Geschichte lesen

Traumkrieg
Bumm! Der Boden erzitterte. Laut dröhnten die Maschinengewehre in meinen Ohren. Sie waren
überall um mich herum. Ich hockte in der hintersten Ecke eines kleinen 1-Zimmerhauses, das,
soweit ich es erkennen konnte, ein Strohdach hatte. Bumm! Stroh löste sich und landete auf
meinem Kopf und meinen Schultern. Aus Reflex wollte ich es aus meinem Haar entfernen, doch als
ich meine Hände hob, explodierte etwas etwa 10 Meter vor mir. Meine Hände wurden von der
Druckwelle herunter an meinen Körper gedrückt. Das letzte was ich sah war grelles rotes Licht.
Ich fuhr hoch. Mein ganzer Körper war durchgeschwitzt und mein Herz klopfte wie wild. Ich
brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass alles nur ein Traum gewesen war. Dann beugte ich
mich nach links und knipste mein Nachtlicht an. Im Schein der Lampe konnte ich den Wecker
sehen: 5:53 Uhr stand in grauen, faden Ziffern auf dem Display. Es lohnte sich nicht mehr zu
versuchen einzuschlafen, und ob ich es gekonnt hätte war eine ganz andere Frage. Ich schlug meine
Decke zur Seite und genoss die Kälte, die über meine Haut strich. Dann stieg ich aus meinem Bett,
knipste mein Zimmerlicht an und mein Nachtlicht aus und fing an, mich aus meinem Pyjama zu
schälen. Nachdem ich mich angezogen hatte, ging ich leise hinunter ins Erdgeschoss, um mir
Frühstück zu machen. Ich nahm mir ein Schälchen aus dem Schrank, schüttete meine Schoko-Flips
hinein und goss Milch dazu. Beim Essen musste ich die ganze Zeit an meinen Traum denken. Krieg.
Dieses Wort schoss mir immer und wieder durch den Kopf. Wie mussten sich wohl die Leute fühlen
die das alles miterlebt hatten? Traumatisiert? Oder hatten sie sich daran gewöhnt? Ich wusste es
nicht. Woher auch? Ich war noch nie im Krieg und darüber war ich auch froh! Krieg war unnötig!
Da fasste ich einen Entschluss:
Ich werde Frieden in der Welt schaffen!
Und in der Schule würde ich anfangen!
Als ich in der Schule ankam, passierte erst einmal nichts. Ich hielt die Augen offen und suchte nach
einer Situation, in der ich Frieden schaffen könnte. Wenigstens ein kleiner Streit! Sonst gibt es doch
auch immer Streit! Aber... Bettelte ich gerade um einen Streit? Mein Gott, war ich verrückt
geworden? Das gab es doch nicht! Ich bettelte um einen Streit, um ihn zu schlichten und Frieden zu
schaffen?! Ach du meine Güte! Ich versuchte zur Ruhe zu kommen, setzte ich mich in die Cafeteria
und aß mein Brot. Als ich plötzlich lautes Stimmengewirr hörte! Ich sprang auf, pfefferte mein
halbes Brot in die Dose und lief zu einem Knäuel, das sich mittlerweile scheinbar um zwei
Streitende gebildet hatte. Ich drängte mich durch die Menge und als ich endlich an meinem Ziel
angekommen war, sah ich es: zwei Jungen, die ungefähr in meinem Alter waren, stritten sich um ein
Butterbrot. Ja um ein Butterbrot! Herr Gott, war die Welt verrückt geworden? Ich stürmte zwischen
die beiden: „ Jetzt beruhigt euch doch mal! Es geht hier nur um ein Brot! Und hier führt hier einen
kleinen Krieg!“
Verdutzt sahen sie mich an. Doch nach einer kurzen Zeit wandten sie sich beschämt ab und teilten
ihr Butterbrot. Zufrieden ging ich zurück zu meiner Brotdose, nahm mein Brot wieder in die Hand
und fing wieder an zu essen. Was hatte die Jungs dort gerade geritten? Sie hätten doch einfach nur
von Anfang an teilen müssen! Teilen ist doch eines der selbst verständlichsten Dinge auf der Welt!
Oder... War es das überhaupt? Meine Gedanken schweiften nach Hause. Ich dachte an meine kleine
Schwester. An den Streit den wir ab und zu hatten. Meistens ging es dabei - auch wenn es jetzt
schwer zuzugeben ist - ums Teilen. Um ein Spielzeug, um Süßigkeiten oder einfach mal wieder um
die Macht über die Fernbedingung. Vielleicht war Teilen doch nicht so leicht, wie es sich alle
vorstellten!? Dann dachte ich an die Nachrichten. Warum brachen so viele Kriege aus? Menschen
wollten ihr Land nicht teilen, ihr Geld, ihren Ruhm und noch so viel anderes. Langsam begriff ich,
dass ich, wenn ich mehr als diesen Frieden zwischen den beiden Jungs schlichten wollen würde,
noch ein großes Stück Arbeit vor mir hatte...
Jule Bergmann, Iserlohn