies und ordnet an,
dass in den Ländern das Volk eine Vertretung haben muss, die aus
allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen
Staatsrecht I - Staatsorganisationsrecht
2
hervorgegangen ist. Die bundesverfassungsrechtlichen Wahlrechtsgrundsätze
für Bund und Länder sind daher inhaltlich identisch.
II.
•
Bundesstaat als rechtsstaatliche Sicherung: Das föderative Prinzip ist ein
besonderes Element politischer Freiheit. Die Kompetenzverteilung (Art. 30,
70 ff., 83 ff. GG) fügt sich in das verfassungsrechtliche System föderaler
Gewaltenteilung ein und dient insoweit auch dem Schutz der Freiheit des
Einzelnen (→ Elfes-Mechanismus: Grundrechte schützen gegenüber Eingriffen
durch nicht kompetente Organe; verfassungsprozessual wehrfähig durch
Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff.
BVerfGG).
•
Bundestreue: Kompetenzausübungsschranke, die Bund und Länder
wechselseitig auf eine Rücksichtnahme bei der Ausübung ihrer Kompetenzen
verpflichtet. Bsp.:
-
Keine widersprüchlichen Regelungen zu Lasten des Bürgers;
-
Koordinierung von Aufgaben der Länder, die länderübergreifende
Bedeutung insbesondere für die Freiheitsentfaltung haben (z. B.
Studienplatzvergabe);
-
Prozedurale Abstimmungs-, Informations- und Koordinationspflichten;
-
Keine Kompetenzbegründung
Kompetenzverteilung
Die Verfassung enthält eine grundlegende Aufgabeverteilungsnorm. Nach Art. 30 GG
ist die Ausübung von Hoheitsbefugnissen Angelegenheit der Länder (sog.
Residualzuständigkeit), sofern das Grundgesetz keine Zuweisung an den Bund trifft.
1.
Gesetzgebung
Der Verteilungsschlüssel für die Gesetzgebungskompetenzen ist in Art. 70 Abs. 1 GG
niedergelegt und entspricht inhaltlich dem Regel-Ausnahme-Verhältnis des Art. 30
GG. Die Länder haben hiernach das Recht der Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz
nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht.
Art. 70 Abs. 2 GG stellt klar, dass sich die Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen
Bund und Ländern sich nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes über die
ausschließliche (Art. 73 GG) und die konkurrierende (Art. 74 GG) Gesetzgebung
bemisst. Vereinzelt enthält das Grundgesetz auch außerhalb der Art. 70 ff. GG
Bestimmungen über Gesetzgebungsbefugnisse, etwa die ausschließliche
Bundesgesetzgebungskompetenz für das Wahlrecht (Art. 38 Abs. 3 GG), für die
Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU (Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG) oder für das
Parteienrecht (Art. 21 Abs. 3 GG).
a)
Ausschließliche Gesetzgebungskompetenten
Im Bereiche der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes haben die Länder nach
Art. 71 GG die Befugnis zur Gesetzgebung nur, wenn und soweit sie hierzu in einem
Bundesgesetze ausdrücklich ermächtigt werden. Die einzelnen Kompetenztitel sind
vor allem in Art. 73 GG geregelt.
Staatsrecht I - Staatsorganisationsrecht
b)
3
Konkurrierende Gesetzgebungskompetenzen
Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder nach Art. 72 Abs. 1
GG die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner
Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat.
aa)
•
Ist der Bund noch nicht tätig geworden („solange“), dürfen die Länder eigene
Regelungen erlassen.
•
Besteht in einem bestimmten Themenbereich eine bundesrechtliche Regelung, ist ggf.
zu prüfen, ob diese abschließend ist bzw. welche Regelungsgegenstände diese erfasst
(„soweit“).
•
Hat der Bund einmal ein Gesetz erlassen, das landesrechtliche Regelungen verdrängt,
werden diese nachträglich ungültig (lex superior); bei einem späteren Fortfall des
Bundesrechts lebt vorher bestehendes Landesrecht nicht wieder auf, sondern muss ggf.
neu erlassen werden.
Erforderlichkeitsklausel
Das Vorliegen einer Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 GG ist notwendige, aber
nicht hinreichende Bedingungen für den verfassungskonformen Erlass eines
Bundesgesetzes. In bestimmten Fällen ist nämlich seit 1994 eine zusätzliche
qualifizierte Bedürfnisprüfung erforderlich. Auf den Gebieten des Artikels 74 Abs. 1
Nr. 4, 7, 11, 13, 15, 19a, 20, 22, 25 und 26 hat der Bund nach Art. 72 Abs. 2 GG das
Gesetzgebungsrecht nämlich nur, wenn und soweit
-
die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder
-
die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit
im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht.
Die Erforderlichkeit ist nach der Rechtsprechung justitiabel (Leitentscheidung:
BVerfGE 106, 62 - Altenpflege). Grund hierfür ist, dass die alte Bedürfnisklausel im
Rahmen der Verfassungsreform 1994 durch eine neue Erforderlichkeitsklausel ersetzt
wurde, gerade um eine (zuvor verweigerte) gerichtliche Kontrolle sicherzustellen.
Hierzu wurde sogar ein besonderes Verfahren vor dem BVerfG geschaffen (Art. 93
Abs. 1 Nr. 2a GG).
-
Gleichwertige Lebensverhältnisse: wenn sich die Lebensverhältnisse in den
Ländern in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender
Weise auseinander entwickeln.
-
Rechtseinheit: nicht schon dann gefährdet, wenn unterschiedliches Recht gilt;
dies ist nämlich bereits in der Grundentscheidung des Art. 72 Abs. 1-2 GG
enthalten, da Regelungsvielfalt grundsätzlich zugelassen wird. Es muss daher
auch hier zu schwerwiegenden Störungen des Rechtsverkehrs kommen.
-
Wirtschaftseinheit: unterschiedliches Recht muss zu schwerwiegenden
wirtschaftlichen Störungen führen; dies ist schon immer dann zu verneinen,
wenn die relevante Wirtschaftstätigkeit typischerweise nur lokale oder
regionale Bedeutung hat, also nur kleinräumige Märkte bestehen.
In allen anderen Gebieten, die Art. 72 Abs. 2 GG nicht auflistet, ist seit der
Föderalismusreform I (2006) der Bund zuständig, ohne dass es auf weitere
Voraussetzungen ankäme (Vorranggesetzgebung, Degenhart, Rn. 174).
Staatsrecht I - Staatsorganisationsrecht
bb)
4
Abweichungsgesetzgebung
Hat der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht, können die
Länder nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG durch Gesetz hiervon abweichende Regelungen
treffen über:
1.
das Jagdwesen (ohne das Recht der Jagdscheine);
2.
den Naturschutz und die Landschaftspflege (ohne die allgemeinen Grundsätze des
Naturschutzes, das Recht des Artenschutzes oder des Meeresnaturschutzes);
3.
die Bodenverteilung;
4.
die Raumordnung;
5.
den Wasserhaushalt (ohne stoff- oder anlagenbezogene Regelungen);
6.
die Hochschulzulassung und die Hochschulabschlüsse.
Grund hierfür ist, dass es sich hier um Materien handelt, für die der Bund vormals nur
eine Rahmengesetzgebungskompetenz besaß.
Auf diesen Gebieten geht nach Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG im Verhältnis von Bundesund Landesrecht das jeweils spätere Gesetz vor (Abweichung von der
Normenhierarchie). Hierbei handelt es sich um einen Anwendungsvorrang (keinen
Geltungsvorrang), d. h. das ältere Gesetz kommt wieder dann zur Anwendung, wenn
das jüngere später aufgehoben wird (Degenhart, Rn. 179).
Bundesgesetze auf diesen Gebieten treten nach Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG frühestens
sechs Monate nach ihrer Verkündung in Kraft, soweit nicht mit Zustimmung des
Bundesrates anderes bestimmt ist.
c)
Rückholklausel
Durch Bundesgesetz kann nach Art. 72 Abs. 4 GG bestimmt werden, dass eine
bundesgesetzliche Regelung, für die eine Erforderlichkeit im Sinne des Absatzes 2
nicht mehr besteht, durch Landesrecht ersetzt werden kann
d)
Ungeschriebene Gesetzgebungskompetenzen
Die Rechtsprechung erkennt zwei Typen ungeschriebener Gesetzgebungskompetenzen
an:
•
Gesetzgebungskompetenz aus der Natur der Sache: Regelungsgegenstand kann
aus sachimmanenten Gründen nur vom Bund geregelt werden (z. B.
Hauptstadtfrage).
•
Annexkompetenz bzw. Kompetenz kraft Sachzusammenhangs: Ein
vorhandener Titel kann verständigerweise nicht ausgefüllt werden, wenn nicht
eine andere, vom Titel an sich nicht umfasste Materie mitgeregelt wird. Da es
sich um einen Übergriff in eine Materie handelt, die einem anderen
Kompetenzträger zufällt, ist insoweit Zurückhaltung geboten.
Staatsrecht I - Staatsorganisationsrecht
e)
5
Übergangsrecht
Hinsichtlich des Altrechts, das vor der Föderalismusreform I (2006) erlassen wurde,
enthält das GG an eher abgelegener Stelle wichtige Übergangsregelungen, die im
Bedarfsfall aufgefunden werden sollten.
Art 125a
(1)
Recht, das als Bundesrecht erlassen worden ist, aber wegen der Änderung des Artikels
74 Abs. 1, der Einfügung des Artikels 84 Abs. 1 Satz 7, des Artikels 85 Abs. 1 Satz 2
oder des Artikels 105 Abs. 2a Satz 2 oder wegen der Aufhebung der Artikel 74a, 75
oder 98 Abs. 3 Satz 2 nicht mehr als Bundesrecht erlassen werden könnte, gilt als
Bundesrecht fort. Es kann durch Landesrecht ersetzt werden.
(2)
Recht, das auf Grund des Artikels 72 Abs. 2 in der bis zum 15. November 1994
geltenden Fassung erlassen worden ist, aber wegen Änderung des Artikels 72 Abs. 2
nicht mehr als Bundesrecht erlassen werden könnte, gilt als Bundesrecht fort. Durch
Bundesgesetz kann bestimmt werden, dass es durch Landesrecht ersetzt werden kann.
(3)
Recht, das als Landesrecht erlassen worden ist, aber wegen Änderung des Artikels 73
nicht mehr als Landesrecht erlassen werden könnte, gilt als Landesrecht fort. Es kann
durch Bundesrecht ersetzt werden.
2.
Verwaltung
a)
Allgemeine Kompetenzverteilung
In Konkretisierung von Art. 30 GG bestimmt Art. 83 GG, dass die Länder die
Bundesgesetze als eigene Angelegenheit durchführen, soweit das GG nichts
Abweichendes bestimmt. Der Bund bedarf insoweit einer ausdrücklichen
Kompetenzuweisung.
b)
•
Landesvollzug der Regelfall.
•
Bundesaufsicht ist auf Rechtsaufsicht beschränkt; die Bundesregierung ist
grundsätzlich darauf beschränkt, Beauftragte zu den obersten Landesbehörden
zu entsenden, vgl. Art. 84 Abs. 3 GG.
•
Weisungsrechte kommen nur in besonderen Fällen des Art. 84 Abs. 5 GG in
Betracht.
•
Die Regelzuständigkeit der Länder gilt nach Art. 30 GG auch für die
nichtgesetzesakzessorische Verwaltung, z. B. die Erfüllung nichthoheitlicher
Verwaltungsaufgaben in Privatrechtsform (wie die wirtschaftliche Betätigung
des Bundes).
Ausführung von Landesrecht
Die Ausführung der Landesgesetze ist stets Angelegenheit der Länder; es gibt keinen
Bundesvollzug des Landesrechts, obschon die Bundesverwaltung unter Umständen
Landesrecht bei der Anwendung von Bundesrecht beachten muss (z. B.
Landesbauordnungen bei Bundesbauten).
Staatsrecht I - Staatsorganisationsrecht
c)
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Ausführung des Bundesrechts durch die Länder
Führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, so regeln sie nach
Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG die Einrichtung der Behörden und das
Verwaltungsverfahren. Seit der Föderalismusreform I enthält Art. 84 Abs. 1 GG
jedoch einen filigranen Mechanismus von Ausnahmen und Gegenausnahmen:
•
Wenn Bundesgesetze etwas anderes (sprich: Organisation oder Verfahren
regeln) bestimmen, können die Länder davon abweichende Regelungen treffen
(Satz 2). Hat ein Land eine abweichende Regelung getroffen, treten in diesem
Land hierauf bezogene spätere bundesgesetzliche Regelungen der Einrichtung
der Behörden und des Verwaltungsverfahrens frühestens sechs Monate nach
ihrer Verkündung in Kraft, soweit nicht mit Zustimmung des Bundesrates
anderes bestimmt ist (Satz 3). Dies verschafft dem Bund die Möglichkeit,
seinerseits auf eine Zersplitterung des Organisations- oder Verfahrensrechts zu
reagieren.
•
In Ausnahmefällen kann der Bund wegen eines besonderen Bedürfnisses nach
bundeseinheitlicher
Regelung
das
Verwaltungsverfahren
ohne
Abweichungsmöglichkeit für die Länder regeln (Satz 5). Diese Gesetze
bedürfen der Zustimmung des Bundesrates (Satz 6). Ein besonderes Bedürfnis
kann insbesondere darin bestehen, wenn dies für eine einheitliche Umsetzung
von Recht der EU notwendig ist oder das materielle Recht ohne besondere
Organisations- oder Verfahrensregelungen inkohärent, grundrechtswidrig oder
im Regelungskonzept unvollkommen wäre.
•
Durch Bundesgesetz dürfen Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben
nicht übertragen werden (Satz 7). Eine Folge ist, dass der Bund nur noch das
Land als Gesamtheit adressieren darf. Das Land verteilt dann landesintern die
Aufgaben und kann diese ggf. auch den Gemeinden übertragen. Dies hat vor
allem Konsequenzen für die sog. Konnexitätsregelung, die zahlreiche Länder
eingeführt haben, siehe für NRW Art. 78 Abs. 3 LV. Das Land kann
Gemeinden nur neue Aufgaben übertragen, wenn es die Kostenerstattung
mitregelt. Diese Regelung würde für eine bundesunmittelbare
Aufgabenübertragung nicht greifen; der Ausschluss einer solchen Regelung
nach Art. 84 Abs. 7 Satz 7 GG kommt insoweit vor allem den Gemeinden
finanziell zugute.
Die Bundesregierung kann nach Art. 84 Abs. 2 GG mit Zustimmung des Bundesrates
allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen, sprich: abstrakt-generelle Weisungen,
wie das Gesetz auszulegen und anzuwenden ist. Verwaltungsvorschriften sind bloßes
Innenrecht der Verwaltung, begründen also weder Rechte noch Pflichten der Bürger.
d)
Ausnahmen
Ausnahmen von der Regel des Art. 83 GG finden sich vor allem in den Art. 85 ff. GG,
und zwar:
•
Bundesauftragsverwaltung (Art. 85 GG) und
•
bundeseigene Verwaltung (Art. 86 GG).
Die Aufteilung der Kompetenzen ist in den Art. 87 ff. GG näher ausgestaltet.
Staatsrecht I - Staatsorganisationsrecht
aa)
7
Bundesauftragsverwaltung
Führen die Länder die Bundesgesetze im Auftrage des Bundes aus, so bleibt die
Einrichtung der Behörden Angelegenheit der Länder, soweit nicht Bundesgesetze mit
Zustimmung des Bundesrates etwas anderes bestimmen (Art. 85 Abs. 1 Satz 1 GG).
Wann Bundesauftragsverwaltung stattfindet, muss auf der Grundlage des GG (vgl.
etwa Art. 87c, 90 Abs. 2 GG) im Rahmen eines Bundesgesetzes ausdrücklich geregelt
sein.
Kernmerkmale der Bundesauftragsverwaltung sind daher: Weisungsgebundeheit der
Länder und Fachaufsicht des Bundes. Im Einzelnen:
•
Weisungen sind nach Art. 85 Abs. 3 Satz 2 GG grundsätzlich an die obersten
Behörden des Landes zu richten, d. h. die Verwaltung der Länder bleibt
selbstständig (Organisationshoheit) und wird nicht Teil der Bundesverwaltung.
Die Länder führen die Bundesgesetze selbstständig durch, solang der Bund
nicht die Sachkompetenz durch Weisung an sich gezogen hat.
Exkurs: Weisungen (oder deren Nichterfüllung durch ein Land)
können zum Gegenstand eines Bund-Länder-Streits (Art. 93 Abs. 1
Nr. 3 GG) gemacht werden. Maßstab der Rechtmäßigkeit ist hierbei
indes allein, ob die Voraussetzungen des Art. 85 GG vorliegen, nicht
hingegen, ob die durch Weisung angeordnete Maßnahme
einfachgesetzlich rechtmäßig ist.
Lesehinweis: BVerfGE 104, 249
bb)
•
Die Bundesaufsicht erstreckt sich nach Art. 85 Abs. 4 GG auf Gesetzmäßigkeit
und Zweckmäßigkeit der Ausführung. Die Bundesregierung kann zu diesem
Zwecke Bericht und Vorlage der Akten verlangen und Beauftragte zu allen
Behörden entsenden.
•
Die Außenkompetenz zu rechtsverbindlichen Handlungen gegenüber dem
Bürger verbleibt stets bei den Ländern (Wahrnehmungszuständigkeit); etwaige
Rechtsbehelfe des Bürgers richten sich daher auch dann gegen das Land, wenn
der Bund Weisungen erteilt hat. Der Bund bleibt darauf beschränkt, ggf.
diejenigen Informationen im Wege der Amtsermittlung einzuholen, die er zur
Erfüllung seiner Leitungskompetenz benötigt.
•
Durch Bundesgesetz dürfen nach Art. 85 Abs. 1 Satz 2 GG Gemeinden und
Gemeindeverbänden Aufgaben nicht übertragen werden, was wiederum Art. 84
Abs. 1 Satz 7 GG entspricht.
•
Die Bundesregierung kann mit Zustimmung des Bundesrates nach Art. 85
Abs. 2 Satz 1 GG wiederum allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen. Die
Leiter der Mittelbehörden sind nach Art. 85 Abs. 2 Satz 3 GG im
Einvernehmen mit der Bundesregierung zu bestellen.
Bundeseigene Verwaltung
Führt der Bund die Gesetze durch bundeseigene Verwaltung oder durch
bundesunmittelbare Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechtes aus, so
erlässt die Bundesregierung nach Art. 86 GG, soweit nicht das Gesetz Besonderes
Staatsrecht I - Staatsorganisationsrecht
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vorschreibt, die allgemeinen Verwaltungsvorschriften und regelt die Einrichtung der
Behörden.
3.
Justiz
Auch für den Bereich der Justiz gilt Art. 30 GG, sodass die Rechtsprechung zunächst
Aufgabe der Länder ist, soweit das GG nichts Abweichendes bestimmt. Auch
Streitigkeiten mit Bundesbehörden werden daher grds. durch die Verwaltungsgerichte
der Länder entschieden. Die funktionelle und instanzielle Zuständigkeit regelt der
Bund nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG.
Eine Konkretisierung enthält Art. 92 GG: Die rechtsprechende Gewalt ist hiernach den
Richtern anvertraut; sie wird durch das Bundesverfassungsgericht, durch die in diesem
Grundgesetze vorgesehenen Bundesgerichte und durch die Gerichte der Länder
ausgeübt. Grundgesetzlich vorgesehene Gerichte des Bundes finden sich in Art. 95
und Art. 96 GG
Für die Gebiete der ordentlichen, der Verwaltungs-, der Finanz-, der Arbeits- und der
Sozialgerichtsbarkeit errichtet der Bund nach Art. 95 Abs. 1 GGals oberste
Gerichtshöfe den Bundesgerichtshof, das Bundesverwaltungsgericht, den
Bundesfinanzhof, das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht.
Exkurs:
Zusammenlegung
der
Verwaltungsgerichtsbarkeiten?
Eine
Zusammenlegung der drei Verwaltungsgerichtsbarkeiten hätte zunächst
verfassungsrechtliche Hürden zu nehmen, da Art. 95 GG jedenfalls den Bestand des
BVerwG, des BFH sowie des BSG und damit eine Gliederung auf der Ebene der
obersten Bundesgerichte voraussetzt. Ob hierdurch zugleich eine korrespondierende
Differenzierung auf der Ebene der Landesgerichte gewährleistet ist, wird uneinheitlich
beurteilt.
•
Art. 95 Abs. 1 GG verteilt zunächst allein Justizkompetenzen zwischen Bund
und Ländern, da er im Sinne von Art. 30 GG die Errichtung von
Bundesgerichten zulässt.
•
Die Benennung der fünf Gerichtsbarkeiten garantiert den obersten
Bundesgerichten zudem lediglich einen Kernbestand an Zuständigkeiten, was
dem Gesetzgeber weite Gestaltungsspielräume belässt.
•
Jedenfalls folgen aus einer solchen Bundeskompetenz systematisch keine
institutionellen Vorgaben für die Länder.
•
Zwar mag es sein, dass eine entsprechende Gliederung vom
verfassungsändernden Gesetzgeber als bestehend vorausgesetzt wurde. Dies
bedeutet indes nicht, dass eine analoge Rechtsweggliederung auf Länderebene
zugleich auch verfassungsrechtlich garantiert wäre.
Um eine Änderung des Art. 95 GG würde man freilich unabhängig hiervon aus
praktischen Gründen letztlich nicht umhinkommen, weil es sachwidrig wäre, einer
einheitlichen öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeit gespaltene oberste Bundesgerichte
als Revisionsinstanzen aufzusetzen. Auch Art. 108 Abs. 6 GG wäre zu streichen, der
eine selbstständige Finanzgerichtsbarkeit und deren einheitliche Regelung durch
Gesetz explizit vorsieht.
Staatsrecht I - Staatsorganisationsrecht
9
Über die Berufung der Richter dieser Gerichte entscheidet nach Art. 95 Abs. 2 GG der
für das jeweilige Sachgebiet zuständige Bundesminister gemeinsam mit einem
Richterwahlausschuss, der aus den für das jeweilige Sachgebiet zuständigen Ministern
der Länder und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern besteht, die vom Bundestage
gewählt werden (siehe im Einzelnen Richterwahlgesetz).
Besondere Ausnahmen zur Errichtung von Bundesgerichten enthält Art. 96 GG: Der
Bund kann z. B. nach Abs. 1 für Angelegenheiten des gewerblichen Rechtsschutzes
ein Bundesgericht errichten. Die Möglichkeit, nach Abs. 2 Wehrstrafgerichte für die
Streitkräfte als Bundesgerichte zu errichten, die die Strafgerichtsbarkeit im
Verteidigungsfalle sowie über Angehörige der Streitkräfte ausüben, die in das Ausland
entsandt oder an Bord von Kriegsschiffen eingeschifft sind, wurde bislang nicht
genutzt.
Für Strafverfahren auf den folgenden Gebieten kann ein Bundesgesetz mit
Zustimmung des Bundesrates vorsehen, dass Gerichte der Länder Gerichtsbarkeit des
Bundes ausüben: Völkermord; völkerstrafrechtliche Verbrechen gegen die
Menschlichkeit; Kriegsverbrechen; andere Handlungen, die geeignet sind und in der
Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören
(Artikel 26 Abs. 1); Staatsschutz. Siehe § 120 GVG.