Georges Prêtre

DER BRITISCHE SIR –
NEVILLE MARRINER
GIANLUIGI GELMETTI UND
GEORGES PRÊTRE
1977 – im Dezember löst eine Konzertreise durch deutsche Städte mit Neville
Marriner und dem RSO Stuttgart gegenseitig spontane Zuneigung aus. So wird er
nach Ende der Ära Celibidache im September 1983 Chefdirigent, nachdem er bereits zwei Jahre zuvor zum »Principal Guest Conductor« ernannt worden ist. Wieder hat man sich in Stuttgart bei der Wahl des Orchesterchefs für den Kontrast
entschieden!
Allerdings sind Alternativen bei der Dirigentenwahl immer gut. Das hat es
schon beim Übergang von Müller-Kray zu Celibidache gegeben: Michael Gielen,
dem Orchester seit 1964 als Gastdirigent verbunden, ist für die Verantwortlichen
des SDR erste Wahl, als Müller-Kray 1969 stirbt.
Marriner vermittelt seinen
Ausschlaggebend ist sein musikalisches Profil,
Musikern ein hohes Maß
Rundfunkorchesters passt. Das Orchester aber
an Kollegialität
das hervorragend zum Tätigkeitsfeld eines
stellt sich quer, es möchte sein klassisch-romantisches Erscheinungsbild stärken und
mehr als bisher als repräsentatives Konzertor-
chester wahrgenommen werden. Dieser Konflikt wird friedlich gelöst: Das Orchester erhält seinen Wunsch-Chef Celibidache, Gielen wird weiterhin mit kontrastierender Programmatik mit den Musikern arbeiten.
Solch fruchtbare Mehrgleisigkeit ist in Stuttgart mehrfach zu beobachten.
Auch vor den Marriner-Jahren, als man über die Celibidache-Nachfolge nachdenkt,
scheint eine Alternative in dem russischen Bratschisten und Dirigenten Rudolf
Barschai möglich. 1976 aus der Sowjetunion emigriert, taucht er bald am Pult des
sich seit 1975 »Radio-Sinfonieorchester Stuttgart« nennenden Ensembles auf. Gemeinsame Produktionen und Konzerte lassen Hoffnungen auf eine feste Bindung
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Sir Neville Marriner mit Anne-Sophie Mutter bei der Probe zum Violinkonzert von Brahms, 1985
Gianluigi Gelmetti auf Reisen, im Gespräch mit Musikern und dirigierend
Sir Neville Marriner mit dem RSO im Funkstudio der Villa Berg, September 1986
Sir Neville Marriner dirigiert das RSO
keimen, doch stattdessen erscheint der britische Sir! Und schon 1984, ein Jahr nach
Marriners Wahl, wird ihm als Erster ständiger Gastdirigent Garcia Navarro an die
Seite gestellt. Zwischen Marriner und Barschai gibt es Parallelen: Beide sind ausgebildete und praktizierende Streicher, Marriner war Geiger im London Symphony
Orchestra. Beide gründen Kammerorchester, mit denen sie Weltruhm erlangen:
Barschai das Moskauer Kammerorchester, Marriner die »Academy of St. Martinin-the-Fields«. Sie haben also die gleiche Erfahrungs-Perspektive als Streicher und
Dirigent, was für die Arbeit als Chef sehr prägend und hilfreich ist.
Celibidache und Marriner unterscheiden sich in Vielem, jedoch nicht in ihrer
professionellen Musikalität. Nun entspannt sich das Arbeitsklima im Orchester,
Marriner vermittelt seinen Musikern ein hohes Maß an Kollegialität und motiviert
sie. Das Orchester verändert sein Klangprofil, ohne an Qualität einzubüßen: Der
Klang wird durchsichtiger, klassischer. Die raumgreifende Geste der Spätromantik
ist nicht mehr das Ziel der Arbeit. Marriner lässt seine Musiker frei aufspielen, vertraut auf ihr Musikantentum, muss ihnen nicht jedes Detail erläutern und mit philosophisch-theoretischen Überlegungen untermauern. Das Repertoire weitet sich
aus, Marriner ist offen gegenüber allen Stilrichtungen, mit einem Schwerpunkt bei
der Wiener Klassik. Seine Neigung zur heimischen britischen Musiktradition wird
als willkommene Repertoire-Bereicherung empfunden.
Ein weiterer Unterschied zu Celibidache ist Marriners Umgang mit den ureigenen Aufgabenbereichen des Rundfunkorchesters, der Produktion für Archiv und
Schallplatte. Sein Ruhm basiert ja auch auf seinen mit der »Academy of St. Martin-in-the-Fields« eingespielten Schallplatten, darunter maßstäbliche Aufnahmen
mit Mozart- und Rossini-Opern (Celibidache hat dagegen einen Bogen um Opern
geschlagen!). So setzt nun in Stuttgart rege Aufnahmetätigkeit ein, dabei entsteht
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Gianluigi Gelmetti
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etwa ein herausragender »Messias« von Händel im Jahr 1984 (mit Lucia Popp und
Brigitte Fassbaender). Auch im sinfonischen Repertoire setzt Marriner Schwerpunkte, beispielsweise mit Aufnahmen aller Sinfonien von Robert Schumann.
Und die Reisetätigkeit des Orchesters führt er weiter, mit Tourneen nach Übersee,
in die USA und nach Japan. Derartige Einladungen signalisieren den Stellenwert
eines Orchesters innerhalb der internationalen Konzertszene!
Die Ära Marriner ist nicht lang, aber nachdrücklich. Sie endet 1989, der Nachfolger steht schon bereit. Bereits 1985, im Jahr des vierzigjährigen Orchesterjubiläums, ist es zu einer ersten Begegnung gekommen, als Gianluigi Gelmetti kurzfris-
Eigene Akzente mit einer
tig ein Konzert beim ARD-Orchestertreffen
der Berliner Festwochen übernimmt. 1987 löst
noch entschiedeneren Hin-
er zunächst Garcia Navarro als Principal Guest
wendung zur Oper
wird er, leider nur für fünf Jahre, Chef. Er setzt
Conductor ab. Nur zwei Jahre später (1989)
sogleich eigene Akzente, zum Beispiel mit ei-
ner noch entschiedeneren Hinwendung zur Oper. So reist er zu Beginn seiner Tätigkeit umgehend mit seinem Orchester zum Rossini-Festival nach Pesaro. Und er
entwickelt zu den Schwetzinger Festspielen, die der SDR mitveranstaltet, eine enge
Beziehung; man erinnert sich an seine dortigen Auftritte mit Mozart- und Rossini-Opern. Zugleich knüpft er an die Ära Celibidache (seines Lehrers!) an, indem er
eine Vorliebe für die Farbwelt der französischen Impressionisten und deren Zeitgenossen pflegt.
Auch der nächste Chef Georges Prêtre wird als »Künstlerischer Leiter« nicht
lange in Stuttgart bleiben; auch er hinterlässt eindringliche musikalische Spuren.
Lange vor seinem Amtsantritt erregt er in den 60er-Jahren durch seine Auftritte
mit Maria Callas und dem RSO Aufsehen. Er tritt sein Amt 1996 an und bleibt dem
Orchester auch später eng verbunden. Dass die Musiker ihn zum Ehrendirigen-
»Seiltänzer ohne Netz«,
ten wählen, ist die schönste Bestätigung seiner
Arbeit und seiner charismatischen Persönlich-
»Klangmagier« und
keit. Äußerungen über ihn wie »Seiltänzer ohne
»Meister der Übergänge«
gänge« charakterisieren treffend seine Arbeits-
Netz«, »Klangmagier« und »Meister der Überweise. Als französischer Musiker gilt seine Nei-
gung Komponisten wie Berlioz, Debussy und Ravel, doch verfügt er zugleich über
ein epochen- und stilumfassendes Repertoire. Unvergessen sind seine Konzerte
im Rahmen der Jubiläumstournee zum 50jährigen Bestehen des Orchesters, unter
anderem im Wiener Musikvereinssaal mit der »Rosenkavalier-Suite« von Richard
Strauss und der 7. Sinfonie von Beethoven. Die CD-Einspielung der Oper »Capriccio« von Richard Strauss ist ein Höhepunkt in der Opern-Historie des Orchesters.
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Georges Prêtre
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Georges Prêtre mit dem RSO