Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik ws1617 1 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie Anatomische und physiologische Grundlagen Bildungsort: Plexus choroideus der vier Ventrikel Zirkulation: der Liquor fließt in den kortikalen und den lumbalen Subarachnoidalraum durch die Arachnoidalzotten wird der Liquor in das venöse Blut drainiert treibende Kraft ist die Druckdifferenz zwischen arteriellem und venösem Blut Bildungsweise: • Aktiver Transport: Elektrolyte, Glucose • Diffusion: H2O, Chlorid, Albumin • Sekretion: beta-Trace Protein, IgG Liquorvolumen: 140 – 180 ml tägliche Produktion: 500 ml 2 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie Anatomische und physiologische Grundlagen Blut-Liquor-Schranke funktionelle, selektive Barriere zwischen Blut und Liquor, die eingeschränkten Austausch von Molekülen und Zellen erlaubt verschiedene Strukturen: Kapillarenendothel, Basalmembran, perivaskuläre gliale Zellschicht Filterfunktion für Proteine Albumin: 1 – 2 Tage IgG: 2 – 4 Tage Blut-Hirn-Schranke beide Schrankensysteme sind permeabel für Zellen 3 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie Indikationen zur Durchführung einer Liquordiagnostik Diagnostik und Verlaufskontrolle bei ZNS-Erkrankungen Infektionskrankheit Meningitis, Encephalitis, Viren, Bakterien, Pilze Neoplasie Solide Tumoren, Leukämien, Lymphome Trauma Subarachnoidalblutung Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose 4 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie Präanalytik Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie Lumbalpunktion L3/L4 bzw. L4/L5 5 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie Präanalytik Entnahmereihenfolge: 3 Trpf. verwerfen, (1 EDTA-Röhrchen), mehrere Nativ-Röhrchen, insges. 2 – 5 mL Zeitpunkt der Liquorpunktion notieren und unmittelbar ins Labor transportieren Zytologie: Zellzählung innerhalb von 1 – 2 Stunden (Raumtemperatur), da in vitro eine schnelle Zytolyse erfolgt Liquorproteine: 1 Woche bei 2 – 8 °C, darüber hinaus bei –70°C Serum und Liquor zeitnah (max. 30 min.) entnehmen und zusammen analysieren 6 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie Liquordiagnostik Visuelle Aspekte Normalbefund → kristallklar Trübung (Leukozyten > 200/µl, Proteine, Mikroorganismen) Blutige Liquor-Probe „3 Gläser Probe“ makroskopisch Differenzierung zw. artifizieller (abnehmend blutig) vs. subarachnoidaler Blutung (gleichbleibend blutig) Zentrifugation Überstand klar → frische Blutung Überstand xanthochrom → ältere Blutung (Abbauprodukte) 7 Liquordiagnostik 1. Zytologie → Zellzahl: Leukozyten und Erythrozyten → Zelldifferenzierung 2. Laktat- und Glukosekonzentration 3. Gesamtproteinkonzentration 4. Proteindifferenzierung a. Albumin → Zustand der Blut-Liquor-Schranke b. Immunglobuline (IgG, IgA, IgM) und oligoklonale Banden → intrathekale Immunglobulin-Synthese (V. a. chronisch entzündlichen Prozess) 8 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie 1. Zytologie Leukozyten- und Erythrozytenzählung Messung mittels Durchflusszytometer Normal: < 5 Zellen/µl Typische Konstellationen bei neurologischen Erkrankungen Leukozyten: 5 - 30/µl: Multiple Sklerose, virale Encephalitiden (HIV, VZV u.a.) 30 - 300/µl: akute virale Meningitiden, akute Neuroborreliose, tuberkulöse/ mykotische Meningitis, Hirnabszess > 300/µl: bakterielle Meningitis Fazit: Zellzahl ist relativ unspezifisch. 9 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie 1. Zytologie Zelldifferenzierung gefärbtes Zytozentrifugenpräparat Normal: Lymphozyten (70 bis 100%) u. Monozyten (bis 30%) Pathologisch: Neutrophile Granulozyten: akuter Prozess, bakterielle Meningitis, Frühphase viraler Meningitiden Phagozytierte Bakterien (Staphylokokken, Meningokokken u.a.) Lymphozyten/Monozyten: chronischer Prozess, virale Meningitis, Spätphase der bakteriellen Meningitis, MS Eosinophile (>5%): Parasitosen, TBC, Fremdkörper (Drainagen) Tumorzellen: Blasten, Lymphomzellen, Zellen solider Tumoren 10 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie 2. Bestimmung von Glucose und Laktat im Liquor Indikation: Differenzierung bakterielle vs. virale Meningitis Normal: Glucose Lactat > 50% des Serumwertes < 2,1 mmol/l Bewertung: Liquor-Laktat > 3,5 mmol/l, Liquor-Glucose < 40 mg/dl und Liquor-Leukozytose > 800/µl ist nahezu beweisend für eine bakterielle Meningitis. Bei viralen Meningitiden sind Glucose und Lactat unauffällig. Cave! Laktat- und Glucosewerte jenseits der Grenzwerte auch bei SAB (Subarachnoidalblutung) und ggf. bei Tumoren möglich 11 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie 3. Gesamtproteinkonzentration im Liquor TP in Liquor → Summe aus Proteinen des Zentralnervensystems (< 20%) und Plasma-Proteinen (> 80%) Bewertung Normal: 1/200 der Proteinkonzentration im Serum, 200 - 500 mg/l Erhöhungen der Gesamtproteinkonzentration im Liquor: Störung der Blut-Liquor-Schranke Eiweißbildung (Proteinsynthese) innerhalb des Liquorraumes Blutungen in die Liquorräume Fazit: unspezifisch, zur Orientierung für die weitere immunchemische Analytik 12 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie 4. Proteindifferenzierung a. Albumin Ausschluss einer Schrankenstörung Markerprotein Albumin → wird ausschließlich außerhalb des Gehirns synthetisiert → idealer Parameter, um alle Einflüsse und Einschränkungen für die Passage eines Proteins vom Blut in den lumbalen Liquor zu charakterisieren Parallele Untersuchung einer Serum- und Liquorprobe Albumin-Quotient: Liquor (CSF)/Serum x 103 → quantitatives Maß für die Blut-Liquor-Schrankenfunktion 13 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie 4. Proteindifferenzierung a. Albumin Altersabhängige Referenzbereiche des Albumin-Liquor/SerumQuotienten (QAlb): Alter (Jahre) Geburt 4 – 6 Monate QAlb 8 - 28 0,5 – 3,5 bei Neugeborenen sind die Arachnoidalzotten unreif, der Liquorfluss reduziert → Proteinkonzentration ↑ < 15 <5 die Albuminquotienten fallen im Verlauf der ersten Lebensmonate ab < 40 < 6,5 Kleinkinder haben die niedrigsten Werte < 60 <8 QAlb steigt bei Erwachsenen mit dem Alter 14 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie 4. Proteindifferenzierung a. Albumin Neurologische Erkrankungen, die eine Störung der Blut-LiquorSchranke verursachen: Akute Meningitis und Enzephalitis Chronisch-entzündliche Prozesse Tumoren (primär u. Metastasen) Ischämie (Hirninfarkt) Traumen Eine reine Schrankenstörung ist überwiegend nicht entzündlich! 15 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie 4. Proteindifferenzierung b. Immunglobuline Nachweis einer intrathekalen Immunglobulinsynthese (IgG, IgA, IgM) Hinweis auf eine intrathekale Entzündung Parallele Untersuchung einer Serum- und Liquorprobe Ig-Quotient: Liquor (CSF)/Serum x 103 Bewertung im Zusammenhang mit dem Albumin-Quotienten QIgG/QAlb, IgG- Index erhöht: lokale IgG-Synthese QIgA/QAlb, QIgM/QAlb 16 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie 4. Proteindifferenzierung b. Immunglobuline Typische Konstellationen lokal synthetisierter Immunglobuline 1 Klassenreaktion : IgG: MS, HSV, HIV IgM: NHL 2 Klassenreaktion: IgG/IgA: bakt. Meningitis IgG/IgM: FSME 3 Klassenreaktion: Neuroborreliose, Mumps-Meningoenzephalitis 17 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie 4. Proteindifferenzierung Reiber Diagramm → grafische Darstellung, die ermöglicht zu beurteilen, ob eine Störung der BlutLiquorschranke und/oder eine intrathekale Immunglobulinsynthese vorliegt 1 = Referenzbereich 2 = reine Schrankenstörung 3 = Schrankenstörung mit lokaler IgG-Synthese im ZNS 4 = reine lokale IgG-Synthese 5 = prä- oder analytischer Fehler 18 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie Reiber-Diagramm Bewertung Reine Schrankenstörung: Tumoren, Infarkte, Traumen, Frühphase von Meningitiden Schrankenstörung mit lokaler Immunglobulin-Synthese: Virale, bakterielle, mykotische Meningitiden Chronisch: MS (häufig ohne Schrankenstörung) Tumoren 19 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie 4. Proteindifferenzierung b. oligoklonale Banden Qualitativer Nachweis von oligoklonalen IgG-Fraktionen Methode: isoelektrische Fokussierung und nachfolgende Immundetektion Indikation: Nachweis intrathekal synthetisierter IgG-Fraktionen, zum Beispiel bei MS 20 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie 4. Proteindifferenzierung b. oligoklonale Banden Qualitativer Nachweis von oligoklonalen IgG-Fraktionen 21 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie Liquordiagnostik Rhinoliquorrhoe ß-Trace-Protein → Nachweis von Liquor in Sekreten im Nasensekret ist ß-Trace-Protein in sehr niedriger Konzentration vorhanden erhöhte ß-Trace-Protein im Nasensekret ist Hinweis z.B. auf eine Liquorfistel oder eine offene Verbindung zum Liquorraum 22 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie Liquordiagnostik Was gibt es sonst noch? Erreger-spezifischer Antikörper-Index (virale Erkrankungen) Tumormarker: CEA, AFP, HCG, β2-MG Durchflusszytometrie: u.a. Nachweis aktivierter B-Lymphozyten Nachweis spez. Proteine u.a. bei M. Alzheimer (Tau-Protein, ß-Amyloid) Mikrobiologische Diagnostik 23 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie Liquordiagnostik Akute bakterielle Meningitis Klinik: plötzlicher Krankheitsbeginn mit Fieber, Kopfschmerz, Schläfrigkeit, Nackensteife fulminanter Verlauf mit MOV Laborbefund: Visuell: trüb, eitrig Zellzahl: 200 – einige 1000/µl, v.a. neutrophile Granulozyten Glucose < 20 mg/dl, Laktat > 3,5 mmol/l Gesamteiweiß: stark erhöht, > 100 mg/l, QAlb > 20 x 10-3 , AK-Ind. neg. Mögliche Erreger: Meningokokken, Pneumokokken, u.a. 24 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie Liquordiagnostik Tuberkulöse Meningitis Klinik: langsamer Krankheitsbeginn, unspezifische Symptome, Schläfrigkeit, Nackensteife Laborbefund: Visuell: klar - trüb, Fibrinfäden Zellzahl: einige 100/µl, buntes Bild v.a. mononukleäres Zellbild Glucose erniedrigt (< 20 mg/dl), Laktat > 2,1 mmol/l Gesamteiweiß: mäßig erhöht, QAlb > 20 x 10-3 , AK: IgG und IgA pos. Erreger: Mycobacterium tuberculosis (PCR), DD: Pilzinfektion 25 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie Liquordiagnostik Virale Meningitis Klinik: langsamer Krankheitsbeginn, unspezifische Symptome, Kopfschmerz, Schläfrigkeit, (Nackensteife) Laborbefund: Visuell: klar Zellzahl: bis einige 100/µl, v.a. mononukleäres Zellbild Glucose vorwiegend normal, Laktat < 2,1 mmol/l Gesamteiweiß: leicht erhöht, QAlb bis 20 x 10-3 , AK: alle Varianten Erreger: HSV, VZV, CMV, FSME, HIV, Mumps, Polio, u.a. 26 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie Liquordiagnostik Multiple Sklerose, MS Klinik: meist schubweise verlaufende neurologische Erkrankung mit herdförmiger Entmarkung der Nervenbahnen (Auflösung der Markscheiden). Sklerose bedeutet Ersatz der Markscheiden durch Glia (Bindegewebe). Autoimmunerkrankung. Laborbefund: Visuell: klar Zellzahl: bis ca. 40/µl, mononukleäres Zellbild Glucose normal, Laktat normal Gesamteiweiß: leicht erhöht, QAlb bis 10 x 10-3 , AK: IgG, MRZ Positives oligoklonales Bandenmuster 27 Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik Liquordiagnostik in der Klinischen Chemie Liquordiagnostik Tumorerkrankung Ursachen: Mamma-CA, Bronchial-CA, Keimzelltumoren, Lymphome, Leukämien Laborbefund: Visuell: klar Zellzahl: bis ca. ??/µl, Tumorzellen Glucose normal - erniedrigt, Laktat normal - erhöht Gesamteiweiß: leicht erhöht, QAlb bis 10 x 10-3 (leicht), (AK: IgG) Positive Tumormarker CEA, AFP, β-HCG, Paraproteine, u.a. 28
© Copyright 2025 ExpyDoc