Florian lässt sich Zeit Adele Sansone Adele Sansone Florian lässt sich Zeit Eine Geschichte zum Down-Syndrom (Trisomie 21) Tyrolia-Verlag • Innsbruck-Wien Florian geht mit Peter und Mama in den Kindergarten. Es ist etwas nach acht Uhr. Peter geht voran. Florian gibt Mama die Hand. Bald haben sie den Kindergarten erreicht. Die Türe steht einladend offen. Peter hat braune Wuschelhaare und kugelrunde braune Augen. Er ist ein Jahr jünger als Florian. Der hat glattes blondes Haar, das oft stoppelig in die Höhe steht, und schmale schräge Augen. Peter und Florian sehen sich gar nicht ähnlich, obwohl sie Brüder sind. Florian ist ein besonderes Kind – ein Kind mit Down-Syndrom, wie die Erwachsenen sagen. Peter und Florian sitzen in der Garderobe und ziehen ihre Kindergartenschuhe an. Peter alleine. Florian alleine. „Komm, Peter, lauf mit, die Tante hat einen neuen Ball”, ruft Michael. Peter läuft mit. „Wo bleibt dein Bruder?”, fragt die Tante, als sie Peter im Gruppenraum begrüßt. „Ach, der Florian lässt sich Zeit”, meint Peter und spielt mit Michael, Felix und Matti mit dem neuen Ball. Später sitzen alle Kinder an den Tischen und malen. Peter malt einen feuerroten Spritzenwagen mit einer großen Leiter. Kurt malt einen schönen rotwangigen Apfel. Florian malt einen großen Kreis. Was wird das wohl? Ein Ball? Eine Torte? Oder ein Autoreifen? „Hihi”, kichert die große Lisa und stößt Peter an. Sie kommt im Herbst in die Schule. „Was soll denn das sein? Dein Bruder kann ja nicht einmal ein Auto malen! Florian ist wirklich zu nichts gut.” „Ach weißt du”, meint der Peter, „das kann er schon. Der Florian lässt sich einfach mehr Zeit.” 10 Uhr – endlich ist Jausenzeit! Herrlich. Die Malsachen werden rasch verräumt. Alle Kinder sitzen mit ihren mitgebrachten Broten an den Tischen. Peter sitzt mit Kurt und Florian zusammen. Kurt, auch der dicke Kurt genannt, mag Florian. Florian spottet ihn nie aus. Florian lacht immer, wenn Kurt ihm etwas erzählt. Das findet Kurt schön. Die Tante teilt rote und gelbbackige Äpfel aus. In Hälften geteilt. Alle bekommen eine, auch Kurt, auch Florian und natürlich auch Peter. Florian kaut langsam und bedächtig. „Lass dir nur Zeit!”, sagt die Tante und streicht ihm über das Haar. Nach der Jause sitzen alle Kinder im großen Kreis. Einer flüstert dem anderen ein Wort ins Ohr. Das nennt man >Stille Post<. Peter flüstert dem Florian „Sonne” zu. Erst lauscht Florian. Dann schaut er zum Fenster hinaus, lächelt, nickt. „Geh schon! Mach doch weiter!”, schimpft Felix. „So–onne!”, ruft Florian dem Felix so laut zu, dass es alle hören können. Peter kichert. Felix schaut beleidigt drein: „Du und dein Stotterbruder!”, sagt er zu Peter. Der sagt achselzuckend: „Was hast du denn? Der Florian lässt sich halt auch mit dem Reden Zeit”.
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