wahrer wohlstand statt blindes wachstum

WAHRER WOHLSTAND
STATT BLINDES WACHSTUM
Jahreswohlstandsbericht 2017
IMPRESSUM
Herausgeberin:
Bündnis 90/Die Grünen
Bundestagsfraktion
Platz der Republik 1
11011 Berlin
www.gruene-bundestag.de
Verantwortlich:
Kerstin Andreae MdB
Stellv. Fraktionsvorsitzende
Bündnis 90/Die Grünen
Bundestagsfraktion
Platz der Republik 1
11011 Berlin
E-Mail: [email protected]
Autoren:
Dipl.-Verw.Wiss. Roland Zieschank, Berlin
Prof. Dr. Hans Diefenbacher, Heidelberg
Grafik Indikatoren:
Dipl.-Wirtschaftskomm. Annika Mierke, Berlin
Bezug:
Bündnis 90/Die Grünen
Bundestagsfraktion
Info-Dienst
Platz der Republik 1
11011 Berlin
Fax: 030 / 227 56566
E-Mail: [email protected]
Schutzgebühr: € 1,50
1. Auflage
Redaktionsschluss: Januar 2017
INHALT | JAHRESWOHLSTANDSBERICHT 2017
Vorwort ............................................................................................................3
1. Einleitung......................................................................................................5
2
3.
4
5.
Konzeptioneller Hintergrund des Berichts...........................................................7
2.1.
Anmerkungen zum Begriff Wohlstand und gesellschaftliche Wohlfahrt ...............7
2.2
Zum konzeptionellen Rahmen des Jahreswohlstandsberichts ...........................9
Aktuelle Berichtsformen in Deutschland .......................................................... 16
3.1
Aktivitäten der Bundesregierung jenseits der traditionellen
Wirtschaftsberichterstattung ................................................................... 16
3.2
Der Jahreswirtschaftsbericht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie 18
3.3.
Zur Kritik am BIP – Der Nationale Wohlfahrtsindex....................................... 20
Die Indikatoren des Jahreswohlstandsberichts ................................................... 24
4.1.
Systematik .......................................................................................... 24
4.2.
Ökologische Dimension .......................................................................... 26
4.3.
Soziale Dimension ................................................................................ 30
4.4.
Ökonomische Dimension ........................................................................ 33
4.5.
Gesellschaftliche Dimension ................................................................... 37
4.6.
Aspekte und Probleme der subjektiven Seite von Wohlfahrt – Indikatoren zur
Lebenszufriedenheit.............................................................................. 40
Ergebnisse und Schlussfolgerungen ................................................................ 45
5.1.
Die Indikatoren – Überblick und Empfehlungen .......................................... 45
5.2.
Zusammenfassung ................................................................................ 53
6.
Kontrollindikator zur Problematik der Verschuldung............................................ 55
7.
Der Jahreswohlstandsbericht im Kontext neuer gesellschaftlicher Berichtsmodelle ...... 60
8.
Ausblick .................................................................................................. 62
9.
Literaturverzeichnis .................................................................................... 63
Anlage: Indikatorenkennblätter ............................................................................ 71
I 1:
Ökologischer Fußabdruck im Verhältnis zur Biokapazität ............................... 72
I 2:
Index zur Artenvielfalt und Landschaftsqualität .......................................... 74
I 3:
S 80 : S 20 - Relation der Einkommensverteilung ........................................ 76
I 4:
Bildungsindex ..................................................................................... 78
I 5:
Nettoinvestitionsquote .......................................................................... 79
I 6:
Anteil von (potenziellen) Umweltschutzgütern an der Bruttowertschöpfung ...... 81
I 7:
Gesunde Lebensjahre ............................................................................ 83
I 8:
Governance Index ................................................................................ 85
VORWORT
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
am 25. Januar werden Bundeskanzlerin Merkel
und Wirtschaftsminister Gabriel den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung vorstellen. Wie
seit Jahrzenten fokussiert der Bericht jedoch ausschließlich auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigungsentwicklung. Wir finden: Diese Zahlen zeigen nur die halbe Wahrheit über unseren Wohlstand.
Denn es ist nicht nur das Wachstum der Gesamtproduktion, das eine erfolgreiche Wirtschaft auszeichnet. Sie muss die Lebensqualität aller BürgerInnen nachweisbar verbessern, ohne dabei ihre
eigenen Grundlagen zu zerstören, weder die sozialen noch die ökologischen. Wirtschaftswachstum
auf Kosten von Mensch, Natur und Umwelt schafft
keinen echten Wohlstand.
Will man wissen, wie sich der Wohlstand in
Deutschland entwickelt hat, muss man also genauer hinschauen. Unser Jahreswohlstandsbericht
tut dies. Mit ihm präsentieren wir eine neue Form
der Wirtschaftsberichterstattung. Wohlstand
schließt hier auch die sozialen und die ökologischen Potenziale mit ein. Ergebnis:
Unser materiell sehr hoher Wohlstand wird durch
Umweltzerstörung, ungerechte Verteilung und unterlassene Investitionen untergraben. Wer nur auf
das Bruttoinlandsprodukt (BIP) starrt, verfällt einer
Illusion.
In den vergangenen elf Jahren unter unionsgeführten Regierungen, haben sich wichtige ökologische, soziale und ökonomische Kennziffern verschlechtert. Der Wohlstandsbericht offenbart:
11 Jahre Schwarz-Rot-Gelbe Wirtschaftspolitik:
Stillstand bei Umwelt, Gerechtigkeit und Investitionen
Unser ökologischer Fußabdruck bleibt zu groß. Wir
zerstören langfristig das, worin wir leben: unsere
Umwelt. Die unionsgeführten Bundesregierungen
haben an dieser Entwicklung nichts geändert, im
Gegenteil: seit 2011 wird der Umweltverbrauch
immer größer. Der Jahreswohlstandsbericht zeigt,
wo wir stehen und dass wir dringend etwas ändern müssen.
Der Index zur Artenvielfalt und Landschaftsqualität
hat sich seit 2005 ebenfalls deutlich verschlechtert. Er bildet den Zustand und die Veränderungen
von Natur und Landschaft in Deutschland ab.
Die Ungleichheit bei der Einkommensverteilung in
Deutschland liegt seit 2007 auf konstant hohem
Niveau und ist 2014 noch einmal auf ihren bisher
höchsten Wert gestiegen. Unser Bericht misst sie
am Verhältnis des Gesamteinkommens der reichsten 20 Prozent der Bevölkerung zu dem der ärmsten 20 Prozent.
Die Nettoinvestitionen – ein Maß des Produktionspotenzials der deutschen Volkswirtschaft – liegen
seit 2005 auf niedrigem Niveau. Sowohl der Staat
als auch Unternehmen investieren viel zu wenig.
Nur unser Bildungsindikator zeigt Verbesserungen.
Darin zahlt sich die oft engagierte Politik auf Landesebene aus.
Mit unserem Wohlstandsbericht wollen wir neben
ökonomischen auch ökologische, soziale und gesellschaftliche Entwicklungen anhand messbarer
Kriterien darstellen. So zeigen wir, wo Dinge falsch
laufen, die in den offiziellen Berichten der Bundesregierung nicht vorkommen, die die Menschen
aber täglich erleben. Denn nur mit einem umfassenden und ehrlichen Bild können wir wirklich etwas für mehr und echten Wohlstand für alle tun.
Mit freundlichen Grüßen,
Anton Hofreiter MdB
(Fraktionsvorsitzender)
Kerstin Andreae MdB
(Stellv. Fraktionsvorsitzende)
Oliver Krischer MdB
(Stellv. Fraktionsvorsitzender)
Berlin, Januar 2017
3 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
Die Wohlstandsindikatoren im Überblick:
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 4
1. EINLEITUNG
Diese Studie ist eine neue Form der Wirtschaftsberichterstattung.
Der Bericht zeigt auf, wie sich der Wohlstand in
Deutschland entwickelt hat. Durch die Wahl der Indizes und Indikatoren soll er die Diskussion darüber
weiter anregen, welche Qualität und Richtung die
Entwicklung der Wirtschaft zukünftig erhalten soll.
Wohlstand schließt hier – im Unterschied zu den
traditionellen Formen der Wirtschaftsberichterstattung – auch die sozialen und die ökologischen Potenziale mit ein: Es ist nicht nur die Wirtschaft, welche unsere Lebensqualität und unser Wohlergehen
bestimmt. Vielmehr entsteht der „Reichtum“ einer
Gesellschaft auch aus dem richtigen Umgang mit
dem Human- und dem Sozialkapital sowie dem
vorhandenen Naturkapital.1
Diese erweiterte Perspektive ist überfällig. Die Konzentration auf wirtschaftliches Wachstum in einem
bereits wohlhabenden Land wie Deutschland entspricht eigentlich immer noch dem Denken, wie es
nach Ende des Zweiten Weltkriegs vorherrschte, um
mit einer quantitativen Ausweitung von Gütern und
Dienstleistungen den Wiederaufbau zu meistern.
Auch die sprichwörtliche „Tonnenideologie“ zu Zeiten der DDR entspricht diesem quantitativen Verständnis von Wirtschaften – und hat diese Phase
der Geschichte sogar überlebt. Inzwischen wird den
Kenntnissen und Fähigkeiten der Menschen, der
Stabilität sozialer Strukturen, dem Vertrauen auch
in Institutionen sowie den politischen Rahmenbedingungen eine große Bedeutung beigemessen.
Genauso ist bei näherem Hinsehen der Zustand unserer natürlichen Umwelt einschließlich der Funktionsfähigkeit unserer unterschiedlichen Ökosysteme
ein weiterer, entscheidender Faktor des Wohlstands
„jenseits“ einer Fokussierung auf die wirtschaftlichen Prozesse. Aber auch, wenn man nur die Wirt-
Wie später noch erläutert wird, verbindet sich mit dieser eher
ökonomischen Terminologie eigentlich ein soziales und ökologisches Potenzial, das in einem kreativen Sinne zum gesellschaftlichen Wohlstand eines Landes beiträgt.
1
schaft betrachten würde, kann eine reine, auf Wirtschaftswachstum und andere traditionelle Kenngrößen fixierte Analyse in die Irre führen, da sie einem ökonomischen Leitbild folgt, das weder nachhaltig noch zukunftsverträglich ist. Auch dieser
zweite Bericht will somit einen anderen Akzent setzen. Wie sich zeigen wird, sind die hier vorgeschlagene Perspektive einschließlich entsprechender Indikatoren durchaus kompatibel mit neueren Überlegungen und Innovationen auf internationaler
Ebene. Dennoch wird Deutschland auf absehbare
Zeit dabei keine Vorreiterrolle einnehmen können.
Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen
hatte sich 2014 zum Ziel gesetzt, einen Jahreswohlstandsbericht zu erstellen. Dieser Bericht sollte dem
Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung gegenübergestellt werden und auch ökologische, soziale sowie sozio-ökonomische Aspekte und Perspektiven gesamtgesellschaftlicher Wohlfahrt mit
einbeziehen.
Als weiterer Impuls für diesen Bericht sei die Arbeit
der Enquête-Kommission „Wachstum, Wohlstand,
Lebensqualität“ des Deutschen Bundestages 2013
erwähnt. Sie hat in ihrem Abschlussbericht gewissermaßen die Weichen mitgestellt, um diese zentralen Begriffe in neuer Weise miteinander zu verbinden.2
Dem jetzt vorliegenden Bericht für 2017 ging im Juli
2015 eine Machbarkeitsstudie voraus (siehe
Zieschank/Diefenbacher 2015), welche bereits im
Januar 2016 zu einem ersten Wohlstandsbericht
führte.
Das Ziel dieser Form der Berichterstattung besteht
darin, die Diskussion über die Art und Weise des
Wirtschaftens anhand einer konzeptionellen wie
gleichermaßen empirischen Basis fortzuführen. Was
soll zukünftig den gesellschaftlichen Wohlstand in
Enquête-Kommission „Wachstum, Wohlfahrt, Lebensqualität“
2013.
2
5 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
Deutschland einschließlich seiner immateriellen
Komponenten – mithin der gesellschaftlichen
Wohlfahrt – ausmachen?
Die folgenden Argumentationslinien sollen hierfür
eine Grundlage schaffen:
In Kapitel 2 werden einige grundlegende Überlegungen vorgestellt, welche auch das Verhältnis von
Wirtschaft und staatlicher Politik thematisieren. Es
geht um die Bewältigung zentraler Risiken einer
Gesellschaft, die zumindest im Prinzip über eine soziale Marktwirtschaft einerseits und eine „Green
Economy“ andererseits sinnvoll angegangen werden können. Auf diesen Hintergrundinformationen
baut das konzeptionelle Grundgerüst des Wohlstandsberichts auf, einschließlich der dann vorgeschlagenen vier Dimensionen der Berichterstattung
und ihrer zugehörigen Indikatoren.
Kapitel 3 erläutert zusätzlich einige aktuelle gesellschaftliche Berichtsformen in Deutschland. Dabei
gibt es bereits interessante Ansätze jenseits tradi
tioneller Wirtschaftsberichtserstattung. Anschließend wird der jährliche Wirtschaftsbericht der Bundesregierung kurz thematisiert, mithin der Jahreswirtschaftsbericht 2017. Diese Veröffentlichungen
sind ja letztlich eine wesentliche Ursache für den
Versuch, eine andere Perspektive mit Blick auf gesellschaftlichen Wohlstand einzuführen. Das Kapitel
umreißt deshalb in knapper Weise wesentliche Kritikpunkte an der zentralen Kennziffer des Bruttoinlandsproduktes (BIP) und der damit häufig verbundenen Wachstumsfixierung. Die Kritik mündet in
eine Darstellung des „Nationalen Wohlfahrtsindexes“ und seiner Ergebnisse im Vergleich zur Entwicklung des BIP während der letzten Jahre.
In Kapitel 4 wird mit Hilfe von vier zentralen Dimensionen, die jeweils mit zwei Kernindikatoren
belegt sind, der gesellschaftliche Wohlstand in
exemplarischer Form näherungsweise charakterisiert. Diesem Zweck dienen auch grafische Darstellungen des Verlaufs aller einzelnen Indikatoren
während der letzten Jahre, sowie Erläuterungen zur
Entwicklung.
Kapitel 5 beinhaltet die wesentlichen Ergebnisse
aller acht ausgewählten Indikatoren, welche die
empirische Basis des Jahreswohlstandsberichts
2017 bilden, in grafischer Form. Durch symbolische
Darstellungen werden dabei der jeweilige Zustand
sowie die Entwicklungsrichtung jedes Indikators
charakterisiert: Es gibt eine Ampeldarstellung einerseits, eine Darstellung der Entwicklung in Form
eines Pfeils andererseits. Das Kapitel wird ergänzt
um mögliche Schlussfolgerungen aus den Indikatoren und ihres Verlaufs.
Kapitel 6 geht kurz auf das Thema der Verschuldung
ein. Bereits in den vorausgegangenen Studien war
überlegt worden, einen wichtigen aktuellen Bereich, der gesellschaftlichen Wohlstand tangiert,
näher zu behandeln. Während die Schuldenaufnahme einerseits eine der treibenden Faktoren für
die wirtschaftliche Entwicklung ist, kann sie unter
Umständen das erzielte Wohlstandsniveau eines
Landes gleichzeitig untergraben; mehr noch, Risikopotenziale können an beiden Polen entstehen:
sowohl bei einer Austeritätspolitik als auch einer
schuldeninduzierten Wachstumsstimulierung.
In Kapitel 7 wird versucht, den Jahreswohlstandsbericht im Kontext neuer gesellschaftlicher Berichtsmodelle zu verorten: Die Kenntnis anderer
nationaler und internationaler Diskurslinien sowie
Messkonzepte soll außerdem helfen, die eigenen
Bemühungen einzuordnen und voranzutreiben.
Kapitel 8 gibt abschließend einen kurzen Ausblick
auf die weiteren Arbeiten und spricht die Notwendigkeit einer institutionellen Absicherung der Datenerhebung für die ausgewählten Indikatoren an.
Der Jahreswohlstandsbericht 2017 enthält wiederum einen ausführlichen Anhang, in welchem alle
Indikatoren anhand von Kennblättern in systematisierter Weise dargestellt werden. Die Kennblätter
erlauben ein vertieftes Verständnis der Indikatoren
des Berichts.
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 6
2
KONZEPTIONELLER HINTERGRUND
DES BERICHTS
2.1. ANMERKUNGEN ZUM BEGRIFF WOHLSTAND UND GESELLSCHAFTLICHE
WOHLFAHRT
Der Begriff des Wohlstands hat eine lange Geschichte.3 Umgangssprachlich wird mit Wohlstand häufig ein Zustand beschrieben, in dem
ein Individuum ausreichend oder sogar mehr
Geld zur Verfügung hat, um sich seine Wünsche
erfüllen zu können. Dieses Begriffsverständnis
verweist auf die materielle Dimension des
Wohlergehens, wobei in erweiterten Begriffsfassungen auch immaterielle Aspekte hinzugenommen werden.4
Wird nun nicht nur das einzelne Individuum
betrachtet, sondern eine Gesellschaft insgesamt, stellt sich natürlich die Frage, wie sich
dann der Wohlstand im Blick auf das Ganze
bemisst. Damit kommen vor allem Fragen der
Verteilung in den Blick. Ist es der Reichtum der
Eliten in einem von Oligopolen geprägten
Staat, der zum obersten Ziel erklärt wird, oder
ist es das „größte Glück der größten Zahl“?
Wohlfahrt wiederum kann in mindestens drei
verschiedenen Kontexten verortet werden, in
denen der Begriff jeweils eine unterschiedliche
Bedeutung transportiert:
(1) Am nächsten liegt zunächst der alltagssprachliche und politisch-technische Kontext, in dem Wohlfahrt ein Teilsystem der
sozialen Sicherung bezeichnet. Hier spielen auch die Wohlfahrtsverbände als Träger sozialer Belange der Bevölkerung eine
bedeutende Rolle. Der Begriff „Wohlfahrtsstaat“ war zudem in den Anfängen
der Bundesrepublik positiv besetzt, weil er
Der folgende Abschnitt basiert auf Meyer/Ahlert/Diefenbacher/Zieschank/Nutzinger 2013.
3
4
Auf die Schnittstelle dieser beiden Begriffsaspekte hat
schon Ludwig Erhard 1957 verwiesen.
zur sozialen Existenzsicherung und Altersvorsorge vieler Menschen beitrug. Im Kontext dieser Studie wird aber von einem
nachstehend beschriebenen, wesentlich
weiteren Verständnis von Wohlfahrt ausgegangen.
(2) Dann existiert der wissenschaftliche Kontext, in dem Wohlfahrt den Gesamtnutzen
eines Individuums oder der Gesellschaft
beschreibt, letzteres als Aggregation der
jeweiligen Nutzenfunktionen der Individuen5 – wobei schon Kenneth Arrow gezeigt hat, dass es im Grunde unmöglich ist,
unterschiedliche Nutzenfunktionen von
Individuen zu einer gesamtgesellschaftlichen Nutzenfunktion sinnvoll zusammenzufassen.6 Zwischen den Begriffsfeldern
(1) und (2) gibt es eine Schnittmenge
dann, wenn Wohlfahrt fokussiert als Befriedigung der Grundbedürfnisse von
Menschen verstanden wird.
(3) Schließlich gibt es einen Kontext, in dem
der Begriff als umfassende Bezeichnung
für Wohlergehen verwendet wird, der neben materiellen auch immaterielle Komponenten enthält. Bereits die Definition
der Weltgesundheitsorganisation setzt sich
dabei vom BIP-Verständnis ab. Wohlergehen wird hier indessen noch primär auf
der personalen Ebene verstanden als „…
die subjektive Wahrnehmung einer Person
in ihrer Stellung im Leben, in Relation zur
Kultur und den Wertesystemen, in denen
Zur Begründung des Konzepts der Wohlfahrtsfunktion
vgl. Bergson 1938.
5
Vgl. Campbell & Kelly 2002; interessanterweise hat sich
Arrow in jüngster Zeit mit einem stark formalisierten Vorschlag zur Messung von Nachhaltigkeit und Wohlstand zu
Wort gemeldet, siehe Arrow/Dasgupta/ Goulder/Mumford/Oleson 2010.
6
7 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
sie lebt, in Bezug auf ihre Ziele, Erwartungen, Standards und Anliegen“ (WHO 1995).
Auf der Ebene der Gesamtgesellschaft hilft
dieses Begriffsverständnis jedoch ebenfalls nicht weiter, da es bei gesellschaftlicher Wohlfahrt nicht allein um die Mikroebene („Well-being“) sondern um die
Makroebene („Welfare“) geht, im Sinne
des Wohlergehens eines Landes.
Insofern würde der Begriff der Wohlfahrt also
verstanden als Gesamtheit der materiellen und
der immateriellen Komponenten von „Wohlstand“ und „Wohlergehen“.
Dieses Verständnis beinhaltet sicherlich das
ökonomische Kapital, aber es geht eben auch
darüber hinaus und bezieht das „Naturkapital“ und das „soziale Kapital“ als Bestandteile
gesellschaftlicher Wohlfahrt mit ein. Damit gemeint sind die Qualität und die Größe von Ökosystemen, etwa Wald- oder Gewässerökosysteme, auch die biologische Vielfalt etc.
Genaugenommen müssten neben den jährlichen Stromgrößen somit auch Bestandsgrößen berücksichtigt werden. Dieses stellt indessen eine Zukunftsaufgabe dar, weil
das Naturkapital eines Landes und auch teilweise das Sozialkapital in absoluten Größen bislang schwer erfasst
7
Mit sozialem Kapital lassen sich unter anderem
persönliche Fähigkeiten, Bildung, sozialer Zusammenhalt und Engagement umschreiben
(siehe u.a. Zieschank/Diefenbacher 2010).
Wohlfahrt resultiert dann zum einen aus den
Nutzenströmen, die einer Gesellschaft in einer
bestimmten Periode aus den so umfassend betrachteten Kapitalarten zufließen, zum anderen aber aus der Erhaltung ihrer Kapitalbestände.7
Insofern würde es sich von der begrifflichen
Seite her anbieten, in dieser Studie auch den
Begriff der Wohlfahrt im Zusammenhang mit
einem alternativen Jahreswirtschaftsbericht zu
verwenden. Aus Gründen der sprachlichen Akzeptanz und öffentlichen Resonanz orientiert
sich die Erstellung eines alternativen Jahreswirtschaftsberichtes gemäß der Vorgabe des
Auftraggebers am Begriff „Jahreswohlstandsbericht“, wobei der Wohlstandsbegriff hier
(gleichfalls) in einem inhaltlich weiter reichenden Sinne der Einbeziehung von materiellen und immateriellen Komponenten zu verstehen ist.
werden kann (und solche Ökonomisierungsversuche auch
aus ethischen und politischen Gründen nicht unproblematisch sind). Zu einem interessanten Ansatz siehe die
Statistikbehörde in Großbritannien: ONS 2015.
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 8
2.2 ZUM KONZEPTIONELLEN RAHMEN DES JAHRESWOHLSTANDSBERICHTS
2.2.1
Grundannahmen
Auf den ersten Blick könnte es naheliegen, an
dieser Stelle nun direkt die einzelnen Indikatoren des Berichts für 2017 darzustellen. Es ist
aber erforderlich, hier zunächst den Gesamtkontext näher darzustellen. Wenn – was bei
den meisten Indikatoren der Fall ist – auf vorhandene Indikatoren zurückgegriffen wird,
bedeutet das, dass je nach Interesse und Hintergrund eines Nutzers der betreffende bisherige Kontext mitschwingt, mehr oder weniger
stark.
Somit bietet es sich an, zuerst die eigene Konzeption etwas näher vorzustellen und transparent zu machen; sie bildet den Rahmen oder
Interpretationsraum für die verwendeten
Kenngrößen. Erst vor diesem Hintergrund lassen sich die Aussagen der acht Kernindikatoren
einordnen und interpretieren.
Ausgangspunkt ist die Intention, dem traditionellen ökonomischen Modell ein realistischeres Modell gegenüber zu stellen: Denn bislang
wird das Wirtschaftswachstum häufig als
Grundlage nicht nur für Wohlstand angesehen,
sondern ebenso für Umverteilung, soziale Sicherung, Schuldendienst, Behebung von Umweltschäden, Rentenzahlungen oder Investitionen.
Hier würde zum ersten akzeptiert, dass Wirtschaftswachstum in Europa – gemessen an der
Rate des preisbereinigten BIP-Wachstums pro
Kopf – gegenwärtig hauptsächlich von staatlichen Anschubprogrammen sowie einem vergleichsweise niedrigen Ölpreis getrieben wird;
begleitet von unterstützenden Folgewirkungen, welche auf Maßnahmen der Europäischen
Zentralbank zurückgehen und historisch einzigartige Liquiditätsströme in Umlauf bringen.
Zum zweiten wird die These zugrunde gelegt,
dass das traditionelle wachstumszentrierte
Modell gesellschaftliche Wohlfahrt teilweise
untergräbt und somit faktisch einen illusionären Wohlstand signalisiert, weil wesentliche
Komponenten für gesellschaftliche Wohlfahrt
in den Bilanzierungen ignoriert werden, nämlich die Entwicklung von Human- und Sozialkapital sowie Naturkapital.
Diese Grundannahmen sollen im Folgenden
vertieft und ausgeführt werden. Auf den ersten
Blick könnte der Eindruck entstehen, als seien
solche Überlegungen eher von theoretischer
Bedeutung; dahinter steht aber die Überzeugung und auch die Erfahrung, dass die Indikatoren im Jahreswohlstandsbericht aus einem
wissenschaftlich gestützten Konzept abgeleitet
und ausgewählt werden sollten.
Denn Indikatoren dienen (a) der Komplexitätsreduktion, (b) der empirischen und dauerhaften Verfolgung von Trends, welche ohne die
Indikatoren nicht wahrgenommen werden
könnten, und (c) der Kommunikation in die
Politik, die Medien und die Öffentlichkeit.
Diese wichtigen Funktionen implizieren zugleich, dass der Zusammenhang zwischen Indikator – der Messgröße – und Indikandum –
dem eigentlich interessierenden ökologischen
oder gesellschaftlichen Sachverhalt – bewusst
hergestellt und sinnvoll nachvollziehbar ist.
Häufig zeigt sich bei der Entwicklung von indikatorgestützten Berichten jedoch eine gewisse
Beliebigkeit, was die Einbeziehung von Indikatoren anbelangt. Sie resultiert teilweise aus
Unkenntnis geeigneter(er) Kenngrößen, relativ
zufällig zustandegekommenen Diskursen und
politisch oder interessensmäßig ausgehandelten Kompromissen. Dagegen ist in einer pluralistischen und demokratischen Gesellschaft
nicht prinzipiell etwas einzuwenden. Jedoch
besteht die Gefahr, dass die Methode des Sammelns, Auswählens und Aushandelns auch zu
einer ständig steigenden Anzahl immer neuer
Indikatorensets führen kann, welche sich gegenseitig relativieren (vgl. Zieschank 2007).
Oder es erfolgt ein permanenter, strittiger Dis-
9 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
kurs, der mangels konzeptioneller und „objektiverer“ Kriterien die Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten eines Indikatorenberichts als politisches Instrument schwächt.8
2.2.2 Ausgangspunkt: Das doppelte Versagen des Marktes
Im Zuge der Industrialisierung stellte sich zuerst die traditionelle, ursprüngliche Verteilungsfrage, wer an den hergestellten Gütern
sowie dem damit produzierten Gewinn partizipiert. Die Verteilungsfrage war hier vorrangig
und unmittelbar bezogen auf die gesellschaftlichen Fraktionen von Unternehmen und Arbeitnehmern, beziehungsweise von Kapital
und Gewerkschaften. In den sich anschließenden Phasen der Verteilungskämpfe fand, zumindest in Deutschland, eine Entwicklung
statt, welche mit den Sozialgesetzen von Bismarck begann und in deren Verlauf der Staat
als zusätzlicher Akteur auftrat. Im Ergebnis
übernahm der deutsche Staat sukzessive eine
immer wichtigere Rolle und entwickelte sich –
unterbrochen von der nationalsozialistischen
Herrschaft – weiter bis zum „Sozialstaat“ in einem ordoliberalen Rahmen. Zumindest vom
Prinzip her sind Probleme der sozialen Existenzsicherung, der sozialen Teilhabe, der (Um)Verteilung und somit der sozialen Gerechtigkeit als staatliche Aufgabe verstanden worden
– nicht zuletzt, um den sozialen Frieden als
eine wichtige Grundlage für die Wohlstandsentwicklung des Landes zu sichern.
Aus der Logik der Zielsetzung und dem Verständnis des Staates als einem Sozial- und
Im Sinne von Albert & Parker 1991, die beinahe zeitlos
konstatierten: „The most important problem in Indicator
development is the disagreement among experts.”
schließlich einem Wohlfahrtsstaat hat sich das
Spektrum staatlicher Regelungsbereiche wiederum nahezu zwangsläufig erweitert um die
Aufgabe der Erhaltung der Umwelt und um
eine Orientierung am Begriff der nachhaltigen
Entwicklung, welcher durch mehrere Leitlinien
ausdifferenziert wurde. In einer gewissermaßen zweiten Entwicklungsstufe des wechselseitigen Evolutionsprozesses zwischen „Markt“
und „Staat“ kamen zur genannten Herausforderung der sozialen Sicherung und der Verteilung des Reichtums zunehmend Probleme der
Sicherung von natürlichen Ressourcen (einschließlich Wasser), der Abwasser- und Abfallentsorgung sowie generell die Erhaltung
der Umweltqualität hinzu. Auch hier ging es
um eine Sicherung der Lebensqualität, von Gesundheit einerseits und der Erhaltung der Produktionsgrundlagen andererseits.9
Seit den ersten Diskussionen um ein „Marktversagen“10 ist immer wieder offensichtlich
geworden, dass der Umwelt- und Naturschutz
eine wichtige Aufgabe staatlicher Institutionen
geworden ist und weiter zu sein hat.
In den letzten Jahren konnte sich dabei die Erkenntnis durchsetzen, dass es nicht allein um
die Bewältigung der über ständig steigende
Produktions- und Konsumprozesse ausgelösten Probleme des Umweltverbrauchs und der
Umweltbelastung geht. Gerade vor dem Hintergrund eines übergreifenden, modernen
Wohlfahrtsverständnisses wird erkennbar,
dass man in die ökonomische Theorie und vor
allem in die wirtschaftliche Praxis auch das
Naturkapital einbeziehen muss,11 nämlich im
So Jänicke bereits 1979 in seiner Theorie des Staatsversagens.
8
10
Erstaunlich ist dennoch, dass die „soziale Frage“ und
die „Umweltfrage“ nicht zur selben Zeit Gegenstand gesellschaftlicher und politischer Konflikte und Kämpfe
wurden, zumal auch hier die Degradierung der natürlichen Umwelt die unteren Bevölkerungsschichten besonders traf: Während in Berlin auf der einen Seite hygienisch bedenkliche sowie umweltmäßig belastende Arbeitermilieus entstanden, wurden auf der anderen Seite
aufwändige Landschaftsgärten und Parks realisiert, zunehmend auch von Industriellenfamilien (illustrierend
und im Sinne einer Reaktion darauf sei auf Lennés Konzept von „Volkspark und Arkadien“ verwiesen).
Mit Naturkapital sind, wie dargelegt, nicht nur die biotischen und abiotischen, erneuerbaren und nicht-erneuerbaren Ressourcen gemeint, sondern auch die Bestände
an Ökosystemen, die Biodiversität, die Qualität von Naturräumen und Landschaften und insbesondere die hierin
begründeten Ökosystemdienstleistungen. Für Deutschland
ist Ende 2012 damit begonnen worden, eine nationale
TEEB-Studie durchzuführen. „Naturkapital Deutschland –
TEEB DE“ (2012-2016) wird vom Helmholtz-Zentrum für
Umweltforschung koordiniert und durch das Bundesamt
für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Bundesministeriums
für Umwelt, Naturschutz Bau und Reaktorsicherheit
(BMUB) gefördert. Inzwischen liegen Teilergebnisse vor,
siehe auch Hartje/Wüstemann/Bonn (2015).
9
11
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 10
Sinne einer wesentlichen Grundlage des gesellschaftlichen Wohlergehens und Fortschritts
(vgl. Zieschank & Diefenbacher 2010; Worldbank 2011 mit ihrem „Total Wealth“-Konzept;
SRU 2012; Worldbank 2014, Natural Capital
Committee 2015, Zieschank 2015, sowie auch
Barbier & Burges 2015). Wenn erneut der Staat
die einzige Institution ist, die eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung – zumindest im
Sinne eines Prozesses – übernehmen kann,
dann ist hier der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen eine wichtige Staatsaufgabe.
In Analogie zur Zielsetzung und dem Verständnis des Staates als einem Sozial- und Wohlfahrtsstaat lässt sich hier auf diesem Weg eine
zweite normative Aufgabe des Staates begründen. In Anlehnung an Marschall (1992) kann
nach der Entwicklung liberaler Grundrechte
(18. Jahrhundert), politischer Partizipationsrechte (19. Jahrhundert) und sozialer Rechte
(20. Jahrhundert) heute die Rechtsentwicklung
am Übergang zu einer neuen Rechtsform hin zu
ökologischen Grundrechten gesehen werden.12
Folgt man weiter den Überlegungen zur Staatszielbestimmung des Sachverständigenrates für
Umweltfragen (SRU 2012, S.23), so resultiert
aus Artikel 20a des Grundgesetzes eine Langzeitverantwortung für künftige Generationen,
unterstützt vom Vorsorgeprinzip der Umweltschutzpolitik und dem Nachhaltigkeitsprinzip,
wie es seit der Brundtland-Kommission 1987
verstanden wird (vgl. Steinberg bereits 1998,
im Detail: Appel 2005). Solchen Zielsetzungen
kommt deshalb eine wichtige Orientierungsfunktion für alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Akteure zu; sie sind inzwischen
Teil eines modernen Verständnisses von staatlicher Politik.
Als Fazit kann davon ausgegangen werden,
dass sich der moderne Wohlfahrtsstaat auf der
Regulierung und zumindest teilweisen Bewältigung ökologischer Risikolagen ebenso gründet, wie auf der Regulierung und zumindest
12
teilweisen Bewältigung sozialer Risikolagen.
Teilt man diese Erkenntnis, dann muss sich
auch ein gesellschaftliches Berichterstattungsund Monitoringsystem auf alle diese Dimensionen beziehen. Mit dem vorliegenden Jahreswohlstandsbericht soll auf diese Anforderung
im Rahmen der bestehenden Kapazitäten reagiert werden.
2.2.3 Eine notwendige Ergänzung zum Sozialstaat: Grüne Wirtschaft
Als Pendant zum Sozialstaat ist angesichts der
ökologischen Entwicklung und der immer
deutlicheren Folgen im ökonomischen Bereich
die Umgestaltung der bisherigen, an quantitativem Wachstum ausgerichteten Wirtschaft in
eine „Green Economy“ vorstellbar und erfolgversprechend. Zum Verständnis einer Green
Economy sei eine Definition von UNEP (2011)
angeführt:
“UNEP defines a green economy as
one that results in improved human
well-being and social equity, while
significantly reducing environmental
risks and ecological scarcities.
In a green economy, growth in income and employment should be
driven by public and private investments that reduce carbon emissions
and pollution, enhance energy and
resource efficiency, and prevent the
loss of biodiversity and ecosystem services.”
In einem Jahreswohlstandsbericht sollte daher
die Umstrukturierung der Wirtschaft in Richtung einer Green Economy als wichtiger Bereich zumindest aufgegriffen werden. Wie bei
den anderen Dimensionen geht es um eine
exemplarische, dennoch charakteristische Beschreibung mittels weniger Kernindikatoren.
Denkbar ist außerdem, zu diesem Themenfeld
ein Zusatzmodul zu entwickeln, das entweder
in kommenden Ausgaben des Jahreswohlstandsberichts ständig oder aber als Sonderschwerpunkt aufgenommen werden könnte.
Siehe auch Menke & Pollmann 2007; Philips & Düwell
2014, dort Kapitel 5: Ökologische Gerechtigkeit.
11 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
Bemerkenswert ist hier, dass sich eine wechselseitige Weiterentwicklung von Staat und
Wirtschaft abzeichnet, bei der nun aber ein
(neuer) Impuls von der staatlichen Seite ausgeht.13 Es ist wichtig, bei der Identifizierung
von geeigneten Indikatoren für eine Green
Economy als Teil eines Wohlstandsberichts in
Erinnerung zu behalten, dass der Transformationsprozess einer Wirtschaft in Richtung einer
Green Economy mitnichten nur ein ökonomischer, sondern vielmehr ein primär politischer
Prozess ist, zumindest in der Anfangsphase, bis
sich neue Märkte und innovative Nachfrageschwerpunkte herausgebildet haben.
Vergegenwärtigt man sich, dass die existierende Produktions- und Konsumweise bei einer Fortschreibung des modus vivendi an sich
selbst zu Grunde gegangen wäre, so erscheint
Umweltschutz in einem anderen Licht. Nur
durch anspruchsvolle Umweltgesetzgebung
und Förderung innovativer, Ressourcen sparender und umweltfreundlicher Technologien
konnte das Belastungsniveau soweit gesenkt
werden, dass an alten Industriestandorten
weiter produziert werden kann.14
Mit anspruchsvollen Umweltzielen ist in vielen
Staaten letztlich eine Modernisierung der Wirtschaft erfolgt, wie die Beispiele Deutschland
aber auch Südkorea zeigen. Umweltbezogene
Güter und Dienstleistungen, erneuerbare Energien und Ressourcen einsparende Strategien
sind nicht nur Charakteristika einer neu entstandenen Umweltindustrie, vielmehr durchdringt das Ressourcenmanagement langsam,
aber sicher die gesamte Wirtschaft.
Beispiel Energiewende und Strukturwandel im Energiesektor: Unternehmen, welche diesen nicht nachvollziehen, verlieren Marktanteile und büßen an Wettbewerbsfähigkeit ein, wie die bislang großen Versorgungsunternehmen in Deutschland.
13
Die gegenwärtigen Umweltbelastungen insbesondere in
Megastädten Asiens oder Lateinamerikas sowie von Flüssen und Seen etwa in China schlagen zunehmend auf die
wirtschaftlichen Produktionsbedingungen durch. In China
werden bis 2030 über 800 Tote je 1 Million Einwohner an
vorzeitigen Todesfällen aufgrund der Luftverschmutzung
durch Feinstaub erwartet (nach OECD 2011b).
14
Dieses „Mainstreaming“ im Sinne einer Integration von Umweltaspekten in das Wirtschafts- und Konsumsystem hat zu Effizienzgewinnen, neuen Arbeitsplätzen, Einkommen
sowie Wettbewerbs- und Exporterfolgen geführt.15
Von dieser Tendenz profitiert Deutschland somit nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch und sozial. Mit einer Umorientierung in
Richtung einer „Green Economy“ verbinden
einige Staaten zudem die Erwartung, ihrem
abschwächungsgefährdeten
Wirtschaftswachstum wieder auf die Beine zu helfen. Eine
Politik, die über lange Zeiträume als eine Gefährdung für Industriestandorte erachtet
wurde, trägt mehreren Untersuchungen zufolge à la longue zu einer Gesundung bei; zumindest würden die wirtschaftlichen Abschwächungstendenzen ohne den Ausbau einer Green Economy wesentlich deutlicher ausfallen (OECD 2011a, UNEP 2011, Jänicke 2011,
European Commission 2011).
Schließlich erfordern die – absolut gesehen –
zum Teil weiter steigenden Umweltbelastungen16 und die absehbaren Engpässe bei zentralen Ressourcen anhaltende Modernisierungsbestrebungen in den meisten industriell
entwickelten oder aufstrebenden Staaten. Bislang erfolgte global keine absolute Entkopplung von ökologischen Belastungen, die mit
dem wirtschaftlichen Wohlstand bis dato einhergehen.17 Man muss sich an dieser Stelle
vergegenwärtigen, dass selbst bei einem NullWachstum die mit den laufenden Produktionsund Konsumprozessen verbundenen Emissionen, Abfälle und Ressourcenverbräuche jedes
Jahr neu entstehen. Dieser Prozess wirkt häufig
Vgl. Jänicke/Zieschank 2011; Allianz Dresdner Economic
Research 2011; Gehrke/Schasse/Ostertag/ Nebenführ
/Leidmann 2014.
15
Ausführlicher hierzu u.a. Steffen/Richardson/Rockström
et al. 2015.
16
Weiterführend: Wiedmann et al. 2013, wo auf Seite 1
ausgeführt wird: ”Measured by the material footprint indicator, resource use has grown in parallel to GDP with no
signs of decoupling. This is true for the USA, UK, Japan,
EU27 and OECD.” Bestätigend auch hinsichtlich zusätzlicher Dimensionen der Umweltbelastung: Bradshaw, Giam
& Sodhi 2010 sowie Hertwich & Glen 2009.
17
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 12
kumulativ, da sich Biodiversitätsverluste oder
verbrauchte abiotische Ressourcen eben nicht
mehr regenerieren – jedenfalls nicht in für
menschliches Wirtschaften relevanten Zeiträumen.
Trotz aller Erfolge bei der Steigerung der Ressourceneffizienz sind in dieser Situation tiefgreifende Transformationsprozesse notwendig,
soll auch nur der ökologische Status quo aufrechterhalten werden.
Erkennbar ist, dass vor allem in Deutschland
sich Umweltpolitik in Richtung einer teilweise
erfolgreichen Wirtschaftspolitik entwickelt.18
Mit dem international seitens der OECD und
von UNEP verfolgten „Green Economy“-Leitbild
bestätigt sich nicht nur dieser Befund (exemplarisch Raingold 2011, Jaeger et al. 2011),
sondern er ist zugleich Ausgangspunkt für damit einhergehende neue Wandlungsprozesse
und Folgen für die sozialen Lebenswelten. 19
Der Wandel von einer umweltschutz- und naturschutzorientierten Politik zu einer ökonomischen Perspektive von Umweltpolitik, welche neue Märkte generiert, zum Strukturwandel beiträgt und teilweise neue wirtschaftliche
Wachstumsimpulse setzt, ist dabei noch nicht
der Endpunkt. Denn dieser Prozess erstreckt
sich auf immer weitere Akteursgruppen und
beschleunigt sich, wenn das Leitbild einer
nachhaltigen Entwicklung weiter verfolgt
wird.20 So wird beispielsweise unter dem Leitmotiv eines „nachhaltigen Konsums“ nun beinahe die gesamte Bevölkerung einbezogen oder zumindest tangiert (zum Wandel der Umweltpolitik siehe auch Zieschank 2016).
Beispielsweise hat das deutsche Umweltministerium
die vierte Version des Umwelttechnologie-Atlas für
Deutschland herausgegeben (BMUB 2014); siehe außerdem Umweltwirtschaftsbericht des BMU und UBA 2011.
18
Interessanterweise unterscheidet sich die Zielsetzung
der Ansätze, die sich der Theorie einer Postwachstumsökonomie zuordnen lassen, von diesem Ansatz kaum; in
der Grundsatzerklärung zum Programm der internationalen Degrowth Conference in Leipzig vom September 2014
heißt es: „By ‚degrowth‘ we understand a down-scaling
19
2.2.4 Fazit: Zentrale Bereiche des Jahreswohlstandsberichts 2017
Die Gesamtheit gesellschaftlicher Wohlfahrt
kann vor diesem Hintergrund nur dann sinnvoll beschrieben werden, wenn man die Dimensionen und Teilbereiche betrachtet, aus
der sich diese Gesamtheit zusammensetzt. Hier
sind verschiedene Perspektiven möglich, die
diese Teilbereiche in einen theoretisch fundierten Gesamtzusammenhang stellen:
(1)
Das erste Konzept: ein erweiterter Kapitalbegriff
Ein erstes Konzept geht vom Kapitalbegriff aus,
erweitert diesen jedoch deutlich.
Als Grundlage für den gesellschaftlichen Wohlstand wird bislang und in der Regel das verfügbare produktive Kapital einschließlich des
verfügbaren finanziellen Kapitals einer Volkswirtschaft gesehen.
Plakativ formuliert, signalisiert das BIP aufgrund seiner „sozialen Gleichgültigkeit“ einerseits und seiner „Naturvergessenheit“ andererseits einen Wohlstand, der sich im Lichte einer Orientierung an gesamtgesellschaftlicher
Wohlfahrt zunehmend als illusionär erweist.
Denn in der Regel wird ignoriert, dass das wirtschaftliche Wachstum sich massiv auf Vorleistungen aus dem sozialen System sowie dem
ökologischen System stützt, welche unentgeltlich in das Wirtschaftssystem einfließen (siehe
Abbildung 1). Der französische Ökonom P. Viveret (2003) hat hierfür den Begriff der „Geschenkströme“ geprägt. Wohlfahrt kann deshalb nur dann sinnvoll beschrieben werden,
of production and consumption in the industrialized states that increases human well-being and enhances ecological conditions and equality on the planet. We want a
society in which humans live within their ecological limits, with open, connected and localized economies. A
society in which resources are more equally distributed.“
Siehe hierzu die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung und den Fortschrittsbericht 2012 sowie die Neuauflage 2016, welche nun im Januar 2017 erschienen ist
(ausführlich: Bundesregierung 2017).
20
13 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
wenn man die Dimensionen und Teilbereiche
betrachtet, aus denen sie sich zusammensetzt:
Zwar ist anerkannt, dass Faktoren wie eine
gute Bildung, berufliche Flexibilität, soziale Sicherheit und Motivation unerlässlich für die
Wirtschaft und für den Arbeitsmarkt sind, jedoch wird das hier eigentlich angesprochene
Potenzial an persönlichen Fähigkeiten und sozialer Stabilität selbst nicht als Teil gesellschaftlicher Wohlfahrt gesehen. In einem
Wohlfahrtskonzept moderner Prägung sind
dies jedoch gleichfalls „Assets“, im Sinne persönlicher wie sozialer Faktoren und Potenziale,
die einen wesentlichen Bestandteil des materiellen Wohlstands und auch immaterieller
Wohlfahrt ausmachen.
Abb. 1: Komponenten gesellschaftlicher Wohlfahrt (Zieschank 2013, eigene Darstellung )
Gleiches gilt für die Natur, insbesondere für die
Qualität von Ökosystemen, die von relativ naturnahen Schutzgebieten über stark genutzte
Agrarökosysteme bis hin zu urbanen Ökosystemen reichen. Außer, dass diese sicherlich auch
einen „Wert an sich“ darstellen und nicht a
priori unter einem utilitaristischen Blickwinkel
betrachtet werden dürfen, sind relativ intakte
Ökosysteme Voraussetzung für die „Ökosystemdienstleitungen“, also Funktionen, welche
Verwiesen sei hier beispielsweise auf die deutsche
Landschaftsmalerei, das Gefühl heimatlicher Identität
21
diese Systeme für den Menschen erfüllen und
die von unmittelbarer Lebenserhaltung bis zu
geistigen, emotionalen und spirituellen Möglichkeiten reichen.21
Der Kapitalbegriff ist insofern primär aus pragmatischen Gründen gewählt, um im Kontext
einer vorherrschenden ökonomischen Sichtweise in vielen Staaten den Blick auf weitere
Kapitalelemente lenken zu können, welche
faktisch den wirtschaftlichen Wohlstand subventionieren, da sie als „externe Faktoren“
nicht bilanziert und damit auch nicht vergütet
werden. Genau genommen handelt es sich eigentlich eher um Humanpotenzial und Naturpotenzial.
Berücksichtigt
man
diese
grundlegenden
„Kapitalbereiche“ in einem Jahreswohlstandsbericht zumindest konzeptionell, so kann
wirtschaftliche Entwicklung und wirtschaftliches Wachstum immer
nur vor dem Hintergrund einer Erhaltung
und möglichst sogar
Förderung von Human-,
Sozial- und Naturkapital verstanden werden
(vgl. Abbildung 1). Es sollte dann sinnvollerweise um ein qualitatives Wachstum gehen,
bei
gleichzeitigem
Strukturwandel
mit
schrumpfenden und florierenden Sektoren,
mit dem Ziel, die ökologischen und sozialen
Begleit- und Folgekosten zu senken sowie insgesamt die gesellschaftliche Wohlfahrt zu erhöhen.
und der vielfältigen Bedeutung von Kulturlandschaft, bis
hin zum Weltkulturerbe im Sinne der UNESCO.
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 14
(2)
Zusätzliche
Berücksichtigung
„intangiblen Kapitals“
des
Überlegt wurde, ob über die soeben genannten
grundlegenden Kapitalvarianten hinaus in einem Jahreswohlstandsbericht auch der
„Reichtum“ einer Gesellschaft angesprochen
werden soll, welcher sich auf ein funktionierendes Staatswesen, rechtlich verankerte demokratische Prozesse und andere institutionelle Errungenschaften stützt, wie die Gewährleistung gesellschaftlicher Teilhabe und
Partizipation.
Ein Stichwort ist in diesem Zusammenhang das
so genannte „intangible Kapital“, dem beispielsweise die Weltbank in ihren Länderstudien eine große Bedeutung beimisst: Es wird
mehrfach konstatiert, dass diese Form des
Wohlstands letztlich ausschlaggebender ist als
der natürliche Reichtum bzw. die natürlichen
Ressourcen eines Landes oder das Bildungsniveau oder andere Handlungskapazitäten, welche jedoch ohne demokratischen Rahmen eher
in Korruption, Elitenbildung und soziale Ungleichheit münden würden. Es erscheint
durchaus zielführend, dieses umfassende Verständnis mit in die konzeptionelle Fundierung
des Jahreswohlstandsberichtes einzubeziehen
(vgl. auch das „Total Wealth-Konzept“ der
Weltbank, 2011).
22
Das Spektrum möglicher relevanter Bereiche,
die per Indikatoren erfasst werden müssten, ist
jedoch gleichzeitig außerordentlich groß –
hinzu kommt die unübersichtliche Zahl an Indikatoren aus verschiedenen Disziplinen, welche sich auf politische und institutionelle Aspekte einer Gesellschaft beziehen. Als mögliche Anknüpfungspunkte bieten sich zwei
Schwerpunkte an: erstens die Einbeziehung
des „Good Governance“-Diskurses und die
Auswertung entsprechender Indikatorenansätze.
Zweitens sollte die Entwicklung um die
„Sustainable Development Goals“ (United Nations 2015) verfolgt werden, da sich hier eine
zukünftig intensivere Diskussion auch in
Deutschland abzeichnet, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der laufenden Überarbeitung der bundesdeutschen Nachhaltigkeitsindikatoren sowie fallweise einzelner, zugehöriger Ziele. So thematisieren die Schwerpunkte
“Justice“ und “Prosperity” mit entsprechenden Unterzielen22 ebenfalls Aspekte eines
Wohlstandsberichts, welcher auch die gesellschaftliche Dimension exemplarisch aufgreifen
möchte. Indessen ist die Indikatorenentwicklung auch hier noch in der Anfangsphase, die
internationale Ausarbeitung und Abstimmung
von Indikatoren zu den SDGs und deren 169
Unterziele ist keine leichte Aufgabe.
Siehe https://sustainabledevelopment.un.org/sdgsproposal
15 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
3.
AKTUELLE BERICHTSFORMEN IN DEUTSCHLAND
In den folgenden Abschnitten sollen einige
Aktivitäten der alternativen Berichterstattung,
die in den letzten Jahren in der Bundesrepublik Deutschland eine Rolle gespielt haben,
kurz vorgestellt und in ihrer Bedeutung umrissen werden.
3.1 AKTIVITÄTEN DER BUNDESREGIERUNG JENSEITS DER
TRADITIONELLEN WIRTSCHAFTSBERICHTERSTATTUNG
In den letzten Jahren haben sich in Deutschland eine Reihe von Aktivitäten zur gesellschaftlichen Berichterstattung auch von Seiten
der Regierung und unter Beteiligung der amtlichen Statistik insbesondere im Bereich der
Umwelt- und Sozialberichterstattung entwickelt, die weit über die Volkswirtschaftliche
Gesamtrechnung und über die Wirtschaftsberichterstattung hinausgehen.
Drei dieser Berichterstattungssysteme sollen
hier exemplarisch erwähnt werden:
•
•
•
die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung,
die Armuts- und Reichtumsberichte
sowie
der regierungsoffizielle Diskurs zum
Thema „Gut leben“.
Im Jahr 2002 wurde in der Bundesrepublik
erstmals eine Nachhaltigkeitsstrategie erarbeitet, in der damals unter der werbewirksamen
Überschrift „21 Indikatoren für das 21. Jahrhundert“ auch ein Indikatorensystem zur
Nachhaltigkeitsberichterstattung präsentiert
wurde. Die Nachhaltigkeitsstrategie wurde bislang alle vier Jahre überarbeitet. 2016 ist die
umfassendste Revision des Berichts seit der
ersten Ausgabe erfolgt: Die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie und das begleitende Messund Monitoringsystem sind gemäß der 17
Sustainable Development Goals umstrukturiert
worden (SDG, vgl. United Nations 2015; wobei
hier noch 169 Unterziele benannt werden).
Dazu ist im Sommer 2016 ein erster Entwurf
vorgelegt worden, zu dem ein öffentlicher Beteiligungsprozess bis Ende Oktober 2016 organisiert wurde, in dessen Rahmen viele Stellungnahmen zivilgesellschaftlicher Akteure
eingegangen sind. Außerdem fand eine Anhörung zum Entwurf im Bundeskanzleramt statt.
Die Endfassung der Strategie ist Anfang 2017
erstellt worden; sie enthält einen Indikatorensatz von 63 Indikatoren (Bundesregierung
2017).
Der Indikatorenbericht, der mit der Nachhaltigkeitsstrategie korrespondiert, wird vom Statistischen Bundesamt betreut und ist bislang
alle zwei Jahre – zuletzt 2014 und 2016 – neu
herausgegeben worden. In der Fassung von
2014 enthielt dieser Bericht noch 38 Indikatoren, die 21 Themen zugeordnet waren und die
in der Regel Qualitätsziele für ein bestimmtes
Jahr in der Zukunft enthielten (Statistisches
Bundesamt 2014a). Inzwischen sind es 63 Indikatoren, welche schwerpunktmäßig Nachhaltigkeitspostulate der Agenda 2030 aufgreifen und damit eigene Indikatoren ausgewählten SDGs zuordnen. Der Abstand des Ist-Zustandes zum Soll-Wert wurde – in Verbindung
mit der Entwicklungstendenz – in einem Wettersymbol von Sonne über Wolken und Regen
bis zum Gewitter – bewertet und somit Prioritäten für Handlungsfelder zum Ausdruck gebracht (für eine Übersicht siehe den Abschnitt
über Indikatoren und Ziele ab S. 34 ff. in Bundesregierung 2017).
Der Deutsche Bundestag hat in den Jahren
2000 und 2001 beschlossen, dass die Bundesregierung regelmäßig einen Armuts- und
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 16
Reichtumsbericht vorlegen soll. Mit diesem Bericht sollen auch politische Maßnahmen evaluiert und auf dieser Analyse neue Politikvorschläge vorgelegt werden können. Seit der Beschlussfassung sind vier Berichte erschienen,
der fünfte soll voraussichtlich im Frühjahr
2017 vom Bundesministerium für Arbeit und
Soziales vorgelegt werden. Im Kern bauen die
Berichte derzeit auf einem System von 30 Indikatoren auf, deren Daten frei über die Seite
des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales verfügbar sind. Die Bereiche Armut und
Reichtum werden hier zum Teil getrennt in Indikatoren angesprochen, zum Teil aber auch
über die Verbindung der Segmente insgesamt
gesellschaftliche Kenngrößen adressiert (vgl.
Bundesministerium für Arbeit und Soziales
2013). Querbezüge zu ökologischen Fragen
werden durch die Erfassung der Belastung bestimmter Einkommensgruppen durch Lärm und
Luftverschmutzung thematisiert.
Schließlich hat das Bundeskanzleramt von April bis Oktober 2015 in über 200 Veranstaltungen einen Dialog über das Verständnis von Lebensqualität unter dem Titel „Gut leben in
Deutschland“ geführt; an vielen Veranstaltungen haben die Bundeskanzlerin oder Bundesministerinnen und Bundesminister teilgenommen (vgl. Bundesregierung 2015). Ergänzend
ist eine Online-Befragung als partizipativer
und interaktiver Prozess vorgenommen worden. Seitens der Bürgerinnen und Bürger
konnten Stellungnahmen zu zwei Bereichen
eingebracht werden: zum einen, was ihnen
persönlich wichtig im Leben ist, und zum anderen, was ihrer Meinung nach die Lebensqualität in Deutschland ausmacht. Die Antworten der Bürgerinnen und Bürger sind inzwischen ausgewertet worden; im Herbst 2016 ist
neben einem ausführlichen Regierungsbericht
(siehe Bundesregierung 2016) auch ein Indikatorenkonzept für die Erfassung des „Guten
Lebens“ ausgearbeitet worden. Bemerkenswert ist hier die Hinwendung zur subjektiven
Seite der gesellschaftlichen Entwicklung, in
Analogie zu Überlegungen etwa in Frankreich,
wo gleichfalls eine Diskrepanz zwischen wirtschaftlichen Kennziffern („les chiffres“) und
der Lebenswirklichkeit eines großen Teils der
Bevölkerung konstatiert wurde. Auch dürften
diese Aktivitäten vor dem Hintergrund der
OECD-Initiative zu einem „Better life“-Index
und als spezifische Weiterentwicklung der Arbeit der Enquête-Kommission „Wachstum,
Wohlstand, Lebensqualität“ zu verstehen sein.
Unklar ist zurzeit, welchen Stellenwert das
oben erwähnte und seitens der Bundesregierung geplante Berichtsinstrument einnehmen
soll, beispielsweise gegenüber dem bestehenden Set der Indikatoren der bundesdeutschen
Nachhaltigkeitsstrategie. Auf diese Frage wird
weiter unten nochmals im Abschnitt 4.6 über
subjektive Indikatoren und „Zufriedenheit“
zurückzukommen sein.
Dass es problematisch sein kann, von objektiven („harten“) Indikatoren auf subjektive
(„weiche“) Indikatoren in der Betrachtungsperspektive zu wechseln, zeigen unter anderem Erfahrungen aus Großbritannien. Bereits
2009 legte die durchaus kritisch ausgerichtete
New Economic Foundation (nef) ein Indikatorensystem vor, welches sich stärker auf die
Ebene des persönlichen Wohlbefindens (wellbeing) konzentrierte, anstelle das bislang vorherrschenden Denken in makro-ökonomischen Kennziffern zum Wachstum und der Produktivitätssteigerung weiter zu entwickeln. Erkennbar gab es hier aber so gut wie keine
Überschneidungen mit einer nachhaltigkeitsorientierten oder alternativen Wohlstandsberichterstattung (vgl. nef 2009, S. 20).
Die hier nur exemplarisch benannten Berichte
der Bundesregierung sollen zeigen, dass die
offizielle Berichterstattung bereits beträchtlich
über eine rein ökonomische Sicht, wie sie im
Jahreswirtschaftsbericht zum Ausdruck kommt,
hinausgeht. Allerdings stehen diese Berichtssparten weitgehend unverbunden nebeneinander. Sinnvoll wäre zumindest eine gewisse
Verknüpfung, die die Chance eröffnen würde,
die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland
weniger ressortzentriert darzustellen und
Querbezüge zu anderen gesellschaftlichen Bereichen von vornherein sichtbar zu machen.
17 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
3.2 DER JAHRESWIRTSCHAFTSBERICHT DES BUNDESMINISTERIUMS FÜR
WIRTSCHAFT UND ENERGIE 23
Bei einer regierungsoffiziellen Interpretation
des Wirtschaftsgeschehens ist der Jahreswirtschaftsbericht traditionell eine der wichtigsten
Veröffentlichungen im Jahr, um die eigene
Sichtweise und die Verortung des erreichten
Standes darzulegen: Dies spiegelt die Interpretation der Geschehnisse wider als auch die
Projektionen der Entwicklungen im nächsten
Jahr sowie die angekündigten politischen Programme, Maßnahmen und Vorschläge.
Der Jahreswirtschaftsbericht 2016 trug den
Untertitel „Zukunftsfähigkeit sichern – die
Chancen des digitalen Wandels nutzen“.24
Zumindest der erste Teil des Untertitels erweckte die Hoffnung, das BMWE könnte sich
auf eine Definition des Begriffs „Zukunftsfähigkeit“ verständigt haben, welche von der
Notwendigkeit einer Transformation der Wirtschaft ausgeht – die ja die planetaren ökologischen Grenzen einhalten müsste, damit zukünftige Generationen auf der Erde auch noch
die Chance haben, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und eine lebenswerte Umwelt vorfinden.
Eine solche Perspektive war jedoch weder im
Geleitwort von Minister Sigmar Gabriel (BMWE
2016, S. 5) noch in der Zusammenfassung des
Jahreswirtschaftsberichts zu erkennen, obwohl
dort der Energiewende und den nationalen
Klimaschutzzielen eine hohe Priorität eingeräumt wird (BMWE 2016, Rz. 32 – 39). Im Vordergrund standen hier jedoch eindeutig Strategien zur Steigerung der Energieeffizienz und
– an anderer Stelle – der Ressourceneffizienz,
die sich in die Wachstumsorientierung der
Wirtschaftspolitik nahtlos einordnen lassen.
23
Deutschland, so der erste Satz der Zusammenfassung, befinde sich „auf einem soliden
Wachstumskurs“ (BMWE 2016, Rz. 1, Rz. 251)
– und die Beibehaltung dieses Kurses erscheint
als das wichtigste Ziel, dem die einzelnen Felder der Wirtschaftspolitik zuarbeiten sollen.
Digitalisierung stand deswegen im Vordergrund, weil das Wirtschaftsministerium hier
eine Schlüsselrolle für nachhaltiges Wachstum
erkannte – wobei der Begriff „nachhaltig“ hier
primär im Sinne von „dauerhaft“ verwendet
wurde. Der Erreichung dieses Ziels wurde offenkundig auch der Ordnungsrahmen der Sozialen Marktwirtschaft untergeordnet (BMWE
2016, Rz. 1); wachstumsorientiert war auch
das Oberziel der Finanzpolitik (BMWE 2016, Rz.
18). Wirtschaftswachstum, so das unveränderte Credo des BMWE (Rz. 86) erschien als
„wichtige Voraussetzung zur Bewältigung bestehender Herausforderungen“.
Eine im vergangenen Jahr stattgefundene
Überprüfung des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes von 1967 hat die Bundesregierung in
Übereinstimmung mit dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung dazu bewogen, von einer
Reform des Gesetzes weiterhin abzusehen
(BMWE 2016, Rz. 247), obwohl das Gesetz
„aufgrund seiner Ausrichtung auf die kurzfristige konjunkturpolitische Stabilisierung keinen
geeigneten Rahmen bietet, um Ziele und Instrumente einer – notwendigerweise stärker
längerfristig ausgerichteten – Wohlfahrtsbetrachtung abzubilden (BMWE 2016, Rz. 248).
Konstruktive Vorschläge für eine Neuausrichtung des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes
Dieser Abschnitt wird nach Vorlage des neuen Jahreswirtschaftsberichts 2017 ergänzt.
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Hrsg.) (2016): Jahreswirtschaftsbericht 2016: Zukunftsfähigkeit sichern –
die Chancen des digitalen Wandels nutzen. Berlin: BMWE. URL: https://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/J-L/jahreswirtschaftsbericht-2016,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf
24
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 18
sind seit längerer Zeit in der Diskussion, so
etwa von Dullien & Treeck (2012).
Kaum nachvollziehbar erscheint insofern die
im Jahreswirtschaftsbericht 2016 vertretene
Auffassung, dass eine traditionelle Wachstumsstrategie sich für die kurzfristige konjunkturpolitische Stabilisierung eigne und nicht im
Widerspruch zu einer längerfristigen Wohlstandsorientierung der Politik stünde (BMWE
2016, Rz. 248). Für letztere sah das BMWE als
Berichterstattungsinstrument die Indikatorenberichte der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie sowie das Indikatoren- und Berichtssystem
der Regierungsstrategie „Gut Leben in
Deutschland – was uns wichtig ist“. Aber die
Erwähnung dieser beiden Berichterstattungssysteme stand nicht von ungefähr ganz am
Ende des ersten Teils des Jahreswirtschaftsberichtes; der Text der Ziffern 249 und 250 umfasste nicht mehr als eine Drittel Seite und
wirkte als Anhängsel. Und selbst bei der Erwähnung der Nachhaltigkeitsstrategie wurde
das Effizienzziel und nicht etwa das Ziel der Erhaltung des Naturkapitals in den Mittelpunkt
gerückt.
Der Jahreswirtschaftsbericht 2016 war damit
weit entfernt von einer integrativeren Sichtweise, in der das Konzept einer wirklichen Zukunftsfähigkeit, der Transformation der Ökonomie innerhalb planetarer ökologischer
Grenzen und die Förderung des Sozialkapitals
einen wichtigen Stellenwert einnehmen
würde.
Eine Brücke zu den Diskussionslinien des Jahreswohlstandsberichts 2016 eröffnete sich
aber zumindest durch die Rezeption einiger
Aspekte. So wurde inzwischen im Bericht ein
Spannungsfeld erkannt, dem die Wirtschaftsund Finanzpolitik Rechnung tragen soll, da
Zielkonflikte zwischen der Höhe des Wirtschaftswachstums und anderen politischen
Zielen entstehen können, etwa zu einer gerechten
Einkommensverteilung.
Insofern
stünde Im Vordergrund wirtschaftspolitischer
Entscheidungen nicht die bedingungslose Steigerung der Wachstumsrate. Vielmehr hätte die
Bundesregierung auch die Qualität des Wachstumsprozesses stets im Blick (Rz 87), etwa im
Hinblick auf die fiskalische Nachhaltigkeit oder
die Verteilung zusätzlicher Einkommen, Investitionen in die Bildung und die Qualität der Arbeit sowie generell die Lebensqualität in
Deutschland (siehe S. 61ff).
Zwar befasste sich das Wirtschaftsministerium
(noch) nicht selbst mit einem entsprechenden
Indikatorensystem, dessen Sinnhaftigkeit
wurde aber als solche nicht bestritten: Um eine
ausgewogene Wirtschaftspolitik zu unterstützen, können dem Ministerium zufolge Indikatoren und empirische Analysen ergänzend zur
traditionellen Wohlstandsmessung das Augenmerk auch auf Aspekte der Qualität wirtschaftlichen Wachstums richten, zumal die Bundesregierung wie der Sachverständigenrat einen
breiten öffentlichen Diskurs über Fragen der
sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten für
relevant hielt.
Unter Rz 248 wurde Bezug zum Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung genommen und dessen Vorschlag für folgenden Prozess aufgegriffen: „So könnte ein auf die ganzheitliche
Wohlfahrtsbetrachtung ausgerichtetes Indikatorensystem einmal pro Legislaturperiode von
einem unabhängigen und sachverständigen
Gremium wissenschaftlich begutachtet werden. Dabei sieht der Rat gute Aussichten, dass
ein solcher Indikatorenbericht zu einem gesellschaftlich breit akzeptierten Diskursinstrument werden kann (vgl. JG Tz 574 ff.)“.
Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, für
die weitere Entwicklung des Jahreswohlstandsberichts auch Gespräche mit Vertretern
des Wirtschaftsministeriums zu führen.
19 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
3.3. ZUR KRITIK AM BIP – DER NATIONALE WOHLFAHRTSINDEX
Die Kritik von wissenschaftlicher Seite am Stellenwert des Bruttoinlandsprodukts als zentraler Kennziffer in Wirtschaft und Politik ist
gleichfalls umfassend und trägt inzwischen zu
einer veränderten Meinungsbildung in Teilen
der Medien, der Politik und der Öffentlichkeit
bei. Die wesentlichen Kritikpunkte sind im
Prinzip seit längerem bekannt: 25
-
Der Abbau von Ressourcen und der Verbrauch von Naturkapital sind im BIP
nicht berücksichtigt. Während auf Unternehmensebene der Rückgang beispielsweise von eigenen Bodenschätzen
den Gewinnen gegenübergestellt wird
und Abschreibungen erfolgen, nehmen
die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen dies nicht vor.
-
Umweltschäden können mit Reparaturmaßnahmen teilweise beseitigt oder
abgemildert werden. Diese Kosten erscheinen dann im BIP als Steigerung,
obwohl sie im Grunde nur den Status
quo wiederherstellen, der vor der Umweltschädigung existierte. Dieser Teil
des Wachstums muss jedoch eher als
Ausdruck von defensiven Kosten und
Kompensationen bezeichnet werden,
jedenfalls trägt er nicht zu einer Wohlstandssteigerung bei.
-
Wirtschaftliche Aktivitäten führen häufig
zu immateriellen Schäden in der Natur,
etwa zur Umwandlung und Veränderung
ökologisch wertvoller Flächen, einer Zerschneidung von intakten Habitaten oder
einer deutlichen Minderung der Ästhetik
des Landschaftsbildes.26 Eine Verödung
von Landschaften und ökologischen Lebensräumen muss nicht unmittelbar in
ökonomischen Folgekosten münden,
Für eine Übersicht siehe Diefenbacher/Zieschank/Rodenhäuser 2010 sowie 2012, in verdichteter Form
Zieschank & Diefenbacher 2009. Weithin zur Akzeptanz
einer neuen Wirtschaftsberichterstattung beigetragen hat
die „Stiglitz-Kommission“ 2009. Zur Vertiefung der BIP-
25
senkt aber die Lebensqualität von Menschen mitunter deutlich. Diese Prozesse
können vermutlich nicht angemessen in
nationale Wirtschaftsberichte einbezogen werden, dennoch entstehen faktisch Wohlfahrtsverluste, weit entfernt
von BIP-Kategorien.
-
Dagegen kann die Vermeidung von
Schäden und Folgekosten in der Zukunft,
etwa durch Unterlassen bestimmter
wirtschaftlicher Aktivitäten heute, zu einer Verringerung des BIP führen. Die
langfristigen positiven Folgen derartiger
Unterlassungen werden in der herkömmlichen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht abgebildet. Daher
kann ökologisches Wirtschaften, insbesondere dann, wenn Suffizienzstrategien mit einbezogen werden, in einer
herkömmlichen Wohlstandsbetrachtung
systematisch zu niedrig bewertet werden.
-
Die Verteilung der Einkommen werden
im BIP nicht beachtet; einem bestimmten BIP sieht man nicht an, ob es der Bevölkerung in etwa gleicher Weise zur
Verfügung steht oder ob Zuwächse nur
einem sehr kleinen Teil an Kapitaleignern zu Gute kommen. Wenn das BIP als
Wohlfahrtsmaß verwendet wird, steht
dies im Grunde sogar im Widerspruch zur
klassischen Wohlfahrtsökonomie, denn
der Wohlfahrtszuwachs eines Euros ist in
der Regel für jemanden mit geringem
Einkommen deutlich größer als für jemanden mit beträchtlich höherem Einkommen.
-
Da sich das BIP auf die über den Markt
vermittelte Wertschöpfung konzentriert,
gibt es bedeutende Aktivitäten zur
Kritik siehe insbesondere: van den Bergh 2010; Fioramonti 2013; Costanza et al. 2014; Lepenies 2016.
Teilweise gilt diese Kritik nun auch für Aspekte einer
„Green Economy“, denkt man an Windkraftanlagen und
„Energielandschaften“.
26
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 20
Wohlfahrtssteigerung, die hier unberücksichtigt bleiben: vor allem Hausarbeit, aber auch alle ehrenamtlichen Aktivitäten. Diese müssten in einer Wohlfahrtsrechnung mit betrachtet werden.
Das BIP selbst – essentieller Bestandteil des
jährlichen Wirtschaftsberichtes in Deutschland
– sollte in einem alternativen Jahreswohlstandsbericht keine ähnlich tragende Säule
sein, sondern nur als Vergleich zu einem Index
herangezogen werden, der die gesellschaftliche Wohlfahrt angemessener abbildet. Auf
diese Weise lässt sich der Unterschied zwischen
einem Maß für die über den Markt vermittelte
wirtschaftliche Wertschöpfung – dem BIP –
und der gesellschaftlichen Wohlfahrt darstellen. Daher wird hier die bisherige vorherrschende Perspektive durch eine Betrachtung
des Nationalen Wohlfahrtsindex (NWI) ergänzt.
Ausführlich: Diefenbacher/Zieschank/Held/Rodenhäuser
2015. Der Index wurde bislang nicht nur für die Bundesrepublik Deutschland, sondern in ähnlicher Weise auch
für sieben Bundesländer berechnet. Alle Studien zum Nationalen und zum Regionalen Wohlfahrtsindex sind auch
27
Der NWI beruht auf einem Ansatz der erweiterten Volkswirtschaftlichen und Umweltökonomischen Gesamtrechnung und strebt eine Korrektur der zentralen Defizite des BIP als Wohlfahrtsmaß an. Dementsprechend fließen Komponenten ein, die Wohlfahrtsaspekte wie soziale Gerechtigkeit, unbezahlte gesellschaftliche
Arbeit, Umweltschäden und Ressourceninanspruchnahme zu erfassen suchen.27
Die Veränderungen des NWI können für
Deutschland insgesamt mittlerweile über einen Zeitraum von 23 Jahren mit der Entwicklung des BIP verglichen werden. Um den Vergleich zu vereinfachen, wurden sowohl der
NWI als auch das reale BIP in der Abbildung 2
für das Basisjahr 2000 auf den Indexwert 100
normiert, siehe die folgende Abbildung 2:
über die Internet-Seiten der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft erhältlich: http://www.festheidelberg.de/index.php/arbeitsbereiche-und-querschnittsprojekte/frieden-und-nachhaltige-entwicklung/nwirwi. Das BMUB
hat die Entwicklungsarbeiten immer wieder unterstützt,
siehe auch BMUB 2016, S.27.
21 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
Abbildung 2: Entwicklung des NWI und des BIP im Vergleich
Der NWI setzt sich, wie beschrieben, sowohl
aus wohlfahrtsstiftenden als auch wohlfahrtsmindernden Komponenten zusammen.28
Eine Verbesserung kann insofern durch einen
Anstieg der wohlfahrtsstiftenden als auch
durch einen Rückgang der wohlfahrtsmindernden Komponenten ausgelöst werden.
Es lassen sich drei Phasen unterscheiden: Die
erste Phase umfasst den Zeitraum 1991 bis
1999, die zweite Phase 1999 bis 2005 und die
dritte 2005 bis 2014. Sie werden im Folgenden
beschrieben.29
Im Jahr 2014, dem aktuellsten des Berichtszeitraums, steigen sowohl das BIP als auch der
NWI an: das BIP um 1,6% auf einen Wert von
116,2 Punkte, der NWI um 2,2% auf 93,2
Punkte. Für den Anstieg des NWI in Höhe von
39 Mrd. Euro sind hauptsächlich zwei Komponenten verantwortlich: zum einen stiegen die
gewichteten Konsumausgaben um 14 Mrd.
Euro an. Dieser Zuwachs ist wiederum auf eine
Erhöhung der tatsächlichen ungewichteten
Konsumausgaben zurückzuführen. Zum anderen sind die Ersatzkosten für den Verbrauch
nicht-erneuerbarer Energieträger um 18 Mrd.
zurückgegangen, hauptsächlich ausgelöst
durch einen Rückgang des Heizenergieverbrauchs um etwa 10%. Allerdings müssen die
Werte des Jahres 2014 noch bis zu einem gewissen Grad als vorläufig betrachtet werden,
da der SOEP-Wert des Gini-Koeffizienten für
dieses Jahr noch fehlt.
Betrachtet man den gesamten Berichtszeitraum von 1991 bis 2014, so ergeben sich zwei
vollkommen unterschiedliche Bilder, je nachdem, ob man die Zeitreihe des BIP oder des
NWI betrachtet. Das BIP zeigt ein relativ kontinuierliches, wenn auch über die Jahre unterschiedlich stark ausgeprägtes und vor allem
durch die Finanzkrise im Jahr 2009 kurz unterbrochenes Wachstum. Insgesamt steigt das BIP
von 1991 bis 2014 um 34,3% an. Betrachtet
28
Für eine Übersicht aller Komponenten siehe
http://www.nationaler-wohlfahrtsindex.de/
man die Zeitreihe des BIP, so drängt sich der
Eindruck eines kontinuierlichen Fortschritts
und einer kontinuierlichen Verbesserung auf.
Ein ganz anderes Bild zeigt sich bei Betrachtung der Zeitreihe des NWI. Während bis zum
Jahr 1999 (Phase 1) auch hier eine kontinuierliche Verbesserung zu sehen ist, geht der NWI
von 1999 bis 2005 (Phase 2), anders als und
entgegensetzt zum BIP, deutlich zurück. Und
wo das BIP seit 2005 bis 2013 mit einem
durchschnittlichen Wachstum von 1,4% ansteigt, da stagniert der NWI bei Werten, die
deutlich unterhalb des Niveaus des Jahres
2000 liegen.
Im Vergleich zum Jahr 1991 hat der NWI bis
zum Jahr 2014 nur um 4,49% zugelegt (2013
waren es sogar nur 1,7 Punkte), befindet sich
also heute nur wenig über dem Wert vor 23
Jahren. Die Hauptverantwortung dafür, dass
die Bilanz nicht besser ausfällt, trägt die gestiegene Einkommensungleichheit und die
dadurch ausgelösten Rückgänge bei den gewichteten privaten Konsumausgaben in Höhe
von -22 Mrd. Euro. Der tatsächliche Einfluss
der Einkommensgewichtung wird klar, wenn
man die Entwicklung der tatsächlichen (ungewichteten) privaten Konsumausgaben separat
betrachtet: Diese stiegen von 1991 bis 2014
um 187 Mrd. Euro an. Die Verschlechterung der
Einkommensverteilung führte also insgesamt
zu einem Verlust in Höhe von 209 Mrd. Euro.
Deutliche Wohlfahrtsverluste ergeben sich außerdem vor allem beim Wert der Hausarbeit:
Da die für Hausarbeit eingesetzte Zeit deutlich
abnahm (-16%, von 216 Minuten pro Tag auf
181 Minuten pro Tag), ging die bewertete
Hausarbeit um 88 Mrd. Euro zurück.
Dass unter dem Strich trotzdem ein Zugewinn
an Wohlfahrt zu verzeichnen ist, liegt neben
den gestiegenen privaten Konsumausgaben
(+187 Mrd. Euro) vor allem an den verbesserten Umweltkomponenten: Insgesamt gingen
29
Die folgenden Passagen beruhen auf: Diefenba-
cher/Held/Rodenhäuser/Zieschank 2016.
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 22
deren negative Wohlfahrtseinflüsse um 137
Mrd. Euro zurück, wobei der größte Teil auf das
Konto der Verringerung der Luftschadstoffemissionen geht (- 85 Mrd. Euro), gefolgt von
der Reduzierung der Treibhausgase (-24 Mrd.
Euro). Aber auch andere Komponenten, wie die
Verringerung des Abstands zwischen Kosten
und Nutzen dauerhafter Konsumgüter (36 Mrd.
Euro) und der Rückgang der Verkehrsunfälle (19 Mrd. Euro) trugen ihren Teil dazu bei, dass
unter dem Strich noch ein kleines Plus von 3,9
Punkten (61 Mrd. Euro) im Jahr 2014 im Vergleich zum Jahr 1991 stehen bleibt.
Der Vergleich zwischen dem NWI und dem BIP
signalisiert im Endergebnis eine Diskrepanz.
Das BIP allein würde tendenziell einen „illusionären Wohlstand“ signalisieren, welcher in
der gesellschaftlichen Realität aber nicht erzielt worden ist. Die unterschiedliche Entwicklung eröffnet die Chance für eine vertiefte Erörterung, bei der es um die Gestaltung eines
stärker ökologisch und sozial ausgerichteten
Wirtschaftens geht.
Um die gesellschaftliche Wohlfahrt zu steigern,
bedarf es einerseits eines Abbaus von „defensiven Kosten“ und Folgeschäden insbesondere
im Umweltbereich, aber auch in den sozialen
Teilbereichen Alkohol-, Tabak- und Drogenmissbrauch, der Kriminalitätsrate oder der
Ineffizienzen im Gesundheitsbereich, was das
Verhältnis von finanziellem Input in das Gesundheitssystem zum erzielten Ergebnis bezüglich des Gesundheitsniveaus der Bevölkerung anbelangt. Hinsichtlich politischer Empfehlungen hängt es hier im Detail davon ab,
welche Teilkomponenten des NWI prioritär betrachtet werden.
Nimmt man beispielsweise den Umweltbereich, so bietet sich unmittelbar ein Abbau
umweltschädlicher Subventionen an, die in
Deutschland die Größenordnung von rund 60
Mrd. Euro jährlich erreicht haben, außerdem
die Fortsetzung eines entschiedenen Umbaus
des Energiesystems, weg von nicht erneuerbaren und hin zu erneuerbaren Ressourcen. Im
sozialen Bereich sind Investitionen im Gesundheits- und Bildungswesen positiv zu bewerten.
Hervorzuheben sind am Schluss Instrumente
und Maßnahmen zur Verbesserung der Einkommensverteilung, die positive Auswirkungen auf den NWI haben könnten.
23 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
4
DIE INDIKATOREN DES JAHRESWOHLSTANDSBERICHTS
4.1. SYSTEMATIK
Mit den folgenden Indikatoren wird das zentrale Anliegen einer neuen Berichtsform zu gesellschaftlichem Wohlstand empirisch untermauert. Auf in Deutschland bereits vorliegende
Indikatorensysteme kann in diesem Zusammenhang nicht zurückgegriffen werden.30
Immerhin bieten die vier Dimensionen aus
dem Grundlagenkapitel eine Orientierung, die
– etwas modifiziert – hier mit jeweils zwei
Kernindikatoren beschrieben werden sollen.
Das gewählte Vorgehen entspricht dem Rahmen, der bereits in der Machbarkeitsstudie
vom Juli 2015 aufgezeigt wurde.
Im vorliegenden Bericht werden acht Kernindikatoren vorgestellt (siehe tabellarische Aufstellung Seite 30). Dabei ist die Systematik des
Jahreswohlstandsberichts prinzipiell offen: Zu
jedem Bereich könnte es längerfristig Module
mit Zusatzindikatoren geben, die dann gleichfalls nach einem einheitlichen Schema beschrieben und dargestellt würden. Die Zusatzmodule ließen sich dann entweder jährlich oder jeweils in Form von Einzelschwerpunkten
darstellen.
Die Systematisierung der Indikatoren folgt dabei
a) der Struktur eines umfassenden Wohlstandskonzepts mit einer ökonomischen, ökologischen, sozialen und gesellschaftlichen Dimension unter Berücksichtigung
b) der planetaren Grenzen, wie sie von
Hajer et al. 2015 und bei Raworth
2013 zum Ausdruck gebracht werden.
Hier geht es neben den bereits häufiger diskutierten ökologischen Grenzen
der Erde (Steffen/Rockström et al.
2015) um die Gewährleistung eines
Entwicklungsraums, welcher den Menschen eine gerechte Teilhabe an
grundlegenden Voraussetzungen für
ihre Entfaltung ermöglicht. Die nachfolgende Abbildung 3 illustriert diese
doppelte Grenzziehung:
Auf viele Einzelindikatoren aus verschiedenen Ansätzen
jedoch schon, da hier keine eigenständige Datenerhebung erfolgen soll.
30
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 24
Abb. 3: The Doughnut of Social and
Planetary Boundaries
(Quelle: Hayer 2015)
Vor diesem Hintergrund wurden die für
sinnvoll erachteten vier Dimensionen
mit jeweils zwei Kernindikatoren belegt.
Sie bilden damit die Grundstruktur des
Jahreswohlstandsberichts.
Dimension
1. Ökologische Dimension
2. Soziale Dimension
Indikator / Index
a) Ökologischer Fußabdruck im Verhältnis zur Biokapazität
b) Index zur Artenvielfalt und Landschaftsqualität
a) S 80 : S 20 - Relation der Einkommensverteilung
b) Index zur Bildung in Deutschland
3. Ökonomische Dimension
a) Nettoinvestitionsquote
b) Anteil von (potenziellen) Umweltschutzgütern an der Bruttowertschöpfung
4. Gesellschaftliche Dimension
a) Gesunde Lebensjahre
b) Governance Index auf Basis der World Bank Governance
Indicators (sechs Dimensionen).
In den folgenden vier Unterkapiteln werden
die genannten acht Kernindikatoren dieses
Berichtes mittels Grafiken zum zeitlichen Verlauf dargestellt und erläutert.
25 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
4.2. ÖKOLOGISCHE DIMENSION
Abbildung 4: Entwicklung des Ökologischen Fußabdrucks für Deutschland bis 2016
Leicht zugänglich und vom Global Footprint
Network autorisiert ist die Kennziffer derzeit in
einer Zeitreihe von 1961 bis 2011 verfügbar.
Die Werte zwischen 2012 und 2014 beruhen
auf einer Abschätzung des Global Footprint
Network auf der Basis der Zeitreihe bis 2011
und aktuell verfügbarer Rahmendaten, der
Wert für 2015 auf einer Prognose der Autoren.31
Das Global Footprint Network bezeichnet die Abschätzung von Werten, die in der Vergangenheit liegen, aber
31
Der Ökologische Fußabdruck ist eine Form der
ökologischen Buchhaltung, die den Verbrauch
natürlicher Ressourcen mit der Kapazität vergleicht, die in dem entsprechenden Land zur
Verfügung steht. Sie misst die Land- und Wasserfläche, die zur Erneuerung der Ressourcen
unter Berücksichtigung gegenwärtiger Technologien benötigt wird, um den gegenwärtigen
Konsum der Bevölkerung zu befriedigen. Dabei
aufgrund des time-lags, mit dem die Basisdaten zur Verfügung stehen, noch nicht exakt berechnet werden können, nicht als Prognose, sondern als „now-casting“.
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 26
wird auch die Aufnahme von Abfällen miteinbezogen. Umgerechnet werden diese unterschiedlichen Dimensionen in virtuelle „globale
Hektar“, die als Flächenmaß interpretiert werden können.
Die materielle Güterverwendung eines Landes
trägt zu dessen Wohlstand bei. Langfristig kann
die Güterverwendung aber nur innerhalb der
ökologischen Tragfähigkeit aufrechterhalten
werden. Der Indikator gibt Aufschluss über die
Diskrepanz zwischen aktuellem Konsum und
der verfügbaren Biokapazität.
Daten stehen für Deutschland ab dem Jahr
1961 zur Verfügung. Die Biokapazität verbessert sich über die ganze Zeit – mit wenigen
Ausnahmejahren – kontinuierlich, aber geringfügig und liegt jetzt bei ungefähr 200 Millionen Global Hektar (GHa). Der Fußabdruck
steigt zwischen 1961 und dem Ende der
1970er Jahre drastisch an und erreicht einen
Maximalwert von 450 Millionen GHa. Seitdem
sinkt der Wert in der Tendenz langsam und erreicht jetzt Werte um 350 Millionen GHa. In der
Regel sind hierfür der Ausbau der Verwendung
erneuerbarer Ressourcen und die effizientere
Verwendung nicht erneuerbarer Ressourcen
verantwortlich, außerdem zeigen sich hier die
Bemühungen um den Naturschutz. In Zeiten
wirtschaftlicher Krisen – um 1973 und
2008/09 – kommt es zu einem Rückgang des
Ökologischen Fußabdrucks wegen der vorübergehenden Absenkung der Produktionstätig-
keit, die deutsche Wiedervereinigung hat einen Ausreißerwert nach oben gebracht. Seit
der Krise steigt der Ökologische Fußbadruck
wieder langsam, aber kontinuierlich an; damit
wären gemäß Prognosewert 2015 alle Fortschritte seit etwa 20 Jahren wieder rückgängig
gemacht worden.
Da die Biokapazität immerhin leicht zugenommen hat, wurde die Differenz zwischen beiden
Größen bis 2011 allmählich geringer. Diese Reduktion vollzieht sich bis 2011 allerdings viel
zu langsam: Bei der derzeitigen Geschwindigkeit der Annäherung ist somit nicht davon auszugehen, dass in den nächsten 50 Jahren eine
Übereinstimmung zwischen der Umweltnutzung und den eigenen biologischen Kapazitäten erzielt werden kann, zumal sich die Diskrepanz zwischen Fußabdruck und Biokapazität
seit 2011 wieder leicht erhöht hat.
Liegt der Fußabdruck eines Landes über der Biokapazität, entsteht ein „geliehener“ Wohlstand, der entweder durch Importe und damit
Verbrauch ausländischer Biokapazität oder
durch Belastung der Biokapazität auf Kosten
künftiger Generationen produziert wird.
Langfristig sollte der Fußabdruck eines Landes
dessen Biokapazität also nicht überschreiten.
Nur dann kann davon ausgegangen werden,
dass das Land nicht mehr an Naturkapital verbraucht, als seine ökologischen Grenzen es erlauben.
27 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
Abbildung 5: Entwicklung des Index zur Artenvielfalt und Landschaftsqualität bis 2011
Der Index aggregiert die bundesweiten Bestandsgrößen von 59 repräsentativen Vogelarten in sechs Hauptlebensraum- und Landschaftstypen. Die Vogelarten dienen dabei als
Bioindikatoren der Abbildung des Zustands
und der Veränderungen von Natur und Landschaft in Deutschland, und zwar im Hinblick
auf Artenvielfalt, Landschaftsqualität und
Nachhaltigkeit der Landnutzungen. Es handelt
sich gewissermaßen um einen „High-End“Index, denn letztlich machen sich beinahe alle
menschlichen Aktivitäten im Bereich der Biodiversität bemerkbar, von der Intensität der
Nutzung von Böden und Landschaften, über
den Umgang mit biologischen Ressourcen,
Massenproduktion und Konsum bis hin zu Abfallströmen und Emissionen. Der Index ist Bestandteil des Indikatorensatzes der bundesdeutschen Nachhaltigkeitsstrategie:
„Eine große Artenvielfalt an Tieren und
Pflanzen ist eine wesentliche Voraussetzung für einen leistungsfähigen Naturhaushalt und bildet eine wichtige
Lebensgrundlage des Menschen. Natur
und Landschaft in Deutschland sind
durch Jahrhunderte währende Nutzungen geprägt. Zur Erhaltung der daraus entstandenen sowie der natürlich
gewachsenen Vielfalt reicht kleinflächiger Schutz von Arten und Lebensräumen nicht aus. Vielmehr sind nachhaltige Formen der Landnutzung in der
Gesamtlandschaft, eine Begrenzung
von Emissionen und ein schonender
Umgang mit der Natur erforderlich“
(Statistisches Bundesamt, op.cit., S.
16).
Daten liegen in Fünfjahresintervallen zwischen
1970 und 1995 vor, seit 1995 existieren jährliche Werte. Zwischen 1975 und 1995 ist ein
Rückgang des Indexwertes von 101 auf 77 zu
verzeichnen. Bis 2011 hat sich der Indexwert
noch einmal deutlich auf 63 verschlechtert.
Insbesondere der Teilindex zum Agrarland ist
in der Tendenz seit 2005 erkennbar schlechter
geworden, seit 2008 gleichfalls der Index für
Binnengewässer und auch der (hier nicht aufgeführte) Index für Küsten und Meere.
Die Ursachen liegen in einem „Leerräumen“
der noch natürlichen Landschaft durch die Intensivlandwirtschaft begründet, in zu hohen
Nährstoff- und Schadstoffeinträgen oder in einem ungebrochenen Trend der Zersiedelung.
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 28
Da eine Vielzahl anderer Faktoren hinzukommen, die jeder für sich zunächst kaum relevant
erscheinen mag, in der Summe aber sich zu erheblichen Wirkungen addieren, ist derzeit
nicht erkennbar, wie die bereits umgesetzten
Maßnahmen der Umwelt- und Naturschutzpolitik zu einer Trendumkehr führen können.
Faktisch ist der seinerzeit aufgestellte umweltpolitische Zielwert von 100 bis zum Jahr 2015
nicht mehr zu erreichen, wie bereits im Wohlstandsbericht 2016 dargelegt. Denn das gegenwärtige Niveau liegt bei einem Indexwert
von 69 für 2013 (das Jahr mit der letzten verfügbaren Datenbasis) und wird in dieser kurzen verbleibenden Zeit nicht auf das Zielniveau
von 100 aufschließen können.
Nach Angaben des Bundesamtes für Naturschutz sollten
indessen durch Experten mit Hilfe eines Delphi-Verfahrens neue Zielwerte für das Jahr 2030 (erst) erarbeitet
32
Es bleibt abzuwarten, wie verbindlich die Bundesregierung nun einen neuen Zielwert verfolgt. Die aktualisierte Nachhaltigkeitsstrategie
2016 enthält Hinweise auf einen - wiederum
auf das Niveau von 100 - festgelegten Zielwert,
der zukünftig erreicht werden sollte (siehe
Bundesregierung 2017, 39).32 Als Zieljahr gilt
dann jedoch nicht mehr 2015, sondern das
Jahr 2030.
Im Falle eines Erfolgs würde also 2030 das Niveau der angezeigten Artenvielfalt und Landschaftsqualität demselben Niveau entsprechen, wie wir es in Deutschland im Jahr 1975
schon einmal hatten.
werden. Ob diese seitens Ministerien und Politik übernommen werden, ist damit fraglich.
29 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
4.3. SOZIALE DIMENSION
Abbildung 6: Entwicklung der Einkommensverteilung in Deutschland bis 2015
Berechnet wird das Verhältnis des Gesamteinkommens der reichsten 20 % der Bevölkerung
als Vielfaches des Gesamteinkommens der
ärmsten 20 % der Bevölkerung. Als Gesamteinkommen wird das verfügbare Haushaltsnettoäquivalenzeinkommen betrachtet.
Die Einkommensverteilung ist ein entscheidender Faktor für den Wohlstand in einem
Land. In der Tendenz erhöht eine Bewegung zu
mehr Einkommensgleichheit den Wohlstand
allein deswegen, weil ein zusätzliches Einkommen für arme Bevölkerungsschichten diesen
mehr zusätzlichen Nutzen verschafft als eine
gleiche Einkommenssteigerung bei reicheren
Teilen der Bevölkerung.
Unter wohlfahrtstheoretischen Gesichtspunkten geht es damit sowohl um Verteilungs- als
auch um Gerechtigkeitsfragen; dahinter steht
eine wesentliche Grundüberlegung, nämlich
dass sowohl die Unterschreitung eines gewissen minimalen Levels an materiellen Verfügungsmöglichkeiten nicht hingenommen werden sollte, als auch, dass die unbegrenzte Akkumulation von privaten Reichtümern ein
nachhaltiges soziales Zusammenleben nicht
fördert (siehe u.a. Caillé 2011, Wilkinson & Pickett 2010).
Der Wert verbessert sich in Deutschland von 4,6
im Jahre 1995 auf 3,5 im Jahre 2000. „Aus
technischen Gründen“ liefert Eurostat für
Deutschland leider keine Daten für die Jahre
2002 bis 2004. Ab 2005 verschlechtert sich der
Wert wieder rapide und erreicht mit 4,9 den
Höchstwert der Zeitreihe bislang im Jahre
2007. In dieser Zeit kam es zu einem deutlichen Anstieg der Unternehmens- und Vermögenseinkommen, die niedrigen Erwerbseinkommen sind hingegen real gesunken. Die Besteuerung hatte sich ebenfalls in Richtung auf
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 30
eine Begünstigung des reichsten Quintils verändert, da Steuern auf hohe Einkommen sanken, indirekte Steuern jedoch angehoben wurden (vgl. Bach 2013).
In den Jahren der Weltwirtschafts- und Finanzkrise veränderte sich – vorübergehend –
die Einkommensverteilung wieder etwas in
Richtung auf eine stärkere Gleichverteilung:
Der Wert schwankte in den Folgejahren zwischen 4,3 und 4,6. Dieser Ausgangswert der
Zeitreihe wurde auch 2013 erreicht. Mit 5,1 erreicht der Wert 2014 dann jedoch einen historischen Höchststand; die Einkommen waren
damit in diesem Jahr so ungleich verteilt wie
noch nie in den davor liegenden zwanzig Jahren. Auch für diese Veränderung sind wiederum überproportionale Einkommenszuwächse
im reichsten Quintil und eine stagnierende
Einkommenssituation im ärmsten Quintil verantwortlich. Im letzten Berichtsjahr 2015 ist
die Verteilungsrelation wieder geringfügig auf
4,8 in Richtung Erhöhung der Einkommmensgleichheit zurückgegangen. Es bleibt abzuwarten, ob diese Veränderung einen neuen Trend
eingeleitet hat oder eine vorübergehende Unterbrechung des Trends zu steigender Ungleichheit ist.
Dieser Befund insgesamt ist umso bedenklicher, als in Deutschland ein erheblicher Anteil
der staatlichen Ausgaben für soziale Belange
und Transfers verwendet wird. Würde man das
Markteinkommen33 vor Transferleistungen für
die Berechnung zugrundelegen, würde der
Wert noch erheblich schlechter ausfallen.
Ähnliche Entwicklungen zeichnen sich auch
außerhalb Deutschlands ab; die Verteilung der
Einkommen driftet zwischen den Eliten und
der arbeitenden Bevölkerung in sehr vielen
Ländern weiter auseinander (siehe u.a. OECD
2015). Die häufig mit einem wirtschaftlichen
Wachstum assoziierten Aspekte einer anteiligen Verbesserung der sozialen Lage der Bevölkerung werden, zumindest in den letzten Jahren, nur noch sehr bedingt realisiert.
In einer bemerkenswerten Studie von McKinsey
werden die Folgen für 25 fortgeschrittene Industriestaaten beschrieben, so haben sich
zwischen 2005 und 2014 die realen Einkommen von 2/3 aller Haushalte verschlechtert.
Damit geht es in der Regel den Kindern dieser
Generation schlechter als den Eltern (McKinsey
Global Institute 2016).
Das Markteinkommen umfasst Einkommen aus Erwerbstätigkeit und Besitztümern auf Märkten (Zinsen sowie andere Kapitaleinkünfte) vor Steuern, Sozialabgaben
und Sozialtransfers.
33
31 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
Abbildung 7: Entwicklung des Indexes zur Bildung in Deutschland bis 2015
Bildung ist ein zentraler Baustein, der Menschen nicht nur die Beteiligung am Arbeitsleben ermöglicht. Zugleich kann Bildung generell Chancen an der Teilhabe am Leben in der
Gesellschaft erhöhen, persönliche Perspektiven, Handlungsmöglichkeiten und letztlich einen besseren Gesundheitszustand eröffnen.
Eine möglichst breite Beteiligung der Menschen an formellen Bildungsprozessen kann
daher als Vergrößerung dieses Möglichkeitsraumes angesehen werden, der einer Wohlfahrtssteigerung im Sinne des „Fähigkeitenansatzes“ (capability approach von A. Sen)
entspricht.
Ein hohes Bildungsniveau ist in der Regel auch
wesentlicher Bestandteil des „Humankapitals“
oder besser des „Humanvermögens“ einer Gesellschaft.34 Dies ist nicht zuletzt auch vor dem
34
Hintergrund einer Stärkung der gesellschaftlichen Dimension zu sehen, bei der es um die
Erhaltung eines demokratischen Systems und
„Good Governance“ geht.
Der hier vorgestellte Index fasst fünf Komponenten zusammen, die unterschiedliche Aspekte des Bildungssystems und des Bildungsniveaus der Bevölkerung erfassen:
–
Die Entwicklung der Punktzahl bei den
PISA-Studien für Deutschland;
–
Der Anteil der Bevölkerung mit Abschluss
der Sekundarstufe II;
Siehe hierzu jüngst Hanushek/Woesmann (2016): The
Knowledge Capital of Nations.
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 32
–
die erwarteten Bildungsjahre bis zum
Alter von 39 Jahren;
–
Die Differenz der mathematischen
Kenntnisse 15jähriger Schülerinnen und
Schüler von Eltern mit niedrigem und Eltern mit hohem Bildungsniveau (ebenfalls nach PISA);
–
die Höhe der gesamten öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland.
Die Zeitreihen der fünf Komponenten wurden
auf das Jahr 2010 = 100 normiert und deren
Entwicklung vor und nach dem Basisjahr
gleichgewichtig im Index zusammengefasst. In
der Kombination der Komponenten zeigt sich
über die betrachteten Jahre ein zunächst eher
gleichbleibender, in den letzten Jahren dann
aber doch stetig steigender Trend.
4.4. ÖKONOMISCHE DIMENSION
Abbildung 8: Entwicklung der Nettoinvestitionsquote in Deutschland bis 2015
Der Indikator zeigt die Entwicklung der Nettoanlageinvestitionen im Verhältnis zum Nettoinlandsprodukt und errechnet sich als Differenz aus den Bruttoinvestitionen minus den
Abschreibungen. Sie zeigen also die Investitionen, die über den Ersatz des Kapitalverzehrs
hinausgehen. Bruttoanlageinvestitionen umfassen im Verständnis des Statistisches Bundesamtes
„… den Erwerb abzüglich der Veräußerungen von Anlagegütern durch gebietsansässige Produzenten in einem
Zeitraum. Dazu zählen die Käufe neuer
Anlagegüter einschließlich aller eingeführten und selbsterstellten Anlagegüter sowie die Käufe abzüglich der
Verkäufe gebrauchter Anlagegüter. Die
Käufe und Verkäufe von gebrauchten
Anlagegütern saldieren sich weitgehend in der Volkswirtschaft.“ (2016, S.
5).
33 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
Unter anderem das Bundesfinanzministerium
(BMF 2015) sieht die Bruttoinvestitionen für
besser geeignet, um die Investitionstätigkeit
beurteilen zu können, da unter anderem auch
wertmäßig bereits abgeschriebene Anlageobjekte zum gesamtwirtschaftlichen Output beitragen können und Abschreibungsrechnungen
zum Teil „bilanzpolitisch“ bedingt sind. Die
Nettoinvestitionen bilden jedoch zum einen
den langfristigen Trend der Investitionstätigkeiten klarer ab, zum anderen werden durch
dieses Maß auch die konjunkturellen Reaktionen stärker verdeutlicht. Vor allem aber können die Nettoinvestitionen als ein Maß zur
Analyse der Veränderung des Produktionspotenzials einer Volkswirtschaft interpretiert
werden. Damit sind sie unmittelbar relevant
zur Beurteilung eines Aspekts des Wohlstandes
einer Gesellschaft, sozusagen als Ausweis der
Veränderung des Arsenals an „Werkzeugen“,
die einer Ökonomie für ihre Wertschöpfung zur
Verfügung steht. Wie aus Abbildung 8 deutlich
erkennbar wird, verzeichnen die Nettoanlageinvestitionen zwischen 1992 und 2004 einen
deutlichen Negativtrend von 12,2 Prozent auf
2,4 Prozent des Nettoinlandsprodukts.
Das Bundeswirtschaftsministerium hatte im
August 2014 eine Expertenkommission zum
Thema „Stärkung der Investitionen in Deutschland“ eingesetzt, da die Investitionsentwicklung in der vorausgehenden Dekade als beunruhigend empfunden wurde (BMWi). Die vor
dem Jahr 2000 im Vergleich zur späteren Entwicklung noch relativ hohen Investitionen
werden zum Teil als Folge des „Aufbau Ost“
und als „Vorphase“ zur Währungsunion angesehen. Zwischen 1991 und 2000 lagen die Investitionen in den neuen Bundesländern über
dem doppelten Wert der Investitionen in den
alten Bundesländern. Die Währungsunion
führte zum Rückgang der Nettoinvestitionen,
da nun ein einheitlicher europäischer Kapitalmarkt entstanden war; den Investoren war damit die „Angst vor der Anlage in Staatspapiere
südeuropäischer Länder genommen“ (vgl.
Strobel 2015). Dies führte zu einem deutlichen
Kapitalabfluss aus Deutschland. Danach erfolgen Einbrüche, die als Folgen konjunktureller
Krisen – nach 2000 und dann vor allem 2009
und 2010 – gesehen werden können. Nach
2011 pendeln sich die Nettoinvestitionen auf
einem sehr niedrigen Niveau ein. Insgesamt
kann man aber davon ausgehen, dass ein Teil
des langfristigen Trends des Nettoinvestitionsrückgangs auch der Globalisierung, genauer
gesagt: der massiven Konkurrenz aus Niedriglohnländern, zuzuschreiben ist.
Nach 2014 muss berücksichtigt werden, dass
eine Generalrevision der Volkswirtschaftlichen
Gesamtrechnung im Hinblick auf die Angleichung an das neue Europäische System der
Volkswirtschaftlichen
Gesamtrechnungen
(ESVG) zu einem Anstieg des nominalen BIP um
3 Prozent gegenüber der alten Methodik
führte. Dabei kommt es auch zu einem „Niveausprung“ der gesamtwirtschaftlichen Investitionsquote durch die Berücksichtigung der
Aufwendungen für Forschung und Entwicklung
als Investitionen wie auch die Verbuchung der
Rüstungsgüter als Investitionen, die vor der
Revision als Staatskonsum verbucht wurden
(Statistisches Bundesamt 2014b).
Für viele Ökonomen handelt es sich bei der
langfristigen Tendenz eines Rückgangs der
Nettoinvestitionen um eine sehr problematische Entwicklung. Wie schon angesprochen:
„Der Umfang und die Qualität der Infrastrukturausstattung einer Volkswirtschaft sind maßgebliche Faktoren für deren Wettbewerbs- und
Zukunftsfähigkeit.“ (BMWi 2014, 8). Das gilt in
besonderer Weise für öffentliche Infrastrukturinvestitionen, die ebenfalls einen langfristigen Abwärtstrend aufweisen. Das BMWi stellt
fest, dass das Nettoanlagevermögen in energieintensiven Wirtschaftsbereichen des Produzierenden Gewerbes deutlich rückläufig ist
(ibid S. 10).
Zwar wird die private Investitionstätigkeit insgesamt stark von der konjunkturellen Entwicklung bestimmt. Dennoch zeigt sich der geschilderte langfristig negative Trend, unabhängig
von Konjunkturschwankungen wie der Dotcom-Blase Anfang der 2000er Jahre oder der
Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008 und
2009. Eine Wirtschaftspolitik zur Stärkung der
privaten Investitionen ist aufgrund wirt-
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 34
schaftspolitischer Strömungen und Interessenlagen nicht eindeutig vorgezeichnet, sondern
bedarf einer politischen Diskussion. Die Diskussion um Investitionen und Investitionsförderung sollte sich in einem breiten Ansatz
dann auch einer Neubestimmung des optimalen Mix aus Sachkapital, ökologischem und sozialem Kapital zuwenden.
Abbildung 9: Entwicklung des Anteils von Umweltschutzgütern an der Wertschöpfung bis 2013
Der Indikator nimmt mehrere relevante Aspekte der ökonomischen Dimension auf. Zum
einen adressiert er die Transformation der
Wirtschaft in Richtung auf eine „Green Economy“, die sich unter anderem an der Intensität ihrer Ausrichtung an Umweltschutzgütern
insgesamt erkennen lässt. Umweltschutzgüter
umfassen Güter aus den Bereichen Abfallbehandlung, Wasser, Luft, Lärm, Mess-, Steuerund Regelungstechnik sowie Klimaschutzgüter.
Mit der Bezeichnung „potenzielle“ Umweltschutzgüter wird darauf Bezug genommen,
dass die statistischen Angaben Produktionsgrößen umfassen, die letzte Verwendung dieser Güter dagegen nicht ermittelt werden
kann; einige der in der Liste der Produktgruppen enthaltenen Güter könnten also auch außerhalb des Umweltschutzbereichs eingesetzt
werden.
Durch die Betrachtung des Anteils an der Bruttowertschöpfung wird sozusagen auf die „Umweltintensität“ der deutschen Wirtschaft Bezug
genommen. Je höher dieser Anteil ist, desto
stärker ist die Ökonomie auf die Produktion
von Umweltschutzgütern und auch Umweltschutzdienstleistungen ausgerichtet. Sicher
kann dieser Indikator nicht über alle Grenzen
steigen; dennoch zeigt die Entwicklung, dass
die deutsche Wirtschaft von einem Optimum
hier noch sehr weit entfernt ist, bedenkt man
35 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
die ökologischen Herausforderungen (Stichwort Planetary Boundaries) einerseits und Innovations- und Marktpotenziale andererseits.
4,49 Prozent kontinuierlich gestiegen. Danach
erfolgte ein Rückgang bis 2013 auf 4,21 Prozent.
Der Indikator spricht darüber hinaus eine
wichtige ökonomische Grundlage für gesellschaftlichen Wohlstand in Deutschland an. Es
handelt sich dabei um eine gute industrielle
Basis, die sich gerade in Zeiten einer zunehmenden Gefährdung, die eine Abhängigkeit
von dynamischen und erratischen Veränderungen im Finanzsektor mit sich bringt, als ein
solides Fundament für wirtschaftliche Prosperität erwiesen hat. Andere Staaten in Europa
befassen sich vor diesem Hintergrund mit der
Frage einer möglichen teilweisen „Reindustrialisierung“. Im Unterschied dazu wird hier jedoch explizit Wert auf die Entwicklung in Richtung einer Green Economy gelegt: Dahinter
steht die These, dass Herstellung und insbesondere Nutzung von Umweltschutzgütern sowohl zu ökonomischen Modernisierungsprozessen als auch zur Umweltentlastung beitragen.
Der gesellschaftliche Wohlstand lässt sich mit
einem steigenden Anteil an Umweltschutzgütern wesentlich besser erhöhen als mit einem
rein quantitativ ausgelegten Wirtschaftsprogramm, da in der Regel zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen und zugleich die ökologischen Belastungen samt ökonomischen Folgekosten geringer ausfallen. Vermiedene Umweltschäden sind in der Logik eines ökologischen Wohlfahrtskonzeptes wohlstandssteigernd, weil das Naturkapital weniger verringert wird und weniger Reparaturkosten oder
andere gesellschaftliche Folgeschäden auftreten.
In der Bundesrepublik Deutschland ist der Anteil der Produktion von potenziellen Umweltschutzgütern an der Bruttowertschöpfung zwischen 2002 und 2011 von 2,56 Prozent auf
Aufgrund des in den letzten Jahren stagnierenden Anteils der Umweltschutzgüter stellt sich
die Frage, ob ein dynamisches Ziel sinnvoll ist,
also eine angestrebte Zunahme dieses Anteils
über einen bestimmten Zeitraum hinweg,
denn der weitere Ausbau einer „Green Economy“ kann, wie bereits in Abschnitt 2.2.3 erörtert, einen wesentlichen Faktor zur Förderung gesellschaftlichen Wohlstands darstellen.
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 36
4.5. GESELLSCHAFTLICHE DIMENSION
Abbildung 10: Veränderung des Indikators zu Gesunden Lebensjahren bis 2014
Der Indikator „Gesunde Lebensjahre (GLJ) bei
der Geburt“ gibt die Zahl derjenigen Jahre an,
die eine Person zum Zeitpunkt ihrer Geburt erwartungsgemäß in guter gesundheitlicher Verfassung leben wird. GLJ ist ein Indikator der
Gesundheitserwartung, der Informationen zu
Sterblichkeit und Krankheit beziehungsweise
Lebensqualität miteinander verknüpft. Dazu
werden Daten zur altersspezifischen Prävalenz
der gesunden beziehungsweise kranken Bevölkerung und Daten zur altersspezifischen
Sterblichkeit benötigt. Zur Bestimmung der gesunden Lebensjahre wird hier der Anteil der
Männer und Frauen erfasst, die wegen eines
gesundheitlichen Problems – dazu gehören
chronische und akute Krankheiten, Gebrechlichkeit, psychische Störungen und körperliche
Behinderungen – sich bei alltäglichen Verrichtungen stark oder mäßig eingeschränkt fühlen. Gute gesundheitliche Verfassung wird damit über die Abwesenheit von Funktionsbeschränkungen und Beschwerden definiert und
als Gradmesser eines Aspekts von Lebensqualität und somit der immateriellen Seite von
Wohlstand begriffen. Der Indikator wird getrennt für Männer und Frauen berechnet. Der
starke Rückgang von 2007 bis 2008 muss dabei
vermutlich zumindest zum Teil auf eine neue
Formulierung der Frage zurückgeführt werden,
mit der der Gesundheitszustand in der Bevölkerung abgefragt wird (siehe European Health
and Life Expectancy Information System 2015).
37 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
Die Lebenserwartung bei der Geburt ist die Anzahl der Jahre, die eine Person eines bestimmten Alters im Durchschnitt noch zu leben hat,
wenn man die altersspezifischen Sterberaten
des Ausgangsjahres zugrunde legt.
Im Vergleich zu den Statistiken der Gesamtlebenserwartung zeigt der GLJ-Indikator in
zweifacher Hinsicht ein überraschendes Bild.
Zum einen ist der Unterschied zwischen Frauen
und Männern in keiner Weise so ausgeprägt
wie bei der Gesamtlebenserwartung, im Gegenteil: 2006, 2007 und 2013 liegt der Indikator für die Männer sogar knapp über dem Indikator für die Frauen. Da Frauen über eine
deutlich höhere Gesamtlebenserwartung verfügen, bedeutet dies, dass sie im Alter deutlich
mehr mit Aktivitätseinschränkungen belastet
sind. Außerdem zeigt der Indikator zwischen
2006 und 2014 keine einheitliche Tendenz; in
den letzten drei Jahren der Zeitreihe fällt er sogar wieder leicht ab.
Abbildung 11: Entwicklung des Indikators zu politischen Rahmenbedingungen in Deutschland bis
2015
Gesellschaftlicher Wohlstand ist nicht zuletzt
das Resultat institutionell garantierter Freiheiten und der Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns. Insofern kommt der Ausgestaltung demokratischer Rechte, gutem Regieren, Vertrauen, Abwesenheit von Gewalt und Korruption sowie politischer Stabilität eine zentrale
Rolle zu. Der erstellte Index versucht, sechs
verschiedene Aspekte des „intangiblen Kapitals“ eines Landes zu operationalisieren und
somit die nicht selbstverständlichen politi-
schen Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Entwicklung des Wohlstands eines Landes
in das Blickfeld zu nehmen. Die Weltbank hat
für institutionelle und politische Rahmenbedingungen eines Landes diesen Begriff des
„intangiblen Kapitals“ gewählt, was als entscheidender Faktor für gesellschaftlichen
Wohlstand gesehen werden kann. „Gute Regierungsführung“ ist ein wesentlicher Bereich
des intangiblen Kapitals, da hier die Voraussetzungen für einen dauerhaften Aufbau von
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 38
gesellschaftlichem Wohlstand gesetzt werden.
Die Weltbank versteht unter „Governance“:
„… die Traditionen und die Institutionen, mit denen die Regierung und die
Behörden eines Landes ausgestattet
sind. Dies beinhaltet (a) den Prozess,
wie Regierungen gewählt, kontrolliert
und ausgetauscht werden; (b) die Fähigkeit der Regierung eine vernünftige
Politik zu formulieren und umzusetzen; und (c) das Vertrauen der Bürger
und des Staates in die Institutionen,
die das ökonomische und soziale Miteinander gestalten.“35
Der Governance Index wurde für den Jahreswohlstandsbericht auf der Basis der World
Bank Governance Indicators, und zwar der
sechs Dimensionen von Governance konstruiert: „Voice and Accountability, Political Stability and Absence of Violence and Terrorism,
Government Effectiveness, Regulatory Quality,
Rule of Law, Control of Corruption” (Worldbank
2015).36
stände, um dann bis 2003 auf seinen niedrigsten Wert abzusinken, der aber immer noch
knapp unter 88 liegt. Der Rückgang des Index
von 2002 bis 2003 ist einem starken Rückgang
des Teilindex „Political Stability and Absence of
Violence and Terrorism“ zuzuschreiben.37
Seitdem ist kein klarer Trend zu erkennen;
2006 und 2007 sind Werte zwischen 91 und 92
zu verzeichnen, dann sinkt der Index bis 2011
wieder auf einen Wert knapp unter 89, um bis
2014 auf etwas über 92 anzusteigen, den
höchsten Wert seit dem Jahr 2000. Danach erfolgt wieder ein deutlicher Rückgang, was darauf zurückzuführen ist, dass sich alle sechs
Teilindices von 2014 auf 2015 leicht verschlechtert haben. Der Teilindex „Voice and
Accountability“ erreicht 2014 seinen Höchstwert, während der Teilindex „Stability“ nach
wie vor den niedrigsten Wert aller Teilindices
aufweist. Bei der Betrachtung sollte indessen
berücksichtigt werden, dass die hier vorgenommene Skalierung die Veränderungen gut
erkennbar macht, mithin vor dem Hintergrund
der Gesamtskala stark pointiert.
Die Indikatoren bieten einen guten Überblick
über die Situation der politischen Rahmenbedingungen der Regierungsführung. Der Index
geht über die Spanne von 0 bis 100; ein Wert
möglichst nahe 100 sollte angestrebt werden.
Er erreicht vor 2000 seine historischen Höchst-
Insgesamt ist Deutschland sowohl im Zeitverlauf als auch vor allem im internationalen Vergleich bei diesem Kernindikator nach wie vor
gut positioniert.
Kaufmann/Kraay/Mastruzzi 2010 (S.4, eigene Übersetzung).
politischer Maßnahmen sowie Regulierungen (bezogen
auf den privaten Sektor); Rechtsstaatlichkeit; sowie Kontrolle von Korruption und Amtsmissbrauch.
35
Die Dimensionen lassen sich sinngemäß umschreiben
mit: Freie Wahlen und Meinungsäußerung; politische Stabililität und Abwesenheit politisch motivierter Gewalt; effektives Regierungshandeln (bezogen auf den öffentlichen Sektor); Formulierung und Umsetzung fundierter
36
37 „Political Stability and Absence of Violence/Terrorism
measures perceptions of the likelihood of political instability and/or politically-motivated violence, including
terrorism“. Ausführlicher: World Bank 2015.
39 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
4.6. ASPEKTE UND PROBLEME DER SUBJEKTIVEN SEITE VON WOHLFAHRT
– INDIKATOREN ZUR LEBENSZUFRIEDENHEIT
Der Jahreswohlstandsbericht ist in erster Linie
auf der nationalen, mithin auf der „Makroebene“ angesiedelt, da hier objektive Entwicklungen erfasst werden, die für den gesellschaftlichen
Wohlstand
beziehungsweise
Wohlfahrt bestimmend sind. Bislang nicht betrachtet wurde die subjektive Ebene der persönlichen Zufriedenheit und damit die Frage,
wie die objektiven Entwicklungen von den
Menschen wahrgenommen werden. Dabei
muss natürlich berücksichtigt werden, dass die
subjektive Lebenszufriedenheit von einer ganzen Reihe von Faktoren beeinflusst wird, die
außerhalb der Reichweite von Politik und
staatlicher Verantwortung liegen und auch liegen sollten.
dass steigende Einkommenszuwächse ab einem bestimmten Niveau nichts mehr zum persönlichen Wohlbefinden beitragen. Kritische
Ökonomen sehen hierin im übertragenen
Sinne ein „nutzloses Wachstum“. So hat die
Entkopplung der Lebenszufriedenheit vom
Wirtschaftswachstum in den USA bereits etwa
1965 eingesetzt (so Binswanger bereits 2011).
Indessen gibt es auch andere Positionen, so
kommen Weimann/Knabe und Schöb zu der Erkenntnis, dass es nicht zuletzt davon abhängt,
was als Zufriedenheit gemessen wird (ders.
2015) und dass sich mit steigendem Einkommen auch die Möglichkeiten verbessern gesünder und länger zu leben, bessere Bildung
zu erhalten und insgesamt freier zu leben.
Dennoch gibt es Bemühungen in vielen Staaten, die unmittelbaren materiellen und immateriellen Bedürfnisse der Bürger und Bürgerinnen auch in gesellschaftlichen Berichterstattungssystemen stärker in den Vordergrund zu
rücken; Beispiele sind unter anderem Frankreich und Großbritannien. Dies sollte ursprünglich auch dazu beitragen, die bislang
dominierende, vorwiegend ökonomische Orientierung an Wachstum, Beschäftigung, Wettbewerbsfähigkeit, Löhnen und Kosten zu relativieren.
Für die Erfassung der „subjektiven Lebensqualität“ wird hier auf einen Indikator zurückgegriffen, der aus dem Datensatz des Sozio-ökonomischen Panel generiert (SOEP) und vom
Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zur
Verfügung gestellt wird. Er misst die mittlere
Lebenszufriedenheit der Bevölkerung auf einer
Skala von 0 (sehr schlecht) bis 10 (sehr gut).
Allgemein wird die Lebenszufriedenheit als
kognitiver Bewertungsprozess der eigenen Lebensumstände beschrieben. Damit hebt sie
sich deutlich von gefühlsbezogenen Aspekten
wie Freude oder Ärger ab und grenzt sich so
auch zum Begriff „Glück“ ab.
Ergänzend zu den acht Kernindikatoren und
den vorangestellten Erläuterungen zum Nationalen Wohlfahrtsindex soll insofern nun die
Ebene der subjektiven Lebenszufriedenheit
thematisiert werden.
Bereits vor einigen Jahrzehnten haben Erhebungen zur Lebenszufriedenheit in Verbindung
mit der Entwicklung des BIP für Aufsehen gesorgt, denn einige Studien ergaben eine Entkopplung zwischen dem wirtschaftlichen
Wachstum und der Zufriedenheit der Bevölkerung (beispielsweise Easterlin 1974, Layard
2005, Binswanger 2014). Das sogenannte
„Easterlin Paradox“ beschreibt den Befund,
Es handelt sich bei der Lebenszufriedenheit um
eine rein subjektive Einschätzung, die nur von
der Person selbst vorgenommen werden kann.
Diese Einschätzung erfolgt normalerweise relativ zu einem Vergleichsstandard, etwa zu einer
früheren Lebensphase oder im Vergleich zu anderen Personen (siehe etwa Dette 2005, 37f).
Dabei ist die Einschätzung neben den tatsächlichen Lebensbedingungen auch abhängig von
der individuellen Persönlichkeitsstruktur. Im
SOEP werden neben der allgemeinen Lebenszufriedenheit außerdem sogenannte „Bereichszufriedenheiten“ erhoben, die sich auf
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 40
einzelne Aspekte des Lebens beziehen: Familienleben, Wohnung, Lebensstandard, Freizeit,
Arbeit, Kinderbetreuung, Gesundheit, Schlaf,
Haushaltstätigkeiten, Haushaltseinkommen,
soziale Sicherung und persönliches Einkommen.
Die Datenquelle der hier präsentierten Ergebnisse bildet das Sozio-Ökonomische Panel,
kurz SOEP (siehe Wagner/Frick/Schupp 2007).
Beim SOEP handelt es sich um eine repräsentative Wiederholungsbefragung, die seit 1984
läuft. Im Auftrag des DIW Berlin werden zurzeit
jedes Jahr in Deutschland etwa 30.000 Befragte in fast 11.000 Haushalten von TNS Infratest Sozialforschung befragt. Die Daten geben
unter anderem Auskunft zu Fragen über Ein-
Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) (Hrsg.) (2015): Daten
für die Jahre 1984-2014, Version 31, SOEP 2015.
38
Diesem Umstand wird hier Rechnung getragen, indem
neben den Mittelwerten Konfidenzintervalle (95%) be-
39
kommen, Erwerbstätigkeit, Bildung oder Gesundheit. Da es sich um eine Panel-Studie
handelt, also jedes Jahr die gleichen Personen
befragt werden, können langfristige soziale
und gesellschaftliche Trends über das SOEP besonders gut verfolgt werden. Eingesetzt wurde
hier die neueste zur Verfügung stehende Datenversion, die Werte von 1984 bis 2014 enthält (SOEP v31).38
Bei den Auswertungen der Zufriedenheit wurden arithmetische Mittelwerte berechnet
(siehe Abbildung 12). Allerdings können bei
jeder Mittelwertberechnung, die auf einer
Stichprobe beruht, nur Bandbreiten angegeben werden, innerhalb derer sich der Mittelwert mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit
befindet.39
rechnet wurden. In die Auswertungen werden die Konfidenzintervalle einbezogen, indem nur Änderungen und
Unterschiede, die über die Konfidenzintervalle hinausgehen, als signifikant und damit relevant eingestuft werden.
41 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
Abbildung 12: Veränderung der Lebenszufriedenheit in Deutschland bis 2014
Die hier aufgrund des SOEP mögliche Zeitreihe
beginnt mit den historischen Höchstwerten der
Lebenszufriedenheit Mitte der 1980er Jahre
und sinkt dann deutlich ab bis 1988. Die deutsche Wiedervereinigung führt zu einem erneuten Anstieg bis 1991, dem ein Absinken bis
1997 folgt. Der Wert steigt dann bis 2001,
ohne jedoch die Werte der Zeit um 1990 wieder zu erreichen, um dann bis 2004 auf den
historischen Tiefststand der Zeitreihe zu fallen.
Genaue Zuordnungen zu Ursachen und Ereignissen sind nicht wirklich nachgewiesen. So
stieg beispielsweise nach 1998 die Zufriedenheit an; Ereignisse wie der Anschlag in New
York und der Afghanistan-Krieg fallen in die
Zeit einer Trendumkehr, welche durch die Verabschiedung der „Agenda 2010“ im Jahr 2003
nicht aufgehalten werden konnte. Nach 2004
folgt im Trend ein erneuter Anstieg bis 2014,
wobei der Wert nun – insbesondere in Ostdeutschland – einem historischen Höchststand
entspricht.
Insgesamt liegt den Einschätzungen der Bürgerinnen und Bürger eine große Zahl an Faktoren zugrunde, welche teilweise auch nicht
eindeutig in ihrer quantitativen Bedeutung im
Verhältnis zueinander bestimmt werden können. Für die Politik ist es sicherlich notwendig,
solche Erhebungen zu kennen, aber daraus allein ergeben sich keine hinreichenden Hin-
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 42
weise auf angemessene Handlungsoptionen.40 Unter dem Gesichtspunkt eines an der
objektiven Entwicklung der Gesamtgesellschaft
orientierten Wohlstandsverständnisses könnte
es mitunter sogar notwendig sein, die Ausrichtung an Zufriedenheit und Glück nicht absolut
zu setzen, weil sonst erforderliche Reformen –
die kurzfristig auch „weh tun“ könnten – niemals zustande kämen.
Durch die Einbeziehung dieses Indikators als
ein Element außerhalb des Rahmens der Kernindikatoren ist es im Wohlstandsbericht aber
möglich, die Mikro- und die Makroebene des
Wohlergehens in einer Gesellschaft aufeinander zu beziehen.
Neben Erhebungen zur Lebenszufriedenheit
finden sich weitere Studien, die sich sogar der
Frage nach dem „Glück“ widmen oder das
Themenfeld des „Guten Lebens“ durch empirische Studien behandeln. Eine Grundlage der
Dokumentation empirischer Arbeiten bietet die
„World Data Bank of Happiness“ der Universität Rotterdam (Veenhoven 2015). Bekannt geworden ist in Deutschland der so genannte
„Glücks-Atlas“ der Deutschen Post, der sich vor
allem auf ein Ranking von Regionen bzw. Bundesländern
konzentriert
(Raffelhüschen/Schlinkert 2015,2016). Dazu nur wenig
abweichende Ergebnisse hat eine Umfrage zum
„Glückstrend“ von Infratest dimap im Jahre
2013 ergeben.
Bereichen, die im Bericht als „Dimensionen“
bezeichnet werden. Als „Hauptkriterium“ der
Auswahl werden hier die Ergebnisse des Bürgerdialogs benannt, wobei die Auswahlmethodik nicht immer nachvollziehbar ist: So
wird als wichtigstes Thema im Bürgerdialog
„Frieden“ genannt, hierzu findet sich indessen
keine direkte Entsprechung im Indikatorensystem.
Es fällt auf, dass zwei von 48 Themen – Qualität der Pflege und globale unternehmerische
Verantwortung – nicht mit einem Indikator
abgedeckt sind. Im Prinzip soll jedoch jede der
12 „Dimensionen“ der Lebensqualität mit
mehreren – allerdings unterschiedlich vielen –
Einzelindikatoren abgedeckt werden. Eine
Auseinandersetzung mit einzelnen Indikatoren
oder mit der Auswahl der Indikatoren im Detail
kann an dieser Stelle nicht vorgenommen werden. Erkennbar ist aber, dass die Zahl der objektiven und der subjektiven Indikatoren in
den verschiedenen Dimensionen sehr unterschiedlich verteilt ist. Nachfolgend ist die Zahl
der Indikatoren je Dimension zunächst insgesamt aufgeführt; die zweite Zahl in der Klammer ist dann die Zahl der betreffenden subjektiven Indikatoren, die in der Gesamtzahl enthalten ist:41
1.
2.
3.
4.
Der Regierungsbericht „Gut Leben in Deutschland“ – der bereits in Abschnitt 3.1 erwähnt
wurde – verfolgt dagegen eine andere Strategie, da hier eine Kombination von objektiven
und subjektiven Indikatoren vorgeschlagen
wird. Der Bericht soll, „den gesellschaftlichen
Diskurs über die Lebensqualität in Deutschland
anregen und verstetigen“ (Bundesregierung
Deutschland 2016, 5). Das Indikatorensystem
des Berichts enthält 46 Indikatoren in zwölf
Sieht man einmal von den seit den Anfängen des
Wohlfahrtsstaates intendierten Verbesserungen der sozialen und ökonomischen Lage durch staatliche Maßnahmen
40
5.
6.
7.
8.
9.
„Gesund durchs Leben“ (5 – 1)
Gut arbeiten und gerecht teilhaben
(5 – 1)
Bildungschancen für alle (4 – 0)
Zeit haben für Familie und Beruf (4
– 1)
Sicheres Einkommen (5 – 0)
Sicher und frei leben (4 – 2)
Zuhause sein in Stadt und Land
(3 – 0)
Zusammenhalt in Familie und Gesellschaft (4 – 1)
Wirtschaft stärken, in die Zukunft
investieren (5 – 0)
ab; siehe exemplarisch dazu die Überlegungen von Bellebaum et al. (1998) zu „Staat und Glück“.
Interaktive Darstellung des Indikatorensystems unter
https://www.gut-leben-in-deutschland.de/static/LB/indikatoren/
41
43 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
10.
11.
12.
Natur erhalten, Umwelt schützen
(3 – 0)
Frei und gleichberechtigt leben
(3 – 1)
In globaler Verantwortung handeln
und Frieden sichern (3 - 0).
Die Dimensionen lassen sich – zwar nicht in
diesen Formulierungen, aber dem Inhalt nach
– nahezu vollständig den verschiedenen
Sustainable Development Goals oder sogar direkt einzelnen Unterzielen zuordnen. An wichtigen Stellen gibt es Überschneidungen zu den
Zielsetzungen und zu den Indikatoren im Nationalen Nachhaltigkeitsbericht, sodass eine Integration der objektiven Indikatoren aus diesem Regierungsbericht zur Lebensqualität in
den Nachhaltigkeitsbericht durchaus denkbar
wäre. Würde der Nachhaltigkeitsbericht dann
noch um einen Abschnitt mit subjektiven Indikatoren komplettiert, vergleichbar zu dem
ebenfalls seit Jahren vorgelegten „Datenreport“ des Statistischen Bundesamts,42 könnte
hier eine Integration der beiden Berichte unter
dem Dach des Nachhaltigkeitsberichtes überlegt werden.
Als jüngsten Bericht siehe Statistisches Bundesamt/Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung/Sozioökonomisches Panel (Hrsg.) (2016): Datenreport 2016 – Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland.
42
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 44
5. ERGEBNISSE UND SCHLUSSFOLGERUNGEN
Im Anschluss werden nun sowohl die zentralen
Dimensionen des Wohlstandsberichts 2017 in
grafischer Weise dargestellt (Abbildung 13), als
auch die einzelnen Kernindikatoren im Überblick. Dem schließt sich eine Übersichtsseite
an: Sie enthält durch Ampelfarben und Pfeile
Charakterisierungen der Einzelindikatoren, gefolgt von einer verdichteten grafischen Visualisierungsform, die in Form eines „Dashboards“ alle wesentlichen Informationen
transportieren soll (Abbildung 14).
5.1. DIE INDIKATOREN – ÜBERBLICK UND EMPFEHLUNGEN
Zu den einzelnen Indikatoren folgt hier eine
kurze Einschätzung hinsichtlich möglicher Instrumente und Maßnahmen zu ihrer Verbesserung respektive politischer Schlussfolgerungen.
–
Gelb: Der aktuelle Wert ist von Zielwert
noch deutlich entfernt, die Abweichung liegt bei bis zu 30 %. Falls kein
Zielwert formuliert werden kann, ist
der Indikatorwert im internationalen
Vergleich innerhalb der oberen 30 %.
–
Rot: Die Abweichungen des aktuellen
Wertes vom Zielwert betragen über 30
%. Falls kein Zielwert formuliert werden kann, ist der Indikatorwert im internationalen Vergleich nicht innerhalb der oberen 30 %.
Diese Einschätzung erfolgt in zwei Schritten.
Zuerst werden die einzelnen Kernindikatoren
grafisch charakterisiert. Dies erfolgt anhand
von Farben, die der Idee einer Verkehrsampel
folgen, sowie anhand von Pfeilen, die die
Richtung der Veränderung anzeigen.
Auf dieser Grundlage – und natürlich auf der
Basis des Kurvenverlaufs der einzelnen Indikatoren aus dem vorhergehenden Kapitel – werden anschließend Schlussfolgerungen zur Diskussion gestellt.
Ergänzende Hinweise:
–
Nicht für alle der vorgeschlagenen Indikatoren lassen sich Zielwerte eindeutig
formulieren.
–
Beim Ökologischen Fußabdruck im Verhältnis zur Biokapazität ist dies jedoch
der Fall: hier kann die Norm aufgestellt
und mit den ökologischen Grenzen der
Erde begründet werden, dass der Fußabdruck eigentlich nicht über der Biokapazität liegen soll. Auch bei dem Indikator zur Artenvielfalt und zur Landschaftsqualität gibt es ein politisch festgelegtes Ziel für die Bundesrepublik
Deutschland, nämlich die Wiedererreichung des Indexwertes 100, der zuletzt
etwa im Jahr 1975 erreicht werden
konnte.
–
Bei anderen Indikatoren lassen sich die
Ampelfarben im Grunde nur über einen
(1) Visualisierung der Kernindikatoren
Ampeldarstellung:
Die Ampelfarben sollen signalisieren, ob beziehungsweise inwieweit ein Indikator einem
angestrebten Zielniveau entspricht. Hier sind
die bekannten Ausprägungen in den Farben
rot, gelb und grün gewählt. Dabei bedeutet:
–
Grün: Der Zielwert ist bei dem Indikator erreicht oder nahezu erreicht; Abweichungen zum Zielwert betragen
maximal 15 %. Falls kein Zielwert formuliert werden kann, ist der Indikatorwert im internationalen Vergleich in
der Spitzengruppe.
45 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
internationalen Vergleich bestimmen, so
etwa beim Governance-Indikator. Hier
kann eine Grenze etwa für die Ampelfarbe grün festgelegt werden, die hier
nur dann vergeben werden soll, wenn
das Land zu den 10 % der besten Länder
der Erde gehört, für welche der Governance-Indikator berechnet werden
kann.
–
Schließlich bietet sich noch die Möglichkeit an, den Indikator im Verhältnis zu
den eigenen Indikatorwerten der Zeitreihe selbst zu bestimmen. Bei diesem
Verfahren wäre etwa „grün“ nur dann
zu vergeben, wenn der aktuelle Wert in
der Nähe des jeweiligen „historischen
Maximums“ der Zeitreihe liegt.
Trendpfeildarstellungen:
Die Pfeile signalisieren, ob sich ein Indikator in
der letzten Zeit in einem aufsteigenden positiven Trend, einem gleichlaufenden, neutralen
Trend oder einem negativen Trend befindet.
Die Interpretation folgt dabei immer einer Bewertung unter Wohlstandsgesichtspunkten.
Dabei muss beachtet werden, dass zuweilen
eine Abnahme eines Indikatorwertes einem
positiven Trend und damit folgerichtig einem
steigenden Pfeil entspricht – etwa beim Ökologischen Fußabdruck. Der umgekehrte Zusammenhang ist natürlich auch gegeben, beispielsweise beim Index für Artenvielfalt und
Landschaftsqualität, wo ein Anstieg eine Verbesserung signalisiert.
Nachfolgend findet sich eine entsprechende
Übersichtsdarstellung der Kernindikatoren des
Jahreswohlstandsberichts 2017.
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 46
Abb. 13: Übersicht zur Bewertung der Kernindikatoren (eigene Darstellung)
47 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
Zusammenfassung:
Die Ampeln symbolisieren den letzten verfügbaren Wert und damit den Zustand des Indikators: „Grün“ bedeutet demnach, dass der Zustand im Zielbereich des Indikators liegt, maximal 15 % vom Ziel entfernt; „gelb“ einen
Wert, der verbesserungsbedürftig ist, „rot“ einen Zustand, der weit von einem zukunftsfähigen Wert entfernt liegt.
Die Pfeile symbolisieren die jüngste Entwicklung des Indikators: „Pfeil nach oben“ heißt,
dass der Zustand sich verbessert hat, „Pfeil
nach unten“ symbolisiert eine Verschlechterung, „Pfeil waagrecht“ bedeutet, dass sich
entweder nichts geändert hat oder der Trend
uneinheitlich ist.
(2) Empfehlungen im Hinblick auf eine Verbesserung von Wohlstand und Wohlfahrt
I 1 – Ökologischer Fußabdruck
Der Indikator befindet sich seit langem
im roten Bereich. Die Differenz zwischen der eigenen Biokapazität und
dem Ökologischen Fußabdruck hat sich
in den letzten Jahren tendenziell weiter verschlechtert. Damit beruht der
Wohlstand in Deutschland auf Ressourcen und Entsorgungsleistungen,
welche zu einem großen Teil „extern“
(oder im Ausland) aufgebracht worden
sind. Langfristiges Ziel – um die Ampeldarstellung Richtung grün zu verändern – ist die Übereinstimmung
zwischen dem Ökologischen Fußabdruck Deutschlands im Verhältnis zur
selbst verfügbaren Biokapazität.
Es handelt sich um einen sehr umfassenden Indikator. So wären Verbesserungen nur zu erzielen, wenn an den
beiden großen Polen der Umweltbelastung gleichzeitig angesetzt würde:
Dies sind einerseits die Produktionsund andererseits die Konsumseite.
Folglich spielen diejenigen Branchen
eine maßgebliche Rolle, die Natur und
Umwelt besonders intensiv beanspruchen, etwa im Bereich der Erzeugung
von Feldfrüchten und insbesondere
von tierischen Produkten, im Chemiebereich die Herstellung von Plastikprodukten sowie die Branchen Kohle und
Öl, aber auch Eisen und Stahl.
Auf der Konsumseite sind dies die
zentralen Bereiche Wohnen, Ernährung und Mobilität. Besonders eine
tendenzielle Zunahme der Vereinzelung, erkennbar in einer steigenden
Anzahl von Single-Haushalten, geht
einher mit größerer Wohnfläche und
steigendem Aufwand für Strom und
Heizung. Insgesamt stiegen außerdem
die Konsumausgaben der privaten
Haushalte von rund 1,4 Billionen Euro
im Jahr 2011 auf 1,5 Billionen Euro im
Jahr 2014. Damit einher ging auch
eine Zunahme der Fahrzeugdichte; sie
beträgt inzwischen über 530 Pkw je
1.000 Einwohner.
Programme zur Steigerung der Ressourceneffizienz sowie der Kreislaufwirtschaft und Ansätze einer „shared
economy“ oder immaterieller Konsumstile einschließlich einer Veränderung des Ernährungsstils, würden den
Fußabdruck senken. Anreize könnten
auch durch die Stärkung der Produktverantwortung der Hersteller, verlängerte Garantiezeiten oder eine Ressourcenabgabe gesetzt werden, mit
denen die externen Kosten des Ressourcenverbrauchs stärker internalisiert würden.
Durch Investitionen in das Naturkapital, insbesondere den Erhalt von Ökosystemen und wertvollen Flächen einschließlich von Programmen zur Pflege
des Naturkapitals, würde sich außerdem die in Deutschland verfügbare Biokapazität erhöhen, ebenso durch Bemühungen, die eine weitere Intensivierung der Landnutzung oder Umwidmung landwirtschaftlicher Flächen
verhindern.
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 48
I 2 – Nachhaltigkeitsindikator für die Artenvielfalt
auch auf kommunaler Ebene, beispielsweise durch neue Vorgaben bei
Umweltverträglichkeitsprüfungen.
Auch in Siedlungsgebieten können
durch eine entsprechende Planung
und Gestaltung von Gebäuden und
Freiflächen Beiträge zum Erhalt der Artenvielfalt geleistet werden. Schließlich findet der Bundesverkehrswegeplan angesichts seiner erheblichen
Auswirkungen auf die Qualität von Natur und Landschaft nur wenig kritische
Kommentare.
Auch der zweite ökologische Kernindikator befindet sich in einem unzureichenden, mit „rot“ bewerteten Status, da er 2011 sich auf dem niedrigsten bislang dokumentierten Niveau
befindet und während der letzten
zehn Jahre sich erkennbar verschlechtert hat. Die im Kontext der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung
vorgegebene erste Zielsetzung zur Artenvielfalt für das Jahr 2015 wird
drastisch verfehlt werden. Besonders
der Teilindikator, der sich auf den Lebensraumtyp Agrarlandschaft bezieht,
neigt seit Jahren zur Verschlechterung.
Soweit erkennbar, soll nun offensichtlich für das Jahr 2030 der Index-Zielwert von 100 erreicht werden (vgl.
Bundesregierung 2017, 39).
I 3 – Einkommensverteilung S 80: S 20Relation
Die zunehmende Einkommensungleichheit hat inzwischen das Potenzial zu einem sozialen Konflikt, der
bislang bereits latent vorhanden war.
Die geringfügige Verbesserung des
letzten Wertes hat dieses Problem weder in der gesellschaftlichen Realität
noch in deren Wahrnehmung verbessert. Politische Empfehlungen müssen
in diesem Bereich vielschichtig und
differenziert sein. Stichworte sind
Mindestlohnsicherung; Erhöhung der
unteren Renten; Entlastung unterer
Einkommen, gegenfinanziert durch
eine stärkere Progression in der Einkommensbesteuerung bei höheren
Einkommen;44
stärkere Tarifbindung von Beschäftigungsverhältnissen respektive Ausweitung von Tarifverträgen und Eindämmung atypischer zugunsten sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse. Hier bestehen ferner Anknüpfungspunkte zu einer hö-
Eine „Agrarwende“, verbunden mit einer erheblich reduzierten Ausbringung
von Düngemitteln, insbesondere mineralischem Stickstoff, und Pflanzenschutzmitteln sowie einer geringeren
Nutzungsintensität von Böden43 und
Vermeidung von Grünlandumbruch
gehört auf die politische Agenda,
wenn es um eine übergreifende Sicht
von Wohlstand geht – also unter Einschluss des biologischen Reichtums,
der Biodiversität und des Funktionserhalts von Ökosystemen.
Insgesamt zeigt sich hier auch die
„Rückseite“ von Bautätigkeiten, verbunden mit Versiegelungen und Flächenzerschneidungen. Das Thema des
Flächenverbrauchs – genaugenommen
handelt es sich dabei um einen Entzug
von Flächen aus ökologischen Kreisläufen – ist ungelöst und bedarf neuer
politischer Initiativen, insbesondere
Ein Indiz ist der zunehmende Export von Nahrungsmitteln aus Deutschland, im Zuge des Leitmotivs einer Größenausweitung („economy of scales“) von Produktionsverfahren und agrarwirtschaftlichen Betrieben.
43
Bislang greift der höchste Steuersatz bereits bei mittleren Einkommen und bleibt bei den wirklich hohen Einkommen aber konstant.
44
49 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
heren Durchlässigkeit des Bildungssystems und zum Abbau von Beschäftigungshemmnissen bei Frauen.
Eine sich ausbreitende Ungleichheit
hat neueren Untersuchungen zufolge
selbst negative Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung. Dieser Befund
wird mittlerweile sogar vom Internationalen Währungsfonds als kritisch gesehen. Empfohlen wird ein steigendes
Einkommen im Bereich der unteren
Gruppierungen und der Mittelklasse,
da ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum nur bei einer gerechteren und insofern steigenden sozialen und ökonomischen Gleichheit gewährleistet
werden könne.45
Hier zeigt sich, dass sehr unterschiedliche Akteure eine Rolle spielen und
Unternehmen, Gewerkschaften und
der Staat gleichermaßen in der Pflicht
stehen. Ein interessantes zusätzliches
Handlungsfeld ist die Förderung genossenschaftlicher Produktion, da hier
die Partizipation an erwirtschafteten
Gewinnen eine größere Bedeutung
hat.
I 4 – Bildungsindex
Der Index befindet sich in einem
„gelb“ bewerteten Zustand, bei sich
verbessernder Tendenz.
Politische Maßnahmen beträfen die
Förderung „bildungsferner Schichten”
und nun auch verstärkt von Migranten
und Flüchtlingen, verstärkte Durchlässigkeit von Bildungsgängen sowie die
Förderung des Aufbaus weiterer berufsbegleitender Bildungsgänge (vgl.
auch Thöne & Krehl 2015) sowie ein
verbessertes Angebot an Fort- und
Weiterbildungsmaßnahmen. Zielführend wären auch eine stärkere Förderung von Programmen wie „Bildung
für Nachhaltige Entwicklung” und deren Integration in formale Bildungsgänge. Die erwartbaren Vorteile für das
Wohlstandsniveau in Deutschland lassen sich wie folgt umschreiben: In der
Regel höheres Einkommen, mehr
Achtsamkeit auf gesundheitliche Belange, tendenziell geringere Kriminalitätsneigung und größeres Interesse
an politischer Partizipation. Positive
Korrelationen zum wirtschaftlichen
Wachstum und zu (meist technischen)
Innovationen scheinen ebenfalls, auch
international, mit einem qualitativ
gemessenen Bildungsniveau einherzugehen.
I 5 – Nettoinvestitionsquote
Der Indikator wird mit einer roten Ampel bewertet, in den letzten Jahren hat
sich in der Tendenz nicht viel verändert, deswegen zeigt der Pfeil waagrecht. Intendierte Verbesserungen sind
teilweise klar mit unterschiedlichen
privaten Interessen verbunden:
Gefordert werden traditionellerweise
von Arbeitgeberseite wirtschaftspolitische Maßnahmen, die die Rentabilität
kleiner und mittlerer Unternehmen
verbessern:
Steuererleichterungen,
Subventionen, Verbesserung der Außenhandelsbedingungen. Eine zweite
Sicht verknüpft Investitionsförderung
direkt mit dem Arbeitsplatz-Argument:
Gerade dort sollen Investitionen erleichtert werden, wo durch das Engagement neue Arbeitsplätze entstehen.
Zu den errechneten positiven Wirkungen von zunehmender Gerechtigkeit und zunehmendem Wachstum der
Weltwirtschaft siehe im Detail IMF (2015).
45
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 50
Eine andere Orientierung könnte Politiken zur Verbesserung der Nettoinvestitionen mit strukturpolitischen Überlegungen verbinden, die die Investitionsbedingungen vor allem in einer
„green economy“ fördern (siehe auch
Kernindikator 6), mit anderen Worten:
Investitionserleichterungen in jenen
Wirtschaftsbereichen realisieren, von
deren eine zukunftsfähige Ökonomie
besonders profitiert. Ordnungspolitische Maßnahmen spielen hierbei
durchaus eine wichtige Rolle, zu ihnen
gehören anspruchsvolle Ziele bei der
Energieeffizienz und Ressourceneinsparung und eine zielgerichtete Bepreisung von Umweltverbrauch im
Rahmen einer Weiterentwicklung der
ökologischen Finanzreform oder über
einen CO2-Mindestpreis.
Zudem könnten auf Seiten öffentlicher
Haushalte entsprechende Investitionen durch Förderprogramme und andere, indirekte Maßnahmen begünstigt werden, wie z.B. steuerliche Begünstigungen von Ausgaben für Forschung und Entwicklung und gezielt
verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten für besonders energieeffiziente Investitionen. Fördernd für die private
Investitionstätigkeit wirken auch öffentliche Investitionen in Bildung,
Wissenschaft und Infrastruktur.
I 6 – Anteil von Umweltschutzgütern an
der Bruttowertschöpfung
Handlungsfelder sind hier vor allem
eine gezielte Förderung der Produktion
von Umweltschutzgütern. Das sollte
auch die Gestaltung der Exportmärkte
berühren, etwa durch die komplette
Umorientierung der Subventionen einschließlich von Hermes-Bürgschaften
nach „grünen” Kriterien sowie eine
verstärkte Kooperation zwischen Wirtschaft und den entsprechenden Ministerien mit Akteuren im Bereich der
Entwicklungszusammenarbeit.
Die
Ausarbeitung einer entsprechenden
Strategie bietet sich nun angesichts
der Ergebnisse der Pariser Klimaverhandlungen und den Vorgaben durch
die im Herbst 2015 verabschiedeten
weltweiten
Nachhaltigkeitsziele
(Sustainable Development Goals, SDGs)
an. Insofern wäre die „grüne“ Bewertung des Indikators kein Hindernis,
den Anteil der Umweltschutzgüter
weiter zu erhöhen; denkbar ist in diesem Zusammenhang eine „Dynamisierungsklausel“ mit intendierten prozentualen Steigerungsraten. Eine solche umweltpolitische Vorgabe könnte
zumindest als Orientierung und staatliche Signalwirkung für die wirtschaftlichen Akteure fungieren.
Generell geht es dabei um eine Steigerung des Anteils der Umweltschutzgüter an der Produktion insgesamt. Dies
kann im Kontext einer Umorientierung
hin zu einer „Grünen Wirtschaft“ ein
wichtiger Baustein sein. Um die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltiger Produkte zu verbessern und zu sichern –
etwa im Bereich Erneuerbare Energie
oder Kreislaufwirtschaft – sollte ein
umfassender industriepolitischer Ansatz verfolgt werden, der eine stärkere
Internalisierung externer Kosten, die
Förderung zukunftsfähiger Technologien und Geschäftsmodelle sowie die
Durchsetzung hoher Klimaschutz- und
Umweltstandards in internationalen
Handelsverträgen umfasst.
51 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
I 7 – Gesunde Lebensjahre
Die Ampel zeigt hier eine gelbe Farbe,
bei in letzten Jahren leicht zurückgehender Entwicklungstendenz. Menschen leben, über die Entwicklung der
letzten Jahrzehnte betrachtet, zwar
deutlich länger, der Zugewinn setzt
sich aber nicht in einen entsprechenden Anstieg der gesunden Lebensjahre
um. Dabei nivelliert sich auch der Unterschied zwischen Männern und
Frauen; letztere haben bekanntlich
eine deutlich höhere Gesamtlebenserwartung als Männer. Chronische Erkrankungen, Gebrechlichkeit, körperliche Behinderungen und psychische
Störungen sind in höherem Alter stärker verbreitet; die damit einhergehenden Belastungen wirken sich auch auf
das Gesundheits- und das Rentensystem aus.46
Mit der Indikation der gesunden Lebensjahre ist auch eine Neuorientierung der Gesundheitspolitik intendiert: Gesundheits- und Versorgungssysteme sollen sich hier insbesondere
auch auf Vorsorgesysteme und die Förderung von „aktivem Altern“ konzentrieren. Die Zugänglichkeit sowie die
Qualität und die Nachhaltigkeit von
Gesundheitsdienstleistungen müssen
hier weiter verbessert werden (Europäische Kommission 2016). Erreicht
werden soll damit eine Verbesserung
der Lebensqualität älterer Menschen
und nicht zuletzt eine Entlastung der
Pflegesysteme.
I 8 – Governance Index
Der Governance Index wird im internationalen Vergleich mit „grün“ bewertet, obwohl er gerade im letzten
Jahr wieder einen deutlichen Rückgang aufweist. Dennoch ließen sich
auch hier Empfehlungen für eine Stabilisierung oder sogar für eine weitere
Verbesserung ableiten: Dazu gehören
Maßnahmen zur Gewaltprävention
und weiterhin Bemühungen zum Bürokratieabbau und zur Vereinfachung
von Verwaltungsstrukturen. Gleichfalls
hilft eine Erweiterung der Kapazität
von Gerichten, um die Zeit zwischen
Anklage und Verfahren zu verringern
beziehungsweise Zivilgerichtsverfahren zu beschleunigen. Zu betonen ist
außerdem die Bedeutung von AntiKorruptionsmaßnahmen
auch
in
Deutschland, nicht zuletzt im Kontext
einer Bekämpfung von zunehmender
Banden- und organisierter Kriminalität.
Eurostat (Hrsg.) (2016): Statistiken über gesunde Lebensjahre. URL: http://ec.europa.eu/eurostat/statisticsexplained/index.php/Healthy_life_years_statistics/de
46
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 52
5.2. ZUSAMMENFASSUNG
Die folgende Abbildung 14 greift die Idee einer
Visualisierung in Form eines sogenannten
„Dashboards“ auf. Ziel ist eine übersichtliche
Anordnung aller Kernindikatoren in Analogie
zu einem Instrumentenpult oder einem Flugzeugcockpit, um alle wesentlichen Informationen auf einen Blick zu vermitteln:
Abb. 14: Kernindikatoren des Wohlstandsberichts 2017 als Dashboard-Übersicht (eigene Darstellung)
K1: Ökologischer Fußabdruck
K3: S 80:S20 - Relation der Einkommensverteilung
K5: Nettoinvestitionsquote
K7: Gesunde Lebensjahre
K2: Index Artenvielfalt und Landschaftsqualität
K4: Bildungsindex
K6: Anteil von Umweltschutzgütern an der
Bruttowertschöpfung
K 8: Governance Index
Die Abbildung 14 gibt alle Kernindikatoren des Jahreswohlstandsberichts wieder, beginnend mit den
Indikatoren auf der linken Seite, welche eine negative Ausprägung besitzen.
Sie zeigt ganz rechts diejenigen Indikatoren,
welche eine grüne Farbmarkierung besitzen
und zudem eine sich verbessernde Entwicklung
zeigen, weshalb der Pfeil nach oben weist.
•
Es überrascht zunächst, dass in Deutschland der Wohlstand gerade durch die beiden Indikatoren der ökologischen Dimension negativ beeinträchtigt wird – trotz
53 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
•
der Erfolge im Umweltschutz bei den Umweltproblemen der „ersten Generation”:
Luft-, Wasser-, Bodenverschmutzung,
Abfallbeseitigung. Das deutet darauf hin,
dass die bisherigen ökonomischen Aktivitäten – selbst bei begrenztem Wirtschaftswachstum – weitere Gefährdungen
hervorbringen werden; die Divergenz
zwischen Inanspruchnahme der Umwelt
und der ökologischen Basis ist zu hoch
(Indikator 1). Dies macht sich auch beim
Nachhaltigkeitsindikator für die Artenvielfalt und Landschaftsqualität bemerkbar, der eine weitere ökologische Verschlechterung in den unterschiedlichen
Lebensräumen signalisiert und letztlich
auch das vorhandene „Naturkapital“ untergräbt (Indikator 2). Die Folgen sind bereits aus umweltethischer Sicht bedenklich, aber ein Verlust von Tier- und Pflanzenarten senkt über kurz oder lang auch
die Umwelt- und Lebensqualität der Menschen. Mit anderen Worten: Deutschland
trägt erheblich dazu bei, dass die zukünftige Einhaltung der planetaren ökologischen Grenzen in Gefahr ist. Hierzu gehören im Übrigen der Stickstoffkreislauf sowie Emissionen von Treibhausgasen. Im
Bereich der ökologischen Dimension sind
also beide Indikatoren ganz beträchtlich
von den jeweiligen Zielsetzungen entfernt.
Politischer Handlungsbedarf wird weiterhin durch die Entwicklung der Indikatoren
der sozialen Dimension angezeigt. In
Deutschland nahm die Ungleichverteilung
der Einkommen seit 2005 besonders stark
zu, auch im internationalen Vergleich.
Von zahlreichen Studien ist bekannt, dass
sich eine starke Ungleichverteilung auf
sehr viele andere gesellschaftlichen Fragen signifikant negativ auswirkt, einschließlich des Vertrauens in die gemeinschaftlichen und staatlichen Institutionen
sowie die Legitimation der demokratischen Prozesse.
Hier könnte ein Kernproblem der ökonomischen Entwicklung liegen, dass durch das
Geld- und Finanzsystem weiter verstärkt wird
und bei dem – wie auch bei den ökologischen
Indikatoren – ein auf lange Frist angelegtes
politisches Programm nötig sein wird.
Die Indikatoren der ökonomischen und der gesellschaftlichen Dimension schneiden im Vergleich zu den vorgenannten Dimensionen teilweise deutlich besser ab. Im Sinne einer Beibehaltung des hohen Niveaus, aber auch einer
Steigerung unter Wohlstandsgesichtspunkten
signalisieren die Indikatoren gleichzeitig
Handlungspotenzial, beispielsweise im Bereich
wirtschaftlicher Innovation und einer weiteren
Erhöhung des Anteils hergestellter Umweltschutzgüter sowie entsprechender Dienstleistungen.
Zu hoch sind hier jedoch nach wie vor einige
der erfassten Begleit- und Folgekosten der bisherigen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in Deutschland, welche das Wohlstandsniveau faktisch untergraben und die
Frage nach einer Umsteuerung auf die politische Agenda heben.
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 54
6. KONTROLLINDIKATOR ZUR PROBLEMATIK DER
VERSCHULDUNG
Kaum ein volkswirtschaftliches und gesellschaftspolitisches Problem wird so kontrovers
diskutiert wie die Frage des Umgangs mit Defiziten: Ist eine weiter steigende Verschuldung
oder Schuldenabbau angebracht? Hier stehen
sich zwei wirtschaftstheoretische Grundhaltungen gegenüber - die keynesianisch begründete antizyklische Konjunkturpolitik, die
in Zeiten von Wirtschaftskrisen durch „deficit
spending“ die Wirtschaft wiederbeleben will,
und eine Austeritätspolitik, die durch Umstrukturierungs- und Anpassungsmaßnahmen
gerade in Zeiten von Krisen Schulden abbauen
möchte, um die Haushalte von Zinslasten zu
befreien. Ob Schulden Teil des Problems oder
Teil der Lösung sind, ist besonders am Beispiel
Griechenlands und den südlichen europäischen Staaten umstritten. Eine zweite gegensätzliche Politikfront manifestiert sich in der
Haltung der USA und der Position Deutschlands zur Frage der (weiteren) Verschuldung
staatlicher und wirtschaftlicher Akteure.
Unbestritten ist, dass Schulden für Investitionen in sehr vielen Fällen notwendig und auch
erwünscht sind, denn sonst würde sich die
Investitionstätigkeit auf die Anlage eigener
Gewinne oder des Eigenkapitals beschränken.
Kreditmärkte üben eine für alle Wachstumsprozesse maßgebliche Allokationsfunktion
aus, indem hier die Anlagewünsche von Kapitaleignern mit den Finanzierungswünschen
von Investoren zusammenkommen – was nur
über Verschuldung möglich ist. Das von vielen
Ökonomen postulierte Leitmotiv lautet, dass
es in einer freien Marktwirtschaft ohne Schulden kein Wachstum gäbe. Nur dann kann der
so genannte „positive Schuldenzyklus“ gelingen, wenn nämlich die Unternehmer durch
ihre kreditfinanzierten Investitionen mehr
Geld verdienen, als sie in Form von Tilgung
und Zinsen an die Gläubiger zurückzahlen
müssen. Genau diesem Mechanismus verdankt sich die Akzeleration von Wachstumsprozessen, die möglich werden, wenn die
volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen
dies zulassen.
Verbesserungen bei der Entwicklung des
Wohlstands in einer Gesellschaft sind – in
dieser Perspektive – dann nicht nachhaltig,
wenn sie durch eine Verschuldung zustande
kommen, die in einer angemessenen Zeit
nicht wieder abgebaut werden kann. Deswegen ist es wichtig, zu überprüfen, ob mit den
Entwicklungen in den vier Dimensionen des
Wohlstandsberichtes eine entsprechende Veränderung in der Verschuldung der Gesellschaft insgesamt einhergeht. Denn wie die
letzten Wirtschaftskrisen in den 2000er Jahren
gezeigt haben, ist es eben nicht immer „nur“
die Verschuldung der Öffentlichen Haushalte,
von denen bedrohliche Verschuldungskrisen
ausgehen – Ausgangspunkt können auch die
privaten Haushalte oder der Unternehmenssektor sein.
Als Beispiel seien hier die von „Immobilienpreisblasen“ ausgehenden Krisen genannt,
wie sie in den USA, Irland oder Spanien zu
beobachten waren. So kann sich die Einkommensverteilung in Zeiten eines Immobilienbooms zwar verbessern. Wenn dieser Boom
aber lediglich auf eine massive Zunahme der
Verschuldung von privaten Haushalten oder
Unternehmen zurückzuführen ist und durch
plötzlich steigende Zinsbelastungen die „Immobilienpreisblase“ dann platzt, kann es zur
Katastrophe kommen: Schuldner können ihre
Kreditlasten nicht mehr bedienen – und erhalten dann beim folgenden Zwangsverkauf
ihrer Immobilie nur noch ein Bruchteil des
Preises, den sie in Zeiten des Booms selbst
bezahlt hatten. Auch viele Unternehmen kön-
55 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
nen dann in die Lage kommen, Insolvenz anmelden zu müssen; diese Entwicklungen können dann zusammen dazu führen, dass Banken in Schieflage geraten und große volkswirtschaftlichen Verwerfungen mit starken
negativen Auswirkungen entstehen, die sich
dann auch in einer massiven Verschlechterung
der sozialen und gesellschaftlichen Indikatoren ausdrücken.
Die steigende Verschuldung im privaten Sektor
der USA oder in Spanien schien so lange abgesichert, als dieser Verschuldung reale Werte
gegenüberstanden: eben Immobilien, die zu
den hohen Marktpreisen bewertet wurden.
Die fallenden Häuserpreise in den USA lösten
dann aber die sogenannte „Subprime-Krise“
aus. Von dieser Krise gingen weltweite
Schockwellen aus, Hypothekenbanken und
schließlich der gesamte Bankensektor wurden
erfasst. Im Zuge der Übernahme umfangreicher Bankenrisiken wurden private Risiken
sozialisiert und belasteten die Staatshaushalte
vieler Länder in extremer Weise.
Zur Situation in Deutschland
Letztlich blieb auch Deutschland nicht völlig
verschont. Jedoch steht Deutschland zumindest von den Auswirkungen her noch nicht im
Zentrum der soeben skizzierten Risiken und
Spannungsverhältnisse. Dennoch kämpfen in
Deutschland viele private Haushalte mit
Schulden. Jeder zehnte Bundesbürger hat finanzielle Probleme bei der Schuldentilgung.
Betroffen sind ca. 6,85 Millionen Menschen.
Für eine differenzierte Sicht nach wirtschaftlichen Akteuren sei auf Abbildung 15 (nachfolgende Seite) verwiesen: In Deutschland ist die
Verschuldung des Öffentlichen Gesamthaushalts bis 2012 kontinuierlich angestiegen und
blieb bis 2014 nahezu unverändert; 2015 hat
es seit Jahrzehnten zum ersten Mal wieder einen Rückgang gegeben. Die Verschuldung der
Unternehmen ist im letzten Jahrzehnt ebenfalls angestiegen, unterbrochen von einem
kleinen Rückgang zu Zeiten der Finanzkrise.
Die Verschuldung der privaten Haushalte blieb
im selben Zeitraum nahezu unverändert.
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 56
Abbildung 15: Entwicklung des Verschuldungsgrades unterschiedlicher Akteure bis 2015
In wirtschaftswissenschaftlichen Darstellungen üblich ist es, die Verschuldung auf das
Bruttoinlandsprodukt zu beziehen – damit
soll ausgedrückt werden, dass ein Land mit
einem höheren BIP sich auch eine höhere
Verschuldung „leisten“ kann, da es durch
seine Wirtschaftskraft auch leichter in der
Lage wäre, den Schuldendienst aus Tilgung
und Zinslasten zu bedienen. Diese Annahme
liegt auch den Maastricht-Kriterien zugrunde,
denen zufolge die Staatsschulden nur einen
bestimmten Anteil des BIP betragen sollen.
Die Übertragung der Schuldenrelation zum BIP
auf die Gesamtverschuldung könnte sich aber
als höchst problematisch erweisen, einfach
schon deswegen, weil der Handlungsspielraum privater Akteure mit dem der öffentlichen Institutionen nicht vergleichbar ist. Generell gilt jedoch, dass die Verwendung des
BIP als derart entscheidende Bezugsgröße die
Gefahr birgt, alle die falschen Steuerungssignale mit zu transportieren, derentwegen im
vorliegenden Bericht der Nationale Wohlfahrtsindex als Bezugsgröße gewählt wurde
und nicht das BIP: Auch hier zeigt sich, dass
eine Orientierung am BIP als Wohlstandsmaß
missverständliche Konsequenzen haben
könnte.
Dies zeigt die folgende Abbildung 16 auf
deutliche Weise. Hier wurde normiert auf das
Jahr 2010 = 100 die Entwicklung der Relation
57 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
der Gesamtverschuldung zum BIP (rote Linie)
gegenübergestellt zur Relation der Gesamtverschuldung zum NWI (grüne Linie). Die Relation zum BIP weist ihren Höchstwert im Jahr
2010 auf – zufällig im Normierungsjahr. Die
Entwicklung ist bis 2012 eher uneinheitlich,
ohne klare Richtung, danach setzt ein deutlicher Rückgang ein, und 2015 erreicht die
Zeitreihe ihren bis dato niedrigsten Wert.
Ganz anders sieht die Relation der Gesamtverschuldung zum NWI aus: Hier weist die
Zeitreihe am Beginn, im Jahre 2005, den
niedrigsten Wert auf und erreicht ihr bisheriges Maximum nach fast kontinuierlichem Anstieg im Jahr 2013. Aufgrund des Time-lags
bei der Berechnung des NWI wird der Wert
dieser Zeitreihe für das Jahr 2015 erst ab April
2017 verfügbar sein.
Abbildung 16: Gesamtverschuldung im Verhältnis zu BIP und NWI
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 58
Mit der Ausweitung der Betrachtung auf die
Gesamtverschuldung einerseits und mit der
Gegenüberstellung der Verschuldungsrelation
zu BIP und NWI andererseits wird deutlich,
dass es eines Perspektivenwechsels bedarf,
wenn man die Verschuldung als Kontrollindikator zur Betrachtung des gesamtgesellschaftlichen Wohlstands hinzunehmen möchte.
•
Erfolgte unter Wohlfahrtsgesichtspunkten
durch das wirtschaftliche Wachstum
gleichzeitig ein Substanzverzehr der Vergangenheit in Form von fossilen Brennstoffen, Rohstoffen und Naturkapital einschließlich der Übernutzung von bestehenden Ökosystemen, so kommt durch
•
eine nicht nachhaltige Verschuldung ein
Substanzverzehr der Zukunft hinzu, im
doppelten Wortsinn durch „kapitale“
Schulden, welche zukünftig zu Buche
schlagen werden.
Die Zinsbelastung scheint gegenwärtig
zwar beherrschbar. Aber angesichts des
absoluten Schuldenniveaus, nicht nur bei
Staaten, sondern auch bei Unternehmen
und privaten Haushalten, bedeuten Zinssteigerungen neue drastische Risiken,
deren potenzielle Auswirkungen gerade
mit Blick auf den gesamtgesellschaftlichen Wohlstand im Sinne des vorliegenden Berichtes bislang zu wenig diskutiert
zu werden.
59 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
7. DER JAHRESWOHLSTANDSBERICHT IM KONTEXT
NEUER GESELLSCHAFTLICHER BERICHTSMODELLE
Alternative Wohlstands- und Wohlfahrtsmodelle – einschließlich alternativer Indikatoren- und Gesamtrechnungsansätze – sind auf
der Ebene der Ministerien und regierungsamtlichen Entscheidungsträger inzwischen zwar
bekannter, aber scheinen angesichts der bestehenden Interessenlagen kaum in Entscheidungsprozesse einzufließen.47 Dies gilt
gleichermaßen für Deutschland wie für Europa, denkt man an die Prioritäten der Europäischen Kommission mit ihren klassischen
wachstumsfördernden
Konjunkturprogrammen und der Initiative zur Etablierung einer
„wirtschaftspolitischen Steuerung“ im Rahmen
des so genannten „European Semester“.48
Gleichzeitig läuft aber der internationale Diskussionsprozess zu einem alternativen Verständnis von Wirtschaftswachstum (Stichwort:
„Beyond GDP“) weiter; ihm haben sich die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung49, die Weltbank mit ihrem
Konzept des “Total Wealth“50 und das Umweltprogramm
der
Vereinten
Nationen
(UNEP)51 angeschlossen.
Im Kontext der internationalen Bemühungen
zum Erhalt von Biodiversität werden nun Konzepte entwickelt, um den Wert von Natur und
von Ökosystemen sowie deren „Dienstleistungen“ anzuerkennen und sich von einem rein
ökonomischen Wachstum abzusetzen, so bei
der Convention of Biological Diversity 2010
Siehe hierzu beispielsweise Forderungen im neuen Umweltprogramm des BMUB (2016, S. 23).
47
Das “European Semester” bezeichnet einen festgesetzten Rhythmus im Jahr, in dem Richtlinien zur Politik der
einzelnen Mitgliedsstaaten von der EU empfohlen werden. Dieser standardisierte Prozess der ökonomischen
“Steuerung” ist dabei stark am Leitindikator Wachstum
des BIP orientiert (vgl. European Commission 2015).
48
Siehe hierzu die Webseite der OECD:
http://www.oecd.org/statistics/measuring-well-beingand-progress.htm
49
(Stichwort Aichi-Target 2). Sogar die Weltbank,
die sich seit einigen Jahren mit einem erweiterten Wohlfahrtsverständnis unter Einbeziehung von Naturkapital und sozialem Kapital
befasst, unterstützt eine internationale Initiative der Wohlstandsbilanzierung und Bewertung von Ökosystemdienstleistungen („Wealth
Accounting and Evaluation of Ecosystem Services“).52
Aufbauend auf dem System der umweltökonomischen Bilanzierung (englisch abgekürzt:
SEEA) haben die Vereinten Nationen diesen Ansatz erweitert, um eine experimentelle Variante mit der etwas komplizierten Bezeichnung
„System of Environmental-Economic Accounting – Experimental Ecosystem Accounts
(SEEA-EEA).
Übergreifende Motivation für die Abkehr von
Berichtsformen der traditionellen Ökonomie
und insbesondere für eine ökosystembezogene
Erweiterung sogar der umweltökonomischen
Bilanzen ist die Erkenntnis, dass im Zuge von
menschlichen Aktivitäten die Degradierung der
Funktionsfähigkeit natürlicher Ökosysteme
und deren Potenziale ein Ausmaß annimmt,
welches sich einerseits auf die Biodiversität
negativ auswirkt und in der Folge auch die
Wirtschaft selbst beeinträchtigt (ausführlicher
hierzu „The Economics of Ecosystems and Biodiversity“ TEEB 2010; Convention on Biological
“It certainly could be argued that the fundamental
duty of government is to ensure that its policies lead to
increases in social welfare”, World Bank 2011, S.4.
50
Die ‚UN Statistical Commission Friends of the Chair
Group on Broader Measures of Progress‘ (FOC) hat 2015
eine Umfrage zu nationalen Erfahrungen mit alternativen
Wohlfahrtsindikatoren in Auftrag gegeben.
51
52 Weiterführend hierzu siehe URL: https://www.wavespartnership.org/
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 60
Diversity; TEEB-Deutschland 2015; bemerkenswert auch der WWF 2015).53
Die Arbeit der Enquête-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Deutschen Bundestages ist in diesem Zusammenhang ebenfalls hervorzuheben, da nach dem
Einsetzungsbeschluss der Kommission im
Deutschen Bundestag ein explizites Ziel in der
Entwicklung eines gegenüber dem BIP weiterreichenden Indikators bestand.54 Die Einrichtung der Kommission war international gesehen einzigartig, da sich bislang in keinem anderen Land ein so hochrangiges parlamentarisches Gremium mit Wirtschaftswachstum und
den damit korrespondierenden Problemlagen
befasst hat. Als jedoch mit der Vorlage von einem Mehrheits- und zwei Minderheitenvoten
schließlich drei konkurrierende Indikatorensätze gegenüber Politik und Öffentlichkeit um
Aufmerksamkeit rangen, wurde die Chance
verpasst, mittels neuer Indikatoren ein Zeichen
für die Zukunft zu setzen. Eine günstige Ausgangssituation konnte so nicht genutzt werden.
Die Idee eines Jahreswohlstandsberichts stellt
vor diesem Hintergrund eine neue Initiative
dar. Nachträglich und indirekt ließe sich so
auch das ursprüngliche Anliegen der Kommission fortführen und präzisieren.
Insgesamt scheint es einen Trend in mehreren
Ländern und auf der internationalen Ebene zu
geben, subjektive Indikatoren und Messungen
zur Zufriedenheit verstärkt auf die statistische
Agenda zu bringen. Häufig bieten die bekannten Studien von Stiglitz/Sen/Fitoussi (Commission on the Measurement of Economic Performance and Social Progress) von 2009 und die
Arbeiten des britischen Ökonomen Layard
(2005) die argumentative Grundlage für entsprechend neue und durchaus aufwändige Er-
Näheres hierzu unter: The Economics of Ecosystems and
Biodiversity: http://www.teebweb.org/ Zur CBD unter
http://www.cbd.int/ Zu TEEB-Deutschland: http://www.naturkapital-teeb.de/aktuelles.html Indessen gibt es auch vermehrt Kritik an einer „Neuen Ökonomie der Natur“, welche über solche Bewertungen die Tür zu einer neuen Verwertung öffnen könnte, siehe beispielsweise
53
hebungen. Dolan/Layard/Metcalfe (2011) konstatieren ein steigendes Interesse an Messungen des subjektiven Wohlbefindens weltweit,
das unter anderem auch durch die Materialund Datensammlung der „World Data Bank of
Happiness“ dokumentiert wird.
Die entscheidende Frage ist jedoch, ob diese
neue Entwicklung letztlich eine Ergänzung bisheriger Indikatoren einer ökonomischen und
sozialen Nachhaltigkeit darstellt oder dann
unabhängig davon eine eigene statistische Erfassungslandschaft entsteht. Die OECD zumindest hat bei ihrem „Better-Life“-Index erkannt, dass die Gewährleistung eines nachhaltigen Wohlbefindens der Bevölkerung auf
Dauer auch eine Erhaltung und Förderung des
Sozialen Kapitals und des Naturkapitals implizieren muss (Durand 2014).
Ein positives Beispiel stellen inzwischen die
Bemühungen des Schweizerischen Eidgenössischen Departments des Innern und des Bundesamts für Statistik dar. Der dortige Bundesrat
hatte 2010 im Rahmen des Bundesratsbeschlusses zum Thema „Grüne Wirtschaft“ den
Auftrag erteilt, das BIP mit weiteren Indikatoren zur gesellschaftlichen, wirtschaftlichen
und ökologischen Entwicklung zu ergänzen.
Dieser Auftrag wurde dann im „Aktionsplan
Grüne Wirtschaft 2013“ konkretisiert. 2014 ist
erstmals ein umfangreiches „Indikatorensystem Wohlfahrtsmessung“ vorgelegt worden; es
deckt sich in weiten Teilen mit den Intentionen
des vorliegenden Jahreswohlstandsberichts
und kann dabei – aufgrund des unmittelbar
verfügbaren Datenpools und den Kapazitäten
einer statistischen Behörde – über ein beträchtliches Spektrum an Themenbereichen
berichten (ausführlich hierzu: BFS 2014). Inzwischen ist Ende 2016 eine erste Aktualisierung erfolgt (BfS 2016).
Fatheuer/Fuhr/Unmüßig: Natur oder Naturkapital? In: Kritik der Grünen Ökonomie 2015.
Vgl. Deutscher Bundestag, Bundestagsdrucksache
17/3853, S. 3.
54
61 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
8. AUSBLICK
Der Jahreswohlstandsbericht soll jährlich zeitnah mit dem Jahreswirtschaftsbericht veröffentlicht werden. Dabei sollen die Kernindikatoren regelmäßig fortgeschrieben und in ihrer
Entwicklung analysiert werden.
Um eine neue Form gesellschaftlicher Berichterstattung zu etablieren, muss die Datenerhebung und statistische Erfassung der Indikatoren in Zukunft auch von offizieller Seite unterstützt und weiterentwickelt werden.
Dies ist ein zwar aufwändiges, jedoch kein
utopisches Unterfangen, denn die Entwicklung
im Bereich einer alternativen Berichterstattung
schreitet gegenwärtig schnell voran. So erhält
die Idee eines Jahreswohlstandsberichts beispielsweise durch neuere Arbeiten des Office
for National Statistics in Großbritannien Unterstützung. Das Amt zählt zu den führenden statistischen Einrichtungen, die eine Erfassung
des Wohlergehens systematisch vorzunehmen
versuchen (ONS 2015) und auch im Bereich der
Erfassung des vorhandenen Naturkapitals und
des Naturerbes aktiv sind (ONS 2014, DEFRA/ONS 2016).
Eine konkrete und machbare Version hat zudem die Schweiz mit ihrem Indikatorensystem
Wohlfahrtsmessung vorgestellt, bei der die
verschiedenen Aspekte der Schaffung, Verteilung und dem Erhalt von Wohlfahrt mit Daten
aus den amtlichen Statistiken unterlegt werden.
Im internationalen Raum befasst sich der UNReport „Inclusive Wealth“ mit den Herausforderungen einer umfassenderen Wohlfahrtsbilanzierung, unter Einschluss von Aspekten des
Humankapitals und neueren Erkenntnissen zur
Erfassung von Ökosystemdienstleistungen
(UNU-IHDP and UNEP 2014).
Schließlich kann der Jahreswohlstandsbericht
in zukünftigen Versionen die Diskussion über
die internationalen „Sustainable Development
Goals“ aufgreifen, welche im Herbst 2015 von
den Vereinten Nationen verabschiedet wurden. Denn zu den 17 Zielen und 169 Teilzielen
sind im Prinzip Monitoringsysteme erforderlich, die teilweise noch aufgebaut werden
müssten
(Open Working Group 2014). Auch
empfiehlt sich, die Indikatoren der bundesdeutschen Nachhaltigkeitsstrategie im Auge zu
behalten, welche sich ab 2017 gleichfalls stärker an den SDGs ausrichten.
Längerfristiges Ziel der Arbeiten hier ist es daher, den traditionellen Jahreswirtschaftsbericht und den Jahreswohlstandsbericht zu einer neuen Berichtsform zu verschmelzen. Im
konzeptionellen Sinne ermöglicht dies eine
stärkere Orientierung der wirtschaftlichen Prozesse am Ziel gesellschaftlichen Wohlstands.
Im empirischen Sinne geht es um eine Erweiterung des Spektrums dafür geeigneter Indikatoren, die einer abgesicherten, amtlichen Erhebung bedürfen, um über die Zeit aussagekräftige Entwicklungen für Deutschland erkennen zu können.
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 62
9. LITERATURVERZEICHNIS
Achtziger, R. / Stickroth, H. / Zieschank, R. /
Wolter. C. / Schlumprecht, H. (2007):
Nachhaltigkeitsindikator für die Artenvielfalt – Weiterentwicklung eines Indikators für den Zustand von Natur und
Landschaft in Deutschland. Endbericht
für das Bundesamt für Naturschutz
(BfN). Bonn.
Allianz Dresdner Economic Research & The Lisbon Council (Hrsg.) (2008): European
Growth and Jobs Monitor. Indicators for
Success in the Knowledge Economy.
Frankfurt/M. (Special Report: Energy efficiency – A key driver of growth).
Appel, I. (2005): Staatliche Zukunfts- und
Entwicklungsvorsorge: zum Wandel der
Dogmatik des Öffentlichen Rechts am
Beispiel des Konzepts der nachhaltigen
Entwicklung im Umweltrecht. Tübingen.
Arrow, K. / Dasgupta, P. / Goulder, L. / Mumford, K. / Oleson, K. (2010): Sustainability and the measurement of wealth.
London: National Institute for Economic
and Social Research; URL:
http://www.niesr.ac.uk/pdf/161110_13
4451.pdf
Autorengruppe Bildungsberichterstattung
(2014): Bildung in Deutschland 2014,
Berlin: BMBF, URL: http://www.bildungsbericht.de/daten2014/bb_2014.pdf
Bach, Stefan (2013): „Einkommens- und Vermögensverteilung in Deutschland“, In:
Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 1011/2013, URL: http://www.bpb.de/apuz/155705/einkommens-und-vermoegensverteilung-in-deutschland?p=all
Barbier, E.B. & Burgess, J.C. (2015): Sustainable Development: An Economic Perspective. In: International Encyclopedia of
the Social & Behavioral Sciences, 2nd
edition, Volume 23. DOI:
10.1016/B978-0-08-0970868.91029-8.
Bellebaum, A. / Braun, H. / Groß, E. (1998):
Staat und Glück – Politische Dimensionen der Wohlfahrt. Opladen/Wiesbaden.
Bergson, A. (1938): „A Reformulation of Certain Aspects of Welfare Economics“, in:
Quarterly Journal of Economics, Vol. 52,
310-334 Campbell, D.E./Kelly, J.S.
(2002): „Impossibility Theorems in the
Arrowian Framework“, in: Arrow, K.
/Sen, A./Kotaru, S. (Hrsg.): Handbook of
Social Choice and Welfare. Amsterdam,
35 – 94.
Binswanger, M. (2011): Ist das Bruttoinlandsprodukt ein geeigneter Maßstab für
Glück und Wohlstand der Gesellschaft?
Unveröff. Vortrag.
Binswanger, M. (2014): Die Tretmühlen des
Glücks: Wir haben immer mehr und
werden nicht glücklicher. Was können
wir tun? Freiburg, Basel, Wien.
Bradshaw, C. / Giam, X. / Sodhi, N. (2010):
Evaluating the Relative Environmental
Impact of Countries. In: PLOS, URL:
http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0010440
BFS - Bundesamt für Statistik Schweiz / Eidgenössisches Departement des Innern
(2014): Indikatorensystem Wohlfahrtsmessung. Schaffung, Verteilung und Erhalt von Wohlfahrt. URL:
https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/querschnittsthemen/wohlfahrtsmessung.assetdetail.1347886.html
BFS - Bundesamt für Statistik Schweiz / Eidgenössisches Departement des Innern
(2016): Indikatorensystem Wohlfahrtsmessung. Aktualisierte Version. Schaffung, Verteilung und Erhalt von Wohlfahrt. URL: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/querschnittsthemen/wohlfahrtsmessung.assetdetail.1347886.html
Bundesministerium für Arbeit und Soziales
(Hrsg.) (2013): Armuts- und Reichtumsbericht. URL: http://www.armuts-undreichtumsbericht.de/DE/Bericht/armutsund-reichtumsbericht.html;jsessionid=1878EBC9477CC8D1D6B09B2F38B6
6F5E – über dieses Portal sind auch
sämtliche, bislang erschienenen Berichte abrufbar.
63 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.)
(2015): „Die Aussagekraft von Nettoinvestitionen in der wirtschaftspolitischen
Diskussion“, in: Monatsbericht, Ausg.
22.6.2015, URL: http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Monatsberichte/2015/06/Inhalte/Kapitel3-Analysen/3-1-aussagekraft-vonnettoinvestitionen.html
Bundesministerium für Wirtschaft (2014):
„Wesentliche Fakten zur ‚Investitionsschwäche’ in Deutschland“, in: Monatsbericht November 2014. URL:
https://www.bmwi.de/Dateien/BMWi/PD
F/Monatsbericht/Auszuege/11-2014-investitionsschwaeche,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
(2015): Jahreswirtschaftsbericht 2015 –
Investieren in Deutschlands und Europas Zukunft. Berlin.
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit und Umweltbundesamt (2011): Umweltwirtschaftsbericht 2011. Daten und Fakten
für Deutschland. Berlin.
BMUB – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
(2014): GreenTech made in Germany.
Umwelttechnologie-Atlas für Deutschland. Berlin. URL;
http://www.bmub.bund.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/Broschueren/greentech_atlas_4_0_bf.pdf
BMUB – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
(2016): Den ökologischen Wandel gestalten. Integriertes Umweltprogramm
2030. Berlin
Bundesregierung Deutschland (2002): Perspektiven für Deutschland. Unsere Strategie für eine nachhaltige Entwicklung.
URL: http://www.bundesregierung.de/nsc_true/Content/DE/__Anlagen/2006-2007/perspektiven-fuerdeutschland-langfassung,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/perspektiven-fuer-deutschland-langfassung
Bundesregierung Deutschland (Hrsg.) (2012):
Nationale Nachhaltigkeitsstrategie –
Fortschrittsbericht 2012. Berlin. URL:
http://www.bundesregierung.de/Con-
tent/DE/Publikation/Bestellservice/2012-05-08-fortschrittsbericht2012.pdf?__blob=publicationFile
Bundesregierung Deutschland (Hrsg.) (2015):
Deutschland im Dialog. URL:
https://www.gut-leben-in-deutschland.de/DE/Home/home_node
Bundesregierung Deutschland (Hrsg.) (2016):
Bericht der Bundesregierung zur Lebensqualität in Deutschland. URL:
https://buergerdialog.gut-leben-indeutschland.de/SharedDocs/Downloads/DE/LB/Regierungsbericht-zur-Lebensqualitaet-in-Deutschland.pdf?__blob=publicationFile
Bundesregierung Deutschland (Hrsg.) (2017):
Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie. Neuauflage 2016. Berlin. URL:
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/2017/01/2017-0111-nachhaltigkeitsstrategie.pdf?__blob=publicationFile&v=5
Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
(Hrsg.) (2013): Das grüne Indikatorenmodell: Der Wohlstandskompass. Änderungsantrag für den Abschlussbericht
PG2 der Enquête-Kommission Wachstum, Wohlfahrt Lebensqualität.
URL: https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/enquete_wachstum/Wohlstandskompass.pdf
Burth, A. (2015): Lexikon zur Öffentlichen
Haushalts- und Finanzwirtschaft, URL:
http://www.haushaltssteuerung.de/lexikon.html
Caillé, A. (2011): Pour un manifeste du convivalisme. Lormont: Le Bord de l‘eau.
Campbell, D. & Kelly, J.S. (2002): „Impossibility Theorems in the Arrowian Framework“. In: Arrow, K. / Sen, A./ Kotaru, S.
(Eds.): Handbook of Social Choice and
Welfare. Amsterdam, 35-94.
Convention on Biological Diversity:
http://www.cbd.int/
Costanza, R. / Kubiszewski, I. / Giovannini, E.
et al. (2014): Time to leave GDP behind,
in: Nature, vol. 505, 283–288. URL:
http://www.nature.com/news/development-time-to-leave-gdp-behind1.14499
Dette, D. E. (2005). Berufserfolg und Lebenszufriedenheit – eine längsschnittliche
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 64
Analyse der Zusammenhänge. Universität Halle (Diss.).
Deutscher Bundestag (Hrsg.) (2010): Antrag
der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und
Bündnis 90/Die Grünen „Einsetzung einer Enquête-Kommission „Wachstum,
Wohlstand, Lebensqualität“. BT-Drucksache 17/3853 v. 23.11.2010, URL:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/038/1703853.pdf
Diefenbacher, H. (2001): Gerechtigkeit und
Nachhaltigkeit. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Kap. 2:
Eine kurze Geschichte der Idee von gerechten Preisen, S. 41-57.
Diefenbacher, H. & Zieschank, R. (2010): „Indikatoren des Glücks”. In: Le monde
diplomatique, Juli 2010, S. 6-7. URL:
https://monde-diplomatique.de/artikel/2010/07/09/a0037
Diefenbacher, H. & Zieschank, R. (unter Mitarb. von Rodenhäuser, D.) (2010):
Wohlfahrtsmessung in Deutschland –
ein Vorschlag für einen nationalen
Wohlfahrtsindex. Heidelberg/Berlin. In:
Reihe Texte 2/2010. Herausgeben vom
Umweltbundesamt. Dessau.
Diefenbacher, H. / Zieschank, R. / Held, B.
/Rodenhäuser, D. (2013): NWI 2.0 –
Weiterentwicklung und Aktualisierung
des Nationalen Wohlfahrtsindex. Endbericht zum Vorhaben UM 10 17 907.
Studie II im Rahmen des Projektes "Eckpunkte eines ökologisch tragfähigen
Wohlfahrtskonzepts als Grundlage für
umweltpolitische Innovations- und
Transformationsprozesse" für das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU).
Heidelberg/Berlin.
Diefenbacher, H. / Zieschank, R. / Duewell, M.
/ Leggewie, C. / Petschow, U. / Philips, J.
/Pissarskoi, E. / Sommer, B. (2014):
Konzepte gesellschaftlichen Wohlstands
und ökologische Gerechtigkeit. Studie
im Auftrag des Umweltbundesamtes.
Umweltforschungsplan des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit: Schwerpunkt 12.
Übergreifende umweltpolitische Forschungsfragen. Forschungskennzahl
3711 11 103. Dessau: Umweltbundesamt. URL: http://www.umweltbundesamt.de/publikationen/konzepte-gesellschaftlichen-wohlstands-oekologische
Diefenbacher, H. & Veith, M. (2014): Strecken- oder Punktmaß? Die Wirkung eines kleinen Unterschieds auf die Wahrnehmung von Einkommensungleichheit. Heidelberg: Unveröffentl. Mskr.
Diefenbacher, H. / Held, B. / Rodenhäuser, D. /
Zieschank, R. (2015): Aktualisierung des
Nationalen Wohlfahrtsindex 2.0 für
Deutschland 1991 – 2012. Dessau: Umweltbundesamt. URL: http://fest-heidelberg.de/images/FestPDF/NWI_RWI/NWI_2_0_Aktualisierung_2015.pdf
Diefenbacher, H. / Held. B. / Rodenhäuser, D. /
Zieschank, R. (2016): Wohlfahrtsmessung „beyond GDP“ – Der Nationale
Wohlfahrtsindex (NWI2016). IMK-Studie
48/2016. Düsseldorf.
Dolan, P. / Layard, R. / Metcalfe, R. (2011):
Measuring Subjective Wellbeing for
Public Policy: Recommendations on
Measures. Center for Economic Performance, Special Paper No. 23. London
School of Economics. London. URL:
http://eprints.lse.ac.uk/47518/1/CEPSP23.pdf
Dullien, S. & Treeck, T. van (2012): Ein neues
„magisches Viereck“ – Ziele einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik und Überlegungen für ein neues „Stabilitäts- und
Wohlstandsgesetz“. Berlin: Denkwerk
Demokratie. URL: http://www.denkwerk-demokratie.de/wp-content/uploads/2012/11/DD_Werkbericht_2.pdf
Durand, M. (2014): OECD Approach to Measuring Economic, Social and Environmental
Well-Being. Presentation at the conference: Moving “beyond GDP” in European Economic Governance. Brussels,
10 October 2014.
Easterlin, R. A. (1974): Does Economic Growth
Improve the Human Lot? In: David, P.A.
& Reder, M.A. (Hrsg.): Nations and
Households in Economic Growth: Essays
in Honor of Moses Abramovitz. Academic Press, New York 1974, S. 89–125.
Enquête-Kommission „Wachstum, Wohlstand,
Lebensqualität“ (Hrsg.) (2013): Schlussbericht. Berlin: Deutscher Bundestag,
Drucksache 17/13300 vom 3.5.2013.
URL: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/133/1713300.pdf
Erhard, L. (1957): Wohlstand für alle. Düsseldorf.
65 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
Europäische Kommission (Hrsg.) (2016). Gesundheitswesen, Gesundheitsindikatoren, Gesunde Lebensjahre. URL:
http://ec.europa.eu/health/indicators/healthy_life_years/index_de.htm
European Commission (Hrsg.) (2015): The European Semester – Economic Policies for
Growth, Jobs and Investment. URL:
http://ec.europa.eu/economy_finance/economic_governance/the_european_semester/index_en.htm
European Commission, Eurostat, Data, Datenbank. URL: http://ec.europa.eu/eurostat/data/database
European Health and Life Expectancy Information System (Hrsg.) (2015): Country
Report Health Expectancy in Germany.
URL: http://www.eurohex.eu/pdf/CountryReports_Issue9/Germany_Issue9.pdf
Eurostat (Hrsg.) (2016): Statistiken über gesunde Lebensjahre. URL: http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/Healthy_life_years_statistics/de
Fatheuer, Th. / Fuhr, L. /Unmüßig, B. (2015):
Kritik der Grünen Ökonomie. München.
Fioramonti, L. (2013): Gross Domestic Problem: The Politics behind the World’s
most powerful number. London, New
York.
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Änderungsantrag, Kommissionsdrucksache
17(26)89 vom 28.1.2013.
Gehrke, B. / Schasse, U. / Ostertag / Nebenführ, K. und Leidmann, M. (2014):
Wirtschaftsfaktor Umweltschutz: Produktion – Außenhandel – Forschung –
Patente: Die Leistungen der Umweltschutzwirtschaft in Deutschland. URL:
http://www.umweltbundesamt.de/publikationen/wirtschaftsfaktor-umweltschutz-0
Gehrke, B. & Schasse, U. (2015): Die Umweltschutzwirtschaft in Deutschland – Produktion, Umsatz und Außenhandel.
Dessau: Umweltbundesamt. URL:
http://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/uib_04_2015_umweltschutzwirtschaft_in_deutschland.pdf
Global Footprint Network (Hrsg.) (2015):
Country Trend Germany. URL:
http://www.footprintnetwork.org/de/index.php/GFN/page/trends/germany/
Global Footprint Network (Hrsg.) (2015): Nowcasting Country Trend Germany, 2012 –
2015, unveröffentl. Mskr.
Hanushek, E.A. / Woessmann, L. (2016): The
Knowledge Capital of Nations. Education and the Economics of Growth. URL:
https://mitpress.mit.edu/books/knowledge-capital-nations
Hayer, M. / Nilsson, M. / Raworth, K. et al.
(2015): Beyond Cockpit-ism: Four Insights to Enhance the Transformative
Potential of the Sustainable Development Goals. In: Sustainability 2015, 7,
pp. 1651-1660; doi:
10.3390/su7021651.
Hamilton, K. & Liu, G. (2013): Human capital,
tangible wealth, and the intangible
capital residual [Policy Research Working Paper 6391]. Washington: World
Bank.
Hartje, V./ Wüstemann, H. / Bonn, A. (Hrsg.)
(2015) Naturkapital Deutschland - TEEB
DE (2015): Naturkapital und Klimapolitik – Synergien und Konflikte. Technische Universität Berlin, HelmholtzZentrum für Umweltforschung - UFZ.
Berlin, Leipzig. URL: http://www.naturkapital-teeb.de/fileadmin/Downloads/Projekteigene_Publikationen/TEEB_Broschueren/TEEB_DE_Klimabericht_Langfassung.pdf
Heidl, Chr./ Landenberger, M. / Jahn, P.
(2012): Lebenszufriedenheit in Westdeutschland – eine Querschnittsanalyse
mit den Daten des sozio-ökonomischen
Panels (SOEP papers 521). Berlin: DIW.
Hertwich, E. & Glen, P. (2009): Carbon Footprint of Nations: A Global, Trade-Linked
Analysis. In: Environ. Sci. Technol., Article ASAP. URL:
http://pubs.acs.org/doi/abs/10.1021/es
803496a
Global Footprint Network: http://www.footprintnetwork.org/en/index.php/GFN/
IMF – International Monetary Fund (Ed.)
(2015): Causes and Consequences of Income Inequality: A Global Perspective.
New York: IMF.
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 66
Infratest dimap (Hrsg.) (2013): Glückstrend
2013 – Zufriedenheitsindex Deutschland. URL: http://www.infratestdimap.de/glueckstrend-2013/
Jackson, T. (2011): Wohlstand ohne Wachstum. München.
Jäger, C.C. / Paroussos, L. / Mangalagiu, D. /
Kupers, R . / Mandel, A. & Tàbara, J. D.
(2011): A New Growth Path for Europe Generating Prosperity and Jobs in the
Low-Carbon Economy. Synthesis Report.
Potsdam.
Jänicke, M. (1979): Zur Theorie des Staatsversagens. Analysen und Prognosen, Nr. 66, Berlin.
Jänicke, M. (2011): "Green Growth": From a
growing eco-industry to a sustainable
economy. FFU-report 09-2011. Berlin.
Jänicke, M. & Zieschank, R. (2011): EcotaxReform and the Environmental Industry. In: Ekins, P. & Speck, S.: Environmental Tax Reform (ETR). A Policy for
Green Growth, pp. 313-339. Oxford
University Press.
Kaufmann, D. / Kraay, A. / Mastruzzi, M.
(2010): The Worldwide Governance Indicators – Methodology and Analytical
Issues [World Bank Policy Research
Working Paper 5430]. Washington:
World Bank. URL: http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1682130##
Lekachman, R. (1970): John Maynard Keynes
– Revolutionär des Kapitalismus. München.
Layard, R. (2005): Happiness - Lessons from a
New Science. London.
Lepenies, Ph. (2016). The Power of a Single
Number. A Political History of Gross Domestic Product. New York: Columbia
University Press (Übersetzung einer inhaltlich erweiterten Version von Die
Macht der einen Zahl).
Marshall, Th. H. (1992): Bürgerrechte und soziale Klassen. Zur Soziologie des Wohlfahrtsstaates. Frankfurt/M.
McKinsey Global Institute (2016): Poorer than
their parents? A new perspective on income inequality. (Autoren: Dobbs, R. /
Madgavkar, A. / Manyika, J. / Woetzel,
J. / Bughin, J. /Labaye, E. and Kashyap,
P.). URL: http://www.mckinsey.com/~/media/McKinsey/Global%20Themes/Employment%20and%20Growth/Poorer%20th
an%20their%20parents%20A%20new%20perspective%20on%20income%20inequality/MGI-Poorer-than-their-parentsFlat-or-falling-incomes-in-advancedeconomies-Full-report.ashx
Menke, C. & Pollmann, A. (2007): Philosophie
der Menschenrechte zur Einführung.
Hamburg.
Meyer, B. / Zieschank, R. / Diefenbacher, H.
/Ahlert, G. (2012): Synopse aktuell diskutierter Wohlfahrtsansätze und grüner
Wachstumskonzepte. Studie I im Rahmen des Projektes „Eckpunkte eines
ökologisch tragfähigen Wohlfahrtskonzeptes als Grundlage für umweltpolitische Innovations- und Transformationsprozesse“ für das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. FFU- Report 03-2012,
Forschungszentrum für Umweltpolitik,
FU Berlin.
Meyer, B. / Zieschank, R. / Diefenbacher, H. /
Nutzinger, H. / Ahlert, G. (2013): Eckpunkte eines ökologisch tragfähigen
Wohlfahrtskonzeptes. Studie III im Rahmen des Projektes "Eckpunkte eines
ökologisch tragfähigen Wohlfahrtskonzepts als Grundlage für umweltpolitische Innovations- und Transformationsprozesse" für das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), GWS Research
Report 2013/1, Osnabrück/Heidelberg/Berlin. URL: http://www.gwsos.com/discussionpapers/gws-researchreport13-1.pdf
Natural Capital Committee (2015): The State of
Natural Capital. Protecting and Improving Natural Capital for Prosperity and
Wellbeing. Third report to the Economic
Affairs Committee. URL:
https://www.cbd.int/financial/values/uk-stateof-naturalcapital.pdf
New Economic Foundation (NEF) (Hrsg.)
(2009): National Accounts of Well-being. Bringing real wealth onto the balance sheet. URL: http://www.neweconomics.org/
67 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
Ocampo, J. A. (2002): Developing Countries’
anti-cyclical policies in a globalized
world. Santiago de Chile: CEPAL.
OECD (2011a): Towards green growth. Paris:
OECD.
OECD (2011b): Promoting Green Growth and
Resource Efficiency. Policy Background
Paper – International Conference on
Enhancing Sustainable Growth and Economic Cooperation on a Global Scale.
Berlin.
OECD (2013): Measuring Well-being and Progress: Well-being Research. URL:
http://www.oecd.org/statistics/measuring-well-being-and-progress.htm
OECD (2015): In it together: Why Less Inequality Benefits All. Paris.
ONS – Office for National Statistics (Eds.)
(2014): Human Capital Estimates, 2013.
URL:
http://www.ons.gov.uk/ons/rel/wellbeing/human-capital-estimates/2013/index.html
ONS – Office for National Statistics (Eds.)
(2015): Measuring National Well-being
– An Analysis of Social Capital in the UK.
URL:
http://www.ons.gov.uk/ons/rel/wellbeing/measuring-national-well-being/analysis-of-social-well-being--social-capital--in-the-uk---201314/art-measuring-national-well-being---an-analysis-of-social-capitalin-the-uk.html
Open Working Group (Eds.) (2014): Open
Working Group Proposal for Sustainable
Development Goals – UN Document
A768/970, URL: https://sustainabledevelopment.un.org/content/documents/1579SDGs%20Proposal.pdf
Pareto, V. (1906): Manuale di Economia Politica, con una Introduzione alla Scienza
Sociale. Milano: Societa Editrice Libraria, Nachdr. Faksilime Düsseldorf: Verlag
Wirtschaft und Finanzen 1972.
Raffelhüschen, B. / Schlinkert, R. (2015):
Deutsche Post Glücksatlas. München.
Raffelhüschen, B. / Schlinkert, R. (2016):
Deutsche Post Glücksatlas. München.
Raingold, A. (2011): Greening the economy: a
strategy for growth, jobs and success.
Aldersgate Group.
Raworth, K. (2013): A safe and just Space for
Humanity: Can we live within the
Doughnut? Oxford.
Schulte, M. & Butzmann, E. (2010): Messung
von Wohlstand – ein Überblick über
verschiedene Verfahren. Bonn: Denkwerk Zukunft. URL: http://www.denkwerkzukunft.de/downloads/Wohlstand.pdf
Sen, A. (1999): Development as Freedom.
New York: Alfred A. Knopf, deutsch:
Ökonomie für den Menschen. München/Wien 2000.
Sen, A. (2005): Human Rights and Capabilities. In: Journal of Human Development, 6(2): pp. 151–66.
SRU - Rat von Sachverständigen für Umweltfragen - SRU (2012): Umweltgutachten
2012. Verantwortung in einer begrenzten Welt.
Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2014a):
Nachhaltige Entwicklung in Deutschland
– Indikatorenbericht 2014. Wiesbaden:
Statistisches Bundesamt, URL:
https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/UmweltoekonomischeGesamtrechnungen/Umweltindikatoren/IndikatorenPDF_0230001.pdf?__blob=publicationFile
Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2014b): VGRGeneralrevision 2014 – Ergebnisse und
Hintergründe. Pressemitteilung vom 1.
September 2014. URL:
https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/VGR/Methoden/Downloads/Revision2014_Hintergrundpapier.pdf?__blob=publicationFile
Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2016): Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Arbeitsunterlage Investitionen, Ausgabe
2. Vierteljahr 2016. Wiesbaden.
Statistisches Bundesamt/Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung/Sozioökonomisches Panel (Hrsg.) (2016): Datenreport 2016 – Ein Sozialbericht für
die Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden/Berlin. URL: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Datenreport/Downloads/Datenreport2016.pdf?__blob=publicationFile
Steffen, W. / Richardson, K. / Rockström, J. /
Cornell, S.E. et al. (2015): Planetary
boundaries: Guiding human development on a changing planet. In: Science
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 68
Vol. 347 no. 6223 DOI: 10.1126/science.1259855 URL: http://www.sciencemag.org/content/347/6223/1259855.full
Steinberg, R. (1998): Der ökologische Verfassungsstaat. Berlin.
Stiglitz, J. / Sen, A. / Fitoussi, J.-P. (2009): Report by the Commission on the Measurement of Economic Performance and
Social Progress. Paris.
Strobel, Thomas (2015): „Schwache Investitionen und Tertiärisierung der Wirtschaftsstruktur in Deutschland“. In: ifoSchnelldienst 1/2015, 88. Jg.,
15.1.2015.
TEEB (2010): The Economics of Ecosystems and
Biodiversity: Mainstreaming the Economics of Nature: A Synthesis of the
Approach, Conclusions and Recommendations of TEEB. (Prepared by Sukhdev,
P.; Wittmer, H.; Schröter-Schlaack, Chr.;
Nesshöver, C.; Bishop, J.; ten Brink, P.;
Gundimeda, H.; Kumar, P. and Simmons, B.).
TEEB DE (2015): Naturkapital und Klimapolitik
– Synergien und Konflikte. Hrsg. von
Hartje, V.; Wüstemann, H. & Bonn, A.
Technische Universität Berlin, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung –
UFZ. Berlin, Leipzig.
Thöne, M. & Krehl, F. (2015): Zukunftsinvestitionen. Empirische Befunde zur Wirkung
öffentlicher Ausgaben auf inklusives
Wachstum. In: Bertelsmann Stiftung
(Hrsg.): Inklusives Wachstum für
Deutschland 03/2015. Gütersloh.
UNEP (2011): Towards a Green Economy:
Pathways to Sustainable Development
and Poverty Eradication. URL:
http://www.unep.org/greeneconomy.
United Nations (2014): The System of Environmental-Economic Accounting – Experimental Ecosystem Accounting. Briefing
Note. URL: http://unstats.un.org/unsd/envaccounting/workshops/int_seminar/note.pdf
United Nations (Eds.) (2015): Sustainable Development Knowledge Platform, URL:
https://sustainabledevelopment.un.org/
United Nations Statistics Division / Friends of
the Chair Group on broader mesures of
progress (Eds.) (2014): Compendium of
statistical notes for the Open Working
Group on Sustainable evelopment Goals
(OWG). URL: https://sustainabledevelopment.un.org/content/documents/3647Compendium%20of%20statistical%20notes.pdf
UNU-IHDP and UNEP (2014). Inclusive Wealth
Report 2014. Measuring progress toward sustainability. Cambridge.
Van den Bergh, J. (2010): The virtues of ignoring GDP. Droping a bad habit. In: The
Broker, April 13. URL:
http://www.thebrokeronline.eu/Articles/The-virtues-of-ignoring-GDP
Veenhoven, R. (2015): Distributional Findings
of Happiness in Germany. URL:
http://worlddatabaseofhappiness.eur.nl/hap_nat/nat_fp.php?cntry=
69&name=Germany&mode=3&subjects=1136&publics=61
Viveret, P. (2003): Reconsidérer la Richesse. La
Tour-d’Aigues: Éditions de l’Aube.
WHO (Eds.) (1995): The World Health Organization Quality of Life assessment
(WHOQOL): Position paper from the
World Health Organization. In: Social
Science and Medicine, Vol. 41, 140309.
Wagner, G. / Frick, J.R. / Schupp, J. (2007): The
German Socio-Economic Panel Study
(SOEP) - Scope, Evolution and Enhancements. Schmollers Jahrbuch 127 (1), S.
139 – 169.
Weimann, J. / Knabe, A. / Schöb, R. (2015):
Measuring Happiness. The Economics of
Well-Being. MIT-Press, Massachussets.
Wiedmann, Th. / Schand, H. / Lenzen, M. /
Moranc, D. / Suh, S. / West, J. and Kanemotoc, K. (2013): The material footprint of nations. In: Proceedings of the
National Academy of Sciences of the
United States of America, August 2013.
URL:
www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.12
20362110
Wilkinson, R. & Pickett, K. (2010): Gleichheit
ist Glück: Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind. Berlin.
World Bank (Eds.) (2011): The changing
wealth of nations: Measuring sustainable development in the new millennium. The International Bank for Reconstruction and Development. Washington.
World Bank (2014): Wealth Accounting and
the Valuation of Ecosystem Systems.
WAVES Report 2014. URL:
https://www.wavespartner-
69 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
ship.org/sites/waves/files/documents/WAVES_2014AR_REV_low-FINAL.pdf
World Bank (Eds.) (2015): World Wide Governance Indicators. URL:
http://info.worldbank.org/governance/wgi/index.aspx#doc  Political
Stability
World Bank (Eds.) (2015): World Wide Governance Indicators, Country Data Report for
Germany, 1996 – 2014. URL:
http://info.worldbank.org/governance/wgi/pdf/c59.pdf
Zieschank, R. (2007): Einsatz von Indikatoren
im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie
der Bundesrepublik. – Anmerkungen
aus der Sicht eines Befürworters. Challenger Report für den Rat für Nachhaltige Entwicklung. Berlin.
Zieschank, R. & Diefenbacher, H. (2010): Jenseits des BIP: Der 'Nationale Wohlfahrtsindex' als ergänzendes Informationsinstrument. In: Wirtschaftspolitische Blätter, 57. Jg. H4/2010, S. 481493 (Verlag Manz & Wirtschaftskammer
Österreich).
Zieschank, R. & van Nouhuys, J. (2013): Entwicklung einer Applikation für den Na-
tionalen Wohlfahrtsindex als Pilotversion. Analysen und Empfehlungen. (Unveröff. Studie für das Umweltbundesamt).
Zieschank, R. & Diefenbacher, H. (2015): Endbericht zum Gutachten „Jahreswohlstandsbericht“ – Konzeptionelle und
empirische Grundlagen. Berlin, Juli
2015. URL: https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/wirtschaft/Jahreswohlstandsbericht-2015.pdf
Zieschank, R. (2015): Das Naturkapital. Zur
Diskussion um die Ökonomisierung der
Natur. In: Bundesanstalt für Gewässerkunde (Hrsg): Ökosystemleistungen –
Herausforderungen und Chancen im
Management von Fließgewässern. 5.
Ökologisches Kolloquium am 5./6. Mai
in Koblenz. In: Veranstaltungen 3/2015,
Koblenz, Oktober 2015.
Zieschank, R. (2015): Umweltpolitik als Gesellschaftspolitik – Konturen eines
neuen Politikfeldes. In: Emunds, B. &
Merkle, I. (Hrsg.): Die Wirtschaft der Gesellschaft – Jahrbuch 2: Umweltgerechtigkeit – Von den sozialen Herausforderungen der großen ökologischen Transformation. Marburg, S. 21-58.
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 70
ANLAGE: INDIKATORENKENNBLÄTTER
Im Folgenden wird eine Charakterisierung der bislang ausgewählten Kernindikatoren mittels eines
formalisierten Kennblattes vorgenommen.
Das Indikatorenkennblatt erfüllt mehrere Funktionen:
•
Es erlaubt eine detailliertere Darstellung des betreffenden Kernindikators im Kontext von einer der vier relevanten Dimensionen sowie des Bezugs zu gesellschaftlicher Wohlfahrt.
•
Es bildet die inhaltliche und methodische Grundlage für die Ausgestaltung des geplanten
Jahreswohlstandsberichtes.
•
Die Fortschreibbarkeit in methodischer, datenmäßiger oder interpretativer Hinsicht wird erleichtert, was wiederum eine periodische Veröffentlichung der Kernindikatoren unterstützt.
•
Weiterentwicklungen oder Veränderungen eines Kernindikators im Laufe der Zeit können
berücksichtigt werden, zugleich sind diese Modifikationen erkennbar.
•
Mit den hier erstellten Angaben ist eine Transparenz und Nachvollziehbarkeit der einzelnen
Kernindikatoren gewährleistet, die für die Erstellung eines fundierten alternativen Jahreswirtschaftsberichts für notwendig erachtet wird.
71 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
I 1: ÖKOLOGISCHER FUSSABDRUCK IM VERHÄLTNIS ZUR BIOKAPAZITÄT
Indikator:
Ökologische Dimension, Kernindikator 1
(Name)
Ökologischer Fußabdruck im Verhältnis zur Biokapazität
Relevanz und Interpretation
Der Ökologische Fußabdruck stellt eine ökologische Buchhaltung dar, welche den Verbrauch natürlicher Ressourcen mit der Kapazität vergleicht,
die in dem entsprechenden Land zur Verfügung steht. Sie misst die Landund Wasserfläche, die zur Erneuerung von Ressourcen unter Berücksichtigung gegenwärtiger Technologien benötigt wird, um den jeweiligen Konsum der Bevölkerung zu befriedigen. Dabei wird auch die Aufnahme von
Abfällen miteinbezogen. Umgerechnet werden diese unterschiedlichen
Dimensionen in virtuelle „globale Hektar“, die als Flächenmaß interpretiert werden können.
Die materielle Güterverwendung eines Landes trägt zu dessen Wohlstand
bei. Langfristig kann dieser Wohlstand aber nur innerhalb der ökologischen Tragfähigkeit aufrecht erhalten werden. Über die Diskrepanz zwischen aktuellem Konsum und der Biokapazität gibt der Indikator Aufschluss.
Datenquelle/ Literatur
www.footprintnetwork.org zur Erklärung der Methode und zum Aufbau
des Indikators
http://www.footprintnetwork.org/de/index.php/GFN/page/trends/germany/ Rechenergebnisse für Deutschland:
Global Footprint Network (Hrsg.) (2015): Nowcasting Country Trend Germany, 2012 – 2015, unveröffentl. Manuskript.
Der Ökologische Fußabdruck sollte langfristig die Biokapazität von
Deutschland nicht überschreiten.
Ziele (sofern vorhanden)
Trend/Verlauf
Daten stehen für Deutschland ab dem Jahr 1961 zur Verfügung. Die Biokapazität verbessert sich über die ganze Zeit – mit wenigen Ausnahmejahren –geringfügig und liegt jetzt bei ungefähr 2 Global Hektar (GHa).
Der Fußabdruck steigt zwischen 1961 und dem Ende der 1970er Jahre
drastisch an und erreicht einen Maximalwert von 5,8 GHa. Seitdem sinkt
der Wert in der Tendenz langsam und erreicht jetzt Werte um 4.4 GHa. In
Zeiten wirtschaftlicher Krisen – um 1973 und 2008/09 – kommt es zu einem Rückgang des Ökologischen Fußabdrucks, die deutsche Wiedervereinigung hat einen Ausreißerwert nach oben gebracht. Seit der Krise steigt
der Ökologische Fußbadruck wieder langsam, aber kontinuierlich an; er
hat gemäß Prognosewert 2015 damit alle Fortschritte seit etwa 20 Jahren wieder rückgängig gemacht.
Angaben zur Aktualität und Fortschreibbarkeit
Derzeit besteht ein Time-lag t = 48 Monate. Fortschreibungen der Daten
erfolgen regelmäßig. Das Global Footprint Network hat für die Endfassung
des vorliegenden Berichts eine Schätzung der Zeitreihenentwicklung bis
zum Jahr 2015 in einem Prognoseverfahren erstellt, das auf Basis der
Zeitreihenentwicklung bis 2012 mit Hilfe von Korrelationsanalysen zu Datenreihen, für die aktuellere Werte vorliegen, durchgeführt wurde („NowCasting“). In den folgenden Jahren kann die gesichert berechnete Zeitreihe wie auch das Prognoseverfahren fortgesetzt werden
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 72
Methodik/ Berechnungsverfahren
Das Rechenverfahren ist außerordentlich aufwändig; die Methode wird
vom Global Footprint Network gepflegt. Mit einer Lizenz, die je nach geplanter Anwendung zu unterschiedlichen Preisen vom Global Footprint
Network erworben werden kann, können Zeitreihen auch selbst erstellt
werden; vor Veröffentlichung muss eine Freigabe durch den Lizenzgeber
erfolgen.
Abschätzung der
Prognostizierbarkeit
Das Global Footprint Network bietet eine Abschätzung der Werte bis zu
Werten für das jeweils aktuelle Jahr an (nicht kostenlos; hier durchgeführt, s.o.).
Abschätzung zur internationalen Vergleichbarkeit
Die internationale Vergleichbarkeit ist gegeben; das Global Footprint Network bietet derzeit Berechnungen für 182 Länder der Erde an. Die jeweilige Datenqualität wird dabei auf einer Skala von 1 (sehr schlecht) bis 6
(sehr gut) eingeschätzt; Deutschland erreicht hier einen Wert von 5. Die
Datenqualität bestimmt die Größe der Konfidenzintervalle der Zeitreihen.
73 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
I 2: INDEX ZUR ARTENVIELFALT UND LANDSCHAFTSQUALITÄT
Indikator
Ökologische Dimension, Kernindikator 2
(Name)
Index zur Artenvielfalt und Landschaftsqualität
Relevanz und Interpretation
Die Artenvielfalt an Tieren und Pflanzen ist eine wesentliche Voraussetzung für einen leistungsfähigen Naturhaushalt und bildet zugleich eine
menschliche Lebensgrundlage. Natur und Landschaft in Deutschland
sind durch Jahrhunderte währende Nutzungen geprägt. Ausgewählte
Vogelarten – die nicht bejagt werden und die nicht zu den Zugvögeln
gehören – sind charakteristisch für die unterschiedlichen Lebensräume, etwa für Böden und Bäume der Wälder. Da sich fast alle physischen Eingriffe und stofflichen Einträge auf die Nahrungsketten auswirken, zeigen Bestandsentwicklungen dieser Vogelarten auch Veränderungen damit verbundener Pflanzen- und Tiergesellschaften sowie
der jeweiligen Landschaftsqualität an. Vögel als Bioindikatoren stehen
insofern am Ende von biologischen und ökosystemaren Wirkungsketten. Entsprechende Zu- oder Abnahmen stellen quantitative und qualitative Signale dar.
Datenquelle/ Literatur
Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2014a): Nachhaltige Entwicklung in
Deutschland – Indikatorenbericht 2014.
Achtziger et al. (2007): Nachhaltigkeitsindikator für die Artenvielfalt.
Studie im Auftrag des BfN.
Ziele (sofern vorhanden)
Offizielle Zielsetzung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie war bisher
ein Index von 100, welcher bis zum Jahr 2015 (eigentlich) erreicht
werden sollte; dies würde in etwa dem Wert von 1975 mit 101 entsprechen.
Mit der Neuauflage 2016 der Nachhaltigkeitsstrategie sind Änderungen
vorgenommen worden: Der Zielwert von 100 im Index soll nun für das
Jahr 2030 gelten, mithin 15 Jahre später erreicht werden (siehe Bundesregierung 2017).
Trend/Verlauf
Daten liegen in Fünfjahresintervallen zwischen 1970 und 1995 vor, seit
1995 jährliche Werte. Zwischen 1975 und 1995 ist ein Rückgang von
101 auf 77 zu verzeichnen, bis 2011 gab es eine weitere Verschlechterung auf den Wert 63. Der Zielwert ist damit erheblich verfehlt worden.
Angaben zur Aktualität
und Fortschreibbarkeit
Der Time-lag betrug 2014 t = 36 Monate; veröffentlicht werden die
Werte derzeit alle zwei Jahre. Im Zuge der Erstellung der überarbeiteten
Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung sind im Frühjahr 2017
jedoch neuere Werte bis zum Jahr 2013 veröffentlicht worden. Mithin
beträgt der aktuelle Time-lag t = 36 Monate.
Methodik/ Berechnungsverfahren
Der Berechnung des Indikators liegt die Entwicklung der Bestände von
51 Vogelarten zu Grunde, die die wichtigsten Landschafts- und Lebensraumtypen in Deutschland repräsentieren: Agrarland, Wälder,
Siedlungen, Binnengewässer, Küsten und Meere, aus methodischen
Gründen derzeit ohne die Alpen. Ein Expertengremium hatte für jede
einzelne Vogelart Bestandszielwerte für das Jahr 2015 festgelegt, diese
hätten erreicht werden können, wenn europäische und nationale Regelungen mit Bezug zum Naturschutz und Leitlinien einer nachhaltigen
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 74
Entwicklung zügig umgesetzt worden wären. Aus dem Grad der Zielerreichung aller ausgewählten Vogelarten wird jährlich ein Wert für den
Gesamtindikator berechnet.
Abschätzung der Prognostizierbarkeit
Da kleinere Schwankungen des Bestandswerts auch von Witterungseinflüssen abhängen, wird der Wert exakt kaum zu prognostizieren sein.
Trends scheinen jedoch auch über längere Zeiträume eher stabil.
Abschätzung zur internationalen Vergleichbarkeit
Der Index ist international nur sehr schwer vergleichbar, da sowohl die
Auswahl der Vogelarten als auch die Abschätzung der erreichbaren Bestandsdichte für ein Referenzjahr von Land zu Land stark variieren
kann.
75 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
I 3: S 80 : S 20 - RELATION DER EINKOMMENSVERTEILUNG
Indikator
Soziale Dimension, Kernindikator 3
(Name)
S 80 : S 20 - Relation der Einkommensverteilung
Relevanz und Interpretation
Die Einkommensverteilung ist ein entscheidender Faktor für den materiellen Wohlstand und – unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten – für die
Wohlfahrt in einem Land. Verglichen werden deshalb die Gesamteinkommen eines reicheren Teils der Bevölkerung mit dem Gesamteinkommen des ärmeren, unteren 20%-Teils. In der Tendenz erhöht eine
Bewegung zu mehr Einkommensgleichheit die gesellschaftliche Wohlfahrt allein deswegen, weil ein zusätzliches Einkommen für arme Bevölkerungsschichten diesen mehr zusätzlichen Nutzen verschafft, als
eine gleiche Einkommenssteigerung beim reichen Teil der Bevölkerung.
Eine Ausnahme von dieser neoklassischen Grenznutzentheorie wäre allenfalls dann zu konstatieren, wenn eine Gesellschaft überzeugt wäre,
dass eine Steigerung der Einkommensgleichheit zu mehr Ungerechtigkeit führen würde. In diesem sehr unwahrscheinlichen Fall müsste zu
einem Atkinson-Index der Einkommensverteilung gewechselt werden.
Datenquelle/ Literatur
Die Daten werden von Eurostat seit 1995 jährlich angeboten, aus
„technischen Gründen“ werden derzeit keine Werte für die Jahre 2002
– 2004 geliefert. http://ec.europa.eu/eurostat/data/database  Tabellen nach Themen  Bevölkerung und soziale Bedingungen  Einkommen und Lebensbedingungen  Einkommensverteilung und monetäre
Armut  Einkommensverteilung  Einkommensquintilsverhältnis.
Ziele (sofern vorhanden)
Ziel wäre eine Bewegung in Richtung zu mehr Gleichheit bei der Einkommensverteilung, jedenfalls vom jetzigen Niveau der Ungleichheit
aus.
Trend/Verlauf
Der Wert verbessert sich in Deutschland von 4,6 im Jahr 1995 auf 3,5
im Jahr 2000. Danach verschlechtert sich der Wert wieder und erreicht
mit 4,9 den Höchstwert der Zeitreihe bislang im Jahr 2007. Seitdem
schwankt der Wert zwischen 4,3 und 4,6. Dieser Ausgangswert der
Zeitreihe wird auch 2013 erreicht. Mit 5,1 erreicht der Wert 2014 einen
historischen Höchststand. Im letzten Berichtsjahr 2015 ist die Verteilungsrelation wieder geringfügig auf 4,8 in Richtung Erhöhung der Einkommmensgleichheit zurückgegangen. Ähnliche Entwicklungen sind
indessen in anderen OECD-Staaten zu konstatieren (OECD 2015).
Angaben zur Aktualität
und Fortschreibbarkeit
Derzeit beträgt der Time-lag zwischen t = 12 und t = 18 Monaten.
Methodik/ Berechnungsverfahren
Berechnet wird das Verhältnis des Gesamteinkommens der reichsten 20
% der Bevölkerung als Vielfaches des Gesamteinkommens der ärmsten
20 % der Bevölkerung.
Als Gesamteinkommen wird das verfügbare Haushaltsnettoäquivalenzeinkommen verwendet.
Abschätzung der Prognostizierbarkeit
Eine Prognose würde stark von einer BIP-Prognose und einer Prognose
der Veränderung von Steuergesetzgebung und Transferleistungen abhängen.
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 76
Abschätzung zur internationalen Vergleichbarkeit
EUROSTAT bietet Daten für alle Länder Europas.
77 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
I 4: BILDUNGSINDEX
Indikator
Soziale Dimension, Kernindikator 4
(Name)
Index zur Bildung in Deutschland (eigene Konstruktion auf Grundlage
verschiedener Bildungsindikatoren)
Relevanz und Interpretation
Bildung ist ein zentraler Baustein, der Menschen die Beteiligung am
(erfolgreichen) Arbeitsleben ermöglicht. Die Chancen für eine Teilhabe
am Leben in der Gesellschaft, persönliche Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten sowie zu einem guten Gesundheitszustand werden erhöht.
Eine möglichst breite Beteiligung der Menschen an formellen Bildungsprozessen kann daher als Vergrößerung dieses Möglichkeitsraumes angesehen werden, der einer Wohlfahrtssteigerung im Sinne des „Fähigkeitenansatzes“ (capability approach, u.a. im Sinne von A. Sen 2005)
entspricht.
Datenquelle/ Literatur
Der hier vorgestellte Index fasst fünf Komponenten zusammen, die unterschiedliche Aspekte des Bildungssystems und des Bildungsniveaus der
Bevölkerung erfassen:
–
Die Entwicklung der Punktzahl bei den PISA-Studien für Deutschland; Quelle: OECD, PISA im Fokus, Daten bis 2012; Ergebnisse bis
2015 werden am 6.6.2016 publiziert und können die hier vorgenommene Extrapolation des Gesamtindex geringfügig verändern.
–
Der Anteil der Bevölkerung mit Abschluss der Sekundarstufe II;
Quelle: OECD Datenbank education at a glance, educational attainment of 25-64 year olds
–
die erwarteten Bildungsjahre bis zum Alter von 39 Jahren; Quelle:
Eurostat,
Datenbank:
http://ec.europa.eu/eurostat/tgm/table.do?tab=table&init=1&plugin=1&language=en&pcode=tps00052
–
Die Differenz der mathematischen Kenntnisse 15jähriger Schülerinnen und Schüler von Eltern mit niedrigem und Eltern mit hohem
Bildungsniveau (Quelle: OECD, PISA International Data Explorer);
–
die Höhe der gesamten öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland. Quelle: Statistisches Bundesamt, Bildungsfinanzbericht 2015
Die Zeitreihen der fünf Komponenten wurden auf das Jahr 2010 = 100
normiert und deren Entwicklung vor und nach dem Basisjahr gleichgewichtig im Index zusammengefasst.
Ziele (sofern vorhanden)
Zielsetzung ist eine Steigerung der Bildungsbeteiligung und des Bildungsstandes der Bevölkerung, sowohl bei der Ausbildung als auch bei
der Fort- und Weiterbildung, vor allem auch der Bevölkerung in „bildungsfernen“ Schichten und der Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Ein Zielwert des Index kann kaum quantitativ festgelegt werden.
Im internationalen Vergleich nimmt Deutschland bei den Komponenten
des Index in der Regel keinen Spitzenplatz ein.
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 78
Trend/Verlauf
Es besteht ein langfristiger Trend zu einer Verbesserung des Bildungsindex insgesamt. Nimmt man weitere Daten zu Hilfe, so ist eine Durchlässigkeit der Bildungsschichten jedoch nach wie vor nur begrenzt gegeben; Kinder aus sozial schwächeren Milieus erzielen anteilig geringere
Abschlüsse zur Hochschulreife.
Angaben zur Aktualität
und Fortschreibbarkeit
In der Regel sind die Daten mit einem Time-lag von t = 24 bis 36 Monaten verfügbar.
Methodik/ Berechnungsverfahren
Die Daten beruhen auf Angaben der Statistischen Ämter des Bundes und
der Länder sowie einer Auswertung des Mikrozensus.
Abschätzung der Prognostizierbarkeit
Eine Prognose wird derzeit nicht unternommen.
Abschätzung zur internationalen Vergleichbarkeit
Internationale Vergleiche wären aufgrund der Datenverfügbarkeit zumindest im OECD-Raum leicht möglich.
I 5: NETTOINVESTITIONSQUOTE
Indikator
Ökonomische Dimension, Kernindikator 5
(Name)
Nettoinvestitionsquote
Relevanz und Interpretation
Der Indikator zeigt die Entwicklung der Nettoanlageinvestitionen im
Verhältnis zum Nettoinlandsprodukt und errechnet sich als Differenz
aus den Gesamtinvestitionen minus den Abschreibungen. Sie zeigen
damit die Investitionen an, die über den Ersatz des Kapitalverzehrs
hinausgehen. Die Nettoinvestitionsquote ist ein Maß für den Zuwachs
des Anlagekapitals und damit des Produktionspotenzials in einem
Land.
Datenquelle/ Literatur
Statistisches Bundesamt, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen
Ziele (sofern vorhanden)
Angestrebt ist eine moderate Erhöhung mit anschließender Stabilisierung der Werte der Nettoinvestitionsquote.
Trend/Verlauf
Die Nettoanlageinvestitionen zwischen 1992 und 2004 zeigen einen
deutlichen Negativtrend von 12,2 Prozent auf 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Nach 2004 zeigt sich 2009 und 2010 ein Einbruch,
der 2009 seinen Tiefststand mit nur noch knapp über einem Prozent
erreicht, dem ein Ausgleich des konjunkturell bedingten Rückgangs im
79 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
Jahr 2011 mit über 4,6 Prozent folgt; danach erreichen die Werte wieder das Niveau von etwa 2,5 Prozent.
Angaben zur Aktualität
und Fortschreibbarkeit
In der Regel ist sind die Daten mit einem Time-lag von t+12 Monate
verfügbar.
Methodik/ Berechnungsverfahren
Die Nettoinvestitionen ergeben sich aus den Bruttoinvestitionen minus
den Abschreibungen.
Abschätzung der Prognostizierbarkeit
Prognoseversuche können im Rahmen der Konjunkturprognostik angestellt werden; auch könnten entsprechende Prognosen unter Heranziehung von Erhebungen zum Geschäftsklimaindex überlegt werden.
Abschätzung zur internationalen Vergleichbarkeit
Die Daten sind im Rahmen des Europäischen Systems der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (ESVG) standardisiert und können im Euroraum problemlos international verglichen werden.
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 80
I 6: ANTEIL VON (POTENZIELLEN) UMWELTSCHUTZGÜTERN AN DER BRUTTOWERTSCHÖPFUNG
Indikator
Ökonomische Dimension, Kernindikator 6
(Name)
Anteil von (potenziellen) Umweltschutzgütern an der Bruttowertschöpfung
Relevanz und Interpretation
Eine „Ökologisierung“ der Wirtschaft spiegelt nicht nur politische Ziele
in Deutschland wider, sondern signalisiert, dass eine Green Economy
sowohl die ökonomische Entwicklung fördert als auch innerstaatliche
und weltweite Umweltentlastungseffekte mit sich bringt. Im Sinne der
Rio+20 Schwerpunktsetzung könnte hiervon auch ein Signal für andere
Staaten ausgehen. Zugleich unterstützt Deutschland weltweite Bemühungen für einen stärkeren Klima- und Umweltschutz.
Datenquelle/ Literatur
Gehrke, Birgit/Schasse, Ulrich/Ostertag, Katrin (2014): Wirtschaftsfaktor
Umweltschutz – Die Leistungen der Umweltschutzwirtschaft in Deutschland. Dessau: Umweltbundesamt. Berechnungen des Niedersächsischen
Instituts für Wirtschaftsforschung aus Daten von OECD, ITCS, UN-COMTRADE.
Gehrke, Birgit/Schasse, Ulrich (2015): Die Umweltschutzwirtschaft in
Deutschland – Produktion, Umsatz und Außenhandel. Dessau: Umweltbundesamt
Daten zur Bruttowertschöpfung vom Statistischen Bundesamt.
Ziele (sofern vorhanden)
Durch die Betrachtung des Anteils an der Bruttowertschöpfung wird auf
die „Umweltintensität“ der deutschen Wirtschaft Bezug genommen. Je
höher dieser Anteil ist, desto stärker ist die Ökonomie auf die Produktion von Umweltschutzgütern ausgerichtet. Sicher kann dieser Indikator
nicht über alle Grenzen steigen; dennoch zeigt die Entwicklung, dass
die deutsche Wirtschaft von einem Optimum hier noch sehr weit entfernt ist. Angesichts der internationalen Zielsetzung der ökologischen
Sustainable Development Goals, insbesondere des Klimaschutzziels, einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um 1,5-2° C nicht
zu überschreiten, und dem Klimaschutzabkommen von Paris 2015
wäre eine deutliche Erhöhung des Anteils an Umweltschutzgütern
sinnvoll und vor allem im Blick auf die sektoralen Wirtschaftsstrukturen
näher zu präzisieren.
Trend/Verlauf
In der Bundesrepublik Deutschland ist der Anteil der Produktion von
potenziellen Umweltschutzgütern an der Bruttowertschöpfung zwischen 2002 und 2011 von 2,56 Prozent auf 4,49 Prozent kontinuierlich
gestiegen. Danach erfolgte ein Rückgang bis 2013 auf 4,21 Prozent.
Angaben zur Aktualität
und Fortschreibbarkeit
Die Zeitreihe hat derzeit einen Time-lag von t = 36 Monate; bei einer
Fortschreibung der Zeitreihe kann sich dieser Time-lag auf t = 12 Monate reduzieren.
Methodik/ Berechnungsverfahren
Es handelt sich um eine Berechnung des Niedersächsischen Instituts für
Wirtschaftsforschung auf der Basis einer eigenen Definition potentieller
81 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
Umweltschutzgüter durch Klassifikation von Produktgruppen aus offiziellen Statistiken von OECD, ITCS, UN-COMTRADE.
Abschätzung der Prognostizierbarkeit
Eine Prognose erscheint zum jetzigen Zeitpunkt ohne die Erhebung eigener zusätzlicher Primärdaten nicht möglich. Vor allem beeinflusst die
Entwicklung der politischen Rahmenbedingungen, der Subventionen
und Innovationsförderung (etwa im Bereich Batterien/Speicher für erneuerbare Energien oder von Elektroautos) das Ergebnis ganz erheblich; ebenso wie die konjunkturelle Entwicklung der deutschen Wirtschaft insgesamt, die wiederum von den Rahmendaten der Entwicklung der Weltwirtschaft abhängt.
Abschätzung zur internationalen Vergleichbarkeit
Die internationale Vergleichbarkeit ist durch den Bezug auf internationale Produktions- und Außenhandelsstatistiken der OECD und von ITCS
und UN-COMTRADE prinzipiell gegeben.
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 82
I 7: GESUNDE LEBENSJAHRE
Indikator
Gesellschaftliche Dimension, Indikator 7
(Name)
Gesunde Lebensjahre (Healthy Life Years)
Relevanz und Interpretation
Der Indikator Gesunde Lebensjahre (GLJ) bei der Geburt gibt die Zahl
der Jahre an, die eine Person zum Zeitpunkt ihrer Geburt erwartungsgemäß in guter gesundheitlicher Verfassung unter Abwesenheit körperlicher und psychischer Beeinträchtigungen bei alltäglichen Verrichtungen leben wird. GLJ ist ein Indikator der Gesundheitserwartung, der Informationen zu Sterblichkeit und Krankheit miteinander verknüpft. Die
Lebenserwartung bei der Geburt ist die Anzahl der Jahre, die eine Person eines bestimmten Alters im Durchschnitt noch zu leben hat, wenn
man die altersspezifischen Sterberaten des Ausgangsjahres zugrunde
legt
Datenquelle/ Literatur
Eurostat: http://ec.europa.eu/eurostat/data/database  Tabellen nach
Themen  Bevölkerung und soziale Bedingungen  Gesundheit  Gesundheitszustand  Gesunde Lebensjahre und Lebenserwartung bei
der Geburt
Ziele (sofern vorhanden)
Ein quantitatives Ziel, wie sonst häufig im Indikatorenbereich verwendet, erscheint hier wenig sinnvoll. Der Indikator sollte so nah wie möglich an der Entwicklung der Gesamtlebenserwartung liegen, bei der –
nach Erkenntnissen der Medizin – eine weitere Steigerung ebenfalls im
Rahmen des Möglichen erscheint.
Trend/Verlauf
Im Vergleich zu den Statistiken der Gesamtlebenserwartung zeigt der
GLJ-Indikator in zweifacher Hinsicht ein überraschendes Bild. Zum einen ist der Unterschied zwischen Frauen und Männern in keiner Weise
so ausgeprägt wie bei der Gesamtlebenserwartung, im Gegenteil: 2006,
2007 und 2013 liegt der Indikator für Männer sogar knapp über dem
für Frauen. Außerdem zeigt der Indikator zwischen 2006 und 2014
keine einheitliche Tendenz; in den letzten drei Jahren der Zeitreihe
fällt er sogar wieder leicht ab. Der deutliche Rückgang von 2007 nach
2008 könnte auf eine Neuformulierung der Frage bei der Erhebung zurückzuführen sein.
Angaben zur Aktualität
und Fortschreibbarkeit
Die Aktualisierungen können mit einem Time-lag von t = 30 Monaten
erwartet werden.
Methodik/ Berechnungsverfahren
Zur Berechnung des Indikators werden Daten zur altersspezifischen
Prävalenz der gesunden beziehungsweise kranken Bevölkerung und
Daten zur altersspezifischen Sterblichkeit benötigt. Gute gesundheitliche Verfassung wird über die Abwesenheit von Funktionsbeschränkungen und Beschwerden definiert. Der Indikator wird getrennt für Männer und Frauen berechnet
83 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
Abschätzung der Prognostizierbarkeit
Eine prognostische Untersuchung wurde bislang noch nicht versucht.
Abschätzung zur internationalen Vergleichbarkeit
Die internationale Vergleichbarkeit ist gegeben und wird über Eurostat
(EU-SILC) angeboten.
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 84
I 8: GOVERNANCE INDEX
Indikator
Gesellschaftliche Dimension, Indikator 8
(Name)
Governance Index (eigene Konstruktion auf der Basis der World Bank
Governance Indicators)
Relevanz und Interpretation
Gesellschaftlicher Wohlstand ist nicht zuletzt das Resultat institutionell
garantierter Freiheiten und der Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns.
Insofern kommt der Ausgestaltung demokratischer Rechte, gutem Regieren, Vertrauen und politischer Stabilität eine zentrale Rolle zu. Der
erstellte Index versucht, sechs verschiedene Aspekte dieses „intangiblen Kapitals“ eines Landes zu operationalisieren und somit die (nicht
selbstverständlichen) politischen Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Entwicklung des Wohlstands eines Landes in das Blickfeld zu
nehmen.
Datenquelle/ Literatur
Daten sind verfügbar, die Datenbasis ist anerkannt, aktualisierte Werte
gibt es jährlich mit einem Time-lag t = 18 Monate. URL:
http://info.worldbank.org/governance/wgi/pdf/c59.pdf
Ziele (sofern vorhanden)
Der Index geht über die Spanne von 0 bis 100; ein Wert möglichst nahe
100 sollte angestrebt werden. Hier kann zusätzlich ein internationaler
Vergleich mit anderen Industriestaaten eine Orientierungshilfe darstellen.
Trend/Verlauf
Der Index erreicht vor 2000 seine historischen Höchststände, um dann
bis 2003 auf seinen niedrigsten Wert abzusinken, der aber immer noch
knapp unter 88 liegt. Seitdem ist kein klarer Trend zu erkennen; 2006
und 2007 sind Werte zwischen 91 und 92 zu verzeichnen, dann sinkt
der Index bis 2011 wieder auf einen Wert knapp unter 89, um bis 2014
auf etwas über 92 anzusteigen, den höchsten Wert seit dem Jahr 2000.
Im Jahr 2015 folgte ein deutlicher Rückgang auf einen Indexwert
knapp unter 90.
Angaben zur Aktualität
und Fortschreibbarkeit
Es besteht ein Time-lag zwischen t = 15 und t = 24 Monaten. Es ist anzunehmen, dass die Weltbank die Governance Indicators weiter pflegt.
Unter dieser Voraussetzung ist die Möglichkeit der Fortschreibung gegeben.
Methodik/ Berechnungsverfahren
Die sechs Dimensionen von Governance der World Bank Governance Indicators – Voice and Accountability, Political Stability and Absence of
Violence, Government Effectiveness, Regulatory Quality, Rule of Law,
Control of Corruption – werden zugrundegelegt. Aus dem „percentile
rank” der einzelnen, gleich gewichteten Dimensionen wird der Durchschnittswert als Index berechnet. Alle 24 Indikatoren zu den sechs Dimensionen sind in Zeitreihen von 1996 bis 2015 verfügbar.
Die jeweils herangezogenen Einzelindikatoren für die Dimensionen sind
teilweise sehr umfangreich und von der Auswahl sowie Berechnung her
mit normativen Entscheidungen verbunden.
Abschätzung der Prognostizierbarkeit
Eine Prognostizierbarkeit scheint hier angesichts der Vielzahl herangezogener Einzelvariablen für die jeweiligen Dimensionen kaum möglich.
85 | Jahreswohlstandsbericht 2017| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 01/2017
Abschätzung zur internationalen Vergleichbarkeit
Die internationale Vergleichbarkeit ist hier nicht nur gegeben, sondern
geradezu Voraussetzung für die Errechnung des Indexwertes, da dieser
ja auf dem jeweiligen „percentile rank“ aufbaut. Die Weltbank untersucht mit dieser Methode 215 Staaten und Gebiete, bei denen sich die
Datenverfügbarkeit allerdings sehr unterschiedlich darstellt.
01/2017 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Jahreswohlstandsbericht 2017 | 86
18/94
JAHRESWOHLSTANDSBERICHT 2017