taz.die tageszeitung

Sexroboter: Besser als nichts?
Automatische Liebhaber als Mittel gegen Einsamkeit ▶ Seite 13
AUSGABE BERLIN | NR. 11228 | 3. WOCHE | 39. JAHRGANG
H EUTE I N DER TAZ
MITTWOCH, 18. JANUAR 2017 | WWW.TAZ.DE
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Höchststrafe für die NPD
URTEIL Nicht wichtig genug: Karlsruhe lehnt Verbot der rechtsextremen Partei ab, weil sie zu wenig Relevanz habe
EU-AUSTRITT Alles neu
macht die May: Wie die
Premier­ministerin den
Brexit plant ▶ SEITE 4, 12
GÜLEN-VERDACHT Der
Türkei-Konflikt in deutschen Schulen ▶ SEITE 5
BILLER-RÜCKTRITT Das
L­ iterarische Quartett nur
noch zu dritt ▶ SEITE 14
BERLIN-PROBLEM Wie
weiter ohne Mieter-Held
Holm? ▶ SEITE 21, 22
Fotos oben: reuters, Ag. Focus
VERBOTEN
Guten Tag,
meine Damen und Herren!
+++ EIL +++ EIL +++ EIL +++ EIL
Uff. Das war aber knapp. Wie
verboten soeben durch eine
eilig korrigierte Eilmeldung erfahren hat, ist es gerade nochmal davongekommen.
+++ EIL +++ EIL +++ EIL +++ EIL
Laut höchstrichterlicher Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe wird
Spiegel Online jetzt zum Glück
doch nicht
Nächstes Thema, bitte: Die Karlsruher VerfassungsrichterInnen am Dienstag nach ihrer Entscheidung, den Antrag der Bundesländer auf ein NPD-Verbot zurückzuweisen Foto: Kai Pfaffenbach/dpa
KARLSRUHE taz | Auch im zwei-
ten Anlauf ist das NPD-Verbot
gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht lehnte am Dienstag den entsprechenden Antrag des Bundesrats ab. Diesmal gab es aber keine Probleme
mit staatlichen V-Leuten in der
Partei. Vielmehr sah das Gericht
nach langer Beratung die Anfor-
derungen des Grundgesetzes
nicht erfüllt. Die NPD verfolge
zwar eindeutig verfassungsfeindliche Ziele, so die Richter,
sie missachte die Menschenwürde von Ausländern und
eingebürgerten Deutschen und
verletze das Demokratieprinzip.
Die NPD sei aber derzeit nicht
relevant genug, um mit einem
Parteiverbot aus dem politischen Geschehen ausgeschlossen zu werden.
Möglicherweise muss die Partei aber bald mit einem Ausschluss aus der staatlichen Parteienfinanzierung rechnen. Die
Richter stellten zwar klar, dass
das „Grundgesetz in seiner gegenwärtigen Form“ jede Behin-
derung einer nicht verbotenen
Partei verbiete. Doch dann folgt
im Urteil der Hinweis, dass der
„verfassungsändernde Gesetzgeber“ ja durchaus das Grundgesetz ändern könne. Das heißt,
Bundestag und Bundesrat könnten mit Zweidrittelmehrheit beschließen, dass verfassungswidrige Parteien, die mangels Rele-
vanz nicht verboten werden,
kein Geld vom Staat mehr bekommen. 2015 hatte die NPD
Anspruch auf über eine Million
Euro. Der rechtspolitische Sprecher der SPD, Johannes Fechner,
forderte umgehend, die NPD
müsse jetzt finanziell „ausgetrocknet“ werden. CHR
▶ Schwerpunkt SEITE 2, 3, 14
KOMMENTAR VON KONRAD LITSCHKO
verboten.
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E
Ein Verbot hätte nichts geändert
s war die Hoffnung vieler im Vorfeld dieser Entscheidung: Karlsruhe
möge ein starkes Zeichen setzen gegen den Rechtsextremismus, gerade in
diesen Zeiten, in denen die Verachtung
gegen Flüchtlinge und gegen die Demokratie grassiert. Die Verfassungsrichter
haben die NPD nicht verboten. Und sie
hatten keinen Zweifel an ihrem Urteil:
Als derzeit viel zu bedeutungslos befanden sie die Neonazi-Partei.
Sie haben richtig entschieden. Das Verbotsansinnen krankte an vielem. Schon
sein Ursprung war ein schneller Impuls: eine Reaktion auf die NSU-Verbrechen. Aber der NSU mordete auch ohne
NPD-Hilfe. Die Verfassungsrichter haben
recht, wenn sie in Erinnerung rufen, dass
das Parteiverbot eine der schwersten Waffen dieser Demokratie ist, welches nicht
leichtfertig einzusetzen ist. Der Parteienstreit, der Wettbewerb um das beste
Argument, ist eine grundgesetzlich festgeschriebene Errungenschaft. Ein Verbot
greift hier maximal ein – indem es ei-
nen politischen Mitbewerber aus dem
Diskurs nimmt und dessen Argumente
vor dem Bürger verbannt.
Dass es diesmal die NPD hätte treffen sollen, mag auf den ersten Blick gefallen. Die Neonazi-Partei hetzt gegen
Minderheiten, sie relativiert NS-Verbrechen, sie predigt eine krude Volksgemeinschaft. Sie versucht nicht einmal,
ihre Menschenverachtung zu kaschieren. Und es mutet unerträglich an, dass
sie dafür auch noch mit Steuergeldern
alimentiert wird. Kann diese Demokratie das aushalten?
Sie kann. Die NPD ist momentan ein
Winzling. Rund 340 Mandate hält die
Partei noch – von bundesweit 230.000.
Gegen diese „Gefahr“ das schwerste Geschütz der Demokratie einzusetzen, wäre
nicht nur eine rechtsstaatliche Überreaktion gewesen, sondern auch zu viel der
Ehre. Sicher: Auch 340 Mandate sind
ein Problem. Gerade in einigen Orten
Mecklenburg-Vorpommerns oder Sachsens, in denen sich die Rechtsextremen
über Jahre festgesetzt haben. In deren Bewohnerschaften ihre Ressentiments tief
einsickern, in denen Andersdenkende
zum Schweigen gebracht werden sollen.
Aber: Es hätte sich durch ein Verbot eben
nichts geändert – weil die überzeugten
Hetzer auch ohne NPD-Fahne weiter gegen Flüchtlinge Stimmung gemacht oder
Gegner bedroht hätten.
Das Problem ist längst größer als die
NPD. Inzwischen eilt die AfD von Erfolg
zu Erfolg, die gerade im Osten der Republik ganz ähnliche Parolen wie die NPD
verbreitet – damit aber viel weitreichender das gesellschaftliche Klima kontaminiert. Und auch die Zahlen rechter Gewalttaten stiegen in den letzten Jahren – verübt längst nicht nur von Parteigängern
Der Rechtsstaat ist stark
genug, um auf Symbolpolitik verzichten zu können
der NPD. Das Bemühen der Bundesländer um ein Verbot der NPD mutete da
wie Resignation an: Soll es doch Karlsruhe richten. Dass die Richter diese Aufgabe nun an die Länder zurückgeben, ist
die finale Blamage für die Innenminister. Der Einsatz gegen den Rechtsextremismus lässt sich eben nicht delegieren.
Die Richter formulierten nun eine viel
stärkere Botschaft als ein Verbot: Der liberale Rechtsstaat lässt sich nicht von einer Hass predigenden Splittergruppe aus
der Reserve locken. Er ist stark genug, um
auf Symbolpolitik verzichten zu können.
Und er vertraut auf seine Argumente.
Der Kampf gegen den Rechtsextremismus muss jetzt direkt geführt werden,
nicht indirekt über die NPD. In rechten
Hochburgen braucht es den demokratischen Widerspruch, das alltägliche Engagement von Parteien und Bürgern. Es
ist ein Kampf, der ungleich aufwändiger
ist als die Formulierung eines Verbotsantrags. Aber nur er wird am Ende auch
Wirkung entfalten.
02
TAZ.DI E TAGESZEITU NG
PORTRAIT
Schwerpunkt
M IT TWOCH, 18. JAN UAR 2017
NPD
NACH RICHTEN
Biberach gegen
Schwabenhass
Die neue Chefin der Tate-Museen:
Maria Balshaw Foto: dpa
Hohe Kunst
für alle
M
aria Balshaw vereint vieles. Sie ist die erste Frau,
die das Netzwerk der vier
Tate-Galerien leiten wird – darunter die Tate Modern, das weltweit meistbesuchten Museum
für moderne Kunst. Die 46-Jährige folgt damit auf Direktor Nicholas Serota, der die Tate seit
1988 zusammenhielt. Seit 1988
im Amt, hatte der im vergangenen Jahr seinen Rücktritt angekündigt. Balshaw wird den Posten am 1. Juni übernehmen.
Sicher dürfte sein: Balshaw
wird damit nicht zur einsamen
Frau an der Spitze. Sie hat schon
als Direktorin der Whitworth Art
Galery in Manchester, gerne die
„Tate des Nordens“ genannt,
gezeigt, dass sie für Öffnung
steht: Sie zeigte Kunst aus Westund Südafrika und legte einen
Schwerpunkt auf die – in Museen noch immer unterrepräsentierten – Arbeiten von Künstlerinnen. Seit ihrem Antritt im
Jahr 2006 verdoppelte sie laut
britischem Guardian auch die
Besucherzahlen der Whitworth
auf 190.000 im Jahr. So etwas
schafft man nicht, wenn man
Kunst für Eliten zeigt.
Balshaw gilt als Schlüsselfigur bei der Umgestaltung der
Kunstszene von Manchester. Die
umfangreichen Umbauarbeiten, die unter ihr dort 2015 abgeschlossen wurden, machten
ihren Willen zur Öffnung auch
formal sichtbar: Vorher sei der
Bau abweisend gewesen, sagte
sie damals. „Eine Menge Leute
waren sich nicht mal sicher, ob
sie hineindürfen.“ Herrschaftliche Architektur ist ja eine der
ersten Barrieren, die Museen abbauen müssen, wenn sie Kunst
für jedermann zugänglich machen wollen.
Auch an der Tate will sie inklusiv weiterarbeiten, das machte
sie am Dienstag gleich deutlich:
„Ich freue mich darauf, die Tate
als künstlerisch experimentierfreudigstes und kulturell inklusivstes Museum weltweit zu etablieren“, zitiert sie der Guardian.
Ein Anspruch, den ihr offenbar
auch andere zutrauen. Besser als
andere verstehe es Balshaw, wie
sich Kulturinstitutionen verändern müssen, um relevant zu
bleiben, um nicht elitär zu werden, sagt etwa Lucy Powell, Labour-Abgeordnete für Manchester. Oder man sagt es mit der
Schriftstellerin Jeanette Winter­
son: Balshaw ist „Hochkultur,
aber demokratisch. Ohne die
Dinge zu vereinfachen, sagt sie
klar: Kunst ist für alle da.“ ARIANE LEMME
BIBERACH | Mit der InternetKampagne „Vom großen B zum
kleinen B“ reagiert die Stadt Biberach an der Riß (Ba-Wü) auf
Anti-Schwaben-Sprüche in Berlin. Dort inszenierte Videoclips
des schwäbischen Schauspielers und Kabarettisten Bernd
Gnann seien Klick-Hits, sagte
Stadtsprecherin Andrea Appel gestern. Hintergrund sind
Werbesprüche an Berliner Linienbussen mit der Aufschrift:
„Liebe Schwaben, wir bringen
euch gerne zum Flughafen.“ Biberach will mit den Videos nun
eine „Schwaben-Rückholaktion“
starten und bietet ihnen unter
dem Motto „Geh doch nach Biberach“ eine neue Heimat an.
Denn: Die – im Gegensatz zu
Berlin – schuldenfreie Stadt
sucht händeringend Fachkräfte
für offene Stellen. In den Videos
erkundigt sich Gnann als Kabarettfigur Rainer Holzrück bei
Berlinern nach rückkehrwilligen Schwaben – und klopft dabei Sprüche: „Gottes Gabe ist der
Oberschwabe“. (dpa)
Frankreich
bibbert
PARIS | Frankreich leidet seit
Dienstag unter der heftigsten
Kältewelle seit fünf Jahren – in
zahlreichen Städten sollten die
Temperaturen im Schnitt fast
sechs Grad unter dem üblichen
Wert liegen. Die Regierung hat
einen „Plan große Kälte“ aufgelegt und will die Lage genau beobachten. Sorge bereitet vor allem die Lage der Obdachlosen.
Innenminister Bruno Le Roux
versicherte, es gebe Schlafplätze
für alle. Die Kälte ist auch für die
Stromversorgung ein Problem:
Viele Franzosen haben Elektroheizungen, der Stromverbrauch
steigt deswegen drastisch an.
Am Dienstag sollte die Stromversorgung nach Angaben des
Netzbetreibers RTE auch mit
Hilfe von Energieimporten aus
dem Ausland gesichert sein. Am
Mittwoch könnte es aber „stufenweise Sondermaßnahmen“
geben, unter anderem könnte
die Netzspannung abgesenkt
werden, hieß es. (afp)
taz intern
taz.gazete
■■Wegen der schwierigen
Situationen für viele Medien
in der Türkei startet die taz das
deutsch-türkische Internetportal
taz.gazete. Unter gazete.taz.
de werden ab Donnerstag vor
allem türkische Autorinnen und
Autoren berichten und kommentieren. Geplant sind zunächst fünf
Beiträge pro Woche in türkischer
und deutscher Sprache. Erste Texte werden am Donnerstag auch
in der gedruckten taz erscheinen.
■■„Während das autoritäre
türkische Regime ein Medium
nach dem anderen ausschaltet,
geben wir ein neues, freies und
unabhängiges Medium heraus“,
sagt die taz-Redakteurin und Projektleiterin Fatma Aydemir. „Wir
wollen der Pressefreiheit ein Exil
geben“, sagt taz-Chefredakteur
Georg Löwisch.
■■Beiträge sollen Journalistinnen
und Journalisten aus der Türkei
liefern, aber auch jene, die sich
an anderen Orten der Welt mit
den Auswirkungen der türkischen
Politik auf die Diaspora beschäftigen. Gefördert wird das Projekt
über Spenden.
Verbotsantrag ist gescheitert. Innenminister planen neue Maßnahmen
Jetzt geht’s an die Kohle
REAKTIONEN Nach dem gescheiterten Verbot der NPD geben sich die Länder trotzig – und
prüfen Entzug von Staatsgeldern für die Neonazi-Partei. Die feiert derweil ihren „Sieg“
AUS KARLSRUHE KONRAD LITSCHKO
Am Ende stellt sich der NPDTross noch mal zum Gruppenfoto vor das Bundesverfassungsgericht. Grinsend blinzeln sie gegen die Sonne, Parteichef Frank
Franz und die anderen recken
die Daumen nach oben. Erst als
die Neonazis auch noch ein Banner entrollen, verscheucht sie
ein Polizist.
Kurz zuvor hatten die Verfassungsrichter ein Verbot der
Nationaldemokratischen Partei abgelehnt, das die Bundesländer 2013 beantragt hatten:
Auch wenn die NPD zweifelsfrei die „demokratische Grundordnung missachtet“, sei sie derzeit zu bedeutungslos, um diese
tatsächlich zu gefährden.
Im Grunde ist das Urteil eine
Schmach – aber die NPD feiert
es als Sieg. Zum zweiten Mal seit
dem ersten Versuch 2003, scheitert der Staat mit dem Verbot der
Rechtsextremen. „Nichts anderes haben wir erwartet“, tönt Parteichef Franz noch im Gerichtssaal. „Jetzt starten wir durch.“
Die Schar der nach Karlsruhe
angereisten Innenminister übt
sich dagegen in trotzigem Optimismus. „Es war richtig, dass wir
den Antrag gestellt haben“, sagt
Markus Ulbig (CDU) aus Sachsen, bis heute eine der Hochburgen der NPD. Auch wenn man
sich ein anderes Ergebnis gewünscht hätte: „Die Demokratiefeindlichkeit der NPD ist jetzt
ganz deutlich geklärt.“
Auch sein Kollege Lorenz Caffier (CDU) aus Mecklenburg-Vorpommern will nicht von Enttäuschung sprechen. Das Gericht
sei den Ländern ja in vielen
Punkten gefolgt. „Wir werden
in der Auseinandersetzung mit
dem Rechtsextremismus nicht
an Intensität nachlassen. Da
sind wir gut aufgestellt.“
Malu Dreyer, SPD-Regierungschefin von RheinlandPfalz und derzeit Bundesratspräsidentin, nennt das Verbot
„nur eine Maßnahme von einer ganzen Palette“. Man werde
nun weiter etwa auf Prävention
oder politische Bildung setzen.
Mehrere Innenminister stellen sich hinter einen Plan, den
ihnen die Verfassungsrichter
am Dienstag nahelegten: der
NPD die staatliche Finanzierung
entziehen. 1,4 Millionen Euro erhielt die Partei 2014 vom Staat.
„Das sollten wir nun dringend
angehen“, sagt Niedersachsens
Innenminister Boris Pistorius
(SPD). „Es ist dem Bürger nicht
vermittelbar, dass Extremisten
aus Steuergeldern finanziert
werden.“ Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière
(CDU) kündigt an, das „sorgfältig prüfen zu lassen“.
„Es ist zu befürchten,
dass sich die NPD
radikalisiert“
G. MEYER-PLATH, VERFASSUNGSSCHÜTZER
Die NPD interessiert das an
diesem Tag nicht. „Treten Sie
jetzt zurück?“, ruft ein Funktionär im Treppenhaus Minister Caffier zu. Der ruft zurück:
„Warum denn?“ Für de Maizière
ist die derzeitige Schwäche der
NPD „ein starkes Zeichen dafür,
dass wir in den letzten Jahrzehnten die Auseinandersetzung erfolgreich geführt haben“. Davon
sollte man sich für den „dringli-
NPD-Chef Frank Franz und NPD-Anwalt Peter Richter nach der Urteilsverkündung Foto: Uwe Anspach/dpa
chen“ Einsatz gegen die ansteigende Demokratiefeindlichkeit
„ermutigen“ lassen. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD)
betont: „Klare Haltung gegen
rechte Hetze zu zeigen, ist eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe für uns alle.“
Die NPD darf ihre rund 340
Kommunalmandate behalten.
Auch das letzte prominente
Mandat – Exbundeschef Udo
Voigt im Europaparlament –
bleibt. Bereits am Samstag lädt
die Partei ins sächsische Riesa
zum „Jahresauftakt“. Schon zuvor hatte sie in ihren Shop einen
Dosensekt für drei Euro aufgenommen: „Karlsruher Perlwein,
auf den Freispruch“.
Die Aussichten für den angekündigten „Neustart“ sind indes mau. Vor der nächsten Landtagswahl, im März im Saarland,
ist die NPD in Umfragen nicht
messbar – genauso wenig wie
im Mai in NRW und SchleswigHolstein. Gut dabei ist dagegen
überall dort die AfD.
NPD-Chef Franz betont trotzig den jüngst beschlossenen
Dreijahresplan: Bis 2019, zur
nächsten aussichtsreichen Wahl
in Sachsen, will die Partei ihre
Aktivitäten stärker bündeln,
um so „Achtungserfolge zu erzielen“. Andere NPDler wollen
aber einen härteren Kurs. Noch
in Karlsruhe riet Voigt seiner
Partei, wieder Alleinstellungsmerkmale wie die Wiedereinführung der Todesstrafe oder
einen Ausländerrückführungsplan herauszustellen. Franz, der
sich um eine Modernisierung
der NPD bemüht, lehnt das ab.
Sachsens Verfassungsschutzchef Gordian Meyer-Plath fürchtet indes genau Voigts Szenario.
„Es ist zu befürchten, dass sich
die NPD radikalisiert, um ihren
Abwärtstrend umzukehren.“
Eine Entscheidung könnte der
nächste Bundesparteitag bringen, den die Partei Anfang März
im Saarland abhalten will. Dort
steht auch die Wiederwahl von
Franz an. Wohin die NPD jetzt
steuert, man wird es spätestens
dann wissen.
„Das ist ein ganz großes Ärgernis“
ZENTRALRAT
Josef Schuster fordert Bundesregierung in Sachen Parteienfinanzierung zum Handeln auf
taz: Herr Schuster, Sie haben
sich für ein NPD-Verbot starkgemacht. Sind Sie vom Urteil
des
Bundesverfassungsgerichts enttäuscht?
Josef Schuster: Ja, ich bin enttäuscht, dass die Partei nicht
verboten wurde. Aber das Urteil bestätigt die Einschätzung,
die der Zentralrat der Juden seit
Langem über die NPD hat: dass
es sich um eine verfassungsfeindliche Partei handelt.
Die NPD hat nach der Urteilsverkündung umgehend „Sieg“
getwittert. War das Verbotsverfahren ein Fehler?
Nein, das glaube ich nicht. Es
gibt zwei wichtige Punkte in der
Urteilsbegründung. Zum einen
haben wir jetzt klare Leitlinien,
unter welchen Bedingungen ein
Verbotsverfahren zum Erfolg
führen kann. Kämen wir einmal in die Situation, in der eine
Gruppierung unsere Verfassung wirklich nachhaltig schä-
digen könnte, würde ein Verbotsverfahren wohl nicht mehr
dreieinhalb Jahre dauern. Denn
dann könnte das Kind schon in
den Brunnen gefallen sein. Zum
Zweiten gibt die Urteilsbegründung einen klaren Hinweis an
den Gesetzgeber, dass es mit
Blick auf die Parteienfinanzierung Handlungsspielraum gibt.
Es ist ein ganz großes Ärgernis,
dass Parteien wie die NPD auch
noch eine staatliche finanzielle Unterstützung bekommen.
Hier ist der Gesetzgeber gefordert, alles zu tun, dass dies geändert wird.
Das Gericht hat anerkannt,
dass die NPD verfassungsfeindliche Ziele hat, hält sie aber für
zu schwach, um gefährlich zu
werden. Beruhigt Sie das?
Es beruhigt mich nicht, weil wir
historisch gesehen haben, wie
schnell eine Partei einen gar
nicht so geringen Stimmenanteil bekommen kann. Und auch
jetzt sieht man, dass eine Partei
wie die AfD innerhalb eines Jahres bei Wahlen zweistellige Ergebnisse erzielen kann. Wenn
man sieht, wie lange ein solches Verbotsverfahren dauert,
habe ich generell die Sorge, dass
eine verfassungsfeindliche Partei während dieser Zeit die Möglichkeit hätte, einige ihrer Ziele
bereits in die Tat umzusetzen.
Sind Rechtspopulisten wie die
der AfD derzeit nicht gefährlicher als diese kleine NPDTruppe?
Dass die AfD wie jede Gruppierung, die gegen Minderheiten
hetzt, in meinen Augen eine Gefahr darstellt, steht außer Zweifel.
Welche Konsequenzen sollte
die Politik aus dem Scheitern
des NPD-Verbots ziehen?
Es besteht jetzt eine ganz besondere Verantwortung in der
Beobachtung von Parteien und
Gruppierungen mit verfas-
sungsfeindlicher Ausrichtung,
damit sich erst gar nicht eine
Gefahr für unsere demokratische Grundordnung entwickeln kann.
Und wie müsste die Zivilgesellschaft in Ihren Augen auf das
Urteil aus Karlsruhe reagieren?
Die Zivilgesellschaft ist noch
mehr als bislang gefordert, sich
aktiv gegen extremistische Bestrebungen einzusetzen – egal
von welcher Seite.
INTERVIEW SABINE AM ORDE
Josef Schuster
■■62, ist Internist und seit No-
vember 2014
Präsident
des Zentralrats der
Juden in
Deutschland.
Foto: Thomas Lohnes
Schwerpunkt
NPD
M IT TWOCH, 18. JAN UAR 2017
TAZ.DI E TAGESZEITU NG
03
Das Bundesverfassungsgericht hält den Einfluss der NPD für gering.
Nachbarn der Parteizentrale in Berlin sehen das anders
AUS KARLSRUHE CHRISTIAN RATH
Das Bundesverfassungsgericht
hat den Antrag des Bundesrats,
die Nationaldemokratische Partei Deutschlands NPD zu verbieten, einstimmig abgelehnt.
Die Partei verfolge zwar verfassungsfeindliche Ziele, habe
aber „auf absehbare Zeit“ nicht
das Potenzial, diese Ziele auch
zu erreichen.
Die Entscheidung ist mit
knapp 300 Seiten eine der längs-
Gegen strafbares
Verhalten einzelner
NPD-Mitglieder muss
mit Polizei- und
Strafrecht vorgegangen werden
ten in der Geschichte des Verfassungsgerichts. Sie definiert im
ersten Teil die Maßstäbe, die
für Parteiverbote künftig gelten. Im zweiten Teil wendet sie
diese Maßstäbe auf die NPD an.
Laut Grundgesetz (siehe Kasten) ist eine Partei zu verbieten, wenn sie darauf ausgeht,
die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ zu beseitigen oder zu beeinträchtigen. Diese Grundordnung definierte das Gericht neu. Sie hat
jetzt drei Merkmale: Menschenwürde, Demokratie und Recht- Geldsorgen hat die Partei schon länger: Die NPD sammelt auf ihrem Bundesparteitag in Berlin-Reinickendorf 2009 Foto: Kai Pfaffenbach/dpa
staatlichkeit.
Diese Ordnung wolle die
NPD beseitigen, stellte das Gericht fest, und durch ein Konzept der „Volksgemeinschaft“
ersetzen. Als Deutscher werde
demnach nur anerkannt, wer URTEIL Das „Volksgemeinschafts“-Konzept der NPD verstößt zwar gegen Menschenwürde und Demokratie –
von Deutschen abstamme, Einbürgerungen würden nicht ak- aber die Partei hat nach Ansicht der Bundesverfassungsrichter nicht die Möglichkeit, es umzusetzen
zeptiert. Das führe zur rechtlichen Abwertung aller, die Verbot
– sagte
Karlsruhe
noch:
Die gesetzliche
Grundlage
Dieses
Potenzial konnten die ihren Hochburgen als „Kümme- klam und Lübtheen (MecklenRichter nicht erkennen. Die NPD rer“ zu profilieren, führe nicht burg-Vorpommern) konnte das
nicht der „Volksgemeinschaft“ Eine Partei kann auch dann
habe keine Perspektive, politi- zu erhöhter Akzeptanz deren po- Gericht keine „Dominanz“ der
angehören. So werde einerseits verboten werden, „wenn nach ■■Parteien, die nach ihren Zielen
die Menschenwürde der Betrof- menschlichem Ermessen keine oder nach dem Verhalten ihrer
sche Mehrheiten zu erreichen. litischer Ziele.
NPD feststellen. Gegen strafbafenen verletzt, denn die sei „ega- Aussicht darauf besteht, dass sie Anhänger darauf ausgehen,
Die Wahlergebnisse bei BundesVerbotswürdig wäre es schon, res Verhalten einzelner NPDlitär“. Zudem missachte die NPD ihre verfassungswidrige Absicht die freiheitliche demokratische
tagswahlen stagnierten auf sehr wenn die NPD ihre Ziele mit Ge- Mitglieder müsse mit Polizeidadurch auch das Demokra- in absehbarer Zukunft werde Grundordnung zu beeinträchniedrigem Niveau (2013: 1,3 Pro- walt verfolgen würde. Hierfür und Strafrecht vorgegangen
tieprinzip, denn es beruhe auf verwirklichen können“. Nach tigen oder zu beseitigen oder
zent). Die Partei sei in keinem gebe es aber keine „Grundten- werden. Die Anordnung eines
der gleichberechtigten Mitwir- diesem Maßstab wäre nun also den Bestand der Bundesrepublik
Landtag mehr vertreten. Sie denz“ in der Partei, so die Rich- Parteiverbots sei „noch nicht“
kungsmöglichkeit „aller Bürger“. auch die NPD verboten worden. Deutschland zu gefährden, sind
habe auch keine Option, sich in ter. Rechte Gewalttaten gegen gerechtfertig, heißt es aber
Auch rassistische und antiseeiner Koalition politische Ge- Asylunterkünfte könnten der durchaus drohend in RandzifAber Karlsruhe definierte verfassungswidrig. Über die
mitische NPD-Inhalte verletzten den Maßstab neu. Zwar ist wei- Frage der Verfassungswidrigkeit
staltungsspielräume zu schaf- NPD nur zugerechnet werden, fer 1007 des Urteils.
die Menschenwürde. Zudem terhin keine „konkrete Gefahr“ entscheidet das Bundesverfasfen, da niemand mit ihr zusam- wenn diese sie billige, was nicht
Dass sich die Nationaldemostellte das Gericht eine „Wesens- für die freiheitlich-demokrati- sungsgericht. (Grundgesetz für
menarbeiten wolle.
der Fall sei. Es genüge nicht, dass kraten keineswegs als Sieger des
verwandtschaft“ mit dem Natio- sche Grundordnung erforder- die Bundesrepublik Deutschland,
Auch im politischen Diskurs die NPD durch ihre Agitation zu Verfahrens fühlen können, deunalsozialismus fest. Letzteres sei lich. Das Parteiverbot greife Art 21/II)
könne sie ihre Ziele nicht durch- einem ausländerfeindlichen teten die Richter auch auf der
zwar kein Verbotsgrund an sich, nach dem Motto „Wehret den
setzen. Mit knapp 6.000 Mit- Klima beigetragen habe.
letzten Seite der Entscheidung
bestätige aber die NPD-Missach- Anfängen“ schon im Vorfeld punkte von Gewicht, die es mög- gliedern sei sie nicht in der Lage,
Es gebe in Deutschland auch an: Die Partei bekommt keitung der freiheitlich-demokrati- einer Gefahr, so die Richter. Al- lich erscheinen lassen, dass das die gesellschaftliche Willensbil- keine „national befreiten Zo- nerlei Kostenerstattung für das
schen Grundordnung.
lerdings müssten die Vorausset- Handeln der Partei zum Erfolg dung zu beeinflussen. Auch die nen“ und „keine Atmosphäre Verfahren – denn der Prozess
Dennoch wird die NPD nicht zungen wegen des „demokra- führt“, sagte Andreas Voßkuhle, rechten Kameradschaften könn- der Angst“, betonte das Gericht. habe gezeigt, dass ihr Handeln
verboten. Und das ist die Folge tieverkürzenden“ Charakters der Präsident des Gerichts. Ver- ten nicht als verlängerter Arm Das Dorf Jamel bei Wismar sei ­planmäßig auf die Beseitigung
einer neuen Interpretation des von Parteiverboten „restrik- kürzt gesagt: Es kommt darauf der NPD angesehen werden. Die ein Sonderfall, es habe aber der freiheitlich-demokratischen
Grundgesetzes durch die Verfas- tiv“ ausgelegt werden. „Erfor- an, ob die Partei das Potenzial Partei sei also weitgehend iso- auch nur 47 Einwohner. Selbst Grundordnung gerichtet sei.
sungsrichter. 1956 – beim KPD- derlich sind konkrete Anhalts- hat, ihre Ziele zu erreichen.
liert. Auch der Versuch, sich in in den NPD-Hochburgen An- (Az.: 2 BvB 1/13)
Die NPD wird nicht verboten
Die Bedrohung für das Umfeld bleibt
ORTSTERMIN
Ein Besuch bei der NPD-Zentrale in Berlin-Köpenick, der wichtigsten Immobilie der Partei
BERLIN taz | So viele Autos mit
den Kennzeichen westdeutscher
Großstädte hat die Seelenbinderstraße in Berlin-Köpenick,
weit im Südosten der Stadt, vermutlich lange nicht gesehen. Sie
stehen halb auf dem Bürgersteig
geparkt, aus den offenen Türen
schallen Radiostimmen über die
Straße. Darumherum frierende
JournalistInnen, die wie gebannt auf das einstöckige gelbe
Haus auf der anderen Straßenseite starren: Hier, in der Nummer 42, befindet sich die Bundesgeschäftsstelle der NPD, über
deren Zukunft soeben das Urteil
gesprochen wird.
Nein, es tut sich nichts, als
die Nachricht schließlich eintrifft. Die Tür bleibt verschlossen, nichts regt sich hinter den
Fenstern. Allein ein Transparent
an der gelben Fassade schlägt
die Brücke zum Bundesverfassungsgericht: „Zweimal Karlsruhe und zurück – Deutschland
lässt sich nicht verbieten“, steht
darauf.
Lange Gesichter gibt es bei einer Gruppe von Menschen, die
sich in verschiedenen Initiativen vor Ort gegen rechts engagieren und sich an diesem Morgen ebenfalls vor der Zentrale
die Beine in den Bauch stehen:
„Für uns hier vor Ort hätte es
sehr wohl einen großen Unterschied gemacht, wenn die Partei verboten worden wäre“, sagt
eine von ihnen.
Denn das kleine gelbe Haus
ist für die NPD nach wie vor von
großer Bedeutung: Die Immobilie, die die Partei 2002 durch
eine großzügige Privatspende
erwerben konnte, ist zum einen
ein wichtiger materieller Faktor
für die seit Jahren in Geldnöten
steckende NPD. Momentan ist
das laut dem Rechenschaftsbericht der Partei mit 355.500 Euro
bewertete Haus verpfändet: Wegen des laufenden Verbotsver-
fahren zahlte die Verwaltung
des Bundestags die Zuschüsse
im Rahmen der Parteienfinanzierung im letzten Jahr nur unter Vorbehalt, als Sicherheit
musste die Partei die Eigentumsrechte für das Gebäude an
den Bundestag übertragen. Ein
Vorgang, der nun rückgängig gemacht werden dürfte.
Zum anderen ist das Haus, in
dem sich mehrere Büros, Schulungsräume und auch Schlafplätze befinden, nach wie vor
ein wichtiger Treffpunkt für die
Neonazis. Das gilt umso mehr,
nachdem in den letzten Jahren mehrere andere wichtige
Orte der rechtsextremen Szene
in Berlin auf den Druck zivilgesellschaftlicher Initiativen hin
schließen mussten. Und das
macht sich bemerkbar: „Nach
wie vor gibt es eine große Häufung von rechtsextremen Straftaten im Umfeld der Zentrale,
das geht von Propagandadelikten bis hin zu tätlichen Angriffen“, sagt Samuel Signer, der das
vom Berliner Senat geförderte
Register zur Erfassung rechtsextremer Straftaten betreut.
Auch in Berlin ist die NPD nur
noch ein Schatten ihrer selbst –
dass die Richter in Karlsruhe
die Partei letztendlich für zu
bedeutungslos hielten, um sie
zu verbieten, klingt in den Ohren derjenigen, die sich hier
im Berliner Osten gegen Neonazis einsetzen, trotzdem wie
„Es gibt hier eine
Häufung rechts­
extremer Straftaten“
SAMUEL SIGNER
Hohn. „Die Räume und Gelder,
die der Neonaziszene durch die
NPD zur Verfügung stehen, machen effektiv einen Unterschied
für die Bedrohung, die von dieser Szene ausgeht“, sagt Signer.
Es habe Pläne gegeben, das
Haus im Falle eines Verbots zu
einem zivilgesellschaftlichen
Zentrum umzubauen, erzählt er.
Das wäre nicht nur symbolisch
eine wichtige Entscheidung gewesen – nun bleibt hinter der
gelben Fassade wohl vorerst alles, wie es ist. MALENE GÜRGEN