Flexible Arbeitszeiten - Hans-Böckler

REPORT
Nr. 1, Forschungsförderung Report
FLEXIBLE ARBEITSZEITEN:
EINE GERECHTIGKEITSFRAGE?
Yvonne Lott
EINLEITUNG
In den aktuellen arbeitspolitischen Debatten werden
von verschiedenen Akteuren flexible Arbeitszeiten
gefordert: Arbeitgeber fordern flexible ­Arbeitszeiten,
um besser auf den technologischen Wandel reagieren zu können. Beschäftigte fordern flexible Arbeitszeiten, um ihren Beruf besser mit anderen Lebensbereichen zu vereinbaren – und sehen sich dabei von
Bundesregierung und Gewerkschaften unterstützt,
die die Zeitsouveränität von Beschäftigten stärken
wollen.
Die steigende Frauenerwerbstätigkeit – vor allem
in Deutschland ( Abbildung 1 ) – und der demografische Wandel haben zu einer Gleichzeitigkeit von Lebensphasen ( Erwerbstätigkeit, Familien­
gründung,
Pflege von Angehörigen ) geführt ( Anxo et al. 2006 ).
Die sich verändernden Anforderungen des Arbeitsmarktes machen die Vereinbarung von Beruf und
Weiterbildungsaktivitäten notwendig – insbesondere in Hinblick auf den digitalen Wandel. Ein gesteigerter Individualismus führt zu vielfältigen Arbeitszeitinteressen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ( Jurczyk 2004 ). Die Forderung nach einer
guten Work-­
Life-Balance zeigt sich bei der sogenannten »Generation Y«, den nach 1979 Geborenen,
noch stärker als bei den Babyboomern, also den
Jahrgängen 1956 bis 1965 ( Abbildung 2 ).
Wer aber nutzt flexible Arbeitszeiten? Welche Konsequenzen hat die Nutzung flexibler Arbeitszeiten?
Und welche Rolle spielen Betriebe dabei? Die Klärung
dieser Fragen ist für die Gestaltung einer Arbeitszeitpolitik notwendig, die allen Beschäftigtengruppen im
gleichen Maße zugutekommt und soziale Ungleichheiten in den Betrieben vermeidet.
Abbildung 1
Erwerbsquoten der 15- bis 64-jährigen Frauen in Dänemark, Frankreich,
Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien
80 %
75 %
70 %
65 %
60 %
55 %
50 %
2005
2006
Dänemark
Quelle: OECD 2016
2007
2008
Deutschland
2009
2010
Frankreich
2011
2012
Großbritannien
2013
2014
2015
Niederlande
INHALT
Einleitung
1
Optionen
Welche Optionen gibt es?
3
Nutzung
Wer nutzt flexible Arbeitszeiten?
4
Konsequenzen
Welche Konsequenzen hat die Nutzung von Teilzeit und Elternzeit für die Karriere?
14
Welche Konsequenzen hat die Pflege von Angehörigen
für die Gesundheit der Beschäftigten?
15
Welche Konsequenzen hat die Nutzung flexibler Arbeitszeiten
für das Arbeits( zeit )verhalten von Beschäftigten?
16
Betriebe
Welche Rolle spielen Betriebe für die Nutzung
flexibler Arbeitszeiten? 19
Fazit
23
Literatur
26
OPTIONEN
Welche Optionen gibt es?
Abbildung 2
Eine lebensphasenorientierte Arbeitszeitpolitik ermöglicht »bedürfnisgerechte Arbeitszeiten« ( Hinrichs 1992 ) im Laufe des Lebens von Arbeitnehme­
rinnen und Arbeitnehmern. Eine lebensphasenorien­
tierten Arbeitszeitpolitik ermöglicht die Vereinbarung
von Beruf und Aktivitäten außerhalb der Erwerbsarbeit, fördert die Gesunderhaltung der Beschäf­tigten
und unterstützt ihre Weiterbildungsinteressen ( Dulk
und van Doorne-Huiskes 2008, S. 161 ).
Der Gesetzgeber, die Tarifvertragsparteien und
die Betriebe haben bereits verschiedene Optionen
für Beschäftigte geschaffen, die Arbeitszeit an ihre
Lebensumstände anzupassen. Anders als früher
stehen Beschäftigten heute verschiedene flexible
Arbeitszeiten für die Gestaltung ihrer Arbeitszeit –
je nach Lebensphase – zur Verfügung. Dabei handelt es sich um gesetzliche Ansprüche und tarif­
liche bzw. betriebliche Regelungen.
Zu den zentralen gesetzlichen Ansprüchen
­gehören:
–– die Teilzeit zur Verkürzung der Arbeitszeit,
–– die Elternzeit zur Unterbrechung der Arbeitszeit
für Kinderbetreuung,
–– die Pflegezeit zur Arbeitszeitunterbrechung
für die Pflege von Angehörigen und
–– die Teilzeit während Elternzeit oder Pflegezeit.
In vielen Betrieben sind zudem Arbeitszeitarrangements verbreitet, die es Beschäftigten erlauben, die
Lage und Dauer ihrer täglichen Arbeitszeit selbst zu
bestimmen:
–– Bei der Gleitzeit können Beschäftigte die
­Anfangs- und Endzeiten ihres Arbeitstages
­wählen. Beschäftigte mit Gleitzeit können
­beispielsweise früher zur Arbeit kommen und
früher gehen, oder sie können an einem Tag
­länger und am nächsten Tag kürzer arbeiten –
stets innerhalb eines zeitlichen Rahmens.
–– Bei völlig selbstbestimmten Arbeitszeiten
gibt es einen solchen Rahmen nicht. Hier ist es
den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
­vollkommen selbst überlassen, wann und wie
lange sie am Tag arbeiten.
–– Betriebliche ­Arbeitszeitkonten bieten die
­Möglichkeit, die ­Arbeitszeitlage flexibel zu
­gestalten, die Erwerbstätigkeit zu unter­
brechen oder die Arbeitszeit zu verkürzen.
Wichtige Aspekte der Arbeitgeberwahl der Babyboomer und der Generation Y
ausgewogenes Verhältnis
zwischen Berufs- und Privatleben
64
soziales Millieu
und die Kollegen
53
hohes Gehalt / hoher Status
37
35
Möglichkeit, schnell Karriere
zu machen
Generation Y
Babyboomer
61
39
30
anderen zu helfen / einen Unterschied
durch meine Arbeit zu machen
71
24
32
0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 %
Quelle: Parment 2014, Fragebogen-Umfrage ( N = 3.215 )
Prominente Optionen bzw. Instrumente
flexibler Arbeitszeiten
–– Teilzeit, Elternzeit und Pflegezeit
–– Gleitzeit und völlig selbstbestimmte
­Arbeitszeiten
–– Arbeitszeitkonten
Aktuelle arbeitszeitpolitische Debatten
und Initiativen – eine Auswahl
Wahlarbeitszeitgesetz Deutscher Juristinnenbund
https://www.djb.de/themen/wahlarbeitszeit/
Recht auf befristete Teilzeit Bundesministerium für Arbeit und Soziales
www.arbeitenviernull.de
Familienarbeitszeit Friedrich-Ebert-Stiftung/DIW Berlin
https://www.diw.de/de/diw_01.c.462712.de/
presse/diw_glossar/familienarbeitszeit.html
http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/
aktuelles,did=212732.html
Arbeitszeitkampagne »Mein Leben –
meine Zeit: Arbeit neu denken!« IG Metall
https://www.igmetall.de/mein-leben-meinezeit-arbeit-neu-denken-22347.htm
Nr. 1, Forschungsförderung Report · Januar 2017 · Seite 3
NUTZUNG
Wer nutzt flexible Arbeitszeiten?
Teilzeit
Obwohl die gesetzlichen Optionen für abhängig Beschäftigte ungeachtet ihres Geschlechts, ihrer Qualifikation und ihres sozialen Status gelten, variiert ihre
Nutzung nach diesen Merkmalen. Bekanntermaßen
wird Teilzeit vorwiegend von Frauen in Anspruch
genommen ( Absenger et al. 2014 ): 78 Prozent aller
Teilzeitbeschäftigten in Deutschland waren im Jahr
2014 Frauen ( O ECD 2016 ), von den abhängig Beschäftigten in Teilzeit waren 2014 und 2015 knapp
81 Prozent Frauen ( destatis 2016 )1. Der Anteil der
teilzeitbeschäftigten Frauen an der Gesamtzahl der
beschäftigten Frauen hat – neben den Niederlanden – insbesondere in Deutschland seit 1985 zugenommen ( Abbildung 3 ). Von 1985 bis 2015 ist der
Anteil teilzeitbeschäftigter Frauen in Deutschland
um 15 Prozentpunkte auf knapp 37 Prozent gestiegen. Aber auch immer mehr Männer arbeiten in
Teilzeit, wobei der Anteil teilzeitbeschäftigter Män-
Gründe für den geringeren Einfluss
von Frauen auf die Arbeitszeit
–– Arbeitsmarktsegregation: Frauen
­arbeiten häufiger in Bereichen, die die
­Implementierung von Gleitzeit und
­völlig selbstbestimmten Arbeitszeiten
­erschweren.
–– betriebliche Hierarchie: Frauen arbeiten seltener in betrieblichen Positionen
( z. B. Führungspositionen ), in denen
­Gleitzeit und völlig selbstbestimmte
­Arbeitszeiten vorwiegend angeboten
­werden.
–– Diskriminierung: Frauen wird oftmals ­unterstellt, Gleitzeit und völlig
­selbst­bestimmte Arbeitszeiten
nicht zur Leistungssteigerung, sondern
für Verpflichtungen außerhalb der
­Arbeit zu nutzen.
Nr. 1, Forschungsförderung Report · Januar 2017 · Seite 4
ner an der Gesamtzahl der beschäftigten Männer in
Deutschland mit knapp 9 Prozent 2015 im Vergleich
zu ­Dänemark und den Niederlanden relativ gering
ist.
Frauen arbeiten in Deutschland vorwiegend in
substanzieller Teilzeit ( 21 bis 31 Stunden ). Die marginale Teilzeit ( bis 20 Stunden ) ist weniger verbreitet, hat aber stark an Bedeutung gewonnen: Rund
28 Prozent aller Frauen ( gegenüber knapp 8 Prozent
aller Männer ) gingen 2014 einer marginalen Teilzeitbeschäftigung nach, 1991 waren dies knapp
18 Prozent aller Frauen ( gegenüber knapp 2 Prozent aller Männer ) ( W SI Gender Daten Portal 2016 2).
1https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/link/­
tabelleErgebnis/12211-0011
2http://www.boeckler.de/51989.htm
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Anteil teilzeiterwerbstätiger Frauen an allen erwerbstätigen Frauen
in Dänemark, Deutschland und den Niederlanden
70 %
60 %
50 %
40 %
30 %
20 %
10 %
0 %
1985199019952000200520102015
Deutschland, Frauen
Dänemark, Frauen
Niederlande, Frauen
Quelle: OECD 2016
Deutschland, Männer
Dänemark, Männer
Niederlande, Männer
Deutschland, Frauen
Dänemark, Frauen
Niederlande, Frauen
Deutschland, Männer
Dänemark, Männer
Niederlande, Männer
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Gender Time Gap bei Paaren
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Abbildung 4
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Absolute Gender Time Gap in Paaren, 2011, in Stunden
#*'&.%
Lena Hipp und Kathrin Leuze vergleichen
den Gender Time Gap bei Paaren zwischen
europäischen Ländern und den USA . Die
Autorinnen berechnen den Gender Time
Gap bei Paaren so: die Arbeitsstunden der
Partnerin minus der Arbeitsstunden des
Partners. Im Durchschnitt liegt der Gender
Time Gap bei Paaren für Deutschland bei
über 16 Stunden. Damit liegt Deutschland
nach Malta und Italien auf Platz 3 der
EU -­Mitglieder mit dem höchsten Gender
Time Gap bei Paaren.
0
MT IT DE NL GR AT UK LU ES IE BE US CZ CY SK PL PT EE HU RO FI SE DK LV BG LT SI
– 5
–10
–15
– 20
– 25
– 30
C"
T)
#$&%P
#$&O.
Quelle: Hipp und Leuze 2015: Institutionelle Determinanten einer ­
partnerschaftlichen Aufteilung von Erwerbsarbeit in Europa und den USA.
In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 67 ( 4 ): S. 659–684
Gender Time Gap
Trotz des kontinuierlichen Anstiegs der Frauen­
erwerbsarbeit ( Abbildung 4 ) ist der Gender Time
Gap – also der Abstand zwischen den Arbeitszeitstunden von Frauen und Männern – seit 2003 aufgrund des hohen Anteils teilzeitbeschäftigter Frauen relativ unverändert.
Auch mehr als 25 Jahre nach der Wiederver­
einigung ist die Erwerbsorientierung von Frauen in
Ostdeutschland stärker als von Frauen in den westdeutschen Bundesländern. In Westdeutschland dominiert nach wie vor das Haupternährer-Zuverdiener-Modell.
In Ostdeutschland ist das Doppelernährermodell
verbreiteter. Entsprechend ist der Gender Time Gap
in Westdeutschland mit mehr als zehn Stunden
deutlich größer als in Ostdeutschland, wo Männer
im Durchschnitt sechs Stunden mehr arbeiten als
Frauen. Kümmerling et al. ( 2015 ) stellen in dem
HBS -Forschungsprojekt »Gender Time Gap« jedoch
eine leichte Konvergenz der durchschnittlichen
­Arbeitsstunden zwischen Ost und West fest. Das
heißt, die durchschnittlichen Arbeitsstunden von
Frauen und Männern in Ostdeutschland nähern sich
langsam denjenigen von Frauen und Männern in
Westdeutschland an. Von 2003 bis 2011 sind die
durchschnittlichen Arbeitsstunden von Frauen in
Ostdeutschland um 1,3 Stunden auf 34 Stunden gesunken, während die Arbeitsstunden westdeutscher Frauen in dem Zeitraum bei rund 29 Stunden
insgesamt konstant geblieben sind.
Forschung aus der HBS
zum Thema
Das HBS -Forschungs­projekt
»Gender Time Gap« zeigt:
Die Vollzeitäquivalenzrate von
Frauen ist seit Einführung
des Eltern­geldes im Jahr 2007
gestiegen – insbesondere
in Ostdeutschland.
http://www.boeckler.
de/11145.htm?projekt=​
2013-634-3
Nr. 1, Forschungsförderung Report · Januar 2017 · Seite 5
Abbildung 5
Erwerbsquoten der 15- bis 64-jährigen Frauen und Männer, in Prozent
WestOst
90 %
90 %
80 %
80 %
70 %
70 %
60 %
60 %
50 %
50 %
40 %
40 %
30 %
30 %
20 %
20 %
10 %
10 %
0 %
0 %
19931995199719992001200320052007200920112013
Frauen
19931995199719992001200320052007200920112013
Männer
Quelle: WSI Gender Daten Portal 2016, http://www.boeckler.de/53509.htm
Ein wesentlicher Faktor für die Höhe des Gender
Time Gaps ist das Steuersystem eines Landes. Dies
zeigen Hipp und Leuze ( 2015 ) im Rahmen des HBS Forschungsprojekts »Atypische Beschäftigung und
soziale Ungleichheit in Europa«. In Ländern mit
Ehegattensplitting ist der Abstand zwischen den
Arbeitszeiten von Frauen und Männern höher als in
Ländern mit Individualbesteuerung. Deutschland
ist im europäischen Vergleich das Paradebeispiel
eines Wohlfahrtsstaats, der durch das Ehegattensplitting das männliche Ernährermodell fördert und
so zu dem relativ hohen Gender Time Gap beiträgt
( Sainsbury 1999; Esping-Andersen 2006 ). Neben
dem Steuersystem hat die Verfügbarkeit von Kinderbetreuung für Kinder unter drei Jahren Einfluss
auf das Erwerbsverhalten von Frauen ( Hipp und
Leuze 2015 ). Damit erklären Kümmerling et al.
( 2015 ) auch die schwächere Frauenerwerbstätigkeit in den westdeutschen Bundesländern im Vergleich zu Ostdeutschland, wo Betreuungsmöglichkeiten verbreiteter sind. Wohlfahrtsstaatliche Angebote beeinflussen also das Erwerbsverhalten.
Nr. 1, Forschungsförderung Report · Januar 2017 · Seite 6
Interessanterweise beobachten Kümmerling et
al. ( 2015 ), dass die Erwerbstätigkeit von Frauen mit
der Einführung des Elterngeldes im Jahr 2007 angestiegen ist – allerdings in Ostdeutschland stärker
als in Westdeutschland gewirkt hat ( Abbildung 5 ).
In Ostdeutschland sind die Vollzeitäquivalenzraten
von 49,2 Prozent im Jahr 2006 auf 54,3 Prozent im
Jahr 2011 und damit um 5,1 Prozentpunkte gestiegen. In Westdeutschland gab es einen Anstieg um
4,7 Prozentpunkte ( von 42,4 im Jahr 2006 auf 47,1
im Jahr 2011 ).
Neben wohlfahrtsstaatlichen Angeboten sind
andere Faktoren ebenfalls relevant – allen voran
normative Geschlechterbilder und die Gleichstellung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt ( Hipp
und Leuze 2015 ). Beide Faktoren beeinflussen die
innerpartnerschaftlichen Aushandlungsprozesse darüber, wer in erster Linie erwerbstätig ist und wer
die Verantwortung für Haus- und Sorgearbeit übernimmt. Da in Deutschland traditionelle Geschlechterbilder ( vor allem im Vergleich zu skandinavischen­
Ländern ) nach wie vor vorherrschen, Frauen auf
dem deutschen Arbeitsmarkt oftmals benachteiligt
sind und das Ehegattensplitting wenig Anreiz für
das Doppelernährermodell bietet, verteilen Paare
Erwerbs­arbeit oftmals ungleich zum Nachteil von
Frauen.
Abbildung 6
Entwicklung der Vollzeitäquivalenzraten von Frauen und Männern in Ost- und Westdeutschland
90 %
80 %
70 %
60 %
50 %
40 %
30 %
20 %
10 %
0 %
2003 20042005200620072008 200920102011
Frauen Ost
Frauen West
Männer Ost
Männer West
Vollzeitäquivalente sind eine Maßzahl, die »die Anzahl der insgesamt gearbeiteten Stunden in Relation
zur ­durchschnittlichen Stundenanzahl Vollzeitbeschäftigter setzt. Vollzeitäquivalenzraten beziehen zudem
die Gruppengröße (hier Anzahl der Beschäftigten) mit ein«. (Kümmerling et al. 2015, S. 3)
Quelle: Kümmerling et al. 2015
Abbildung 7
Anteil egalitärer Äußerungen zur Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern von Frauen und Männern
in Ost- und Westdeutschland
100 %
90 %
80 %
70 %
60 %
50 %
40 %
30 %
20 %
10 %
0 %
1982 1991199620002004 20082012
Frauen Ost
Frauen West
Männer Ost
Männer West
Quelle: Scheuer 2013
Nr. 1, Forschungsförderung Report · Januar 2017 · Seite 7
Abbildung 8
Anteil an der wöchentlichen Hausarbeit und Kinderbetreuung
von Frauen und Männern bei Paaren, in Prozent ( 2012 )
100 %
90 %
80 %
70 %
60 %
50 %
40 %
30 %
20 %
10 %
0 %
Hausarbeit
Frauen
Kinderbetreuung
Männer
Quelle: eigene Berechnungen, SOEP 2012, gewichtet
Elternzeit und Pflege
Mit der ungleichen Verteilung von Erwerbsarbeit
geht in der Regel eine ungleiche Verteilung von Sorge- und Hausarbeit einher, was wiederum zu einer
ungleichen Nutzung von Elternzeit und Pflegezeit
führt. Frauen verkürzen wegen Kinderbetreuung
nicht nur häufiger ihre Arbeitszeit, sondern nehmen
auch deutlich öfter Elternzeit in Anspruch als Männer. 29 Prozent der Väter, deren Kind 2012 geboren
wurde, nutzen Elternzeit, gegenüber 96 Prozent der
Mütter ( destatis 2014 ). Der Großteil der Väter
( 74 Prozent ) nimmt dabei nur zwei Monate Elternzeit ( Pfahl et al. 2014 ). Auch die Pflege von Angehörigen wird in erster Linie von Frauen übernommen
( Auth et al. 2015 ).
Allerdings ist bei der traditionellen Verteilung von
Sorgearbeit in den vergangenen Jahren etwas in Bewegung gekommen. Pflege übernehmen nun auch
mehr und mehr Männer. 2010 hatte sich der Anteil
pflegender Männer mit 10 Prozent gegenüber 1998
verdoppelt ( Auth et al. 2015 ). Die Inanspruchnahme
von Elternzeit durch Männer ist seit der Einführung
der Partnermonate 2007 ebenfalls gestiegen ( W SI
Gender Daten Portal 2016 3).
Auch die normativen Geschlechterbilder sind,
wenngleich langsam, im Wandel begriffen ( Abbildung 7 ). Während 1982 nur 32 Prozent der Frauen
( und Männer ) in Westdeutschland eine egalitäre
Einstellung zur Rollenverteilung zwischen Frauen
und Männern hatten, befürworteten 2012 79 Prozent der Frauen und 73 Prozent der Männer egalitäre Geschlechterrollen. Auch in Ostdeutschland haben egalitäre Geschlechtereinstellungen – auf einem
deutlich höheren Niveau als in Westdeutschland –
zugenommen. Wie auch bei den Arbeitsstunden
der Frauen war allerdings zuletzt ein leichter Rückgang bei der egalitären Einstellung in Ostdeutschland zu beobachten.
3 http://www.boeckler.de/51836.htm
Nr. 1, Forschungsförderung Report · Januar 2017 · Seite 8
Selbstbestimmte Arbeitszeit
Trotz des Wandels der normativen Geschlechter­
bilder übernehmen Frauen immer noch den Löwenanteil unbezahlter Arbeit ( Abbildung 8 ). Obwohl bei
ihnen also der Bedarf an flexiblen Arbeitszeiten
­höher ist als bei Männern, haben sie seltener Einfluss auf die Lage ihrer Arbeitszeit ( Lott 2015a ):
Frauen haben im Durchschnitt etwas häufiger feste
Arbeitszeiten oder Arbeitszeiten, die vom Arbeitgeber variabel gestaltet werden ( Arbeitgeber-orientierte Arbeitszeiten, Stichwort: Arbeit auf Abruf ).
Männer arbeiten hingegen etwas häufiger in Gleitzeit ( Anfangs- und Endzeiten können Beschäftigte
selbst bestimmen ) oder verfügen über völlig selbstbestimmte Arbeitszeiten ( die Beschäftigten können
die Lage der Arbeitszeit vollkommen selbst bestimmen ).
Frauen haben seltener Einfluss auf ihre Arbeitszeit, da sie häufiger als Männer in Bereichen arbeiten, die die Implementierung von Gleitzeit oder
selbstbestimmten Arbeitszeiten erschweren, wie
etwa in Sozialberufen ( Brescoll et al. 2013 ). Aber
selbst da, wo Gleitzeit oder selbstbestimmte Arbeitszeiten möglich wären, haben Frauen weniger
Zugang zu diesen Formen flexiblen Arbeitens: Einfluss auf die Arbeitszeit ist – wie Einkommen – eine
Belohnung für erbrachte Leistung und geht mit anderen Belohnungen einher, beispielsweise mit Beförderungen ( Schiemann et al. 2013 ). Damit variiert
die Möglichkeit, Einfluss auf die Arbeitszeiten zu
nehmen, nicht allein nach Geschlecht, sondern
auch nach der ­Position in der betrieblichen Hierarchie, also nach Status. Gleitzeit und insbesondere
selbstbestimmte Arbeitszeiten werden in erster Linie Beschäftigten mit Management- und umfassenden Führungsaufgaben angeboten ( Abbildung 9 ).
Da Frauen häufiger­in Jobs mit niedrigerem Status
und seltener in Führungspositionen arbeiten als
Männer, haben sie e
­ inen geringeren Einfluss auf
ihre Arbeitszeit ( Brescoll et al. 2013 ).
Abbildung 9
Arbeitszeitarrangements abhängig Beschäftigter in der betrieblichen Hierarchie 2005 –2011
60 %
50 %
40 %
30 %
20 %
10 %
0 %
keine Führungsaufgaben
feste Arbeitszeit
Managementaufgaben
Arbeitgeber-orientierte Arbeitszeit
umfassende Führung
völlig selbstbestimmte Arbeitszeit
Gleitzeit
Anmerkungen feste AZ: Arbeitszeitlage wird durch Arbeitgeber festgelegt, Arbeitgeber-orientierte AZ: Arbeitszeit wird durch
den Arbeitgeber variabel gestaltet, völlig selbstbestimmte AZ: Beschäftigte bestimmen über die Lage ihrer Arbeitszeitlage
­vollkommen selbst, Gleitzeit: Beschäftigte bestimmen über ihre Arbeitszeit innerhalb eines vom Arbeitgeber festgelegten Rahmens
Quelle: Lott 2015a
Nr. 1, Forschungsförderung Report · Januar 2017 · Seite 9
Die Balance von Führung in Teilzeit
Chancen und Risiken
von Teilzeit in Führungs­
positionen
Andrea Jochmann-Döll hat
ExpertInnen zu den Chancen
und Risiken von Teilzeit in
Führungspositionen bei der
Polizei befragt. Bei Teilzeit
in Führung überwiegen, trotz
bestehender Risiken und
Grenzen, die Möglich­keiten
und Chancen – wenn es
­unterstützende Maßnahmen
für Teilzeit in Führungs­
positionen gibt.
Grenzen
und Risiken
Möglichkeiten
und Chancen
unterstützende Maßnahmen
http://www.boeckler.de/
pdf/p_study_hbs_317.pdf
Status und Geschlecht
Jedoch richten sich betriebliche Belohnungen
nicht zwangsläufig nach der tatsächlich erbrachten
Leistung von Beschäftigten. Leslie et al. ( 2012 ) zeigen, dass Vorgesetzte denjenigen Kontrolle über
ihre Arbeitszeit gewähren, die sie als produktive Beschäftigte wahrnehmen. Dies können Beschäftigte
sein, die morgens früh zur Arbeit kommen und
abends spät gehen und damit ein hohes Engagement signalisieren – unabhängig von ihrer tatsächlichen Arbeitsleistung. Da Frauen aufgrund anderer
Verpflichtungen oftmals weniger Möglichkeiten haben, länger zu arbeiten, sind sie in den Augen von
Vorgesetzten und Kolleginnen und Kollegen seltener produktive Arbeitskräfte ( Williams et al. 2013;
Lott und Klenner 2016 ). Dies ist auch dann der Fall,
wenn sie keine Sorgearbeit leisten ( Leslie et al.
2012 ), denn sie könnten in Zukunft Mutter oder verantwortlich für die Pflege von Angehörigen werden. Frauen wird daher weniger Kompetenz und Engagement zugeschrieben als Männern ( Munz 2006 ).
Nr. 1, Forschungsförderung Report · Januar 2017 · Seite 10
Nicht nur das Angebot von Gleitzeit und selbst­
bestimmten Arbeitszeiten ist in Betrieben status­
abhängig, sondern auch das Angebot von Teilzeit.
Je höher die Position in der betrieblichen Hierarchie
ist, desto weniger wird in Teilzeit gearbeitet ( Abbildung 10 ). Hipp und Stuth ( 2013 ) zeigen im Rahmen
des HBS -Forschungsprojekts »Atypische Beschäftigung und Ungleichheit in Europa«, dass der Anteil
Teilzeitbeschäftigter im Management in allen europäischen Ländern relativ gering ist und selbst in
den Niederlanden, dem »Teilzeitwunderland« ( Hipp
und Stuth 2013, S. 3 ), bei gerade einmal 12 Prozent
liegt. Maßgeblich für einen höheren Anteil Teilzeitbeschäftigter im Management sind die Arbeits­
zeitkultur und die Geschlechterbilder, die in einem
Land dominieren: Eine weite Verbreitung von Teilzeitarbeit und weniger traditionellen Geschlechterbildern begünstigt Teilzeit im Management.
Teilzeit wird in vielen Führungspositionen nicht
ermöglicht, da kürzere Arbeitszeiten die Verfügbarkeitserwartungen verletzen, die an viele Führungskräfte nach wie vor gerichtet sind. Teilzeit widerspricht dem traditionellen Bild einer Führungskraft.
In dem HBS -Forschungsprojekt »Führen in Teilzeit«
findet Jochmann-Döll am Beispiel der Polizei, dass
ein wesentlicher Hinderungsgrund für Teilzeit in
Führung die Auffassung ist, dass Beschäftigte mit
kürzeren Arbeitszeiten ihrer Führungsverantwor­
tung nicht nachkommen können und damit ihre
MitarbeiterInnen belasten. Jochmann-Döll zeigt
aber auch, dass das traditionelle Bild der Führungskraft allmählich an Bedeutung verliert. Die Polizei
steht, ebenso wie viele Unternehmen, unter dem
Druck, Fachkräfte gewinnen und langfristig binden
zu müssen. Sie sind auch auf weibliche Erwerbs­
tätige angewiesen und darum bestrebt, den Frauen­
anteil auch in Führungspositionen zu erhöhen, indem sie Teilzeitoptionen für Führungskräfte ermöglichen.
Die Verfügbarkeitserwartungen an Führungs­
kräf­te verhindern nicht nur die Nutzung von Teilzeit,
sondern auch die Nutzung von Elternzeit, insbesondere einer längeren Elternzeit ( Tabelle 1 ). Dies ist
ein Ergebnis des WSI -Forschungsprojekts »Arbeits­
zeitoptionen im Lebensverlauf« ( Klenner und Lott
2016 ). Für Führungskräfte und auch höher qualifizierte Beschäftigte, von denen ein hoher persön­
licher Einsatz für ihre Arbeit erwartet wird, ist die
Nutzung von Elternzeit von dem »goodwill« ihrer­
Vorgesetzten abhängig ( Lott und Klenner 2016 ).
Die Inanspruchnahme von Elternzeit ist für sie
Glücksache. Da in der oberen Hierarchie­ebene die
Verfügbarkeitserwartungen für beide ­Geschlechter
gelten, ist eine längere Elternzeit für Arbeitnehmer­
innen und Arbeitnehmer von den Vorgesetzten abhängig.
In der mittleren Hierarchieebene werden weniger Verfügbarkeitserwartungen an die Beschäftigten gerichtet als in der oberen Hierarchieebene. Aus
diesem Grund können Beschäftigte in mittleren
­Positionen noch am ehesten Teilzeit nutzen – vorrangig aber Frauen, bei denen aufgrund traditionel-
ler Geschlechterbilder eher Teilzeit für Kinderbe­
treu­ung und Pflege erwartet wird. Kürzere Arbeitszeiten und längere Erwerbsunterbrechungen gelten
oftmals als eine »natürliche« Zwangsläufigkeit der
Mutterschaft ( Lott und Klenner 2016 ). Daher ist es
für Männer in der mittleren ( und oberen ) Hierarchie­
ebenen problematischer als für Frauen, Teilzeit zu
nehmen. Auch für Männer in mittleren Positionen
ist eine längere Elternzeitdauer weniger gut möglich als für die Kolleginnen. Von Männern wird als
Ernährer der Familie nicht nur häufiger Vollzeitarbeit, sondern auch eine kurze Elternzeit ( maximal
zwei Monate ) erwartet.
Auf der unteren Hierarchieebene ist Teilzeit oftmals keine tatsächliche Option für die Beschäftigten. Teilzeit ist häufig ein »Take it or leave ( it )«-Angebot des Arbeitsgebers ( Lott und Klenner 2016 ). Auf
der unteren Ebene bestehen Wahlmöglichkeiten
ebenso wenig für Männer wie für Frauen. Jobs werden entweder in Vollzeit ( vor allem in männlich segregierten Arbeitsbereichen ) oder ausschließlich in
Teilzeit ( vor allem in weiblich segregierten Arbeitsbereichen ) angeboten. Eine längere Elternzeit ist
­jedoch für diese Beschäftigtengruppen weitgehend
unproblematisch, da ein hohes persönliches Engagement von ihnen am wenigsten erwartet wird
( Williams et al. 2013; Lott und Klenner 2016 ). Auch
hier ist es für Frauen akzeptierter als für Männer,
­Elternzeit zu nutzen.
Abbildung 10
Abhängig Beschäftigte in Voll- und Teilzeit
nach der Position in der betrieblichen Hierarchie 2012
100 %
90 %
80 %
70 %
60 %
50 %
40 %
30 %
20 %
10 %
0 %
keine Führungsaufgaben
Vollzeit
Managementaufgaben
umfassende Führung
Teilzeit
Quelle: eigene Berechnungen, SOEP 2012
Nr. 1, Forschungsförderung Report · Januar 2017 · Seite 11
Arbeitszeitkonten
zeitkonten ein wichtiges Instrument, Erwerbsarbeit
in Vollzeit mit familiären Verpflichtungen bzw. Weiterbildungen zu vereinbaren ( Wotschack 2011 ).
In fast einem Drittel der Betriebe stehen Beschäf­
tigten Arbeitszeitkonten zur Verfügung ( Riedmann
et al. 2011 ). Wie bei den betrieblichen Arbeitszeit­
arrangements ist der Zugang zu Arbeitszeitkonten
statusabhängig. Arbeitszeitkonten stehen insbesondere den Beschäftigten zur Verfügung, denen Kompetenz und Engagement zugeschrieben wird, was
häufiger bei Männern und bei Höherqualifizierten
der Fall ist ( Munz 2006 ). In gut einem Drittel der Betriebe sind befristete und geringfügig Beschäftigte
von der Teilnahme an Langzeitkonten ausgeschlossen ( Riedmann et al. 2011 ). Prekär Beschäftigte, die
zum »Personalpuffer« eines Unternehmens gehören, wie Leiharbeiter und Minijobbeschäftigte, haben häufig keinen oder einen nur eingeschränkten
Zugang zu Langzeitkonten ( Wotschack 2010 ). Dies
betrifft vor allem Frauen, Ostdeutsche, Niedrigqualifizierte und junge Erwerbstätige ( Klammer 2005 ).
Problematisch ist nicht nur, dass einige Beschäftigtengruppen von Arbeitszeitkonten ausgeschlosAbbildung 11
sen sind – sondern auch, dass diese bei Weitem
nicht von allen Berechtigten genutzt werden. In nur
Tatsächliche Nutzungsmöglichkeiten von Langzeitkonten
jedem fünften Betrieb nutzen alle berechtigten
( Einschätzung von Betriebs- bzw. Personalräten über die Situation
­Mitarbeiter das Langzeitkonto aktiv ( Riedmann et
in ihrem Betrieb )
al. 2011 ). Das HBS -Projekt »Betriebliche Arbeitszeit- und Qualifizierungspolitik« zeigt, dass die Nut22 %
3 %
3
zung von Langzeitkonten eine Frage des Einkommens und der Qualifikation ist ( Wotschack 2011 ).
für Vollzeitbeschäftigte
Beschäftigte mit einem niedrigen Einkommen bauen deutlich geringere Zeitguthaben auf als Höherbeide etwa gleich
qualifizierte mit einem entsprechend höheren Ein27 %
27
kommen ( Wotschack 2011 ). Da Höherqualifizierte
für Teilzeitbeschäftigte
höhere Zeitguthaben führen, können sie das Langzeitkonto für eine kürzere Arbeitszeit oder für Erkeine Angabe
werbsunterbrechungen – etwa für Weiterbildungen – auch in der mittleren Lebensphase nutzen.
Geringqualifizierte mit geringen Zeitguthaben müssen darauf verzichten, da sie sich Auszeiten und
kürzere Arbeitszeiten nicht »leisten« können.
68
Neben Teilzeit, Elternzeit und betrieblichen Arbeitszeitarrangements bieten Arbeitszeitkonten die Möglichkeit, die Arbeitszeit an Bedarfe außerhalb der
Erwerbsarbeit anzupassen – etwa für Weiterbildungen, Sorgearbeit und den Übergang in die Rente.
Durch Ansparen von Zeit oder auch Geld ( z. B. Gratifikationen, Tantiemenzahlungen, Zuschläge, Mehrarbeit oder Sonderzahlungen ) können Beschäftigte
Zeitguthaben auf Arbeitszeitkonten aufbauen ( Hahn
2011 ).
Arbeitszeitkonten sind vor allem Kurzzeitkonten,
also Gleitzeit-, Überstunden- und Flexikonten, die
einen kurzfristigen Aufbau von Zeitkontingenten erlauben. Wenig verbreitet sind Langzeit- oder Le­
bensarbeits­
zeitkonten, darunter Zeitwertkonten,
die für Erwerbsunterbrechungen oder kürzere Arbeitszeiten, etwa für Sorgearbeit und vor allem für
den Übergang in die Rente, angeboten werden
( Wotschack 2010 ). Vor allem für Frauen sind Lang-
&''()*+,)-./0!+*1+)
)+56$1')*./
)*'()*+,)-./0!+*1+)
=<16,)
23
78
:
7
68 %
für Vollzeitbeschäftigte
für Teilzeitbeschäftigte
beide etwa gleich
keine Angabe
Quelle: Fröhler et al. 2013; Böckler Impuls 6/2013
Nr. 1, Forschungsförderung Report · Januar 2017 · Seite 12
RESÜMEE
Da die Nutzung von Langzeitkonten vom Einkommen abhängt, sind auch Teilzeitbeschäftigte benachteiligt. Fröhler et al. ( 2013 ) beobachten in dem
HBS -Forschungsprojekt »Flexibel in die Rente«,
dass Langzeitkonten in knapp 68 Prozent der Betrie­
be eher von Vollzeitbeschäftigten genutzt werden
( Abbildung 11 ). Frauen, die häufig in Teilzeit arbeiten und in Arbeitsmarktsegmenten mit geringeren
Löhnen tätig sind, haben geringere Zeitguthaben
als die männlichen Kollegen ( Wotschack 2011 ). In
der mittleren Lebensphase, also der Familienphase,
können Frauen Langzeitkonten weniger nutzen, da
sie aufgrund von Sorgearbeit nur begrenzt über
Zeitressourcen zum Aufbau von Zeitkontingenten
verfügen ( Riedmann et al. 2011 ). Dementsprechend
findet Wotschack ( 2011 ), dass Frauen in der Fami­
lien­phase auch seltener ein Langzeitkonto führen
als ihre männlichen Kollegen.
Die HBS -Forschungsprojekte zeigen: Die Nutzung flexibler Arbeitszeiten
ist eine Verteilungsfrage, denn nicht alle
Beschäftigten können flexible Arbeits­
zeiten im gleichen Maße nutzen. Das
­Geschlecht und der Status, d. h. Qualifikation und die Position in der betrieb­
lichen Hierarchie, sind ausschlaggebend
für die Nutzung flexibler Arbeitszeiten.
Benachteiligt sind häufig Frauen und
­Geringqualifizierte bzw. Beschäftigte in
unteren betrieblichen Positionen.
Forschung aus der HBS
zum Thema
Forschung aus der HBS
zum Thema
Norbert Fröhler, Thilo Fehmel und
Ute Klammer zeigen u. a. anhand von
Daten der WSI -Betriebsrätebefragung: Die ­tariflichen und betrieblichen
Übergangs­instrumente in die Rente
können einige Beschäftigtengruppen
nicht nutzen, vor allem Frauen, Ge­
ringverdienende und Geringqualifizierte.
Philip Wotschack analysiert im Rahmen
des HBS -Projekts »Betriebliche Arbeitszeitund Qualifizierungspolitik« die Nutzung von
Arbeitszeitkonten. Seine Studie zeigt,
dass die Chance, Langzeitkonten zu nutzen,
abhängig ist von
Fröhler, Norbert;
Fehmel, Thilo;
Klammer, Ute ( 2013 ):
»Flexibel in die Rente:
Gesetzliche, tarifliche
und betriebliche
Perspektiven.« Berlin:
edition sigma.
– Einkommen
– Qualifikation
– Sorgeverantwortung
http://www.boeckler.de/11145.
htm?projekt=S-2009-264-3%20F
Nr. 1, Forschungsförderung Report · Januar 2017 · Seite 13
KONSEQUENZEN
Welche Konsequenzen hat die Nutzung
von Teilzeit und Elternzeit für die Karriere?
Teilzeit ist eine der wichtigsten Optionen, mit der
Beschäftigte Beruf und Familie vereinbaren können.­
Allerdings müssen Beschäftigte in Teilzeit erheb­
liche Karrierenachteile hinnehmen. Allmendinger et
al. ( 2014 ) zeigen anhand von europäischen Daten,
dass substanzielle Teilzeit ( 21 bis 31 Stunden ) in
Deutschland und Großbritannien mit geringeren
Stundenlöhnen einhergeht. Insbesondere die marginale Teilzeit (bis 20 Stunden ) ist in der Regel mit
einem niedrigen Lohn verbunden und sozial unzureichend abgesichert. Mit der Zunahme marginaler
Teilzeit besteht in Deutschland daher das Risiko,
dass sich ein prekäres Arbeitsmarktsegment herausbildet ( Allmendinger et al. 2014 ).
Nicht nur verdienen Teilzeitbeschäftigte weniger,­
sie haben auch schlechtere Karriereperspektiven
als Beschäftigte in Vollzeit. Teilzeitkräfte arbeiten
seltener in Führungspositionen und haben weniger
Fortentwicklungsmöglichkeiten – vor allem im Fall
der marginalen Teilzeit ( Allmendinger et al. 2014 ).
Die Nutzung von Elternzeit durch Väter, insbesonde­
re eine über die zwei Partnermonate hinausreichende Inanspruchnahme, geht mit einem ( frühen ) beruflichen Wiedereinstieg der Partnerin einher ( Pfahl
et al. 2014 ). Dies ist ein zentrales Ergebnis des HBS Projekts »Nachhaltige Effekte der Elterngeldnutzung durch Väter«. Zudem ist eine längere Eltern-
zeit von Vätern mit einer egalitäreren Verteilung von
Sorgearbeit bei Paaren verbunden ( Pfahl et al.
2014 ). Allerdings verschlechtert die Elternzeit häufig die beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten von Vätern, die mehr als zwei Monate Elternzeit in Anspruch nehmen ( Abbildung 12 ). 16 Prozent der befragten Väter, die maximal zwei Elterngeldmonate
genommen haben, berichten von schlechteren Aufstiegsmöglichkeiten – gegenüber 27 Prozent, die
mindestens drei Monate in Anspruch genommen
haben. Väter in Elternzeit berichten von Ansehensverlust, schlechten Bewertungen, qualitativ minder­
wertigen Arbeitsinhalten und Einkommenseinbußen­
( Pfahl et al. 2014 ). Von Männern wird oftmals erwartet, die betrieblichen Erfordernisse ( und die eige­ne
Karriereplanung ) nicht aus dem Blick zu verlieren
und nur eine kurze Elternzeit zu nehmen ( Lott und
Klenner 2016 ).
Väter mit mehr als zwei Monaten Elternzeit machen ähnliche Erfahrungen wie Teilzeitbeschäftigte. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die beruflichen Nachteile für Väter auch groß sind, wenn sie
ihre Arbeitszeit nach der Elternzeit reduzieren. Pfahl
et al. ( 2014 ) stellen fest, dass ein Drittel der befragten Väter ( 32 Prozent ) mit einer Teilzeit unter 35 Wochenstunden von schlechteren Karriereperspektiven berichtet ( Abbildung 13 ).
Abbildung 12
Einschätzung der Väter über ihre betrieblichen Aufstiegsmöglichkeiten
in Abhängigkeit von der Dauer der Elternzeit
90 %
80 %
70 %
60 %
50 %
40 %
30 %
20 %
10 %
0 %
verbessert
maximal zwei Monate Elterngeld
Quelle: Pfahl et al. 2014, Online-Befragung ( N=620 )
Nr. 1, Forschungsförderung Report · Januar 2017 · Seite 14
nicht verändert
mindestens drei Monate Elterngeld
verschlechtert
Welche Konsequenzen hat die Pflege von
­Angehörigen für die Gesundheit der Beschäftigten?
Da der größte Teil der Pflegebedürftigen ( 71 Prozent ) in Deutschland zu Hause gepflegt wird ( destatis 2015 ), ist die Unterstützung von Beschäftigten
mit pflegebedürftigen Angehörigen unerlässlich.
Gesetzliche Ansprüche auf Erwerbsunterbrechungen bzw. kürzere Arbeitszeiten für die Pflege von
Angehörigen werden von den Beschäftigten allerdings in der Regel nicht in Anspruch genommen.
Dies beobachten Leiber et al. ( 2015 ) und Auth et al.
( 2015 ) im Rahmen des HBS -Forschungsprojekts
»Männer zwischen Erwerbstätigkeit und Pflege«.
Fehlende Lohnersatzleistungen werden ebenso beklagt wie der bürokratische Aufwand und die unabwägbare Zeitdauer der Pflegesituation. Beschäftigte greifen daher zu alternativen, meist informellen
Regelungen, um die Pflege zu bewältigen. Anstelle
von Pflegezeit ( Freistellung für bis zu sechs Monate )
bzw. Familienpflegezeit ( Reduzierung der Arbeitszeit für maximal 24 Monate ) verwenden etwa Männer Gleitzeit, Arbeitszeitkonten oder selbstbestimmte Arbeitszeiten, um die Pflege zu gewährleisten
( Leiber et al. 2015 ). Beschäftigte mit festen Arbeitszeiten nutzen oftmals ihren Urlaub. Die Doppelbelas­
tung durch Vollzeitarbeit und Pflege kann jedoch
eine erhebliche psychische und physische Belastung für die pflegenden Beschäftigten bedeuten.
Die Nutzung von Arbeitszeitkonten oder Urlaub für
die Pflege von Angehörigen verhindert wichtige Regenerationsphasen.
Beschäftigte, die sich ihre Arbeitszeit selbst einteilen
können, haben bessere Möglichkeiten, Pflege mit
ihrer Erwerbsarbeit zu vereinbaren, als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit festen Arbeitszeiten. Da Frauen seltener Gleitzeit und völlig selbstbestimmte Arbeitszeiten haben, passen sie ihre Erwerbstätigkeit eher an die Pflege an als Männer, die
häufiger Einfluss auf die Lage ihrer Arbeitszeit haben. Daher reduzieren oder unterbrechen Frauen
ihre Arbeitszeit für die Pflege häufiger als Männer
( Auth et al. 2015 ). Ein weiterer Grund für das geschlechtsspezifische Pflegeverhalten ist die höhere
Erwerbsorientierung von Männern, die ihre Erwerbstätigkeit aufgrund der Pflege nicht einschränken
wollen ( Auth et al. 2015 ). Auth et al. ( 2015 ) betonen
aber, dass der Wandel der Geschlechterbilder und
die ökonomischen Zwänge von Familien die Erwerbsorientierung von Frauen weiter befördern
werden. Die Autorinnen erwarten daher, dass die
Doppelbelastung durch Vollzeit-Erwerbstätigkeit und
Pflege auch für Frauen zunehmen wird.
Mehr Informationen zum Projekt
­»Nachhaltige Effekte der Elterngeld­
nutzung durch Väter« unter
http://www.boeckler.de/11145.
htm?projekt=2012-572-3
Abbildung 13
Einschätzung der Väter über ihre betriebliche Aufstiegsmöglichkeit
nach dem Wiedereinstieg
90 %
80 %
70 %
60 %
50 %
40 %
30 %
20 %
10 %
0 %
verbessert
keine Reduzierung der Arbeitszeit
nicht verändert
verschlechtert
Reduzierung der Arbeitszeit
Quelle: Pfahl et al. 2014, Online-Befragung ( N = 620 )
Nr. 1, Forschungsförderung Report · Januar 2017 · Seite 15
ICH KÖNNTE AUCH TEILZEIT ARBEITEN, ICH WÜRDE
ABER TROTZDEM MEINEN JOB MACHEN MÜSSEN.
DAS EINZIGE, WAS ICH MIR DAMIT ANTUE: ICH KRIEGE
­WENIGER GELD.
O-Ton aus dem qualitativen Forschungsprojekt »Arbeitsoptionen im Lebensverlauf« ( A ZOLA )
Welche Konsequenzen hat die Nutzung
­flexibler Arbeitszeiten für das Arbeits( zeit )verhalten von Beschäftigten?
Wenn Beschäftigte ihre Erwerbsarbeit nicht für
Sorgearbeit unterbrechen oder verkürzen, vermeiden sie die Nachteile wie Stigmatisierung und Karrierenachteile, die mit längeren Erwerbsunterbrechungen und Arbeitszeitverkürzung einhergehen.
Denn Beschäftigte, die ihre Arbeitszeit verkürzen
und länger aus dem Beruf aussteigen, werden als
weniger produktive und engagierte Arbeitskräfte
angesehen ( Williams et al. 2013; Lott und Klenner
2016 ). Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, dass
Teilzeitbeschäftigte und Beschäftigte mit längeren
Elternzeiten Aufstiegsnachteile haben. Sie ziehen
auch den Unmut der Belegschaft auf sich – insbesondere dann, wenn Elternzeiten und Teilzeit nicht
personell ersetzt werden. Ist die Personaldecke
­ohnehin dünn, bedeuten Teilzeit und eine längere
Elternzeit häufig Mehrarbeit für die Kolleginnen und
Kollegen.
Forschung aus der HBS zum Thema
Das HBS -Forschungsprojekt »Atypische Beschäftigung
und soziale Ungleichheit in Europa« zeigt: Die Folgen
von Teilzeit für Einkommen sind im hohen Maße vom ins­
titutionellen Kontext abhängig. In Deutschland ist Teilzeit
ein Einkommensnachteil, in Griechenland ist Teilzeit sogar
mit Einkommensvorteilen verbunden.
Warum ist dies so? Hier besteht Forschungsbedarf.
http://www.boeckler.de/11145 .htm?projekt=2010 -342 -4
Nr. 1, Forschungsförderung Report · Januar 2017 · Seite 16
Um diese Nachteile zu vermeiden, wählen Beschäftigte häufig zwei Strategien. Entweder verzichten
sie auf Teilzeit und Elternzeit, oder sie versuchen
­ihren Arbeitsausfall durch ein erhöhtes Arbeitsenga­
gement zu kompensieren ( Klenner und Lott 2016).
Teilzeitkräfte erhöhen häufig ihr Arbeitsengagement: Sie springen für Kolleginnen und Kollegen
ein, übernehmen die anspruchslosen und unbeliebten Arbeitsvorgänge und entlasten so die Vollzeitbeschäftigten. Das höhere Engagement kann sich
für Teilzeitkräfte »lohnen« und zur Aufwertung führen.
Beschäftigte, die hauptsächlich die Verantwortung für die Kinderbetreuung tragen, können weniger auf Teilzeit und eine längere Elternzeit verzichten. Sie wählen eher die Kompensationsstrategie.
Dies gilt für Frauen und Männer im gleichen Maße.
Da Männer aber seltener Sorgeverantwortung
übernehmen, kommen sie seltener in die Situation,
auf die gesetzlichen Ansprüche zu verzichten.
Das Kompensationsverhalten lässt sich auch mit
dem Konzept des sozialen Tauschs – dem Geben
und Nehmen – beschreiben: Der Betrieb kommt
den Arbeitszeitwünschen der Beschäftigten entgegen, die dafür einen höheren Arbeitseinsatz zurückgeben. Dieses Geben und Nehmen gehört zu den
reziproken Tauschbeziehungen, die Kock und Kutzner ( 2014 ) in dem Forschungsprojekt »Betriebsklima und gute Arbeit« untersucht haben. Solange ein
sozialer Tausch als fair angesehen wird, sind Be-
schäftigte mit ihrer Arbeitssituation zufrieden. Ein
Tausch gilt dann als fair, wenn sich Geben und Nehmen die Waage halten.
Tatsächlich beobachten Klenner und Lott ( 2016 ),
dass die negativen Folgen von Teilzeit, nämlich Arbeitsintensivierung, Mehrarbeit und die häufig weniger planbaren Arbeitszeiten ( Stichwort: Einspringen für Kolleginnen und Kollegen ) selten problematisiert werden – weder von den Teilzeitbeschäftigten
selbst noch von den Vorgesetzten und den Kolleginnen und Kollegen ( Klenner und Lott 2016 ). Im
Gegenteil wurde ein erhöhtes Engagement teil­
weise erwartet und – um mit den Worten von Kock
und Kutzner zu sprechen – in gewisser Hinsicht als
»fair« betrachtet. Teilzeit ist zwar ein gesetzlicher
Anspruch, der aber im Betrieb umgesetzt werden
muss. Die Organisation von Teilzeit etwa durch Aufgabenverteilung und Vertretungen im Team wird
als ein Entgegenkommen der Vorgesetzten und der
Kolleginnen und Kollegen angesehen. Es wird daher erwartet, dass Teilzeitbeschäftigte mit einer Gegenleistung reagieren.
Mehrarbeit und Arbeitsintensivierung können
nicht nur mit Teilzeit einhergehen, sondern auch
aus völlig selbstbestimmten Arbeitszeiten folgen.
Insbesondere dann, wenn selbstbestimmte Arbeitszeiten vom Arbeitgeber zur Leistungssteigerung eingesetzt werden. Das Risiko der Mehrarbeit
besteht vor allem für Vollzeitbeschäftigte, die bei einem Wechsel von festen zu völlig selbstbestimmten Arbeitszeiten im Durchschnitt zwei Stunden pro
Woche mehr arbeiten ( Lott und Chung 2016 ). Da
Männer in der Regel in Vollzeit tätig sind, arbeiten
vor allem sie mit völlig selbstbestimmten Arbeitszeiten länger. Frauen müssen sich häufiger nach Arbeitszeitgrenzen in anderen Lebensbereichen richten, wie etwa Kita-Öffnungszeiten oder Schulferien, sodass sie selbstbestimmte Arbeitszeiten eher
nutzen, um Verpflichtungen außerhalb der Arbeit
nachgehen zu können ( Lott 2015b ). Völlig selbstbestimmte Arbeitszeiten können damit die traditionelle Arbeitsteilung bei Paaren verstärken: Während
Forschung aus der HBS zum Thema
Das HBS-Forschungsprojekt »Männer
z­ wischen Erwerbstätigkeit und Pflege« un­
tersuchte typische Pflegearrangements,
Res­sourcen und Unterstützungsbedarfe von
44 pflegenden erwerbstätigen Männern
in elf Betrieben – sechs Großbetrieben und
fünf kleinen und mittleren Betrieben ver­
schiedener Branchen.
Das Projekt macht deutlich: Beschäftigte,
die Angehörige pflegen, nutzen Pflegezeit
und Familienpflegezeit kaum.
http://www.boeckler.de/11145.
htm?projekt=2012-611-4
Frauen ihr Flexibilitätspotenzial für Aktivitäten außerhalb der Arbeit verwenden, arbeiten Männer
länger. Da die Arbeitszeiten von Männern mit völlig
selbstbestimmten Arbeitszeiten länger sind, können sie Verpflichtungen außerhalb der Arbeit weniger wahrnehmen als mit Gleitzeit und festen Arbeitszeiten ( Abbildung 14 ).
Im Gegensatz zu völlig selbstbestimmten Arbeitszeiten, die mit höheren Belastungen für Beschäftigte verbunden sein können, ist Gleitzeit nicht nur für
Frauen, sondern auch für Männer mit einer besseren Work-Life-Balance verbunden. Können Beschäf­
tigte innerhalb eines zeitlichen Rahmens, der sie
gegebenenfalls vor ( Selbst- )Ausbeutung schützt,
ihre Arbeitszeit beeinflussen, wirkt sich das positiv
UND ICH GLAUBE EINFACH AUCH, DASS VIELE
SICH NICHT TRAUEN, IHRE RECHTE IN ANSPRUCH ZU
NEHMEN. WIE ICH AUCH ÜBERLEGT HABE, OB ICH
ELTERNZEIT NEHMEN SOLL. WEIL SIE SAGEN: ›ACH, ICH
MUSS DOCH RÜCKSICHT AUF DIE KOLLEGEN NEHMEN.‹
O-Ton aus dem qualitativen Forschungsprojekt »Arbeitsoptionen im Lebensverlauf« ( A ZOLA )
Nr. 1, Forschungsförderung Report · Januar 2017 · Seite 17
Abbildung 14
Anteil der Beschäftigten, deren Arbeitszeit zu ihren Verpflichtungen außerhalb der Arbeit passt
100 %
80 %
60 %
40 %
20 %
0 %
feste Arbeitszeit
Frauen
Männer
Gleitzeit
völlig selbstbestimmte
Arbeitszeit
Anmerkungen feste Arbeitszeit: Arbeitszeitlage wird durch Arbeitgeber festgelegt; Gleitzeit: Beschäftigte
bestimmen über ihre Arbeitszeit innerhalb eines vom Arbeitgeber festgelegten Rahmens; völlig selbst­
bestimmte Arbeitszeit: Beschäftigte bestimmen über die Lage ihrer Arbeitszeitlage vollkommen selbst.
Quelle: Lott 2015b
auf ihre Work-Life Balance, Gesundheit, Wohlbefinden und Arbeitsmotivation aus ( Ala-Mursula et al.
2004; Michel et al. 2011; Allen et al. 2013; Gallie et al.
2012; Lott 2015b ).
Aber auch feste Arbeitszeiten können Beschäftigte in der Vereinbarung von Beruf und anderen
Lebensbereichen unterstützen. Anders als völlig
­
selbstbestimmte Arbeitszeiten geben feste Arbeitszeiten Beschäftigten einen verlässlichen Zeitrahmen. In dem WSI -Projekt »Arbeitszeitoptionen und
Work-Life-Balance im europäischen Vergleich« zeigt
der Ländervergleich: Während in Großbritannien
eine Kultur der langen Arbeitszeiten vorherrscht,
Arbeitszeiten vorwiegend im Interesse der Arbeitgeber flexibilisiert sind und die betriebliche Mitbestimmung schwach ist, haben Beschäftigte mit festen Arbeitszeiten dort eine deutlich bessere WorkLife-Balance als in Deutschland, Schweden und
den Niederlanden ( Lott 2015b ). In Großbritannien
schützen feste Arbeitszeiten also Beschäftigte vor
der Willkür der Arbeitgeber.
Nr. 1, Forschungsförderung Report · Januar 2017 · Seite 18
Forschung aus der HBS zum Thema
»Das ist ein Geben und Nehmen« von
Kock und Kutzner veranschaulicht anhand
empirischer Analysen, dass Beschäftigte
im Arbeitskontext ganz unterschiedliche
Ressourcen tauschen – allen voran Anerkennung, Verständnis und Unterstützung.
­Reziprozität und Fairness sind dabei handlungsleitend.
Kock, Klaus; Kutzner,
Edelgard ( 2014 ):
»Das ist ein Geben und
Nehmen«. Eine empirische ­
Untersuchung über
Betriebsklima, Reziprozität
und gute Arbeit.
Berlin: edition sigma.
BETRIEBE
Welche Rolle spielen Betriebe für
die Nutzung flexibler Arbeitszeiten?
Ob Beschäftigte flexible Arbeitszeiten nutzen ( können ), ist abhängig von Geschlecht, Status und Qualifikation. Ob Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
von flexiblen Arbeitszeiten profitieren, ist abhängig
von der Form flexibler Arbeitszeiten, die sie wählen,
und von der Art und Weise, wie sie diese verwenden. Flexible Arbeitszeiten, die für längere Erwerbsunterbrechungen, für kürzere Arbeitszeiten und für
( vermeintliche ) Aktivitäten außerhalb der Arbeit genutzt werden, sind oftmals mit Karrierenachteilen
verbunden. Dies haben die von der Hans-BöcklerStiftung ge­
förderten Forschungsprojekte gezeigt.
Diese Projekte zeigen aber auch, dass die negativen
Konsequenzen vermieden und eine gleichere Nutzung flexibler Arbeitszeiten gefördert werden können – und zwar durch betriebliches Handeln.
In den Betrieben werden gesetzliche und tarif­liche
Arbeitszeitregelungen umgesetzt und durch betriebliche Vereinbarungen ergänzt ( Maschke 2016 ).
Da die Regulierung von Arbeitszeiten in den letzten
Jahrzehnten von der gesetzlichen und der tarifvertraglichen Ebene zunehmend in die Betriebe verlagert wurde, sprechen Haipeter und Lehndorff ( 2007 )
von einer »Verbetrieblichung« der Arbeitszeitregulierung. Dies ist wohl am deutlichsten für die Regulierung des Rentenübergangs zu beobachten, spielt
aber auch für die Regulierung von Arbeitszeit im
Zuge der Digitalisierung eine große Rolle ( Stichwort: Regulierung mobiler Arbeit ). Die betriebliche
Ebene ist damit für die Nutzung flexibler Arbeits­
zeiten entscheidend. Wichtige betriebliche Akteure
sind die Personalverantwortlichen, die Führungskräfte und die Betriebs- und Personalräte ( Klenner
und Lott 2016 ).
Welche betrieblichen Faktoren aber fördern eine
( gleichere ) Nutzung flexibler Arbeitszeiten und vermeiden negative Konsequenzen? Die Forschungs­
ergebnisse der Hans-Böckler-Stiftung liefern darauf
Antworten für die Nutzung von Teilzeit, Elternzeit,
Pflegezeit, völlig selbstbestimmte Arbeitszeiten und
Arbeitszeitkonten.
Damit Teilzeit nicht das Karriereaus bedeutet
Eine lebensphasenorientierte Personalpolitik, die
mögliche Arbeitszeitbedürfnisse von Beschäftigten
( z. B. wegen der Geburt eines Kindes, dem Bedarf
nach Weiterbildungen, Krankheit oder ehrenamt­
lichem Engagement ) vorausschauend berücksichtigt und aktiv gestaltet, unterstützt die Nutzung von
Teilzeit und die Rückkehr von Teilzeit auf Vollzeit
( Klenner und Lott 2016 ). Sie sorgt zudem für Weiterbildungsmöglichkeiten und die Chance auf eine
langfristige Karriereplanung für Teilzeitbeschäftigte.­
Eine lebensphasenorientierte Personalpolitik bedarf ausreichenden Personals, eines Denkens in
Vollzeitäquivalenten und verbindlicher Vertretungsregelungen wie Tandem-Lösungen und Job-Sharing
( Klenner und Lott 2016 ). Nur so bedeutet Teilzeit
nicht Personalausfall und damit Mehrarbeit für die
Kolleginnen und Kollegen in Vollzeit. Genügend
Personal und verbindliche Vertretungsregelungen
unterstützen damit die Akzeptanz von Teilzeit­
beschäftigten in der Belegschaft und tragen zu der
Förderung einer neuen Vollzeitnorm bzw. lebens­
phasenspezifischen Vollzeitnormen bei.
Beispiele aus betrieblichen Vereinbarungen
zu flexiblen Arbeitszeiten
–– mobile Arbeit: Die betriebliche Vereinbarung regelt alle
­arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeiten, die online und
­offline außerhalb der Betriebsstätte durchgeführt werden.
–– lebenslauforientierte Arbeitszeitgestaltung: Die betriebliche
Vereinbarung ermöglicht allen Beschäftigten einen ver­
ringerten Arbeitseinsatz in bestimmten Lebensphasen, in
­denen das Zusammentreffen beruflicher und privater
­Bedürfnisse zu einer besonderen Belastungssituation führt.
–– Einführung der Wahlarbeitszeit: Die betriebliche Vereinbarung
ermöglicht unbefristet Beschäftigten ( mit Ausnahme von
­Führungskräften der mittleren und oberen Ebenen ) eine un­
begründete Arbeitszeitverkürzung auf bis zu 80 Prozent,
für ­Führungskräfte der mittleren und oberen Ebenen gelten
Einzelfallentscheidungen.
–– Familienpflegezeit: Die betriebliche Vereinbarung sieht
eine Pflegephase mit einer Dauer von bis zu 24 Monaten und
einer Arbeitszeit von bis zu 50 Prozent ( mind. 15 Stunden )
mit einer Entgeltaufstockung und eine Nachpflegephase mit
der ursprünglichen Wochenarbeitszeit vor.
Quelle: Maschke 2016
Nr. 1, Forschungsförderung Report · Januar 2017 · Seite 19
Damit auch Väter mit ruhigem Gewissen
Elternzeit nehmen können
Teilzeit wird in Betrieben häufig dann ermöglicht,
wenn die Personalpolitik auf die Gewinnung und
den Erhalt von Fachkräften ausgerichtet ist ( Klenner und Lott 2016 ). In dem Fall wird Teilzeit beispielsweise auch in Führungspositionen unterstützt. Dies kann zu einem neuen Verfügbarkeitsund Führungsverständnis beitragen. Damit Teilzeit
eine tatsächliche Wahlmöglichkeit für Hochqualifizierte und Führungskräfte bedeutet, muss die Personalpolitik für eine Anpassung des arbeitszeit­
lichen Stellenzuschnitts an die Arbeitszeitbedürfnisse der Beschäftigten sorgen. Dies gilt auch für
Geringqualifizierte, denen oft nur Teilzeit angeboten
wird, die aber in Vollzeit arbeiten wollen oder müssen, etwa um ein höheres Einkommen zu erzielen.
Für eine vorausschauende Personalplanung, Weiterbildungsangebote für Teilzeitbeschäftigte, ver­
bind­liche Vertretungsregelungen, bedürfnisgerech­
te Arbeitszeiten und ein neues Verfügbarkeits- und
Führungsverständnis können Personalverantwortliche, die betriebliche Mitbestimmung und die Führungskräfte sorgen. Letztere spielen bei der Nutzung flexibler Arbeitszeiten eine Schlüsselrolle, da
sie über Arbeitsteilung und Arbeitsorganisation
entscheiden.
Begünstigende Faktoren
für die Nutzung von Teilzeit
–– lebensphasenorientierte Personalpolitik
–– Weiterbildungsangebote und
­Karriereplanung für Teilzeitbeschäftigte
–– Personalbemessung nach Vollzeit­
äquivalenten
–– Vertretungsregelungen ( Tandem-Lösungen,
Job-Sharing )
–– Förderung einer neuen Vollzeitnorm
( lebensphasenspezifische Vollzeitnorm )
–– Anpassung des arbeitszeitlichen
­Stellenzuschnitts an die Bedürfnisse
der Beschäftigten
–– Angebote von Teilzeitoptionen für alle
­Beschäftigtengruppen
–– Förderung eines neuen Verfügbarkeitsund Führungsverständnisses
Nr. 1, Forschungsförderung Report · Januar 2017 · Seite 20
Herrscht eine gelebte »Vertretungspraxis« in den
Betrieben vor, wird die Nutzung einer längeren
­Elternzeit für Väter unterstützt ( Pfahl et al. 2014 ).
Eine gelebte Vertretungspraxis bedeutet Vertretungsregelungen im Team ( z. B. wechselnde Vertretungskonstellationen ) und Eins-zu-eins-Vertretungen ebenso wie mobile Kommunikation, dezentrale
Absprachen und das Delegieren bzw. Priorisieren
von Aufgaben im Team ( Pfahl et al. 2014 ). Hierfür
können vor allem Führungskräfte, aber auch die
Personalverantwortlichen den Rahmen schaffen.
Eine gelebte Vertretungspraxis verhindert, dass Beschäftigte aus Kollegialität auf ( eine längere ) Elternzeit verzichten, um ihrem Team Mehrarbeit und
eine höhere Arbeitsbelastung zu ersparen ( Lott und
Klenner 2016 ). Da Vorgesetzte häufig eine Barriere
für die Nutzung von Elternzeit sind ( Pfahl et al.
2014; Klenner und Lott 2016 ), ist eine Sensibilisierung von Führungskräften notwendig, damit Beschäftigte Elternzeit ungehindert nutzen können.
Eine starke Unterstützung durch die betriebliche Interessenvertretung trägt dazu bei, dass sich die Arbeitssituation von Männern mit Elternzeit nicht verschlechtert ( Abbildung 15 ).
Begünstigende Faktoren
für die Nutzung von Elternzeit
–– Vertretungsregelungen im Team ( z. B.
wechselnde Vertretungskonstellationen )
–– Eins-zu-eins-Vertretungen ( am besten,
wenn die Väter die Vertretungskraft selbst
einarbeiten )
–– mobile Kommunikation
–– dezentrale Absprachen
–– Delegieren und Priorisieren von Aufgaben
–– Sensibilisierung der Vorgesetzten
–– Unterstützung durch die betriebliche
­Interessenvertretung
Abbildung 15
Veränderung der Arbeitssituation von Vätern mit Elterngeldmonaten
nach der Unterstützung vom Personalrat / Betriebsrat
90 %
80 %
70 %
60 %
50 %
40 %
30 %
20 %
10 %
0 %
starke Unterstützung
verschlechtert
schwache Unterstützung
nicht verändert
verbessert
Quelle: Pfahl et al. 2014
Damit Pflege nicht zur Zerreißprobe wird
Ebenso wie bei der Elternzeit unterstützen klare Vertretungsregelungen und das Delegieren von Aufgaben die Nutzung flexibler Arbeitszeiten für die Pflege ( Auth et al. 2015 ). Vor allem Beschäftigten in
spezialisierten Tätigkeitsfeldern und Führungskräften erleichtern Vertretungsregelungen das »Fernbleiben« von der Erwerbsarbeit ( Auth et al. 2015 ).
Vorgesetzte spielen für pflegende Beschäftigte eine
noch größere Schlüsselrolle als für Beschäftigte in
Elternzeit, da die Pflege in erster Linie mithilfe informeller Regelungen bewältigt wird und es somit des
Entgegenkommens der Vorgesetzten bedarf ( Auth
et al. 2015 ). Führungskräfte müssen geschult werden, aktiv auf Beschäftigte zuzugehen, deren Bedürfnisse zu erfragen und sie über Regelungen und
Möglichkeiten zu informieren ( Auth et al. 2015 ). Da
die Kolleginnen und Kollegen oftmals mit Unverständnis auf die Arbeitszeitbedarfe vor allem von
pflegenden Männern reagieren, bedarf es männerspezifischer Angebote in den Betrieben und einer
Sensibilisierung der Belegschaft für das Thema
Pflege.
Aber nicht nur die Vorgesetzten, auch die betrieb­
liche Interessenvertretung sind für die Unterstützung pflegender Beschäftigter gefordert. Eine ak­
tive betriebliche Mitbestimmung, die pflegespezifische Vereinbarungen durchsetzt, ist zentral für die
Gestaltung der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege
im Betrieb ( Auth et al. 2015, S. 19 ).
Darüber hinaus können Beschäftigte die Pflege
besser bewältigen, wenn sie Einfluss auf die Lage
ihrer Arbeitszeit haben. Beschäftigte mit festen Arbeitszeiten, die in der Regel nur einige Stunden am
Tag für die Pflege benötigen, wünschen sich die
Möglichkeit, durch das Umwandeln von Urlaubs­
tagen in ein verfügbares Zeitkontingent auf dem Arbeitszeitkonto unterstützt zu werden ( Auth et al.
2015 ). Pflegende Beschäftigte wünschen sich zudem die Möglichkeit, zu Hause zu arbeiten ( Auth et
al. 2015 ).
Begünstigende Faktoren
für die Pflege von Angehörigen
–– klare Vertretungsregelungen
–– Delegieren von Aufgaben
–– Führungskräfteschulungen
–– aktive Ansprache durch die Vorgesetzten
–– männerspezifische Angebote
–– Sensibilisierung der Belegschaft
–– Einfluss auf die Lage der Arbeitszeit
–– Umwandeln von Urlaubstagen in
­verfügbares Zeitkontingent auf dem
­Arbeitszeitkonto
–– Homeoffice
–– Mitbestimmung und pflegespezifische
­Betriebsvereinbarungen
Nr. 1, Forschungsförderung Report · Januar 2017 · Seite 21
Damit völlig selbstbestimmte Arbeitszeiten
Zeitsouveränität für Beschäftigte bedeuten
Damit Arbeitszeitkonten vielfältig
verwendet werden können
Der betriebliche Kontext spielt eine wichtige Rolle
für die Wirkung von völlig selbstbestimmten Arbeitszeiten ( Lott 2015b ). In den Niederlanden, wo die Arbeitszeit vorwiegend im Interesse der Beschäftigten flexibilisiert ist ( Chung und Tijdens 2013 ), sind
völlig selbstbestimmte Arbeitszeiten mit einer guten Work-Life-Balance verbunden. In Deutschland
und Großbritannien, wo eher eine Arbeitgeberorien­tierte Flexibilisierung dominiert, ist die WorkLife-Balance mit völlig selbstbestimmten Arbeitszeiten schlechter. Auch der Grad der betrieblichen
Mitbestimmung und die Stärke der Sozial­partner­
schaft spielen hierbei eine Rolle. Groß ( 2009 ) zeigt
in dem HBS-Projekt »Zusammenhang von Regulierung, Arbeitszeitmanagement und gesellschaftlicher Verantwortung«, dass das Arbeitszeitmanage­
ment in Betrieben mit betrieblicher Interessenvertretung sozial verträglicher ist. Stieler und Schwarz-­
Kocher ( 2009 ) finden in dem HBS -Projekt »Verfall
von Arbeitszeit in indirekten Tätigkeits­bereichen«,
dass die Nutzung der Arbeitszeitdaten durch die betriebliche Interessenvertretung zu e
­ inem geringeren Verfall von Überstunden führt.
Eine selbstbestimmte Verwendung von Arbeitszeitkonten durch die Beschäftigten erleichtert die Vereinbarung von Beruf mit anderen Lebensbereichen,
allen voran Familie und Weiterbildung. Dieses Potenzial wird aber bisher wenig genutzt. Mitunter dienen Langzeitkonten allein dem Übergang in die
Rente; die Nutzung der Zeitguthaben für Elternzeiten oder Erziehungszeiten ist seltener möglich
( Riedmann et al. 2011 ). Es bedarf zudem einer Integration der betrieblichen Weiterbildungspolitik und
der Arbeitszeitgestaltung: Nur eine kleine Anzahl
von Vereinbarungen zu Arbeitszeitkonten sieht die
Verwendung der Kontenguthaben für Weiterbildungen vor ( Wotschack et al. 2011b ). Mögliche Synergien von Arbeitszeitkonten und Qualifizierungsprogrammen bleiben damit ungenutzt ( Wotschack
et al. 2011a ).
Da Beschäftigte selten in die Konzipierung und
Einführung von Arbeitszeitkonten eingebunden und
über die Kontennutzung nicht hinreichend informiert werden, ist die Kontoführung für Beschäftigte
wenig transparent ( Hildebrandt 2007; Riedmann et
al. 2011 ). Die Unsicherheit der Beschäftigten bei
Entnahmemöglichkeiten wird zudem durch fehlende Kompetenzen der Beschäftigten im Zeithandeln,
d. h. in der Gestaltung der eigenen Arbeitszeit, verstärkt ( Hildebrandt 2007 ). Die Einbeziehung von Beschäftigten in die Konzeption von Arbeitszeitkonten
und die Information über Kontenregelungen erleich­
tern die Inanspruchnahme.
Begünstigende Faktoren für die
Nutzung völlig selbstbestimmter
Arbeitszeiten
–– Beschäftigteninteressen im Fokus der betrieblichen Arbeitszeitpolitik
–– Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft
Begünstigende Faktoren für die Nutzung von Arbeitszeitkonten
–– selbstbestimmte Verwendung von Arbeitszeitkonten durch Beschäftigte
–– Einbeziehung der Beschäftigten in die Konzeption von Arbeitszeitkonten
–– Information über Kontenregelungen
–– Integration der betrieblichen Weiterbildungspolitik und Arbeitszeitgestaltung
Nr. 1, Forschungsförderung Report · Januar 2017 · Seite 22
FAZIT
Beschäftigte benötigen flexible Arbeitszeiten – zur
Vereinbarkeit von Beruf und anderen Aktivitäten
wie Weiterbildungen, Kinderbetreuung und Pflege
von Angehörigen. Dies ist von der Politik erkannt
worden, die 2001 den gesetzlichen Anspruch auf
Teilzeit geschaffen und 2007 das Elterngeld eingeführt hat. Zurzeit werden Konzepte wie das Wahl­
arbeitszeitgesetz und die Familienarbeitszeit diskutiert und ein Flexibilitätskompromiss gefordert. Beschäftigte sollen zeitsouverän sein – auch und vor
allem im digitalen Zeitalter. Die aktuellen Diskussionen und Forderungen rund um Arbeitszeiten fokussieren dabei häufig darauf, welche Angebote
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen.
Außer Acht gelassen wird dabei jedoch oftmals die
betriebliche Praxis, in der sich entscheidet, ob und
von wem Arbeitszeitregelungen in Anspruch genommen werden und mit welchen Konsequenzen.
Die von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsprojekte zeigen: Die Nutzung flexibler Arbeitszeiten im Betrieb sind im hohen Maße von der
Position in der betrieblichen Hierarchie, der Qualifikation und der Sorgeverantwortung von Beschäftigten abhängig. Aufgrund der ungleichen Verteilung unbezahlter Arbeit und der geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes – vertikal
und horizontal – ist die Nutzung flexibler Arbeitszeiten nicht nur eine Status- und Qualifikationsfrage,
sondern auch eine Frage des Geschlechts. Zudem
werden soziale Ungleichheiten durch die negativen
Konsequenzen verstärkt, die flexible Arbeitszeiten
oftmals haben ( Tabelle 2 ).
Der vorliegende Report macht deutlich, dass
sich Deutschland in einer Übergangsphase befindet. Auf der einen Seite bestehen bereits verschiedene ( teilweise sehr innovative ) gesetzliche, tarif­
liche und betriebliche Arbeitszeitregelungen, die zu
einer lebensphasenorientierten Arbeitszeitpolitik
beitragen können. Auf der anderen Seite erreichen
diese Regelungen jedoch nicht alle Beschäftigtengruppen und können mit negativen Folgen für die
Beschäftigten verbunden sein. Die Arbeitsmarktsegregation, wohlfahrtsstaatliche Anreize für das
männliche Ernährermodell ( Stichwort Ehegattensplitting ), traditionelle Geschlechterbilder und eine
ganze Reihe betrieblicher Faktoren ( Tabelle 3 ) verhindern die »Durchschlagskraft« bestehender Regelungen.
Um der ( Re- )Produktion sozialer Ungleichheiten
in den Betrieben und damit in der Gesellschaft entgegenzuwirken, müssen flexible Arbeitszeiten als
Verteilungsthema in der Politik und Öffentlichkeit
stärker diskutiert werden. »Gute Arbeit« ( und damit
auch: gute Arbeitszeiten ) muss für alle gelten, für
Frauen und Männer, für hoch und gering qualifizierte Beschäftigte, für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Rande oder außerhalb von Kernbelegschaften ( Fahimi et al. 2014 ).
Tabelle 1
Mögliche negative Konsequenzen flexibler Arbeitszeiten für Beschäftigte
Form flexibler Arbeitszeit
negative Konsequenzen
Teilzeit ( Elternteilzeit )
Karrierenachteile
Arbeitsintensivierung, Mehrarbeit, nicht planbare Arbeitszeiten
Elternzeit
Karrierenachteile ( vor allem bei einer Elternzeit
von mehr als zwei Monaten )
Pflege
Doppelbelastung durch Vollzeit und Pflege
fehlende Regenerationsphasen
selbstbestimmte Arbeitszeiten
Mehrarbeit und Arbeitsintensivierung
Karrierenachteile bei Verwendung für außerberufliche Bedarfe
Quelle: eigene Darstellung
Nr. 1, Forschungsförderung Report · Januar 2017 · Seite 23
Tabelle 2
Hemmende und begünstigende Faktoren im Betrieb für die Nutzung flexibler Arbeitszeiten
hemmende Faktoren
begünstigende Faktoren
Personalmangelausreichende Personalausstattung
Ad-hoc-Lösungssuche für Ausfälle durch Elternzeit,lebensphasenorientierte Personalpolitik
Teilzeit etc.
»Rechnen in Köpfen«Personalbemessung nach Vollzeitäquivalenten
Teilzeit und längere Erwerbsunterbrechungen
gelebte Vertretungspraxis und klare/verbindliche
»reißen Löcher«
Vertretungsregelungen ( Tandem-Lösungen, Job-Sharing )
Unverständnis der Vorgesetzten und Unmut in der Belegschaft
Sensibilisierung der Vorgesetzten ( Führungskräfteschulung ) und der Belegschaft
Teilzeit und längere Erwerbsunterbrechungen
= Stigma
Teilzeitoptionen ( und andere Arbeitszeitoptionen )
für alle Beschäftigtengruppen anbieten, weiterentwickeln
und fördern
Flexibilität = Frage des Geldes, der Qualifikation
und der Sorgeverantwortung
Flexibilität im Interesse aller Beschäftigtengruppen
und für alle
Vereinbarung wird allein zum Frauenthema gemacht
fehlende Unterstützung der betrieblichen Arbeitszeitpolitik
männerspezifische Angebote
Integration der betrieblichen Weiterbildungspolitik
und Arbeitszeitgestaltung
flexible Arbeitszeiten werden allein zur Leistungssteigerung genutzt
flexible Arbeitszeiten auch im Interesse der Beschäftigten
implementieren
traditionelle Vollzeit- und Verfügbarkeitsnormen
Förderung eines neuen Verfügbarkeits- und
Führungsverständnisses im Betrieb
Beschäftigte werden bei Arbeitszeitverhandlungen Mitbestimmung, Sozialpartnerschaft,
alleingelassenBetriebsvereinbarungen
Quelle: eigene Darstellung
Da Betriebe für die Nutzung flexibler Arbeitszeiten bedeutend sind, können betriebliche Maßnahmen eine solche Arbeitszeitpolitik unterstützen ­( Tabelle 3 ). Aber nicht nur die betrieblichen Akteure
( Personalverantwortliche, Führungskräfte, Personalund Betriebsräte ), sondern auch der Gesetzgeber
und die Tarifvertragsparteien sind gefordert. Die
Forschungsergebnisse legen nahe, dass eine stärkere Verallgemeinerung von Regelungen nötig ist,
um soziale Ungleichheit bei der Nutzung flexibler
Arbeitszeiten zu vermeiden. Einen Vorstoß machen
hier das Wahlarbeitszeitgesetz, das es allen Beschäf­
tigten ermöglichen will, die Arbeitszeit in verschiedenen Lebensphasen ( z. B. Familie, Weiterbildung
oder Pflege ) zu verkürzen, und der Gesetzentwurf
für das Recht auf befristete Teilzeit. Auch können
beschäftigtengruppenspezifische Maßnahmen die
soziale Gleichheit in Betrieben fördern – Maßnahmen wie die Familienarbeitszeit, die die Teilzeitarbeit von Müttern und Vätern und damit die Partnerschaftlichkeit in der Familie unterstützen will.
Nr. 1, Forschungsförderung Report · Januar 2017 · Seite 24
Es bedarf also neuer gesellschaftlicher und betrieblicher Normalitäten, um die Nutzung flexibler
Arbeitszeiten für alle Beschäftigtengruppen zu
­gewährleisten und negative Konsequenzen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit flexiblen
Arbeitszeiten zu vermeiden. Eine lebensphasen­
spezifische Arbeitszeitpolitik braucht eine neue Vollzeitnorm bzw. neue Vollzeitnormen in bestimmten
Lebensphasen und kann damit zu einem neuen
Normalarbeitsverhältnis beitragen.
AUSBLICK: ZUKÜNFTIGE
FORSCHUNG DER
HANS-BÖCKLER-STIFTUNG
Die Arbeitszeitforschung hat soziale Ungleichheiten­
in der Nutzung flexibler Arbeitszeiten für Deutschland aufgedeckt. Dazu konnte die Hans-BöcklerStiftung durch die Förderung von Forschungsprojekten einen Beitrag leisten. Es ist jedoch notwendig, weitere Forschungsprojekte anzustoßen, um
noch offene Fragen zu klären. Beispielsweise wissen wir bisher relativ wenig darüber, ob und wann
sich Karrierenachteile im Lebensverlauf verfestigen, welche Barrieren für die Nutzung betrieblicher
Arbeitszeitarrangements ( außer Gleitzeit und völlig
selbstbestimmten Arbeitszeiten ) bestehen und welche betrieblichen und gesetzlichen Regelungen für
eine partnerschaftliche Zeitverteilung sorgen.
Die Hans-Böckler-Stiftung fördert deswegen zurzeit vier Forschungsprojekte, die erste Antworten
auf diese Fragen liefern werden. Das Projekt »Arbeitszeitdiskrepanzen im Lebensverlauf« fragt nach
der längerfristigen Wirkung von Lebensereignissen
( z. B. Geburt des Kindes ) auf die tatsächlichen und
gewünschten Arbeitszeiten von Beschäftigten. Das
Projekt »Prekäre Beschäftigung« untersucht, ob
sich prekäre Beschäftigungsverhältnisse im Erwerbsverlauf verfestigen. Das Projekt »Leben & Arbeiten in Flexibilität ( L AIF )« spürt Probleme in der
Nutzung betrieblicher Arbeitszeitarrangements und
deren Konsequenzen auf. Einen Ländervergleich
nimmt das Projekt »Gelingensbedingungen für
partner­
schaftliche Zeitaufteilung« vor, das die
wohlfahrtsstaatlichen Faktoren für eine gleichberechtigte Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit
bei Paaren erforscht.
DIESE HBS-­
FORSCHUNGS­P ROJEKTE
LAUFEN ZURZEIT
Leben und Arbeiten in Flexibilität ( L AI F )
http://www.boeckler.de/11145.
htm?projekt=2015-865-3
Arbeitszeitdiskrepanzen im Lebensverlauf
http://www.boeckler.de/11145.
htm?projekt=2014-768-3
Gelingensbedingungen für
partnerschaftliche Zeitaufteilung
http://www.boeckler.de/11145.
htm?projekt=2015-926-3
Prekäre Beschäftigung
http://www.boeckler.de/11145.
htm?projekt=2014-767-3
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Riedmann, Arnold; Kümmerling, Angelika;
Seifert, Hartmut ( 2011 ): Evaluation des
­Gesetzes zur Verbesserung der Rahmen­
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Arbeitszeitregelungen ( »Flexi II«-Gesetz ).
Forschungsvorhaben im Auftrag des Bundes­
ministeriums für Arbeit und Soziales.
Berlin: Bundesministerium für Arbeit und
­Soziales ( Forschungsbericht, 418 ).
Wotschack, Philip ( 2011 ): Mehr Zeit­
souveränität – für manche. Langzeitkonten
begünstigen Höherqualifizierte. Berlin:
­Wissenschaftszentrum Berlin ( W Z B
­Mit­teilungen, 134 ), online unter https://​
­bibliothek.wzb.eu/artikel/2011/f-17041.pdf
( Abruf am 23. 11. 2016 ).
Wotschack, Philip; Scheier, Franziska;
Schulte-Brauchs, Philipp; Solga, Heike
( 2011a ): Beruf und Bildung vereinbaren.
Neue Arbeitszeitmodelle gegen den
­Fachkräftemangel. Berlin ( WZBrief Arbeit,
11 ), online unter https://bibliothek.wzb.eu/
wzbrief-arbeit/WZBriefArbeit112011_­
wotschack_scheier_schulte-braucks_solga.
pdf ( Abruf am 23. 11. 2016 ).
Wotschack, Philip; Scheier, Franziska;
Schulte-Brauchs, Philipp; Solga, Heike
( 2011b ): Zeit für Lebenslanges Lernen.
Neue Ansätze der betrieblichen Arbeitszeit- und Qualifizierungspolitik. In:
WSI Mitteilungen 10, S. 541–547.
WSI Gender Daten Portal 2016
Hier finden Sie Daten und Grafiken zu
­geschlechtsbezogener Ungleichheit, dazu
Kurzanalysen, Tabellen, methodische
­Hinweise und Begriffserklärungen. Derzeit stehen Informationen zu 12 Themen
aus den Bereichen Arbeitsmarkt, soziale
­Sicherung, Bildung, Pflege und Gesundheit
zur Verfügung. Das Angebot wird
­kontinuierlich erweitert und aktualisiert.
Sainsbury, Diane ( 1999 ): Gender and
­Social-Democratic Welfare States. In:
Diane Sainsbury ( Hg. ): Gender and Welfare
State Regimes. New York: Oxford University
Press, S. 76–98.
Scheuer, Angelika ( 2013 ): Werte und
­Einstellungen. In: Statistisches Bundesamt
( Hg. ): Datenreport 2013. Ein ­Sozialbericht
für die Bundesrepublik Deutschland. Bonn,
S. 377–390
http://www.boeckler.de/
wsi_38957.htm
Schiemann, Scott; Schafer, Markus H.;
McIvor, Mitchel ( 2013 ): The rewards
of ­authority in the workplace: do
gender and age matter? In: Sociological
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Stieler, Sylvia; Schwarz-Kocher, Martin
( 2009 ): Verfall von Arbeitszeit in indirekten
Tätigkeitsbereichen. Tarifliche und betrieb­
liche Instrumente zur Regulierung. Stuttgart:
IM U Institut.
Nr. 1, Forschungsförderung Report · Januar 2017 · Seite 27
WWW.BOECKLER.DE
In den aktuellen arbeitspolitischen Debatten werden von verschiedenen Akteuren flexible Arbeitszeiten gefordert: Arbeitgeber fordern flexible Arbeitszeiten, um besser auf den technologischen
Wandel reagieren zu können. Beschäftigte fordern
flexible Arbeitszeiten, um ihren Beruf besser mit anderen Lebensbereichen vereinbaren zu können –
und sehen sich dabei von Bundesregierung und Gewerkschaften unterstützt, die die Zeitsouveränität
von Beschäftigten stärken wollen.
Wer aber nutzt flexible Arbeitszeiten? Welche Konsequenzen hat die Nutzung flexibler Arbeitszeiten?
Und welche Rolle spielen Betriebe dabei? Die Klärung dieser Fragen ist für die Gestaltung einer Arbeitszeitpolitik notwendig, die allen Beschäftigtengruppen im gleichen Maße zugutekommt und so­
ziale Ungleichheiten in den Betrieben vermeidet.
Anhand von Forschungsprojekten, die von der
Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurden, will der
vorliegende Report hierzu einen Beitrag leisten.
IMPRESSUM
Herausgeber
Hans-Böckler-Stiftung
Hans-Böckler-Straße 39
40476 Düsseldorf
Satz
Setzkasten GmbH, Düsseldorf
Manja Hellpap, Berlin
Düsseldorf,
Januar 2017
(aktualisierte Fassung)