i-journal

I-JOURNAL
Der Stadtschulrat für Wien informiert
Jänner 2017
Themenschwerpunkt
BeratungslehrerInnen und Psychagogische BetreuerInnen
I-JOURNAL Jänner 2017
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I-JOURNAL Jänner 2017
Inhalt
Besonderer Dank gilt ….......................................................................................................................................... 5
Symposium „Schule als Ort hilfreicher Beziehungserfahrungen” - 40 Jahre PsychagogInnen - 40 Jahre BeratungslehrerInnen in Wien........................................................................................................................................ 6
Zum 40-Jahr-Jubiläum der Förderklasse................................................................................................................ 9
Das Arbeitsfeld einer Beratungslehrerin................................................................................................................ 12
40 Jahre BeratungslehrerInnen (BL) & PsychagogInnen (Psychagogische BeraterInnen - PB).......................... 19
BeratungsTeamSchulstart (BTS) - Der Übergang vom Kindergarten in die Schule - Abschied und Neubeginn
und die Geschichte von der Pionierarbeit des Mobilen Mosaikteams zum BeratungsTeamSchulstart................. 21
Die ExpertInnengruppe BBP im Bundesministerium für Bildung........................................................................... 30
Psychagogische Betreuung als unverzichtbarer Beitrag für eine inklusive Schule - eine ganz persönliche
Liebeserklärung an diese Aufgabe ....................................................................................................................... 34
Trauma oder Erziehung? Aspekte eines Dilemmas in der Förderklassen-Arbeit.................................................. 36
Zwischen-Welten................................................................................................................................................... 44
Abenteuer vom kleinen Bären und andere Gruselgeschichten............................................................................. 49
Das Spiel um „Leben“ und „Seelen“...................................................................................................................... 52
Mein Rosenbusch.................................................................................................................................................. 55
CLS - Classroom Support..................................................................................................................................... 60
ABS-SÜD - Abendberatung Schule....................................................................................................................... 61
FiSCH - Familie in Schule..................................................................................................................................... 63
Mosaikklassenkinder im Rudolf Ekstein Zentrum.................................................................................................. 70
Projekt Gewaltprävention „Miteinander statt gegeneinander“............................................................................... 76
„Stärke durch Beziehung - Zum Wohle des Kindes und Jugendlichen“ ............................................................... 79
Das dynamische Konzept der „Neuen Autorität“ und des gewaltlosen Widerstands nach Haim Omer................ 81
Pop-Up.................................................................................................................................................................. 84
Judge4U................................................................................................................................................................ 87
Wildnis macht Schule............................................................................................................................................ 90
Unterricht in der „segelnden Wohngruppe“........................................................................................................... 93
Das erste Jahr des Campus Seestadt oder vom ….............................................................................................. 96
Liebe Leserin! Lieber Leser!................................................................................................................................ 100
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Besonderer Dank gilt …
Im Oktober 2016 wurden „40 Jahre BeratungslehrerInnen und PsychagogInnen“ mit dem Symposium
„Schule als Ort hilfreicher Beziehungserfahrungen“ und mit einem „BeratungslehrerInnenfestl“ gefeiert.
Aus diesem Anlass widmet sich die aktuelle Ausgabe des I-Journals der Arbeit mit SchülerInnen mit besonderen Bedürfnissen im sozial-emotionalen Bereich.
Die Basis dafür, dass die soziale Integration dieser Kinder gelingen kann, legte Herr RgR BSI i.R.
Richard Felsleitner. Ihm sei an dieser Stelle für
sein besonderes Engagement und seinen hohen
persönlichen Einsatz für sozial-emotional benachteiligte SchülerInnen gedankt.
Heute ist diese, auf sozial belastete und psychisch
beeinträchtigte Kinder individuell zugeschnittene Form der Beschulung aus der Wiener Schullandschaft nicht mehr wegzudenken. Durch die
Bemühungen von Herrn RgR BSI i.R. Richard
Felsleitner, für den stets das Kind im Zentrum
aller pädagogischer, organisatorischer und rechtlicher Überlegungen stand, war das Etablieren einer speziellen pädagogischen Herangehensweise
erst möglich.
RgR BSI i.R. Richard Felsleitner
© Foto: Eva Maria Kunz
In den nachfolgenden Artikeln wird anschaulich beschrieben, wie vielfältig die Arbeit mit den sogenannten
„schwierigen“ Kindern gestaltet wird und wie sie gelingen kann. Und zwar mit viel Engagement und einer
stetigen Weiterentwicklung der Professionalisierung der LehrerInnen.
Ein großes Dankeschön richtet sich daher auch an all jene LehrerInnen, die uns Einblick in ihren herausfordernden beruflichen Alltag gewähren.
Besondere Anerkennung gebührt jenen KollegInnen, die durch ihre Mitarbeit das Zustandekommen des
„BeratungslehrerInnenfestls“ und des Symposiums unterstützt haben.
PSI Mag.a Gudrun Schützelhofer
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I-JOURNAL Jänner 2017
Symposium
„Schule als Ort hilfreicher Beziehungserfahrungen”
40 Jahre PsychagogInnen
40 Jahre BeratungslehrerInnen in Wien
7. – 8. Oktober 2016
Veranstaltungsorte: Festsaal des Stadtschulrates für Wien
und Großer Festsaal der Universität Wien
Im Herbst 1976 begannen sich in Wien zwei Gruppen von engagierten LehrerInnen unabhängig voneinander mit einem integrationspädagogischen Selbstverständnis um SchülerInnen zu bemühen, die zur
damaligen Zeit als „verhaltensgestört“ oder „verhaltensauffällig“ bezeichnet wurden. Beide Gruppen von
LehrerInnen konnten sich im Wirkungsbereich des Stadtschulrates für Wien als BeratungslehrerInnen und
PsychagogInnen etablieren.
Aufgrund der anschließenden in der Schulpraxis gemachten Erfahrungen kam es zur Errichtung zweier
Ausbildungslehrgänge, zur Ausweitung und Annäherung der Aufgabenfelder beider Professionen, zum Aufkommen der Inklusion, zur Entwicklung des Curriculums zur „LehrerInnenbildung neu“ und zu zahlreichen
weiteren pädagogischen, organisatorischen und schulrechtlichen Veränderungen.
Die beiden Wiener Ausbildungen zu BeratungslehrerInnen und PsychagogInnen mündeten in die Einrichtung des Universitätslehrgangs „Integration von Kindern und Jugendlichen mit emotionalen und sozialen
Problemen im Kontext von Schule“, der von der Universität Wien mit Unterstützung der KPH Wien/Krems
sowie in enger Verschränkung mit dem Hochschullehrgang „Schulische Integration von Kindern und Jugendlichen mit emotionalen und sozialen Problemen“ der PH Wien, welcher bis dato sattfindet. Dieses
Lehrangebot wird in Kurzform Psychagogik - Lehrgang genannt. Mit dem Abschluss des Universitätslehrgangs1 wird das Recht erworben, den Titel „MA – Master of Arts (Psychagogik)“ zu führen.
Während all dieser Jahre wurden unzählige SchülerInnen mit erheblichen, emotionalen und sozialen Problemen betreut und Kooperationen mit Personen ihres schulischen, familiären und sozialen Umfeldes angebahnt und realisiert.
Dies war der Anlass dazu, um die Tätigkeit der Wiener PsychagogInnen und
BeratungslehrerInnen nach 40 Jahren zum Thema eines Symposiums zu machen und auf diese Weise auch wissenschaftlich zu würdigen (vgl. Einladung
zum Symposium).
Nach eingangs begrüßenden Worten unserer Frau Pflichtschulinspektorin
Mag.a Gudrun Schützelhofer im Stadtschulrat für Wien an die den gesamten
Festsaal füllenden aktiven und sich bereits in Ruhe befindenden KollegInnen,
sowie VertreterInnen der Dienstbehörde, der Personalvertretung und der GÖD,
stimmte eine Textcollage „Iba de gaunz oamen Kinda“ – Kinder und Jugendliche
mit erheblichen sozialen und emotionalen Problemen im Spiegel literarischer
Texte - auf das Symposium und der später folgenden Falldarstellung und Falldiskussion ein. Das anschließende Podiumsgespräch mit Personen der „ersten
Stunde“ handelte von den Anfängen der Tätigkeit von PsychagogInnen und BeratungslehrerInnen ab 1976 und der anschließenden Entwicklung der Ausbildung
in Wien.
1siehe http://www.postgraduatecenter.at/lehrgaenge/bildung-soziales/integration-von-kindern-und-jugendlichen
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Der erste Teil des Symposiums im Festsaal des Stadtschulrats für Wien klang mit
einem Umtrunk und einem kleinen Imbiss
erfolgreich aus.
Zum zweiten Teil des Symposiums am
folgenden Tag wurden wir von Herrn Dr.
Wilfried Datler im großen Festsaal der
Universität Wien freundlich begrüßt. Nach
einer anfänglichen Falldarstellung mit Falldiskussion hielt Herr Dr. David Zimmermann aus Hannover einen Gastvortrag
mit dem Thema: „Pädagogische Beziehungen mit traumatisierten Kindern und
Jugendlichen: Über Möglichkeiten und die
Notwendigkeit, Extremerfahrungen in der
Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften“
mit anschließender Diskussion.
von links: Univ.-Prof. Dr. Wilfried Datler, Mag.a Jutta Wilfinger,
Wolfgang Reyer, em. Univ.-Prof. Dr. Max Friedrich
Eine dritte Falldarstellung mit Falldiskussion läutete den Nachmittag ein. Alle drei Falldarstellungen wurden
mit beachtlicher Sorgsamkeit vorbereitet und mit großem Engagement vorgestellt, um den ZuhörerInnen
einen Einblick in die Arbeit zu geben. Anschließend referierte Herr Dr. Datler zum Thema: „Inklusive Pädagogik in den Lehramtsstudien neu und der ULG/HLG Psychagogik: Doppelung, Überlappung, Ergänzung?“
Der Abschluss des Symposiums in Form einer Podiumsdiskussion lautete:
„Bedarf es in Zukunft einer postgradualen Ausbildung von PsychagogInnen in Gestalt eines Masterlehrgangs?“ Bei dieser Diskussionsrunde gab jedoch der Leiter der Sektion I des Bundesministeriums für
Bildung und Frauen Herr Kurt Nekula bekannt, dass der Universitätslehrgang: “Integration von Kindern und
Jugendlichen mit emotionalen und sozialen Problemen im Kontext von Schule“ 2017 eingestellt werden
wird.
Ich wünsche hiermit allen zukünftigen LehrerInnen der „LehrerInnenbildung neu“, dass sie eine so fundierte, hochprofessionelle Aus-, Fort- und Weiterbildung hinsichtlich sozialer und emotionaler Probleme von
Kindern und Jugendlichen absolvieren werden können, wie wir sie für unsere Professionen als BeratungslehrerInnen und PsychagogInnen erhalten haben. Sie basierte schwerpunktmäßig auf den Säulen in der
Persönlichkeitsbildung insbesondere auf der Gesprächsführung, der Selbsterfahrung und der Reflexion,
welche eine notwendige Voraussetzung für die Betreuung und Begleitung von Kindern und Jugendlichen
mit erheblichen sozialen und emotionalen Problemen darstellen. Berufsbegleitende Supervision hat einen
bedeutenden Stellenwert im Praxisalltag.
Ganz persönlich möchte ich mich hiermit auch vom „Wiener BeratungslehrerInnenmodell“ verabschieden,
welches 40 Jahre lang eine große Bedeutung in der Wiener Schullandschaft innehatte.
Mag.a Jutta Wilfinger
Beratungslehrerin in Wien
Sonder- und Heilpädagogin
© Fotos: Eva Maria Kunz
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I-JOURNAL Jänner 2017
Abschließend gebührt den SponsorInnen ein großes Danke, welche durch ihre finanzielle Unterstützung
zum Gelingen unserer 40-Jahr-Feier beitrugen:
Ing. Josef Freund
www.steinfreund.at
Steinpflege – Reinigung – Imprägnierung
0043 664 220 72 13
Rainer Hillinger - Bodystreet
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Sonderkonditionen für PflichtschullehrerInnen
Friseur Yvonne
www.mobilfriseurin.at
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0043 676 89 88 11 12
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Masseur – Energetiker
0043 664 58 36 715
www.pflichtschullehrer.at
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I-JOURNAL Jänner 2017
Zum 40-Jahr-Jubiläum der Förderklasse
Dass etwas 40 Jahre lang besteht, ist per se noch kein Erfolg.
Es kann dieser Umstand aber jedenfalls zum Anlass genommen werden, zu resümieren, zu reflektieren,
neue Weichen zu stellen und ja, auch zu feiern.
Ich selbst kann in inzwischen auch auf beinahe 40 Jahre Tätigkeit bei, mit und für Kinder mit besonderen
Bedürfnissen zurückblicken, zuerst als Sonderschullehrerin, dann als Beratungslehrerin und nun schon seit
15 Jahren als Lehrerin in einer Förderklasse.
Da hat sich ein wenig Erfahrung angesammelt. Da sammelten sich auch Erfolge und Misserfolge.
Aus letzteren ließe sich lernen, wie man ja immer nur durch Krisen, Probleme und Schwierigkeiten lernt und
daran wächst. Wobei es sein mag, dass Misserfolge und Probleme bei Jubiläen quasi „persona non grata“
sind. Aber warum eigentlich?
Nein, eine Förderklasse ist keine Reparaturwerkstatt, daraus gehen Kinder nicht geheilt und „problembefreit“ hervor.
Es fehlt dem System an weiterführenden, weiterhin helfenden, unterstützenden, ja, simpel „geeigneten“
Institutionen, Maßnahmen, Ressourcen. Oft ist daher das, was in der Kleingruppe erreicht wurde schnell
wieder dahin.
Nicht alle Kinder passen ins vorhandene System, nicht alle Kinder können passend dafür „gemacht“ werden. Diesem Umstand wird nicht Rechnung getragen.
Weil nicht sein kann, was nicht sein darf?
SchülerInnen gingen von der Förderklasse weiter in Sonderschulen, Neue Mittelschulen und Gymnasien ja auch solche Kinder hatten wir. Es brauchte viel an Gesprächen, an Zeit und Engagement, um passende
Plätze für die Kinder zu finden.
Inzwischen gehört das nicht mehr zu den Aufgaben der FörderklassenlehrerInnen, einen weiterführenden
Schulplatz zu empfehlen, das machen andere.
Die kennen das Kind nicht, wissen nicht, welche Bedürfnisse es hat, welchen Weg es ging und vielleicht
noch gehen könnte, kennen die Problematik nicht.
Warum auch immer, so ist es jetzt.
Cui bono?
Ja, eine Förderklasse kann verletzten, vernachlässigten, psychisch beeinträchtigten und sozial belasteten
Kindern viel bieten!
Hier können sie zu Erfolgserlebnissen kommen, ihren Selbstwert entdecken, in kleinen Schritten Selbstbewusstsein aufbauen und einen friedlichen, gedeihlichen Umgang mit Gleichaltrigen erwerben.
Sie alle brauchen so viel Aufmerksamkeit und Zuneigung und Wertschätzung, weil sie diese lange nicht,
selten und zu wenig erhielten. Sie können sich in neuen Rollen erleben, sind nicht mehr die „out laws“.
Sie können sich an verlässlichen, klaren Strukturen „anhalten“ und aufrichten, sie können Schule freudvoll
erleben, angstfrei.
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Und es kann gelingen, Erziehungsberechtigte ins Boot zu holen, ausständige Testungen und Therapien zu
veranlassen, neue Verhaltensweisen zu ermöglichen, weil es neue Sichtweisen gibt.
Da waren Eltern, die zum ersten Mal hörten (von Seiten der Schule), dass sie ein großartiges Kind haben,
dass sie vieles richtig machen.
Da waren Eltern, die es nicht fassen konnten, dass sie nicht täglich angerufen wurden, um ihr Kind frühzeitig von der Schule zu holen.
Da waren Eltern, die nicht glauben konnten, dass ihr Kind auf eine Arbeit ein Sehr gut bekommen hatte.....
Entspannte, entlastete Eltern, die sich nicht mehr allein, angegriffen und nur kritisiert, sondern auch angenommen und vielleicht sogar verstanden fühlen, sind „andere“ Eltern....
Und wir haben vernetzt!
Noch immer fehlt es bei Helfersystemen an einem definierten case-manager, noch immer hat die Schule
den Job, Informationen nachzulaufen und sie zu bündeln, kommt kaum je eine andere Institution auf die
Idee, die Schule mit einzubinden, zumindest zu informieren.
Wir haben uns aufgedrängt und eingemischt, haben Institutionen aufgesucht und die Schwellen möglichst
niedrig gemacht – und es wurde (fast) immer als ebenso ungewöhnlich wie erfreulich empfunden und war
für das betreffende Kind (fast) immer positiv, gedeihlich, erfolgreich.
Noch immer muss die Schule ein offenes Buch für alle sein, noch immer gibt es aber tatsächliche und
vermeintliche Schweigepflichten zwischen den, an der Pflege und Entwicklung eines Kindes beteiligten
Institutionen.
Noch immer werden studierten Personen, die mit einem Kind punktuell zu tun haben mehr Kompetenzen
zugesprochen als den Lehrpersonen, die tagtäglich mehrere Stunden mit dem Kind verbringen in der besonderen Situation der Gruppe und des Leistungs-anspruchs.
Noch immer sind Zuständigkeiten, Amtswege und Vorschriften viel wichtiger als das Wohl eines Kindes.
Die Kinder, die zu uns kamen, waren aus dem System gefallen, weil das System eben nicht das Leben ist,
nicht sein kann.
Das Leben ist bunter, grausamer, unvorhersehbarer und ganz und gar unsicher.
Diese Kinder schrien auf ihre Art nach Hilfe, viele schon sehr lange und sehr ungehört.
Exeldateien, Screenings, Evaluierungen, Listen, Einsatzpläne – alles haben diese Kinder gesprengt, in
nichts gepasst.
Konzepte sind so geduldig, Kinder sind es nicht.
Auf Papier lässt sich so vieles entwerfen, empfehlen, befehlen und wunderbar und rosig ausmalen.
Dem einzelnen Kind ist das egal, es hält sich nicht einmal an bestens beschriebene Krankheitsbilder!
Nur eines wollten alle Kinder, die uns begegneten immer sein: geliebt, wahrgenommen und - gute Schüler.
Sie das sein und werden zu lassen, liegt an uns!
Und dazu müssen wir manchmal so außergewöhnlich sein und handeln dürfen wie unsere Kinder!
Und dazu brauchen wir alle Loyalität, Solidarität mit uns und Unterstützung, die wir kriegen können, auch
wenn diese Zivilcourage erfordert oder einfach ein weites Herz.
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Wenn ich zu diesem Jubiläum jemandem danken sollte, dann wären es meine SchülerInnen, wenn es jemanden zu feiern gäbe, dann sie!
Sie haben mich so vieles gelehrt, sie haben mich gefordert, bereichert und mir meine Grenzen aufgezeigt,
sie haben mich lachen und weinen lassen, verzweifeln und hoffen. Sie haben mir ihre Zuneigung geschenkt
und die meine angenommen.
Sie haben mich das Leben gelehrt.
„... Gebt den Kindern das Kommando! ...“
Agnes Zech
Förderklassenlehrerin
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Das Arbeitsfeld einer Beratungslehrerin
Dynamiken – Problemstellungen – Anforderungen - Wirkfaktoren
Vorbemerkung: Der folgende Text ist ein persönlicher Eindruck, von dem, was mir gerade am stärksten
in meiner Arbeit auffällt. Es ist mir bewusst, dass ich vieles nicht erwähne, was unbedingt zu unserem Arbeitsalltag gehört. Der ist allerdings so vielfältig, dass eine vollständige Beschreibung den Rahmen sprengen würde. Außerdem arbeitet jede/r von uns auf so individuelle Weise, dass mein Beitrag nur ein Beitrag
unter unzählig vielen möglichen sein kann.
Integrative Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern im weitesten Sinn ist unsere Aufgabe. Ich würde dieses
Feld einmal mit anderen Worten beschreiben: Wir fangen Kinder und Jugendliche auf, die auf irgendeine
Art aus der Reihe tanzen und nicht einfach ihre schulischen Aufgaben erledigen können. Sie sind also auffällig, fallen aus dem vorgegebenen Rahmen. Wir begleiten Kinder auf ihrem oft außergewöhnlichen Weg
und unterstützen sie, Erfolg und Anerkennung auf eine sozial erwünschte Weise zu bekommen.
Diese jungen Menschen brauchen extra Zuwendung, Fürsorge, Aufmerksamkeit, Unterstützung, Wertschätzung, Angenommensein, Anleitung, Rückenstärkung und Entwicklungshilfe in emotionalen und sozialen Bereichen. Die unterrichtenden Kolleginnen/Kollegen können oft sehr genau wahrnehmen, was zu tun
wäre, es aber im Unterrichtsalltag nur bedingt auffangen bzw. leisten.
Am stärksten fällt auf, dass die von mir betreuten Kinder in enormen Spannungsfeldern leben. Ihr Alltag
ist geprägt von unterschiedlichsten Informationen und oft diametral entgegengesetzten Werten und Anleitungen. Für diese Bedingungen können sie allein oft keine bzw. nur unzureichende Lösungen finden, sie
werden krank und auffällig. Sie weisen uns darauf hin, dass sie in hohem Maß belastet und überfordert sind.
Ich werde im Folgenden einige davon näher beschreiben.
-
Kulturelle Differenzen und/oder schichtspezifische Unterschiede
In der Schule lernen sie, dass wir alle gleich viel wert sind, dass wir Konflikte gewaltfrei lösen, dass wir unsere unangenehmen Gefühle nicht an anderen Menschen auslassen, dass jeder Mensch Respekt verdient
und vieles mehr in dieser Art.
Zu Hause werden oft genau die gegenteiligen Erfahrungen gemacht z.B.:
•
bei Vergehen wird mit physischer Gewalt bestraft und dies wird auch für wichtig und notwendig erachtet
•
bei Verletzung der männlichen Ehre muss Rache geübt werden
•
Frauen und Mädchen haben auf das Wort von Vätern und Brüdern bedingungslos zu hören
•
um seine Ehre nicht zu verlieren darf man nicht um Hilfe bitten oder welche annehmen
•
und vieles mehr in dieser Art.
Je weiter diese Glaubenssätze von den gelebten bzw. angestrebten Werten in der Schule auseinanderliegen, umso größer die Kluft, die die Kinder innerlich überbrücken müssen. Die Situation ist für viele Kinder
noch verschärft dadurch, dass auch die in der Schule proklamierten Werte (noch) nicht umgesetzt sind:
die Lehrer/innen haben ihre persönlichen Grenzen, die Kinder sind selbst erst in der Entwicklung und am
Erlernen und Einüben von gewaltfreier Kommunikation und vor allem ist die Durchmischung wesentlich:
wenn die meisten Kinder einer Klasse aus einem Elternhaus mit autoritärem gewaltbereitem Erziehungsstil
kommen, ist es umso schwieriger, ihnen zu vermitteln, was wir meinen mit der angestrebten Alternative.
Außerdem treffen sie auf Kinder, die aus Familien kommen, in denen die Eltern gar nicht erziehen, den
Kindern viel zu viele Freiheiten lassen, ohne ihnen Verantwortung und Grenzen zu vermitteln – ein sehr
unübersichtliches Spannungsfeld von Theorie und Praxis.
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I-JOURNAL Jänner 2017
Beispiel: Strenge Erziehung trifft auf angestrebtes gewaltfreies kooperatives Miteinander – ein Junge ringt
mit den zwei Welten
Ein türkischer Junge, erst kürzlich nach Österreich gekommen, wenig deutsche Sprachkenntnisse, sechs
Jahre, fällt auf, weil er keinerlei Frustrationstoleranz hat, bei jedem noch so kleinen Misserfolg wirft er alles
hin und möchte heimgehen. Auch gegenüber Schulkollegen gibt es nur Zuschlagen als Kommunikationsmittel, vor allem, wenn einer etwas macht, was ihm nicht passt.
Er steht von zu Hause enorm unter Druck: er muss nicht nur gut, sondern ausgezeichnet in der Schule sein,
darf keinerlei Fehler machen, sonst wird er streng bestraft. Zu Hause gibt es hauptsächlich zwei Kategorien: gut und schlecht, dazwischen gibt es nichts. Gut wird belohnt, schlecht wird bestraft. Das trifft nun auf
unsere Kultur mit vielen Zwischentönen, Graubereichen, Spielräumen und Ambivalenzen.
Bei ihm gibt es viel zu tun:
so schnell als möglich Deutsch lernen, damit er sich differenzierter ausdrücken kann, vor allem, was seine
Gefühle und Bedürfnisse betrifft. Unterstützend ist dabei, dass er sehr gerne zeichnet. Der kreative bildhafte Ausdruck ist ein Medium, das ihm hilft, sich mitzuteilen.
lernen den Schlagimpuls zu unterdrücken und Hilfe zu holen, solange er noch keine eigenen Strategien zur
Verfügung hat. Dazu braucht es viele Gespräche mit den Eltern, die allerdings selbst sehr autoritätshörig
sind und nicht offen über ihre Erziehungsmethoden sprechen.
Kontakte mit Gleichaltrigen fördern, die mehr innere Spiel- und Handlungsräume haben. Und vor allem:
spielen lernen, einfach nur Spaß haben, den Ernst herausnehmen und ihn verlocken, Dinge zu tun, die keinen speziellen Zweck haben, ihn verlocken, einfach Dinge auszuprobieren, Fehler zu machen und daraus
zu lernen und vieles mehr in dieser Art.
In diesem Fall sind sicher sehr viele Brücken zwischen den Kulturen zu bauen, bis er sie in sich selbst zusammenbringen kann. So ein Anpassungsprozess kann Jahre dauern und fordert von allen viel Verständnis, Einfühlungsvermögen, klare Führung und Anleitung und sehr viel Geduld von allen Beteiligten.
-Scheidungskinder
Kinder aus getrennten Familien haben immer schon schwer zu kämpfen gehabt mit dem Auseinanderfallen der Familie, ihrem Sicherheitsnetz und ihrer Lebensgrundlage und natürlich durch enorme emotionale
Belastung und emotionalen Missbrauch, da viele Eltern über die Kinder Macht ausüben (wollen). Durch
das neue geteilte Sorgerecht ist aber noch eine Schwierigkeit dazugekommen. Viele Kinder haben keinen
festen Wohnsitz mehr, kein eindeutiges Zuhause. Die Eltern sind meist sehr stolz, dass sie alles friedlich
geregelt haben, haben aber die Bedürfnisse der Kinder aus den Augen verloren. Diese sind oft an allerletzte
Stelle gerutscht. Ich erlebe viele Kinder, die alle zwei bis drei Tage ihre Sachen packen und zum anderen
Elternteil wechseln. Zwei Orte, zwei Erziehungsmethoden, zwei Bedingungen unter denen sie funktionieren
lernen müssen, ein sehr schwieriges Unterfangen, das sehr viel innere Kraft kostet und für die Identitätsentwicklung und das entspannte Lernen fehlt.
Die Spannung äußert sich oft in ständiger Unruhe und einer grundsätzlichen Verunsicherung. Sie haben
keinen eindeutigen Bezugsrahmen mehr. Sie erleben keine Kontinuität und so sieht auch ihr Lernerfolg aus:
man hat den Eindruck, sie können auf nichts aufbauen, sie erledigen ihre Aufgaben mehr recht als schlecht
kommen aber nicht wirklich voran. Dazu kommt das Gefühl, dass sie alleingelassen sind, niemand sich um
ihre Befindlichkeit kümmert.
Beispiel: Das Kind alleingelassen und verloren zwischen den Turbulenzen
Ein Mädchen, neun Jahre, fällt auf, weil es sich ständig verletzt, ihr gröbere Missgeschicke passieren, sie
völlig unkonzentriert ist und manchmal Selbstmordgedanken äußert. Es lebt in einer Trennungssituation
der Eltern, beide haben neue Partner und der Vater hat ein Kind mit der neuen Partnerin bekommen. Die
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Mutter ist extrem mit eigenen Gefühlen beschäftigt, das Mädchen wird nicht wahrgenommen, weil alle mit
sich selbst beschäftigt sind. Sie hat gelernt, dass ihre Gefühle nicht zählen und den Eltern zu viel sind.
Ich arbeite mit ihr mit Gefühls- und Bedürfniskärtchen und übe mit ihr, sich massiv und für sich selbst einzusetzen. Alle ihre Gefühle und Befindlichkeiten haben ihre Berechtigung. Obwohl es ihr schwer fällt, übt sie
das mit den Eltern im Alltag. Selbstverständlich gibt es auch etliche Gespräche mit den Eltern, die helfen,
Verständnis für die innere Not des Kindes zu wecken, was nur in kleinsten Schritten gelingt, weil jede Veränderung das mühsam gefundene labile Gleichgewicht der Lebenssituation bedroht.
- Gesellschaftlich – wirtschaftsbedingte Überlebens-Situationen – Familien am Rand der
Gesellschaft
Eltern stehen durch die Verschärfung der wirtschaftlichen Lage und der damit einhergehenden Existenzangst unter einem enormen Druck. Krankenstände sind nicht erwünscht, Arbeitszeiten sind familienfeindlich und der Stress in der Arbeitswelt steigt unaufhörlich. Das führt dazu, dass keine oder sehr wenig
Aufmerksamkeit für die Kinder übrigbleibt, wenn die Eltern erst einmal ausgelaugt nach Hause kommen,
verschärft in ein-Eltern-Haushalten.
Das heißt, dass auch zu Hause die Freiräume immer weniger werden. Zeiten, in denen man einfach entspannt spielen kann, auch einmal miteinander redet, einander zuhört, auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen kann, fehlen. Das führt so weit, dass Kinder mit Fieber in die Schule geschickt werden, weil die Eltern
Angst haben, den Arbeitsplatz zu verlieren, wenn sie zu oft fehlen. Kinder, die so wenig Fürsorge erfahren,
auf die nicht mehr Rücksicht genommen wird, müssen diesen ständigen Druck irgendwo ablassen bzw.
sich Aufmerksamkeit holen, also in der Schule. Dies führt fast zwangsweise zu auffälligem Verhalten. Sie
müssen immer nur funktionieren und es bleibt kein innerer und äußerer Raum für seelische Entwicklung.
Jedes Kind hat das Recht, sich geliebt zu fühlen und das fordern sie auf viele verschiedene Arten ein.
Beispiel: Auf sich selbst gestellt, vernachlässigt und missbraucht
Ein Mädchen, neun Jahre, 2. Klasse, fällt durch seltsames Verhalten auf. Sie wirkt wie zwei verschiedene
Persönlichkeiten: manchmal ist sie sehr hilfsbereit, sozial sehr kompetent, liebevoll und aufmerksam mit
anderen, macht problemlos ihre Aufgaben. Dann, wie aus heiterem Himmel stiftet sie andere Kinder dazu
an, in den Mülleimer zu urinieren, einen Roller zu klauen oder ähnliches. Manchmal ist sie völlig überfordert
und kann einfachste Aufgaben nicht lösen. Dann ist sie stur und unnachgiebig und zieht sich den Ärger der
Lehrerin zu. Sie ist überaus intelligent und benützt diese Fähigkeit, um ihre Innenwelt und ihre Umwelt unter
Kontrolle zu behalten. Sie ist es gewöhnt, für sich selbst zu sorgen, so gut sie kann.
Die Mutter hat einen schlecht bezahlten Job als Stubenmädchen in einem Hotel, der auch ein hohes Maß
an Zeitdruck und Stress beinhaltet. Der Vater hat eine Vergangenheit als Heimkind und vermutlich selbst
sehr viel Kränkendes und Schmerzhaftes erlebt. Das Jugendamt ist deshalb auch erklärtes Feindbild und
mit großer Angst behaftet. Er hat aufgrund seiner mangelnden Schulbildung einen schlecht bezahlten Hilfsarbeiterjob.
Das Mädchen braucht in der Betreuung sehr lange, bis es sich sicher genug fühlt, von sich selbst zu erzählen. Immer mehr tun sich Abgründe auf: sie darf nicht zu Hause bleiben, wenn sie krank ist, sie muss viel
Schmerz aushalten, erlebt keine altersadäquate Fürsorge, sie darf der Beratungslehrerin nichts erzählen
– das wird kontrolliert- , da gibt es einen erwachsenen Stiefbruder, der sadistische Züge hat und das Mädchen schon öfters in schreckliche, auch sexuell gefärbte Situationen gebracht hat. Sie hat keinen Schutz
vom Vater, für den das alles „normal“ ist, und keinen Schutz von der Mutter, die oft in der Arbeit ist, wenn
die Tochter sie brauchen würde.
In diesem Fall braucht es sehr viel Feingefühl und auch entschlossenes Handeln an der richtigen Stelle….ein langwieriger vielschichtiger Prozess. Das Mädchen registriert erst im Laufe der Zeit, unter welch
schwierigen Bedingungen sie lebt und sie Spannungen aushalten muss, die ihr vorher gar nicht bewusst
waren. Bisher war das eben ihre Realität, die sie akzeptiert hat. Entsprechend emotionslos hat sie immer
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I-JOURNAL Jänner 2017
davon berichtet, was die Lehrerin verwirrt hat. Sie hatte immer das Gefühl, das Mädchen erfinde diese
Geschichten. Dazu kommt, dass sie, um ihre psychische Gesundheit halbwegs in den Griff zu bekommen,
ihre Wahrheiten ausschmückt und umerzählt, um sie nach ihrem Wunsch zu einem guten Ende kommen
zu lassen, indem die Bösen bestraft werden. Hier gibt es naturgemäß keine einfachen Lösungen, sondern
es braucht eine langfristige Begleitung und viel Anerkennung für die Kraft dieser jungen Seele…und jede
Menge Unterstützernetze, auch für die Lehrerin.
-
Innere Spannungsfelder
Dieser Zustand betrifft alle Kinder mit besonderen Begabungen: hochbegabte, einseitig begabte,….und ich
zähle auch die sogenannten Legastheniker, Autisten und AD(H)S - Kinder dazu, da sie aus meiner Sicht
noch viel zu wenig in ihren speziellen Begabungen gesehen und anerkannt werden.
Sie spüren von ihrer inneren Selbstwahrnehmung her, dass sie anders sind als die anderen und die meisten anderen eben anders funktionieren, so wie sie es nicht können. Ihre Innenwelt widerspricht oft ganz
massiv der schulischen Außenwelt. Es ist eine große Aufgabe für ihre Persönlichkeitsentwicklung, diese
zwei Welten zusammen zu bringen, ohne dass der Selbstwert eingebüßt wird. Und sie brauchen gute Begleitung, um diese Spannungen aushalten zu können und den Glauben an sich selbst nicht zu verlieren.
Wir brauchen viel Wachheit für sie, damit sie ihren ganz individuellen Platz in der Gemeinschaft finden und
einnehmen können.
Große innere Spannungen entstehen auch durch den exzessiven Aufenthalt in den Cyberwelten. Immer
mehr Kinder sind in ihrer Prägung und ihrem Bild von der Welt mehr in den Medienwelten zu Hause und
finden kaum geeignete Strategien, um sich in der physischen Welt und mit anderen Menschen zurechtzufinden. Ihre Innenwelt funktioniert komplett anders als die unvollkommene nicht so stark manipulierbare
Außenwelt. Nicht selten erlebe ich totale Verzweiflung, wenn das erkannt wird.
Zu dieser Gruppe zähle ich auch Kinder, die selbst psychisch krank sind, chronische Krankheiten haben,
schwere lebensbedrohliche Operationen hinter sich haben bzw. deren Eltern in irgendeiner Weise schwer
krank sind, bis hin zu alkoholkranken Elternteilen und anderen Suchtkrankheiten.
Beispiel: Das Kind, das in der Computerspielwelt zu Hause ist
Ein Junge, soeben eingeschult, fällt auf, weil er überhaupt nicht am Unterricht teilnimmt. Er sitzt da, hat mit
niemandem Kontakt, spielt für sich mit Bleistiften, Gummiringerln und anderen Utensilien, er ist in seiner
eigenen Welt und was die Lehrerin sagt, dringt nicht bis zu ihm vor. Er wirkt, als würde er sich vom menschlichen Kontakt nichts (mehr) erwarten.
Kaum hat er Gelegenheit zum freien Spiel spielt er ausschließlich Szenen aus Kampfcomputerspielen
aus anderen Dimensionen nach. Er scheint damit übervoll zu sein und ist „in seinem Element“. Die Mutter
erzählt, dass er von klein auf bei jeder Gelegenheit mit dem Smartphone spielen durfte, damit sie in Ruhe
ihre Arbeit machen konnte bzw. sich in Ruhe mit anderen Erwachsenen unterhalten konnte. Es war einfach
praktisch und sie hat sich weiter nichts dabei gedacht.
Ich lasse ihn spielen, steige in seine Welt ein und hole ihn Stück für Stück in „meine“ Realität, durch Nachfragen, durch körperliche Präsenzübungen, durch andere Spielangebote. Das Erstaunliche ist, dass er alle
diese Angebote freudig annimmt und so eine gesündere Entwicklung schnell in Gang kommt.
Allerdings hat er große Mühe mit anderen Kindern zu spielen. Er ist es so sehr gewöhnt, dass alles nach
seiner Vorstellung funktioniert. Teilweise weint er verzweifelt, wenn ein zweites Kind etwas, das er aufgebaut hat, umbaut bzw. eine andere Idee hinzufügen möchte. Er hat das Gefühl, dass damit seine Welt bedroht wird und völlig aus den Fugen gerät. Erst langsam kann er sich darauf einstellen, und erfahren, dass
es auch Freude macht, auf Ideen von außen einzugehen.
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Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Leben in diesen ungelösten und manchmal unlösbaren
Spannungsfeldern viel innere Kraft kostet, die für die eigene Entwicklung, das individuelle Wachstum und
das Lernen fehlt. Dazu kommen noch viele verschiedene Anforderungen und Aufgaben, die eigentlich zu
viel sind für eine gesunde Entwicklung: das Verkraften von Entwurzelung und Heimatlosigkeit, Übersetzerfunktionen sowohl sprachlicher Art als auch inhaltlicher Art zwischen Elternhaus und Schule, unverarbeitete
traumatische Erlebnisse, emotionale Zerrissenheit, keine klare Identitätsfindung und daraus resultierende
schulische Misserfolge, Mutlosigkeit bis zur Perspektivlosigkeit. Man kann sich gut vorstellen, welch großes
Konfliktpotenzial in solchen Lebenssituationen steckt.
Zu all diesen Themen, die aus dem privaten Umfeld des Kindes stammen, kommt die angespannte Situation in der Schule: auf der Schule und den Lehrerinnen/Lehrern lastet ein enormer Leistungsdruck, der
immer noch erhöht wird. Je nachdem, wie sehr die einzelnen Personen es vermögen, wird der Druck auf
die Kinder mehr oder weniger weitergegeben. So leben alle Beteiligten in einem permanenten Zustand
von hohen Anforderungen, die aber de facto aus den verschiedensten Gründen nicht und immer weniger
erfüllbar sind. Das permanente Aushalten der Spannung zwischen Anspruch und Realität gehört mit zu den
am stärksten belastenden Faktoren für die Lehrer/innen. Somit ist die Beratungslehrerin auch viel damit
beschäftigt, die Kolleg/innen zu bestärken und auch für deren Situation Verständnis auszudrücken.
Wie kann die Beratungslehrerin/der Beratungslehrer helfen?
Ich erwähne hier nur einige übergeordnete Aspekte, die den Kindern in meiner täglichen Praxis helfen, mit
solchen teilweise unerträglichen Spannungssituationen besser zurechtzukommen, um nicht völlig aus dem
schulischen Rahmen rauszufallen. Es sind solche, die manchmal unterschätzt bzw. übersehen werden.
Selbstredend braucht es natürlich jede Menge fachliche pädagogische, psychologische, organisatorische,
kommunikative Kompetenzen, diese setze ich hier voraus.
•
Zuhören ist eine der wichtigsten Zutaten für eine gelungene Unterstützung. Ich meine damit das
genaue Zuhören, das Zuhören mit dem Herzen, das also nicht nur die Worte hört, sondern hinter
die Worte fühlen kann, also das Unausgesprochene wahrnimmt. So ist eine ganzheitliche Erfassung der Situation möglich. Außerdem braucht es dazu eine urteilsfreie Haltung, egal wie schrecklich die Situation sich für den Zuhörer anfühlt. Nur so können sich unsere Gegenüber öffnen und
Vertrauen fassen.
•
Was daraus folgt ist ehrliches tiefes Mitgefühl, eine Herzensqualität, die hochwirksam für jegliche
Heilung ist. Da wir zuallererst die unangenehme Situation nicht ändern können, muss sie anerkannt
werden. Mitfühlen heißt: das Berührt-Sein zulassen, den Schmerz spüren, sich verbunden fühlen,
alles als eine menschliche Erfahrung annehmen, ohne in Mitleid zu verfallen. Das setzt ein klares
emotionales Innenleben der erwachsenen Person voraus und bewirkt einen tiefen Respekt vor der
kindlichen Seele. Das Kind wird in seiner Notsituation gesehen, aber gleichzeitig nicht durch Mitleid
geschwächt. Da passiert schon eine Menge an Entspannung, da die Kinder nicht mehr alleingelassen sind und sich verstanden und angenommen fühlen können.
•
Zuhören und Mitfühlen sind die Vorbedingungen für die Wahrnehmung der unausgesprochenen
Hilferufe und vitalen Bedürfnisse der Kinder. Sobald diese ausgesprochen werden können, ist
es nicht mehr weit, die Situation für die Eltern und Lehrer/innen übersetzen zu können und damit
Verständnis zu wecken und gleichzeitig nach Unterstützungsmöglichkeiten für die Kinder zu suchen. Auch wenn die Situation noch so verfahren scheint, irgendwelche wenn auch manchmal nur
winzige Freiräume für Veränderungen können immer wieder gefunden werden. Manchmal ist es
eben „nur“ eine Änderung der inneren Haltung, die aber sehr viel bewirken kann. Sobald sich Handlungsspielräume auftun, können Spannungssituationen entschärft werden, sie fühlen sich nicht
mehr so aussichtslos an, man steckt nicht zwischen den Fronten fest und sieht neue Perspektiven,
fasst wieder Mut und Hoffnung auf eine Lösbarkeit der Problematik kann am Horizont sichtbar
werden.
•
Diesen Vorgang nenne ich Bewusstsein schaffen, und zwar für Kinder und Erwachsene. Er wirkt
deshalb, weil dadurch klarer wird, wer welche Verantwortung hat und wer was verändern kann.
16
I-JOURNAL Jänner 2017
Man kann dann nicht mehr in der unbewussten Opferrolle bleiben. Brücken werden gebaut zwischen den beteiligten Personen und den verschiedenen Welten und Spannung kann abfließen,
weil sie auf mehrere beteiligte Personen verteilt wird.
•
Soziale Einbindung fördern: Wenn die Situation zu Hause bzw. die Lernsituation verfahren
scheint, stärke ich oft das Miteinander in der Klasse: gemeinsam spielen, Freunde finden, einander
helfen, gemeinsam Spaß haben, ein guter Freund werden….das entlastet und stärkt einen wichtigen Lebensbereich, in dem man Kraft tanken kann, um die anderen ungelösten Problemfelder
besser aushalten zu können..
•
Förderung des kreativen Ausdrucks: in den beschriebenen Spannungsfeldern sind Kinder oft
den emotionalen Dynamiken der Erwachsenen ausgeliefert und sie können ihr eigenes Innenleben
kaum noch spüren. Es ist zu sehr von außen überlagert. Ich unterstütze deshalb alles, was den
Kindern hilft, sich selbst zum Ausdruck zu bringen, in allem, was gerade im Inneren vorhanden ist,
ohne jegliche Bewertung. „Es ist gut, weil es von Dir ist“, das ist der Wert an sich und macht komplett unabhängig von äußeren Bewertungen. Außerdem kann dadurch viel an angestauter emotionaler Energie adäquate Formen finden.
Diesen Aspekt finde ich besonders in Ganztagsschulen wichtig, weil durch die notwendige Organisation
und teilweise straffe Struktur die ganz persönlichen Gestaltungsräume sehr klein bis gar nicht mehr vorhanden sind. Außerdem ist es aus meiner Sicht eines der wirksamsten Mittel gegen maßlosen Medienkonsum.
Das Erfahren und Erleben des eigenen inneren Reichtums stärkt die Persönlichkeit und macht unabhängiger von Anerkennung von Anderen. Die Spannungen können sich subjektiv weniger stark anfühlen.
Was von der Beratungslehrerin/dem Beratungslehrer zusätzlich verlangt wird
•
Unterscheidungsvermögen: wo und wann muss ich handeln und wann muss eine Situation einfach
ausgehalten werden, weil es keinen Sinn macht, den ohnehin vorhandenen Druck zu erhöhen.
Das empfinde ich als eine der schwierigsten Aufgaben, noch dazu, weil oft aus einem Leidensdruck heraus von den Lehrerinnen/Lehrern bzw. der Schulleitung Druck gemacht wird. Auch dieser Druck muss
geprüft werden und häufig von den Kindern ferngehalten werden, indem wir ihn auffangen. Oft ist das
Mittel der Wahl das Akzeptieren, und zwar so lange, bis das Kind und /oder die Eltern so weit sind, sich
für Veränderungen zu öffnen. Jede kindliche Seele hat ihren eigenen Entwicklungsplan, der nicht angeschoben werden kann. Davor gilt es auch Respekt vor dem Tempo der beteiligten Personen zu üben.
•
Wenn also äußere Situationen nicht so einfach verändert werden können, gilt es, das Kind auf seinem Entwicklungsweg liebevoll und geduldig zu begleiten und in dieser Zeit alles zu stärken, was an
Ressourcen aufgetrieben und gefunden werden kann. Manche psychischen Bereiche öffnen sich erst
zur Heilung, wenn genug stabilisierende Faktoren geschaffen sind bzw. auch das Kind alt genug ist, um
sich mit bestimmten Situationen zu konfrontieren bzw. sich innerlich mehr und mehr aus der Familie zu
lösen. Dieser Zeitpunkt kann nicht vorweg gesehen/bestimmt werden, sondern muss sich aus allen Zusammenhängen ergeben. Niemand kann so etwas voraussagen, dazu ist die Entwicklung der Seele zu
geheimnisvoll und die systemische Familienkonstellation zu komplex. Jede übereilte Intervention kann
solche Prozesse empfindlich stören oder sogar das Gegenteil von dem bewirken, was wir uns für das
Kind wünschen. Große Achtsamkeit ist also vonnöten und die Wachheit für den richtigen Zeitpunkt, zu
dem unbedingt gehandelt werden muss.
•
Geduld und Vertrauen möchte ich noch einmal extra herausstreichen, weil sie das Gegengewicht zu
unserer „Machergesellschaft“ sind und deshalb umso wichtiger für eine gesunde Entwicklung sind. Um
vertrauen zu können, dass sich alles gut entwickelt, brauchen wir Erwachsene den Glauben an das
Gute in jedem Menschen und dass es sich bei guter Pflege durchsetzen wird. Ich fokussiere also bewusst weg von der Problematik hin zum Potenzial des Kindes. Dort sind die Lösungen zu finden, nicht
im Problem – eine Tatsache, die wir manchmal im Eifer des Gutes-Tun-Wollens vergessen.
Zum Abschuss nun ein Beispiel einer recht einfachen Intervention, die aber darauf hinweist, dass wir womöglich inmitten der vielen verschiedensten Kulturen sehr viel falsch interpretieren und sehr viel mehr
nachfragen müssten. Wir werden in der aktuellen Situation darauf gestoßen zu erkennen, dass wir Men17
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schen – ob jung oder alt, groß oder klein - uns sehr schnell ein Bild von jemandem machen, dass wir fehlende Information durch Interpretation ersetzen und uns so die Wirklichkeit zusammendenken, ohne sie
zu überprüfen. Dazu brauchen wir aber viel Zeit und Ruhe, um uns auf die vielen verschiedenen Welten
wirklich einzulassen.
Beispiel: Missverständnisse finden und klären
Ein tschetschenischer Junge, kommt mit 13 Jahren nach Wien, lernt schnell Deutsch und wirkt auf den
ersten Blick auf einem guten Weg, da er intelligent ist. Er fällt aber durch sein „verdruckstes“ Verhalten auf,
man hat immer das Gefühl, er hält sich nicht an Regeln, er hat etwas zu verbergen und er arbeitet viel zu
wenig, um einen positiven Abschluss zu bekommen. Auf genaueres Nachfragen stellt sich heraus, dass er
in seiner Heimat einen komplett anderen Umgang mit Autoritäten gelernt hat: man darf ihnen auf keinen Fall
in die Augen sehen, man darf nicht antworten oder die eigene Meinung sagen, man muss sich unterwürfig
zeigen. Nun muss er in Österreich genau das machen, was er als streng verboten eingeübt hat. Außerdem
hat er im ersten Jahr noch nicht verstanden, warum er keine Noten bekommt, also hat er es so interpretiert,
dass man hier nicht lernen muss, dass es auf eine Art egal ist. Bei ihm war die Intervention sehr rasch erfolgreich: nachdem er die anderen Regeln verstanden hat, hat er sehr schnell aufgeholt und sein Verhalten
umgelernt hat. Seine recht hohe Grundintelligenz hat ihm dabei sehr geholfen. Nun kann er ein freiwilliges
zehntes Schuljahr machen, ist sozial gut integriert und blickt zuversichtlich in die Zukunft.
Ingrid Schlögel
Beratungslehrerin, ZIS 9 Galileigasse
Autorin von "Natürliche Pädagogik", param Verlag 2010
www.ingrid-schloegel.de
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40 Jahre
BeratungslehrerInnen (BL)
&
PsychagogInnen (Psychagogische BeraterInnen - PB)
Mögen sich in diesen 40 Jahren auch einige Begrifflichkeiten verändert haben, so ist die erfreuliche Konstante seit 1976, dass ambulant tätige BeratungslehrerInnen und PsychagogInnen Kinder mit sozialen,
emotionalen Problemen und vermehrt auftretenden psychiatrischen Diagnosen integrativ an den Wiener
Pflichtschulen vor Ort betreuen.
Dies erfolgt meist im Einzel- oder Gruppensetting, manchmal im Klassenverband, wenn BL/PB bei Konflikten in einer Klasse zur Förderung sozialer Fähigkeiten (Kompetenzen) wie Empathie, Perspektivenwechsel, Konfliktfähigkeit oder Selbstbehauptung moderieren. Die BL/PB leisten durch unterschiedliche
Arbeitsansätze wertvolle begleitende Unterstützung für KlassenlehrerInnen und bieten unter anderem
auch kollegiale Beratung an, sie gestalten oft entwicklungsfördernde Lernbedingungen für die Kinder mit.
Meistens erstreckt sich die Betreuung über einen längeren Zeitraum, es finden jedoch auch kurzfristige
Interventionen (meist bei Krisen) statt. Unabdingbar für einen förderlichen Beratungs-, Betreuungs- und
Entwicklungsverlauf der betroffenen Kinder ist der Aufbau einer positiven Beziehung und einer gedeihlichen
Vertrauensbasis.
Die Unterstützung des familiären Umfeldes, die Entlastung der Gruppensituation in der Klasse und der
LehrerInnen sind zusätzliche wichtige Begleitmaßnahmen. BL/PB sind zudem NetzwerkerInnen im Sinne
der Kinder, indem sie Eltern, LehrerInnen und DirektorInnen mögliche schulische (z.B. Schulpsychologie,
SchulsozialarbeiterInnen) und außerschulische Unterstützungsmöglichkeiten (Amt für Jugend und Familie,
Kliniken, Therapieeinrichtungen u.a.) empfehlen oder den Kontakt selbst initiieren. Da sich im Supportbereich ständig viel verändert, bedarf es regelmäßiger Austauschmöglichkeiten und Kooperation mit den
betreffenden Institutionen.
Arbeitsbündnisse im Sinne der „Neuen Autorität“ zwischen BL/PB, KlassenlehrerInnen und Eltern sind die
Handlungsgrundlage für die Unterstützung der gedeihlichen Entwicklung der Kinder im schulischen Kontext.
Das Ziel der ambulanten Betreuung ist die bestmögliche Integration „schwieriger Kinder und Jugendlicher“
in die Regelschulklasse. Sollte trotz aller Bemühungen diese Möglichkeit nicht mehr gegeben sein, wird
die/der BL/PB mit ihrer/seiner ZIS-Leitung Kontakt aufnehmen und weitere, mögliche Schritte besprechen.
Wird dabei der Wechsel in eine Förderklasse als beste Option angesehen, erstellt das KlassenlehrerInnenteam unter Handlungsanleitung der BL/PB die „Individuelle Förderanamnese“ und übermittelt der ZIS-Leitung Berichte und eventuelle Vorbefunde. Diese beobachtet das Kind zusätzlich im Klassenverband der
Regelschule und bringt alle Unterlagen in die „Überregionale Förderkommission“ ein.
In diesem Gremium, in dem Frau Mag.a Schützelhofer (Pflichtschulinspektorin für den 18.IB) und die LeiterInnen der acht Wiener SES-ZIS beraten, wird unter Beachtung der bisherigen Schullaufbahn und des
Entwicklungsstandes des Kindes – sofern möglich – ein Platz in einer Förderklasse zugewiesen. Hier beginnt die Zusammenarbeit zwischen BL/PB und FörderklassenlehrerInnen bezüglich der Aufnahme in die
Förderklasse; ebenso ist diese Zusammenarbeit für eine gelingende Rückführung in das Regelschulwesen
erforderlich.
Die Qualitätssicherung erfolgt durch berufsbezogene Fort- und Weiterbildung sowie durch regelmäßige
Supervision, Reflexion der laufenden Tätigkeiten in Kleinteams und die Evaluation bzw. Überprüfung der
durchgeführten Maßnahmen.
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BeratungslehrerInnen und PsychagogInnen sind dem 18.IB zugeteilt und
werden von folgenden Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik verwaltet:
ZIS 1060, Mittelgasse 24
ZIS 1090, Galileigasse 3
ZIS 1110, Hoefftgasse 7
ZIS 1120, Singrienergasse 12
ZIS 1130, Hackinger Kai 15
ZIS 1200, Jägerstraße 11-13
ZIS 1210, Theodor-Körner-Gasse 25
ZIS 1220, Stadlauerstraße 51
Neben der ambulanten Betreuung und den Förderklassen (die standort- und schwerpunktabhängig auch
Namen wie Nest-, Mosaik- oder Schlangenfußklasse tragen) gibt es an den verschiedenen ZIS-Standorten
unterschiedliche Zusatzangebote. Aufgrund der gesellschaftlichen und strukturellen Veränderungen und
Entwicklungen versuchen Schulentwicklungsteams der ZIS-Standorte neue, für die jeweiligen Regionen
adäquate Supportmöglichkeiten zu erarbeiten, um den Wiener Pflichtschulstandorten möglichst effiziente
Unterstützung anbieten zu können.
Nachfolgend führe ich exemplarisch die Zusatzangebote des ZIS 12 an. Als Abschluss möchte ich
auf das gerade in der Konzeptionierung befindliche BeratungsTeamSchulstart eingehen.
Zusätzliche Angebote:
•
Eine überregional tätige Beratungslehrerin zum Schwerpunktthema ADHS: Beobachtung des
Kindes im Klassenverband, darauf aufbauend Beratung und Information für Eltern und KlassenlehrerInnen.
•
Abend-Beratung-Schule: kostenloses Beratungsangebot für (vor allem berufstätige) Eltern, Familien und LehrerInnen von Kindern/Jugendlichen mit emotionalen und sozialen Defiziten im Bereich der
Wiener Pflichtschulen der Gemeindebezirke 7, 14, 15 und 16.
•
Eine mobile Lehrerin: befristete, integrative Unterstützung von Kindern/Jugendlichen mit sozialen
und emotionalen Auffälligkeiten in NMS Klassen. Sie wird von den ambulanten LehrerInnen oder
den DirektorInnen der betroffenen Standorte über die regional zuständige ZIS-Direktorin angefordert.
•
Eine mobile Lehrerin: befristete Unterstützung von Kindern mit besonders auffälligen sozialen und
emotionalen Problemen in der Schuleingangsphase. Sie wird von den ambulanten LehrerInnen
oder den DirektorInnen der betroffenen Standorte über die regional zuständige ZIS-Direktorin angefordert.
•
BeratungsTeamSchulstart: angeboten von vier BeratungslehrerInnen für die Gemeindebezirke 7,
14, 15 und 16. Dieses Team kann zur Abklärung seitens Eltern von Kindergartenkindern oder von
KindergartenpädagogInnen schon im letzten Jahr des Kindergartenbesuchs oder von der VS-Schulleitung im Zuge des Einschreibegespräches bzw. in der Schuleingangsphase bei der regionalen ZISLeitung angefordert werden.
Elisabeth Kolb
BTS 12
Kindergartenpädagogin, Hauptschullehrerin
Beratungslehrerin, Arbeit am ZIS 12 seit 2008
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BeratungsTeamSchulstart (BTS)
Der Übergang vom Kindergarten in die Schule - Abschied
und Neubeginn und die Geschichte von der Pionierarbeit
des Mobilen Mosaikteams zum BeratungsTeamSchulstart.
Vorbemerkungen
Der Übergang vom Kindergarten in die Schule stellt für Kinder und Erziehungsberechtigte eine neue Herausforderung dar und ist in vielerlei Hinsicht für alle Beteiligten von großer Bedeutung und mit den unterschiedlichsten Gefühlen verbunden.
Vielleicht erinnern wir uns sogar noch an unseren eigenen Abschied vom Kindergarten und an die Zeit vor dem Schuleintritt oder
an Erfahrungen aus dem familiären Umfeld: die Vorfreude auf die
Schule, den Stolz, endlich bald groß zu sein, der Erwachsenenwelt
näher zu sein, aber vielleicht auch an Ängste, Unsicherheiten und
Zweifel: Werde ich das können? Werde ich das schaffen?
„Man freut sich, aber nicht so ganz, weil man nicht genau weiß,
was sein wird. So, wie wenn man einen Kurs bucht, den man nicht
kennt! Wie soll man sich da freuen, wenn man nicht weiß, worauf
man sich einstellen kann?“ Zitat eines 9-Jährigen, auf die Frage, ob
er sich noch erinnern kann, wie es ihm vor dem Eintritt in die Schule
ergangen ist. Copyright B.L.
Als „hoffnungsfroh und ängstlich zugleich“ (1997, p.19) bringt Isca Salzberger-Wittenberg diese Ambivalenz
der Gefühle im Zusammenhang mit dem Beginnen zum Ausdruck. (Salzberger-Wittenberg, I. u.a. (1997):
Die Pädagogik der Gefühle. Emotionale Erfahrungen beim Lernen und Lehren. WUV: Wien)
Über grundlegende Gedanken zur Transition und warum es nun im 18. IB eine besondere Schwerpunktsetzung zu diesem Übergang gibt, schreibt Elisabeth Kolb in ihrem Exkurs. Im I. Kapitel gehen wir im Speziellen auf Kinder mit erheblichen emotionalen und sozialen Problemen im Übergang vom Kindergarten zur
Schule ein.
Kapitel II berichtet über die Entstehungsgeschichte des Konzeptes BTS, von den Anfängen des Mobilen
Mosaikteams 1995 bis zum BeratungsTeamSchulstart (BTS) 2016.
In Kapitel III werden Grundzüge des Konzeptes BeratungsTeamSchulstart (BTS) dargestellt und in einem
IV. Kapitel werden Kontaktdaten (Stand November 2016) angeführt.
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I-JOURNAL Jänner 2017
Exkurs: Grundgedanken zum Thema Transition und Begründung
der Schwerpunktsetzung im 18. IB (von E. Kolb)
Ich gehe auf die Thematik Transition (lat. Transitus = Übergang, Durchgang) vom Kindergarten zur
Volksschule und die Beweggründe zur Implementierung des BeratungsTeamSchulstart als Supportinstanz in allen acht Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagpogik (BeratungslehrerInnen und PsychagogInnen) ein.
Dieser Übergang bringt einschneidende Veränderungen auf der Ebene der Kindesidentität, der Ebene der Beziehungen und der Ebene der Lebensumwelten mit sich und erfolgt in relativ kurzer Zeit.
„Entwicklungsaufgaben auf der individuellen Ebene
Der Übergang vom Kindergartenkind zum Schulkind bedeutet eine Veränderung der Identität. Starke
Emotionen wie Vorfreude, Neugier, Stolz sowie Unsicherheit und Angst müssen bewältigt werden.
Neue Kompetenzen werden erworben, wie z.B. Selbstständigkeit und Kulturtechniken; neue Verhaltensweisen zeigen Entwicklungsschritte an.
Entwicklungsaufgaben auf der Beziehungsebene
Die Aufnahme neuer Beziehungen muss geleistet werden, in erster Linie zur Lehrkraft, aber auch zu
den Mitschüler/innen. Bisher bestehende Beziehungen werden neu strukturiert, unter Umständen
auch abgebrochen, z.B. zur Erzieherin, zu Kindergartenfreunden. Auch die Beziehungen in der Familie verändern sich. Verarbeitet werden muss ferner ein Rollenzuwachs: Zur Rolle des Kindes in der
Familie kommt die Rolle des Schulkindes mit Rollenerwartungen und Rollensanktionen hinzu.
Entwicklungsaufgaben auf der Ebene der Lebensumwelten
Hauptaufgabe ist hier die Integration zweier Lebensbereiche, nämlich Familie und Schule. Der Lehrplan der Schule tritt an die Stelle von Methoden und Inhalten der Pädagogik im Kindergarten. Wenn
zeitnah mit dem Wechsel in die Schule weitere familiale Übergänge, wie z.B. die Geburt von Geschwistern, die Aufnahme von Erwerbstätigkeit eines Elternteils oder eine Trennung der Eltern, bewältigt werden müssen, wird die Transition zum Schulkind verkompliziert.
Bei jeder dieser Entwicklungsaufgaben spielen die spezifischen Vorerfahrungen und Entwicklungsbedingungen des einzelnen Kindes mit seinen besonderen Bedürfnissen eine wesentliche Rolle.
Die Entwicklung der Identität, der Kompetenzen, der Beziehungen und der Rollen muss vor dem
Hintergrund des bisherigen sozialen Kontextes gesehen werden, weil dies die Bewältigung der Veränderungen beeinflusst.
Nicht nur das Kind wird ein Schulkind, seine Eltern werden Eltern eines Schulkindes und bewältigen
damit ebenfalls einen Übergang.“ (Niesel, 2003, 2004)
Kinder meistern diesen Übergang unterschiedlich und auch abhängig von ihrer Resilienz, ihrem Entwicklungsstand und den Vorerfahrungen. Die Kinder sind Unsicherheiten und Belastungen ausgesetzt, da sie sich einer neuen Situation anpassen müssen. Als prägnantes Lebensereignis kann sich
ein Übergang sowohl positiv als auch negativ auf die Entwicklung eines Kindes auswirken.
„Es ist nicht das Lebensereignis als solches, das es zu einer Transition werden lässt, sondern im entwicklungspsychologischen Sinne dessen Verarbeitung und Bewältigung.“ (Fthenakis, 1999)
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I-JOURNAL Jänner 2017
Notwendig wurde das verstärkte Augenmerk in diesem Bereich der Transition aus mehreren Gründen:
Einerseits gibt es in beinahe jedem Wiener Pflichtschulbezirk noch immer einige Kinder, die trotz
Kindergartenpflicht ohne vorherigen Kindergartenbesuch zur Einschreibung kommen und daher nicht
institutionell sozialisiert sind. Manche Eltern geben an, dass sie keinen Platz bekommen hätten oder
wegen „Schwierigkeiten“ von Privatkindergärten abgemeldet worden seien. Andererseits übersiedeln
Kinder aus anderen Ländern nach Wien und sind mit den lokalen Gegebenheiten und Abläufen nicht
vertraut. Aber auch Kinder, die bereits im Kindergarten waren und Unterstützung im sozial-emotionalen Bereich benötigten, sollen möglichst zeitig erfasst werden. Durch diese rasche Abklärung wollen
wir einen erfolgreichen Übergang in die Schule für diese Kinder ermöglichen. Darunter versteht man
üblicherweise, dass das Kind sich in der Schule wohl fühlt, die Bildungsangebote für sich optimal nutzen kann und die gestellten Anforderungen bewältigt. Analog dazu könnte man auch die Frage nach
der Kompetenz der Eltern eines Schulkindes stellen: ob sich die Eltern wohl mit bzw. in der Schule
fühlen, ob sie die gestellten Anforderungen bewältigen und ob es Beteiligungsangebote in Verbindung mit der Schule gibt, die sie nutzen.
Um diese Herausforderung gemeinsam zu bewältigen, ist eine Bündnisbereitschaft und Bündnispartnerschaft sowie Kooperation und Kommunikation zwischen allen Beteiligten erforderlich. Deshalb
werden von uns Arbeitsbündnisse zwischen KlassenlehrerInnen, BL/PB und Erziehungsberechtigten
angestrebt.
„Transitionskompetenz kann man als Kompetenz eines sozialen Systems verstehen.
Schulfähigkeit wird im Transitionsansatz, wie national und international gefordert, zu einer Aufgabe
für alle Beteiligten.“ (Niesel, 2002)
Literatur:
Fthenakis, W.E. (1999). Transitionspsychologische Grundlagen des Übergangs zur Elternschaft. In:
W.E. Fthenakis, M. Eckert & M. v. Block, für den Deutschen Familienverband (Hrsg.). Handbuch Elternbildung. Band 1 (S. 31-68). Opladen: Leske + Budrich.
Niesel, R. (2002). Schulreife oder Schulfähigkeit - was ist darunter zu verstehen? http://www.familienhandbuch.de/cmain/f_Aktuelles/a_Schule/s_190.html
Niesel, R. & Griebel, W. (2003). Neukonzeption des Übergangs vom Kindergarten in die Grundschule. Bildung, Erziehung, Betreuung von Kindern in Bayern, 8, 1/2, S. 17-18.
Niesel, R. & Griebel, W. (2004). Übergänge sind Chancen für Entwicklung. Gute Begleitung stärkt
Resilienz. Theorie und Praxis der Sozialpädagogik (TPS), 5, S. 9-12
I. Kinder mit erheblichen emotionalen und sozialen Problemen im Übergang
vom Kindergarten zur Schule
Konrad wurde uns zwei Tage nach der Schuleinschreibung von der Schulleiterin der Einschreibevolksschule gemeldet, weil diese annahm, dass zusätzliche Unterstützung für das Kind nötig sein werde.
Er sei bei der Einschreibung durch Verweigerung und enge Umklammerung der Kindesmutter aufgefallen
und habe Angebote bei den Kleingruppenaktivitäten nicht annehmen können und nicht mitgemacht.
Besondere Besorgnis und Verunsicherung erzeugte der Befund, der eine psychiatrische Diagnose des
Buben beinhaltete, den die Mutter bei der Einschreibung der Schulleiterin vorlegte.
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I-JOURNAL Jänner 2017
„Welchen Einfluss wird die Diagnose des Kindes auf den Schulalltag haben? Habe ich genügend Personal,
welches das Kind unterstützen wird können? Stimmt die Einschätzung, dass es mit dem Buben schwierig
werden könnte? Was werden die Eltern der anderen Kinder sagen?“, das waren die Sorgen und Befürchtungen von Konrads Volksschuldirektorin.
Vielen pädagogischen Fachkräften geht es ähnlich wie der Direktorin der Schule von Konrad. Die erste
Begegnung mit einem Kind und vielleicht zusätzliche Diagnosen oder Informationen können beängstigen
und verunsichern, oft wird das Kind „nur“ auf die Störung reduziert.
Einige Gedanken, Befürchtungen, Sorgen und Ängste von Konrads zukünftiger Lehrerin könnten sein: „Wie kann
ich auf ein Kind, das vielleicht mehr braucht, schauen? Alle neuen SchülerInnen beginnen im Herbst gleichzeitig.
Finde ich einen Weg, mit dem Kind zurecht zu kommen? Wird Konrad mich als seine Lehrerin / Autorität akzeptieren und werde ich den Unterricht entsprechend gestalten können?
Werde ich mit den Anforderungen alleine sein? Die Geschichte des Kindes macht mir Angst. Werde ich es
schaffen, mich nach Abschluss der 4. Klasse auf die neue 1. Klasse einzustellen?“
Wie könnte Konrads Mutter diesen Übergang erleben?
„Es ist völlig anders als im Kindergarten, nun wird es sich zeigen, ob ich alles richtig gemacht habe.
Es ist mir unangenehm, dass sich mein Kind bei der Schuleinschreibung so präsentiert hat. Ich habe
Angst, dass Konrad scheitern wird und ausgeschlossen werden könnte.
Wird die Lehrerin mein Kind mögen und sehen, was es alles kann? Wird Konrad endlich Freunde finden?“
Die Direktorin der Schule von Konrad wandte sich an das Mobile Mosaikteam, um gemeinsam zu überlegen, wie man das Verhalten Konrads bei der Schuleinschreibung und in diesem Zusammenhang den
Befund verstehen und der Schuleinstieg gelingen könnte.
Unsere pädagogischen Bemühungen gelten Kindern mit erheblichen emotionalen und sozialen Problemen,
die in Übergangssituationen besonders gefährdet sind.
In unserem Verständnis geht es hier nicht nur um Kinder, die so wie Konrad auffallen und nach außen agieren, sondern auch um Kinder, deren Probleme durch ihr Verhalten auf den ersten Blick nicht so sichtbar
zutage treten.
Oft haben diese Kinder belastende Erfahrungen in ihrem Leben gemacht und sind vielleicht auch aktuell
immer wieder mit Belastungen konfrontiert, ihre Lebenslagen sind häufig höchst unsicher.
Mit dem Eintritt in die Schule, dem Schritt in die nächste Bildungsinstitution mit ihren neuen „Spielregeln“,
werden Problemlagen bei allen Beteiligten oft neu oder verstärkt spür- und sichtbar.
Gerade für jene Kinder, die in ihrem Leben bereits viele Verlust- und/oder Trennungserfahrungen gemacht
haben und auch in ihrer aktuellen Lebenssituation mit Tod, Trennung oder anderen Erfahrungen des Verlustes oder Trennung konfrontiert sind, bedeutet ein neuerlicher Wechsel, wie z.B. der Schuleintritt möglicherweise eine zusätzliche Belastung und Gefährdung. Manchmal kann sogar schon ein Personenwechsel
oder Raumwechsel innerhalb des Schulhauses für diese Kinder herausfordernd sein.
Durch den Wechsel in die Institution Schule werden für viele Kinder auch langjährige Halt und Sicherheit
gebende Beziehungen, wie die Beziehung zum/zur Kindergartenpädagogen/in oder auch zu KindergartenfreundInnen, beendet.
Im pädagogischen Alltag des Kindergartens gelingt es den PädagogInnen aus unserer Erfahrung sehr oft,
diesen Kindern Raum, Zeit und einen entsprechenden Rahmen zu bieten, um Entwicklungsschritte zu ermöglichen. Inwieweit wird es möglich sein, auch im schulischen Kontext entwicklungsfördernde Beziehungsräume für
diese Kinder herzustellen?
Was wird es dazu brauchen? Wird die Schule (hier Konrads Einschreibeschule) das alleine schaffen oder
braucht sie dazu zusätzliche Unterstützung?
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Wo und wie ist es wichtig zu unterstützen? Was ist für das Kind entwicklungsförderlich und wo würde Unterstützung Entwicklung bremsen? Wie viel von der Geschichte des Kindes soll in die Schule mitgenommen
werden, um im Entwicklungsinteresse des Kindes arbeiten zu können?
Das alles gilt es individuell abzuwägen.
Was ist in dem Rucksack?
Was geben wir den Kindern mit?
Was werden sie noch brauchen?
Copyright: B.L.
Die Art und Weise wie Beziehungen gestaltet werden, beeinflusst neben den früher gemachten Erfahrungen und den aktuellen Gegebenheiten, wie Kinder und deren Bezugspersonen den Übergang vom Kindergarten in die Schule erleben.
Im günstigsten Fall wird der Übergang als bewältigbare Herausforderung erlebt; das stärkt die Selbstwirksamkeit und hat Auswirkungen auf weitere Übergänge.
II. Veränderungsprozesse - vom Mobilen Mosaikteam zum
BeratungsTeamSchulstart (BTS) von 1995 bis 2016
Seit über zwanzig Jahren gibt es für Wiener SchülerInnen mit erheblichen emotionalen und sozialen Problemen der Grundstufe I und deren Bezugspersonen die Möglichkeit der Unterstützung durch das Mosaikteam
(Mobiles Mosaikteam, Mobile/Ambulante MosaiklehrerInnen und MosaikklassenlehrerInnen), welches am
Rudolf Ekstein Zentrum angesiedelt ist.
Literaturauswahl zu „Mosaik“:
AG Mosaik* (2002): Mosaik. Ein Angebot des Rudolf Ekstein Zentrums für Kinder mit besonderen
sozial-emotionalen Bedürfnissen in der Schuleingangsphase. In: Integrationsjournal. Der Stadtschulrat für Wien informiert, S.26-31
AG Mosaik* (2012): Mosaik-Team. In: Integrationsjournal. Der Stadtschulrat für Wien informiert. Unterstützende Systeme für SchülerInnen im Pflichtschulbereich in Wien. (Heft 1), S.57-59. lehrerweb.wien/fileadmin/ .../integrationsjournal_juni_12.pdf
Kolar-Heindl, R., Pfeifer, U., Seidl, C. (2005): Begleitung von Kindern im Übergang – Der Wechsel
vom Kindergarten zur Schule. Die Arbeit des Mobilen Mosaikteams in der Schuleingangsphase. In:
Erziehung und Unterricht 155 (Heft 9/10), S.874-878
Kratochvil, Ch. (2005): Ekstein – Ein Eckstein des Mosaiks? In: miteinander. Integrative Modelle im
Wiener Schulwesen, echo, S.201–206
Peyrl, B., Prinz, R. (2014): Die besondere Förderung von Kindern mit emotionalen und sozialen Problemen steht im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion. In: Integrationsjournal. Der Stadtschulrat für Wien informiert (Heft 1), S.40-43.
* AG Mosaik: Ein Autorinnenteam, bestehend aus Mitgliedern des Mobilen Mosaikteams und Mobilen/Ambulanten Mosaiklehrerinnen.
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I-JOURNAL Jänner 2017
Volksschulen, Kindergärten, Erziehungsberechtigte bzw. relevante Institutionen konnten sich an das Mobile
Mosaikteam wenden, um gemeinsam zu überlegen, was für den Entwicklungsprozess dieser Kinder (in der
speziellen Zeit des Übergangs) förderlich ist. Das Team arbeitete wienweit.
Der Bedarf und die Nachfrage stiegen stetig, so wurde immer wieder darüber nachgedacht, die mobile
Beratung und pädagogische Klärung für den Bereich des Übergangs vom Kindergarten zur Schule auszubauen.
Für die Ausweitung waren u.a. der präventive Aspekt (das Wissen um den Erfolg früher Interventionen und
des genauen Hinschauens) und Erkenntnisse aus der Transitionsforschung (siehe Exkurs von E. Kolb)
ausschlaggebend.
Im Schuljahr 2013/14 erhielt das Mobile Mosaikteam durch PSI Mag. Gudrun Schützelhofer den Auftrag
zur Erstellung eines Konzeptpapiers zum Kompetenztransfer bzw. zur Ausweitung einschlägiger pädagogischer Kompetenzen innerhalb des Stadtschulrates für Wien im Bereich mobile Beratung und
pädagogische Klärung für den Übergang vom Kindergarten zur Schule.
(Kolar-Heindl, R., Laggner B., Pfeifer, U., Seidl, Ch. (2014): Integration von SchülerInnen mit emotionalen und sozialen
Problemen. Unveröffentlichtes Konzeptpapier I. zur Betreuung und Beschulung von Kindern und zur Beratung von
ihren relevanten Bezugspersonen innerhalb und außerhalb des Systems Schule und zur II. Ausweitung einschlägiger
pädagogischer Kompetenzen innerhalb des Stadtschulrates für Wien. Im Auftrag von PSI Mag. Gudrun Schützelhofer.
Auf Anfrage bei: BTS 20 Mobiles Mosaikteam)
Der Auftrag des „Kompetenztransfers“ und in der Folge die damit verbundenen Veränderungsprozesse lösten bei uns unterschiedlichste Gefühle und Gedanken aus. Stolz und Freude, aber auch Ängste und Unsicherheiten: Wird uns das gelingen?
Wie viel Vertrautes müssen wir aufgeben?
Müssen wir langjährige Arbeitsbeziehungen beenden?
Welchen Einfluss würde die Konzepterstellung und in weiterer Folge die Konzeptumsetzung auf die laufende
Fallarbeit nehmen?
Wie und wo können wir uns neu positionieren?
Uns kam auch der Gedanke, dass Kinder in der Zeit des Übergangs vom Kindergarten in die Schule möglicherweise mit ähnlichen Ängsten, Befürchtungen, Hoffnungen und Wünschen konfrontiert sind.
Diese unterschiedlichen Gefühle und Fragestellungen haben
uns sowohl in der Phase der
Konzepterstellung (Schuljahr 2014/15) als auch in der Umsetzungsphase (Schuljahr 2015/16) beschäftigt.
Unter anderem erfolgte eine intensive Auseinandersetzung mit
dem Begriff „Kompetenztransfer“ und der Namensgebung: Wie
werden bzw. sollen sich die neuen Teams nennen? Welche Bedeutung hat der Name Mobiles Mosaikteam für unsere Identität
und für jene, die bisher mit uns zusammen gearbeitet haben?
Im Schuljahr 2015/16 haben sich insgesamt 15 KollegInnen aus
sechs Zentren der BeratungslehrerInnen und PsychagogInnen
für den Arbeitsbereich mobile Beratung und pädagogische Klärung im Übergang vom Kindergarten zur Schule gemeldet und
an dem Prozess teilgenommen.
Illustration G.S.
26
I-JOURNAL Jänner 2017
Die Struktur des Kompetenztransfers:
1. Zur-Verfügung-Stellen unserer Erfahrung und Theorie
Vorstellen des bestehenden Konzeptes und Vermittlung einschlägiger theoretischer Grundsätze
unserer Arbeit
2. Angebot der Hospitation/Fallarbeit im Tandem/Fallbesprechungen für neue Teammitglieder
(bedarfsorientiert/standortbezogen, nach Vereinbarung)
Möglichkeit für die Teams, unsere Arbeit „an Ort und Stelle“ kennen zu lernen und gemeinsame
Reflexion ihrer Arbeit
3. Teamvernetzung und Identitätsbildung
Möglichkeit der Reflexion im Großteam
Erarbeitung unseres gemeinsamen Namens (BeratungsTeamSchulstart/BTS), der Aufgabenbeschreibung des Teams (siehe unten kursiv) und Auseinandersetzung mit (für uns) mehrheitlich
gültigen Basics/Standards
Die KollegInnen haben seitens des Schulsystems ganz unterschiedliche Ressourcen für diesen Arbeitsbereich zur Verfügung gestellt bekommen, was ein kontinuierliches Miteinander nur eingeschränkt möglich
machte. Inhalt unserer Überlegungen war, alle Beteiligten auf dem gleichen Stand zu halten und immer
wieder den richtigen Zeitpunkt abzuwarten, um bestimmte theoretische und konzeptionelle Inhalte besprechen zu können.
Weiters beschäftigten uns während des Prozesses das schulische Hierarchiesystem und dessen Kommunikationsstruktur: Wer muss/soll über nächste Schritte wann und in welcher Form informiert werden?
Während dieses Prozesses wurde das bisherige Konzept des Mobilen Mosaikteams gemeinsam mit den
KollegInnen der regionalen BTS überarbeitet.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass damit die Tätigkeit des Mobilen Mosaikteams ausgeweitet
und regionalisiert wurde. Der Bereich der mobilen Beratung und pädagogischen Klärung mit Schwerpunkt
auf dem Übergang vom Kindergarten in die Schule wurde somit an allen Zentren der BeratungslehrerInnen
und PsychagogInnen implementiert.
Auf einige Grundzüge des neuen Konzepts „BeratungsTeamSchulstart“ möchten wir im Folgenden eingehen.
III. Das BeratungsTeamSchulstart (BTS)- Auszüge aus dem Konzeptpapier
(ein gemeinsames Konzept von BeratungslehrerInnen und PsychagogInnen)
Wir nehmen hier Bezug auf das unveröffentlichte „Konzeptpapier BTS Langfassung “ (September 2016).
Neben der Aufgabenbeschreibung, den Kernaufgaben und der Vorgehensweise des Teams, werden in dem
Konzeptpapier organisatorische Rahmenbedingungen und die Qualitätssicherung der Arbeit dargestellt.
Auf das Kapitel Selbstverständnis und Haltung (Kapitel 3 der Konzeptpapierlangfassung) werden wir hier
besonders eingehen.
27
I-JOURNAL Jänner 2017
Aufgabenbeschreibung:
Das Team bietet pädagogische Klärung und Beratung im Übergang vom Kindergarten
zur Schule für Kinder mit erheblichen emotionalen und sozialen Problemen und für die
Bezugspersonen dieser Kinder.
Ziel ist die Planung, Einleitung, Koordinierung und Begleitung von Fördermaßnahmen,
mit der Absicht, einen gelingenden Schuleinstieg vorzubereiten, einen erfolgreichen
Lernweg zu ermöglichen und die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder bestmöglich zu
unterstützen.
Selbstverständnis und Haltung
•
Das BTS unterstützt die ZUSAMMENARBEIT von/zwischen Kindergarten, Schule und Familie (Erziehungsberechtigte und Kind) und den außerschulischen Unterstützungssystemen.
•
Eine Haltung, die VERTRAUEN ermöglicht, Verlässlichkeit darstellt, Wertschätzung und Behutsamkeit
im zwischenmenschlichen Umgang gewährleistet, ist die Basis unserer Arbeit.
•
Es ist uns wichtig, zu einem möglichst differenzierten VERSTEHEN der besonderen Problemlage von
Schulneulingen und deren Bezugssystem zu gelangen.
•
Mit allen beteiligten Erwachsenen (Erziehungsberechtigten, PädagogInnen,…) begeben wir uns in
einen Beratungsprozess, für den ausreichend ZEIT zur Verfügung steht. Unsere Haltung besteht darin, einen Prozess anzuregen, bei dem die PädagogInnen und Erziehungsberechtigten sich weiterhin für das Kind zuständig fühlen, und nicht darin, direktiv als Wissende Ratschläge zu geben.
•
Darüber hinaus kommt es in einem pädagogischen Klärungsprozess zu der Einschätzung in Hinblick
auf die Fragen: Was ist für den ENTWICKLUNGSPROZESS des Kindes förderlich? Welche pädagogischen Maßnahmen sind notwendig und sollen ergriffen werden?
•
Die Arbeit im TEAM und die damit verbundene Möglichkeit der REFLEXION tragen dazu bei, verschiedene Sichtweisen zu bündeln und Lösungswege zu finden. Getragen wird die Arbeit von unserer Überzeugung, dass Zuversicht stärkt und Entwicklung möglich ist. In unserem Verständnis geht es nicht darum, einen reibungslosen Übergang zu ermöglichen, sondern das
Kind und seine Bezugspersonen bei diesem Übergang zu begleiten und Wege zu finden, wie dieser Übergang als Entwicklungsimpuls erlebt und in weiterer Folge auch genutzt werden kann.
Bestehende Übergangsmodelle und Kooperationsformen (Schnuppertage, spezielle Einschreibungsrituale, Elternabende, ...) haben ihre Wichtigkeit, aber darüber hinaus geht es uns um die individuelle Begleitung des Übergangs für das Kind und dessen Bezugspersonen.
(Anmerkung: Der Folder BeratungsTeamSchulstart (BTS) ist ab Jänner 2017 über die regionalen BTS bzw.
jeweiligen Zentren der BeratungslehrerInnen und PsychagogInnen erhältlich.)
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I-JOURNAL Jänner 2017
IV. Kontaktdaten der BTS
Erziehungsberechtigte, PädagInnen und LeiterInnen von Kindergärten und Schulen, Unterstützungspersonal dieser Einrichtungen und auch Personen von außerschulischen Unterstützungssystemen
können sich an das BeratungsTeamSchulstart wenden.
ZIS
Zuständigkeit /
Bezirke
Kontakt via
Telefonnr.
Mailadresse
BTS - ZIS 6
Mittelgasse 24
1060 Wien
1,3,4,5,6,12
Direktion
01-597 67 21
[email protected]
BTS – ZIS 9
Galileigasse 3
1090 Wien
2,8,9,17
Direktion
01-31721 70
[email protected]
BTS - ZIS 11
Hoefftgasse 7
1110 Wien
10,11
Direktion
01-767 33 36
[email protected]
BTS - ZIS 12
Singrienergasse 9
1120 Wien
7,14,15,16
Anrufbeantw.
BTS oder
Direktion
01-979 60 24
[email protected]
BTS - ZIS 13
Hackinger Kai 15
1130 Wien
13, 23
Direktion
01-877 25 98
BTS - ZIS 20 –
Mobiles Mosaikteam
Jägerstraße 11–13
1200 Wien
20, derzeit 18,19
BTS-Telefon
+ Anrufbeantw.
01-334 67 35
BTS – ZIS 21
Theodor-Körner-G. 25
1210 Wien
21
Direktion
01-368 53 85
[email protected]
BTS – ZIS 22
Stadlauerstraße 51
1220 Wien
22
Direktion
01-2583179/311
[email protected]
01-979 42 03
[email protected]
(Tabelle, erstellt von Elisabeth Kolb; Stand: November 2016)
Autorinnenteam
Regina Kolar-Heindl
BTS 20 Mobiles Mosaikteam
Volksschullehrerin, Psychagogin
Arbeit im Mosaikteam des Rudolf Ekstein Zentrums seit 1995
Elisabeth Kolb
BTS 12
Kindergartenpädagogin, Hauptschullehrerin
Beratungslehrerin, Arbeit am ZIS 12 seit 2008
Barbara Laggner
BTS 20 Mobiles Mosaikteam
Sonder- und Heilpädagogin, Volksschullehrerin, Beratungslehrerin, psychoanalytisch-pädagogische
Erziehungsberaterin (APP)
Arbeit im Mosaikteam des Rudolf Ekstein Zentrums seit 1998
Uschi Pfeifer
BTS 20 Mobiles Mosaikteam
Volksschullehrerin, Psychagogin, Psychotherapeutin
Arbeit im Mosaikteam des Rudolf Ekstein Zentrums seit 1992
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I-JOURNAL Jänner 2017
Beratungslehrer/innen
Betreuungslehrer/innen
Psychagog/en/innen
Die ExpertInnengruppe BBP
im Bundesministerium für Bildung
Zusammensetzung, Arbeitsschwerpunkte
und Ausbildungssituation der PsychagogInnen in Wien
BeratungslehrerInnen, BetreuungslehrerInnen und PsychagogInnen (BBP) sind PflichtschullehrerInnen mit
mehrjähriger Berufserfahrung und einer berufsbegleitenden, fachspezifischen Zusatzausbildung, die in den
jeweiligen Bundesländern unterschiedlich strukturiert und organsiert ist. BBP sind einer oder mehreren
Pflichtschulen in einem Schulbezirk zugeordnet und üben ihre Tätigkeit im Rahmen ihrer Lehrverpflichtung
entweder ausschließlich, jedenfalls aber überwiegend aus. Die Hauptzielsetzung ihrer Tätigkeit ist es, die
Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit Verhaltensauffälligkeiten und/oder sozialen und emotionalen
Problemen zu unterstützen. Dies geschieht in Form von spezieller Betreuung, Beratung und verlässlicher
Begleitung dieser Kinder und Jugendlichen und allen Bezugspersonen im System Schule. Ein wertschätzendes und tragfähiges Beziehungsangebot ist die Grundlage für eine erfolgreiche professionelle Zusammenarbeit auf allen Ebenen und mit allen Beteiligten.
Die spezielle Ausformung der Tätigkeit ist, wie auch die genaue Bezeichnung, von Bundesland zu Bundesland verschieden. Überregional gibt es die bundesweite Arbeitsgemeinschaft der BBP. In Koordination der
im Bundesministerium für Bildung zuständigen Fachabteilung wird ein bundesweiter Austausch gepflegt
und spezifische Fortbildungsveranstaltungen werden gemeinsam geplant, organisiert und umgesetzt.
Die Grundwerte Toleranz und Wertschätzung im Umgang mit Schülerinnen und Schülern und Kolleginnen
und Kollegen bilden auch in der Runde der BBP die Basis der Arbeit und sind die Grundlage für eine gemeinsame Identität. So gelingt es bei aller Unterschiedlichkeit, gemeinsam Arbeitsschwerpunkte mit viel
gemeinsamem Engagement zu erarbeiten und umzusetzen.
Bedingt durch die Entstehungsgeschichte und die teilweise sehr unterschiedlichen Ausbildungen haben
sich folgende Bezeichnungen etabliert:
BeratungslehrerInnen: Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg,
Wien
BetreuungslehrerInnen: Oberösterreich
PsychagogInnen: Wien
Die Wiener Delegierten im Bundesministerium für Bildung sind Dipl. Päd.in Elisabeth Hirnschal, Beratungslehrerin und Dipl. Päd.in Mag.a Ingeborg Saval, Psychagogin.
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I-JOURNAL Jänner 2017
Die Arge der BeratungslehrerInnen, BetreuungslehrerInnen und PsychagogInnen wurde schon 1995 beim
Ministerium eingerichtet.
Seither leistet diese Arbeitsgemeinschaft von Lehrerinnen und Lehrern mit den je nach Bundesland unterschiedlichen Berufsbezeichnungen einen wichtigen Beitrag zur professionellen Vernetzung im Bereich
Sonderpädagogik und Inklusion. Jede Teilnehmerin/Jeder Teilnehmer der Arbeitsgemeinschaft braucht ein
offizielles Mandat seiner Schulaufsicht im jeweiligen Bundesland und eine Nominierung durch die Schulbehörde, die dem Bundesministerium zur Kenntnis gebracht wird.
Jedes Bundesland entsendet eine oder maximal zwei Personen aus den Reihen der BBP zu den Sitzungen
nach Wien, die in den Räumlichkeiten des BMB, Freyung 1, stattfinden. Die Tagesordnungspunkte werden
vor jeder Sitzung festgelegt.
Mit der Leitung seitens des Ministeriums ist Frau Mag.a Dominika Raditsch, Referat I/1A, Sonderpädagogik/inklusive Bildung, betraut: „Die Arbeitsgemeinschaft der BBP ist ein wichtiges Verbindungselement
zwischen dem Ministerium, der obersten Aufsichts- und Steuerungsbehörde im Bildungssystem einerseits
und der praktischen Ebene der Umsetzung in den jeweiligen Bundesländern andererseits. Der Erfahrungsaustausch und der offene Diskurs zwischen Ministerium und ExpertInnen aus der Praxis dient der Qualitätsentwicklung und der Qualitätssicherung was die Bildung von SchülerInnen mit Verhaltensauffälligkeiten und
emotionalen oder sozialen Problemen betrifft. Die Praxistauglichkeit und Umsetzung der vom Ministerium
getroffenen Maßnahmen wird auch durch Impulse aus dieser Gruppe überprüft. Die KollegInnen aus der
Arbeitsgemeinschaft sind somit ein wichtiger Teil eines Netzwerkes im Ministerium und die direkte Verbindung zur Schulpraxis in ganz Österreich.“
In maximal zwei 2-tägigen Arbeitssitzungen pro Jahr werden
•
gesellschaftlich aktuelle Entwicklungen und daraus resultierende pädagogische Herausforderungen
thematisiert,
•
Berichte aus den Bundesländern und aus den jeweiligen Zentren für Inklusion und Sonderpädagogik
zum Thema Verhaltenspädagogik/Inklusion verglichen und diskutiert,
•
Fortbildungen / Tagungen geplant, organisiert und dokumentiert,
•
Informationen und Erfahrungen zu unterschiedlichen methodisch-didaktischen Akzenten in den Arbeitsweisen der BBP in den Bundesländern ausgetauscht,
•
pädagogische Best Practice Modelle aus den jeweiligen Bundesländern und Regionen vorgestellt.
In den vergangenen Sitzungen haben uns vor allem Berichte aus den inklusiven Modellregionen in Österreich, die Umsetzung des Konzeptes der „Neuen Autorität“ nach Haim Omer und der jeweilige bundeslandspezifische Umgang mit der aktuellen Flüchtlingsthematik beschäftigt. Zu Gast zu diesem Thema war
Mag.a MinR Terezija Stoisits, die Beauftragte für Flüchtlingskinder an österreichischen Schulen. Sie hat die
Koordination der verschiedenen Stellen im BMB übernommen und ergänzt die bestehenden Verbindungen
zu den Landesschulräten und Pädagogischen Hochschulen durch Bundesländer- und Schulbesuche und
im Austausch mit pädagogischen ExpertInnen. Aus diesem Grund war Frau Mag.a Stoisits an den Berichten der BBP und deren Einsatz in aktuellen Krisen sehr interessiert. Auch Gäste aus der Schulpsychologie,
wie Dr. Gerhard Krötzl, ergänzten den fachlichen Austausch.
Die Ergebnisse der Sitzungen und weitere, daraus resultierende Aufgaben, Ideen und Informationen werden von den Delegierten der BBP der einzelnen Bundesländer wieder in die jeweiligen Zentren für Inklusion
und Sonderpädagogik getragen, wo sie weiterbearbeitet werden und Anlass zu Diskurs und Austausch und
möglichen Veränderungen bieten.
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I-JOURNAL Jänner 2017
Planung, Organisation und Durchführung von Fortbildungsveranstaltungen
Ein besonderer Schwerpunkt der Arge ist die Planung und Organisation von Fortbildungsveranstaltungen
für die Berufsgruppe der BBP, die alle drei Jahre in Traunkirchen/Oberösterreich stattfinden. Die Durchführung findet in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Bildung und der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich statt. Jedes Bundesland entsendet eine bestimmte Anzahl von TeilnehmerInnen aus den
Reihen der BBP zur jeweiligen Enquete, die in ihrem Bundesland dann wieder als MultiplikatorInnen für ihre
BBP-KollegInnen tätig sind.
Themen der vergangenen Enqueten:
2008: Kinder vom Mars. Aufbruch in neue Schulwelten. Handlungsstrategien und Konzepte der BBP im
System Schule überdenken und verändern
2011: „Nur ein Klick- und dann?“ Mediale Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen und ihre Bedeutung
für die Arbeit der BBP
2014: „Zurück in die Zukunft“ Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und gesellschaftlicher Wandel als Herausforderung für die Schule
Ausblick auf 2017, 19.-21.10 Arbeitstitel: „Am Puls der Zeit“ Gestärkt für den Wandel im Lebensfeld Schule
Das Wiener Ausbildungsmodell: Integration von Kindern und Jugendlichen mit emotionalen und sozialen Problemen im Kontext von Schule
Immer wiederkehrendes Thema in der Arge ist auch die Ausbildungssituation in den Bundesländern. Das
derzeitige Wiener Ausbildungsmodell hat die ehemaligen Ausbildungen zum/zur BeratungslehrerIn und
zum/zur PsychagogIn zusammengefasst, erweitert, akademisiert und wird als Universitätslehrgang geführt. Dieser Universitätslehrgang bietet LehrerInnen die Möglichkeit, ein umfassendes, wissenschaftlich
fundiertes Wissen im Bereich der schulischen Integration und Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit
emotionalen und sozialen Problemen zu erwerben. Er beinhaltet sowohl die theoriegeleitete Erfassung und
Reflexion schulpädagogischer Erfahrungen als auch die Weiterentwicklung praxisleitender Konzepte.
Der nächste Lehrgang startet im Oktober 2017. Ein Lehrgang dauert 6 Semester und schließt mit Master
of Arts (Psychagogik) ab. Der Universitätslehrgang wird in Kooperation mit der Pädagogischen Hochschule
Wien und der kirchlichen pädagogischen Hochschule Wien/Krems durchgeführt. Die primäre Zielgruppe
sind LehrerInnen aus dem Pflichtschul-, und auch AHS- und BHS-Bereich, für die in der integrationspädagogischen Arbeit mit SchülerInnen eine wissenschaftlich fundierte und praxisbezogene Weiterbildung
notwendig ist.
Mit der Einrichtung dieses Universitätslehrganges stellt die Universität Wien erstmals ein wissenschaftlich
fundiertes, berufsbegleitendes Weiterbildungsangebot für Lehrerinnen und Lehrer zur Psychagogin bzw.
zum Psychagogen bereit, in dessen Zentrum die Arbeit im Bereich der schulischen Integration von Kindern
und Jugendlichen mit erheblichen emotionalen und sozialen Problemen steht. Die TeilnehmerInnen sollen auf Basis theoriegeleiteter Analysen von entsprechenden Problemsituationen sowie durch die wissenschaftlich fundierte Entwicklung von Praxiskonzepten, vor allem für drei Tätigkeitsfelder vorbereitet werden:
•
Gestaltung des Unterrichts in speziellen Beschulungsformen (Förderklassen);
•
Bereitstellung des Angebotes von kontinuierlicher Einzelfallbetreuung für besonders belastete SchülerInnen (inkl. Beratung von LehrerInnen und Eltern) und
•
Bereitstellung von mobiler Begleitung/Beratung und Krisenintervention für schulbezogene Systeme.
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I-JOURNAL Jänner 2017
Bisher waren entsprechende Weiterbildungen im Bereich der Psychagogik nahezu ausschließlich für AbsolventInnen von Pädagogischen Akademien oder Pädagogischen Hochschulen zugänglich. Dieses Weiterbildungsangebot soll nun auch AbsolventInnen von Lehramtsstudien eine entsprechende, berufsbegleitende
und praxisbezogene Weiterbildung ermöglichen. Die Teilnahmevoraussetzungen sind ein abgeschlossenes, mindestens dreijähriges Lehramtsstudium für Pflichtschule/AHS/BHS und mindestens fünf Jahre Berufserfahrung im aktiven Schuldienst. Die Lehrgangsleitung liegt bei Univ.-Prof. Dr. Wilfried Datler, Institut
für Bildungswissenschaft, Universität Wien.
Für nähere Informationen:
http://www.postgraduatecenter.at/lehrgaenge/bildung-soziales/integration-von-kindern-und-jugendlichen/
Ingeborg Saval
Psychagogin
Rudolf Ekstein Zentrum
Zentrum für Inklusiv- und Sonderpädagogik
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I-JOURNAL Jänner 2017
Psychagogische Betreuung als unverzichtbarer Beitrag für
eine inklusive Schule - eine ganz persönliche
Liebeserklärung an diese Aufgabe
Psychagogische Betreuung ist ein niederschwelliges Angebot am Standort Schule zur Begleitung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen im sozial-emotionalen Bereich.
„Es ist die Beziehung, die heilt.“(Rudolf Ekstein) Das Angebot einer verlässlichen, kontinuierlichen und Halt
gebenden Beziehung steht im Zentrum unserer Arbeit mit dem Kind. Dafür in einer Haltung konsequenter
Wertschätzung und Ressourcenorientierung einen sicheren Ort anzubieten, ist ein Fundament der Betreuungsarbeit.
Ein Tag voller Begegnungen …
Ich betrete in der Früh das Schulhaus. Im Lehrerzimmer spricht mich eine Kollegin an und erzählt mir von
einem Kind, das Probleme mit seinen MitschülerInnen hat und sich zunehmend zurückzieht. Auf dem Weg
zum Betreuungsraum treffe ich ein Betreuungskind: „Wann darf ich wieder zu dir kommen?“ Nach einem
kurzen Gespräch schaue ich in den Briefkasten vor meiner Türe und finde darin ein Briefchen eines Kindes.
Erste Stunde: Gespräch mit einem alleinerziehenden Vater, dessen Sohn ich aufgrund einer krisenhaften
familiären Situation schon seit einem Jahr begleite. Wir sprechen über die Entwicklungsschritte des Kindes, die Sucht- und Schuldenthematik des Vaters. Stolz erzählt er, dass er den Schritt zur Männerberatung
geschafft hat. Ich bestärke ihn in seiner Zuversicht und darin, in der Beziehung zu seinem Kind dran zu
bleiben.
In der Pause vernetze ich mich mit dem Jugendamt bezüglich Möglichkeiten finanzieller Unterstützung für
diese Familie.
In der nächsten Stunde wird gekocht. Arthur, der viel sich selbst überlassen ist und im Schatten der Konflikte zwischen seiner großen, psychisch kranken Schwester und der taubstummen Mama steht, genießt diese
„nährende“ Zuwendung, ist stolz, dass er die Palatschinke diesmal schon fast alleine zubereiten kann, und
erzählt, was ihn beschäftigt.
In der nächsten Pause bespreche ich mit einer Kollegin eine Stellungnahme, die ich bezüglich eines Kindes
für einen Antrag zur Lehrplanänderung verfasst habe.
In der darauffolgenden Stunde sitzt Alexander bei mir, ein kognitiv reifer Bursch, der oft Probleme mit seiner
Wut hat und im Streit mit seinen MitschülerInnen manchmal ausrastet. Wir spielen die letzte Konfliktsituation mit Tieren nach, wechseln den Blickwinkel, überlegen andere Lösungsmöglichkeiten. Er malt ein Wappen mit seinen Stärken und Möglichkeiten, unter anderem einen Kochtopf mit Ventil zum Druckablassen.
Alexander probiert, welches Ventil seine Wut haben könnte, wir fechten mit Schaumstoffwürsten und halten
uns dabei genau an besprochene Spielregeln. Wir vereinbaren ein gemeinsames Gespräch mit Alexander
und den zwei Kindern, mit denen er besonders viele Konflikte hat.
Ich hole das nächste Betreuungskind. Erwins Mama ist schwer krank. Er selbst fehlt oft, klagt häufig über
psychosomatische Beschwerden. In seinem Spiel sind Verlustängste um seine Mama immer wieder Thema. Wir haben die Geschichte eines Bauchwehkobolds entwickelt, der durch Spaß am Lernen und Spie34
I-JOURNAL Jänner 2017
len bezwungen werden kann. Diesen Kobold besiegt Erwin regelmäßig in seinem Spiel, verwöhnt seinen
Bauch mit Tee, den er selbst zubereitet. Lebensfreude und Selbstwirksamkeit zu fördern sind für ihn zentrale Themen.
In der nächsten Stunde wartet Annika schon auf mich, deren krebskranker Vater im letzten Schuljahr verstorben ist. Annika ist in der Klasse oft hibbelig und unaufmerksam und hat Probleme, Grenzen einzuhalten. Seit Wochen spielt sie immer das gleiche Rollenspiel. Sie ist die Ärztin Dr. Heilsaft und hat eine Wundermedizin erfunden, die alle Handpuppen wieder und wieder gesund macht. Sich als handlungsfähig zu
erleben ist für sie in ihrem Prozess der Traumabewältigung gerade bedeutend. Dazwischen Erzählungen,
dass im echten Leben leider nicht immer alles gut ausgeht … , aber dass es immer weitergeht.
„Das Kind kann seine traumatischen Beziehungserfahrungen verändern, wenn es gelingt, eine vertrauensvolle, dialogische Beziehung aufzubauen, die es dem Kind ermöglicht, neue positive Entwicklungen zu
erschließen.“(Kühn, M. 2011)
Im Prozess der psychagogischen Betreuung wächst Vertrauen in die Tragfähigkeit der Beziehung, aber
auch in die eigenen Kräfte des Kindes.
In der psychagogischen Betreuungs- und Beratungstätigkeit ist jeder Tag spannend. Das Einlassen auf die
ganz besondere Geschichte und Persönlichkeit, die jedes Kind mitbringt, macht den Prozess der Entwicklungsbegleitung so individuell wie jeden Menschen. Sich im Spiel ausdrücken. Lernen, Worte für Gefühle
und Erleben zu finden. Stärken entdecken. Den Blickwinkel verändern. Im Spiel an Regeln und Sozialkompetenz arbeiten oder neue Handlungsmöglichkeiten probieren. Anhand von Geschichten lernen. Einfach da
sein dürfen und sich angenommen fühlen, wenn es mal ganz schwer ist. Gemeinsam mit anderen nachdenken. In der Gruppe an der Stärkung von Gemeinschaft arbeiten. Arbeiten mit den Eltern und LehrerInnen,
die Vernetzung mit außerschulischen Institutionen, der Austausch in Intervision oder Supervision, um den
eigenen Blickwinkel zu erweitern …
Die psychagogische Arbeit ist für mich unglaublich bunt, intensiv, sinn- und freudvoll, manchmal schwierig,
aber jeden Tag auch für mich selbst ein Stück lehrreich und bereichernd.
*Die Namen der Personen im Artikel sind verändert.
Michaela Knor
Psychagogin
Rudolf Ekstein Zentrum
Zentrum für Inklusiv- und Sonderpädagogik
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I-JOURNAL Jänner 2017
Trauma oder Erziehung?
Aspekte eines Dilemmas in der Förderklassen-Arbeit
In den letzten Jahren hat der Begriff des Traumas innerhalb der Pädagogik einen beachtlichen Aufschwung
erlebt. Angestoßen durch Forschungsergebnisse der Psychotraumatologie und der Hirnforschung entstand
der Versuch, diese für den Bereich der Pädagogik fruchtbar zu machen. In Folge entwickelte sich der
eigenständige Bereich der Traumapädagogik, der sich speziell mit dem Problem der Erziehung von traumatisierten Kindern und Jugendlichen beschäftigt.
Diese neue Konzeption der pädagogischen Arbeit knüpft an ältere Denktraditionen an, die innerhalb der
Pädagogik schon seit geraumer Zeit ihre Wirkung entfaltet haben, wie etwa an die humanistischen Schulen
der Psychotherapie oder auch an die anthropologischen Konzepte der Reformpädagogik. Im Zentrum steht
dabei die Forderung nach einer möglichst empathischen, wertschätzenden Haltung gegenüber dem Kind
(BAG Traumapädagik, 2011, S. 5).
Für die Verhaltensgestörtenpädagogik stellt diese neue Entwicklung eine besondere Herausforderung dar.
Denn bisher wurden die Konzepte „Trauma“ und „Traumapädagogik“ in der einschlägigen Grundlagenliteratur nicht berücksichtigt (Gasteiger-Klicpera et al., 2008; Myschker & Stein, 2013), doch gleichzeitig
gibt es Versuche, mithilfe des Traumakonzeptes einen eigenständigen pädagogischen Zugang in diesem
Bereich zu entwickeln. In den diesbezüglichen Handbüchern fehlen sowohl im Bereich der Diagnostik als
auch im Bereich der Interventionen Hinweise auf den Traumabegriff.
Diesen Bemühungen, den Traumabegriff in der Pädagogik einzuführen, stehen gewichtige Argumente entgegen. Denn dieser entfaltet gerade im Feld der pädagogischen Theorie eigenwillige Dilemmata, welche
wiederum auf seine mehrfache Problematiken hinweisen. Denn mit dem Begriff des Traumas ist die pädagogische Forderung nach Schutz des Kindes vor Retraumatisierung verbunden. Demgegenüber steht aber
die pädagogische Forderung nach Integration in die Gruppe sowie nach Übernahme der normativen Grundlagen der Gruppe. Soll das zu erziehende Kind, dem ein Trauma wiederfahren ist, geschützt werden oder
muss selbst das traumatisierte Kind die Forderungen der Gruppe akzeptieren und diese verinnerlichen?
Dieses Dilemma entfaltet sich in Förderklassen, wie sich auch in der Reflexion und im Erfahrungsaustausch
gezeigt hat, noch gravierender. Unterschiedliche Standpunkte in Bezug auf diese Fragestellung bringen
auch unterschiedliche Herangehensweisen und erzieherische Praktiken hervor, die durchaus in Konflikt
miteinander treten können.
Es gibt drei Achsen, anhand derer eine Kritik am Traumakonzept entwickelt werden kann:
1. die Begriffsextension
2. der Begriffsinhalt
3. die pädagogischen Konsequenzen des Begriffs
Anhand eines Fallbeispiels sollen diese drei Problemkreise konkret dargestellt werden. Dadurch
kann verdeutlicht werden, wo die Probleme der Traumakonzeption in diesem Sinne zu sehen sind.
36
I-JOURNAL Jänner 2017
1. Begriffsextension
Der Begriff „Trauma“ wird im pädagogischen Kontext in zunehmendem Maße verwendet. Die Zuschreibung, dass eine Schülerin bzw. ein Schüler traumatisiert wäre, wird von Kolleginnen und Kollegen recht
leichtfertig getroffen. Hier deutet sich schon eine erste inhaltliche Problematik des Begriffs an, da augenscheinlich unterschiedliche Intensionen mit dem Begriff Trauma verbunden sind.
Als traumatisierte Schülerinnen und Schüler sollten nur jene beschrieben werden, die tatsächlich Merkmale
einer Traumatisierung aufweisen. Diese Feststellung mag banal klingen, in der Praxis erscheint dies als
herausfordernde Aufgabe. Um es noch weiter zu verengen: Letztendlich wären nur jene Schülerinnen und
Schüler als traumatisiert zu beschreiben, die eine psychiatrische Diagnose im Sinne einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) aufweisen. Eine solche Diagnose wiederum ist nur von Ärzten, insbesondere Psychiatern, von klinischen Psychologen und Psychotherapeuten zu stellen. Der Pädagoge ist in
der Arbeit somit auf die Diagnosestellung anderer Systeme angewiesen.
Ein Eindruck, der sich in der Arbeit vor allem mit verhaltensgestörten Kindern ergibt, ist, dass die Extension
des Begriffs in der Praxis deutlich jene Grenzen überschreitet, die ihm eigentlich vorgegeben wären. Exemplarisch formuliert dies etwa Jochen Willerscheidt: „Nahezu alle unsere SchülerInnen zeigen Symptome
einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).“ (2008, S. 57) Tatsächlich zeigt aber die Erfahrung,
dass nur die wenigsten Schülerinnen und Schüler in Förderklassen tatsächlich eine diagnostizierte PTBS
aufweisen.
Die Zuschreibung eines Traumas wird somit oft in einer unsachgemäßen und ungerechtfertigten Weise vollzogen. Das ist aber kein rein quantitatives Problem. Diese über seine eigentlichen Grenzen hinausgehende
Verwendung hat durchaus praxisbezogene Konsequenzen, wie sich in Folge noch zeigen wird. Insbesondere bedeutet das nämlich, dass den Schülerinnen und Schülern gegenüber in der pädagogischen Arbeit
eine Haltung eingenommen wird, die problematische Folgen haben kann.
2. Begriffsintension
Mit der Problematik der Begriffsextension deutete sich schon eine tiefergreifende Problematik der Begriffsintension an. Denn scheinbar werden sowohl in der Alltagssprache als auch im professionell-pädagogischen
Verständnis die Begriffe Trauma, traumatisierende Erfahrung o.ä. in unterschiedlicher Weise verwendet.
Die wohl naheliegendste Definition ist jene des in Europa gültigen Diagnose-Klassifikationsschemas der
Weltgesundheitsorganisation. Demnach wird ein „…belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder
längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem
eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“, als traumatisierendes Ereignis definiert. Neben dem Vorhandensein eines solchen Ereignisses muss der Patient eine eng umschriebene Symptomatik aufweisen, um
eine PTBS zu diagnostizieren:
a. Wiedererinnerung: Das Trauma wird in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen,
Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von
Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten, wiedererlebt.
b. Vermeidung: Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten.
c. Erhöhtes Erregungsniveau: ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer
übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung.
Diese doch sehr spezifische Symptomatik unterscheidet sich jedoch in vielerlei Hinsicht von der gesamten
Palette an Störungsbildern, die einem in einer Förderklasse begegnen. Die These, dass alle Schülerinnen
37
I-JOURNAL Jänner 2017
und Schüler in Förderklassen eine PTBS aufweisen würden, kann vor dem Hintergrund dieser recht engen,
psychiatrischen Definition nicht standhalten.
Des Weiteren ist in der sprachlichen Praxis oft unklar, ob man, wenn man von Trauma spricht, ein Ereignis meint, dass geeignet ist, eine PTBS auszulösen, oder ob man die spezifische Symptomatik der PTBS
meint. Wichtig festzuhalten ist, dass nicht jedes Trauma, also belastendes Ereignis, eine PTBS auslösen
muss.
Eine Vermutung ist jedoch, dass aufgrund der Komorbidität etwa mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung
eigentlich dieses Syndrom benannt werden soll, mit dem besonderen Hinweis, dass das Kind aufgrund
seiner Geschichte solche Symptome aufweisen würde. Auch hier befinden wir uns aber in einem problematischen Bereich, da die Diagnose von Persönlichkeitsstörungen für Kinder und Jugendliche von den
zuständigen Experten in der Regel abgelehnt wird. Die PTBS von Persönlichkeitsstörungen diagnostisch
zu trennen ist eine schwierige Aufgabe, da die Komorbidität relativ hoch ist.
Dennoch verweist das offensichtliche Bedürfnis der Pädagogik nach einem Traumabegriff auf eine Problematik im pädagogischen Diskurs, denn immerhin findet eine allmähliche Verschiebung vom Konzept
der Störung zum Begriff des Traumas statt. Die Schwierigkeiten, die der Begriff der Störung mit sich bringt
(Myschker & Stein, 2013, S. 46ff.), scheinen mit dem Traumabegriff umschifft zu werden:
Der Mangel, der mit dem Begriff der Störung ausgesprochen wird, beunruhigte schon lange Zeit einen Teil
der Pädagogen. Eine fast einseitige Orientierung hin zu den sogenannten Ressourcen des Kindes schien
in vielerlei Hinsicht dieser Störungsperspektive entgegen zu stehen. Nun scheint der Traumabegriff diesen
Mangel, den eine Verhaltensstörung im sozialen Kontext darstellt, nicht ansprechen zu müssen.
Die Verantwortung, die durch den Begriff der Störung vordergründig auf dem Kind lastet, soll damit verschoben werden. Als Erklärung, warum ein Kind ein antisoziales, aggressives oder vielleicht auch selbstzerstörerisches Verhalten an den Tag legt, dient nun das traumatische Ereignis. Andere Erklärungsversuche, wie
etwa ein Determinismus der Psyche, haben damit keinen Platz mehr.
Tatsächlich scheint sich hier eine paradigmatische Wende oder zumindest eine Verschiebung anzukündigen. In Frage steht, ob wir weiterhin von einer Störung des Kindes sprechen können. Mit der Gegnerschaft
zum Störungsbegriff werden außerdem jene pädagogischen Konzepte, die sich nicht von diesem Begriff
verabschieden wollen, ins Abseits gedrängt.
Eine dieser Konzeptionen ist die psychoanalytisch geprägte Pädagogik. Und es ist gerade die Psychoanalyse, die wiederum eine eigene Geschichte mit der Traumatheorie verbindet. Während Freud zunächst
noch von einer traumatisierenden, inzestuösen, sexuellen Erfahrung als Ursprung der Neurose ausging,
musste er diese Verführungstheorie später fallen lassen. Die Triebtheorie ersetzte in weiten Strecken die
Verführungsthese, wobei, wie Freud selber bemerkte, er die Traumatheorie nie vollständig aufgab. Sándor
Ferenczi war es, der dem Trauma wieder mehr Bedeutung beigemessen hatte. Auf ihn sowie auf die Objektbeziehungstheorie beziehen sich die modernen psychoanalytischen Annäherungen an den Traumabegriff.
Diese psychoanalytische Hinwendung zum Trauma wird oftmals als Abkehr von der Triebtheorie und als
paradigmatische Erneuerung im Sinne einer relationalen Psychoanalyse verstanden. (Hirsch o.J., S. 16)
Aber es gibt auch Kritik innerhalb der Psychoanalyse an dieser Rückkehr zum Trauma. So stellt etwa Stavros Mentzos (2013, S. 38f.) der Traumatheorie die Konflikttheorie gegenüber und gibt letzterer den Vorzug:
„Auf Dauer gesehen wirkt sich also ein Trauma sehr oft vorwiegend darüber aus, dass es eine optimale
Überwindung der Grundkonflikte verunmöglicht.“ (S. 39)
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Doch nicht nur auf einer klinischen Ebene, sondern auch auf einer metapsychologischen Ebene gibt es
gewichtige Argumente gegen die Traumatheorie. Eines dieser Argumente bezieht sich auf den psychologischen Determinismus: Wenn man davon ausgeht, dass das Verhalten, Fühlen und Erleben nicht von
Zufall und letztendlich auch nicht von Erfahrung in einem naiv-positivistischen Sinne geprägt sind, sondern
von psychischen Abläufen, dann kann das traumatische Ereignis nur akzidentiellen Charakter haben. Ein
weiteres Argument bezieht sich auf den Status von Handlung, Beziehung und Psyche. Denn während unbestritten ist, dass es zwischen den Elementen, also sprich dem Subjekt und seinen Objekten, Relationen
und damit auch Beziehungen gibt, so kann die Qualität dieser Beziehungen nur in Rückführung auf eine
Struktur erklärt werden. Die Pathologie als eine reine Beziehungspathologie zu begreifen, erscheint demnach als unbefriedigend.
Diese kurzen Hinweise sollen verdeutlichen, dass der Traumabegriff inhaltlich grobe Probleme aufweist.
Klar wurde außerdem, dass er vor allem dazu dient, dem Begriff der Störung auszuweichen. Dies hat auch
in der pädagogischen Praxis unmittelbare Konsequenzen.
3. Pädagogische Praxis
Wie wir also gesehen haben, verweist der Aufschwung des Traumakonzeptes auf eine problematische
Situation in der pädagogischen Praxis. Der Pathologie wird ausgewichen, die Störung wird nun nicht mehr
als Mangel verstanden, die mühsame Anstrengung, fragmentierte Symptome zu einem sinnvollen und sinngebenden Bild zusammenzustückeln wird vermieden und alles wird auf das Zentrum „traumatisierendes
Ereignis“ hin gedeutet. Aus dieser Konzeption resultiert auch eine bestimmte pädagogische Haltung, die
wie folgt zusammengefasst werden kann (BAG Traumapädagogik, 2011):
1. Annahme eines guten Grundes: Eine Würdigung und Wertschätzung der notwendig gewordenen
Verhaltensweisen
2. Wertschätzung: Gestaltung eines sicheren Rahmens
3. Partizipation: Erleben von Autonomie, Kompetenz und Zugehörigkeit
4. Transparenz: Ort der Berechenbarkeit
5. Spaß und Freude: die Freudenseite beleben
Die Empathie gegenüber dem Kind und seiner Symptomatik wird hier als Gewährenlassen gedeutet, auch
vor dem Hintergrund einer möglichen Retraumatisierung zu verhindern. Die Forderung der Traumapädagogik nach einer Würdigung und Wertschätzung des Verhaltens von Schülerinnen und Schülern eröffnet
somit ein fundamentales Dilemma: Soll im Rahmen einer solchen Haltung aggressivem und antisozialem
Verhalten wertschätzend begegnet werden?
Auch wenn man im Rahmen des Störungsbegriffs arbeitet, ist Empathie notwendig. Auch hier erweist sich
das Symptom als unumgänglicher Zugang zur unbewussten Struktur der Situation. Auch hier muss auf
einer Metaebene das Symptom als notwendiges Element begriffen werden, das der Schüler in dieser Situation unbedingt braucht. Doch auf der praktischen Ebene kann diesem Verhalten nicht permissiv begegnet
werden, denn Erziehung, vor allem im Bereich der Förderklasse, bedeutet auch Anordnung: „Erziehung beinhaltet ihrem Wesen nach auch Zwang. Eine Erwachsenengeneration, die auf das verzichtet, was Kinder
als Zwang erleben könnten, verabschiedet sich gleichzeitig vom Erziehungsgedanken selbst.“ (Ahrbeck,
2004, S. 77) Und um Freud zu zitieren: „Die Erziehung muss also hemmen, verbieten, unterdrücken.“
(Freud, 1933a, S. 160)
Doch es scheint auch unbewusste Strukturen im pädagogischen Diskurs selbst zu geben, die den Traumabegriff als Symptom notwendig machen. Denn im Prozess der Selbstreflexion der pädagogischen Praxis
versucht man, mit der Betonung des Traumas und der daraus abgeleiteten Haltung, die eigenen aggres39
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siven Affekte, die Teil des Erziehungsgeschehens (Bernfeld, 1973, S. 54ff.) sind, zu leugnen. Erziehung
wird als konfliktfreier Prozess, der sich voll und ganz an den Bedürfnisses der Schülerinnen und Schüler
orientiert, dargestellt. Letztendlich wurde dieser Prozess von der Reformpädagogik eingeleitet.
Gerade in Bezug auf die Konsequenzen in der pädagogischen Praxis erhärtet sich der Verdacht, dass es
sich bei dem Traumabegriff, wie er in der Pädagogik Eingang gefunden hat, um ein Zurückweichen vor den
Aufgaben der Erziehung handelt.
4. Falldarstellung
Anhand einer konkreten Falldarstellung soll nun die Problematik des Traumabegriffs konkretisiert werden.
Dabei sollen Antworten auf die oben aufgeworfenen Fragen und Problemstellungen gefunden werden.
4.1. Eröffnung
Marcel (13) wurde der Förderklasse zugewiesen, ohne dass ein Erstgespräch mit dem Lehrerteam stattfand. Ein ungewöhnlicher Vorgang, der keineswegs dem festgelegten Prozedere der Aufnahme eines
Schülers in die Sondererziehungsschule entspricht. Doch äußerte sich in dieser Form der Aufnahme schon
die Problematik des Schülers auf der einen Seite und die Ratlosigkeit der Institutionen im Umgang mit ihm
auf der anderen: Er ruft eine ständige Überforderung bei den mit ihm befassten Institutionen und Personen
hervor, die sich aber dennoch dazu gezwungen sehen, auf seine Wünsche einzugehen, um ihn dann wieder Abzustoßen.
Im Laufe der gemeinsamen Arbeit in dem Dreieck Lehrer - Schüler – Wohngemeinschaft (Marcel war
fremduntergebracht) zeichnete sich alsbald ein Konflikt mit der Wohngemeinschaft ab. Dieser Konflikt ist
sinnvoller Weise im psychoanalytischen Sinne als Übertragungs- und Gegenübertragungsgeschehen zu
interpretieren. Doch jenseits dieser notwendig zu leistenden Leseart gab es auch sachliche Gründe, warum
sich die Zusammenarbeit zwischen dem Lehrerteam und der sozialtherapeutischen Wohngemeinschaft, in
der Marcel untergebracht war, so schwierig gestaltete. Die Wohngemeinschaft ging grundsätzlich von einer
Traumatisierung des Schülers aus und richtete alle Interventionen auf diese Kategorie hin aus. Der Schutz
des Schülers sowie die Orientierung hin auf seine Ressourcen waren das Credo seiner Bezugsbetreuer.
Dies stand im Gegensatz zu den Forderungen, die das Lehrerteam an den Schüler stellte.
4.2. Symptomatik
Auch der Eintritt des Schülers in die Förderklasse verlief entsprechend turbulent. Äußerst kurze Arbeitsphasen wurden abgelöst von ausagierenden, aggressiven Perioden, in denen Marcel kaum in der Klasse
zu halten war. Das Verlassen des Klassenzimmers war dabei oft begleitet von imponierenden Gesten, wie
etwa dem mehrmaligen Zuschlagen der Türe und dem Umwerfen von Mobiliar. Im Verlauf des Besuchs in
der Förderklasse beschädigte er zwei Türen und einen Schülertisch. Immer wieder drohte er damit, aus
dem Fenster zu springen und sich das Leben zu nehmen. Er bedrohte Mitschüler und Lehrer, warf Möbeln,
Scheren und anderen Gegenständen durch die Klasse. Schon geringe Anforderungen lösten bei ihm Widerwillen und Ablehnung gegen die Klassengemeinschaft und das Lehrerteam aus.
In den ausagierenden Phasen war die psychische Regression auf vielen Ebenen ersichtlich: Seine Sprache nahm Dimensionen des Kleinkindhaften an, sowohl in der Struktur als auch in ihrem Klang. Bedingt
durch eine leichte Fehlstellung der Zähne ergänzte ein ständiger Speichelfluss das Bild des zum Kleinkind
Regredierten.
Eine der Szenen spielte sich folgendermaßen ab: Es war Zehn-Uhr-Pause und die Schülerinnen und Schüler hatten Zeit, um sich selbst zu beschäftigen. Marcel schrieb einen Brief an seine Mutter, wie er bereit40
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willig, ja fast aufdringlich der gesamten Klasse und seinen Lehrern mitteilte, in dem er unter anderem die
gemeinsamen Urlaubspläne mit ihr besprechen wollte. Bei ihm entwickelte sich die Phantasie, dass er an
einen exotischen Ort mit der Mutter fahren könnte, den er sofort im Internet recherchieren wollte. Er verlangte von den Lehrern, an den Computer zu dürfen, was aber den Regeln der Klasse widersprach. Als ihm
dieses Verlangen verwehrt wurde, stellte sich sofort Frustration ein.
Seine aggressiven Gefühle, vor allem aber auch seine Angst, von der Mutter getrennt zu werden, mussten
abgewehrt werden, und aus diesem Mechanismus heraus brauchte er die Lehrer und Mitschüler als böses
Objekt, das ihm den Zugang zur Wunscherfüllung verwehren würde. „Wie soll ich mit meiner Mutter in den
Urlaub fahren? Ihr verhindert das.“ Die Angst, dass der Urlaub mit der Mutter doch nicht zustanden kommen
könnte, war gegenwärtig. Diese Angst war für Marcel unerträglich und die Lehrer wurden dafür verantwortlich gemacht: „Wenn ihr mich nicht zum Computer lasst, kann ich nicht fahren!“ Zornig stand er auf, rannte
aus dem Klassenzimmer und schlug die Tür mehrmals lautstark zu. Am Gang wütete er dann noch und warf
mit Sesseln um sich.
Nach einer anderen Sequenz, bei der Marcel andere Schüler bedrohte, verwiesen die Lehrer ihn aus der
Klasse. Die Zeit außerhalb der Klasse zu verbringen war für ihn aber ebenfalls unerträglich und so drängte
er wieder darauf, zurück in die Klasse zu dürfen. Das Lehrerteam untersagte ihm das aber, in der Absicht,
die auf eine gewisse Zeit beschränkte Trennung zwischen ihm und der Klasse weiter aufrecht zu erhalten.
Doch diese Trennung wurde für den Schüler immer unerträglicher und der Wunsch, entgegen der Aufforderung der Lehrer trotzdem in die Klasse zu kommen, immer drängender. Zunächst versuchte er es mit
Gewalt, doch als das nicht gelang, ließ er sich auf die Knie fallen und bellte und jaulte wie ein Hund. Auf
den Knien jaulend bat er erneut um Einlass. In dieser Szene ist der verzweifelte Wunsch des Schülers nach
einer haltgebenden Beziehung, der bis hin zur Selbsterniedrigung geht, verschmolzen mit regredierenden
Formen der Abwehr.
Handelt es sich bei dieser Symptomatik um ein traumatisiertes Kind im oben genannten Sinne? Diese Frage muss in mehrfacher Hinsicht unterschiedlich beantwortet werden:
1. Eine PTBS in der eng umgrenzten, beschriebenen Form lag bei Marcel nicht vor. Manche seiner
Symptome könnten zwar in die Richtung interpretiert werden, doch reichte dies keinesfalls für eine
solche Diagnose aus.
2. Wenn man den Begriff Trauma als einen versteckten Verweis auf eine Persönlichkeitsstörung deuten
will, dann würde man in diesem Fall einen gewissen Teil der Wahrheit abdecken. Doch wird in den
Schilderungen vielleicht spürbar, wie wenig befriedigend diese Zuschreibung ist.
3. Vor allem in Hinblick auf die sich daraus ergebenden pädagogischen Konsequenzen, hatte die Zuschreibung „traumatisiertes Kind“ problematische Folgen.
4.3. Hintergrund
Marcel wuchs bei seiner Mutter auf, die Eltern ließen sich schon früh scheiden. Die Mutter lebt in einer neuen Lebensgemeinschaft mit einem Mann, der Kontakt zu seinem Vater verläuft sporadisch und ist geprägt
von Konflikten. Ein halbes Jahr lang verweigerte der Vater den Kontakt, da Marcel ihn im Streit geschlagen
hatte.
In den Schilderungen der Mutter von Marcels Kindheit wurde ihre Überforderung schnell deutlich. Sie konnte die Anforderungen, die das Kind an sie stellte, nicht ausreichend befriedigen. Die ständige Frustration
des Kindes steigerte sich bei ihm in eine verschlingende Gier. Eine Verarbeitung der bösen, bedrohlichen
Elemente konnte nicht stattfinden.
Im Alter von sieben Jahren fiel Marcel in der Schule schon durch parasuizidales Verhalten auf und wurde
daher in das Krankenhaus Rosenhügel eingeliefert. Nach einer viermonatigen psychiatrischen Behandlung
wurde er wieder entlassen.
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I-JOURNAL Jänner 2017
Aufgrund der Überforderung der Mutter wurde ihr Marcel auf eigenen Wunsch hin abgenommen. Einige
Jahre lang lebte er in einer Wohngemeinschaft der MAG 11, beschult wurde er in einer Förderklasse. Nach
jahrelanger Psychotherapie des Kindes und begleitender Unterstützung der Eltern im Institut für Erziehungshilfe wurde Marcel im September 2012 in seine Herkunftsfamilie zurückgeführt. Ein Jahr darauf folgte
die Rückführung von der Förderklasse in das Regelschulwesen.
Doch schon im März 2015 eskalierte die Situation ein weiteres Mal. Die Mutter sah sich gezwungen, Marcel
abermals an das Krisenzentrum abzugeben. Seit Juni 2015 ist er in einer sozialtherapeutischen Wohngemeinschaft fremduntergebracht.
Kann in der Biographie des Schülers so etwas wie ein Trauma ausgemacht werden? Auch diese Frage ist
nicht eindeutig zu beantworten. Sicherlich birgt die Trennung von der Mutter sowie die Kindesabnahme
durch die MAG 11 das Risiko einer Traumatisierung. Insofern können durchaus Ereignisse in seiner Biographie gefunden werden, die man als Traumata qualifizieren könnte. Doch hier ist die Unterscheidung zwischen traumatischem Ereignis und der PTBS als Symptomatik aufseiten des Schülers relevant. Eine solche
Symptomatik kann bei Marcel nicht wirklich auf befriedigende Weise festgestellt werden. Daher stellt sich
die Frage, wie sinnvoll es wäre, in seiner Biographie traumatische Ereignisse zu beschreiben. Die Trennung
von der Mutter ist wohl der entscheidende Moment in der Entwicklung seiner Störung, doch dies als Trauma
aufzufassen, versperrt eher den Zugang zu seiner Problematik. Ein sinnvoller Weg wäre es, dies als einen
Aspekt seines Grundkonfliktes zu beschreiben.
4.4. Die Problematik
Wenn wir uns dafür entscheiden, die Störung anhand eines Grundkonflikts zu beschreiben, dann ergeben
sich neue Wege in der Auseinandersetzung mit dem Schüler. Der Grundkonflikt, mit dem Marcel zu kämpfen hat, ist die Unerträglichkeit der Angst vor Objektverlust auf der einen Seite und die Aggression gegen
dieses nicht haltgebende Objekt auf der anderen Seite. In seiner Symptomatik ist dieser Grundkonflikt variantenreich ausgeprägt. Dies verweist zwar auf eine Pathologie auf der Beziehungsebene, doch für diese
Belange ist diese Sichtweise durchaus ausreichend.
Ein Teil der Problematik kann als übersteigerter Wunsch nach der „guten“ Mutterbrust gesehen werden,
jener Mutterbrust, die ihm doch immer wieder verwehrt wurde. Dies deutet unter anderem auch an, dass
es sich bei Marcels Pathologie um eine frühe Störung handelt. Diese Gier nach der Mutterbrust hat sich im
Schulsystem in erster Linie als ein Verschlingen an Ressourcen geäußert. So genoss Marcel schon in der
Schule, die er vor der Förderklasse besuchte, Einzelbetreuung. Um dies innerhalb des Schulbetriebs zu
ermöglichen, wurden die Stundenpläne der Lehrer extra dafür ausgerichtet. Auch die Förderklasse stand
ihm als Ressource ursprünglich nicht zur Verfügung, sondern er hat sich diese einfach genommen. Die
sozialtherapeutische Wohngemeinschaft, in der er untergebracht ist, stellt ebenfalls eine intensivere Ressourcennutzung dar, als eine gewöhnliche Wohngemeinschaft der MAG 11.
Als grundlegende Problematik können jene Konflikte identifiziert werden, die sich aus der vorödipalen Struktur ergeben haben. In der Übertragung und Gegenübertragung stellt Marcel ständig seine Beziehungen auf
die Probe, ob diese die von ihm gesetzte Belastung überstehen. Sein aggressives Verhalten wirkt zumindest streckenweise weniger affektgeladen als vielmehr instrumentalisierend. Immer wieder kann man bei
dem Schüler selbst in Situationen, die sehr verzweifelt wirken, ein Lächeln beobachten. In den Sequenzen
agiert der Schüler seinen Wunsch aus, dass alle bedingungslos zu ihm stehen müssen, einen Wunsch, der
ihn seit der Abgabe der Mutter ständig begleitet.
In der Abwehr dieser Konflikte und Probleme stützt sich Marcel hauptsächlich auf sehr unreife Mechanismen. Eine der augenfälligsten ist die Regression, in der er kleinkindhafte Züge annimmt, um in der
Gegenübertragung fürsorgliche Gefühle auszulösen. Ein weiterer Abwehrmechanismus ist die Gegenreaktion: In der Angst, das haltgebende Objekt zu verlieren, muss er es vorher selbst zerstören.
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Ist dem Schüler gegenüber in diesem Fall unbedingt wertschätzend und permissiv zu begegnen? Soll er
seine ausagierenden Phasen an einem sicheren Ort ausleben können? Hier wird der Kontrast zur Traumapädagogik vielleicht besonders deutlich: Denn obwohl aus psychoanalytischer Sicht das Symptom den
Charakter einer Notwendigkeit aufweist, so kann die paradoxe Aufgabe der psychoanalytischen Pädagogik
nicht darin bestehen, diese psychische Notwendigkeit gewähren zu lassen. Gerade die Begrenzung der
zerstörerischen Kraft dieses derzeit noch notwendigen Symptoms ist die Aufgabe der Erziehung. Noch
konkreter auf das Fallbeispiel bezogen, bestand die Pathologie des Schülers vor allem in seiner unnachgiebigen Gier nach Liebe und Zuwendung in der Übertragung. Das einfache Zugeständnis, ohne eine Brüchigkeit zu erzeugen, hätte die Symptomatik wohl eher weiter unterstützt.
5. Schlussfolgerungen
Anhand des Fallbeispiels konnte verdeutlicht werden, wo die Problemfelder und die damit verbundenen
theoretischen und praktischen Dilemmata des Begriffs „Trauma“ liegen. Konkret lassen sich drei Achsen
der Kritik nennen:
1. Der Begriff will zu viel: Als Trauma wird in der pädagogischen Praxis nicht nur die PTBS bezeichnet.
Damit nimmt er aber mehr in Anspruch, als er tatsächlich leisten kann.
2. Der Begriff verweist auf etwas Anderes: Konkret werden damit oft schwerwiegendere Persönlichkeitsstörungen bezeichnet.
3. Der Begriff unterminiert Erziehung: Mit dem Begriff werden die Erziehungsaufgaben nur widerwillig
wahrgenommen oder anders gedeutet.
Bei der Verwendung des Begriffs „Trauma“ ist also Vorsicht geboten. Vor allem auf Seiten der Pädagogen
sollte genau reflektiert werden, ob tatsächliche sachliche Gründe für eine solche Bezeichnung bestehen
und welche Gründe, auch im Übertragungsgeschehen, dazu geführt haben, ein Kind als traumatisiert zu
bezeichnen.
Sebastian Baryli
Literatur:
Ahrbeck, B. (2004). Kinder brauchen Erziehung: Die vergessene pädagogische Verantwortung. Stuttgart: Kohlhammer.
BAG Traumapädagogik. (2011). Standards für traumapädagogische Konzepte in der stationären Kinder- und Jugendhilfe. Ein Positionspapier der BAG Traumapädagogik.
Bernfeld, S. (1973). Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Freud, S. (1933a). Neue Folge der Vorlesung zur Einführung in die Psychoanalyse. GW XV.
Gasteiger-Klicpera, B., Julius, H., Klicpera, C. (Hrsg.). (2008). Handbuch der Sonderpädagogik: Band 3: Sonderpädagogik der sozialen und emotionalen Entwicklung. Göttingen, Bern, Wien, Paris, Oxford, Prag, Toronto, Cambridge, Amsterdam, Kopenhagen: Hogrefe.
Hirsch, M. (o.J.). Die Geschichte des Traumabegriffs in der Psychoanalyse. Verfügbar unter http://www.uniklinik-duesseldorf.de/fileadmin/Datenpool/einrichtungen/klinisches_institut_fuer_psychosomatische_medizin_und_psychotherapie_id70/dateien/hirsch_geschichte_traumabegriff.pdf [12.09.2016]
Mentzos, S. (2009). Lehrbuch der Psychodynamik: Die Funktion der Dysfunktionalität psychischer Störungen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Myschker, N., Stein, R. (2013). Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen: Erscheinungsformen - Ursachen
- Hilfreiche Maßnahmen (7., überarbeitete und erweiterte Auflage). Stuttgart: Kohlhammer.
Willerscheidt, J. (2008). Ist die Integration von SchülerInnen mit Verhaltensstörungen möglich? Heilpädagogik online,
7(2), 53–65.
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I-JOURNAL Jänner 2017
Zwischen-Welten
Eine Beratungslehrerin sollte eine Art eierlegendes Wollmilchschwein sein (laut Wikipedia eine „umgangssprachliche Bezeichnung für eine Person „die nur Vorteile hat, alle Bedürfnisse befriedigt und allen Ansprüchen genügt“). Ein Allround-Joker, der im Problemfall eingeschaltet wird und dann alle unerwünschten
Krümmungen geradebiegt. Darum ist es einer der ersten Schritte in der Arbeit an einer Einsatzschule, die
eigene Rolle und die damit verbunden Möglichkeiten möglichst klar zu transportieren.
Als Beratungslehrerin beschäftige ich mich mit der integrativen Betreuung von SchülerInnen mit Verhaltensproblemen. Ziel dabei ist unter Anderem, den Kindern einen weiteren Schulverbleib im Regelschulsystem
zu ermöglichen. Meisten geschieht das in Form von mittelfristigen Interventionen, manchmal ist aber auch
eine längerfristige Betreuung notwendig. Wobei es meistens nicht funktioniert, ein Individuum – „den Symptomträger“ isoliert vom Gesamtzusammenhang zu verändern. Der Einzelfall kann nur im Beziehungsgeflecht der Klasse/Schule/Familie gesehen werden. Die Zusammenarbeit mit LehrerInnen, Erziehungberechtigten und anderen befassten Personen ist notwendig.
Eine meiner längerfristigeren Begleitungen möchte ich hier kurz vorstellen.
„Frau Lehrerin, Mile hat …!“
Mile wurde mir in der zweiten Klasse NMS vorgestellt. Die klassenführende Lehrerin war schon sehr verzweifelt und ratlos und auch ziemlich unter Druck von den KollegInnen. Mile störte dauernd den Unterricht
durch provokante Bemerkungen gegenüber MitschülerInnen und lautstarke Austragung der dadurch entstehenden Konflikte. In der Pause gab es Raufereien und oft eine verwüstete Klasse. Mile war auch mir
schon vorher aufgefallen durch seine große, kräftige und schon sehr männliche Erscheinung. Der ganze
Gang mit vier Klassen hatte Angst vor ihm, was er sichtlich genoss und teilweise ein „Schutzgeld“ einforderte, damit er die anderen Kinder nicht verprügelte. „Frau Lehrerin, Mile hat….“ war oft gehörtes Anliegen
aufgebrachter Kinder.
Ich versuche, von Fall zu Fall immer wieder die Erwartungen und den Beratungsverlauf gut abzusprechen und abzuklären. Manchmal ist es vielleicht auch ein wenig unklar, wer der/die KlientIn ist – der/die
ÜbermittlerIn oder der übermittelte Fall. Was soll mit der Anbindung eines Schülers/einer Schülerin an die
Beratungslehrerin erreicht werden? Meine erste Frage lautet immer „was wünscht du dir?“ Miles klassenführende Lehrerin sprach mich in der Hoffnung an, dass Mile vielleicht in den Gesprächen mit mir lernen
könnte, nicht so aufbrausend und gewalttätig zu sein. Sie meinte auch, dass es ihm gut täte, wenn er mit
jemandem seine Probleme besprechen könnte. Eine andere Lehrerin hatte ein wenig Angst vor ihm und
erhoffte sich vor allem, dass ich ihn möglichst in ihren Stunden herausnehmen werde, damit sie in Ruhe
unterrichten kann. Ein dritter Lehrer erhoffte sich eine Verlegung in eine Förderklasse, da er meinte, Mile
gehört nicht in die normale Mittelschule. Der Rest des Teams war zwar genervt von Mile, aber durchaus
bereit, ihm eine Chance zu geben.
Um eine Kooperation möglich zu machen, sollten diese – manchmal divergierenden – Erwartungen besprochen werden. (vgl.Arist von Schlippe „Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung“ 2003). Im
Gespräch mit den LehrerInnen haben wir dann entschieden, dass wir den Versuch wagen und alle ihm
zumindest ein Semester Zeit geben, um etwas zu verändern.
Die Reaktion der MitschülerInnen auf Mile`s Eskapaden schwankte zwischen Angst und Verdruss und einer gewissen Faszination darüber, „was der sich traut“. Manche Burschen biederten sich an, um an seiner
Macht teil zu haben und seinen Schutz zu genießen. Es wurde sicherlich auch genau beobachtet, wie weit
er gehen konnte und wie die LehrerInnen darauf reagierten. Manchmal blitzten wie ein leichter Lichtschein
seine Aufrichtigkeit, sein Gerechtigkeitsempfinden und sein Charme durch die harte Schale und manche
MitschülerInnen und LehrerInnen mochten ihn auch.
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I-JOURNAL Jänner 2017
Zur „Psychotante“
Die Zeit, die notwendig gewesen wäre, um alle Vorfälle immer in Ruhe mit Mile zu besprechen, ist in der
Schule selten vorhanden, die LehrerInnen müssen in die nächste Klasse, zur Gangaufsicht, brauchen auch
einmal eine Verschnaufpause.
Als Beratungslehrerin habe ich die räumlichen und zeitlichen Ressourcen, um ausführlich und in Ruhe mit
einem Kind zu sprechen.
Beim ersten Termin mit mir war Mile sowohl neugierig, als auch widerspenstig. Er meinte, er wäre doch
nicht verrückt, warum er zur „Psychotante“ gehen müsse. Er tigerte durch den Raum, sah sich alles an,
nahm Spielsachen in die Hand, nahm gewissermaßen Besitz von meinen Sachen. Immer wieder schaute
er zu mir, vermutlich um zu sehen, ob ich Angst habe, dass er was kaputt macht oder klaut. Nach einer
Weile setzte er sich mit einem Holzpuzzle zu mir an den Tisch. Fast nebenbei redeten wir darüber, was ich
von ihm will und warum er hier ist. Wir haben dann vereinbart, dass er doch zumindest die Chance nützen
könnte, zu schauen, ob wir nicht doch gemeinsam eine Verbesserung seiner Situation hinbekommen.
Da Mile in einer WG lebte und das Sorgerecht beim Jugendamt war, genügte ein kurzes Telefonat mit
dem zuständigen Pädagogen, um das Einverständnis für eine integrative Betreuung zu erhalten. Die Mutter reagierte auf eine Einladung zu einem Gespräch mit einer Art müder Indifferenz - schon wieder eine
Person mit Sozial- oder Psycho-irgendwas im Titel - aber sie war zum Austausch bereit, was leider etwas
erschwert war durch die Tatsache, dass sie kaum Deutsch spricht. In dem mageren Dialog, den wir führten,
äußerte sie vor allem die Meinung, die österreichische Schule wäre viel zu lasch und zu wenig streng. Bei
der richtigen Hand würde Mile schon „funktionieren“. Ich hatte den Eindruck, sie dachte dabei an ihren Exmann, vor dem sie geflohen war und bei dem Mile vermutlich besser funktioniert hatte.
Mile kam dann mindestens einmal pro Woche zu mir, und ich erfuhr auch seine Vorgeschichte: Mutter
Ungarin, Vater slowakischer Roma. Mile und sein zwei Jahre jüngerer Bruder lebten bis zu Miles fünftem
Lebensjahr in Kosice/Slowakei. Der Vater herrschte mit brutaler Hand, für jede kleine Verfehlung gab es
Schläge. Deshalb floh die Mutter vor den massiven Gewaltausbrüchen mit den Kindern nach Wien.
Mile wurde in Wien eingeschult und lebte mit Mutter und Bruder, lernte ziemlich schnell Deutsch und fiel
vorerst nicht auf. Als er neun war, verständigte die Volksschule des Bruders das Jugendamt, weil dieser
immer wieder Spuren von Schlägen aufwies. Es stellte sich heraus, dass Mile den kleinen Bruder häufig
schlug, da er es zu seiner Aufgabe machte, als „ältester Mann“ in der Familie den Kleineren zu erziehen.
Auch die Mutter hatte Angst vor ihm und wagte nicht, einzugreifen. Mile wurde in einem Krisenzentrum und
dann in einer Wohngemeinschaft untergebracht.
Bei der Anamnese versuche ich, die möglicherweise unterschiedlichen Wirklichkeiten der beteiligten Menschen zu erfragen. Informationen des Kindes, der Eltern, der LehrerInnen, der SozialarbeiterInnen, usw.
können durchaus widersprüchlich sein oder das Augenmerk auf einen bestimmten Teilaspekt legen. Das
möglichst breit zu sammeln ergibt ein umfassendes Bild. Ich bemühe mich, jede beteiligte Person in ihrer
Wahrnehmung (Wirklichkeitskonstruktion) ernst zu nehmen. „Bestimmte Verhaltensweisen haben eine Geschichte und werden nur verstehbar, wenn wir uns die Mühe machen, die Zusammenhänge zu betrachten.
Das Verständnis kausaler Verkettungen zwischen der Lebensgeschichte und den Symptomen des Schülers ermöglicht bei den Lehrern eine andere Einstellung dem Schüler gegenüber.“ (Dellisch 1985, S. 262)
In Gesprächen mit Mile, den LehrerInnen, dem WG-Sozialpädagogen, der Mutter und der Jugendamtssozialarbeiterin kristallisierte sich langsam ein Bild heraus. Wobei vor allem Miles Selbstbild der Ausgangspunkt unserer Arbeit war. Sein Selbstbild war der starke Mile, der immer wieder unfair behandelt wurde und
manchmal – seiner Meinung nach völlig zu Recht – für Gerechtigkeit kämpfen musste. Zirkuläre Fragen,
was denn z.B. sein Betreuer oder die Mutter oder ein Mitschüler über einen bestimmten Vorfall erzählen
würden, brachten sein Selbstbild manchmal ins Wanken und waren Anstoß zu vielen fruchtbaren Gesprächen.
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Als ich ihn kennen lernte, war nach drei Jahren WG gerade die Rückführung in die Familie in Vorbereitung.
Gleichzeitig wurde erstmals auch erlaubt, dass er ab und zu ein Wochenende und die Ferien bei seinem
Vater in Kosice verbringen durfte. Seine Kindheitserfahrungen und jetzt all diese Veränderungen in seinem
Leben waren wohl mit ein Grund für sein zunehmend auffälliges Verhalten in der Schule. Seine Impulskontrolle und Frustrationsschwelle erreichten eine bisher nicht da gewesene Tiefe und der kleinste Funke konnte ihn zur Explosion bringen. Die LehrerInnen konnten sich seine Ausbrüche oft nicht erklären, und Mile war
in solchen Momenten auch nicht ansprechbar, schlug wild um sich und schimpfte obszön.
Das machte ihm selber sicherlich auch Angst, wobei er es nicht so formuliert hätte, da er kein Vokabular für
Gefühle hatte und sie bei sich und bei anderen kaum wahrnehmen konnte.
Wer braucht schon Gefühle?
Mile war auch sehr misstrauisch gegenüber Beziehungsanbahnungen der Lehrerin oder von mir. Manchmal
hatte ich das Gefühl, er provozierte es geradezu, dass wir ihn fallen lassen oder bestrafen. Es gelang ihm
nicht, darauf zu vertrauen, dass wir ihm Gutes wollen, ihn respektieren. Versuchsweise probierte er seinen
Charme und auch seine Einschüchterungstaktiken an mir aus – beides durchaus wirksam – und achtete auf
meine Reaktion. Es hat fast ein Vierteljahr gedauert, bis er sich auf eine Betreuungsbeziehung mit mir einlassen konnte und nicht mehr ständig provokant abtesten musste, wie ich auf welches Verhalten reagiere.
Da er nur schwer erklären konnte, was in ihm vorging, wenn er in Konfliktsituationen geriet, weil er tatsächlich keine Worte hatte für seine Befindlichkeiten, war das Anfangsthema unserer gemeinsamen Arbeit
„Gefühle“. An Hand unterschiedlicher Materialien und Spiele erarbeiteten wir einen Wortschatz für Gefühle,
im Spiel übte er, Gesichtsausdrücke und Körperhaltungen zu deuten und seine eigenen Signale zu erkennen. Dadurch entstand auch eine Empfindsamkeit seinen Gefühlen gegenüber. Er konnte sie besser
wahrnehmen und dadurch auch ein bisschen besser kontrollieren. Mile wollte auch selber gerne verstehen, warum immer wieder alles so völlig außer Kontrolle geriet. Wir versuchten, Vorfälle in der Klasse zu
analysieren – wie hat es angefangen, wo ist es eskaliert, was wäre eine Handlungsalternative gewesen
mit welchem möglichen Ausgang. Es wurde deutlich, dass die Konflikte häufig aus einem Missverständnis
heraus eskalierten und dass seiner Wut oft Gefühle von Angst oder Verunsicherung vorangingen. Bei simplen Meinungsverschiedenheiten hatte er schnell den Eindruck, andere machten sich über ihn lustig oder
hielten ihn für dumm. Auch wenn eine Lehrerin ihn zurechtwies oder auf einen Fehler hinwies, kam er sofort
in Bedrängnis. Ich vermute, da kam die Angst auf, sie könnten ihn „fallenlassen“. Da war dann schnell die
Wut da.
Er bezeichnete seine Wut als ein „wildes Pferd, das mit ihm durchgeht“. Dieses Bild bezeichnete sehr treffend seine Befindlichkeit in Krisensituationen, oft hatte ich ihn wie ein wildes, durchgehendes Pferd erlebt.
Dieses Bild war sehr hilfreich für eine Zielformulierung: Er muss als Reiter dieses Wutpferd kontrollieren
können, sonst wird es gefährlich für ihn und auch für andere.
Die erste Zeit zurück bei Mutter und Bruder war intensiv begleitet vom Jugendamt durch mobile Arbeit mit
Familien und einer Psychologin. In der Schule wurde es eher schwieriger, zu seiner Störung des Sozialverhaltens kamen auch noch Zu-Spät-Kommen und gelegentliches Schwänzen dazu. Die MitschülerInnen
murrten über seine ständigen „Extrawürste“ ohne Strafkonsequenzen und erklärten es sich selber damit,
dass er „halt im Kopf behindert ist“, was wieder Konflikte verursachte. Die LehrerInnen murrten über den
Aufwand, den er einforderte. Immer wieder waren Gespräche im Team notwendig, um wieder die Bereitschaft aufzubringen, es weiter mit ihm zu versuchen.
Abweichendes Verhalten und fehlende soziale Kompetenzen führen genauso oft zu frühzeitigem Bildungsabbruch wie Lernbeeinträchtigungen. (vgl. Nationaler Bildungsbericht 2015). Die langfristigen Konsequenzen eines fehlenden Schulabschlusses sind allen LehrerInnen bewusst, deshalb ist die Bereitschaft, ein
Kind trotz aller Mühe „mitzutragen“, meistens doch sehr groß. Das Engagement der LehrerInnen stößt
manchmal dort an die Grenzen, wo das Thema Schule, ihre Methoden und die Beziehung der um Intervention bemühten LehrerInnen zum Kind in den Fokus rückt. Mit manchen LehrerInnen lieferte Mile sich
erbitterte Machtkämpfe, mit anderen wieder hatte er eine Art Waffenstillstand, so lange sie ihn möglichst
wenig mit Anforderungen konfrontierten. Für seine Klassenvorständin war er sogar bereit, sich zumindest
zu bemühen. In ihren Stunden gab es auch selten Eskalationen.
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Miles Sichtweise war immer die Opferrolle. Die Anderen waren unfair, gemein, kränkend oder die LehrerInnen ungerecht. Damit begründete er meist sein Verhalten. Auch in den Gesprächen mit mir wurde er oft
heftig aufbrausend und laut und war äußerst angespannt. Manchmal kam er in den Raum und musste erst
einmal einige Male heftig gegen die Türe treten, ehe er erzählen konnte, was los war. Er selbst empfand
sich häufig als verspannt und „innerlich bebend“ und dass „er seinen Körper nicht spürt“. Er konnte auch
überhaupt nicht abschätzen, wie grob er war und dass manchmal eine durchaus freundlich gemeinte Berührung blaue Flecken bei dem anderen Kind verursachte. Auch Berührung selbst empfand er entweder gar
nicht, d.h. er merkte es z.B. lange nicht, wenn ich ihm die Hand auf den Arm legte, und wenn er es dann
merkte, entzog er sich sofort. Es gab Momente, wo seine Angespanntheit so sehr zu mir überschlug, dass
ich spürte, wie meine Schultern anfingen weh zu tun.
Softie oder Macho?
Als Versuch lud ich ihn zu Körper- und Atemübungen ein, was er zuerst völlig ablehnte, dann eher widerwillig ausprobierte und letztendlich überraschend positiv annahm. Das wurde dann ein Anfangsritual unserer
Stunden und ein deutlicher Wendepunkt in der Zusammenarbeit. Ich hatte den Eindruck, dass es ihm Freude machte, einzelne Körperteile bewusst zu spüren, mit dem Wechseln von Spannung und Entspannung
zu experimentieren. Plötzlich war eine neue – ihm bisher eher fremde – Möglichkeit der Empfindungswahrnehmung da, was bei ihm sehr gut funktionierte. Er lernte, auch die körperlichen Signale einer drohenden
Eskalation früher zu bemerken und darauf zu reagieren.
Als Mile dann nach über einem Jahr unserer Zusammenarbeit begann, einmal im Monat ein Wochenende
beim väterlichen Clan in der Slowakei zu verbringen, stellte sich plötzlich unsere Zielsetzung in Frage.
Er war nicht mehr sicher, ob er „so ein Softie“ sein wollte, den ich aus ihm machen möchte. Viel besser wäre
es, wenn alle Angst vor ihm hätten, ihn in Ruhe ließen und täten, was er sagt. Die neue Erfahrungswelt des
patriarchalen und gewaltreichen Systems der Vaterfamilie stellte völlig andere Anforderungen an ihn als die
Schule in Wien. Anerkennung und Bewunderung gab es für Härte und Brutalität, Schule war nicht wichtig
und Frauen hatten sowieso nichts zu melden. Er war auch ganz stolz darauf, dass sein Vater ihn jetzt nicht
mehr schlug, denn er wäre jetzt auch ein Mann. Der Widerstand gegen mich als Frau und als Vertreterin
des Systems „Schule“ wurde groß. Gleichzeitig war es ihm aber offensichtlich doch noch wichtig, weiter
mein Vertrauen und meine Wertschätzung zu bekommen - ein spürbarer Konflikt in ihm. Ich hatte den Eindruck, dass er zwischen den beiden Welten – seine Wochenenden bei der Vaterfamilie und sein Leben in
Wien – sehr zerrissen war. Er konnte den Vater, den er liebte und fürchtete nicht als „schlecht“ oder „böse“
ansehen, aber es war ihm doch auch bewusst, dass die ihm dort abverlangten Werte für seine Lebensplanung nicht hilfreich waren. Andererseits waren ihm aber die Ansprüche des Lebens in Wien und der Schule
oft zu viel und verlangten ein Maß an Anpassung und „Unterwerfung“, das er kaum aufbringen konnte.
Unsere Erfahrungswelten existieren innerhalb des sozialen Systems, in dem wir leben. Ein Zerrissensein
zwischen sehr unterschiedlichen Systemen kann sehr verunsichern. (Vgl. Molnar/Lindquist „Verhaltensprobleme in der Schule“ 1992)
Wer hat recht? Welche Werte sind die Richtigen? Wem kann/soll ich vertrauen? Wenn ich im „falschen“
System mehr Anerkennung und Zuwendung bekomme und das angeblich „richtige“ System nur Anstrengung und Frustration bedeutet, warum sollte sich jemand diese Anstrengung antun? Unser Schulsystem ist
oft sehr defizitorientiert, die bekanntermaßen wirksamen Methoden von Lob, Wertschätzung, Anerkennung
werden nicht immer angewandt. Manchmal frage ich mich selber auch, würde ich das aushalten, mich hier
wohlfühlen? Und dann verstehe ich die Kinder besser.
Für viele Wochen war das vorherrschende Thema dieser Widerspruch zwischen den sozialen Anforderungen in der Schule und den Eigenschaften, die in der Familie erwünscht waren. „Ein richtiger Mann lässt sich
nicht verarschen, da schlage ich zu“ war dann zum Beispiel eine der Aussagen, über deren Sinnhaftigkeit
und Richtigkeit wir fast ins Philosophieren kamen. Ich denke, für Mile war es ganz wichtig, dass er bei mir
solche Meinungen äußern durfte, ohne gleich deswegen abgewertet zu werden. Das eröffnete ihm die
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I-JOURNAL Jänner 2017
Chance, es selber zu hinterfragen und nicht nur vehement verteidigen zu müssen. Auch dieses „Switchen“
zwischen den Systemen war ihm leichter möglich. In Kosice konnte er den wilden Mann herauskehren und
in der Schule schaffte er es immer besser, nicht auf jede Provokation sofort mit Vollgas zu reagieren, sondern Dinge dann auch einfach einmal sein lassen zu können.
Im „Aufdröseln“ seiner Familienbeziehungen sprach Mile vor allem auf die Methode des Ressourcen-Kosmos gut an (vgl. Habiba Kreszmeier „Wagnisse des Lernens“ 2000). Damit konnte er gut nachfühlen „wer
und was ist gut für mich, wer/was nicht?“
Der letzte Knackpunkt war dann am Anfang der vierten Klasse das Formulieren einer Zukunftsvision. Was
will er erreichen, was braucht es dazu? Diese Zukunftsorientierung war für Mile immer wieder hilfreich,
wenn er „schlechte“ Phasen hatte oder der Resignation nahe war. Er wollte den Schulabschluss schaffen
und eine Lehre machen, und verstand, dass es auch an ihm lag, etwas dafür zu tun.
Er hatte aber auch das Glück, dass auch seine klassenführende Lehrerin die Hoffnung nicht verlor und ihm
immer wertschätzend gegenüber stand. Sie verurteilte oft deutlich seine Handlungen, nicht aber ihn als
Person und vermittelte ihm das Gefühl, dass er es schaffen kann.
Es hängt in einem großen Ausmaß von den beteiligten handelnden Personen ab, ob ein Kind eine Chance
hat oder nicht. Miles LehrerInnen waren voll Vertrauen, dass Veränderung möglich ist, wenn man sie von
den Rahmenbedingungen her überhaupt erst möglich macht. Mile in der Klasse zu behalten, ihn auch den
MitschülerInnen zuzumuten war ein heikler Balanceakt und erforderte viel Zuversicht und Geduld. Schließlich hat er – zwar knapp aber doch – seinen Abschluss geschafft und heute schon zwei Jahre Mechanikerlehre geschafft.
Mag. Dipl.Päd. Monika Dundler
Beratungslehrerin für das ZIS 11
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Abenteuer vom kleinen Bären
und andere Gruselgeschichten
In den folgenden Fallvignetten werden Entwicklungsprozesse von Kindern beschrieben, in denen der Beitrag der Beratungslehrerin als Teil eines haltenden schulischen Umfeldes eine wesentliche Rolle spielt.
Hier fungiert die Beratungslehrerin als Übertragungsobjekt und das Beratungszimmer als metaphorischer
Raum, in dem die innere Welt der Kinder wahrgenommen und im Spiel ausgedrückt werden kann. Diese
Art von Beziehungsarbeit erfordert zeitliche Ressourcen, persönliche Qualifikation, Engagement und Geduld seitens der Beratungslehrerin sowie Kooperationsbereitschaft, Verständnis und Durchhaltevermögen
seitens der betreuten Schule.
Susanna wird mir von den zwei Lehrerinnen einer Integrationsklasse kurz nach dem Schuleintritt mit
sechseinhalb Jahren vorgestellt. Sie wird wegen Entwicklungsverzögerung als Integrationskind geführt und
imponiert sehr schnell durch ihr extrem auffälliges Verhalten. Sie verweigert die Arbeit sehr oft, hält sich
nicht an Regeln und überschreitet regelmäßig Grenzen im Kontakt mit MitschülerInnen und LehrerInnen.
Z.B. ist es ganz schwer, sie vom Spielplatz wegzubewegen. Einer Klassenkollegin gibt sie unvorbereitet einen Zungenkuss, mit einem Buben kuschelt sie im Turnsaal unter der Decke, packt dann seinen Penis aus
und greift ihn an. Allgemein wirkt sie sehr sexualisiert, sucht Körperkontakt, ist dabei distanzlos, oft bockig,
kann sich vom Vater in der Früh schwer trennen. Ihr vitales, kontaktfreudiges, oft fröhliches Wesen hat für
ihre Bezugspersonen in Schule und Hort aber offensichtlich auch etwas Gewinnendes, so dass es mit vereinten Kräften doch gelingt, sie in der Gruppe zu halten. Erstaunlich sind auch ihre kognitiven Fortschritte.
Artikuliert sie sich zu Schulbeginn noch in recht unverständlichen Zweiwortsätzen, kann sie am Ende des
Schuljahres schon in zusammenhängenden Sätzen Erlebnisse erzählen. Einerseits sind die Klassenlehrerinnen sehr um Förderung der sozialen und kommunikativen Kompetenzen in der Klasse bemüht, andererseits bekommt Susanna intensive Einzelbetreuung durch die Sprachheillehrerin (eine Wochenstunde) und
die Beratungslehrerin (zwei Wochenstunden).
Im Einzelkontakt zeigt sie sich sehr kontaktfreudig, ist aber schwer zu verstehen und in ihrer Aufmerksamkeit sprunghaft. Ihre ältere Schwester bezeichnet sie als Tochter, von ihr spricht sie oft. Die Zeichenutensilien nimmt sie sofort dankbar an, wobei sie zu Beginn noch sehr fragmentiert zeichnet, Teile des Gesichts
und des Körpers liegen noch unzusammenhängend nebeneinander. Am Ende des 1. Schuljahres gelingen
schon Kopffüßler mit ausdrucksvollem Gesicht, bunte abstrakte Gebilde mit Wasserfarben und schließlich
Buchstaben. Ab dem 3. Schuljahr entdeckt sie das Schreiben, verfasst in der Klasse Liebesbriefe und kommuniziert auch mit mir in den Stunden phasenweise schriftlich. Schließlich kann sie sich so gut artikulieren,
dass sie den Verdacht der Lehrerinnen bestätigt und während eines Krankenhausaufenthaltes der Mutter
von sexuell übergriffigem Verhalten seitens des Vaters erzählt. Bald wird über das Jugendamt eine Unterbringung in einer WG initiiert, ein Verbleib im Klassenverband ist zum Glück möglich. In den schwierigen
Monaten der Umstellung, in denen es zwar regelmäßig Besuche durch die Mutter gibt, gegen den Vater
allerdings ein Kontaktverbot verfügt wird, sind die begleitenden, regelmäßigen Helferkonferenzen für alle
Beteiligten eine sehr wichtige Unterstützung.
Susanna stabilisiert sich aber zunehmend und kann bald relativ differenziert über ihre WG-KollegInnen und
BetreuerInnen berichten, die WG sogar als ihr Zuhause bezeichnen. Da der Lerndruck steigt und ihre Symptomatik sich deutlich bessert, wird die Betreuung durch die Beratungslehrerin ab der 3. Klasse auf eine
Stunde pro Woche herabgesetzt. Auch den Lehrerinnen fällt auf, dass sie ihre Wünsche besser formulieren
kann und lernt, sich abzugrenzen und mit triebhaften Impulsen und zärtlichen Tendenzen auch anders,
auf einer nicht körperlichen Ebene, umzugehen, z.B. per Brief. Ein wichtiger Schritt in der psychischen
Entwicklung, die Symbolisierungsfähigkeit, konnte vollzogen werden. Gefühle und Ereignisse können also
gedacht, ausgesprochen, geschrieben, vielleicht auch gespielt werden, und müssen daher nicht unmittelbar ausagiert werden.
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Andreas fällt durch regelmäßige Zornanfälle, sowohl in der Klasse als auch zuhause auf. Da werden
schon einmal von KlassenkollegInnen gebastelte Gegenstände zertreten, Sessel mit Uhu beschmiert, Kinder mit Pinnadeln gepiekst, fliegt vielleicht auch eine Schere durch die Gegend. Im Erstkontakt erzählt er
mir von einem roten Teufel in seinem Kopf, zeichnet einen Vulkan und ein Maxerl, das eine Bombe zündet
und „sich sterben lässt“. So explosiv wie er sich mir präsentiert und wie Mutter und Lehrerinnen ihn mir beschreiben, bleibt er lange Zeit, und die Stunden mit ihm, die 2x/Woche stattfinden, sind auch für mich sehr
anstrengend. Wenn er in einem Spiel verliert, schmeißt er es blitzschnell durchs Zimmer oder wirft Sessel
oder Tische um. Ähnliches passiert oft vor Stundenenden. Auch ich fühle mich dadurch gestresst, und ich
verstehe die Anspannung, unter der die Mutter permanent steht. Das kann diese allerdings erst nach ca.
eineinhalb Jahren zugeben, indem sie nämlich von einer Besserung berichtet. Sie stellt fest, dass Andreas
schon manchmal Begründungen für seine Zornanfälle angeben und damit Zusammenhänge zwischen einer sozialen Situation und seinen Gefühlen herstellen kann. Dass sich die Anfälle jetzt vom Alltagsgeschehen abheben und man teilweise den Grund verstehen kann, wird von der Mutter als Fortschritt gewertet.
Diese Sensibilität, die die Mutter zuerst das Beziehungsgeschehen zwischen sich und ihrem Sohn und
dann Andreas’ Fortschritt wahrnehmen und verstehen lässt, kann in vielen Beratungsgesprächen, die alle
zwei Wochen in einer außerschulischen Institution stattfinden, erworben werden.
Der Schulwechsel ist schließlich unausweichlich, bedeutet aber eine Entlastung, weil Andreas jetzt in einer
kleineren Gruppe unterrichtet werden kann. Es gelingt, eine Klasse zu finden, die nahe meiner Zweitschule untergebracht ist, was eine Fortsetzung der Betreuung durch mich ermöglicht. Diese für ihn schwierige Trennung wird von ihm in Form von Wollfäden, die er zwischen die Gegenstände in meinem Zimmer
spannt, dargestellt. Hier kann die Angst vor dem Fallengelassenwerden und der Wunsch nach Verbindung
und Konstanz ausgedrückt werden. Die neue, ruhigere Klassensituation stabilisiert ihn und es gelingt mir,
immer wieder seinen Frust bei Misserfolgen in Spielen und den regelmäßigen Trennungen von mir vorwegzunehmen, also schwierige Gefühle für ihn zu formulieren und dadurch erträglicher zu machen.
„Und was hättest du gemacht, wenn du diese Runde verloren hättest,“ frage ich ihn einmal am Ende eines
Spiels. „Dann hätte ich die Spielanleitung zerrissen.“ Diese Formulierung im Konjunktiv zeugt schon von einem gewissen Abstraktionsvermögen, und lässt auf eine wachsende Fähigkeit des Triebaufschubs hoffen.
Tom braucht meine Unterstützung wegen seines impulsiven Verhaltens und seiner Kontaktschwierigkeiten
in der Klasse. Die beschriebenen Probleme zeigen sich auch im Einzelkontakt, der Hintergrund seines hohen Spannungsniveaus wird aber erst im Lauf der Zeit für mich besser verstehbar.
Im verdunkelten Zimmer verschwindet er hinter einer immer wieder heruntergelassenen Tuchtafel und erinnert sich dann an frühere nächtliche Ängste, von Menschen und Wölfen verschluckt und entführt zu werden. Plötzlich liegt er regungslos am Boden und kommentiert die Situation wie folgt: “Ein Kind ist ermordet
worden durch Brustschuss vom schwarzen Dämon.“ Den Geist des erschossenen Kindes bezeichnet er
als das „schwarze Nichts“, das Sachen vernichten und neue daraus entstehen lassen kann. Er (der Geist)
selber wird zum „Geist der Gewissheit“, zum Vampir und zum Geisterhund.
Dieser Szene sind lange mühsame Phasen vorausgegangen, in denen Tom gewütet hat, weil ich ihn frustriere, weil ich keinen Fernseher im Zimmer habe, keine Pizza für ihn, Stunden absage bzw. mit anderen
Kindern verbringe. Er agiert vorerst seine Wut, indem er Sachen aus meinem Kasten wirft, Wasser auf den
Boden leert, die Inititalen eines Konkurrenten (anderes Betreuungskind) überall im Zimmer anbringt. Des
öfteren muss ich ihn an die Regeln erinnern und diese sogar verschärfen, indem ich heikle Gegenstände
ausschließe. Im Lauf der Zeit kann er die heftigen Gefühle aber auch szenisch ausdrücken. Er bastelt Bomben, plant die Schule in Brand zu setzen, immer wieder spielen wir Geister, Vampire, einäugige Monster, die
unheimliche Geräusche im zeitweise verdunkelten Zimmer machen. Schließlich diktiert er mir über Stunden
eine Fortsetzungsgeschichte, in der ein kleiner Bär allerlei schreckliche Abenteuer erlebt, wie Erdbeben,
Flugzeugentführungen, Bedrohung durch Haie.
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Wenn es auch ein langer mühevoller Weg über zweieinhalb Jahre ist, kann er mir doch seinen tiefen
Schmerz, seine Angst und seinen Zorn über das Verlassenwerden durch seine Mutter unmittelbar nach
der Geburt zuerst durch sein Ausagieren der Gefühle mir gegenüber, dann durch symbolische Darstellung
seiner Geschichte im Spiel und in den Geschichten mitteilen und dadurch innerlich ruhiger werden.
Seine Konzentrationsschwierigkeiten und unkontrollierten Zornausbrüche sowie die regelmäßigen Albträume sind am Ende seiner Volksschulzeit kein Thema mehr. Das „innere Chaos“, von dem die Pflegemutter
zu Beginn spricht, weicht dem Gefühl des Pflegevaters, „dass sich das Rad jetzt wieder richtig dreht“, und
die beiden sehen dem bevorstehenden Wechsel in die Mittelschule zuversichtlich entgegen.
Die drei kurzen Fallvignetten spiegeln die Vielfalt und Komplexität des Arbeitsfeldes der BeratungslehrerInnen und PsychagogInnen wider, wo es rund um die Betreuung von SchülerInnen einmal um Vernetzung mit
außerschulischen Institutionen, einmal um einfühlsame Begleitung von Eltern oder um intensive Kooperation mit LehrerInnen gehen kann, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen jedoch immer die Interessen
des Kindes oder des Jugendlichen.
Hemma Stallegger-Dressel, MSc
langjährige Tätigkeit als Beratungslehrerin sowie als Supervisorin im Pflichtschulbereich,
Psychotherapeutin (Psychoanalyse) in freier Praxis
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Das Spiel um „Leben“ und „Seelen“
Obwohl BeratungslehrerInnen und Psychagogische BetreuerInnen bzw. PsychagogInnen seit vier Jahrzehnten im Zuständigkeitsbereich des Stadtschulrates für Wien tätig sind, ist die Existenz dieser Berufsgruppe kaum im „öffentlichen Bewusstsein“ verankert und es gibt nur wenige Veröffentlichungen, die unter
Einbeziehung kasuistischer Berichte Einblick in deren Arbeitsbereiche geben. (vgl. Datler u.a. 2011, 6f) Die
folgende kurze, exemplarische Darstellung einer langfristigen psychagogischen Betreuung eines Kindes
mit erheblichen emotionalen und sozialen Problemen (und seiner Bezugspersonen aus dem familiären und
schulischen Umfeld) soll dazu beitragen, eine Vorstellung von diesem komplexen Arbeitsfeld zu gewinnen.
Marcel1, ein blasser, auffallend hochgewachsener, schlaksiger und motorisch unruhiger Junge, besucht
eine vierte Klasse einer Neuen Mittelschule in Wien und fällt bereits zu Beginn der ersten Klasse einerseits
durch massiv verweigerndes, andererseits sowohl durch selbst- als auch MitschülerInnen verletzendes
Verhalten auf. So weigert er sich in manchen Gegenständen über lange Strecken mitzuschreiben oder in
irgendeiner Weise auf die Anforderungen der LehrerInnen einzugehen. Wie aus heiterem Himmel kommt
es zu Aggressionsdurchbrüchen, so schlägt er beispielsweise einem Mitschüler mit dem Hausschuh massiv ins Gesicht. Solche Vorfälle sind nur schwer vermeidbar und mit dem Jungen nicht besprechbar. Auch
Berichte aus der Volksschulzeit geben Anlass zu großer Beunruhigung. So ist unter anderem von minutenlangem Schlagen seines Kopfes gegen einen Heizkörper zu lesen. Bereits zu Beginn der ersten Klasse
wird der Mutter des Buben seitens der Schule eine kontinuierliche psychagogische Betreuung nahe gelegt,
jedoch sollte es dazu erst etwas später kommen.
Werfen wir jedoch zuvor einen Blick auf die Biografie des Kindes, um eine Vorstellung davon zu gewinnen, welche bedeutsamen Beziehungserfahrungen der Junge bisher gemacht hat und in welcher Weise
die innerpsychische Verarbeitung dieser Erfahrung in die Ausbildung der aktuell gegebenen psychischen
Strukturen eingegangen sein könnte. (vgl. Datler/Winiger 2010, 230f).
Marcels Leben ist von Beziehungsabbrüchen, Gewalt und Diskontinuität gekennzeichnet. In der Vorgeschichte des Kindes finden sich massive körperliche Übergriffe des Vaters sowohl auf das Kind als auch auf
die Mutter, die Trennung der Eltern, als das Kind dreieinhalb Jahre alt ist, der Kontaktabbruch zum Vater,
zwei Schulwechsel in der Volksschule, der Kontaktabbruch zum Großvater im Rahmen einer Intervention
des (durch die Schule eingeschalteten) Amtes für Jugend und Familie, Therapieabbrüche - die Liste ließe
sich noch weiter fortsetzen. Auch in der Biografie der Mutter finden sich ähnlich traumatische Erfahrungen
wie Gewalt, Vernachlässigung und Heimunterbringung. Im Rahmen einer klinisch-psychologischen Begutachtung des Jungen werden eine posttraumatische Belastungsstörung und ein Begabungsniveau im überdurchschnittlichen Bereich diagnostiziert, weiters wird eine Psychotherapie empfohlen.
Der Beginn der Betreuung gestaltet sich vor allem aus zwei Gründen als schwierig: Einerseits befindet
sich das Kind zu Beginn der ersten Klasse Mittelschule in einer Gruppentherapie und es gilt abzuklären,
inwieweit eine zusätzliche Betreuung unterstützend sein kann. Bevor es jedoch dazu kommt, wird Marcel
aufgrund seines Verhaltens vom therapeutischen Geschehen ausgeschlossen. Andererseits sind seitens
der Mutter Abwehr und Widerstände spürbar. Ihre Vorbehalte begründet sie damit, dass sie therapeutische
Unterstützung noch nie als hilfreich erleben konnte, sie habe ihr Leben aus eigener Kraft „in den Griff“
bekommen. Aufgrund zunehmender Schwierigkeiten in der Mittelschule und der Interventionen der sehr
engagierten Klassenlehrerin stimmt die Mutter zunächst einem Gespräch mit mir und in Folge einer kontinuierlichen wöchentlichen Einzelfallarbeit im schulischen Kontext zu.
1 Name anonymisiert
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So lerne ich Ende des ersten Semesters der ersten Klasse Marcel kennen. Der Bub geht bereitwillig mit mir
mit, verweigert das Gespräch, probiert jedoch neugierig alle vorhandenen Spiele aus. Besonderes Interesse zeigt er an Jonglierbällen und an Dingen, die als Wurfgeschoße zu gebrauchen sind. Er beginnt mich mit
Softbällen, Papierfliegern oder Wollknäuel abzuschießen und fordert mich auf ihn zu treffen. So kristallisiert
sich nach einigen Stunden eine Form des Spiels heraus, die uns in verschiedensten Varianten und Intensitäten bis heute begleitet: das Abschießen. Marcel stellt unterschiedliche Spielregeln auf, modifiziert diese
permanent, überlegt sich (oft auch bereits zuhause) Strategien – und er beginnt um „Leben“ und „Seelen“
zu spielen. Er duldet zu Beginn der Betreuung keine von mir aufgestellten Regeln, ist sowohl körperlich
als auch verbal grob, es dominieren Abwertungen (vor allem, wenn ich aufgrund der Komplexität seinen
Regeln nicht mehr folgen kann), und das Beenden der Stunde ist insofern schwierig, als er regelrecht um
„Verlängerung“ des Spiels kämpft. Wenn ich ihn mit dem Ball treffe und mich entschuldige, erklärt er, ohnehin keinen Schmerz zu verspüren und untermauert das, indem er mit voller Wucht auf seinen Körper
trommelt. Werde ich getroffen und zeige, dass mir das weh tut und er Grenzen überschreitet, lacht er oder
legt sich mit angezogenen Beinen auf den Rücken und fordert mich auf, auf ihn zu schießen. Immer und
immer wieder wiederholt sich dieses Spiel.
Es sind Stunden, die mich extrem fordern, die Gefühle wie Hilflosigkeit und Ohnmacht, Ungeduld und
Zweifel aber auch Ärger über seine Grobheit auslösen. Beim Versuch des differenzierten, professionellen
Verstehens2 (vor allem auch im Rahmen der Einzelsupervision) dieser psychischen Prozesse in ihrer bewussten wie unbewussten Dimension ebenso wie in ihrer aktuell und lebensgeschichtlich ausmachbaren
Bedeutung (vgl. Gstach/Sieber-Mayr/Datler 1993, 152) taucht eine Vielzahl von Fragen auf, beispielsweise:
Was mag in einem Jungen vorgehen, der massive Gewalt seitens seines Vaters erleben muss und versucht, seine Mutter zu schützen? Wie mag der dreieinhalbjährige Junge – bewusst und unbewusst - die
Trennung seiner Eltern und den darauffolgenden Kontaktabbruch zum Vater erlebt haben und wie könnte
sich dieser auf seine psychosoziale Entwicklung auswirken? Der Kontaktabbruch kann aus entwicklungspsychologischer Perspektive als Verlust eines „Triangulierungsobjektes“3 (Figdor 2012, 41) und einer Identifikationsfigur, wichtig vor allem auch, um ödipalen Ängsten zu entgehen (vgl. Figdor 2012, 24), betrachtet
werden und könnte auch mit massiven Schuldgefühlen besetzt sein. Der Kontaktabbruch ermöglicht es
dem Jungen weiters nicht, reale Erfahrungen zu machen, die zu differenzierteren Bildern führen, sowohl
des Vaters, als auch jenes Teiles des Selbstbildes, das mit dem „bösen“ und als gewalttätig erlebten Vater
verknüpft ist. (vgl. Figdor 2012, 41) Wie ist angesichts der Kenntnis seiner lebensbiografischen Hintergründe, der massiv erlebten Gewalt und der Vielzahl an Beziehungsabbrüchen, der symbolische Gehalt seiner
Spielauswahl zu verstehen?
Die Liste der Fragen ließe sich fortsetzen und im Prozess des Erwägens und Reflektierens eröffnen sich
auch immer wieder neue „Rätsel“, jedoch möchte ich nun den Blick wieder auf dieses Spiel um „Leben“
und „Seelen“ richten. Dieses Spiel und der unerbittliche Kampf um dessen Kontrolle sind für Marcel offensichtlich so dringlich, dass ich mich dafür entscheide, mich vorerst samt seiner aufgestellten Regeln
darauf einzulassen – Selbstreflexion und permanente, theoriegeleitete Versuche des Verstehens ermöglichen mir allerdings eine spezifischen Haltung: Ich fungiere als eine für den Jungen konstante, Sicherheit
gewährleistende, ihn beschützende aber auch mich schützende und ihm deutende Rückmeldung gebende
Interaktionspartnerin. Ich halte seine Angriffe aus, „überlebe“ seine Destruktivität (vgl. Winnicott 1971, 107),
verhalte mich für ihn berechenbar und lasse mich nicht zu einem Abbruch der Beziehung provozieren. Nur
dadurch können in diesem geschützten Rahmen für den Jungen „korrigierende Erfahrungen“ (Muck 1993,
57) möglich werden.
2 An dieser Stelle sei angemerkt, dass psychoanalytisch-pädagogisches Fallverstehen auf bestimmten Annahmen basiert, wie der Annahme
von unbewussten Prozessen, von psychischen Strukturen oder von Übertragung- und Gegenübertragungstendenzen..
Das Übertragungskonzept hilft, Zusammenhänge zwischen lebensgeschichtlichen Hintergründen und aktuellem Erleben und Verhalten herzustellen, denn ein Charakteristikum psychoanalytisch-pädagogischen Denkens ist, dass in früheren Situationen ausgebildete Erlebnis- und Verhaltensweisen auf aktuelle Situationen „übertragen“ werden können. Legt man das Konzept der Gegenübertragung auf die psychagogische Situation um,
bedeutet das, dass Prozesse im „Inneren“ des/der Psychagogen/in (sogenannte unbewusste „Gegenübertragungsprozesse“, die „Reaktionen“
auf Aktivitäten darstellen, die unbewusst von Schülern gesetzt werden) einen Zugang zum Verstehen des „Innenlebens“ von Kindern eröffnen
können. (vgl. Gstach/Sieber-Mayr/Datler 1993, 150f)
3 Triangulierung bedeutet, dass durch den Vater als „drittes Objekt“ die Dyade zwischen Mutter und Kind allmählich zur Triade erweitert wird.
(vgl. Figdor 2012, 27)
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Nach für mich endlos scheinenden, langwierigen Wiederholungen dieses Spiels zeichnen sich dann erste
markante Veränderungen ab. Marcel baut eine Art Frage-Antwort-Spiel ein: Wer fünfmal den anderen trifft,
darf diesem eine Frage stellen. Auf diese Art und Weise beginnt er Fragmente des Erlebten zu erzählen.
Stück für Stück gewährt er mir Einblick in seine Lebenswelt. Nach Monaten fordert Marcel dann eine Variante des Spiels ein, die mich besonders berührt: Abschießen mit geschlossenen Augen - und er zeigt beim
Schießen allergrößte Vorsicht und beim Abgeschossenwerden Vertrauen.
Und nun – zweieinhalb Jahre später? Mittlerweile nimmt dieses Abschießen viel weniger Zeit und Raum
ein. Es fällt Marcel zwar vieles noch schwer und sein Verhalten ist eine große Herausforderung für die
LehrerInnen, jedoch agiert er umsichtiger und rücksichtsvoller, seine Reaktionen werden zunehmend emotionaler und sozial adäquater und wir führen nun in den Betreuungsstunden gemeinsam Regie. Marcels
Mutter, die angesichts ihrer bisherigen Erfahrungen eine ihr nahe gelegte Psychotherapie ablehnt, kann
jedoch das niederschwellige Angebot im schulischen Kontext gut annehmen und fühlt sich – auch dank
einer sehr kooperativen klassenführenden Lehrerin - einbezogen, zumal sich die Situation sowohl zuhause
als auch in der Schule deutlich entspannt.
Literatur
Datler, Wilfried/ Laggner, Barbara/ Ressel, Ulrike/ Reyer, Wolfgang/ Stallegger-Dressl, Hemma/ Tomandl,
Christine (2011): Von Gratwanderungen zwischen Scheitern und Gelingen. Vignetten aus dem psychagogischen Arbeitsfeld im Kontext von Schule. In: Heilpädagogik 54/Heft 4, 6-13
Datler, W., Wininger, M. (2010): Psychoanalytisches Fallverstehen als sonderpädagogische
Kompetenz. In: Ahrbeck, B., William, M. (Hrsg.): Pädagogik bei Verhaltensstörungen. Ein Handbuch. Kohlhammer: Stuttgart, 226-235
Figdor, Helmuth (2012): Patient Scheidungsfamilie. Ein Ratgeber für professionelle Helfer. PsychosozialVerlag: Gießen
Gstach, Johannes/ Sieber-Mayr, Birgit/ Datler, Wilfried (1993): Psychoanalytische Pädagogik in der Schule.
In: Gangl, H./ Kurz, R.,/ Scheipl, J. (Hrsg.): Brennpunkt Schule - ein psychohygienischer Leitfaden.
Pädagogischer Verlag Eugen Ketterl: Wien, 148-158
Muck, Mario (1993): Psychoanalytisches Basiswissen. In: Trescher, H.-G./Muck, M. (Hrsg.): Grundlagen
der Psychoanalytischen Pädagogik. Matthias-Grünewald-Verlag: Mainz, 13-62
Winnicott, Donald W. (1971): Objektverwendung und Identifizierung. In: Winnicott, D.W.: Vom Spiel zur
Kreativität. Klett-Cotta: Stuttgart 2010, 12. Auflage, 101-110
MMag. Schöllhammer Nicole MA
Hauptschullehrerin, Psychagogin, Psychologin
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Du bist ewig für das verantwortlich,
was du dir vertraut gemacht hast.
Du bist für deine Rose verantwortlich.
Aus: Le Petit Prince
Antoine de Saint-Exupéry
Mein Rosenbusch
Interdisziplinäre und schulartenübergreifende Begleitung
eines verhaltensauffälligen Kindes
„Wie viele Berührungen brauchst du heute?“ So begann drei Jahre lang jede Beratungsstunde mit Conrad.
Wir zählten jedes Mal die Anzahl der Wandkontakte, die der Junge benötigte, um den kurzen Weg von seiner Klasse bis zu meinem Beratungszimmer zu bewerkstelligen. Conrads schlapper Muskeltonus und sein
hoch empfindliches Gleichgewichtsorgan ließen ihn zu Beginn unserer Arbeit mehr an der Wand entlang
gleiten als frei gehen zu können. Auch das aufrechte Sitzen fiel ihm schwer, die meiste Zeit fand man den
Jungen in der „liegenden Sitzhaltung“ wieder: sein linker Arm auf dem Tisch ausgestreckt, der Kopf darauf
liegend, rechtshändig widerwillig schreibend, mehrheitlich aber seine Stifte zerbeißend und zerbrechend.
Damit zeigte der Bub u.a. die Reste eines sehr frühen Reaktionsmusters,
dem Symmetrisch Tonischen Nackenreflex (STNR). „Frühkindliche Reflexe
bilden das natürliche Bewegungsprogramm für die notwendige Reifung von
Bewegung, Wahrnehmung, Sprache, Lernen, und Verhalten.
Abbildung 1:
Typische Arbeitshaltung bei
Fortbestehen des STNR
Bleiben sie über ihren Zeitpunkt hinaus aktiv, so deutet dies auf eine Unreife
des Zentralnervensystems hin und beeinträchtigt die Bewegungs-und Wahrnehmungsentwicklung des Kindes. Lern- und Verhaltensschwierigkeiten sind
häufige Folgen.“1
Dieser Reflex muss bei der Geburt vorhanden sein und soll „das Neugeborene dazu befähigen, sich gleich
nach der Geburt über den Bauch der Mutter zur Brust hoch zu bewegen…. Später dann hilft dieser Reflex
dem Baby die Schwerkraft zu bewältigen, wenn es sich zwischen dem 8. und 11. Lebensmonat aus der
Bauchlage auf Hände und Knie aufrichtet.“2 Geschieht die Rückbildung danach zugunsten eines reifen
Krabbelmusters nicht, ist das ein eindeutiger Hinweis auf neurologische Unreife.
1 http://www.praxisanjawerner.de/Dateien/Praesentation%20Fruehkindliche%20Reflexe%20Folien%2006.2011.pdf, Zugriff 21.06.2016; 14:39
2 Sally Goddard Blythe, Greifen und BeGreifen, VAK Verlag 2011, S. 51
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Ein nicht aufgelöster STNR bewirkt bei den meisten Kindern Symptome wie
•
Tendenz, beim Sitzen zusammenzusacken
•
Zehenspitzengang, affenähnlicher Gang
•
langsames Abschreiben (auch von der Tafel)
•
Probleme beim Fokussieren (von Fern- zu Nahsicht)
•
schlechte Haltung; das Beibehalten der Sitzposition ist anstrengend – dies führt zu motorischer
Unruhe, ähnlich der ADHS-Symptome
Nachdem alle Symptome bei Conrad zu sehen waren, bat ich um dringende ergotherapeutische Begutachtung und Unterstützung. Der Junge besuchte widerwilligst acht Therapieeinheiten – danach brach die
Familie die Behandlung ab, da es nicht mehr möglich erschien, den verweigernden Jungen zum Besuch
der Praxis zu bewegen.
Im Frühling des ersten Schuljahres terminisierte die Mutter eine funktional-optometristische Überprüfung.
Die hier erhobenen Messergebnisse bestätigten meinen Verdacht, dass der Junge nicht nur massive Probleme bei der Akkommodation (Fern-Nahsprung der Augen) und der Fixation, sondern auch eine massive
Winkelfehlsichtigkeit von über 10 Winkeldioptrien hatte! Dass Lesen und Schreiben mit einer derartigen
Wahrnehmungsverarbeitungsstörung Schwerstarbeit war, war nun allen Beteiligten erklärlich geworden.
Leider war Conrad zu diesem Zeitpunkt nicht bereit, die notwendigen Augenübungen im Ausmaß von etwa
10 Minuten täglich durchzuführen. Alles war ihm zu viel, zu schwer, zu aufwändig, sinnlos, ...
In Zusammenarbeit mit den Eltern entschied die Schule die Umstufung im Spätherbst des 2. Schuljahres
in eine neuerliche erste Klasse. Das „Unter-dem-Tisch-sitzen“ wurde weniger, nicht aber die Tendenz, jeglicher Anstrengung aus dem Weg zu gehen. Aus diesem Grund „hafteten“ die Bemühungen der Kleingruppen- und Einzelförderung der Stützlehrerin auch nur wenig.
Die Beratungsstunden nahm Conrad gerne in Anspruch, da sie ein Entkommen aus der Arbeitssituation der
Klasse bedeuteten. Neben dem beharrlichen Versuch, das Selbstbewusstsein des Kindes zu stärken, bot
ich Conrad verstärkt Elemente der Sensorischen Integration und der sensomotorischen Wahrnehmungsförderung an. Das Spielen und Experimentieren mit Therapiesand, Rasierschaum, Gelkügelchen und ähnlichen Materialien blieben bis zum Schluss eine Herausforderung für ihn! Bewegungsübungen mit Tooties3
konnte er gut annehmen. Als ich gegen Ende der 4. Klasse mehr und mehr schulisches Lernen in meine
Arbeit einfließen lassen wollte, stieß ich – genauso wie die Pädagoginnen des Hortes, die Mutter und die
Großmutter – auf massiven Widerstand. Zu schwer, zu viel, zu aufwändig, zu anstrengend, …
Die Suche nach einer passenden weiterführenden Schule gestaltete sich als beschwerlich, da es gelingen
musste, die Vorstellungen der Familie bezüglich der zu erwartenden Peer-group und die äußerst schwachen schulischen Fähigkeiten und Fertigkeiten des Elfjährigen miteinander zu vereinen. Sie entschieden
sich für eine private NMS.
Brigitta Bruckner-Heimbach
3 Tooties = Bewegungsorientiertes Lern- und Fördermaterial - www.tooties.at
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I-JOURNAL Jänner 2017
Wie ging es weiter ...
15 Monate später lernte ich Conrad, seine Mutter und seine Geschichte im Zuge meiner Tätigkeit als Beratungslehrerin an einer öffentlichen NMS kennen. Er wurde, nachdem er die 1. Klasse NMS in einer Privatschule in einigen Fächern negativ abschloss, bei uns eingeschult. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Conrad
also im 7. (!) Schuljahr und besuchte die 5. Schulstufe.
Wie schon von meiner Kollegin beschrieben, gestaltete sich die Auswahl einer entsprechenden weiterführenden Schule nach der VS als äußerst schwierig.
Bereits nach wenigen Schulwochen in dieser Schule wies Conrad auf Grund seiner ständig vorhandenen
Überforderung psychische Sekundärsymptome auf, die sich in Angst- und Panikzuständen, sowie einem
aggressiven Verhaltensmuster zu Hause äußerten.
Freizeitaktivitäten, bzw. soziale Kontakte außerhalb der Schule fanden praktisch nicht statt, da die Zeit dafür gebraucht wurde, etwaige Schul- und Hausaufgaben zu bewerkstelligen.
Die schulischen Erfolge blieben trotzdem aus, Unterstützungsangebote wie Stütz-, Förder- und BeratungslehrerInnen waren in der Privatschule nicht vorhanden.
Der Druck für Conrad wurde immer größer. In dieser Zeit hatte sich bei ihm noch zusätzlich eine ÜberlaufEnkopresis entwickelt, die das Kind enorm belastete.
Die Mutter beschrieb die damalige tägliche (!) Situation folgendermaßen: „Conrad kam nach Hause, warf
alles von sich, Schulsachen und die gesamte Kleidung und duschte dann sehr lang, oft eine Stunde lang.
Dann ist er unter die Bettdecke gekrochen und war oft stundenlang nicht mehr hervorzuholen!“
Die Überlauf-Enkopresis bedeutete für Conrad, dass er Verstopfung und Durchfall zugleich hatte. Er konnte
das Abgehen von flüssigem Kot trotz großer Bemühungen nicht verhindern, deshalb dieses lange Duschen.
Das stundenlange Verschwinden unter der Bettdecke war ein eindeutiger Hinweis auf eine beginnende
oder schon vorhandene Depression („Ich will dieses – mein – Leben nicht sehen!“).
Nachdem klar war, dass Conrad dieses Schuljahr nicht positiv abschließen würde, legte man der Mutter
nahe, einen Sonderpädagogischen Förderbedarf für ihr Kind zu beantragen, damit eine passende weitere
Beschulung stattfinden konnte.
Aufgrund einer psychologischen Befundung von Mag.a H.-St. vom 23.6.2015 erfolgte eine klare Empfehlung, Conrad einen SPF zu erteilen. Dem Ansuchen der Mutter wurde nicht stattgegeben, da er aus Sicht
der Schulaufsicht zu alt dafür gewesen war.
Aus diesem Grund wurde der Junge ein weiteres Mal umgeschult – und „landete“ so an meinem Standort.
Bereits im Oktober bat mich die Klassenlehrerin um Unterstützung. Trotz einiger Interventionen fand das
erste Gespräch mit der Mutter erst im Jänner dieses Jahres statt. Beratungen mit dem LehrerInnen-Team
gab es zuvor bereits. So kam es zu einer großen Entlastung für Conrad und seine Mutter, da wir einen vorhandenen Legasthenie-Bescheid „in die Tat“ umsetzten.
Das erste Gespräch mit der Mutter dauerte zwei Stunden lang. Sie war übervoll mit schlechtem Gewissen,
zu wenig für ihr Kind getan zu haben, einem Kind, das nie entsprochen hatte, das von Geburt an auffällig
und in seiner Entwicklung stets verzögert war, inner- und außerschulische Förderangebote sehr oft, sehr
konsequent und vehement verweigerte hatte.
Die Vernetzung mit meiner Kollegin, die intensiv mit Conrad gearbeitet hatte, war sehr hilfreich für unser
weiteres Vorgehen.
Conrad ist mittlerweile gut bei uns angekommen. Wir haben alle Probleme offen auf den Tisch gelegt und
zum Beispiel vereinbart, dass er IMMER auf die Toilette gehen darf ohne zu fragen, dass das Lehrer-WC
für ihn immer offen ist. Für jedes einzelne Fach wurde Conrad und seiner Mutter klar mitgeteilt, welche
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I-JOURNAL Jänner 2017
Leistung für eine positive Note erforderlich sei. Ich habe Conrad einige ausgesuchte Spiele gezeigt, die
ihm großen Spaß machen und die seine Mutter bereitwilligst auch für zuhause besorgt hat. Wir haben von
sämtlichen außerschulischen Fördermaßnahmen Abstand genommen und den Focus darauf gelegt, dass
er sich vor Ort wohlfühlen und genau wissen soll, was von ihm schulisch verlangt wird und ihm jede Hilfe
angeboten wird, die er verlangt.
Conrad wird dieses Schuljahr positiv abschließen.
Aufgrund einer erfolgreichen Vernetzungsarbeit von sämtlichen mit dem Kind arbeitenden Personen
geht es Conrad – trotz seiner äußerst schwierigen Bedingungen – wirklich gut.
Vor zwei Wochen ließ ich ihn den Rosenbusch nach Violett Oaklander4 zeichnen ...
„Dem Rosenbusch geht`s gut. Er hat einen kleinen See unter sich, von dem er trinken kann. Er hat zwei
Freunde, er hat einen Baum, der ihm Schatten gibt und eine Sonne, die ihn warm macht und Licht gibt.“
Ingrid Leissinger
Quelle für Abbildung 1:
http://www.praxisanjawerner.de/Dateien/Praesentation Fruehkindliche Reflexe Folien 06.2011.pdf,
Zugriff 21.06.2016; 14:30
4 Violet Oakander, Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen, Klett-Cotta 2013, S 49ff
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I-JOURNAL Jänner 2017
Anhang: „Rosenbusch-Phantasie“ nach V. Oaklander (1978)
„Ich bitte die Kinder, ihre Augen zu schließen, sich in ihren Raum zu begeben und sich vorzustellen, sie seien
ein Rosenbusch. Wenn ich diese Phantasieübung mit den Kindern mache, gebe ich ihnen viele Hilfen und
Anregungen. Ich glaube, daß Kinder, besonders dann, wenn sie defensiv und gehemmt sind, diese Anregungen brauchen, um sich kreativer Assoziationen öffnen zu können. Sie werden die Anregungen aufgreifen,
die am besten zu ihnen paßt, oder sie werden feststellen, daß ihnen viele Möglichkeiten selbst einfallen ...
Wenn die Kinder bereit sind, bitte ich sie, ihre Augen zu öffnen du ihren Rosenbusch zu zeichnen. Im Allgemeinen füge ich hinzu: Macht euch keine Sorgen wegen des Zeichnens; ihr könnt mir euer Bild ja erklären.
Später, wenn das Kind sein Bild erläutert, schreibe ich seine Erklärung auf. Ich bitte das Kind, den Rosenbusch in der Gegenwartsform zu beschreiben, so, als ob es selbst der Rosenstrauch wäre.“
Ingrid Leissinger
Beratungslehrerinnen
ZIS 9, Galileigasse 3
Brigitta Bruckner-Heimbach
Beratungslehrerinnen
ZIS 9, Galileigasse 3
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I-JOURNAL Jänner 2017
CLS
Classroom Support
CLS ist ein Unterstützungsangebot des ZIS 13, Hackinger Kai 15, welches für die Pflichtschulen des
16. Inspektionsbezirkes, d.h. für den 13.und 23. Bezirk angeboten wird.
Das Konzept des CLS zeichnet sich durch eine ca. vierwöchige Betreuung mit Beratung und Konzepterstellung durch eine Lehrerin des ZIS 13 mit vollen 22 Stunden direkt in einer Klasse einer Regelschule aus.
Ziel ist es, potenzielle Förderklassenkinder (Kinder, welche durch ihr Verhalten bereits stark auffällig sind)
und deren Lehrerinnen so zu unterstützen, dass eine Entspannung bzw. Besserung der Klassensituation
eintritt und dadurch ein Verbleib des Schülers an der Regelschule ermöglicht wird.
Die Arbeit direkt in den Klassen ist sehr anspruchsvoll, da CLS meist erst dann hinzugezogen wird, wenn
die Situation sich bereits seit längerem Zeitraum negativ entwickelt hat und viele der Beteiligten schon an
der Grenze ihrer Belastbarkeit sind. Daher ist es zunächst wichtig schnell eine Vertrauensbasis zu schaffen
und eine gute Arbeitsbeziehung auf die Beine zu stellen, die Sicherheit und Kompetenz aber auch Entspanntheit ausstrahlt. Dies bildet die Grundlage für eine erfolgreiche Arbeit, da neue Ideen und Konzepte
dann am ehesten positiv und konstruktiv angenommen und umgesetzt werden.
In einem Erstgespräch werden Erwartungen und Befürchtungen besprochen und es wird festgestellt, ob
alle beteiligten Erwachsenen (Direktion, LehrerInnen, ErzieherInnen) mit einer Unterstützung einverstanden sind bzw. diese wünschen. Ist dies der Fall, werden Ziele und Zeitrahmen mit den KollegInnen und der
Direktion abgesteckt. Dies wird in einem verbindlichen Arbeitsbündnis festgehalten und von allen Beteiligten
unterzeichnet. In regelmäßigen Abständen finden Reflexionsgespräche statt, am Ende der Betreuung ein
Abschlussgespräch mit der Option weitere/zusätzliche notwendige/hilfreiche Unterstützungen anzubieten.
In der Betreuung wird großer Wert darauf gelegt, den LehrerInnen und – in Ganztagsschulen – auch den
ErzieherInnen mit Unterstützung zu ermöglichen, ihre Handlungsspielräume in der Arbeit mit „schwierigen“
Kindern zu erweitern. Der Fokus liegt auf der tatsächlichen praktischen Arbeit wie z.B. Störungen rechtzeitig wahrnehmen, Grenzen setzen und auf Regelverletzungen adäquat reagieren.
Jede auftretende und sich bietende Situation zwischen LehrerInnen, den Kindern, der Klasse und mir (als
CLS Unterstützung) wird gemeinsam erörtert und gestaltet. Dabei sollte sich durch neue Verhaltensweisen
eine Entwicklung abzeichnen, welche Aussicht auf Änderung bringt. Eine Veränderung die im optimalen
Fall Mut macht und der ganzen Klasse Energie bringt. Eine enge Kooperation mit BeratungslehrerInnen
und PsychagogInnen vor Ort unterstützt diesen Prozess.
Durch regelmäßige Evaluationsgespräche mit allen Beteiligten kann die Betreuung flexibel an sich verändernde Bedingungen angepasst werden. Der gruppendynamische Prozess wird in einer systemischen
Sichtweise besprochen und das Verhalten der LehrerInnen danach ausgerichtet.
Das Projekt Classroom Support gibt es seit dem Schuljahr 2014/15. Nach anfänglich vorsichtigem Interesse der Regelschulen und ersten Erfolgen nahmen die Anfragen deutlich zu.
Im Schuljahr 2015/2016 konnten durch Classroom Support zehn Klassen an verschiedenen Schulen des
16. IB erfolgreich betreut werden.
CLS ist: Dipl. Päd. Adriana VUJASIN BEd.
ZIS 13, Hackinger Kai 15
877 25 98
[email protected]
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I-JOURNAL Jänner 2017
ABS-SÜD
Abendberatung Schule
Ein niederschwelliges Beratungsmodell
im Pflichtschulbereich
für den 6., 12., 13. und 23. Bezirk
Zum Begriff der Niederschwelligkeit
Damit niederschwellige Einrichtungen Zugänge zum Hilfesystem sichern können, ist die grundsätzliche
Freiwilligkeit der Inanspruchnahme ebenso von Bedeutung wie ein weitest gehender Verzicht auf Zugangshürden, Auflagen und / oder Ausschließungskriterien.
Niederschwelligkeit zeichnet sich durch die bedingungslose Orientierung am individuellen Bedarf aus.
Im Schuljahr 1996/97 versuchten die beiden Beratungslehrerinnen und Psychotherapeutinnen Gerheide
Moravec und Mag. Gertrud Kuffner einen „etwas anderen Weg“ in der schulischen Betreuung sozial-emotional benachteiligter Kinder zu gehen.
Zur Entlastung dieser Kinder und ihres sozialen Umfeldes begründeten sie, unterstützt von der zuständigen
Schulhierarchie, das Modell „Abendberatung Schule – ABS“.
Diese inzwischen etablierte Beratungsstelle versteht sich als systemisches Beratungsmodell im Pflichtschulbereich, das sich zur Aufgabe macht, dem jeweiligen Schulbezirk – in E r g ä n z u n g zu bereits bestehenden integrativen Betreuungsmaßnahmen – durch ziel- und lösungsorientierte F a m i l i e n - u n d
E l t e r n b e r a t u n g s o w i e e n t s p r e c h e n d e Ve r n e t z u n g s a r b e i t m i t S c h u l e n , Ä m t e r n , K l i n i k e n , ... Hilfestellung bei der Integration verhaltensauffälliger Kinder anzubieten.
In Anlehnung an dieses Modell wurde auch für den 8. Inspektionsbezirk ab September 2005 eine entsprechende Beratung etabliert, diese soll mit September 2006 für die Bezirke 13 und 23 ausgeweitet werden.
Warum Abendberatung?
In sehr vielen Familien sind beide Elternteile berufstätig und können sich nur schwer am Vormittag Zeit
nehmen. Für das Gelingen der Arbeit ist es aber entscheidend, alle Personen des sozialen Umfeldes des
Kindes, das Probleme hat oder macht, mit einzubeziehen. Daher wird in dem Konzept die Möglichkeit einer Beratung am späten Nachmittag und Abend, die auch von berufstätigen Eltern leichter genutzt werden
kann, angeboten.
Schwerpunkte
Der S c h w e r p u n k t der Abendberatung liegt auf der l ä n g e r f r i s t i g e n B e t r e u u n g von Familien mit
Kindern, die schulspezifische Probleme haben (Verhaltensauffälligkeiten, Schulangst, Lernprobleme, Leistungsverweigerung, aggressives Verhalten, Essstörungen, ...).
Der Rahmen umfasst B e r a t u n g , U n t e r s t ü t z u n g und I n f o r m a t i o n für P f l i c h t s c h ü l e r I n n e n ,
deren F a m i l i e n und L e h r e r I n n e n . Dabei ist angedacht, eng mit den LehrerInnen, DirektorInnen,
SchulärztInnen, BeratungslehrerInnen und PsychagogInnen zusammenzuarbeiten.
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I-JOURNAL Jänner 2017
Die Vernetzung mit anderen Institutionen wie Schulpsychologie, Amt für Jugend und Familie, Kinderkliniken, Partnerberatungsstellen, etc. ist bei Bedarf möglich. Der Kontakt wird von der Beraterin hergestellt;
diese arbeitet mit den genannten Stellen zusammen.
Die Beratungsstelle kann kostenlos in Anspruch genommen werden, da dieses Projekt als besondere Serviceleistung gedacht ist und somit vom Stadtschulrat für Wien finanziert wird.
Im Bedarfsfall werden auch Beratungsgespräche für LehrerInnen angeboten.
Kontaktaufnahme
Bei der telefonischen Anmeldung werden das Anliegen, die Erwartungen und Zielvorstellungen der Familie
und der Schule abgeklärt. Die Familie erhält dann einen Termin für ein erstes Gespräch. Dieses Gespräch
dient dem Informationsaustausch, der Problemdefinition und der gemeinsamen Zielerarbeitung.
Die weitere Vorgangsweise (gemeinsames Gespräch in der Schule, Terminabstände, eventuelle Miteinbeziehung anderer Institutionen, ...) wird festgelegt und der nächste Termin vereinbart. Selbstverständlich gilt
auch hier für jedes Gespräch die Ve r s c h w i e g e n h e i t s p f l i c h t . Die Weitergabe von Informationen an
andere Personen erfolgt nur mit Einverständnis der KlientInnen.
Arbeitsweise
• Schwerpunkt ist das r e g e l m ä ß i g e G e s p r ä c h mit Bezugspersonen und/oder dem Kind.
• Es besteht aber auch die M ö g l i c h k e i t d e r g e t r e n n t e n B e t r e u u n g der Eltern und des Kindes durch ein BeraterInnenteam.
• Es wird l ö s u n g s o r i e n t i e r t gearbeitet, aufbauend auf Ressourcen im Gesamtsystem, sei es Familie, Schule, außerschulischer Bereich – soziales Umfeld im weitesten Sinn.
• Die Arbeit wird begleitet durch r e g e l m ä ß i g e S u p e r v i s i o n und F a l l b e s p r e c h u n g e n .
Der Schwerpunkt der Arbeit ist zu sehen in der P r ä v e n t i o n im Hinblick auf S c h u l j a h r e s v e r l u s t ,
Schulverweigerung, Gewalt in der Familie, Drogen, sexueller Missbrauch und
Ve r h i n d e r u n g d i s s o z i a l e r K a r r i e r e n im Kindes- und Jugendalter.
ABS Süd sind:
Mag. Andrea Fröschl
Gabi Steinbrecher
Gabi Grabenhofer
DiplompädagoginDiplompädagoginDiplompädagogin
Sonder- und Heilpädagogin
Beratungslehrerin
Beratungslehrerin
BeratungslehrerinPsychotherapeutin Psychotherapeutin
ZIS 13, Hackinger Kai 15
877 25 98
[email protected]
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I-JOURNAL Jänner 2017
FiSCH
Familie in Schule
Eltern in der Schule ...
Ziel dieser neuen Förderklasse ist es, Kinder mit Problemen im Arbeits-, Lern- und
Sozialverhalten rechtzeitig aufzufangen, um den Verbleib in der Regelklasse nicht
zu gefährden. Dies kann nur durch die Einbeziehung und die aktive Mitarbeit der Eltern geschehen. Wenn sich Eltern bereit erklären, ihre Kinder unterstützend an den
FiSch-Vormittagen zu begleiten, können sie ihr Erziehungsverhalten entscheidend
verändern. Eltern sollen sich nicht als Teil des Problems, sondern als Teil der Lösung
sehen lernen. Dabei werden die SchülerInnen von einer Lehrkraft, die Eltern von einem Coach unterstützt. Der Coach moderiert, initiiert, tritt aber in den Hintergrund,
während die Eltern die beratende Funktion einnehmen und den Schritt von der Hilfe
zur Selbsthilfe setzen. Dadurch gewinnen die Eltern an Sozialkompetenz und Erziehungsfähigkeit. Mit Hilfe
von Mehrfamilienübungen und dem Erfahrungstausch mit anderen Familien können die Eltern lernen, situationsadäquat und selbstständig zu handeln. Eltern können damit bewusst Erziehungsverantwortung für ihre
Kinder übernehmen und lernen elterliche Handlungsmöglichkeiten zu erweitern.
Zielgruppe
Die FiSch-Klasse ist für SchülerInnen im Alter von 6-12 Jahren gedacht, die wegen ihres Verhaltens Probleme in der Schule haben und deren Eltern den daraus resultierenden Anforderungen nicht gewachsen sind.
Charakteristische Verhaltensweisen der SchülerInnen sind:
•
Unruhe
•
Passivität und fehlende Mitarbeit
•
Konzentrationsschwierigkeiten
•
kein Bewusstsein für Schul- und Familienregeln
•
Anweisungen der Erwachsenen werden nicht eingehalten.
•
Fernbleiben von der Schule
•
Zuspätkommen
•
soziale Isolation in der Schule
•
große Schwierigkeiten im Umgang mit Gleichaltrigen
Die Aufgabenbereiche von Eltern, Schule und SchülerInnen werden tendenziell immer unschärfer, und oft
ziehen sich in diesem Fall die Eltern zurück. Die Eltern suchen nach Sicherheit, und aus Angst, falsch zu
reagieren, reagieren sie gar nicht.
63
I-JOURNAL Jänner 2017
Eltern von Kindern mit Schulproblemen haben häufig:
•
eine konflikthafte Beziehung zur Schule
•
eigene negative Schulerfahrungen
•
wenig Bereitschaft zur Kooperation
•
wenig Vertrauen in die Arbeit der Schule
•
wenig Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit
Um aus dieser Negativspirale auszusteigen, ist die Einbindung der Eltern unerlässlich.
Im Rahmen dieses Projektes werden sie dazu angehalten, an ihrer Elternkompetenz zu arbeiten. Eltern
und Schule sollen das Kind gemeinsam unterstützen, um die Erziehungsdefizite gemeinsam nachzuholen.
Wie funktioniert eine FiSch-Klasse?
Seit dem Schuljahr 2015/16 gibt es die erste FiSch-Klasse in Wien.
Innerhalb eines Zeitraumes von 12 bis 20 Wochen werden SchülerInnen (1.- 6. Jahr der Schulpflicht) gemeinsam mit einem Elternteil oder einer/einem Erziehungsberechtigten einmal wöchentlich vom FiSchTeam betreut. Voraussetzung dafür sind das Einverständnis der Lehrkräfte und die Teilnahme der Eltern.
FiSch ermöglicht ein intensives, individuelles und sensibilisierendes Arbeiten mit (schwer erreichbaren)
Familien.
Die FiSch-Klasse setzt sich aus SchülerInnen verschiedener Jahrgänge und Klassen aus ganz Wien zusammen. Abhängig von der Kapazität (max. sechs Familien) ist ein gleitender Einstieg in einen Turnus
jederzeit möglich. Dabei können die schon am FiSch-Projekt beteiligten Eltern die neu zur Gruppe kommenden Familien unterstützen.
Vor Turnusbeginn finden Aufnahmegespräche des FiSch-Teams mit BeratungslehrerInnen, Lehrkräften an der Stammschule und zumindest einem Elternteil/Erziehungsberechtigten statt. Hierbei werden mit allen Beteiligten drei bis vier Verhaltensziele für das Schulkind auf einem Zielblatt vereinbart (siehe Abb.)
Die Lehrkräfte an den Stammschulen stellen das Arbeitsmaterial für den FiSchVormittag zusammen und bewerten die Zielerreichung des Kindes nach jeder
Unterrichtseinheit anhand eines Bewertungsbogens. Alle sechs Wochen finden Evaluierungsgespräche aller Beteiligten statt, bei denen Informationen zur
Verhaltensentwicklung des Schulkindes ausgetauscht, Ziele überprüft und angepasst werden können. Die Evaluierungen fördern zudem die Zusammenarbeit von
Schule und Eltern.
Ziele
Die Probleme der SchülerInnen sind nur durch aktive Einbeziehung und Unterstützung der Eltern lösbar:
•
Eltern verpflichtend einbinden und Mitverantwortung wecken
•
Stärkung der elterlichen Erziehungs- und Bildungsverantwortung
•
elterliche Handlungsmöglichkeiten erweitern
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I-JOURNAL Jänner 2017
•
Eltern für das Verhalten ihrer Kinder sensibilisieren
•
Eltern als Unterstützung bei der Zielerarbeitung
•
familiäre Kommunikation stärken
•
Aufstellen von Regeln und Konsequenzen für Schule und zu Hause
•
positives Erleben von Schule
•
Wir-Gefühl in Familien stärken
•
Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus
•
Entlastung der Lehrkräfte in der Stammschule
•
Unterstützung beim Verbleib in der Regelschule
Familienarbeit in der Klasse
FiSch ist ein von dem deutschen Therapeuten Eia Asen kreiertes Modell der Multifamilienarbeit, das auf
Erkenntnissen der systemischen Familientherapie basiert. Dieses Konzept wird in verschiedenen Ausprägungen in Deutschland, Großbritannien, Dänemark, der Schweiz und mittlerweile auch in Österreich angewendet.
Die Mehrfamilienarbeit, also die Arbeit mit mehreren Familien gleichzeitig, ist das wichtigste Instrumentarium des Konzepts. Hierdurch lernen Eltern in der Familienklasse ressourcenorientierter, selbständiger und
situationsadäquater zu handeln und sich bei schwierigen Situationen gegenseitig zu unterstützen.
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I-JOURNAL Jänner 2017
Die Arbeit mit Familiengruppen bedeutet ein völliges Umdenken bezüglich unserer Rolle als PädagogInnen.
Es geht nicht mehr darum, mit Interventionen oder pädagogischen Ideen einzugreifen und Krisensituationen zu regeln, sondern die Eltern als Experten für ihr Kind zu sehen und dessen Problematik zu akzeptieren.
Bei der Mehrfamilienarbeit liegt der Fokus darin, den Familien einen sicheren Platz zu schaffen, der Veränderungen zulässt und sie ermutigt neue Verhaltensweisen auszuprobieren. Die Eltern sollen eigenständige
Initiativen ergreifen und sich gegenseitig unterstützen und beraten.
Wichtig ist es - entgegen unserer Gewohnheiten -, die Interaktion nur kurze Zeit auf sich als Coach/LehrerIn
zu lenken und diese möglichst bald in Richtung anderer Familien zu öffnen.
Die daraus resultierenden Vorteile sind:
•
Überwindung von Isolation und Stigmatisierung:
„Wir sind ja nicht die einzigen.“
•
Neue Perspektiven anregen:
„Bei anderen sehe ich sehr genau Dinge, für die ich bei mir selbst blind bin.“
•
Förderung von Solidarität:
„Wir sitzen alle im selben Boot.“
•
Positiver Nutzen des Gruppendrucks:
„Hier kann ich nicht kneifen.“
•
Gegenseitige Unterstützung und Rückmeldung:
„Ich finde es super, wie ihr das macht, wie seht ihr uns?“
•
Voneinander lernen:
„Wie die anderen das machen finde ich gut, das will ich auch probieren.“
•
Hoffnung wecken:
„Die haben es geschafft, da sehe ich Licht am Ende des Tunnels – auch für uns.“
•
Neue Verhaltens-/Erziehungsmuster im „Schonraum“ üben:
„Ich kann hier etwas ausprobieren, auch wenn einmal was schief geht.“
(vgl. Eia Asen, 2015)
Wie sieht ein Vormittag in der FiSch-Klasse aus?
Für die SchülerInnen beginnt der Morgen mit einem Anfangsritual, während
die Eltern sich in der Elternrunde gemeinsam mit dem Coach über die vergangene Woche und allfällige Themen für den Tag austauschen.
Anschließend treffen sich alle in einem Morgenkreis. Hier werden die Wochenbilanzen in einem anschaulichen Diagramm an die SchülerInnen verteilt. Bei Erreichung eines Zieles erntet das Kind Applaus von allen.
Nachdem sicher ist, dass die Kinder sich ihrer Ziele bewusst sind und auch
die Eltern sich Beobachtungsaufgaben gestellt haben, beginnt der Unterricht, der zwei Einheiten umfasst.
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I-JOURNAL Jänner 2017
Hier werden die individuellen Arbeitsaufgaben mit Unterstützung der Lehrkraft
bearbeitet. Die Eltern begleiten den Unterricht, je nach Anforderung, unmittelbar bei ihrem Kind oder beobachten von der Elternzone aus. Ihre Aufgabe dabei ist es, darauf zu achten und unterstützend und korrigierend einzugreifen,
damit ihr Kind sich an die Zielvorgaben hält. An dieser Stelle setzt bei Bedarf
das Elterncoaching ein. Wenn die Eltern nicht achtsam genug oder sich eines
Fehlverhaltens ihres Kindes nicht bewusst sind, werden sie vom Coach darauf
hingewiesen. Sollten die Eltern bei auftretenden Problemen keine geeigneten
Lösungsstrategien entwickeln können, haben sie die Option, die Hilfe des Coaches oder der anderen Eltern in Anspruch zu nehmen.
Die zweite Hälfte des Vormittags ist den Mehrfamilienübungen gewidmet. Bei
diesen praktischen Übungen liegt das Hauptaugenmerk auf der Interaktion zwischen Eltern und Kindern. Dabei sollen die Eltern mit ihren Kindern gemeinsam
ein Ergebnis erzielen. Die Mehrfamilenarbeit umfasst sowohl Übungen, die den
Zusammenhalt der Gruppe stärken als auch solche, die die einzelnen Familien
betreffen und zu Verhaltensänderungen anregen.
Typische Konfliktsituationen werden hier sichtbar und werden mit viel Verständnis, Einfühlungsvermögen
und Lösungskompetenz von der gesamten Gruppe bearbeitet. Wieder sind die Lehrkräfte und der Coach
zur Unterstützung da. Die Eltern sind dabei einander behilflich und werden damit in ihrer Rolle gestärkt.
Den SchülerInnen wird dadurch mehr Sicherheit geboten. Auch hier kommt es zu einem Austausch und
einer starken Annäherung unter den Familien.
Behandelte Themenkreise:
•
Regeln
•
Konsequenzen
•
Grenzen
•
Konflikte
•
Gesprächsregeln
•
Gefühle
•
Familienstruktur
•
Ressourcenarbeit
•
Erziehung - Werte
•
Freizeitgestaltung
•
Umgang mit Medien
•
Ernährung
In der Abschlussrunde erhält jedes Kind seine Auswertung. Zunächst schätzen sie sich selbst ein, ob sie
die vorgegebenen Ziele erreicht haben. Anschließend geben die Eltern ihren Eindruck des Vormittags wieder. Danach bekommen das Kind und die Familie von jedem Gruppenmitglied ein Feedback. Die endgültige Bewertung wird von den FiSch-Lehrkräften vorgenommen.
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Kevin, 7 Jahre (Name geändert)
Kevin ist ein adipöses Kind, das aufgrund häufiger Arztbesuche viele Unterrichtstage versäumte. Er ist im
Klassenverband sehr unsicher und zurückgezogen. Im Pausenhof schubst er andere SchülerInnen. Im
Unterricht braucht Kevin viel Aufmerksamkeit und Unterstützung, um seine Arbeiten erledigen zu können.
Seine Mitschüler mögen ihn wegen seines übergriffigen Verhaltens nicht, er ist zum Außenseiter geworden.
Seine Mutter reagiert verärgert oder mit Weinen und Schreien auf Bemerkungen bezüglich dieser Probleme
von Seiten der Lehrerin. Sie unterläuft Anweisungen der Lehrerin und will Konflikte für ihren Sohn klären,
wodurch es immer wieder zu Streitereien unter den Müttern kommt. Sie behauptet, ihr Sohn werde von
den Mitschülern gemobbt und die Lehrerin möge ihn nicht. Sie kommt jeden Tag vor dem Unterricht in die
Klasse um sich bei der Lehrerin zu beschweren. Bei einem Treffen mit der Familie und der Klassenlehrerin
von Kevin einigt man sich auf vier Verhaltensregeln.
Am ersten Vormittag in der FiSch-Klasse war die Mutter
noch zurückhaltend, weil sie unsicher war und sich etwas
schämte. Erst als sie die anderen Familien beobachtete
und bemerkte, dass hier alle „im gleichen Boot“ saßen,
konnte sie Kontakt zu den anderen Müttern und Vätern
aufnehmen.
Das Verhalten ihres Sohnes überraschte sie sehr. Sie sah,
dass die Beobachtungen der Lehrerin der Wahrheit entsprachen.
Anfangs empfand Kevins Mutter es schwierig, ihm Grenzen aufzuzeigen oder Konsequenzen bezüglich
seines Benehmens durchzusetzen. Seine Launen lächelte sie weg und ignorierte sie. Als Erklärung gab
sie an, dass er ja noch so klein und lustig sei. Auch zu Hause ließ sie sich von seinem Verhalten dirigieren.
Allmählich begann sie anderen Familien zuzuhören und akzeptierte deren Beobachtungen. Sie empfand
die Kritikpunkte an ihrem Kind nicht mehr als Vorwurf, konnte zuhören und beginnen ihr Verhalten ihrem
Sohn gegenüber zu ändern, anstatt wie bisher in die Verteidigungsrolle zu gehen. Mit Hilfe der anderen
Eltern in der Gruppe konnte sie einen anderen Blickwinkel bezüglich des kleinkindhaften und inadäquaten
Verhaltens ihres Sohnes einnehmen.
In den Kaffeepausen der Eltern erzählte sie von ihrem zweiten Sohn, der mit 16 ins Gefängnis kam und sie
sich deshalb große Vorwürfe machte. Ihr war es ein Anliegen Kevin nur Liebe zu zeigen, damit er nicht auf
die schiefe Bahn geriete.
Nach und nach sah sie ein, dass Veränderungen schneller von statten gingen und langlebiger sind, wenn
Familien zusammen arbeiten und fühlte sich durch die Erfolge der anderen Familien ermutigt. Sie konnte
sich gut in die Gruppe einbringen und fühlte sich in der Mutterrolle gestärkt, indem sie anderen Familien bei
ihrer Problembewältigung half.
Kevins Mutter schaffte es im Laufe der 12 Wochen, mithilfe der Elterngruppe ihrem Sohn Grenzen zu setzen und klare Anweisungen zu geben. Durch die Arbeit in der FiSch-Klasse konnte sie Kevin als Schulkind
akzeptieren, der seine Arbeiten und Konflikte in der Schule alleine lösen kann. Zusätzlich verbesserten die
gemeinsamen Evaluationsgespräche das Klima und die Zusammenarbeit zwischen ihr und der Klassenlehrerin. Kevin konnte so gemeinsam mit seiner Mutter an seinen Verhaltenszielen arbeiten. Es war eine
deutliche Verbesserung erkennbar.
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I-JOURNAL Jänner 2017
Geändert hat sich ...
Eine kleine Auswahl von Rückmeldungen aus dem ersten FiSch-Jahr:
„Mir hat das
gemeinsame Spielen
mit der Mama gut
gefallen.“
„Rasche, unkomplizierte Hilfe
mit sehr hohem Wirkungsgrad.“
„
„Ich bin viel geduldiger
mit M.“
„Die Zusammenarbeit mit den
Eltern hat sich verbessert.“
„Er kann jetzt über seine
negativen Gefühle und Wünsche
sprechen.“
„Mir hat sehr gut
gefallen, dass wir
alle sehr offen
miteinander
sprechen
konnten.“
„In der Elternrunde
kriegt man
Unterstützung von
Leuten mit den
gleichen
Problemen.“
„Ich versteh
mich jetzt mit
meiner Lehrerin
besser.“
Literatur
Asen, Eia; Scholz, Michael (2015):
Praxis der Multifamilientherapie. Carl- Auer-Systeme Verlag, Heidelberg, 3.Aufl.
Behme-Mathiessen, Ulrike; Pletsch, Thomas u.a. (2012):
Handbuch Familienklasse. Multifamiliencoaching im Unterricht. Shaker Verlag, Aachen.
Andrea Murth
Mag. Lisa Rest Mag. Christian Kraus
SonderschullehrerinVolksschullehrerin NMS-Lehrer
BeratungslehrerinHeilstättenpädagogin AHS-Lehrer
Dipl. Lebens- u. Sozialberaterin
Sozial-/Sonder- und Heilpädagogin Beratungslehrer
Standort: VS Siebenhirten, Baslergasse 43; 1230 Wien
Kontakt
ZIS 13, Hackinger Kai 15, 1130 Wien
tel/fax: 01 / 877 25 98
[email protected]
[email protected]
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I-JOURNAL Jänner 2017
Mosaikklassenkinder im Rudolf Ekstein Zentrum*
Von der Kunst, Momente des Verstehens einzufangen,
Wege der Veränderung zu erkennen und miteinander zu gehen
* Das Rudolf Ekstein Zentrum – kurz REZ – unter der Leitung von Frau Diplompädagogin Madeleine Castka
ist eines von acht Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik, von denen ein jedes Zentrum über die Jahre
hinweg sein eigenes Profil entwickelt hat. Mosaikklassen stellen gleichsam die Förderklassen des REZ
dar.
Im Rahmen des Symposiums „Schule als Ort hilfreicher Beziehungserfahrungen - 40 Jahre PsychagogInnen/40 Jahre BeratungslehrerInnen in Wien“ präsentierten drei Psychagoginnen, die in Mosaikklassen des
Rudolf Ekstein Zentrums emotional-sozial belastete Volksschulkinder als Team betreut und unterrichtet
haben, eine Falldarstellung. Diese Fallgeschichte ermöglichte Einblicke in die konkrete Arbeit mit einem
Mosaikklassenkind und veranschaulichte darüber hinaus, in welcher Weise in der Mosaikklasse über verhaltensauffällige Kinder und deren Beziehungserfahrungen nachgedacht wird. Es wurde auch nicht beschönigt, wie schwierig dieser Erkenntnisprozess ist, und wieviel Zeit und Geduld es braucht, ehe durch
ein allmähliches Verstehen und nachfolgendes Tun wichtige Entwicklungsschritte beim Kind angestoßen
werden. Schließlich verdeutlichte die Präsentation der Fallgeschichte auch, dass die tiefenpsychologisch
orientierte Haltung, die enge Zusammenarbeit sowie die spezielle Professionalisierung des Teams nicht
nur wesentliche Aspekte innerhalb der Arbeit in der Mosaikklasse sind, sondern Voraussetzung dafür, dass
dieses spezielle Fördersetting zu einer positiven Entwicklung des Kindes beiträgt.
Die Aspekte Team, Zusammenarbeit und psychoanalytisch-pädagogische Professionalisierung als wichtigste Bausteine einer entwicklungsfördernden Mosaikklassenarbeit stehen im Zentrum der nachfolgenden
Ausführungen. Sie sollen verdeutlichen, in welches REZ-interne Gesamtkonzept die Mosaikklasse eingebunden ist. Es soll ein „Bild der Inklusion“ entstehen und eine Kenntnis darüber, in welcher Weise die unterschiedlichen Teams des REZ, mit ihren unterschiedlichen Aufgabenbereichen zur schulischen Integration
der Mosaikklassenkinder beitragen – ähnlich wie ein Mosaik, das aus vielen kleinen Teilchen besteht und
nur in der Gesamtheit ein Mosaikbild, ein inklusives Ganzes ergibt.
Der Begriff Mosaikklasse hat bereits eine lange Tradition im Rudolf Ekstein Zentrum. Er wurde gewählt, weil
die Individualität eines Kindes ein vielfältiges und buntes Mosaikbild darstellt, das aus unzähligen Mosaiksteinchen des Lebens entstanden ist und die einzigartige Persönlichkeit des kindlichen Wesens bildet. Der
Begriff passt aber auch sehr gut, um zu beschreiben, wie schwierig es mitunter ist, diese Mosaikteilchen zu
einem Bild, zu einem Ganzen, zusammenzufügen. In der Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern verstehen
wir erst allmählich die Bedeutung und die Zugehörigkeit einzelner Teile – erst nach und nach erschließt sich
uns, welche individuellen Erfahrungen, Wahrnehmungen, Gefühle, und welches Erleben jedes Mosaiksteinchen enthalten dürfte. Wenn wir die schulische Integration verhaltensauffälliger Kinder mit dem Legen
eines Mosaikbildes vergleichen, wird auch nachvollziehbar, dass dies eine mühsame und langatmige Arbeit
ist. Der Erfolg dieser Arbeit hängt wesentlich davon ab, dass nicht nur Einzelpersonen diese Mosaikteilchen aufnehmen und deren Bedeutung deuten, sondern auch ein gut aufeinander abgestimmtes Team
mit unterschiedlichen Aufgabenbereichen in einer speziellen Weise zusammenarbeitet. Im Rudolf Ekstein
Zentrum wird ein Mosaikklassenkind im Aufnahmeprozess, in der Klasse, während der psychagogischen
Betreuung und im Rückführungsprozess von Teams und Personen, die unterschiedlichen Arbeitsbereichen
angehören, betreut und begleitet. Innerhalb dieser Bereiche gibt es eine enge Zusammenarbeit und einen
regelmäßigen Austausch.
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1. Die Aufnahme in die Mosaikklasse
Kinder können auf einschneidende, belastende oder kaum zu ertragende biografische Erfahrungen, die
sie oft bereits in früher Kindheit gemacht haben, mit auffälligem Verhalten reagieren. Es ist ein Verhalten, das sich „(…) in Aggressionen und Übergriffen ebenso auszudrücken vermag wie in Angst, Rückzug
und Verstummen“ (Stein/Müller 2015, 36). Wenn dieses Verhalten mit pädagogischem Alltagsverständnis
kaum nachvollziehbar ist und unverständlich bleibt oder dieses Verhalten die Sicherheit und Unversehrtheit anderer (Kinder, MitschülerInnen) zu beeinträchtigen droht, und darüber hinaus angenommen werden
kann, dass sich diese Kinder aufgrund ihrer emotional-sozialen Beeinträchtigung in der Großgruppe der
Volksschule (Grundstufe 1) nicht zurechtfinden, kann eine Aufnahme in eine Förderklasse/ Mosaikklasse
in Erwägung gezogen werden. Dafür ist ein Antrag notwendig, den die zuständige Schule stellt. Dieser
ergeht an eine regelmäßig tagende Förderkommission, der die zuständige Pflichtschulinspektorin sowie
die LeiterInnen der Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik angehören. Die Kommission entscheidet
in einem gemeinsamen Austausch darüber, ob ein Kind in eine Förderklasse/Mosaikklasse aufgenommen
wird. Das Angebot der Mosaikklasse richtet sich an junge Volksschulkinder in ihren ersten drei Lernjahren
(Vorschule, erste und zweite Schulstufe). Es sind Kinder, die bereits im Kindergarten Auffälligkeiten zeigen
und bei denen eine Einschulung in die Vorschulklasse oder erste Klasse der Regelschule nicht sinnvoll erscheint. Darüber hinaus können auch jene Kinder Aufnahme in die Mosaikklasse finden, die bereits in einer
Volksschule beschult werden, dort über einen längeren Zeitraum emotional-soziale Auffälligkeiten zeigen
und integrative Bemühungen und Fördermaßnahmen am Schulstandort nicht die gewünschte Wirkung zeigen. Für die Aufnahme in eine Mosaikklasse ist das Einverständnis der Eltern und eventuell eine klinischdiagnostische Abklärung notwendig.
Vorarbeiten durch das Beratungsteam Schulstart 20 - Mobiles Mosaikteam
Im Vorfeld der Überlegungen steht eine Kontaktaufnahme mit dem Beratungsteam Schulstart des Rudolf
Ekstein Zentrums in Wien (BTS 20 Mobiles Mosaikteam). Dieses Team stellt seine fachliche Expertise zur
Verfügung, um in einem diagnostischen Prozess mit allen Beteiligten (bisherige Betreuungspersonen, ElementarpädagogInnen oder Lehrkräfte des Kindes, involvierte Institutionen, wie Amt für Jugend und Familie,
…) zu klären, ob das intensivpädagogische Angebot einer Förderklasse/Mosaikklasse geeignet ist, um
Entwicklungsschritte beim auffälligen Kind anzustoßen.
Dabei geht es auch um die Frage, welche schulischen Erfahrungen das Kind braucht, und ob die schulischen Beziehungserfahrungen im Kontext einer Förderklasse/Mosaikklasse im Entwicklungsinteresse des
Kindes sind.
Das Herstellen eines Arbeitsbündnisses
Vor einer konkreten Aufnahme in die Mosaikklasse steht das Herstellen eines Arbeitsbündnisses mit allen
Verantwortlichen. Die Kontaktaufnahme mit der Stammschule des Kindes dient nicht nur dazu, die organisatorische und administrative Zusammenarbeit (Schulbuchbestellungen, Bekanntgabe der Fehlstunden,
Zeugnis, …) sicherzustellen. Vielmehr wird der Stammschule ein Austausch über den Entwicklungsstand
des Mosaikklassenkindes angeboten, mit dem Ziel, über gelungene und noch ausständige Entwicklungsschritte des betreffenden Kindes zu berichten.
Es gilt aber auch, Eltern oder Erziehungsberechtigte dafür zu gewinnen, dem Erleben des Kindes in Entwicklungsgesprächen mit dem zuständigen LehrerInnenteam nachzuspüren. Die Bereitschaft zur Teilnahme an solchen Gesprächen wird in einem Aufnahmevertrag geregelt. In der Elternarbeit des REZ geht
es um eine Stärkung der Beziehungs- und Wahrnehmungskompetenz und um regelmäßige gemeinsame Überlegungen, welche Veränderungen es braucht und mit welchem Ziel (vgl. Prinz 2016, 143).
Der Erfolg dieser Elternarbeit ist jedoch eng daran geknüpft, dass die Äußerungen und Vermutungen der
Eltern oder Erziehungsberechtigten zur Problemlage des Kindes wohlwollend und interessiert aufgenommen werden, moralisierende Wertungen keinen Platz haben und es innerhalb dieser positiven Übertragung
gelingt, mögliche Verbindungen zwischen den aktuellen Beziehungserfahrungen des Kindes und unbewältigten Belastungen aus der kindlichen Lebensgeschichte herzustellen (vgl. Figdor 2003, 80-83).
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I-JOURNAL Jänner 2017
2. Die konkrete Arbeit in der Mosaikklasse
Das Setting der Mosaikklasse vor dem Hintergrund einer speziellen Professionalisierung
Maximal sechs Kinder werden durch zwei speziell ausgebildete Lehrkräfte betreut und unterrichtet. Die
spezielle Ausbildung der MosaikklassenlehrerInnen ergibt sich aus dem Umstand, dass die Mosaikklassen
organisatorisch dem Zentrum der PsychagogInnen angehören und auch viele der Lehrkräfte, die dort unterrichtet haben eine psychagogische Ausbildung hatten. Eine tiefenpsychologische Ausrichtung und Professionalisierung setzte sich in den letzten Jahren fort, weil derzeit viele AbsolventInnen des „PsychagogikLehrgangs“ als MosaikklassenlehrerInnen eingesetzt sind.
Verstehenszugänge zum auffälligen Verhalten des Kindes entfalten sich in der Mosaikklasse vor dem Hintergrund tiefenpsychologischer Theorien: Unter Einbeziehung des familiären Umfeldes sollen bestimmte
kindliche Verhaltensweisen als Ausdruck eines innerpsychischen Geschehens verstanden und bestmögliche Entwicklungen beim Kind angebahnt werden. Die Mosaikklasse wird zu einem Schutzraum für individuelle Bedürfnisse indem die betroffenen Kinder Anerkennung, aber auch Grenzsetzungen durch verlässliche und liebevolle PädagogInnen erfahren. Ziel der Mosaikklasse ist es, den Entwicklungsbedürfnissen
dieser Kinder gerecht zu werden und belastende Beziehungserfahrungen so zu überarbeiten, dass diese
Kinder altersgemäße Entwicklungsaufgaben bewältigen, ihre Fähigkeit zu Gruppenbeziehungen ausbauen
und wieder Freude und Leistungsbereitschaft bei der Meisterung schulischer Aufgaben zeigen. Mosaikklassenkindern wird im Rudolf Ekstein Zentrum ein differenzierter Unterricht geboten, der dem jeweiligen
Entwicklungsstand des Kindes angepasst ist. Es erfolgt eine curriculare Einstufung nach dem Lehrplan der
Vorschulstufe, der ersten oder zweiten Schulstufe.
Ein Großteil der Mosaikklassenkinder ist aus verschiedenen Ursachen und Belastungen und in unterschiedlicher Ausprägung nicht in der Lage, sich auf altersgemäßes schulisches Tun, Lernen oder Gruppenaktivitäten einzulassen.
Theoriegeleitetes Nachdenken und Verstehen
An diesem Punkt setzt die eigentliche Arbeit von den Mosaikklassenlehrerinnen ein, weil pädagogischdidaktisches Wissen allein nicht ausreicht, um die Bandbreite des auffälligen Verhaltens zu verstehen und
zu verändern. Dies liegt daran, dass theoretisches, bewusst repräsentiertes Wissen nicht ausreicht, um
das Verhalten schwieriger Kinder zu verstehen. Vielmehr müssen wir uns praxisbezogen auch um implizites Wissen bemühen. Der Fokus liegt einerseits beim kindlichen Erleben (der Blick in die „innere Welt des
Kindes“), andererseits beim eigenen Erleben in der Interaktion mit dem auffälligen Kind („meine emotionale
Involviertheit“). Es geht darum, unbewusste Beziehungsdynamiken in Überlegungen zum auffälligen Verhalten miteinzubeziehen. Psychoanalytisch-pädagogische Theorien unterstützen dabei, die unbewusste
Bedeutung des auffälligen, unverständlichen Verhaltens einzuordnen. Im Folgenden werden exemplarisch
zwei Ansätze vorgestellt, die sich in der pädagogischen Praxis der Mosaikklasse bewährt haben. Die psychoanalytisch-pädagogische Theorie des „szenischen Verstehens“ und die psychoanalytische Sichtweise
zur Bedeutung des Spiels bieten ein fundiertes Hintergrundwissen, um auf verschiedene Entwicklungsbedürfnisse des auffälligen Kindes einzugehen und werden zur Grundlage des pädagogischen Handelns (vgl.
Datler 2012, 171-174; Gerspach 2009, 117f; Heinemann/Hopf 2015).
Szenisches Verstehen
Mosaikklassenkinder bringen über ihr auffälliges Verhalten (Angst, Rückzug, verbale Beschimpfungen,
körperliche Attacken, austestende Provokationen in Gruppensituationen) jene innerlichen Schwierigkeiten
zum Ausdruck, für die sie noch keine Sprache haben. In der Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern fällt
auf, dass sich bestimmte schwierige Situationen häufen bzw. wiederholen und diese in ihrer (unbewussten)
Bedeutung nicht verstanden werden (vgl. Finger-Trescher 2012, 36-38).
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Ein psychoanalytisches Konzept, das die unbewusste Beziehungsebene miteinbezieht, ist das „Szenische
Verstehen“. Das auffällige Verhalten wird als Ausdruck einer innerpsychischen Situation und als Wiederholung einer inneren Erfahrung gesehen. Die Aufgabe der MosaikklassenlehrerInnen liegt darin, diese
Wiederholung (Reinszenierung) innerer Probleme und unbewältigter Lebensthemen zu „entschlüsseln“.
In konflikttypischen Szenen, in die das auffällige Kind sich und andere immer wieder verstrickt, wird dieser
Konflikt auf eine verschleierte Art und Weise erzählt. Lorenzer, ein deutscher Psychoanalytiker und Soziologe, nennt eine solche Interaktion, die plötzlich im Klassengeschehen entsteht, eine „Szene“. Die Bedeutung
dieser Szene ist aus dem logischen, aktuellen Geschehen heraus nicht erklärbar, sie bleibt unlogisch und
merkwürdig. Wenn etwa ein Mosaikklassenkind wiederholt die Nähe zu seinen LehrerInnen sucht, um diese
Nähe dann rasch und körperlich aggressiv zu beenden, wäre das ein Beispiel für so eine unverständliche
Szene. Die unverstandene Szene kann durchaus unangenehme Gefühle und Irritationen in den Lehrkräften
auslösen. Das Kind wiederholt diese Szene (manchmal auch in leicht abgeänderter Form) und bindet die
Lehrkräfte immer wieder in eine konflikthafte Art von Szene ein. Dies liegt auch daran, dass verhaltensauffällige Kinder, besonders belastende Erfahrungen gemacht haben und diese mit anderen wichtigen Personen (dazu zählen auch Lehrkräfte) wiederholen bzw. die Beziehung mit ihnen in einer ähnlich konflikthaften
Weise gestalten.
Kinder, die etwa in der frühesten Kindheit einen Mangel an Zuwendung und Fürsorge erlitten und statt
dessen Aggressivität erfahren haben, versuchen auch in der Schule ähnliche Situationen herzustellen, wie
jene, die sie erlebt haben dürften. Die Kinder zeigen diese innere Not aber nicht nur in der Beziehungsgestaltung – etwa mit LehrerInnen oder MitschülerInnen – sie nützen dafür auch das Spiel.
Die Bedeutung des Spiels in der Mosaikklasse
Im Setting der Mosaikklasse nimmt das Spiel einen wichtigen Raum ein. Das Spiel verbindet Wirklichkeit
mit Möglichkeit (vgl. Freiheit 2012). So nutzen Kinder, die sich an ihre Erfahrungen und Erlebnisse nicht
bewusst erinnern, das Spiel, um sich vor dem bewussten Erleben bedrohlicher Gefühle zu schützen. Gefühle der Angst, Ohnmacht, Hilflosigkeit, Wut, Beschämung, Schuld, … können im Spiel in Szene gesetzt
werden. Für Melanie Klein ist das Spiel symbolischer Ausdruck unbewusster Konflikte, eine Symbolisierung
des psychischen Geschehens (vgl. Heinemann/Hopf 2015, Kapitel 5). Die Kinder erlangen so ein wenig
Kontrolle darüber, was ihnen bedrohlich erscheint.
Die nicht immer leichte Aufgabe, die MosaikklassenlehrerInnen dabei zufällt, ist es, diese Gefühle aufzunehmen, nachzuerleben und zu ertragen, auch wenn zunächst keine passende Erklärung dafür gefunden
werden kann. Wenn sich Lehrkräfte im Spiel, aber auch in anderen schulischen Alltagsituationen derart
zur Verfügung stellen, verarbeiten sie die bedrohlichen Gefühle der auffälligen Kinder stellvertretend für
sie. Gleichzeitig erfahren schwierige und aggressive Kinder, dass Lehrkräfte sich trotz dieses Verhaltens
um sie bemühen, dass ihnen Unterstützung und Vertrauen entgegengebracht wird und bedrohliche Gefühle ausgehalten werden können. Besonders wichtig erscheint in diesem Zusammenhang, dass Lehrkräfte
(unterstützt durch Supervision und Teambesprechungen) eine „Szene“ angemessen deuten und dies den
betroffenen Kindern nach und nach auf behutsame Weise versprachlichen. Damit setzt die Lehrkraft andere, als vom Kind unbewusst provozierte Reaktionen. Die Erfahrungen in der Mosaikklasse zeigen, dass
verhaltensauffällige Kinder mit der Zeit neue Beziehungsmuster entwickeln. Dieser Prozess ist sehr individuell, verläuft nicht immer geradlinig, und ist nicht selten von Rückschlägen gekennzeichnet.
Das Rudolf Ekstein Zentrum bietet Mosaikklassenkindern neben einer individuellen Lernförderung und Entwicklungsförderung im Klassenverband auch psychagogische Einzelbetreuung im Einzelsetting an (kontinuierliche Einzelfallbetreuung). Mosaikklassenkinder bleiben mindestens ein Jahr und maximal drei Jahre
in diesem speziellen Fördersetting.
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3. Rückführung
Spätestens mit dem Beenden der Grundstufe 1 werden die Kinder in ihre Stammschule oder eine andere
passende Schule rückgeschult. Ob ein Kind vor dem Ablauf von drei Jahren rückgeschult werden kann,
entscheidet sich in einem Teamprozess, unter Berücksichtigung der emotionalen, sozialen und kognitiven
Entwicklung des Kindes. Die Kontinuität der bisherigen Entwicklungsarbeit mit dem Kind wird durch ein
integratives Rückschulungskonzept innerhalb der Regelschule abgesichert. Die begonnene Entwicklungsarbeit wird in der Regelschule mithilfe integrativer Maßnahmen fortgesetzt.
Ehemalige Kinder der Mosaikklasse können im Schulalltag ihrer Regelschule von einer mobilen Lehrkraft
aus dem Team der mobilen MosaiklehrerInnen des Rudolf Ekstein Zentrums begleitet und betreut werden. Diese mobilen Lehrkräfte unterstützen aber nicht nur ehemalige Mosaikklassenkinder bei der schulischen Integration, sie bieten auch Volksschulkindern mit erheblichen emotionalen und sozialen Problemen
mittel- oder langfristig schulische Hilfestellungen und Betreuung des betreffenden Kindes im Klassenverband direkt an ihrer Stammschule an. Sie bemühen sich um eine intensive Zusammenarbeit mit der Lehrkraft der Klasse, regen Reflexionsprozesse in Bezug auf das Kind und die Klassengruppe an. Neben der
entwicklungsfördernden Arbeit mit dem Kind ist die mobile Lehrkraft auch für die Beratung des kindlichen
Umfeldes zuständig. Diese Unterstützung wird bei erfolgreicher Integration schrittweise reduziert (vgl. Prinz
2016, 144).
4. Die Bedeutung des multiprofessionellen Nachdenkens vieler Beteiligter
Im Rudolf Ekstein Zentrum entfalten die Aspekte Team, Zusammenarbeit, Professionalisierung und eine
damit verbundene Haltung ihre förderliche Wirkung auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen
Arbeitsbereichen: Im Aufnahmeprozess, in der konkreten Arbeit in der Mosaikklasse, in der psychagogischen Betreuung und auch im Rückführungsprozess beeinflussen sie das multiprofessionelle Nachdenken
vieler Beteiligter und erzeugen so einen differenzierten Verstehenszugang zum auffälligen Verhalten dieser
Kinder.
Eine gelingende Entwicklungsbegleitung des auffälligen Kindes setzt regelmäßige Gespräche unter den
beteiligten Professionellen voraus. Bei REZ-internen Fallbesprechungen kommen – in unterschiedlicher
Zusammensetzung – Schulleitung, mobiles Mosaikteam, PsychagogInnen, LehrerInnen und mobile LehrerInnen zusammen, um aus der Arbeit mit dem Kind beziehungstheoretische und entwicklungspsychologische Erkenntnisse abzuleiten und individuelle Entwicklungsziele zu formulieren. Einen wichtigen Beitrag zu
einem differenzierten Verständnis des Kindes und seinem sozialen Umfeld können auch regelmäßige Vernetzungsgespräche mit außerschulischen Institutionen, Therapieeinrichtungen und Kliniken leisten. Das
Arbeitsbündnis mit der Stammschule in Form eines regelmäßigen Austausches über den Entwicklungsstand des Kindes kann entscheidend zu einer gelingenden Rückführung in die Regelschule beitragen.
Schlusswort
Das Fördersetting „Mosaikklasse“ kann im Sinne von Inklusion nur dann erfolgreich sein, wenn die Aufnahme, die Arbeit in der Klasse, die psychagogische Betreuung im Einzelsetting sowie die schulische Rückführung dieser Kinder von verschiedenen Personen und Teams des Rudolf Ekstein Zentrums wahrgenommen
werden, diese eng miteinander kooperieren, in engem Austausch stehen, es einen gemeinsamen Verstehenszugang vor dem Hintergrund entwicklungspsychologisch fundierter Theorien gibt und wenn darüber
hinaus eine hohe Bereitschaft besteht, supervisorische Unterstützung bei der Klassen-, Eltern- und Teamarbeit in Anspruch zu nehmen. Neben diesem Reflexionsvermögen wird das Team des REZ durch eine
inklusive Haltung geeint. Sie ermöglicht es, in dieser intensiven Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern
dranzubleiben, Neugierde auf das sich entwickelnde Kind zu verspüren, die Einzigartigkeit jedes Kindes
anzuerkennen, und sich Achtsamkeit, Wertschätzung und professionelles Verstehen auch in schwierigen
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Zeiten zu bewahren. Und schließlich eint auch die Überzeugung von der positiven Wirkung der
Beziehungsarbeit, die sich im Leitsatz des Rudolf Ekstein Zentrums abbildet: „Es ist die Beziehung die heilt“.
Autorinnenverzeichnis:
Regine Prinz, MA (Psychagogik), MEd, Dipl. Päd., Lehramt Hauptschule
von 2013 bis 2016 als Mosaikklassenlehrerin im Rudolf Ekstein Zentrum tätig
derzeit Psychagogin an zwei Wiener Pflichtschulen
Nina Setaffy, MA (Psychagogik), BEd, Lehramt Allgemeine Sonderschule
seit 2014 als Mosaikklassenlehrerin im Rudolf Ekstein Zentrum tätig
Tijana Wandl, MA (Psychagogik), Dipl. Päd., Lehramt Volksschule;
seit 2014 als Mosaikklassenlehrerin im Rudolf Ekstein Zentrum tätig
Literaturverzeichnis
Datler, M. (2012): Die Macht der Emotion im Unterricht. Eine psychoanalytisch-pädagogische Studie.
Psychosozial Verlag: Gießen
Figdor, H. (2003): Psychoanalytisch-pädagogische Erziehungsberatung. Theoretische Grundlagen. In
Finger-Trescher, U. et al (Hrsg.): Professionalisierung in sozialen und pädagogischen Feldern.
Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 13. Psychosozial-Verlag: Gießen, 70-90
Finger-Trescher, U. (2012): Psychoanalytisch-pädagogisches Können und die Funktion gruppenanalytischer Selbsterfahrung. In: Datler, W./Finger-Trescher, U./Gstach, J. (Hrsg.): Psychoanalytisch-pädagogisches Können. Vermitteln-Aneignen-Anwenden. Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 20.
Psychosozial-Verlag: Gießen, 34-52
Freiheit, Katja (2012): Spielend zum Lernerfolg. Möglichkeiten und Grenzen einer Pädagogisierung des
Spiels. AV - Akademiker Verlag
Gerspach, M. (2009): Psychoanalytische Heilpädagogik. Ein systematischer Überblick. Kohlhammer:
Stuttgart
Heinemann, E./ Hopf, H. (2015): Psychische Störungen in Kindheit und Jugend. Symptome-Psychodynamik-Fallbeispiele-psychoanalytische Therapie. 5. aktualisierte und erweiterte Auflage. Kohlhammer:
Stuttgart
Prinz, R. /unter Mitarbeit von Peyrl, B. (2016): Professionalisierung als Voraussetzung für Inklusion - Vorschulförderung verhaltensauffälliger Kinder durch psychoanalytisch- pädagogisch ausgebildete
Lehrkräfte. In: Göppel, R./Rauh, B. (Hrsg.): Inklusion. Idealistische Forderung, individuelle Förderung, institutionelle Herausforderung. Kohlhammer: Stuttgart, 137-147
Stein, R./ Müller, T. (2015): Verhaltensstörungen und emotional-soziale Entwicklung: zum Gegenstand.
In: Stein, R./Müller, T. (Hrsg.): Inklusion im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung.
Kohlhammer: Stuttgart, 19-43
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Projekt Gewaltprävention
„Miteinander statt gegeneinander“
Unser Angebot richtet sich an Lehrerinnen und Lehrer der Volksschule und bis zur 2. Klasse NMS, die gewaltpräventiv mit ihrer Klasse arbeiten wollen.
Im Fokus unserer Beratung steht der Blick auf die Gruppe/Klasse und das soziale Geschehen. Wir unterstützen Lehrerinnen und Lehrer, ihre Ressourcen im Umgang mit der Klasse zu erkennen und in ihrer
Beziehung zur Klasse bewusst einzusetzen. Begleitend bieten wir je nach Themenstellung mehrere Workshops mit der Klasse im Beisein der Lehrerin an, die anschließend gemeinsam reflektiert werden.
Es umfasst:
•
Beratung der Klassenlehrerin/des Klassenlehrers an ihrer Schule
•
eine Außensicht auf die Gruppendynamik in der Klasse und die Beziehungsdynamik zwischen Lehrperson und den Kindern
•
Entwickeln von Arbeitshypothesen zu den aktuellen sozialen Themen in der Gruppe
•
Unterstützung der Lehrerin beim Entwickeln von Interventionen und Deeskalationsideen
•
Informationen über die Bedeutung des Spielens für Kinder und über das soziale Lernen
•
Wissen über Gruppenprozesse und Konfliktaustragung auf der jeweilige Entwicklungsstufe
•
Workshops mit der Klasse
•
Literaturtipps und Vernetzung mit anderen Institutionen
Im Schuljahr 2015/16 haben wir 14 Klassen in 13 Schulen betreut - sechs VS Klassen, sechs NMS Klassen,
zwei ZIS Klassen.
Anhand einer kurzen Prozessbeschreibung wollen wir unsere Arbeitsweise darstellen und verdeutlichen:
Arbeit in einer 1. Klasse NMS – 12 Schülerinnen und 11 Schüler
Im Erstgespräch mit den Klassenlehrerinnen (KV und Co-KV) schildern die Lehrerinnen, dass die Kinder
im Unterricht gut arbeiten, in den Pausen und in den Turnsaalgarderoben komme es jedoch zwischen den
Burschen immer wieder zu Eskalationen, die auch körperlich ausgetragen werden.
In einer Beobachtung in dieser Klasse und aufgrund der Informationen der Lehrerinnen nehmen wir viele
schwer belastete und traumatisierte Kinder wahr. Zwei Kinder leben in einer WG und ein Bub kommt direkt
aus der Förderklasse. Ein Bub hat akut eine schwere Krise in der Familie. Bei einem dieser Kinder haben
wir am Ende auch eine neuropsychiatrische Abklärung empfohlen.
Die Lehrerinnen wünschen und erwarten sich, dass wir mit den Kindern Strategien zur Deeskalation der
Konflikte erarbeiten. Wir bieten den Lehrerinnen und der Klasse an, dass wir mit ihnen die Hintergründe und
den Bedarf der Kinder erforschen.
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I-JOURNAL Jänner 2017
Beim ersten Workshop boten wir der Klasse gruppenstärkende Spiele an, wobei sich zeigte, dass es besonders unter den Burschen viel um Rangordnung und um den eigenen Platz in der Gruppe geht. Wir entwickelten mit den Lehrerinnen die Arbeitshypothese, dass der Grund für die Eskalationen möglicherweise
der Kampf um Gruppenpositionen sein könnte.
Das hat uns bewogen mit den Lehrerinnen im Reflexionsgespräch für den zweiten Workshop ein Soziogramm vorzubereiten. Das Lehrerinnenteam leitete die Schülerinnen und Schüler an, einen individuellen
kleinen Fisch als Symbol der eigenen Persönlichkeit zu zeichnen. In unserem Workshop durften die Kinder
ihren Fisch auf einem Plakat nach ihrer momentanen Empfindung und Beziehung zueinander legen. Unsere Anleitung lautete: „Leg den Fisch dort auf, wo du deinen Platz in der Gruppe in Bezug auf die anderen
in der Gruppe siehst.“
Die Kinder bekamen von uns die Einladung, ganz nach ihrem eigenen Impuls schweigend nacheinander –
ohne vorgegebene Reihenfolge – ihre Fische einzeln auf ein vorbereitetes leeres Plakat zu legen. Im zweiten Schritt durften die Kinder Veränderungen ihrer Position vornehmen und begründen. Dabei wurde gut
sichtbar, dass es eine klare Trennung zwischen Burschen und Mädchen in dieser Klasse gab. Außerdem
zeigte sich, dass sich ein Bub ausgeschlossen fühlte, weil die anderen Burschen immer wieder ihren Fisch
von seinem Fisch weg bewegten. Er konnte seine Frustration und Kränkung mit unserer Unterstützung
deutlich ausdrücken und einige MitschülerInnen nahmen ihre Betroffenheit darüber wahr. Sie entwickelten
daraufhin gemeinsam konstruktive Lösungsmöglichkeiten, wie sie dem Jungen Angebote zum Mitspielen
oder zum miteinander Reden machen könnten. Am Ende konnten alle, auch der betroffene Bub, eine gute
Position in der Gruppe finden, und es war eine deutlich entspannte Atmosphäre in der Gruppe für uns
spürbar. Den Kindern wurde deutlich, wie es sich anfühlt von anderen ausgeschlossen zu sein, und einige
Kinder waren in der Lage, darauf einfühlsam zu reagieren. In den Reflexionsrunden mit den Kindern wurde
thematisiert, dass jeder gut auf seine Position und auf die Abstände zu den anderen achten und diese regulieren kann. Ein aus seiner Vorgeschichte sehr belasteter Bub brachte ein, dass für ihn ein großer Abstand
viel Schutz bedeutet und er so einen guten Platz etwas abseits von den anderen gefunden hat. Es erschien
uns eine bedeutsame Erkenntnis für die Kinder und die Lehrerinnen, dass sich nicht jedes Kind, das auf
Abstand zu anderen wahrgenommen wird, als Außenseiter fühlt, sondern dass es nur im gemeinsamen
Dialog feststellbar ist, wie ein Kind sich und seine Rolle in der Klasse wahrnimmt.
In der Mädchengruppe zeigte sich sehr viel Nähe und das Bedürfnis „aufs aufeinander Schauen“. Wir erlebten unter den Mädchen einen starken Zusammenhalt und einen fürsorglichen Umgang miteinander. Einige
Mädchen thematisierten, dass ein Stück mehr Nähe und Verbindung zu den Burschen für sie möglich wäre.
Der Gruppenprozess und die Reflexion waren in dem wertschätzenden Rahmen erstaunlich intensiv, die
Kinder hatten viel Interesse aneinander und am Geschehen und konnten mit unserer respektvollen Unterstützung und Anleitung ihre Bedürfnisse und Ängste gut ansprechen.
Es war für die Lehrerinnen und uns berührend, wie offen die Kinder ihr eigenes Erleben ausdrückten und
wie dieser, von uns empathisch begleitete gruppendynamische Prozess das Vertrauen der Kinder zueinander vertiefen konnte.
Aufgrund unserer Beobachtungen in den Pausen konnten wir den Lehrerinnen die Anregung mitgeben, wie
wichtig ihre fallweise Anwesenheit (auch bei Gangaufsichten) aufgrund ihrer stabilisierenden Wirkung auf
die Klasse sei. Dadurch hätten sie die Möglichkeit, Konflikte rechtzeitig zu deeskalieren und der Gruppe
damit mehr Sicherheit zu geben. Weiters haben wir erarbeitet, dass Spieleangebote für eine konstruktive
Pausengestaltung sinnvoll wären.
Um den Prozess weiter zu begleiten und abzurunden, boten wir nach einem Monat einen Folgeworkshop
an. In diesem griffen wir noch einmal das Soziogramm, das in der Klasse an der Pinnwand gut sichtbar war,
auf. Wir leiteten die Kinder an, die Gruppenposition vom Plakat vom letzten Workshop genau anzuschauen und sich dementsprechend in der Kreismitte aufzustellen. Damit konnte noch einmal spürbar werden,
welche Position jede/jeder in dieser Gruppe hat. Sie sollten nachspüren, wie sich das heute anfühlt, ob es
noch passt, oder ob es Veränderung bräuchte.
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Mutig wurden Veränderungswünsche angesprochen, gleich ausprobiert und neue Positionen entdeckt.
Diesmal kam es auch zu einer leichten Annäherung zwischen Mädchen und Burschen. Damit ermöglichten
wir den Kindern und Lehrerinnen die Erfahrung, dass Rollen und Positionen im Beziehungsgefüge nicht
festgefahren sind, sondern immer wieder Veränderungen unterliegen. In der Nachbesprechung meldeten
uns die Lehrerinnen zurück, dass die Eskalationen in der Gruppe deutlich abgenommen haben und dass
auch während der Schullandwoche ein besseres Gruppenklima wahrnehmbar war.
Bei der Reflexion mit den Kindern am Ende des dritten Workshops äußerten alle Kinder den Wunsch, dass
wir im nächsten Schuljahr wiederkommen sollten.
Auch die Lehrerinnen gaben uns bei der Nachbesprechung die Rückmeldung, dass sie sich von uns gut
unterstützt gefühlt hatten und an einer Fortsetzung des Projektes interessiert wären.
Michaela Sodl
Anna Maria Böckl
Psychagoginnen
Rudolf Ekstein Zentrum, ZIS 20
Kontakt: 0664/559 25 29
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„Stärke durch Beziehung - Zum Wohle des Kindes
und Jugendlichen“
„Neue Autorität“- Pilotprojekt Floridsdorf
Die Etablierung des Pilot-Projekts „Stärke durch Beziehung - Zum Wohle des Kindes und Jugendlichen“
in Floridsdorf wurde durch die PSI DOPPLER-EBNER und PSI Mag.a SCHÜTZELHOFER mit initiiert und
tatkräftig forciert. Dadurch konnte die Haltung der „Neuen Autorität“ im APS-Bereich des 21. Wiener Gemeindebezirks - in einem gemeinsamen Bestreben - gut unterstützt auf den Weg gebracht werden.
Das Projekt bietet durch seine praxisbezogene Umsetzbarkeit konstruktive Möglichkeiten, den gesellschaftlichen Herausforderungen und den damit verbundenen neuen pädagogischen Ansprüchen gelingend
begegnen zu können.
Gearbeitet wird nach dem wertvollen Instrumentarium der „Neuen Autorität“ von Prof. Dr. Haim OMER,
einem Konzept der pädagogischen und elterlichen Präsenz mit systemischem Ansatz:
1. Die derzeit zu lösenden Themen sind im Alleingang nicht zu „stemmen“ und erfordern ein bewusstes Miteinander aller BündnispartnerInnen (Sicherheitsgefühl). In diesem Netzwerk werden mögliche
weitere Vorgehensweisen kreiert und gemeinsam umgesetzt.
2. Um den Ängsten der Menschen und den daraus resultierenden Aggressionshandlungen gelingend statt ohnmächtig - entgegen treten zu können, erfordert es gemeinschaftliche Strategien der kleinen
Schritte, welche dann flächendeckend umgesetzt werden. Dem bestehenden Führungsproblem wird
durch Stärkung der Pädagogik, Legislative und Exekutive begegnet (Couragierte Gemeinschaft).
3. Der Wesens-Kern des „gelebten“ Konzepts von Prof. Dr. Haim OMER ist die innere wertschätzende
Haltung, getragen durch persönliche Präsenz und Wachsame Sorge, welche die konstruktive Beziehungsgestaltung als wichtigste Ressource sieht. Verfügbare Netzwerke werden mit einbezogen, die
Praxis des Gewaltlosen Widerstands (GANDHI) mit beharrlicher Entschlossenheit angewandt.
Das Gelingen eines guten Miteinanders erfordert vom Individuum und Gemeinschaftswesen Mensch vor
allem
•
das Setzen von Grenzen
•
ein positives Beziehungsangebot unabhängig vom Verhalten
•
das In-Gang-Setzen eines konstruktives Prozesses, um Überzeugungen und Haltungen im Sinne
eines respektvollen gewaltlosen Miteinanders zu ändern
•
das Mobilisieren des Umfeldes
im Interesse des Kindes.
Um als Gemeinschaft dem problematischen Verhalten von Kindern und Jugendlichen entschlossen und
beharrlich gegensteuern zu können, wächst stetig eine achtsam bewusste Kooperation mit allen, mit den
Kindern und Jugendlichen befassten, Institutionen.
Durch gemeinsame Treffen im Sinne der Haltung einer konstruktiven Autorität konnten potentiell unterstützende Bündnispartnerschaften und Netzwerke mit dem Amt für Jugend und Familie, Polizei, Justiz,
Staatsanwaltschaft, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Pädagogische Hochschule, usf. geschlossen, gepflegt
und weiter vertieft werden. Diese so entstandene wohlwollende „Wir“-Qualität unserer neu inspirierten
Zusammenarbeit hat unsere Handlungsfähigkeit erweitert und zusätzlich die soziale Sicherheit gestärkt.
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Die bewusst gelebte Beziehungskultur, wie auch gemeinsam klar gegen destruktives Verhalten wider die
Gemeinschaft aufzutreten, wirkt sich systemisch aus, neue Projekte sind entstanden, entstehen und entwickeln sich:
UNA (Unterstützung Neue Autorität) besteht aus speziell ausgebildeten Lehrerinnen, welche das Instrumentarium des Konzepts von Prof. Dr. Haim OMER (Stärke durch positive Beziehung) durch Vorträge und
Workshops mit-unterstützend an die Schulen und in andere Institutionen bringen. Ziel ist es, zur Haltung der
Neuen Autorität zu inspirieren, zu ermächtigen, zu helfen, diese umzusetzen und sie gemeinsam zu leben.
Im Konzept BERATUNGSTEAM SCHULSTART/POP-UP wirken LehrerInnen im Volksschulbereich im Sinne der Neuen Autorität vor Ort in den Klassen, in welchen ein Kind durch Dissozialität die Gruppe überfordert. Gemeinsam mit den, im System mit dem Kind Befassten wird durch beziehungsorientierte Haltung ein
Unterstützungsplan und -setting entwickelt. Ziel ist, den Schüler/die Schülerin inklusiv im Klassenverband
bei gleichzeitigem Durchführen von Verhaltensmodifikationen zu halten.
Ein Kooperations- und Präventions-Projekt der Justiz, Polizei und Schule ist JUDGE4U, welches von der
Jugendstrafrichterin Mag.a NACHTLBERGER initiiert wurde. Ziel ist es, „gefährdete“ oder straffällig gewordene Jugendliche über Beziehungsangebote und durch verschiedene pädagogisch-methodische Zugänge,
ein Gefühl für Recht und Unrecht spürend wahrnehmen zu lassen und sie so zur Einsicht und Selbstverantwortungsübernahme für ihr Tun zu bringen.
Die Wirkungsweise und Resonanz ist bei allen Projekten positiv hoch.
Mag.a Dr.in Ilse Paulnsteiner
Leiterin im SES/ZIS 21
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Das dynamische Konzept der „Neuen Autorität“
und des gewaltlosen Widerstands nach Haim Omer
Neue Autorität in Floridsdorf
SES/ZIS 21
Viele Erwachsene erleben sich im Umgang mit Kindern und Jugendlichen zunehmend handlungsunfähig.
PädagogInnen und Erziehende brauchen eine neue Form von Autorität, weil sie merken, dass sie manchen Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen hilflos und ohnmächtig gegenüber stehen.
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respektloser Umgang mit Gleichaltrigen und Erwachsenen
verschiedenste Formen von Mobbing
verschiedenste Formen von sexuellen Übergriffen
verbale und körperliche Aggression
•
verschiedenste Formen von Gewalt
Prof. Dr. Haim Omer, Lehrstuhlinhaber für Psychologie an der Universität Tel Aviv hat den Begriff der „Neuen Autorität“ in Erziehung und Gemeinwesen basierend auf der sozialpolitischen Idee Mahatma Gandhis
geprägt.
Das Konzept beschreibt die Notwendigkeit, Autorität neu zu definieren, um Personen mit pädagogischer/
erzieherischer Verantwortung Mittel in die Hand zu geben, Regeln aufzustellen und deren Einhaltung einfordern zu können.
Die verantwortlichen Personen lernen über die Haltung der Präsenz und durch Interventionsmöglichkeiten
des gewaltlosen Widerstandes aus den Machtkämpfen auszusteigen, Unterstützungssysteme zu nützen
und den ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen mit Wertschätzung und Achtsamkeit zu begegnen.
Wesentliche Aspekte der „Neuen Autorität“ sind in folgender Grafik zusammengefasst:
„ Das neue Bild von Autorität hat ganz andere Assoziationen:
von Stärke, von einem Anker, den wir anbieten, von Beharrlichkeit und Selbstkontrolle.“
Prof. Haim Omer, Universität Tel Aviv
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Neue Autorität in Floridsdorf
Durch die intensive Auseinandersetzung unseres Teams mit den Prinzipien der Neuen Autorität und des
Gewaltlosen Widerstands hat sich im 21. Bezirk ein Unterstützungsnetzwerk mit unterschiedlichen BündnispartnerInnen gebildet.
Verschiedene VertreterInnen schulischer und außerschulischer Institutionen haben sich zur Mitarbeit bereit
erklärt.
Mit großer Offenheit wird das Projekt von PSI Mag.a Schützelhofer sowie PSI Doppler-Ebner mitgetragen
und gefördert.
Dadurch sind in Floridsdorf bereits einige innovative Projekte im schulischen Kontext entstanden
(Judge4U, Pop-up, UNA).
SES/ZIS 21 - Perspektive
Unterstützungssysteme & Bündnisse Neue Autorität
Ziel dieses Pilotprojektes ist ein professioneller Umgang mit Konflikten und Gewaltphänomenen.
Das gesamte verfügbare Netzwerk (siehe Grafik) wird nach Bedarf in den Prozess von Problemlösungen
miteinbezogen und als Unterstützungsgruppe genützt.
So entstehen Bündnisse für das Erreichen von gemeinsamen pädagogischen Zielen, was wiederum den
Kindern und Jugendlichen zugute kommt.
Das Projekt „Neue Autorität“ soll hinkünftig an allen Pflichtschulen des Bezirks Floridsdorf umgesetzt werden.
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I-JOURNAL Jänner 2017
UNA - Unterstützung Neue Autorität
In Form von Impulsreferaten und Vertiefungsseminaren werden vom UNA-Team Pflichtschulen im
18., 19. und 21. Bezirk betreut.
Inhalte und Ziele:
•
Vermittlung der Grundlagen der Neuen Autorität
•
Reflexion bzw. Neudefinition des Autoritätsbegriffes
•
Stärkung der PädagogInnen durch das Gefühl des Miteinanders und des Unterstützt-Werdens
•
Erweiterung der eigenen Handlungsfähigkeit
•
Widerstand bei unerwünschten/destruktiven Verhaltensweisen durch Präsenz und Beziehung
•
Bewusstmachung von Eigenverantwortung
•
Erlangung einer positiven Fehlerkultur „Ich darf Fehler machen“
•
Unterbrechung von Eskalationskreisläufen
•
Wahrung einer respektvollen Haltung - auch in Krisensituationen
Durch das UNA-Team werden je nach Bedarf Schulen über einen längeren Zeitraum prozessorientiert
begleitet.
Dipl. Päd.in Brigitte Gartner-Denk
Dipl. Päd.in Jacqueline Krenn-Knafl
Dipl. Päd.in Barbara Reinwald
Dipl. Päd.in Jutta Wlceck–Abdank
SES/ZIS 21 – Leitung: Mag.a Dr.in Ilse Paulnsteiner
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I-JOURNAL Jänner 2017
Pop-Up
Das allgemeine Bildungsziel zum Umgang mit SchülerInnen mit sozialem und emotionalem Förderbedarf
ist im Lehrplan der Sondererziehungsschule wie folgt definiert:
„Den Schülerinnen und Schülern soll ein Lernumfeld geboten werden, welches einen Verbleib an der allgemeinen Schule bzw. die Reintegration in diese und den erfolgreichen Abschluss der jeweiligen Schulart
sowie die Entwicklung von Berufsperspektiven ermöglicht.“
Den Kindern im Verbleib an der allgemeinen Schule die notwendigen Fördermaßnahmen zu ermöglichen,
gab es bisher nur unzureichend. Stattdessen wird der Unterricht in Förderklassen unter speziellen Rahmenbedingungen an die individuellen Bedürfnisse der SchülerInnen angepasst und hat neben herkömmlichen
Unterrichtsmethoden auch einen erzieherischen Charakter. Allerdings geht mit Eintritt in die Förderklasse
der Kontakt zur Regelklasse für das Kind verloren, was wiederum die Reintegration zusätzlich erschwert.
Das Pop-Up Konzept sieht nun vor, Kinder in der Normalität zu halten und die Vorteile der Förderklasse zu
nutzen. Was bisher in der Exklusion (Förderklasse) geschah, soll nun mit Hilfe des Pop-Up Konzepts in den
Klassen und im gewohnten sozialen Umfeld passieren:
„Die Schülerinnen und Schüler sollen
•
Einsicht in die eigenen Verhaltens- und Bewältigungsmuster gewinnen und Verhaltensalternativen
entwickeln,
•
ihre Lebenserfahrung und ihre Lebensbedingungen reflektieren und verstehen,
•
Möglichkeiten der Verhaltensänderung kennen lernen und in der Lage sein, Unterstützung
anzunehmen,
•
sich der eigenen Ressourcen bewusst werden und diese einsetzen sowie nutzen können,
•
Selbstwert und Selbstvertrauen sowie Beziehungs- und Bindungsfähigkeit auf- bzw. ausbauen und
•
Zukunftsperspektiven entwickeln.“ (BGBl. II 2012, S. 2)
Dabei baut das Pop-Up Konzept auf den Grundgedanken der „Neuen Autorität“ nach Haim Omer auf. Durch
die enge Zusammenarbeit mit den LehrerInnen und Eltern basiert die Arbeit der Pop-Up LehrerInnen auf
der Säule „Unterstützungssysteme und Bündnisse“. Im Sinne der „Transparenz und Öffentlichkeit“ werden
Bündnispartner kontinuierlich über die Vorgänge an der Schule informiert. Durch „Präsenz und Wachsame
Sorge“ wird die Stabilität in der Klasse von den Pop-Up LehrerInnen wiederhergestellt.
Der Erfolg des hier vorliegenden Konzepts ist neben den organisatorischen Rahmenbedingungen auch
an Menschen gebunden, die nach den gleichen Grundgedanken handeln, um eine gemeinsame innere
Haltung zu entwickeln, mit welcher sie auftreten. Um dies zu gewährleisten, werden KlassenlehrerInnen,
die mit der „Neuen Autorität“ noch nicht vertraut sind, von den Pop-Up LehrerInnen dahin gehend geschult.
Das Ziel des Pop-Up Konzepts ist es, die Vorteile einer Förderklasse, nämlich das intensive Arbeiten an
sozialen und emotionalen Fähigkeiten, an die Regelschulen zu bringen. Auffällige SchülerInnen werden
im Klassenverband und somit der Normalität gehalten. Durch das rasche Agieren in Eskalationsprozessen
kann auch die Stabilität innerhalb der Stammklasse erhalten bleiben. Dadurch bleibt der Kontakt zum üblichen sozialen Trainingsfeld bestehen und eine mögliche Stigmatisierung durch die Exklusion wird vermieden.
Die Pop-Up LehrerInnen arbeiten mit der gesamten Klasse und auch den LehrerInnen, wodurch die Arbeit
an einer Verhaltensänderung nicht alleine vom Kind getragen wird. Anders als für das jetzige Konzept der
Förderklasse besteht somit für auffällige SchülerInnen noch die Möglichkeit, sich innerhalb der Stammklasse weiterzuentwickeln und diese als soziale Ressource zu nützen.
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Ablauf
Das Pop-Up Konzept für die Vorschulklasse läuft in folgenden Phasen ab:
1. Phase: Vorbereitung
Nach der Meldung eines auffälligen Kindes an das ZIS 21 wird dieses in Zusammenhang mit der Klasse
von den FörderklassenlehrerInnen beobachtet und die Bedürfnisse abgeklärt. Ziel ist es, eine rasche,
konkrete, jedoch zeitlich begrenzte Hilfestellung für alle Beteiligten zu installieren. Dazu wird ein, auf
die Klasse maßgeschneidertes, Programm erstellt und den LehrerInnen angeboten. Dieses Programm
kann umfassen:
•
Soziales Kompetenztraining
•
Arbeit am Verhalten (Belohnungssystem, etc.)
•
Klassenmanagement (non-verbal)
•
Elterngespräche
•
LehrerInnengespräche
•
SchülerInnengespräche
•
Vernetzung
•
Entlastung der betroffenen LehrerInnen durch Halten von Unterrichtseinheiten
(Blickwinkel verändern)
2. Phase: Praktische Unterstützung
In der zweiten Phase wird nun das spezifische Wissen über den Umgang mit Kindern mit sozialem und
emotionalem Förderbedarf von FörderklassenlehrerInnen in die Stammklasse getragen und in der Klasse umgesetzt. Diese Umsetzung übernehmen die FörderklassenlehrerInnen selbst, indem sie nach der
Vorbereitungsphase mit der gesamten Klasse arbeiten und soziale Unterrichts-Einheiten durchführen.
Neben der Hilfestellung im Unterricht werden zusätzlich, je nach Bedarf, unterschiedliche Unterstützungssysteme in der Schule und zu Hause installiert. Dies erfolgt durch:
•
Vorstellen und Üben non-verbaler Unterrichtstechniken
•
Einführen von Belohnungssystemen
•
Halten von sozialen Lerneinheiten (Umgang mit Konflikten, Klassenregeln, Spielregeln, Lob, Respekt, Selbstwahrnehmung, ...)
•
Erarbeiten von Deeskalationsmaßnahmen
•
Absprechen von erziehungstechnischen Methoden, Belohnungssystemen und Konsequenzen mit
den Eltern
•
Miteinbeziehen der betroffenen Kinder in den Veränderungsprozess
•
Führen von SchülerInnengesprächen
So wird in dieser Phase der Schwerpunkt darauf gelegt, das Kind im vertrauten Umfeld zu belassen und
mit der gesamten Klasse soziale Handlungsfähigkeiten zu trainieren. Die Unterrichtseinheiten werden
dabei individuell an die Bedürfnisse des Kindes und der Klasse angepasst und von den FörderklassenlehrerInnen gehalten. Durch den direkten Kontakt mit der Klasse können sich die FörderklassenlehrerInnen besser an den Kindern und der Klassendynamik orientieren, wodurch der weitere Verlauf
besser geplant werden kann. Die jeweiligen Unterrichtseinheiten werden mit den KlassenlehrerInnen
nachbesprochen und reflektiert, um herauszuarbeiten, welche Handlungsalternativen sich für die KlassenlehrerInnen anbieten, um in weiterer Folge gestärkt und alleine mit schwierigen Situationen umgehen zu können.
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Wichtig ist es, LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern wieder in die eigene Handlungsfähigkeit zu
bringen. Die Aufgabe der FörderklassenlehrerInnen besteht darin, diesen Veränderungsprozess durch
ihre Methoden und Erfahrungen einzuleiten und zu begleiten.
3. Phase: Nachbetreuung und Abschluss
Nach der starken Präsenz in der zweiten Phase ziehen sich die FörderklassenlehrerInnen nun wieder aus dem Unterrichtsgeschehen zurück, und unterstützen die KlassenlehrerInnen bei der Umsetzung der verhaltenspädagogischen Maßnahmen. Dabei stehen die FörderklassenlehrerInnen den KlassenlehrerInnen im weiteren Verlauf stundenweise in der Klasse oder telefonisch
zur Verfügung, um die weitere Entwicklung zu reflektieren.
Wenn nötig werden Unterstützungssysteme mit den Ressourcen der Stammschule installiert, die
auch ohne FörderklassenlehrerInnen weiterlaufen können.
Mit diesen drei Phasen ist die Arbeit der Pop-Up Klasse grundsätzlich beendet. Aus unserer Erfahrung
in der Praxis, ist in den meisten Fällen keine Exklusion notwendig. In Fällen, in welchen sich jedoch
alle Beteiligten schon sehr tief in einem Eskalationsprozess befinden, kann es allerdings hilfreich sein,
das Kind aus der Klasse zu nehmen. Ob die angedachten und ergriffenen Maßnahmen innerhalb des
Klassenverbandes ausreichen, um positive Veränderungen zu erzielen, ist erst nach der zweiten Phase
ersichtlich. Aus diesem Grund wird eine etwaige, kurzfristige Exklusion erst danach in Erwägung gezogen (siehe Grafik):
AblaufExklusion
in der Stammklasse:
in der Förderklasse:
1.Phase: Vorbereitung
2.Phase: Praktische Unterstützung
Exklusion
3.Phase: Nachbetreuung
Exklusion (in Ausnahmefällen)
Sollten die Ressourcen in der Klasse nach der zweiten Phase ausgeschöpft sein und sollte es weiterhin zu Krisensituationen kommen, so kann zur Entspannung aller Beteiligten angeboten werden, das
Kind (mit Einverständnis der Eltern) für kurze Zeit aus der Klasse zu nehmen und in der Förderklasse
im ZIS 21 zu unterrichten. Die FörderklassenlehrerInnen wechseln mit dem Kind in die Exklusion. In diesem Zeitraum wird besonders und vorrangig verhaltensmodifizierend an den sozialen Kompetenzen des
Kindes gearbeitet mit dem Ziel, es so bald wie möglich wieder in den Klassenverband zu reintegrieren.
Während dieser Zeit bleibt auch ein enger Kommunikations- und Informationsaustausch mit den PädagogInnen der Stammklasse erhalten, um das Angebundensein des Kindes in der Gruppe zu wahren.
Dipl.Päd. Susanne Propst
Joachim Seiler BEd
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Judge4U
Eine Maßnahme im Rahmen des Projektes zur Bekämpfung
der Jugendkriminalität in Floridsdorf
Die Erfahrung mit straffällig gewordenen Jugendlichen zeigt, dass es sich meist nicht um pubertätsbedingte, vorübergehende Phasen in der Entwicklung heranwachsender Menschen handelt, in der sie sich durch
die Begehung strafbarer Handlungen "erproben wollen", oder "versehentlich in etwas hineinrutschen". Zumeist handelt es sich um Jugendliche, deren Entwicklung schon früh durch Beziehungsabbrüche und damit
einhergehenden Bindungsstörungen, Gewalt, Fremdunterbringung, Alkoholmissbrauch, psychische oder
physische Erkrankungen sowie Kriminalität innerhalb des familiären Systems geprägt ist.
Die Ressourcen im erzieherischen häuslichen und schulischen Umfeld sind oft nicht ausreichend, um all
jene Defizite auszugleichen, die eine kriminelle Entwicklung bedingen bzw. begünstigen. Aufgrund der
Komplexität der Problematik ist ein Zusammenwirken sämtlicher Behörden, die mit der jugendlichen Existenz in den unterschiedlichsten Kontexten konfrontiert sind, anzustreben.
Die Maßnahme Judge4U versteht sich als vertrauensbildender und das Rechtsbewusstsein fördernder
Brückenschlag zwischen Schule und Jugendgericht.
Viele Jugendliche der betreffenden Zielgruppe haben bereits Erfahrungen mit dem Gesetz gemacht. Diese
Erfahrungen werden subjektiv zumeist negativ empfunden.
Der gefährdete Jugendliche begreift sich als ohnmächtiges Opfer, fühlt sich ungerecht behandelt und übt
sich im ganzheitlichen Widerstand.
Hier gilt es präventiv gegenzusteuern. Gefährdeten Jugendlichen einen persönlichen Kontakt zur staatlichen Autorität in einem geschützten, informellen, begleiteten Rahmen zu ermöglichen, kann die Scheu,
bzw. Angst vor dieser Institution nehmen und das Gericht "erfahrbar" machen.
Projektablauf
Das Projekt Judge4U besteht aus vier Workshops bzw. Terminen. Zielgruppe sind SchülerInnen aus Neuen
Mittelschulen des 21. Bezirks, die bereits mit dem Gesetz in Konflikt geraten oder stark gefährdet sind. Im
Vorfeld werden durch die betreuenden LehrerInnen Kurzcharakteristika der SchülerInnen verfasst und der
Jugendrichterin und Budopädagogin Frau Mag.a Nachtlberger und dem Präventionsbeamten der Polizei
übermittelt, um einen Eindruck über die individuellen Risiko- wie Schutzfaktoren in Hinblick auf gezielte
Kriminalprävention zu verschaffen.
Der Präventionsbeamte der Polizei ist kein Ermittlungsbeamter, sondern ist in den Schulen unterwegs und
steht den SchülerInnen und Schülern als Kontakt- und Ansprechperson – auch nach der Veranstaltung - zur
Verfügung.
An den beiden ersten Terminen werden die Jugendlichen von schulischer Seite mit dem Themenschwerpunkt „Was ist Recht und Unrecht?“ konfrontiert.
Ziel ist es, sich mit dieser Thematik ernsthaft auseinanderzusetzen und das eigene Handeln zu reflektieren. Zusätzlich werden in der Gruppe gemeinsam weitere Themenschwerpunkte wie Kinderrechtskonvention, Vorsatz und Fahrlässigkeit, Straftaten, Staatsanwaltschaft und Gericht, Folgen einer Straftat, Jugendschutzgesetz und politische Hintergründe altersgemäß erarbeitet und besprochen.
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Beim dritten Termin haben die Jugendlichen die Möglichkeit - erstmals - einer Richterin und einem Präventionsbeamten der Polizei neutral, unvorbelastet und unvoreingenommen zu begegnen, um mit Experten über Recht/Unrecht, Straftaten, Gesetze, Konsequenzen und deren damit verbundenen Erfahrungen
zu sprechen, zu diskutieren und auch ein wenig über diese Begriffe zu philosophieren. Die Vertreter des
Rechtsstaates werden dabei von einem (von der Richterin in der Vergangenheit verurteilten und für diese
Veranstaltung speziell instruierten) jungen erwachsenen Ex-Straftäter begleitet, der über seinen Werdegang und die Zeit im Gefängnis berichtet. Das Projekt bietet hier den Schülern eine wichtige Identifikationsfigur, die einen wesentlichen Anteil an der Glaubhaftigkeit des Projekts für die Schüler bildet.
Zum Ablauf des dritten Termins bzw. Workshops ist noch zu ergänzen, dass die Jugendlichen mit der Richterin und dem Präventionsbeamten in einem Sitzkreis sitzen - diese agieren abwechselnd und ergänzend
- wobei sowohl paternales als auch maternales Fürsorgeprinzip gleichzeitig verwirklicht werden. Innerhalb
des Sitzkreises befinden sich verschiedene Gegenstände wie Strafgesetzbuch, Richtertalar, Polizeikappe,
Einsatzstab der Polizei, Handfesseln, ein Bokken (Japanisches Holzschwert, Symbol für Klarheit, Zielstrebigkeit, Durchsetzungsvermögen und Schärfe, richterliche Entscheidungsmacht), Baseballschläger und
Schlagring. Das Berühren der Gegenstände wird anfangs erklärend verwehrt, später wird der Kontakt zu
den Gegenständen kontrolliert erlaubt und reflektiert, wobei es um die spürbare Veranschaulichung verschiedener Themen geht (z.B. Gefährlichkeit von Waffen, Freiheitsentzug, Straftatbeständen). Anhand der
Materialien ergeben sich verschiedene Erzählungen aus dem eigenen Erleben der Schüler, und so findet
eine Vertiefung der Themen auf individuelle – fast unbemerkte – Weise statt.
Das Setting ist fernab eines Frontalvortrages gestaltet, versucht vielmehr in menschlicher, erlebnispädagogisch geprägter Begegnung, einen Zugang zu den Schülern zu finden und diesen gleichzeitig Führung und
Orientierung erfahrbar zu machen. Das bedeutet auch, dass diese Einheit zwar einerseits locker gestaltet
ist, um auf die Bedürfnisse zum Thema jeweils spontan eingehen zu können, andererseits jedoch, auf
Respekt, Höflichkeit und Haltung geachtet wird und diese von Richterin und Polizeibeamten eingefordert
werden.
Den Schülern gelingt es innerhalb des geschaffenen Rahmens darauf einzusteigen und es hat sich insgesamt ein großes Informations- und Redebedürfnis gezeigt, wobei Letzteres sich zu philosophischen
Fragen um Gerechtigkeit, der Suche nach persönlichem Frieden und dem Sinn des Lebens allgemein hin
entwickelt. Es ist sehr wichtig, hier auf die Schüler einzugehen, und diesen Herzensfragen Raum zu geben.
Beim vierten und letzten Termin dürfen die Jugendlichen gemeinsam mit dem Präventionsbeamten drei
Gerichtsverhandlungen - geleitet von der Jugendrichterin Frau Mag.a Nachtlberger - verfolgen und im Anschluss die Polizeiwache besuchen.
Abschließend wird gemeinsam mit der Gruppe über das Erlebte reflektiert.
Durch diese Erfahrungen vor Ort kann ein positives Bild von Gericht und Polizei erzeugt werden. Ängste,
Hass und Vorurteile können abgebaut und andererseits auch die Konsequenzen von Straftaten beeindruckend nähergebracht werden.
Resümee (Ralf John)
Während die Wissensvermittlung und Einführung in die Thematik am Schulstandort ZIS 21, Theodor-Körner-Gasse 25, stattfand, begleitete ich in meiner Tätigkeit als Beratungslehrer die Jugendlichen während
des Projektes und achtete besonders auf deren Reaktionen, Eindrücke und Emotionen.
Einige der Burschen hatten schon häufig Kontakt mit der Polizei und dem Gericht. Bei diesem Treffen
konnten sie mit Beamten der Justiz in Kontakt kommen und ganz unbelastet über die bereits gemachten
Erfahrungen sprechen, ohne selbst angeklagt oder verhaftet zu sein.
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Die Jugendlichen fassten schnell Vertrauen und erzählten über Ihre negativen Erfahrungen im Leben, die
sie geprägt hatten, und auch über die bereits begangenen Straftaten.
Beeindruckend waren die Erfahrungen des jugendlichen Ex-Straftäters, der über die Zeit im Gefängnis
berichtete. Herrschte zuerst die Meinung, der Strafvollzug sei nicht so schlimm, gute Verpflegung sowie TV
und Sport würden den Tag schnell vergehen lassen, so führte der Gefängnisalltag mit seinen Hirarchien
und Gefahren bei den Jugendlichen schnell zur Ernüchterung. Besonders bei jenen, die schon Kontakterfahrungen mit der Polizei hatten, aber nie verurteilt wurden, da sie noch unter 14 Jahre alt waren.
Vieles bekam eine völlig andere Perspektive. Großer Respekt wurde dem jugendlichen Ex-Straftäter für seinen Mut, so offen über seine Fehler und Erfahrungen zu sprechen und zu reflektieren, entgegengebracht.
Hat die Schule Bündnispartner - wie Polizei und Justiz - kann präventiv gut angesetzt werden, um Jugendliche vor Straftaten zu bewahren. Es wäre - flächendeckend in Wien eingeführt - eine sehr sinnvolle Präventionsarbeit und Chance für gefährdete Jugendliche und sicher kostengünstiger als die spätere Erhaltung
und Rückführung von Straftätern.
Mag.a Doris Nachtlberger
Richterin am Bezirksgericht Floridsdorf
Budopädagogik-Master, Budo-Therapeutin
Ralf John Msc
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Wildnis macht Schule
Das Pferde-Wildnis-Projekt des ZIS 6, Mittelgasse
Seit September 2012 leitet Frau Mag. Waltraud Marsoner, Beratungslehrerin und ausgebildete Natur- und
Wildnispädagogin das, von ihr erdachte und initiierte Pferde-Wildnis-Projekt des ZIS 6, Mittelgasse 24.
Auf einem großen Wiesen- und Waldareal in der Lobau wurden zwei große Weidezelte aufgestellt, die
als Aufbewahrungslager für Gerätschaften und Pferdefutter, sowie als Unterstellmöglichkeit für die beiden
Therapiepferde „Flicka“ und „Fee“ bei Schlechtwetter dienen. In Handarbeit wurde außerdem eine beheizbare Jurte aus Naturmaterialien erbaut. Abgesehen davon und dem solarbetriebenen Elektrozaun, der das
Grundstück umgibt, handelt es sich um ein naturbelassenes Stück Wildnis, auf dem man den Rhythmus der
Jahreszeiten und die damit einhergehenden Veränderungen in der Natur hautnah miterleben kann. Strom
gibt es nicht, die Wasserversorgung ist durch einen Hydranten gewährleistet, der an der Straße vor dem
Grundstück positioniert ist.
Durch diese Voraussetzungen ergeben sich viele täglich nötige Tätigkeiten, angefangen vom Beseitigen
des Pferdemists über das Heranbringen von Trink- und Waschwasser, dem Einsammeln und Zerkleinern
von Feuerholz sowie Arbeiten zur Instandhaltung des Grundstücks, zum Beispiel Gras mähen oder Äste
stutzen, bis hin zur Pflege und Versorgung der Pferde.
Ziel des Projektes ist es nicht nur, Kindern und Jugendlichen in Problemsituationen oder mit Benachteiligungen die Möglichkeit zu geben, unter Anleitung von Frau Mag. Marsoner Voltigierübungen auf den Pferden zu erlernen oder Ausritte in ein nahes Waldstück zu unternehmen, sondern vor allem auch, ihnen die
Chance zu geben, sich einzubringen, ihre Talente und Fähigkeiten zu erkennen und zu verbessern, selbstständig mitzuarbeiten und so die Erfahrung zu machen, durch eigene Tätigkeit einen wertvollen Beitrag
zum Gesamtablauf des Projektes zu leisten.
Dadurch, dass die Stunden zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter stattfinden, bietet sich den Teilnehmern auch die Chance, neue Naturerfahrungen zu machen und persönliche Grenzsituation zu erleben und
zu meistern.
Von all diesen Informationen war mir selbst recht wenig bewusst, als ich mich im September des Schuljahres 2014/15 zum ersten Mal mit D., einem unserer Schüler, auf den Weg in die Lobau machte. Unsere
Beratungslehrerin hatte ihm diese Möglichkeit vermittelt und wir waren übereingekommen, dass ich mit D.
gemeinsam fahren sollte, da ich ihn seit seinem Schulantritt kenne, auch schon im Rahmen von Projektwochen betreut hatte und es im Schulalltag größte Schwierigkeiten mit ihm gab, sobald ein Ortswechsel oder
eine Abweichung vom üblichen Tagesablauf anstanden.
D., der über einen eingeschränkten Wortschatz verfügt und mit wenigen Ausnahmen nur Laute von sich
gibt, neigte dazu, sich auf den Boden zu setzen und das Aufstehen zu verweigern, wenn er Arbeitsaufträge
nicht befolgen wollte, was auf Grund seines Körperbaus eine fast unüberwindliche Herausforderung darstellte. Anweisungen von ihm fremden Personen lehnte er kategorisch ab.
Ich hatte relativ wenig Hoffnung auf einen problemlosen Ablauf der Unternehmung und fühlte mich auch
gleich bestätigt, als D. bereits beim Verlassen der Klasse und anschließend auch beim Anziehen seiner
Schuhe und Jacke in Opposition ging und ich ihn nur mit größter Mühe dazu bewegen konnte, überhaupt in
den Bus einzusteigen. Am Areal in der Lobau angekommen, stieg er zwar aus und begleitete mich zur Jurte,
weigerte sich aber, meine Hand loszulassen, was ein für mich unbekanntes Verhaltensmuster darstellte.
Bei der Begrüßung durch Frau Mag. Marsoner war D. sehr zurückhaltend, man erkannte auch deutlich,
dass ihn die Pferde zwar sehr interessierten, ihm aber auch Respekt einflößten. Als Begründung meiner
Anwesenheit gab ich nur an, dass ich bei eventuell auftretenden Schwierigkeiten als Verstärkung gedacht
war, wollte aber nicht zu viel von Ds. üblichem Verhalten erzählen, um die Lehrerin nicht gleich gegen ihn
einzunehmen.
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Kurz darauf war ich darüber doppelt froh, denn zu meinem großen Erstaunen ließ sich D. dazu bewegen,
beim Einsammeln und Entsorgen der Pferdeäpfel mitzuhelfen – dazu ließ er auch nach nur wenigen Minuten meine Hand los. Er schaffte es, sich den Pferden soweit zu nähern, dass er sie streicheln konnte,
erledigte, manchmal nach mehrmaliger Aufforderung, manchmal sofort, alle Arbeitsaufträge. Generell hatte
man den Eindruck, dass es ihm richtig Spaß machte. Auf den Boden fallen ließ er sich kein einziges Mal.
Die einzige Gelegenheit in seiner ersten Wildniseinheit, bei der D. vehement in Opposition ging und sich
nicht dazu bewegen ließ, einer konkreten Aufforderung nachzukommen, war, als er aufgefordert wurde, auf
ein Pferd aufzusteigen.
Es sollte sich herausstellen, dass er dies auch nachhaltig, und zwar bis jetzt (Stand Oktober 2016) verweigern würde, obwohl wir immer noch daran arbeiten.
Abgesehen davon profitiert D. aber enorm von dem Projekt. Schon nach wenigen Stunden wusste er, dass
meine Ankunft in der Klasse mit der Aufforderung, sich anzuziehen, einen Ausflug in die Lobau bedeutete
und kam ihr nach. Bald begrüßte er mich mit den Worten „Baba?“ und machte ein Geräusch, das dem Wiehern eines Pferdes sehr ähnelt.
D.s Klassenlehrerin hatte die Idee, Fotos von seinen Ausflügen, den Gegebenheiten dort und den Pferden
zu machen und informierte mich, dass er diese auch während der Woche gerne anschaut und mit Pferdegeräuschen kommentiert.
Obwohl im Lauf der inzwischen mehr als zwei Jahre, die D. an dem Projekt teilnimmt, auch immer wieder
Situationen entstanden sind, in denen er unerfreuliche Handlungsweisen an den Tag legte, beziehungsweise er die ihm zugewiesenen Aufgaben nicht oder nur teilweise erfüllte, kommt er doch dem Großteil der
an ihn gestellten Anforderungen nach.
Er begrüßt Frau Mag. Marsoner und die Pferde sehr freudig, sobald wir auf dem Grundstück ankommen
und beginnt teilweise selbstständig, offensichtlich anstehende Arbeiten zu erledigen. Er sammelt mit Begeisterung Pferdeäpfel, hilft bei der Zubereitung des Futters und beim Führen der Pferde, schiebt die Mülltonnen, in denen die Pferdeäpfel gesammelt werden, fährt mit dem Schubkarren und trägt diverse Utensilien dorthin, wo sie benötigt werden.
Immer wieder überrascht mich D. aufs Neue, indem er Aufgaben ausführt, deren Erledigung ich ihm keinesfalls zugetraut hätte. Im Rahmen seiner Teilnahme am Pferde-Wildnis-Projekt wird erkennbar, dass er über
deutlich mehr körperliche und auch kognitive Fähigkeiten verfügt, als er bis jetzt gezeigt hat. In Zusammenarbeit mit seiner Klassenlehrerin war es möglich, ihm durch gezieltes Einsetzen dieser Erkenntnisse auch
im Schulalltag Erfolgserlebnisse zu ermöglichen.
Zum Beispiel hatte sich D. immer vehement geweigert, seine Schuhe und Jacke anzuziehen, und uns den
Eindruck vermittelt, dass er dazu gar nicht in der Lage wäre. Mit der Aussicht darauf, in die Lobau zu fahren,
war er aber bald bereit, dies doch zu tun, anfangs noch mit meiner Unterstützung, irgendwann auch ohne
Hilfestellung. Inzwischen zieht er sich auch dann selbstständig an, wenn ein anderer Ausflug oder das Unterrichtsende dies erforderlich machen.
Es ist auch viel seltener geworden, dass D. sich auf den Boden setzt und das Aufstehen verweigert, ebenso
wie er inzwischen auch im Schulalltag vielen Arbeitsaufforderungen nachkommt.
Wie viele andere Kinder auch scheint es D. in seiner persönlichen Entwicklung zu begünstigen, die Möglichkeit zu haben, in der Natur zu sein und dort körperliche „Grenzerfahrungen“ zu sammeln, die ihm im
normalen Schulalltag nicht authentisch geboten werden können. Genau darin besteht das Konzept des
Projekts und ich kann aus meiner persönlichen Erfahrung berichten, dass es voll und ganz aufgeht.
Wer neugierig geworden ist und gerne mehr über das Pferde-Wildnis-Projekt erfahren möchte, kann die
Homepage des ZIS Mittelgasse besuchen – www.zis6.schule.wien.at
oder Kontakt mit der Projektleiterin, Fr. Mag.a Waltraud Marsoner aufnehmen - 0699/171 370 99
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Abschließend sollte noch erwähnt werden, dass sich das Pferde-Wildnis-Projekt fast ausschließlich über
Spenden finanziert, was eine große Herausforderung darstellt, da es sehr zeitintensiv ist, Sponsoren aufzutreiben.
Mit einer Sach- oder Geldspende würden Sie nicht nur ein großartiges Projekt unterstützen, sondern den
teilnehmenden Kindern und Jugendlichen auch weiterhin ermöglichen, ihre Fähigkeiten und Talente zu erkennen und bestmöglich einzusetzen!
Siehe auch: www.zis6.schule.wien.at
Anna Dorfbauer
Hortpädagogin
ZIS 3, Paulusgasse
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Unterricht in der „segelnden Wohngruppe“
Schiff Noah © Herbert Siegrist, Geschäftsführer des AK Noah
Eine Schülerin und drei Schüler starten mit einem Teil des Noah-Teams in einem kleinen Hafen in Norddeutschland in der Mündung der Ems gelegen, dem Grenzfluss zu den Niederlanden.
Nach einer Ankommens- und Orientierungszeit heißt es ablegen und Segel setzen für die erste Segelfahrt
Richtung Südengland - Abenteuerfeeling in geschützter Atmosphäre.
Die Reise der „segelnde Wohngruppe“ bietet einen neunmonatigen Rahmen für erlebnisorientiertes Lernen
auf verschiedenen Ebenen.
Jede „Klasse“ auf der Noah benötigt ihr spezifisch angepasstes Setting, um schützende Inselerfahrungen
für den Aufbau und die Stärkung von Selbstachtung und Selbstwirksamkeit bei den Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen.
Der 21. Noah - Langzeittörn baut auf 32 Jahre Erfahrung im Gestalten dieser „Erziehungshilfe“ auf.
Die NOAH ist ein aus Eichenholz gebauter Nordseefischkutter und wurde zu einer Gaffelketsch mit zwei
Masten und einem Klüverbaum umgebaut. Mit 23,4 m Gesamtlänge, ca. 6 m Breite, 50 t Gewicht und
220 m2 Segelfläche ist die bald siebzigjährige „Dame“ eine recht stolze Erscheinung.
Nach kurzen Testfahrten im Sommer 1983 in der Nordsee startete 1984 der erste Noah - Langzeittörn.
Im Schuljahr 89/90 gab es erstmals Beschulung in Form eines eigenen Lehrers an Bord des 5. Noah 93
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Törns. Die spezielle Form dieser Pädagogik wurde durch den vom ORF gedrehten Film „Das Schiff Noah“
bekannt. Inhaltlich fokussiert dieser Film, der damaligen Zeit und dem wachsendem Interesse geschuldet,
das Thema „sexuelle Gewalt / sexueller Missbrauch“.
Seit 2007 segelt die Noah, als Ursprungsprojekt der Vertragseinrichtung AKs Noah, für die Mag 11 Wien.
Der Arbeitskreis Noah, Verein für Sozialpädagogik und Jugendtherapien, begleitet zurzeit an acht verschiedenen Standorten in Wien ca. 70 Kinder und Jugendliche stationär und somit auch deren Eltern oder
andere Bezugspersonen. NoGu in Maria Gugging in NÖ versteht sich als Übergangswohngruppe um den
Transfer nach dem dichten Betreuungssetting Schiff in eine individuell passende oder autonome Wohnform
zu gestalten.
Neben dem professionsübergreifendem Knowhow für Trauma-sensible Sozialpädagogik dienen auch psychologische und psychiatrische Diagnostik als Entscheidungshilfe für diese Form einer stationären Kinder
und Jugendhilfe.
Die Kosten für die öffentliche Hand liegen unter vergleichbaren Angeboten in Österreich.
Fünf Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, unterstützt von zwei Skippern mit der Befähigung die
Noah zu führen und nach Bedarf ergänzt von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den Wiener Standorten,
werden von der Jungendhilfe und einem kleinen Spenderkreis finanziert.
Sobald die Lehrerin der Heilstättenschule anreist, gibt es Unterricht in einem dafür organisierten „Klassenzimmer“ an Land, in der Nähe des Hafens.
Wenn nach der Schulphase die Skipper wieder kommen, wird für die nächste Segeletappe der Hafen verlassen und die Reise geht weiter.
Ob die Route über Schottland zurück nach Deutschland, oder von Wales nach Spanien führt, wird sich im
Laufe des Winters herauskristallisieren.
Wir orientieren uns in unserem erlebnisorientierten Ansatz an bewährten sozialpädagogischen Traditionen
(Erlebnispädagogik, Circle of Courage nach Larry Brendro, integrative KJ-Therapie nach Hilarion Petzold,
Systemische Sprache nach Mathias Varga von Kibed und Insa Sparrer, aktuell diskutierten bindungsgeleiteten Prinzipien) unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften und der
Psychotraumatologie.
Regelmäßige Supervision und Praxisanleitung des Teams vor Ort, dienen der Fall- und Selbstreflexion als
sozialpädagogische Diagnostik.
Die haltgebenden Strukturen des Overheads, der pädagogischen Leitung und des Bordalltages vermitteln
jedem Einzelnen und der Gesamtgruppe (Team und SchülerInnen) Klarheit und Orientierungshilfe.
Mit den Eltern wird kooperiert und manche nehmen die Möglichkeit eines Besuches ihres Schulkindes im
Ausland war. Segel- und Schulphasen wechseln sich in einem drei- bis vierwöchigen Rhythmus ab.
Dank der Möglichkeit auf der Noah Alltag entschleunigen zu können, Reize zu reduzieren oder zu intensivieren, individuell in einer überschaubaren Gruppe sozialpädagogisch zu intervenieren, können Selbstwirksamkeitserfahrungen generiert und internalisiert werden. Kleine Erfolge werden verkraftet und chronische
Misserfolgsorientierung kann beachtet, irritiert bzw. verhandelt werden.
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Die Kinder erleben sich und die Erwachsenen als Lernende auf unterschiedlichen Ebenen. Sie und die
Bezugspersonen können selbst langsam Vertrauen entwickeln mit ihrem so Da-Sein schulisch erfolgreich
sein zu können.
JU:
„Ich glaubte selber, dass ich zu doof bin und es nicht lernen kann.“
KM: „Mein Kind redet seit sehr langer Zeit wieder positiv über die Schule“
KV: „Er bekommt wieder gute Noten“.
Eine Reise mit der Noah über neun Monate bildet. Sie vermittelt Bildung in einer Form bzw. Art und Weise, die den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern ermöglicht, durch gestärkte Selbstanbindung und
Selbstachtung mit ihrem Entwicklungs- und Risikopotential förderlicher umzugehen.
Herbert Siegrist
Geschäftsführer des AK Noah
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Das erste Jahr des Campus Seestadt oder vom …
„Viele sagten: Das geht nicht. Dann kamen welche,
die wussten das nicht und haben es einfach gemacht!“
Der Bildungscampus liegt im neu entstandenen Stadtteil Seestadt Aspern, wurde auf dem ehemaligen
Flugfeld Aspern im 22. Bezirk gebaut und am 7. September 2015 eröffnet.
Die Bildungseinrichtung Campus Seestadt besteht aus einem 11- gruppigen Kindergarten, einer Ganztagsvolksschule mit Integrationsklassen und Klassen für Kinder mit besonderen Bedürfnissen, Schwerpunkt
körperliche Beeinträchtigungen.
Diese Campusform ist für Wien neu und erfordert daher auch neue, innovative Wege der Zusammenarbeit,
die neben dem Schulaufbau die größte Herausforderung des ersten Schuljahres darstellten.
Zunächst möchte ich jedoch noch einige grundsätzliche Informationen über die Konzeption der Bildungseinrichtung Campus geben:
•
Für das Campusmodell sind ganztägige und ganzjährige Öffnungszeiten vorgesehen.
•
Schulform: Ganztagsvolksschule nach dem verschränkten Modell (Unterricht, Lernstunden und Freizeit werden im Wechsel angeboten)
•
Früh- und Spätdienst, orientiert an den Rahmenöffnungszeiten des Kindergartens, werden unentgeltlich angeboten.
•
An schulautonomen Tagen und während der Ferien ist ein dem Bedarf angemessener Betrieb aufrecht zu erhalten. Die Kinder werden, wie auch im Früh-und Spätdienst, sowie beim Mittagessen, von
PädagogInnen der MA 10 betreut.
•
Externe Kurse von verschiedenen Sportvereinen und Musikschulen werden nach Unterrichtsende
und am Wochenende angeboten.
•
Durch die Implementierung der kollegialen Führungsebene (Schulleitung – Kindergartenleitung) wird
die Zusammenarbeit beider Bildungseinrichtungen im Sinne einer Bildungspartnerschaft forciert.
•
Die Kooperation der Einrichtungen zielt auf die optimale Nutzung der vorhandenen personellen,
räumlichen und strukturellen Ressourcen ab.
Wien hat bereits 5 Campusstandorte, weitere sind in Bau oder befinden sich im Planungsstadium.
Nun zu den standortspezifischen Besonderheiten des Campus Seestadt:
Gestartet wurde 2015/16 mit einer Vorschulklasse, fünf ersten Volksschulklassen, davon zwei Integrationsklassen, je einer zweiten, dritten und vierten Volksschulklasse, sowie drei Basalen Förderklassen.
Heuer kamen vier erste Volksschulklassen, davon eine Integrationsklasse und eine erste Klasse für körperbehinderte Kinder, dazu.
Somit werden derzeit 250 SchülerInnen von mehr als 70 PädagogInnen (VolksschullehrerInnen, SonderschullehrerInnen, MA 10 HortpädagogInnen, MA 10 SonderpädagogInnen, FachbetreuerInnen) unterrichtet
und betreut.
Im Endausbau sind 17 Volksschulklassen und 9 Klassen für körperbehinderte Kinder vorgesehen.
Neben den mit digitalen Boards ausgestatteten und jenen für Kinder mit motorischen Beeinträchtigungen
speziell ausgestatteten Klassen (unterfahrbare Waschbecken, Lifterschienensystem), stehen behindertengerechte Pflegeräume, ein Physiotherapieraum, ein Ergotherapieraum, zwei Snoezelenräume (aktiv und
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passiv), zwei Turnsäle (einer mit spezieller Ausstattung für körperbehinderte Kinder), zwei Werkräume,
eine Bibliothek, eine Miniküche, ein Medienraum, ein Forscherraum, ein Kreativraum für künstlerisches Gestalten, ein Ruheraum, ein Spieleraum, sowie ein Speisesaal zur Verfügung. Der ca. 8000 m2 große Garten
ist mit zwei Sportplätzen, einer Kletterwand, Sand- und Wasserstellen, behindertengerechten Spielgeräten,
Hochbeeten und Trinkwasserbrunnen ausgestattet.
Bedingt durch die architektonische Gestaltung und Ausstattung unserer Schule ist die Integration aller
SchülerInnen möglich.
Leider ist die kostenfreie therapeutische Versorgung (Logopädie, Physio- und Ergotherapie) der SchülerInnen mit Beeinträchtigungen trotz intensiver Bemühungen, auch von Seiten des Elternvereins, nach wie vor
nicht gewährleistet. Deshalb bevorzugen einige Eltern die Beschulung ihrer Kinder in einer der drei Spartenschulen für körperbehinderte Kinder, um die, für diese so wichtigen, Therapien zu erhalten.
Der Bauherr unserer Schule ist die BIG (Bundesimmobiliengesellschaft mbH). Da wir auch weiterhin von
der BIG betreut werden, gibt es am Campus keine Schulwarte, sondern von der BIG angestellte Gebäudewarte. Die Reinigung wird von einer externen Firma durchgeführt.Die MA 56 und die MA 10 sind Mieter und
Nutzer des Campus.
Zur bereits beschriebenen kollegialen Führung wurde aufgrund der Klassen für Kinder mit besonderen Bedürfnissen die Funktion einer sonderpädagogischen Leitung implementiert, die dem 18. IB angehört.
Kurz zusammengefasst arbeiten an und für unsere Schule PädagogInnen aus dem 15., 17. und 18.IB mit
ihren Leiterinnen und BezirksschulinspektorInnen, MA 10-PädagogInnen (Kindergarten/Freizeitbereich) mit
ihrer Leitung, FachbetreuerInnen (Basale Förderklassen) der Wiener Sozialdienste, Förderung und Begleitung mit ihrer Leitung, eine Administratorin (MA 56) mit ihrem Vorgesetzten, vier Gebäudewarte mit ihren
Vorgesetzten der BIG, Reinigungskräfte einer externen Firma mit ihren Vorgesetzten, das Küchenpersonal
von der Firma Wien Work mit ihren Vorgesetzten…
Das erste Schuljahr war geprägt von unzähligen Gesprächen mit allen VertreterInnen der verschiedenen
Professionen, um einander kennen zu lernen und Zuständigkeiten zu klären, damit Anliegen von Seiten der
kollegialen Führung auch an die jeweils richtige Ansprechperson gelangen. Das zu klären war nicht immer
leicht. So dauerte es zum Beispiel das gesamte erste Schuljahr, um herauszufinden, ob unserer Schule
ein Zivildiener zugeteilt wird und wenn ja, von wem. Auch die Zuständigkeit von drei Inspektionsbezirken
für den Schulstandort erwies sich als äußerst kompliziert. Mittlerweile gehören alle LehrerInnen organisatorisch zum 15. IB.
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Abseits dieser „Nebenschauplätze“ galt es aber vor allem, unseren pädagogischen Schwerpunkt: „Eine
Bildungseinrichtung für alle Kinder“ von der Möglichkeit in die Realität zu transferieren.
Regel- und Sonderpädagogik machten sich also auf den Weg, ihre Vorstellungen und Sichtweisen dem
jeweils anderen darzulegen und gemeinsam einen guten Weg für alle Beteiligten - SchülerInnen und PädagogInnen - zu finden.
Wir lernten und lernen viel über und miteinander, das war und ist nicht immer einfach.
Aber Wege entstehen im Gehen – und wir gehen voran, Schritt für Schritt!
Schritt 1
• Gründung einer „Vernetzungsgruppe“ mit MitarbeiterInnen aus allen Bereichen, um bei regelmäßigen Treffen gemeinsame Aktivitäten zu entwickeln und zu organisieren.
Schritt 2
• Gegenseitige Hospitationen aller PädagogInnen in den jeweils
Kindergarten – Freizeit - Volksschulklasse – Basale Förderklasse
Schritt 3
• Gemeinsame Feste mit Angeboten von und für alle Kinder
»» Laternenfest
»» vier Adventfeiern
»» Faschingsfest
»» Sommerfest
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anderen
Arbeitsfeldern
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Schritt 4
•
Kennzeichnung aller Räume mit METACOM - Symbolen als Orientierungshilfe Schritt 5
•
Die Gebärde der Woche: An den Eingängen (Schule/Kindergarten) wird jede
Woche eine neue Gebärde zum Üben angeboten. Dabei ist
das Gebärdenbild mit Text und einer Sprechklammer versehen.
Schritt 6
•
Während des gesamten Schuljahres finden klassen- und
bereichsübergreifende Aktivitäten und Projekte statt. Dazu
zählen gemeinsames Turnen, Musizieren, Kochen, kreatives
Gestalten, Vorlesen, gemeinsame Ausflüge … Der Kreativität
der PädagogInnen sind keine Grenzen gesetzt!
Schritt 7
•
Das Entwickeln unseres Leitbildes „Eine Bildungseinrichtung für alle Kinder!“ steht im Fokus unserer
Bildungstage sowie bei den Fortbildungen der PädagogInnen. Seine Bedeutung wird noch dadurch unterstrichen,
dass es dem frei gewählten SQA-Schwerpunkt unserer Schule entspricht.
Schritt 8
• Intensivierung der Zusammenarbeit mit dem Kindergarten,
um die Transition in die Schule noch fließender zu gestalten.
Viele weitere Schritte müssen und werden noch folgen, denn:
Das Anderssein der anderen als Bereicherung des eigenen Seins
zu begreifen; sich verstehen, sich verständigen, miteinander vertraut werden, darin liegt die Zukunft der Menschheit.
Rolf Niermann
Dipl. Päd. Martina Neuhold-Pulker
Sonderpädagogische Leitung am Campus Seestadt
© Foto: Petra Spiola
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I-JOURNAL Jänner 2017
Liebe Leserin! Lieber Leser!
Wir freuen uns, Ihnen die neueste Ausgabe des I-Journals präsentieren zu dürfen.
Sie ist anlässlich des Symposiums „40 Jahre BeratungslehrerInnen und PsychagogInnen“ entstanden
und widmet sich daher schwerpunktmäßig dem Bereich der Arbeit mit SchülerInnen mit besonderen
Bedürfnissen im sozial-emotionalem Bereich.
Wir planen die Herausgabe des nächsten I-Journals im SJ 17/18, diesmal mit der aktualisierten
Ausgabe „Unterstützende Systeme für SchülerInnen im Pflichtschulbereich“ (Erstausgabe Juni 2012).
Online finden Sie unser Journal unter der Internetadresse:
www.lehrerweb.at
Das Redaktionsteam:
Verena Lieser
(Redaktion)
Andrea Schützhofer
(Redaktion, Layout)
Gerda Kargl
(Redaktion, Layout)
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Renate Dirnberger, MA
(Lektorat)
I-JOURNAL Jänner 2017
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I-JOURNAL Jänner 2017
Herausgegeben von der Integrationsberatungsstelle
im Stadtschulrat für Wien
Verantwortliche Herausgeberinnen:
Verena Lieser, Mag.a Andrea Schützhofer, Gerda Kargl, Renate Dirnberger, MA,
Für den Inhalt verantwortlich:
Alle Autorinnen und Autoren sind eigenverantwortlich für den Inhalt der Artikel und die Genderformulierung.
Layout: Gerda Kargl, Mag.a Andrea Schützhofer
Druck: Eigendruck
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