Sexroboter: Besser als nichts? Automatische Liebhaber als Mittel gegen Einsamkeit ▶ Seite 13 AUSGABE BERLIN | NR. 11228 | 3. WOCHE | 39. JAHRGANG H EUTE I N DER TAZ MITTWOCH, 18. JANUAR 2017 | WWW.TAZ.DE € 2,10 AUSLAND | € 1,60 DEUTSCHLAND Höchststrafe für die NPD URTEIL Nicht wichtig genug: Karlsruhe lehnt Verbot der rechtsextremen Partei ab, weil sie zu wenig Relevanz habe EU-AUSTRITT Alles neu macht die May: Wie die Premierministerin den Brexit plant ▶ SEITE 4, 12 GÜLEN-VERDACHT Der Türkei-Konflikt in deutschen Schulen ▶ SEITE 5 BILLER-RÜCKTRITT Das L iterarische Quartett nur noch zu dritt ▶ SEITE 14 BERLIN-PROBLEM Wie weiter ohne Mieter-Held Holm? ▶ SEITE 21, 22 Fotos oben: reuters, Ag. Focus VERBOTEN Guten Tag, meine Damen und Herren! +++ EIL +++ EIL +++ EIL +++ EIL Uff. Das war aber knapp. Wie verboten soeben durch eine eilig korrigierte Eilmeldung erfahren hat, ist es gerade nochmal davongekommen. +++ EIL +++ EIL +++ EIL +++ EIL Laut höchstrichterlicher Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe wird Spiegel Online jetzt zum Glück doch nicht Nächstes Thema, bitte: Die Karlsruher VerfassungsrichterInnen am Dienstag nach ihrer Entscheidung, den Antrag der Bundesländer auf ein NPD-Verbot zurückzuweisen Foto: Kai Pfaffenbach/dpa KARLSRUHE taz | Auch im zwei- ten Anlauf ist das NPD-Verbot gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht lehnte am Dienstag den entsprechenden Antrag des Bundesrats ab. Diesmal gab es aber keine Probleme mit staatlichen V-Leuten in der Partei. Vielmehr sah das Gericht nach langer Beratung die Anfor- derungen des Grundgesetzes nicht erfüllt. Die NPD verfolge zwar eindeutig verfassungsfeindliche Ziele, so die Richter, sie missachte die Menschenwürde von Ausländern und eingebürgerten Deutschen und verletze das Demokratieprinzip. Die NPD sei aber derzeit nicht relevant genug, um mit einem Parteiverbot aus dem politischen Geschehen ausgeschlossen zu werden. Möglicherweise muss die Partei aber bald mit einem Ausschluss aus der staatlichen Parteienfinanzierung rechnen. Die Richter stellten zwar klar, dass das „Grundgesetz in seiner gegenwärtigen Form“ jede Behin- derung einer nicht verbotenen Partei verbiete. Doch dann folgt im Urteil der Hinweis, dass der „verfassungsändernde Gesetzgeber“ ja durchaus das Grundgesetz ändern könne. Das heißt, Bundestag und Bundesrat könnten mit Zweidrittelmehrheit beschließen, dass verfassungswidrige Parteien, die mangels Rele- vanz nicht verboten werden, kein Geld vom Staat mehr bekommen. 2015 hatte die NPD Anspruch auf über eine Million Euro. Der rechtspolitische Sprecher der SPD, Johannes Fechner, forderte umgehend, die NPD müsse jetzt finanziell „ausgetrocknet“ werden. CHR ▶ Schwerpunkt SEITE 2, 3, 14 KOMMENTAR VON KONRAD LITSCHKO verboten. TAZ MUSS SEI N Die tageszeitung wird ermöglicht durch 16.653 GenossInnen, die in die Pressevielfalt investieren. 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Schon sein Ursprung war ein schneller Impuls: eine Reaktion auf die NSU-Verbrechen. Aber der NSU mordete auch ohne NPD-Hilfe. Die Verfassungsrichter haben recht, wenn sie in Erinnerung rufen, dass das Parteiverbot eine der schwersten Waffen dieser Demokratie ist, welches nicht leichtfertig einzusetzen ist. Der Parteienstreit, der Wettbewerb um das beste Argument, ist eine grundgesetzlich festgeschriebene Errungenschaft. Ein Verbot greift hier maximal ein – indem es ei- nen politischen Mitbewerber aus dem Diskurs nimmt und dessen Argumente vor dem Bürger verbannt. Dass es diesmal die NPD hätte treffen sollen, mag auf den ersten Blick gefallen. Die Neonazi-Partei hetzt gegen Minderheiten, sie relativiert NS-Verbrechen, sie predigt eine krude Volksgemeinschaft. Sie versucht nicht einmal, ihre Menschenverachtung zu kaschieren. Und es mutet unerträglich an, dass sie dafür auch noch mit Steuergeldern alimentiert wird. Kann diese Demokratie das aushalten? Sie kann. Die NPD ist momentan ein Winzling. Rund 340 Mandate hält die Partei noch – von bundesweit 230.000. Gegen diese „Gefahr“ das schwerste Geschütz der Demokratie einzusetzen, wäre nicht nur eine rechtsstaatliche Überreaktion gewesen, sondern auch zu viel der Ehre. Sicher: Auch 340 Mandate sind ein Problem. Gerade in einigen Orten Mecklenburg-Vorpommerns oder Sachsens, in denen sich die Rechtsextremen über Jahre festgesetzt haben. In deren Bewohnerschaften ihre Ressentiments tief einsickern, in denen Andersdenkende zum Schweigen gebracht werden sollen. Aber: Es hätte sich durch ein Verbot eben nichts geändert – weil die überzeugten Hetzer auch ohne NPD-Fahne weiter gegen Flüchtlinge Stimmung gemacht oder Gegner bedroht hätten. Das Problem ist längst größer als die NPD. Inzwischen eilt die AfD von Erfolg zu Erfolg, die gerade im Osten der Republik ganz ähnliche Parolen wie die NPD verbreitet – damit aber viel weitreichender das gesellschaftliche Klima kontaminiert. Und auch die Zahlen rechter Gewalttaten stiegen in den letzten Jahren – verübt längst nicht nur von Parteigängern Der Rechtsstaat ist stark genug, um auf Symbolpolitik verzichten zu können der NPD. Das Bemühen der Bundesländer um ein Verbot der NPD mutete da wie Resignation an: Soll es doch Karlsruhe richten. Dass die Richter diese Aufgabe nun an die Länder zurückgeben, ist die finale Blamage für die Innenminister. Der Einsatz gegen den Rechtsextremismus lässt sich eben nicht delegieren. Die Richter formulierten nun eine viel stärkere Botschaft als ein Verbot: Der liberale Rechtsstaat lässt sich nicht von einer Hass predigenden Splittergruppe aus der Reserve locken. Er ist stark genug, um auf Symbolpolitik verzichten zu können. Und er vertraut auf seine Argumente. Der Kampf gegen den Rechtsextremismus muss jetzt direkt geführt werden, nicht indirekt über die NPD. In rechten Hochburgen braucht es den demokratischen Widerspruch, das alltägliche Engagement von Parteien und Bürgern. Es ist ein Kampf, der ungleich aufwändiger ist als die Formulierung eines Verbotsantrags. Aber nur er wird am Ende auch Wirkung entfalten. 02 TAZ.DI E TAGESZEITU NG PORTRAIT Schwerpunkt M IT TWOCH, 18. JAN UAR 2017 NPD NACH RICHTEN Biberach gegen Schwabenhass Die neue Chefin der Tate-Museen: Maria Balshaw Foto: dpa Hohe Kunst für alle M aria Balshaw vereint vieles. Sie ist die erste Frau, die das Netzwerk der vier Tate-Galerien leiten wird – darunter die Tate Modern, das weltweit meistbesuchten Museum für moderne Kunst. Die 46-Jährige folgt damit auf Direktor Nicholas Serota, der die Tate seit 1988 zusammenhielt. Seit 1988 im Amt, hatte der im vergangenen Jahr seinen Rücktritt angekündigt. Balshaw wird den Posten am 1. Juni übernehmen. Sicher dürfte sein: Balshaw wird damit nicht zur einsamen Frau an der Spitze. Sie hat schon als Direktorin der Whitworth Art Galery in Manchester, gerne die „Tate des Nordens“ genannt, gezeigt, dass sie für Öffnung steht: Sie zeigte Kunst aus Westund Südafrika und legte einen Schwerpunkt auf die – in Museen noch immer unterrepräsentierten – Arbeiten von Künstlerinnen. Seit ihrem Antritt im Jahr 2006 verdoppelte sie laut britischem Guardian auch die Besucherzahlen der Whitworth auf 190.000 im Jahr. So etwas schafft man nicht, wenn man Kunst für Eliten zeigt. Balshaw gilt als Schlüsselfigur bei der Umgestaltung der Kunstszene von Manchester. Die umfangreichen Umbauarbeiten, die unter ihr dort 2015 abgeschlossen wurden, machten ihren Willen zur Öffnung auch formal sichtbar: Vorher sei der Bau abweisend gewesen, sagte sie damals. „Eine Menge Leute waren sich nicht mal sicher, ob sie hineindürfen.“ Herrschaftliche Architektur ist ja eine der ersten Barrieren, die Museen abbauen müssen, wenn sie Kunst für jedermann zugänglich machen wollen. Auch an der Tate will sie inklusiv weiterarbeiten, das machte sie am Dienstag gleich deutlich: „Ich freue mich darauf, die Tate als künstlerisch experimentierfreudigstes und kulturell inklusivstes Museum weltweit zu etablieren“, zitiert sie der Guardian. Ein Anspruch, den ihr offenbar auch andere zutrauen. Besser als andere verstehe es Balshaw, wie sich Kulturinstitutionen verändern müssen, um relevant zu bleiben, um nicht elitär zu werden, sagt etwa Lucy Powell, Labour-Abgeordnete für Manchester. Oder man sagt es mit der Schriftstellerin Jeanette Winter son: Balshaw ist „Hochkultur, aber demokratisch. Ohne die Dinge zu vereinfachen, sagt sie klar: Kunst ist für alle da.“ ARIANE LEMME BIBERACH | Mit der InternetKampagne „Vom großen B zum kleinen B“ reagiert die Stadt Biberach an der Riß (Ba-Wü) auf Anti-Schwaben-Sprüche in Berlin. Dort inszenierte Videoclips des schwäbischen Schauspielers und Kabarettisten Bernd Gnann seien Klick-Hits, sagte Stadtsprecherin Andrea Appel gestern. Hintergrund sind Werbesprüche an Berliner Linienbussen mit der Aufschrift: „Liebe Schwaben, wir bringen euch gerne zum Flughafen.“ Biberach will mit den Videos nun eine „Schwaben-Rückholaktion“ starten und bietet ihnen unter dem Motto „Geh doch nach Biberach“ eine neue Heimat an. Denn: Die – im Gegensatz zu Berlin – schuldenfreie Stadt sucht händeringend Fachkräfte für offene Stellen. In den Videos erkundigt sich Gnann als Kabarettfigur Rainer Holzrück bei Berlinern nach rückkehrwilligen Schwaben – und klopft dabei Sprüche: „Gottes Gabe ist der Oberschwabe“. (dpa) Frankreich bibbert PARIS | Frankreich leidet seit Dienstag unter der heftigsten Kältewelle seit fünf Jahren – in zahlreichen Städten sollten die Temperaturen im Schnitt fast sechs Grad unter dem üblichen Wert liegen. Die Regierung hat einen „Plan große Kälte“ aufgelegt und will die Lage genau beobachten. Sorge bereitet vor allem die Lage der Obdachlosen. Innenminister Bruno Le Roux versicherte, es gebe Schlafplätze für alle. Die Kälte ist auch für die Stromversorgung ein Problem: Viele Franzosen haben Elektroheizungen, der Stromverbrauch steigt deswegen drastisch an. Am Dienstag sollte die Stromversorgung nach Angaben des Netzbetreibers RTE auch mit Hilfe von Energieimporten aus dem Ausland gesichert sein. Am Mittwoch könnte es aber „stufenweise Sondermaßnahmen“ geben, unter anderem könnte die Netzspannung abgesenkt werden, hieß es. (afp) taz intern taz.gazete ■■Wegen der schwierigen Situationen für viele Medien in der Türkei startet die taz das deutsch-türkische Internetportal taz.gazete. Unter gazete.taz. de werden ab Donnerstag vor allem türkische Autorinnen und Autoren berichten und kommentieren. Geplant sind zunächst fünf Beiträge pro Woche in türkischer und deutscher Sprache. Erste Texte werden am Donnerstag auch in der gedruckten taz erscheinen. ■■„Während das autoritäre türkische Regime ein Medium nach dem anderen ausschaltet, geben wir ein neues, freies und unabhängiges Medium heraus“, sagt die taz-Redakteurin und Projektleiterin Fatma Aydemir. „Wir wollen der Pressefreiheit ein Exil geben“, sagt taz-Chefredakteur Georg Löwisch. ■■Beiträge sollen Journalistinnen und Journalisten aus der Türkei liefern, aber auch jene, die sich an anderen Orten der Welt mit den Auswirkungen der türkischen Politik auf die Diaspora beschäftigen. Gefördert wird das Projekt über Spenden. Verbotsantrag ist gescheitert. Innenminister planen neue Maßnahmen Jetzt geht’s an die Kohle REAKTIONEN Nach dem gescheiterten Verbot der NPD geben sich die Länder trotzig – und prüfen Entzug von Staatsgeldern für die Neonazi-Partei. Die feiert derweil ihren „Sieg“ AUS KARLSRUHE KONRAD LITSCHKO Am Ende stellt sich der NPDTross noch mal zum Gruppenfoto vor das Bundesverfassungsgericht. Grinsend blinzeln sie gegen die Sonne, Parteichef Frank Franz und die anderen recken die Daumen nach oben. Erst als die Neonazis auch noch ein Banner entrollen, verscheucht sie ein Polizist. Kurz zuvor hatten die Verfassungsrichter ein Verbot der Nationaldemokratischen Partei abgelehnt, das die Bundesländer 2013 beantragt hatten: Auch wenn die NPD zweifelsfrei die „demokratische Grundordnung missachtet“, sei sie derzeit zu bedeutungslos, um diese tatsächlich zu gefährden. Im Grunde ist das Urteil eine Schmach – aber die NPD feiert es als Sieg. Zum zweiten Mal seit dem ersten Versuch 2003, scheitert der Staat mit dem Verbot der Rechtsextremen. „Nichts anderes haben wir erwartet“, tönt Parteichef Franz noch im Gerichtssaal. „Jetzt starten wir durch.“ Die Schar der nach Karlsruhe angereisten Innenminister übt sich dagegen in trotzigem Optimismus. „Es war richtig, dass wir den Antrag gestellt haben“, sagt Markus Ulbig (CDU) aus Sachsen, bis heute eine der Hochburgen der NPD. Auch wenn man sich ein anderes Ergebnis gewünscht hätte: „Die Demokratiefeindlichkeit der NPD ist jetzt ganz deutlich geklärt.“ Auch sein Kollege Lorenz Caffier (CDU) aus Mecklenburg-Vorpommern will nicht von Enttäuschung sprechen. Das Gericht sei den Ländern ja in vielen Punkten gefolgt. „Wir werden in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus nicht an Intensität nachlassen. Da sind wir gut aufgestellt.“ Malu Dreyer, SPD-Regierungschefin von RheinlandPfalz und derzeit Bundesratspräsidentin, nennt das Verbot „nur eine Maßnahme von einer ganzen Palette“. Man werde nun weiter etwa auf Prävention oder politische Bildung setzen. Mehrere Innenminister stellen sich hinter einen Plan, den ihnen die Verfassungsrichter am Dienstag nahelegten: der NPD die staatliche Finanzierung entziehen. 1,4 Millionen Euro erhielt die Partei 2014 vom Staat. „Das sollten wir nun dringend angehen“, sagt Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD). „Es ist dem Bürger nicht vermittelbar, dass Extremisten aus Steuergeldern finanziert werden.“ Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) kündigt an, das „sorgfältig prüfen zu lassen“. „Es ist zu befürchten, dass sich die NPD radikalisiert“ G. MEYER-PLATH, VERFASSUNGSSCHÜTZER Die NPD interessiert das an diesem Tag nicht. „Treten Sie jetzt zurück?“, ruft ein Funktionär im Treppenhaus Minister Caffier zu. Der ruft zurück: „Warum denn?“ Für de Maizière ist die derzeitige Schwäche der NPD „ein starkes Zeichen dafür, dass wir in den letzten Jahrzehnten die Auseinandersetzung erfolgreich geführt haben“. Davon sollte man sich für den „dringli- NPD-Chef Frank Franz und NPD-Anwalt Peter Richter nach der Urteilsverkündung Foto: Uwe Anspach/dpa chen“ Einsatz gegen die ansteigende Demokratiefeindlichkeit „ermutigen“ lassen. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) betont: „Klare Haltung gegen rechte Hetze zu zeigen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe für uns alle.“ Die NPD darf ihre rund 340 Kommunalmandate behalten. Auch das letzte prominente Mandat – Exbundeschef Udo Voigt im Europaparlament – bleibt. Bereits am Samstag lädt die Partei ins sächsische Riesa zum „Jahresauftakt“. Schon zuvor hatte sie in ihren Shop einen Dosensekt für drei Euro aufgenommen: „Karlsruher Perlwein, auf den Freispruch“. Die Aussichten für den angekündigten „Neustart“ sind indes mau. Vor der nächsten Landtagswahl, im März im Saarland, ist die NPD in Umfragen nicht messbar – genauso wenig wie im Mai in NRW und SchleswigHolstein. Gut dabei ist dagegen überall dort die AfD. NPD-Chef Franz betont trotzig den jüngst beschlossenen Dreijahresplan: Bis 2019, zur nächsten aussichtsreichen Wahl in Sachsen, will die Partei ihre Aktivitäten stärker bündeln, um so „Achtungserfolge zu erzielen“. Andere NPDler wollen aber einen härteren Kurs. Noch in Karlsruhe riet Voigt seiner Partei, wieder Alleinstellungsmerkmale wie die Wiedereinführung der Todesstrafe oder einen Ausländerrückführungsplan herauszustellen. Franz, der sich um eine Modernisierung der NPD bemüht, lehnt das ab. Sachsens Verfassungsschutzchef Gordian Meyer-Plath fürchtet indes genau Voigts Szenario. „Es ist zu befürchten, dass sich die NPD radikalisiert, um ihren Abwärtstrend umzukehren.“ Eine Entscheidung könnte der nächste Bundesparteitag bringen, den die Partei Anfang März im Saarland abhalten will. Dort steht auch die Wiederwahl von Franz an. Wohin die NPD jetzt steuert, man wird es spätestens dann wissen. „Das ist ein ganz großes Ärgernis“ ZENTRALRAT Josef Schuster fordert Bundesregierung in Sachen Parteienfinanzierung zum Handeln auf taz: Herr Schuster, Sie haben sich für ein NPD-Verbot starkgemacht. Sind Sie vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts enttäuscht? Josef Schuster: Ja, ich bin enttäuscht, dass die Partei nicht verboten wurde. Aber das Urteil bestätigt die Einschätzung, die der Zentralrat der Juden seit Langem über die NPD hat: dass es sich um eine verfassungsfeindliche Partei handelt. Die NPD hat nach der Urteilsverkündung umgehend „Sieg“ getwittert. War das Verbotsverfahren ein Fehler? Nein, das glaube ich nicht. Es gibt zwei wichtige Punkte in der Urteilsbegründung. Zum einen haben wir jetzt klare Leitlinien, unter welchen Bedingungen ein Verbotsverfahren zum Erfolg führen kann. Kämen wir einmal in die Situation, in der eine Gruppierung unsere Verfassung wirklich nachhaltig schä- digen könnte, würde ein Verbotsverfahren wohl nicht mehr dreieinhalb Jahre dauern. Denn dann könnte das Kind schon in den Brunnen gefallen sein. Zum Zweiten gibt die Urteilsbegründung einen klaren Hinweis an den Gesetzgeber, dass es mit Blick auf die Parteienfinanzierung Handlungsspielraum gibt. Es ist ein ganz großes Ärgernis, dass Parteien wie die NPD auch noch eine staatliche finanzielle Unterstützung bekommen. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, alles zu tun, dass dies geändert wird. Das Gericht hat anerkannt, dass die NPD verfassungsfeindliche Ziele hat, hält sie aber für zu schwach, um gefährlich zu werden. Beruhigt Sie das? Es beruhigt mich nicht, weil wir historisch gesehen haben, wie schnell eine Partei einen gar nicht so geringen Stimmenanteil bekommen kann. Und auch jetzt sieht man, dass eine Partei wie die AfD innerhalb eines Jahres bei Wahlen zweistellige Ergebnisse erzielen kann. Wenn man sieht, wie lange ein solches Verbotsverfahren dauert, habe ich generell die Sorge, dass eine verfassungsfeindliche Partei während dieser Zeit die Möglichkeit hätte, einige ihrer Ziele bereits in die Tat umzusetzen. Sind Rechtspopulisten wie die der AfD derzeit nicht gefährlicher als diese kleine NPDTruppe? Dass die AfD wie jede Gruppierung, die gegen Minderheiten hetzt, in meinen Augen eine Gefahr darstellt, steht außer Zweifel. Welche Konsequenzen sollte die Politik aus dem Scheitern des NPD-Verbots ziehen? Es besteht jetzt eine ganz besondere Verantwortung in der Beobachtung von Parteien und Gruppierungen mit verfas- sungsfeindlicher Ausrichtung, damit sich erst gar nicht eine Gefahr für unsere demokratische Grundordnung entwickeln kann. Und wie müsste die Zivilgesellschaft in Ihren Augen auf das Urteil aus Karlsruhe reagieren? Die Zivilgesellschaft ist noch mehr als bislang gefordert, sich aktiv gegen extremistische Bestrebungen einzusetzen – egal von welcher Seite. INTERVIEW SABINE AM ORDE Josef Schuster ■■62, ist Internist und seit No- vember 2014 Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Foto: Thomas Lohnes Schwerpunkt NPD M IT TWOCH, 18. JAN UAR 2017 TAZ.DI E TAGESZEITU NG 03 Das Bundesverfassungsgericht hält den Einfluss der NPD für gering. Nachbarn der Parteizentrale in Berlin sehen das anders AUS KARLSRUHE CHRISTIAN RATH Das Bundesverfassungsgericht hat den Antrag des Bundesrats, die Nationaldemokratische Partei Deutschlands NPD zu verbieten, einstimmig abgelehnt. Die Partei verfolge zwar verfassungsfeindliche Ziele, habe aber „auf absehbare Zeit“ nicht das Potenzial, diese Ziele auch zu erreichen. Die Entscheidung ist mit knapp 300 Seiten eine der längs- Gegen strafbares Verhalten einzelner NPD-Mitglieder muss mit Polizei- und Strafrecht vorgegangen werden ten in der Geschichte des Verfassungsgerichts. Sie definiert im ersten Teil die Maßstäbe, die für Parteiverbote künftig gelten. Im zweiten Teil wendet sie diese Maßstäbe auf die NPD an. Laut Grundgesetz (siehe Kasten) ist eine Partei zu verbieten, wenn sie darauf ausgeht, die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ zu beseitigen oder zu beeinträchtigen. Diese Grundordnung definierte das Gericht neu. Sie hat jetzt drei Merkmale: Menschenwürde, Demokratie und Recht- Geldsorgen hat die Partei schon länger: Die NPD sammelt auf ihrem Bundesparteitag in Berlin-Reinickendorf 2009 Foto: Kai Pfaffenbach/dpa staatlichkeit. Diese Ordnung wolle die NPD beseitigen, stellte das Gericht fest, und durch ein Konzept der „Volksgemeinschaft“ ersetzen. Als Deutscher werde demnach nur anerkannt, wer URTEIL Das „Volksgemeinschafts“-Konzept der NPD verstößt zwar gegen Menschenwürde und Demokratie – von Deutschen abstamme, Einbürgerungen würden nicht ak- aber die Partei hat nach Ansicht der Bundesverfassungsrichter nicht die Möglichkeit, es umzusetzen zeptiert. Das führe zur rechtlichen Abwertung aller, die Verbot – sagte Karlsruhe noch: Die gesetzliche Grundlage Dieses Potenzial konnten die ihren Hochburgen als „Kümme- klam und Lübtheen (MecklenRichter nicht erkennen. Die NPD rer“ zu profilieren, führe nicht burg-Vorpommern) konnte das nicht der „Volksgemeinschaft“ Eine Partei kann auch dann habe keine Perspektive, politi- zu erhöhter Akzeptanz deren po- Gericht keine „Dominanz“ der angehören. So werde einerseits verboten werden, „wenn nach ■■Parteien, die nach ihren Zielen die Menschenwürde der Betrof- menschlichem Ermessen keine oder nach dem Verhalten ihrer sche Mehrheiten zu erreichen. litischer Ziele. NPD feststellen. Gegen strafbafenen verletzt, denn die sei „ega- Aussicht darauf besteht, dass sie Anhänger darauf ausgehen, Die Wahlergebnisse bei BundesVerbotswürdig wäre es schon, res Verhalten einzelner NPDlitär“. Zudem missachte die NPD ihre verfassungswidrige Absicht die freiheitliche demokratische tagswahlen stagnierten auf sehr wenn die NPD ihre Ziele mit Ge- Mitglieder müsse mit Polizeidadurch auch das Demokra- in absehbarer Zukunft werde Grundordnung zu beeinträchniedrigem Niveau (2013: 1,3 Pro- walt verfolgen würde. Hierfür und Strafrecht vorgegangen tieprinzip, denn es beruhe auf verwirklichen können“. Nach tigen oder zu beseitigen oder zent). Die Partei sei in keinem gebe es aber keine „Grundten- werden. Die Anordnung eines der gleichberechtigten Mitwir- diesem Maßstab wäre nun also den Bestand der Bundesrepublik Landtag mehr vertreten. Sie denz“ in der Partei, so die Rich- Parteiverbots sei „noch nicht“ kungsmöglichkeit „aller Bürger“. auch die NPD verboten worden. Deutschland zu gefährden, sind habe auch keine Option, sich in ter. Rechte Gewalttaten gegen gerechtfertig, heißt es aber Auch rassistische und antiseeiner Koalition politische Ge- Asylunterkünfte könnten der durchaus drohend in RandzifAber Karlsruhe definierte verfassungswidrig. Über die mitische NPD-Inhalte verletzten den Maßstab neu. Zwar ist wei- Frage der Verfassungswidrigkeit staltungsspielräume zu schaf- NPD nur zugerechnet werden, fer 1007 des Urteils. die Menschenwürde. Zudem terhin keine „konkrete Gefahr“ entscheidet das Bundesverfasfen, da niemand mit ihr zusam- wenn diese sie billige, was nicht Dass sich die Nationaldemostellte das Gericht eine „Wesens- für die freiheitlich-demokrati- sungsgericht. (Grundgesetz für menarbeiten wolle. der Fall sei. Es genüge nicht, dass kraten keineswegs als Sieger des verwandtschaft“ mit dem Natio- sche Grundordnung erforder- die Bundesrepublik Deutschland, Auch im politischen Diskurs die NPD durch ihre Agitation zu Verfahrens fühlen können, deunalsozialismus fest. Letzteres sei lich. Das Parteiverbot greife Art 21/II) könne sie ihre Ziele nicht durch- einem ausländerfeindlichen teten die Richter auch auf der zwar kein Verbotsgrund an sich, nach dem Motto „Wehret den setzen. Mit knapp 6.000 Mit- Klima beigetragen habe. letzten Seite der Entscheidung bestätige aber die NPD-Missach- Anfängen“ schon im Vorfeld punkte von Gewicht, die es mög- gliedern sei sie nicht in der Lage, Es gebe in Deutschland auch an: Die Partei bekommt keitung der freiheitlich-demokrati- einer Gefahr, so die Richter. Al- lich erscheinen lassen, dass das die gesellschaftliche Willensbil- keine „national befreiten Zo- nerlei Kostenerstattung für das schen Grundordnung. lerdings müssten die Vorausset- Handeln der Partei zum Erfolg dung zu beeinflussen. Auch die nen“ und „keine Atmosphäre Verfahren – denn der Prozess Dennoch wird die NPD nicht zungen wegen des „demokra- führt“, sagte Andreas Voßkuhle, rechten Kameradschaften könn- der Angst“, betonte das Gericht. habe gezeigt, dass ihr Handeln verboten. Und das ist die Folge tieverkürzenden“ Charakters der Präsident des Gerichts. Ver- ten nicht als verlängerter Arm Das Dorf Jamel bei Wismar sei planmäßig auf die Beseitigung einer neuen Interpretation des von Parteiverboten „restrik- kürzt gesagt: Es kommt darauf der NPD angesehen werden. Die ein Sonderfall, es habe aber der freiheitlich-demokratischen Grundgesetzes durch die Verfas- tiv“ ausgelegt werden. „Erfor- an, ob die Partei das Potenzial Partei sei also weitgehend iso- auch nur 47 Einwohner. Selbst Grundordnung gerichtet sei. sungsrichter. 1956 – beim KPD- derlich sind konkrete Anhalts- hat, ihre Ziele zu erreichen. liert. Auch der Versuch, sich in in den NPD-Hochburgen An- (Az.: 2 BvB 1/13) Die NPD wird nicht verboten Die Bedrohung für das Umfeld bleibt ORTSTERMIN Ein Besuch bei der NPD-Zentrale in Berlin-Köpenick, der wichtigsten Immobilie der Partei BERLIN taz | So viele Autos mit den Kennzeichen westdeutscher Großstädte hat die Seelenbinderstraße in Berlin-Köpenick, weit im Südosten der Stadt, vermutlich lange nicht gesehen. Sie stehen halb auf dem Bürgersteig geparkt, aus den offenen Türen schallen Radiostimmen über die Straße. Darumherum frierende JournalistInnen, die wie gebannt auf das einstöckige gelbe Haus auf der anderen Straßenseite starren: Hier, in der Nummer 42, befindet sich die Bundesgeschäftsstelle der NPD, über deren Zukunft soeben das Urteil gesprochen wird. Nein, es tut sich nichts, als die Nachricht schließlich eintrifft. Die Tür bleibt verschlossen, nichts regt sich hinter den Fenstern. Allein ein Transparent an der gelben Fassade schlägt die Brücke zum Bundesverfassungsgericht: „Zweimal Karlsruhe und zurück – Deutschland lässt sich nicht verbieten“, steht darauf. Lange Gesichter gibt es bei einer Gruppe von Menschen, die sich in verschiedenen Initiativen vor Ort gegen rechts engagieren und sich an diesem Morgen ebenfalls vor der Zentrale die Beine in den Bauch stehen: „Für uns hier vor Ort hätte es sehr wohl einen großen Unterschied gemacht, wenn die Partei verboten worden wäre“, sagt eine von ihnen. Denn das kleine gelbe Haus ist für die NPD nach wie vor von großer Bedeutung: Die Immobilie, die die Partei 2002 durch eine großzügige Privatspende erwerben konnte, ist zum einen ein wichtiger materieller Faktor für die seit Jahren in Geldnöten steckende NPD. Momentan ist das laut dem Rechenschaftsbericht der Partei mit 355.500 Euro bewertete Haus verpfändet: Wegen des laufenden Verbotsver- fahren zahlte die Verwaltung des Bundestags die Zuschüsse im Rahmen der Parteienfinanzierung im letzten Jahr nur unter Vorbehalt, als Sicherheit musste die Partei die Eigentumsrechte für das Gebäude an den Bundestag übertragen. Ein Vorgang, der nun rückgängig gemacht werden dürfte. Zum anderen ist das Haus, in dem sich mehrere Büros, Schulungsräume und auch Schlafplätze befinden, nach wie vor ein wichtiger Treffpunkt für die Neonazis. Das gilt umso mehr, nachdem in den letzten Jahren mehrere andere wichtige Orte der rechtsextremen Szene in Berlin auf den Druck zivilgesellschaftlicher Initiativen hin schließen mussten. Und das macht sich bemerkbar: „Nach wie vor gibt es eine große Häufung von rechtsextremen Straftaten im Umfeld der Zentrale, das geht von Propagandadelikten bis hin zu tätlichen Angriffen“, sagt Samuel Signer, der das vom Berliner Senat geförderte Register zur Erfassung rechtsextremer Straftaten betreut. Auch in Berlin ist die NPD nur noch ein Schatten ihrer selbst – dass die Richter in Karlsruhe die Partei letztendlich für zu bedeutungslos hielten, um sie zu verbieten, klingt in den Ohren derjenigen, die sich hier im Berliner Osten gegen Neonazis einsetzen, trotzdem wie „Es gibt hier eine Häufung rechts extremer Straftaten“ SAMUEL SIGNER Hohn. „Die Räume und Gelder, die der Neonaziszene durch die NPD zur Verfügung stehen, machen effektiv einen Unterschied für die Bedrohung, die von dieser Szene ausgeht“, sagt Signer. Es habe Pläne gegeben, das Haus im Falle eines Verbots zu einem zivilgesellschaftlichen Zentrum umzubauen, erzählt er. Das wäre nicht nur symbolisch eine wichtige Entscheidung gewesen – nun bleibt hinter der gelben Fassade wohl vorerst alles, wie es ist. MALENE GÜRGEN
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