Den Wahnsinn stoppen - Arbeitgeberverband Pflege

Seite 15 | Nr. 01/2017
Politik
Den Wahnsinn stoppen
Gastbeitrag von Thomas Greiner, Präsident des Arbeitgeberverbandes Pflege
2017 wird für das Zukunftsthema Altenpflege ein entscheidendes Jahr. Gut
zwanzig Jahre nach dem Start der Erfolgsgeschichte „Pflegeversicherung“ wird
das Ziel einer guten, bezahlbaren Pflege
für alle mutwillig gefährdet. Ein „Pflegebürokratischer Komplex“ aus Teilen der
Linken, Vorfeldorganisationen bei den
Kassen, wissenschaftlichen Lehrstühlen
und profilierungswütigen, gutmeinenden
Handlangern ist dabei, die tragenden
Säulen des Erfolgsmodells zu demontieren. Das Prinzip des wirtschaftlichen
Handelns und die sozialwirtschaftlichen
Grundlagen mit Wettbewerb für Qualität
und Kosteneffizienz werden außer Kraft
gesetzt. Der Wettbewerb zwischen privaten und freigemeinnützigen Unternehmen als Garant für sparsames Wirtschaften und Kostenstabilität wird zerstört.
Das Selbstkostendeckungsprinzip ist zurück. Alle Auseinandersetzungen der
letzten Jahre verlaufen entlang dieser
Konfliktlinie: Pflegekammern, Generalistische Ausbildung, Allgemeinverbindliche
Tarifverträge. Immer geht es darum, die
Spielräume der Unternehmen zu bekämpfen, Wettbewerb zu behindern, privates Engagement abzuwürgen. Höhepunkt dieser Entwicklung sind die an die
Pflegestärkungsgesetze konspirativ angehängten Regelungen zum SGB XI. Diese
betreffen die Pflegesatzverhandlungen
und beschädigen damit umfassend die
überlebensnotwendigen Erlöschancen
von Unternehmen. Ich kann der Öffentlichkeit nur zurufen: Wacht endlich auf
und stoppt diesen Wahnsinn. Mit diesen
Regelungen droht eine gewaltige Kostenlawine für pflegebedürftige Bewohner,
Sozialhilfeträger, Einzahler in die Sozialversicherung und Steuerbürger. Private
Unternehmen der Pflegewirtschaft werden verkaufen oder vom Markt verschwinden, Kapital für Investitionen wird
flüchten. Die Betreiber von Bestandseinrichtungen werden ihre Gehälter erhöhen, da die Personalkosten künftig nur
noch ein durchlaufender Posten sind
und sparsames Wirtschaften nicht mehr
honoriert wird. Die Unternehmen haben
dadurch kein Interesse mehr an Kosteneffizienz. Nach einer Untersuchung des
Rheinisch Westfälischen Instituts für
Wirtschaftsforschung (RWI) wird auf dieser Basis das einzelne Pflegebett pro
Monat um 500 Euro teurer. Bereits
heute sind von den bundesweit 900.000
Pflegeplätzen über 40 Prozent mit Sozialhilfeempfängern belegt. Dies bedeutet
eine monatliche Kostensteigerung von
180 Millionen Euro für die Kommunen.
Bei einer Aussicht auf maximal 2 Prozent
Unternehmerrisikoaufschlag kann kein
privater Betreiber mehr in Pflegeimmobilien investieren. Die hohen Anlaufverluste bei einer Neueröffnung und die Risiken der Minderauslastung mit einer Kalkulationsbasis bis 98 Prozent und einer
tatsächlichen Auslastung von durchschnittlich 89 Prozent sind nicht ausreichend abgedeckt. Auch kein Immobilieninvestor wird eine Seniorenimmobilie errichten und das Risiko eingehen, an
einen Betreiber für 20 Jahre zu verpachten, der maximal einen zweiprozentigen
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Unternehmerrisikoaufschlag generieren
kann. Die Pachtzahlungen können schon
bei geringer Unterauslastung der Pflegebetten nicht mehr verdient werden. Wer
zukünftig für die dringend notwendigen
zusätzlichen Kapazitäten für die sachgerechte Seniorenpflege sorgen soll, bleibt
offen. Das RWI weist nach, dass 2013
41 Prozent der Pflegeheime in privater
Trägerschaft waren und 64 Prozent der
ambulanten Unternehmen privat verantwortet wurden. Zwischen 1999 und 2013
haben private Unternehmen 175.000
neue stationäre Pflegeplätze geschaffen.
Dabei wurden 15 Milliarden Euro investiert. Basis dieser Erfolge waren die jetzt
massiv bedrohten Ideen aus der Reform
der Pflegeversicherung. Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen wird bis 2030
von 2,6 Millionen auf rund 3,5 Millionen
steigen. Erforderlich werden hierfür 30
Milliarden Euro für Neuinvestitionen und
zur Substanzerhaltung von Heimplätzen
weitere rund 40 Milliarden Euro. Wer vor
solchen Zahlen die erfolgskritischen Faktoren der Pflegeversicherung wie Wettbewerbsorientierung, Kosteneffizienz, angemessene Gewinne für Unternehmen und
Attraktivität für privates Kapital zerstört,
handelt mindestens grob fahrlässig. Und
sicher haftet niemand für die Risiken
und Nebenwirkungen dieser ideologisch
fixierten Politik. Nachdem der Bundestag
mit der Verabschiedung des PSG III das
Kind in den Brunnen gestoßen hatte, gab
es im Bundesrat den Beschluss, die Kostenauswirkungen bis Ende 2019 zu evaluieren. Zum entsprechenden Antrag des
Landes Nordrhein-Westfalen gab es viele
Gegenstimmen. Für uns muss mangels
Alternative dieser Beschluss der Startpunkt sein für eine umfassende Kampagne in 2017 mit dem Ziel, die unterneh-
merische Freiheit in der Altenpflegewirtschaft wiederherzustellen. Ohne
öffentliche Debatte droht das Ende der
Pflegeversicherung, wie wir sie kannten.
Wir dürfen nicht zulassen, dass die Totengräber der erfolgreichen Arbeit von
Norbert Blüm und Karl Jung fortgesetzt
Erfolg haben. Alle anderen Themen für
2017 sind im Vergleich dazu zweitrangig.
Ich wünsche mir, dass die Generalistik
endgültig stirbt. Ideen, die sich von der
Wirklichkeit lösen, sind Ideologie. Ohne
Generalistik werden wir weiter Ausbildungsrekorde haben, gerade auch mit
den vielen Hauptschülern. Und die Unternehmen werden weiter im großen Stil
ausbilden, wenn ihre jungen Leute mehr
als 8 Monate in drei Jahren im Betrieb
sind. Hoffentlich kann das „Bürokratieaufzuchtprogramm“ Pflegekammer in
weiteren Bundesländern gestoppt werden. Vielleicht scheitern in 2017 ja endgültig beide: Die Bundespflegekammer
und ihr Befürworter Karl-Josef Laumann. Wir werden jedenfalls kämpfen.
Der Arbeitgeberverband Pflege hat in den
vergangenen Jahren immer für die Verteidigung der unternehmerischen Freiheit in der Altenpflege gekämpft. Ohne
sie ist alles nichts. Mit anderen konnten
wir verantwortbare Pflegemindestlöhne
erreichen, allgemeinverbindliche Ausbildungstarifverträge in Bremen und Niedersachsen verhindern, Pflegekammern
in Bayern, Berlin, Bremen und im Saarland stoppen, mit unserem Chinaprojekt
Türen für ausländische Pflegekräfte öffnen und die bereits im Kabinett verabschiedete Generalistik erfolgreich hinterfragen. Als Vision bleibt eine durchsetzungsstarke Altenpflegelobby mit allen
Kooperationswilligen und kooperationsfähigen Kräften.