Leseprobe md .Special Dining today - md-mag

Foto: Sara Pooley, courtesy of the Smart Museum of Art
ESSEN IN GLOBALEN ZEITEN
SOUL
FOOD
Weltweit nehmen Künstler das gemeinsame Zubereiten und Verzehren
von Speisen zum Anlass, auf Ungerechtigkeiten hinzuweisen.
Ihre Happenings kreisen um politische und wirtschaftliche Teilhabe.
Oder einfach ums Überleben. Essen als Metapher.
.SPECIAL DINING TODAY
Autorin
Yvette Mutumba
Wir leben in einem globalen LifestyleZeitalter, das sich in Mode, Musik,
Kunst, doch vor allem im kosmopolitischen Konsum von Essen reflektiert:
food blogging, food porn, vegan food,
local food, organic food, fast food,
slow food … Essen ist die Metapher für
das globale Kollektiv. Essen ist der
Bestandteil von Alltagskulturen, Regeln, Riten, Schönheitsidealen. Essen
steht aber genauso für den grundlegendsten Gegensatz, der unsere Welt
definiert: für Mangel und Überfluss.
SPEISEN ALS KUNSTMATERIAL
Somit erstaunt es nicht, dass Essen eigentlich seit Menschengedenken auch
Thema in der Kunst ist. In der zeitgenössischen Kunstproduktion wird Essen zum einen als Medium verwendet.
Das zeigten vor Kurzem verschiedene
Positionen während der 13. Triennale
Kleinplastik Fellbach 2016 mit dem
Titel „Food – Ökologien des Alltags“.
Doch woraus besteht die symbolische
Qualität des Essens als künstlerisches
Material? Lässt es sich rechtfertigen,
dass für den elitären Kontext einer
Ausstellung mit Gegenwartskunst
Lebensmittel „zweckentfremdet“ werden – auch wenn es vorrangig um das
Hinweisen auf globale Ungerechtigkeiten geht? Was ist die tatsächliche
politische Bedeutung?
Denn die Arbeiten richten sich an ein
Publikum, das sich dieser Unverhältnismäßigkeiten durchaus bewusst,
nicht jedoch selbst davon betroffen
ist. Inwiefern steht somit das visuelle,
skulpturale Erlebnis letztendlich doch
gegenüber einer politischen Fragestellung im Vordergrund?
Zumeist arbeiten Künstler, die sich
mit Essen beschäftigen, eben nicht
aus einem Kontext heraus, in dem Essen Mangelware ist. Die unfaire globale Verteilung von Essen dauert
somit auch hier fort, trotz sicherlich
Foto: Mayra Azzi/Lanchonete.org
Aufmacherseite:
Soul Food Dinner
von Theaster Gates
A
ls ich das erste Mal in Johannesburg war, übernachtete ich
in einem neu gestylten Hotel
im Stadtteil Braamfontein unweit der
Wits School of Arts. Das Restaurant
des Hotels war noch nicht fertiggestellt, sodass man sich zum Frühstücken eine andere Lokalität suchen
musste. Direkt gegenüber befand sich
das Father Coffee: klein, aber cool eingerichtet, mit bestem Kaffee – als Einstieg in den Tag perfekt. Daneben bot
der Neighbourgoods Market „farm
fresh food“ sowie „speciality goods“
an. Ein netter Ort. Ich fühlte mich
gleich wohl. Mit seinen Gerüchen, seiner Ästhetik und Stimmung hätte der
Markt genauso in Berlin, New York
oder São Paulo sein können. Zugegeben: Das war es wohl – das Gefühl der
Sicherheit, das Bekannte, das gute
Essen in angenehmer Atmosphäre –,
was mir diesen Moment in Johannesburg so zugänglich machte.
„Janta: Queer Food, Queer Politics“ in São Paulo war im vergangenen Jahr das größte Projekt von Lanchonete.org.
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guter Intentionen. Ebenso viele Künstler wie Aktivisten, aber auch „normale“ Bürger beschäftigen sich mit
Themen, die globale Krisen definieren.
Neben Essen ist das unter anderem
der Klimawandel. Hier ist jedoch der
Versuch, bestimmte Szenarien erfahrbar zu machen, wesentlich selbstverständlicher. Aufrufe beispielsweise,
einen Tag lang auf den Gebrauch des
Autos zu verzichten, keinen Müll zu
produzieren oder den Konsum von
Strom und Wasser zu reduzieren, sind
Bestandteil einer zunehmenden Bewusstseinsmachung.
KOLLABORATIVES DINNER
Einen Tag, an dem in Industrieländern
auf Essen verzichtet wird, um in Solidarität mit den Hungernden dieser
Welt diese wenn auch nicht vergleichbare Erfahrung zu machen, existiert
nicht. Kunst, die sich mit Essen beschäftigt, ist kein Ersatz hierfür.
Schauen wir über die doch eher spezifische Sichtbarkeit von künstlerischen
Produktionen hinaus und betrachten
zum Beispiel Werbekampagnen der
Welthungerhilfe oder Brot für die
Welt, sind das ebenfalls rein visuelle
Aufrufe – verbunden mit dem Ziel,
Emotionen wie Mitleid und Besorgnis
hervorzurufen. Die präsentierten Bil-
der sind aber so sehr Teil unseres Alltags, dass sie leicht lediglich zu einem
beiläufigen, wenn auch stets präsenten Symbol des Problems werden.
In der Kunst gibt es eine weitere Art
schäftigt sich
damit, wie die
Menschen in dieser enormen Stadt
leben und überleben, teilen und arbeiten. Eine Lanchonete ist die lange
Theke in einem Imbiss und als solche
„Beim Essen geht es immer
auch um das Verteilungsmodell.“
und Weise, sich mit dem Thema Essen
auseinanderzusetzen: die performative Zubereitung und Ausgabe von sowie die Auseinandersetzung mit
Essen als künstlerische Aktion. Ein
Beispiel ist der Soul-Food-Pavillon aus
dem Jahr 2012 des afroamerikanischen Künstlers Theaster Gates. Ein
Forum, in dem Gates regelmäßig
„Soul Food Dinner“ für Kollaborateure und Freunde zubereitete, um
währenddessen die komplexen Historien der Zutaten und Gerichte zu
diskutieren. Es ging hierbei um die
offene Auseinandersetzung mit Themen wie Rasse und Ungleichheit
anhand des Teilens von Essen.
Ein weiteres, ähnliches Beispiel ist
Lanchonete.org (a.k.a. Associação
Espaço Cultural Lanchonete), eine
künstlergeführte, progressive, kulturelle Plattform in São Paulo. Sie be-
funktioniert das Projekt auch. Dahinter steckt die konzeptuelle Idee, innerhalb dieses Raums die Beziehung
zwischen Stadt und Land, dem Zentrum und der Peripherie, zwischen
den historischen und gegenwärtigen
Migrationsströmen zu untersuchen,
durch die São Paulo zum Epizentrum
für Wirtschaft und Handel Brasiliens
sowie zu einer der größten Städte der
Welt wurde.
Während diese beiden Beispiele sich
innerhalb des Aktionsradius der Initiatoren bewegen, um auf Probleme in
deren Umgebung einzugehen, verweist ein drittes Beispiel auf politische
Missstände außerhalb des eigenen
Kontexts beziehungsweise dem des
Publikums. Für die Documenta (13)
errichtete die New Yorker Künstlerin
Robin Kahn zusammen mit den
Frauen von „La Cooperativa Unidad
Im Fokus
Nahrung und ihre
Beschaffung haben
eine politischökonomische und
künstlerische
Dimension.
Dr. Yvette Mutumba
beschreibt in ihrem
Artikel einige
Kunstaktionen.
Sie war bis vor
kurzem Kuratorin
am Weltkulturen
Museum in
Frankfurt am Main.
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.SPECIAL DINING TODAY
Nacional Mujeres Saharauis“ („Die
Kooperative Nationaler Einheit von
Sahrauis-Frauen“) ein Zelt als Ort, in
dem das Schicksal der Sahrauis und
ihres Kampfs um die vollständige
Anerkennung ihrer Eigenstaatlichkeit
als Demokratische Arabische Republik
Sahara (DARS) bekannt gemacht
werden sollte. Ein Konflikt, der in der
massenmedialen Berichterstattung
quasi vollständig ignoriert wird. Anhand tradierter sozialer Rituale, in deren Mittelpunkt die Gastfreundschaft
der nomadischen Wüstenbevölkerung
steht, sollten die Besucher bei Couscous und Tee aufgeklärt werden.
und ebenso, wie unterschiedlich es
unsere Kontexte prägt.
Nehmen wir das zum Anlass, das
Alltägliche nicht als selbstverständlich
anzunehmen und das Nichtalltägliche
als selbstverständlich. Genau das ist
die Schnittstelle, an der Kunst und Essen wieder zusammenfinden können.
Als ich das erste Mal in Kampala war,
übernachtete ich in einem familienbetriebenen Bed and Breakfast in
Muyenga, Tank Hill, unweit vom
Stadtzentrum. Zum Frühstück gab es
frische Ananas, Mangos, Bananen und
Maracujasaft. Würde mir jemand
diese Früchte in Berlin, New York
oder São Paulo zum Frühstück vorsetzen, würde ich sofort den Unterschied schmecken. Denn es liegen
Welten zwischen dem intensiven
Geschmack einer Mango vom Markt
in Kampala und der aus dem
Wholefoods in New York City.
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Foto: Isabel Gandia/Lanchonete.org
Mehr Fotos unter
www.md-mag.com/
interior-architecture/fachbeitraege/
opinion/soul-food
KONZEPTORIENTIERTE AKTIONEN
Die Grenze zwischen künstlerischer
und aktivistischer Aktion lässt sich bei
diesen Kunstprojekten nur noch
schwer ziehen. Deutlich wird jedoch:
Essen bietet sich als Metapher für
konzeptorientierte Praktiken und Ak-
tionen an, da es auf unterschiedliche
Art und Weise zur Reflexionsfläche
der Zustände in unseren Gesellschaften einsetzbar ist. Essen kann zu Rohmaterial werden, zur Trope, also zum
Vertauschen des eigentlichen Ausdrucks mit einem bildlichen Ausdruck.
Es kann jedoch auch zur Identität und
Erinnerung, zum Marker spezifischer
Historien und damit auch zum Reflektor der Verflechtungen politischer
Ökonomien des Überlebens in einer
sich globalisierenden Welt dienen.
Aber: So sehr wichtige künstlerische
Arbeiten mit der Metapher des Essens
auch auf die globale Situation und damit auf deren Ungleichheiten hinweisen, sie anprangern und sich damit
auseinandersetzen, so sehr spiegelt
das genau jene Ungleichheiten wider.
Bei einer Auseinandersetzung mit
und/oder Verwendung von Essen
muss demzufolge immer das Verteilungsmodell berücksichtigt werden
Das Künstlernetzwerk Lanchonete.org begleitete ein lokales Projekt mit Farmern, das während der Poly/Graphic Triennial im puertoricanischen San Juan stattfand.
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