Deutsches Ärzteblatt 1977: A-3015

Zur Fortbildung
Aktuelle Medizin
ÜBERSICHTSAUFSÄTZE
Die Münchner Perinatalstudie
Versuch einer ärztlichen Selbstkontrolle
Parinatologische Arbeitsgemeinschaft München*)
Die über drei Jahre laufende Münchner Perinatalstudie weist in 1975, ihrem ersten Jahr, mit 26 geburtshilfliehen Kliniken und 17 990 dokumentierten Geburten eine Beteiligung
auf, die die landläufige Meinung
vom gestörten Verhältnis des praktisch tätigen Mediziners zur Dokumentation widerlegt. Der Grund
hierfür ist zum großen Teil die Einsicht aller Beteiligten, daß nur eine
gemeinsame Aktion helfen konnte ,
die in den Jahren 1970 bis 1972 als
zu hoch angesehene perinatale Mortalität in der Region München zu
senken .
Auch die Tatsache, daß eine dem
zurnutbare ErheKlin ikpersonal
bungs- und Organisationsform für
den Erfassungsprozeß gefunden
und die Anonymität von Patienten
und Kliniken strikt eingehalten wurde, hat eine Rolle gespielt.
Daß nicht nur die Planung und Auswertung dieser Studie - federfüh rend für die Parinatologische Arbeitsgemeinschaft ist der Berufsverband der Frauenärzte, Landesgruppe Bayern - , sondern auch ihre Finanzierung durch das Zentralinstitut
für die kassenärztliche Versorgung
in der Bundesrepublik, die Bayerische Landesärztekammer und die
Kassenärztliche Vereinigung Bayerns voll in den Händen der Ärzteschaft lag , trug sicher ebenfalls einen Anteil dazu bei.
Auf der Basis dieser breiten Beteiligung können
..,.. Bilder von der parinatologischen
Landschaft in der Region München
entworfen ,
..,.. erste Schritte in Richtung einer
Eigenkonselbstverantwortlichen
trolle der beteiligten Kliniken gegangen und
..,.. statistische Unterlagen zur Beantwortung gemeinsamer parinatologischer Fragestellungen bereitgestellt
werden .
Erhebungsbogen und Organisation
Zur Bewältigung dieser Aufgaben
wurde ein datenverarbeitungsgerechter Erhebungsbogen - 1 DINA4-Seite pro Kind (Darstellung 1),
mit insgesamt etwa 100 Fragen entwickelt. Die Fragen sind in chronologisch aufeinanderfolgende Abschnitte aufgeteilt, von denen die ersten beiden zur Patientin und zur
Mutterschaftsvorsorge bereits vor
der Geburt im Kreißsaal ausgefüllt
werden können . Bei und nach der
Geburt sind der Geburtsverlauf und
die kindlichen Daten zu dokumentieren . Die Epikrise ist erst bei der
Entlassung der Schwangeren beziehungsweise der Neugeborenen zu
ergänzen . Wesentlicher Bestandteil
des Fragebogens sind die beiden Risikokataloge für die Schwangerschaft mit 14 anamnestischen und
12 befundeten Risiken und für die
Geburt mit 16 Risiken. 13 Risiken
können maximal pro Kind angegeben werden .
Durch die Vorgabe dieser Kataloge
ist eine standardisierte Beobachtung und Beurteilung von Risiken
innerhalb und zwischen den Kliniken gewährleistet. Darüber hinaus
verfolgt der Einsatz dieses Bogens
einen weiteren Lerneffekt, denn er
Der hier vorgestellte Weg der
Kontrolle perinatalmedizinischer Leistungen baut auf die
der
Eigenverantwortlichkeit
Kliniken . Grundlage ist ein
praktikabler Dokumentationsbogen. Mit ihm wird jede zur
Geburt führende Schwangerschaft in den an der Studie
beteiligten 26 Kliniken erfaßt.
Anhand der gesammelten Daten kann jede Klinik ihren eiLeistungsstandard
genen
messen und ihn mit dem des
Gesamtkollektivs oder spezieller Gruppierungen vergleichen. Schlüsse müssen die
Kliniken selbst ziehen , da
sonst ihre Anonymität durchbrachen wäre . Der Datenschutz im weitesten Sinn ist
die wesentlichste Voraussetzung für die freiwillige Teilnahme der Kliniken . Aufgrund
der gesammelten Daten lassen sich aktuelle Fragen der
Versorparinatologischen
gung und der Frühgeburtlichkeit diskutieren .
enthält zum Beispiel die wichtigsten
unverzichtbaren Merkmale der Mutterschaftsvorsorge und alle derzeit
praktikablen Methoden perinataler
lntensivüberwachung .
Das Ausfüllen des Erhebungsbogens erfordert große Sorgfalt. Es ist
jedoch durch weitgehende Anpassung an das Benutzerverhalten erleichtert. Der notwendige Zeitaufwand ist variabel und abhängig vom
Organisationsablauf in der Klinik. Er
führt in keinem Fall zu einer wesentlichen Belastung des Arbeitsablaufes.
Das Original des Bogens verbleibt in
der Krankenakte , die durchgeschriebenen Kopien werden von den Kontaktärzten jeder Klinik gesammelt
und auf Vollständigkeit der Angaben
· ) Redaktion dieser Mittei lung im Auftrag der
Perlnatologischen Arbeitsgemeinschaft : Dr.
med . F. Conrad , Dr. med. E. Koschade . Prof.
Dr. med . K. Riegel . PD Dr. H. K. Salbmann
und Prof. Dr. med . J. Zander.
DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 51 vom 22. Dezember 1977 3015
Zur Fortbildung
Aktuelle Medizin
Perinatalstudie
Eine multizentrische Studie mit 26
geburtshilflichen Kliniken und über
18 000 Fragebögen pro Jahr läßt
sich nicht ohne eine zentrale Organisationsstelle abwickeln. Durch sie
erfolgen der Versand und das Sammeln der Bögen, die Koordination
der Kliniken bei der Datenerhebung
und die datentechnische Erfassung
der Erhebungsbögen auf Lochkarten. Hier wird erneut jeder Erhe-
und Übereinstimmung mit dem Geburtenjournal überprüft. Es zeigte
sich, daß dieses Verfahren bereits
einen wesentlichen Beitrag zu einer
internen Selbstkontrolle der Kliniken liefert. Die gesammelten Erhebungsbögen werden dann zur Übertragung auf Lochkarten an die zentrale Organisationsstelle der Studie,
gebildet von der Kassenärztlichen
Vereinigung Bayerns, weitergeleitet.
Bayerische Landesärztekammer
Erhebungsbogen
8000 München 80, Mühlbaurstraße 16
1
Klinik
1
1
1
1
Geburtsnummer 1
1
1
1
1
Einling nein ❑ ja
1
Mehrlinge Anzahl 1
❑
bungsbogen von der ausschließlich
der Studie zur Verfügung stehenden
Ärztin auf Vollständigkeit und Plausibilität kontrolliert und gegebenenfalls zusammen mit dem Kontaktarzt
der betreffenden Klinik korrigiert.
Eine abschließende Kontrolle wird
maschinell vom Computer vorgenommen. Bei genauer Betrachtung
des Fragebogens lassen sich die für
eine Plausibilitätskontrolle notwendigen Stellen erkennen, an denen
der gleiche Sachverhalt mehrmals
erfragt wird. Als Beispiel seien hierfür die drei Fragen „Vorliegen einer
Risikoschwangerschaft, mit wie vielen und welchen Risiken" genannt
(Zeile 16 und 17 der Darstellung 1).
2 Patientin
3
Geburtsjahr 1
1
Nationalität lt. Schlüssel 1
1
4 Familienstand ledig ❑ verh. ❑ verw.
5 Sozialstatus lt. Schlüssel
1
1
Beruf
Anzahl 1
6 Gravide
gesch.
❑
1
1
1
1
1
in Klinikambulanz
nein
ja 111 bei Allgemeinarzt
nein
❑
111
Postleitzahl des Wohnortes
noch berufstätig nein
❑
ja
❑
❑
1
1
Beruf
d. Ehemannes, bzw. falls Patientin nicht verheiratet, Beruf des Vaters der Pat.
1
1
Anzahl 1
Para
❑ ja
durchgeführt nein
7 Mutterschaftsvorsorge
8 bei entb. gynäkol. Belegarzt
nein
❑
ja
9 Mutterpa6 liegt vor
nein
❑
ja
111 bei FA gyn. außerhalb nein ❑
111 Erstuntersuchung SS-Woche 1
❑ Lues-Suchreaktion,s. nein 111
III Titer 1:16 und mehr nein 111
❑
ja ❑
ja
❑
1
1
❑
1 1 Gesamtzahl d. Untersuchungen 1
❑
❑
ja
10 Lues-Suchreaktion bestimmt
nein ❑ ja
11 Röteln HAH bestimmt
nein ❑ ja
12 Blutgruppe bekannt
nein
jr
❑
Rhesusfaktor negativ nein
13 Antikörper bestimmt
nein ❑ ja
❑
wie
nein
❑ ja
14 Ultraschallschnittbild
nein
❑
ja
111
Amnioskopie
nein
❑
ja
❑
CTG ante partum
nein
❑
ja
❑
15 Amniozentese
nein
❑
ja
❑
Östrogene bestimmt nein
❑
ja
❑
HPL bestimmt
nein
❑
ja
111
❑
❑
ja
ja ❑
1
oft
1 Antikörper positiv
nein ❑ ja ❑ Gesamtzahl der Risiken
16 Risikokatalog zutreffend
Nr.:
17 wenn ja, Risikokatalog A
1
1
1 Nr.: 1
1
1 Nr.: 1
-1
1 Nr.: 1
1
1 Nr.: 1
111
18 Termin n.letzt.Periode verwertbar nein ❑ ja
1
I Nr.: 1
1
1 Nr.:
wenn ja, Tragzeit in Wochen
nein ❑
ja ❑ über 48 Stunden
nein
19 Geburtsverlauf
Blasensprung vor regelm. Wehen
20 Fruchtwasser grün
nein
ja
111
Blasenspreng. v. W.-Beg. neinD ja ❑ medikarnent. Einleitung nein
21 Wehenmittel bei der Geburt
nein ❑ ja
❑
Vollnark. b. d. Geburt nein
❑
22 Pudendusanästhesie
nein
❑
ja
❑
Lokalinfiltration nein
❑ ja
23 Sakral- bzw.Kaudalanästhesie
nein
❑
ja
❑
Lumbal- bzw.Spinalanä.nein
❑
24 CTG sub partu extern
nein
❑
ja
❑
CTG sub partu intern nein
❑
26 Manualhilfe
nein
27 Episiotomie
111
❑
Mikroblutuntersuchung nein
❑
ja
❑
❑
ja
❑
nein
nein ❑ ja III
Sectio
❑ ja ❑ Vakuum oder -Versuch nein ❑ ja ❑ Forzeps oder -Versuch nein
Std.
31 ja ❑ Geburtsdauer (ab Beginn regelmäßiger Wehen)
nein
111
1 I
28 Zeit vollst. MM bis z. Geburt Min.
111
ja
1
Dauer d. Pre9periode Min.
111
ja
❑
ja ❑
1 Geburt aus vHHIage
nein
ja
❑
Nr.:
31 Geburtshilfe durch Hebamme
nein ❑ ja
❑
Nr.:
männl.
33 Datum der Geburt
I
34 Geburtsgewicht
g
35 Apgar nach 1 Min.
1
❑
weibl.
Länge
1
36 Intubation
1 n.5 Min.
nein ❑ ja
❑
❑
min1 1 I
n. 10
Min.
Pufferung
1
1
nein
1
❑
Fötalblutanalyse p. partum.
ja
❑
Nabelkatheter
nein
❑
ja
❑
verstorben
nein
❑
ja
❑
am Wochenbettag
40 Kind aus Geburtsklinik entlassen
nein
❑
ja ❑
41 Basisuntersuchung (1.12) durchgeführt
nein
❑
ja ❑
❑
Leb.Tg. 1
ja
❑
1
nein
❑
nein
❑
ja ❑
nein
❑
ja
nein
❑
ja
❑
1 1 1
Mutter verlegt
11] ja
1
Wochen 1
39 Mutter entlassen
42 in Kinderklin.verlegt nein
❑
1 1
nein III ja
Totgeburt
Petrussa-Index
37 erste kinderärztliche Untersuchung am Lebenstag
38 Epikrise
ja
Mehrlingsgeburt laufende Nr.:
CM
I 1
111
1
1 i.welche(KI.Nr.)1
43 Kind innerhalb der ersten 28 Lebenstage verstorben
1
nein
ja
❑
❑
Lebenstag
wenn ja, auffällig
Verl.Gründe Katal.0
❑
Nr.1 1 1• : 1 1
Lebenstag
❑
1
26 geburtshilfliche Kliniken (Tabelle
1) berichteten 1975' auf freiwilliger
Basis im Rahmen dieser Studie über
insgesamt 18 153 Neugeborene. Unter diesen Kliniken befinden sich die
drei Münchner Universitäts-Frauenkliniken, zehn Chefarztkliniken (vier
über und sechs unter 1000 Geburten/Jahr) und 13 Belegarztkliniken
(sieben über und sechs unter 300
Geburten/Jahr).
11
Aus München beteiligen sich 16 Kliniken, neun Münchner Kliniken blieben der Studie fern. Die 9061 erfaß-
Darstellung 1: Erhebungsbogen
3016 Heft 51 vom 22. Dezember 1977
Beteiligung
I I
❑
Uhrzeit
I
nein
111
I, 1 11.1 1 11h1,1 1 IN,1 1 1,1 1 1
wenn ja,Katal.B Nr.
30 Geburtshilfe durch Arzt
32 Kind
ja ❑
Epi-bzw.Periduralanä. nein
25 Operative Entbindung
29 Risikogeburt
111 Parazervikalanästhesie nein
ja
❑ ja ❑
❑ ja ❑
❑ ja 111
Der in den Daten des Jahres 1975
verbliebene Restfehler zwischen 1
und 2 Prozent bestätigt ebenfalls die
Bereitschaft der beteiligten Kliniken
zur Dokumentation. Er spricht außerdem für die Zumutbarkeit und
Praktikabilität des Erhebungsbogens. 40 Prozent des Restfehlers
entfallen auf drei Merkmale: die
Schätzung des Reifealters nach Petrussa als eine bei den meisten Kliniken neu eingeführte Größe, die
Tragzeitangabe bei nicht verwertbarem Termin der letzten Periode und
auf das Merkmal „Kind verstorben in
den ersten 28 Lebenstagen". Da die
Nachverfolgung der Kinder nach ihrer 'Entlassung auf große organisatorische Schwierigkeiten stößt, haben wir diese Aussage sehr bald auf
die ersten sieben Tage nach der Geburt beschränkt.
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Zur Fortbildung
Aktuelle Medizin
ten und in München ansässigen Kinder entsprechen 92,8 Prozent aller
Münchner Neugeborenen des Jahres 1975. Von den perinatal Verstorbenen des Jahres 1975 wurden 81,0
Prozent erfaßt. Die perinatale Mortalität der von uns beobachteten
Münchner Kinder liegt mit 15,3 Promille daher erheblich unter.der der
nicht erfaßten Kinder (P. M. ca. 34
Promille).
Zum Vergleich: die perinatale Mortalität im Jahr 1975 betrug in München nach Angaben des Statistischen Amtes der Stadt 17,7 Promille.
Neun weitere der beteiligten 26 Kliniken kommen aus einem Umkreis
von 50 Kilometer um München. Sie
liegen im Regierungsbezirk Oberbayern und repräsentieren stichprobenartig 30,7 Prozent aller 1975 in
Oberbayern geborenen Kinder. Eine
Klinik liegt in der Oberpfalz.
Ergebnisse
Die Ergebnisse sind in einem umfassenden Auswertungsbericht zusammengestellt (Band VIII der Schriftenreihe des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland unter dem
Titel „Münchner Perinatal-Studie
1975"). Eine Auswahl findet sich in
Tabelle 2. Die Untergliederung nach
Kliniktypen wurde gewählt, um den
einzelnen Kliniken, ohne Verletzung
der Klinikanonymität, differenziertere Vergleichsmöglichkeiten für die
eigenen statistischen Daten zu
bieten.
98,5 Prozent aller Mütter haben an
der Mutterschaftsvorsorge mindestens einmal teilgenommen. Ungefähr. jede zweite kam im zweiten Trimenon zum ersten Mal zur Schwangerenberatung, nur 60,6 Prozent
wiesen acht und mehr Besuche auf.
Die perinatale Mortalität ist bei jenen
1,5 Prozent aller Schwangeren, die
nicht an der Vorsorge teilgenommen
haben, um den Faktor 2,6 größer als
bei den betreuten. Die Studie bestätigt damit, daß eine vernachlässigte
Mutterschaftsvorsorge ein erhöhtes
Risiko darstellt.
Tabelle 1: Die beteiligten geburtshilflichen Kliniken und deren Leiter
Frauenklinik des Klinikums rechts der Isar
der Technischen Universität München
(Prof. Dr. Waidl)
I. Frauenklinik der
Ludwig-Maximilians-Universität München
(Prof. Dr. Zander)
II. Frauenklinik der
Ludwig-Maximilians-Universität München
(Prof. Dr. Richter)
Gynäkologisch-geburtshilfliche Abteilung
des Städtischen Krankenhauses Schwabing
(Dr. Keller)
Gynäkologisch-geburtshilfliche Abteilung
des Städtischen Krankenhauses Harlaching
(Prof. Dr. Döring)
Gynäkologisch-geburtshilfliche Abteilung
des Städtischen Krankenhauses Neuperlach
(Dr. Mehring)
Gynäkologisch-geburtshilfliche Abteilung
des Kreiskrankenhauses Pasing
(Prof. Dr. Zimmer)
Gynäkologisch-geburtshilfliche Abteilung
am Krankenhaus des Dritten Ordens
(Dr. Brunner)
Gynäkologisch-geburtshilfliche Abteilung
am Krankenhaus Rotes Kreuz I
(Prof. Dr. Schuck)
Frauenklinik vom Roten Kreuz
(Prof. Dr. Breitner)
Klinik Dr. Haas
(Dr. Weber)
Gynäkologisch-geburtshilfliche Abteilung
der Klinik Dr. Krecke
(Fr. Dr. Hartmann)
Privatklinik Dr. Spreng
(Dr. Spreng)
Frauenklinik Dr. Krüsmann
(Dr. Krüsmann)
Privatklinik Dr. Geisenhofer
(Dr. Geisenhofer)
Privat-Frauenklinik Bogenhausen
(Dr. Boruth)
Gynäkologisch-geburtshilfliche Abteilung
des Kreiskrankenhauses Dachau
(Dr. Erdmann)
Privat-Frauenklinik Dr. Koschade, Dachau
(Dr. Koschade)
Gynäkologisch-geburtshilfliche Abteilung
des Kreiskrankenhauses Freising
(Dr. Thalmair)
Gynäkologisch-geburtshilfliche Abteilung
des Kreiskrankenhauses Fürstenfeldbruck
(Dr. Keck)
Gynäkologisch-geburtshilfliche Abteilung
des Kreiskrankenhauses Landsberg
(Dr. Weiß)
Gynäkologisch-geburtshilfliche Abteilung
des Kreiskrankenhauses Tegernsee
(Dr. Berleb)
Gynäkologisch-geburtshilfliche Abteilung
des Kreiskrankenhauses Wolfratshausen
(Dr. Kornhas)
Privat-Frauenklinik Dr. Vogel, Furth
(Dr. Vogel)
Gynäkologisch-geburtshilfliche Abteilung
der Klinik Dr. Wolfart
(Dr. Bachmann)
Gynäkologisch-geburtshilfliche Abteilung
des Städtischen Marien-Krankenhauses
Amberg
(Prof. Dr. Berg)
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Heft 51 vom 22. Dezember 1977
3017
•
Zur Fortbildung
Aktuelle Medizin
Perinatalstudie
Etwa jede zweite werdende Mutter
(46,4 Prozent) trägt mindestens ein
Schwangerschaftsrisiko. Eine deutliche Häufung von Risikoschwangerschaften läßt sich in den Universitätskliniken beobachten (64,3 Prozent gegenüber einem Durchschnitt
von 46,4 Prozent).
27,5 Prozent aller Kinder wurden
operativ entbunden, darunter 12,7
Prozent durch Kaiserschnitt.
che Variation der Sektionsfrequenzen zwischen den Kliniken einzelner
Kliniktypen.
Die durchschnittliche Sektionsfrequenz in den einzelnen Kliniktypen
ergibt sich aus Tabelle 2. Es besteht
jedoch zusätzlich eine sehr deutli-
117 Totgeburten und 168 bis zum
siebten Lebenstag verstorbene Neugeborene befinden sich unter den
18 153 Kindern der Studie. Sie entsprechen einer perinatalen Mortalität von 15,7 Promille. In den Universitätskliniken ist die Mortalität mit
21,4 Promille am höchsten. Dies läßt
sich - wie auch die hohe Totgeburtenrate dort zeigt - auf eine sinnvolle Selektion der Geburtenklientel zurückführen. Dafür spricht ebenfalls
die große Zahl untergewichtiger und
asphyktischer Kinder in diesen
Kliniken.
Angaben in %
0
Teilnahme an der
Mutterschaftsvorsorge 97,8
weniger als
8 Untersuchungen
nach der 12.
Schwangerschaftswoche
Risikoschwangerschaft
ro
c
O A
Un ive rs it äts klin ik
.ccn
Che farz t klin ik
— 1000Ge bu rte n /Ja hr
Tabelle 2: Ausgewählte Ergebnisse der Münchner Perinatalstudie
1975, gegliedert nach Kliniktypen
•-0
Q)
0
e 0
_c
gesamt
99,5
98,1
98,6
97,8
98,5
52,9
37,6
56,4
29,6
36,9
39,4
52,2
58,8
43,3
47,2
39,1
47,8
40,2
47,2
42,2
39,5
64,3
46,4
Tragzeit 40 und mehr
Wochen
61,8
externes Kardiotoko40,2
gramm sub partu
operative Entbindung 30,4
14,8
davon Sectiones
69,6
73,0
72,9
73,2
71,7
33,6
29,8
48,6
40,2
23,6
9,7
87,2
31,4
14,1
50,0
27,5
16,6
26,3
10,9
12,7
Risiken unter der
Geburt vorhanden
39,5
42,6
35,5
31,2
46,0
38,1
Perinatale Mortalität
1,86
1,24
1,84
1,23
2,14
1,57
davon Totgeburten
Geburtsgewicht
unter 2501 g
0,58
0,55
0,55
0,40
1,25
0,64
6,4
7,1
6,3
6,5
9,0
7,1
Apgar nach 1 Minute
7,1
unter 8
verlegte Neugeborene 10,9
7,7
10,9
9,3
13,8
6,4
13,9
9,5
8,8
10,6
9,0
Anzahl Kliniken
Anzahl Geburten
3
4
6
7
6
856 4142 3613 5722 3657
26
17 990
Anzahl Kinder
860 4180 3645 5776 3692
18 153
3018
Heft 51 vom 22. Dezember 1977
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Der Erhebungsbogen ist nicht in der
Lage, die Morbidität der Neugeborenen voll zu erfassen. Die Verlegungsraten der Kinder - jedes zehnte muß in eine Kinderklinik überwiesen werden - sind kein brauchbares
Maß dafür. Große Chefarzt- und Universitätskliniken können aufgrund
ihrer pädiatrisch voll überwachten
Neugeborenenstationen mit Spezialpflegeeinheiten geringere Verlegungsraten aufweisen als die Kliniken der anderen Organisationsformen.
Auch die pauschale Bewertung „Basisuntersuchung (U2) auffällig" bejaht in 19 Prozent - läßt keine
Schlüsse zu. Morbidität muß zunächst einmal definiert und gewertet
werden. Wir sind dabei, dieser bedeutsamen Frage mit einer gesonderten Dokumentation nachzugehen.
Risiken
Die beiden Risikokataloge des Erhebungsbogens - je einer für die
Schwangerschaft- und die Geburtsrisiken - enthalten die 42 wichtigsten Risiken, denen sich jeder Geburtshelfer ständig bewußt sein
muß. Die Häufigkeiten, mit denen
diese Risiken in unserer Geburtenklientel beobachtet wurden, lassen
sich den Darstellungen 2 und 3 entnehmen. Das Risiko „vorzeitige Wehen" ist erwartungsgemäß das
Zur Fortbildung
Aktuelle Medizin
Schwangerschaftsrisiko mit der
höchsten perinatalen Mortalität
(8,75 Prozent), gefolgt vom „Mißverhältnis zwischen Uterus- bzw.
Kindsgröße und der Schwangerschaftsdauer" (7,86 Prozent).
Perinatale Mortalität
Häufigkeit
(n= 17990)
0.2 [
4.88
behandl. Herzerkrankungen (A)
0.3 [
5.08
Hypotonie (B)
0.7
0.8
0.9
C
C
C
1.2 E
1
1
3.16
Mehrgebärende über 40 J. (A)
Z. n. komplizierter Geburt (A)
1.11
11111 7 86
IM 2.74
Vielgebärende (> 4 Kinder) (A)
Harnwegsinfektion (B)
3.18
• 5 73
431
Adipositas (A)
4.20
totes Kind in Anamnese (A)
III 6 65
Blutungen (B)
1
Al 1.79
Erstgebärende über 34 J. (A)
1. 3.95
Al 1.52
vorausgeg. Uterusoperation (A)
1
13.5)
% 10
Z. n. mehr als 1 Abort (A)
EPH-Gestose (B)
All 2.47
6.3
92
Path. Kindslage/Mehrlinge (B)
011 5 22
371
6.2 1
vorausgeg. Frühgeburt (A)
1.58
2.8 1
28
Mißverhältnis Uterus/SS-dauer (B)
_IM
2.4 1
341
Blutgruppeninkompatibilität (B)
Z. n. Sterilitätsbehandlung (A)
0.84
3.7 1
Die Studie bestätigt, daß bessere Ziffern der perinatalen Sterblichkeit
vor allem durch eine Verminderung
der Frühgeborenenrate zu erreichen
sein werden. Auffällig hohe Frühgeborenenraten - Frühgeburt definiert
als Kind mit einem Geburtsgewicht
unter 2501 Gramm - fanden sich bei
über 40jährigen Schwangeren (15,0
Prozent), bei ledigen (12,0 Prozent),
und geschiedenen (19,2 Prozent)
Müttern, in unteren Sozialschichten
(10,0 Prozent) und bei Viert- und
Vielgebärenden (9,7 Prozent). Berufstätigkeit und Nationalität ließen
keinen Einfluß erkennen. Dagegen
resultierte eine mangelhafte oder
fehlerhafte Mutterschaftsvorsorge in
einer höheren Frühgeburtlichkeits-
Anämie (B)
1
251
Im Vergleich dazu beträgt die perinatale Mortalität jener Kinder, die
ohne jedes dokumentierte Risiko zur
Welt kommen, und dies sind 40,2
Prozent aller Kinder, nur 0,31
Prozent.
Diabetes (B)
BI 5 10
1
2.0
chron. Nierenerkrankung (A)
,111111 3.66
1.5 1
1.9
2.3
3.17
4.61
E
1.3
geschädigtes Kind in Anamn. (A)
4.92
31111111
0.7
Vier der beobachteten Geburtsrisiken weisen Mortalitätsraten über 10
Prozent auf (Darstellung 3): neben
den beiden seltenen Risiken, dem
Fieber sub partu und dem Nabelschnurvorfall, auch die Blutungen
sub partu und das zweithäufigste
Geburtsrisiko, die diagnostizierte
Frühgeburt mit 12,15 Prozent.
Frühgeburtlichkeit
Erstgebärende unter 16 J. (A)
0.0
0.2 [
Sechs weitere Schwangerschaftsrisiken liegen ebenfalls noch über der
Mortalitätsrate von 5 Prozent. Unter
ihnen ist jedoch nur ein anamnestisches Risiko: die vorausgegangene
Frühgeburt mit einer Häufigkeit von
2,4 Prozent und einer Mortalität von
5,73 Prozent.
Es gilt daher, insbesondere Geburtsrisiken frühzeitig zu erkennen, und
die betroffenen Schwangeren einer
fachärztlichen Intensivbetreuung
zuzuführen.
Ei -7 Tage verst.
Totgeburt
5 48
Cervixinsuffizienz (B)
WI 3 75
vorzeitige Wehen (B)
fraglicher Termin/Übertrag (B)
All 2.00
0 0
5
10 %
Darstellung 2: Häufigkeit und Mortalität von Schwangerschaftsrisiken (A
anamnestisch, B befundet)
rate. Auch die Entbindungstermine
waren bei Frühgeburten häufiger in
Frage gestellt.
Selbstkontrolle
Qualitätssicherung und -verbesserung bedürfen immer des Vergleiches. Um einen solchen Vergleich
vornehmen zu können, um nur Ver-
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
gleichbares miteinander zu vergleichen, müssen die Bedingungen des
Vergleiches standardisiert aufgezeichnet, gesammelt und analysiert
werden. Erst dann läßt sich beurteilen, ob z. B. die perinatale Mortalität,
die Morbidität, der Mitteleinsatz
oder andere vermeintliche oder tatsächliche Indizes der ärztlichen Leistung in einer Klinik oder einer Region zu hoch sind oder nicht.
Heft 51 vom 22. Dezember 1977 3019
Zur Fortbildung
Aktuelle Medizin
Perinatalstudie
gibt eine gewisse Garantie dafür,
daß die mitzuteilenden Daten nicht
aus einer Verteidigungsposition heraus dokumentiert werden. Andererseits liegt aber auch genau hier die
Grenze jedes Kontrollsystems, das
auf der Selbstverantwortung der Kliniken aufbaut. Eine direkte Beeinflussung einer Klinik mit besonders
ungünstigen Resultaten ist in diesem System nicht möglich. Es erscheint jedoch durchaus erfolgversprechend, allen beteiligten Kliniken
zur eigenen kritischen Bewertung
ihrer Resultate interkollegiale und
interdisziplinäre Gespräche sozusagen im Gespräch vor Ort anzubieten.
Als Grundlage des Vergleiches ist
daher eine fortlaufende und nach
einheitlichem Muster gestaltete perinatalmedizinische Basisdokumentation für alle Kliniken zu fördern.
Daß dies auf freiwilliger Basis, auch
außerhalb von Schwerpunktkliniken
möglich ist, hat unsere Studie gezeigt. Jede an der Münchner Perinatalstudie beteiligte Klinik ist nun in
der Lage, ihren eigenen Leistungsstandard mit dem des Gesamtkollektivs oder eines speziellen Kliniktyps
zu vergleichen.
Schlußfolgerungen aus diesen Vergleichen müssen jedoch den einzelnen geburtshilflichen und pädiatrischen Kliniken überlassen werden.
Dafür gibt es zahlreiche Themenkreise wie zum Beispiel die klinikinterne Organisation, Verfahrensindikationen, ausgewählte Einzelfallanalysen und vorurteilslose Besprechungen von Sterbefällen.
Nicht zuletzt war eine wesentliche
Voraussetzung ihrer Teilnahme die
unbedingte Gewährleistung des Datenschutzes. Erst die Anonymität
Perinatale Mortalität
Häufigkeit
18153)
(n
• Totgeburt
3 —7 Tage verst.
Querlage
0.3
18.00
0.3
Nabelschnurvorfall
0.3
Gesichtslage
0.5
Fieber
0.6 1 0.0
Tiefer Querstand
0.7
Acidose
0.7
Hoher Gradstand
1.2
Blutungen
1.3
RR-Anstieg
1.3
Vorderhauptslage
1.7
Mehrlinge
3.8
Dauer über 12 Std.
43
Beckenendlage
Fortführung der Aktion
Die Erhebungsbogenaktion wird
nach drei Jahren die gesteckten Ziele im wesentlichen erreicht haben
und könnte damit als beendet gelten. Wir sind jedoch der Meinung,
daß sie auf breiterer Ebene mit neu
formulierten Zielen fortzusetzen ist.
Vorrangig bleibt die Selbstkontrolle.
Zu diesem Zweck genügt eine Basisdokumentation, das heißt ein verkürzter Erhebungsbogen. Er wird
die Grundlage für den zusätzlichen
Neugeborenen-Erhebungsbogen
darstellen, der in Ergänzung der Ergebnisse der Kinder-Vorsorgeuntersuchungen zur Erfassung, Bewertung und Einengung der Morbidität
notwendig ist. Er wird ferner die Basis bilden für Erhebungen zu speziellen Fragen von hoher Aktualität
wie zum Beispiel: Behandlung der
drohenden Frühgeburt beziehungsweise der intrauterinen Mangelentwicklung oder Bewertung der Indikationen geburtshilflicher Operationen.
An diese erweiterten Programme
wird sich jede Klinik jederzeit anschließen können. Da die Annahme
berechtigt erscheint, daß diese Projekte in vielerlei Hinsicht zur Effektivitätssteigerung beziehungsweise
zur Kostensenkung beitragen werden, sollte ihre Finanzierung — es
handelt sich um vergleichsweise minimale Kosten — kein Hindernis
darstellen.
Herztcnalteration
Frühgeburt
operative Entbindung
26.9
% 18
10
0 0
10
18
Darstellung 3: Häufigkeit und Mortalität von Geburtsrisiken
3020
Heft 51 vom 22. Dezember 1977
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Anschrift der Verfasser:
Perinatologische
Arbeitsgemeinschaft München
c/o Dr. med. Fried Conrad
Marienplatz 2/IV
8000 München 2